Nordirland: Die Rückkehr von Stormont

Bernie McAdam, Infomail 1246, 29. Februar 2024

Vor zwei Jahren kündigte die Democratic Unionist Party (DUP) das Karfreitagsabkommen (GFA) auf und verließ Stormont, das nordirische Parlament. Die dezentralen Institutionen der nordirischen Exekutive und Versammlung brachen damit zusammen. Die DUP bestand darauf, dass dies so lange andauern würde, wie das nordirische Protokoll zum Brexit-Austrittsabkommen und die Grenze zur Irischen See existierten, da dies eine Bedrohung für die Union mit Großbritannien darstelle. Das neue Abkommen „Safeguarding the Union (Schutz der Union)“, dem alle Parteien zugestimmt haben, hat die Rückkehr ins Stormont sichergestellt.

Hat die DUP also erreicht, was sie will? Natürlich sagt sie, dass sie es hat und es nun keine Seegrenze mehr zwischen Großbritannien und Nordirland gibt. Die wichtigste Errungenschaft des DUP-Vorsitzenden Jeffrey Donaldson ist eine Vereinbarung über die Abschaffung der Routinekontrollen für Waren, die von Großbritannien in den Norden gelangen und nicht für den Verkauf in der irischen Republik und damit in der EU bestimmt sind. Die bestehenden „grünen“ und „roten“ Fahrspuren für Waren hatten jedoch bereits ein ähnliches Verfahren eingeführt, und es bleibt die Tatsache bestehen, dass zur Verhinderung von potenziellem Schmuggel in die EU weiterhin Kontrollen durchgeführt werden können, bevor die Waren in Nordirland angelandet werden. Mit anderen Worten: Es gibt immer noch eine Zollgrenze an der Irischen See, wenn auch weniger sichtbar; das Protokoll ist nach wie vor intakt.

Donaldsons größter Erfolg ist vielleicht, dass er seine Partei, die größte Stimme innerhalb der Unionist:innen, für diese sehr geringfügige Verfahrensänderung gewinnen konnte. Sogar der loyalistische Dachverband, der Loyalist Community Council, dem auch loyalistische Paramilitärs angehören, hat die Vereinbarung unterstützt. Das bedeutet, dass mit Michelle O’Neil von Sinn Fein zum ersten Mal eine nationalistische Premierministerin akzeptiert wird. Für die DUP ist das natürlich schmerzlich, aber sie hat mit der nicht gewählten Emma Little-Pengelly eine willige stellvertretende Ministerpräsidentin gefunden. Aber auch hier gibt es wenig Substanzielles, da alle Entscheidungen von beiden Ministerinnen, die gleichberechtigt sind, mitgetragen werden müssen.

Sinn Feins Freude

Eine jubelnde Sinn Fein behauptet, dass ein vereinigtes Irland nun „in greifbarer Nähe“ sei, und Michele O’Neil spricht davon, dass „die Volksabstimmungen noch in diesem Jahrzehnt“ stattfinden werden, um die Zukunft der Union zu bestimmen. Das Karfreitagsabkommen enthält zwar eine solche Bestimmung, aber es liegt ganz im Ermessen der britischen Regierung, eine solche Grenzabstimmung zuzulassen. Der britische Minister für Nordirland, Chris Heaton-Harris, rechnet nicht damit, dass er eine solche Abstimmung noch zu seinen Lebzeiten erleben wird. Wer gedacht hat, dass die Labour-Partei mehr Sympathie zeigen würde, sollte sich anhören, wie ihr Vorsitzender Starmer ein mögliches Referendum herunterspielt, indem er es als „absolut hypothetisch“ und „nicht einmal am Horizont sichtbar“ bezeichnet.

Das Abkommen tut genau das, was es sagt, nämlich „die Union zu schützen“, genau wie das GFA, indem es einem zutiefst undemokratischen Staat ein „demokratisches“ Mäntelchen umhängt. Für den US-amerikanischen, europäischen und britischen Imperialismus ist die Struktur der Machtteilung des GFA das einzig Wahre, und Sinn Fein macht da gerne mit. Für die Unionist:innen ist die Teilung der Macht der Preis, den sie für die Fortsetzung der Union mit Großbritannien zahlen müssen.

Der Staat ist jedoch immer noch ein Affront gegen die demokratischen Bestrebungen des irischen Volkes als Ganzes, und es ist die Bevölkerung, die die Zukunft der sechs Grafschaften bestimmen sollte, frei von jedem britischen Veto. Stormont ist nach wie vor eine sektiererische Struktur und wird auch weiterhin die Ämter auf sektiererischer Basis in einem Staat verteilen, der existiert, um den Kapitalismus zu kontrollieren und die Teilung zu bewahren; ein Staat, der über die am meisten benachteiligte Region im Vereinigten Königreich herrscht.

Herausforderung für die Arbeiter:innenklasse

Was die Situation wirklich veränderte, war der Generalstreik im öffentlichen Dienst im Januar, als 150.000 Arbeiter:innen auf die Straße gingen. Das konzentrierte die Gedanken der DUP auf wunderbare Weise, als sie sich mit dieser Herausforderung der Arbeiter:innenklasse auseinandersetzte. Die Region wurde zum Stillstand gebracht, als sich katholische und protestantische Lohnabhängige zusammenschlossen, um ihre ausstehenden Lohnansprüche einzufordern. Abgesehen von der Wut über die Verschlechterung der Löhne und Dienstleistungen wurde die Wirkung durch den Trick der britischen Regierung noch verstärkt: „Wir werden euch bezahlen, wenn ihr die Exekutive wieder zum Laufen bringt“.

Betrachtet man den realen Wert der Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor, d. h. die Differenz zwischen den Lohnabschlüssen und der Inflation, so ist dieser zwischen April 2021 und April 2022 um mehr als 4 % gesunken. Im folgenden Jahr betrug der Rückgang 7 %. Hinzu kommt die erschreckende Tatsache, dass die Arbeiter:innen in Nordirland  weniger Lohn erhalten als die entsprechenden Kolleg:innen im übrigen Vereinigten Königreich. Die Lohngleichheit ist natürlich eine wichtige Forderung, aber sie reicht allein nicht aus, um mit der Inflation Schritt zu halten.

Der öffentliche Sektor wurde von den regierenden Tories jahrelang mit brutalen Kürzungen überzogen. In fast allen Bereichen schneidet das nordirische Gesundheits- und Pflegesystem (British Medical Association) schlechter ab als irgendwo sonst im Vereinigten Königreich. Die Wartelisten sind verhältnismäßig viel höher und verlängern sich. Der Haushalt für das Bildungswesen 2023 – 2024 wurde um 2,5 % gekürzt, und die Bildungsbehörde gab bekannt, dass eine beträchtliche Anzahl von Schulen mit einer „unhaltbaren finanziellen Situation“ konfrontiert ist. Die Gehälter der Lehrer:innen wurden seit drei Jahren nicht mehr erhöht, so dass sich eine große Lücke zum Rest des Vereinigten Königreichs auftut.

Wie geht es weiter?

Jetzt, da „die Union gesichert“ ist und die britische Regierung 3,3 Milliarden Pfund freigegeben hat, obliegt es der von Sinn Fein und DUP geführten Exekutive, mit den Gewerkschaften über die Lohnzahlungen zu verhandeln. Genau darum ging es beim GFA, um die Übertragung der britischen Herrschaft mit all ihren wirtschaftlichen Angriffen. Natürlich ist die begrenzte Finanzierung durch Großbritannien der Kern des Problems, aber die Zuständigkeitsverlagerung entbindet die britische Regierung von einer direkten Beteiligung.

Die Wut auf den Straßen im Januar ist noch nicht verflogen. Bei Redaktionsschluss haben die Gewerkschaften Unite, GMB und SIPTU ein Lohnangebot von 5 % für das Verkehrspersonal abgelehnt und für den 27. bis 29. Februar zu einem dreitägigen Streik aufgerufen. Die Assistenzärzt:innen werden im März einen Tag lang streiken, nachdem 97 % für einen Streik gestimmt haben. In einem Streit, der bis ins Jahr 2018 zurückreicht, hat die GMB (General, Municipal, Boilermakers and Allied Trade Union) vor Streiks gewarnt, da laut Sprecher für Bildung Paul Girvan keine neuen Mittel für die Bezahlung und Einstufung des Schulpersonals zur Verfügung stehen.

Der Streik im Januar zeigt zwar die enorme Kraft der Arbeiter:innenschaft, die gemeinsam streikt, aber es ist klar, dass weitere Maßnahmen erforderlich sind. Carmel Gates, NIPSA (Nordirische Öffentliche Dienstallianz)-Generalsekretärin, sagte: „Dies ist der Anfang, wir werden eskalieren“. Aber diese Worte müssen in eine konkrete Strategie für den Sieg umgesetzt werden. Wir können uns dabei nicht auf unsere Führer:innen verlassen. Die Basis muss die Kontrolle über die Auseinandersetzungen übernehmen, indem sie Streikkomitees und Massenversammlungen bildet, um ihre Führungen zur Verantwortung zu ziehen. Gemeinsame gewerkschaftliche Aktionsräte müssen ein eskalierendes Aktionsprogramm bis hin zu einem unbefristeten Streik koordinieren.

Zurück nach Stormont

Die neue Exekutive wird also wieder die britische Herrschaft umsetzen, und zwar mit allen finanziellen Zwängen, die sich aus der Politik der Regierung ergeben. Der einzige „Vorteil“ der Rückkehr nach Stormont wird darin bestehen, dass die Rolle von Sinn Fein und der DUP bei der Kollaboration mit den Angriffen der britischen Regierung auf die Arbeiter:innen aufgedeckt wird. Ja, sie werden mehr Geld fordern und die Verantwortung leugnen, aber sie werden nicht kämpfen oder sich der Regierung widersetzen, um die Lohnforderungen der Beschäftigten zu erfüllen. Es wird interessant sein zu sehen, ob die Exekutive sich sogar weigert, die vom Finanzministerium geforderten zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 113 Millionen Pfund aufzubringen!

Die Gewerkschaftsbürokrat:innen werden ihr Bestes tun, um die Aktionen zu begrenzen und schlechte Verträge unterhalb der Inflationsrate auszuhandeln. Auch sie sind für die Teilung und werden die Strukturen der Machtteilung nicht erschüttern wollen. Klar ist, dass ein entschlossener Kampf der Arbeiter:innen zur Verteidigung und Verbesserung ihres Lebensstandards das institutionalisierte Sektierertum, das die Gesellschaft in den sechs Grafschaften durchdringt, auf die Probe stellen und ins Wanken bringen wird.

Wenn der Brexit vielen gezeigt hat, wie störend eine Grenze in Irland ist, dann kann eine militante Herausforderung der Kürzungspolitik durch katholische und protestantische Arbeiter:innen die Augen für eine Zukunft öffnen, in der alle Arbeiter:innen in Irland ihre gemeinsamen Interessen gegen die britischen imperialistischen oder irischen kapitalistischen Bosse erkennen. Die kapitalistischen Regierungen im Norden und Süden werden keine Skrupel haben, den Widerstand der Arbeiter:innenklasse zurückzuschlagen, deshalb brauchen wir Einigkeit über die konfessionelle Kluft hinweg, um einen stärkeren Kampf gegen die Bosse zu organisieren. Dieser Kampf wird erst dann beendet sein, wenn die Gesellschaft in einer Arbeiter:innenrepublik in Irland der Arbeiter:innenklasse gehört und von ihr kontrolliert wird.




Irland: Widerstand gegen die extreme Rechte

Bernie McAdam, Infomail 1243, 23. Januar 2024

Die jüngsten Ausschreitungen in Dublin haben ein neues Licht auf die Aktivitäten der aufstrebenden irischen Rechtsextremen geworfen. Nach einer Messerstecherei vor einer Dubliner Schule entwickelte sich ein rechtsextremer Protest gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, der durch rassistische Äußerungen in rechtsextremen Netzwerken in den sozialen Medien inszeniert wurde, zu einem Gefecht mit der irischen Polizei (Garda Siochána; Gardai). Es folgten Plünderungen und Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich eines Angriffs auf einen Busfahrer mit Migrationshintergrund, wobei viele Angehörige ethnischer Minderheiten im Stadtzentrum um ihre Sicherheit fürchteten.

Die Wahrheit über die Messerstecherei war so weit von den rassistischen Gerüchten entfernt wie nur möglich. Nicht ein algerischer Einwanderer war der Messerstecher, sondern ein Ire, der an einer psychischen Krankheit leidet. Tatsächlich kam Caio Benicio, ein brasilianischer Deliveroo-Fahrer, dem angegriffenen jungen Mädchen zu Hilfe und schlug den Angreifer mit seinem Motorradhelm zurück.

Diese Ausschreitungen finden vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf Flüchtlingslager und Schikanen gegen Bibliotheksmitarbeiter:innen im vergangenen Jahr statt. Mehrere flüchtlingsfeindliche Proteste haben sich vor Asylbewerber:innenheimen abgespielt, oft mit lokaler Unterstützung und Hassreden von bekannten rechtsextremen Aktivist:innen. Behelfsmäßige Lager wurden in Ashtown und zuletzt in der Sandwith Street in Dublin angegriffen, wo Zelte niedergebrannt wurden.

Parallel dazu wurden gewählte Vertreter:innen von Sinn Fein und People before Profit (PbP), die sich im Dail (Parlament) für die Rechte von Migrant:innen eingesetzt haben, angegriffen. In Leitrim wurde ein Brandanschlag auf das Haus von Martin Kenny, Abgeordneter von Sinn Fein, verübt, und Paul Murphy, Abgeordneter von PbP, wurde von rechtsextremen Schläger:innen körperlich angegriffen und sein Haus mit Posten umzingelt. Auch gegen Mick Barry, Deputierter der PbP-Solidarität, wurde ein Anschlag auf sein Büro verübt.

Bibliotheken wurden von rechtsextremen Schläger:innen versperrt und gestürmt, wobei auch Bibliotheksmitarbeiter:innen schikaniert wurden. All dies, um die Bereitstellung von LGBTIA+-Lesematerial, Drag-Events und „pornografischen“ Büchern zu verhindern. Die Mahnwache in der Stadtbibliothek von Cork im Juli wurde von Ireland First organisiert, der jüngsten rechtsextremen Partei in Irland. Die Irish Freedom Party und die National Party sind die beiden anderen großen Gruppen im rechtsextremen Spektrum.

Angriffe auf Migrant:innen

In Irland sind erst in jüngster Zeit rechtsextreme Gruppierungen entstanden, die zwar noch klein sind, aber eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen entwickeln. Der Aufstieg des Rechtspopulismus auf internationaler Ebene, insbesondere die Wahl von Trump, hat der irischen extremen Rechten zunächst Auftrieb gegeben. Die Alarmglocken begannen zu läuten, als der rechte Präsidentschaftskandidat Peter Casey, der behauptete, dass die nichtsesshafte Gruppe der Traveller (Fahrende) „im Grunde genommen Menschen sind, die in fremdem Land campieren“, 2018 den zweiten Platz belegte. Der Rassismus gegen Traveller bildete in der Vergangenheit einen Schwerpunkt der Diskriminierung in Irland.

In den letzten 20 Jahren gab es in Irland zahlreiche Kämpfe und Massenkampagnen, die darauf abzielten, die Regierungspolitik und reaktionäre Sozialgesetze zurückzudrängen. Dies reichte von Bewegungen gegen Müllgebühren, Haushalts- und Grundsteuerabgaben bis hin zu den erfolgreichen Massenmobilisierungen gegen Wassergebühren. Hinzu kamen die siegreichen Ergebnisse der Volksabstimmungen, die die Gleichstellung der Ehe und die Aufhebung des achten Zusatzartikels, was die Abtreibungsrechte verbesserte, sicherstellten.

Eine Gegenreaktion gegen diese Bewegungen war immer zu erwarten. Insbesondere die katholische Kirche war von den Ergebnissen des Referendums erschüttert. Kein Wunder, dass die aufkommende extreme Rechte sich gerne mit unzufriedenen Menschen verband, die einen traditionellen katholischen Standpunkt vertraten, der in der Ablehnung von LGBTIA+-Rechten und der Feindseligkeit gegenüber dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung verwurzelt war.

Das Hauptziel der Rechtsextremist:innen waren jedoch immer Migrant:innen und Flüchtlinge. Obwohl ihre Stimmen gering waren, fühlten sich die Rechtsextremen selbstbewusst genug, um in den letzten fünf Jahren bei einer Reihe von Wahlen anzutreten, als die Proteste gegen Flüchtlinge zunahmen. Sie begannen, aus einwanderungsfeindlichen Vorurteilen Kapital zu schlagen.

Es folgte die COVID-Krise, bei der faschistische Aktivist:innen auf Verschwörungstheorien und Proteste gegen Lockdowns und Impfen setzten. Aber es war die Aufnahme von 70.000 ukrainischen Flüchtlingen durch die irische Regierung im Jahr 2022, die die extreme Rechte auf den Plan rief.

Die irische Regierung beschloss, so viele ukrainische Flüchtlinge wie möglich in Hotels, leerstehenden Gebäuden usw. unterzubringen, aber alle anderen Flüchtlinge mussten sich selbst versorgen. Dies führte zu Obdachlosenlagern und etwa 500 Flüchtlingen, die auf der Straße leben. Das hat diese Lager zu leichten Zielen für die Faschist:innen gemacht. Nicht nur Obdachlosenlager, sondern auch Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, bildeten die Angriffspunkte.

Die Krise wurde noch verschärft, als die Regierung im März ankündigte, dass Hotelverträge zur Unterbringung von Flüchtlingen gekündigt würden, da sich die Hotelbetreiber:innen der Touristensaison näherten. In einem Land, in dem bereits 250.000 Wohnungen fehlen und ein Mangel an erschwinglichen Miet- und Kaufobjekten herrscht, fanden rechtsextreme Demagog:innen leider auch in einigen Arbeiter:innengemeinden Gehör. Die Vernachlässigung der Wohnungskrise durch die irische Regierung und ihre diskriminierende Politik haben diesem Anstieg des Rassismus Vorschub geleistet.

Wie man die extreme Rechte stoppen kann

In Irland kam es in letzter Zeit zu Massenbewegungen und einem fortschrittlichen sozialen Wandel, was jedoch kaum auf das Eingreifen von Gewerkschaften zurückzuführen ist. Die irische Arbeiter:innenklasse ist durch Angriffe auf ihren Lebensstandard in Bedrängnis geraten.

Jahrelange Sparmaßnahmen, die Auswirkungen von Covid, ein marodes Gesundheitswesen und eine chronische Wohnungskrise haben die Arbeiter:innenklasse schwer getroffen. Aber die Gewerkschaftsführung hat diesen Zustand nicht in Frage gestellt. Sie macht sich sogar mitschuldig an den Angriffen der Regierung, indem sie ihre Mitglieder durch die Unterzeichnung von Sozialpartnerschaftsabkommen zügelt.

Wenn die organisierte Arbeiter:innenklasse über ihre Gewerkschaften weiterhin untätig bleibt, können wir mit einer stärkeren Bedrohung von rechts rechnen. Die Selbstgefälligkeit der Bürokrat:innen in Bezug auf die Vertretung ihrer Arbeiter:innen wird durch ihre katzbuckelnde Nutzlosigkeit angesichts der rassistischen Angriffe auf Wanderarbeiter:innen ergänzt.

Der Irische Gewerkschaftskongress (ICTU) organisierte als Reaktion auf die Ausschreitungen eine kleine Mittagskundgebung, bei der ICTU-Generalsekretär Owen Reidy von „unserer wunderbaren Polizei“ sprach. Dies ist eine völlig unangemessene Reaktion, die die Realität auf den Kopf stellt. Genauso wenig wie die Behauptung von Mary Lou McDonald von Sinn Fein, dass die Regierung und der Kommissar es versäumt hätten, die Gardai richtig auszustatten. Die Gardai, die eine sehr weiche und ineffektive Haltung gegenüber dem randalierenden Mob eingenommen hat, wird weder Migrant:innen noch irgendeine andere Gruppe von Arbeiter:innen im Kampf verteidigen!

Es hat wichtige Mobilisierungen gegen die Rechte gegeben, von der Linken, die geholfen hat, das Camp in der Sandwith Street zu verteidigen, bis zu den Zehntausenden, die letztes Jahr bei der „Irland für alle“-Demonstration gegen den zunehmenden Rassismus mitmarschiert sind. Die jüngste Zunahme der „For All“-Kampagnen könnte durchaus als Katalysator für eine koordinierte antirassistische und antifaschistische Einheitsfront wirken.

Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Einheitsfront von linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse, die Flüchtlinge angemessen verteidigen und faschistische Angriffe zerschlagen kann. Eine ermutigte extreme Rechte wird nicht vor Flüchtlingen Halt machen, wie wir bereits bei der Einschüchterung linker Abgeordneter gesehen haben. Das Wachstum des Faschismus wird von seiner Fähigkeit abhängen, die Straßen zu kontrollieren, als eine effektive Straßenkampftruppe. Mit faschistischem Terror kann man nicht argumentieren, aber man kann ihn physisch stoppen. Organisierte Selbstverteidigung ist eine Notwendigkeit und muss ernsthaft aufgebaut werden.

Zugleich müssen reale Problem wie die Wohnungskrise angegangen werden. Zu lange hat die Regierung die Interessen des multinationalen Großkapitals, der Immobilienentwickler:innen und der abwesenden Vermieter :innen geschützt. Wir müssen Sofortmaßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen fordern, indem wir leerstehende Gewerbe- und Unternehmensimmobilien nutzen.

Wir brauchen ein massives Sofortprogramm für gesellschaftlich nützliche öffentliche Arbeiten, um Vollbeschäftigung zu schaffen und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu entwickeln. Die Arbeiter:innenklasse sollte an der Ausarbeitung einer Anhörung zu den sozialen Bedürfnissen beteiligt werden, die sich mit Fragen wie dem chronischen Wohnungsmangel, dem heruntergekommenen Wohnungsbestand und dem Aufbau eines öffentlich finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes mit gleichberechtigtem Zugang befasst.

Diese öffentlichen Arbeiten sollten Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Ein massives Wohnungsbauprogramm würde einen Teil dieses Plans bilden und, wie der Rest des Programms, durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden. Ein solcher Schritt würde den Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eröffnen, in der für den Bedarf und nicht für die kapitalistische Gier produziert würde!

Der Faschismus ist ein Produkt des kapitalistischen Zerfalls. Bürgerliche „demokratische“ Regierungen fördern das Wachstum des Faschismus durch ihre Unfähigkeit, die Probleme des krisengeschüttelten Kapitalismus zu lösen. In ähnlicher Weise kann das Fehlen einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus das Wachstum der extremen Rechten nur fördern. Eine solche revolutionäre Alternative, die sich auf ein Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse stützt, muss jetzt aufgebaut werden, damit sie Faschismus und Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann!




Nordirland: Sinn Feins historischer Sieg wird vom unionistischen Veto blockiert

Bernie McAdam, Infomail 1190, 1. Juni 2022

Sinn Fein hat bei den Wahlen zur Nordirischen Versammlung einen historischen Sieg errungen. Die Partei, die der politische Flügel der Provisional IRA (Provisorische Irische Republikanische Armee) war und von der britischen Regierung sechs Jahre lang mit einem Sendeverbot belegt wurde, ist jetzt die größte Partei im Stormont, dem Parlament. Zum ersten Mal in der Geschichte des nordirischen Staates hat eine Partei, die sich für ein vereintes Irland einsetzt, mehr Sitze gewonnen als die größte Partei der Unionist:innen. Nach hundert Jahren unionistischer Dominanz in der Regierung hat eine nationalistische Partei nun das Recht, den Ersten Minister (First Minister) in der neuen Exekutive mit geteilter Macht zu benennen. Berechtigt ist jedoch nicht ermächtigt!

In Wirklichkeit hat sich die größte unionistische Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), geweigert, einer solchen Exekutive beizutreten, wodurch die wichtigste Institution des Karfreitagsabkommens (GFA) zusammengebrochen ist. Die DUP möchte, dass das Nordirland-Protokoll, das Abkommen zwischen dem britischen Vereinigten Königreich und der EU, das eine Wirtschaftsgrenze entlang der Irischen See gezogen hat, aufgehoben wird, bevor sie einer neuen Exekutive oder Versammlung beitritt. Die Parteien haben bis zu 24 Wochen Zeit, um eine neue Exekutive zu bilden, andernfalls müssen Neuwahlen abgehalten werden.

Unnachgiebigkeit der Unionist:innen

Der DUP-Führer Jeffrey Donaldson sagt, er werde das Wahlergebnis akzeptieren (so?!), aber selbst wenn er nicht den Vorwand des Protokolls hätte, die Exekutive zu sabotieren, hätte die DUP es immer noch demütigend genug gefunden, einen nationalistischen Ersten Minister zu akzeptieren. Das zeigt, dass der Unionismus nicht weniger überheblich und bigott ist als der sektiererische Staat im Norden, den er seit über einem Jahrhundert verteidigt.

Der Nordstaat kann nur durch die Rolle Großbritanniens bei der Teilung Irlands im Jahr 1921 und der Schaffung eines willkürlichen Stücks Land mit einer unionistischen Mehrheit unter dem Namen „Nordirland“ verstanden werden. Der entstehende Staat wurde aufgebaut und konzipiert, um die nationalistische Minderheit niederzuhalten, mit systematischer Diskriminierung und Unterdrückung, die in den späten 60er Jahren zum Kampf für Bürger:innenrechte führte.

Die Unionist:innen wehrten sich gegen die Forderung nach gleichen Bürge:innenrrechten und reagierten durch Unterstützung der nachfolgenden britischen Regierungen mit verstärkter Repression. Als sich die nationalistische Minderheit gegen loyalistische Pogrome und staatliche Repressionen zur Wehr setzte, kam es zu einem Massenaufstand, der in einen bewaffneten Kampf zur Vertreibung der britischen Truppen und gegen die Teilung mündete. Sinn Fein und die IRA führten diesen Kampf an, und ihre Unterstützung ist noch heute ein Erbe ihrer Beteiligung an diesem berechtigten Widerstand.

Die Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens war der krönende Abschluss des Friedensprozesses, bei dem Unionist:innen und Nationalist:innen zum ersten Mal die politische Macht teilten. Die DUP wurde schreiend zu dieser Übung gezerrt, aber eigentlich hatte sie wenig zu verlieren, schließlich hatte Sinn Fein/IRA ihre Waffen außer Dienst gestellt und entgegen den republikanischen Grundsätzen ein Veto der unionistischen Mehrheit gegen ein vereinigtes Irland akzeptiert. Selbst nach einem solchen Einlenken wurde es von den Hardliner-Unionist:innen immer noch als Machtteilung mit dem Feind angesehen.

Nichtsdestotrotz teilten sich die DUP und Sinn Fein die Macht. Sie waren sich beide einig, den Staat und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, sie und ihre Anhänger:innen waren beide Nutznießer:innen einer sektiererischen Mittelzuweisung, und sie stimmten beide, zusammen mit allen anderen großen politischen Parteien, der Umsetzung der Sparpolitik der britischen Regierung in Westminster zu, die die öffentlichen Dienstleistungen bis auf den Grund kürzt. Die Versammlung/Exekutive wurde zum Hauptinstrument der britischen Herrschaft im Norden.

Seit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 wurde der Nordstaat mit einem dezentralisierten Parlament kosmetisch verschönert und einige der schädlichsten Formen der Diskriminierung wurden beseitigt, was einer kriegsmüden Bevölkerung viel Hoffnung gab. Doch die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile des Friedens blieben aus, und es gab keine wirklichen Fortschritte beim Abbau des Sektierertums. Vielmehr kam es immer wieder zu einer Verschärfung der sektiererischen Spannungen, vor allem dann, wenn die DUP es für nötig hielt, den loyalistischen Eifer anzufachen. Die Rolle der DUP bei den „Flaggenkrawallen“ im Jahr 2013 ist ein typisches Beispiel dafür.

Sinn Fein hat sich verpflichtet, die Macht mit der DUP zu teilen, einer der reaktionärsten Parteien Europas, einer Partei, die sich kompromisslos gegen Abtreibungsrechte, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Rechte der irischen Sprache usw. stellt. Das Karfreitagsabkommen basiert auf der Anerkennung eines Vetos der Unionist:innen in der Grenzfrage – eine Grenze, die seit ihrer Entstehung im Jahr 1921 die Gemeinden und das wirtschaftliche Hinterland vollständig geteilt hat, was mit sozialer Benachteiligung einherging.

Alle, von der EU, den USA, der Irischen Republik und den britischen Regierung bis hin zu allen großen politischen Parteien im Norden, schwören auf dieses Abkommen. Sie alle sind daran beteiligt, die Teilung zu veredeln, aber das Karfreitagsabkommen kann das Demokratiedefizit im Herzen des Nordstaates nicht beheben. Die Teilung der Macht ist ein geschickter Weg, dies zu verbergen, zumindest für eine gewisse Zeit. Aber der Widerspruch wird immer zum Vorschein kommen, der Widerspruch, eine britische Grenze in Irland zu haben, eine Grenze, die dem irischen Volk als Ganzes das Recht verweigert, über seine eigene Zukunft zu entscheiden.

Brexit

Der nächste Schritt war der Brexit, der diesen Widerspruch einer britischen Grenze auf der irischen Insel ausnutzte und verschärfte. Der britische Austritt aus der EU war in Irland überwältigend unpopulär. Im Norden stimmte eine Mehrheit dagegen, abgesehen von einer unionistischen Minderheit unter Führung der DUP, die nun meint, sie habe das „demokratische“ Recht, ein Veto gegen die Mehrheit einzulegen.

Als Mitglieder der EU hatten sowohl die Republik Irland als auch Nordirland eine offene Grenze und einen gemeinsamen Markt. Durch den Brexit drohte eine harte Grenze zwischen den beiden Staaten mit allen daraus resultierenden Kosten und Unannehmlichkeiten für beide Seiten. Die britische Regierungspartei der Tories scheinen die Folgen ihrer Pläne für Irland nicht bedacht zu haben.

Die Befürworter:innen des Brexit der DUP haben heuchlerisch gegen eine harte Grenze gewettert, aber warum dann für den Austritt aus der EU stimmen? Was erwartet man, wenn man eine Freihandelszone verlässt? Das Protokoll wurde von den Tories und der EU vereinbart, um die nachteiligen Auswirkungen einer harten Grenze zu umgehen. Anstelle von Kontrollen an der irischen Grenze, der einzigen Landgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, würde es Kontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland geben, wobei sich Nordirland bereit erklärt, die EU-Vorschriften für Produktstandards zu befolgen.

Die DUP und die Traditional Unionist Voice (Traditionelle Unionistische Stimme TUV) halten diese Grenze an der Irischen See für inakzeptabel, da sie den Platz von Norirland im Vereinigten Königreich untergräbt, daher muss das Protokoll weg. Die Tatsache, dass die Wirtschaft des Teilstaates vom Verbleib auf dem EU-Markt profitiert, wird geflissentlich übersehen. Obwohl die neue Versammlung eine pro-Protokoll-Mehrheit hat, wird die DUP/TUV ihr unionistisches Veto nutzen, um das Wahlergebnis zu kippen, das Donaldson angeblich akzeptiert hat!

Dies zeigt einmal mehr die paranoide Angst vor einem vereinigten Irland, das jeden ihrer Schritte bestimmt, selbst um den Preis einer harten Grenze zwischen Nordirland und der EU. Die Reaktion darauf erklärt zum Teil das schnelle Wachstum der Alliance Party zur drittgrößten Partei. Die Entwicklung dieser liberalen, wirtschaftsfreundlichen und EU-freundlichen Mittelschichtspartei könnte die Wirtschaft in Nordirland von ihrer traditionellen Loyalität zu den Unionist:innen abbringen, doch die Befürwortung der Alliance für die britische Union steht nicht zur Disposition.

Das anhaltende Brexit-Dilemma des britischen Premier Boris Johnson besteht darin, wie er das Protokoll so ändern kann, dass es die DUP und die EU zufriedenstellt. Zweifellos wird er dies in den kommenden Wochen mit seinen charakteristischen Lügen und Täuschungen tun, da das Parlament bereits über ein Gesetz zur Aufhebung des Protokolls beraten wird. Die EU und die USA haben ihn bereits vor solchen einseitigen Maßnahmen gewarnt, die ein Handelsabkommen mit den USA gefährden könnten. Außerdem würde dies die Gefahr eines Handelskriegs mit der EU erhöhen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Wirtschaft mit einer drohenden Rezession konfrontiert ist.

Es wird also ein interessantes Rätsel sein, inwieweit Johnson die Unionist:innen beschwichtigen kann. Es wird jedoch mehr als deutlich, dass der Brexit für Irland, im Norden wie im Süden, immer eine Katastrophe sein würde. Das Protokoll soll die Auswirkungen bis zu einem gewissen Grad abmildern, aber die Unnachgiebigkeit der Unionist:innen wird die Wahrscheinlichkeit einer harten Grenze nur erhöhen.

Eine neue Ära?

Die Vorsitzende von Sinn Fein im Norden, Michelle O’Neill, sagt, der Sieg läute „eine neue Ära“ für Nordirland ein. Er wird auch südlich der Grenze den politischen Schwung der Partei verstärken. Aber kommt Sinn Feins Vision eines vereinten Irlands dadurch näher? Sicherlich hat die Debatte über ein vereinigtes Irland seit dem Brexit zugenommen, aber die Verwirklichung ist nicht in greifbare Nähe gerückt.

Die Strategie von Sinn Fein besteht darin, sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Regierung politische Macht zu erlangen – kein unwahrscheinliches Szenario – um Druck auf Großbritannien auszuüben, eine Grenzabstimmung abzuhalten. Sie weisen darauf hin, dass Großbritannien nach den Bestimmungen des Karfreitagsabkommens berechtigt ist, eine Grenzabstimmung anzusetzen, sofern eine Mehrheit für ein vereinigtes Irland wahrscheinlich ist. Ihre Vorsitzende Mary Lou McDonald geht von einem Zeitrahmen von 5 bis 10 Jahren aus.

Diese Entscheidung liegt jedoch nicht bei Sinn Fein, sondern kann nur vom britischen Außenminister getroffen werden, und zwar auf der Grundlage dessen, was die britische Regierung bei einem Referendum für wahrscheinlich hält. Es gibt keinen Mechanismus, der die Regierung zum Handeln zwingt. Das irische Volk hat hier kein Mitspracherecht!

Es überrascht nicht, dass Johnson dies bereits „für eine sehr, sehr lange Zeit“ ausgeschlossen hat, und Keir Starmer von der Labour-Partei ist nicht besser, da er glaubt, dass ein Referendum nicht in Sicht ist, und selbst wenn es eines gäbe, würde er sich gegen ein vereinigtes Irland einsetzen. Sinn Fein macht sich also der Illusion schuldig, dass die Grenzabstimmung in greifbare Nähe gerückt ist und im Falle ihrer Durchführung eine Mehrheit finden würde, was jedoch nicht unvermeidlich ist, wenn man den Meinungsumfragen glauben darf.

Eine weitere Illusion besteht darin, dass Großbritannien als „neutraler“, „desinteressierter“ Akteur die Einheit fördern und alle Bestimmungen des Karfreitagsabkommens in gutem Glauben umsetzen würde. Doch die britische Präsenz ist das Hauptproblem. Nicht umsonst haben aufeinanderfolgende britische Regierungen einen 30-jährigen Krieg gegen diejenigen geführt, die die Grenze abschaffen wollten. Großbritannien könnte sich zwar prinzipiell für ein vereinigtes kapitalistisches Irland erwärmen, aber zu britischen Bedingungen, was in naher Zukunft höchst unwahrscheinlich ist.

Man kann sich nicht auf das Abkommen verlassen, das sich ohnehin auflöst, oder auf die Forderung nach einer Grenzabstimmung, um Irland zu vereinen. Die Tatsache, dass eine Abstimmung im Norden gefolgt von einer Abstimmung im Süden stattfinden müsste, ist eine Parodie dessen, was geschehen sollte. Die konsequente demokratische Position ist eine gesamtirische Wahl zu einer gesamtirischen Versammlung, in der das irische Volk als Ganzes über seine Zukunft im Norden entscheidet.

Die Sozialist:innen sollten sich für die Selbstbestimmung als Teil einer Strategie zum Aufbau einer Arbeiter:innenrepublik einsetzen. Die Teilung hat die Arbeiter:innenklasse in Irland schon zu lange gespalten. Da das Ausmaß des Elends und der Entbehrungen im gegenwärtigen Klima in die Höhe schießt, ist es unerlässlich, dass eine kämpferische Arbeiter:innenbewegung aufgebaut wird, um die Arbeiter:innenklasse in ganz Irland zu verteidigen. Eine Massenbewegung auf der Straße und direkte Aktionen sind der Weg, um die Interessen der Arbeiter:innenklasse voranzubringen und dem imperialistischen Staat nördlich der Grenze die Kontrolle ebenso zu entreißen wie dem kapitalistischen Staat im Süden.

Der Kapitalismus ist entschlossen, die Kosten für seine zahlreichen Krisen auf die Arbeiter:innenklasse abzuwälzen. Die Arbeiter:innen müssen darauf mit Arbeitskämpfen und dem Aufbau demokratischer Arbeiter:innenräte reagieren, die sich selbst verteidigen und den Kapitalismus letztendlich zerschlagen können. In Irland muss eine revolutionäre Partei aufgebaut werden, die für diese Strategie kämpfen kann – eine Strategie, die auf der permanenten Revolution basiert, in der die Arbeiter:innenklasse die uralte nationale Frage durch den Kampf für eine Arbeiter:innenrepublik löst.




Irland: 50. Jahrestag des Bloody Sunday

Bernie McAdam, Workers Power, Infomail 1177, 29. Januar 2022

Am 30. Januar jährt sich der Bloody Sunday (Blutsonntag) zum 50. Mal. An diesem Tag im Jahr 1972 ermordete das britische Fallschirmjägerregiment 13 unbewaffnete BürgerrechtsdemonstrantInnen in Derry. Ein vierzehntes Opfer erlag kurz darauf seinen Verletzungen, und es gab weitere 15 Verletzte. Die Northern Ireland Civil Rights Association (Nordirische BürgerInnenrechtsvereinigung) hatte zu einem Protest gegen die Internierung aufgerufen, und der Marsch wurde auf Empfehlung der britischen Armee untersagt.

Das Massaker räumte endgültig mit dem Mythos auf, dass die britische Armee „den Frieden bewahrt“ und zwischen zwei sich bekriegenden Gruppierungen stehe, „um sie auseinanderzuhalten“. Es war ein entscheidender Moment, der die gesamte nationalistische Gemeinschaft im Norden Irlands entfremdete und ihnen bestätigte, dass Großbritannien es nicht ernst meinte mit der Reform des sektiererischen Gebildes des sechs Grafschaften umfassenden unionistischen Staates.

Nach dem Bloody Sunday nahm der Massenwiderstand im Norden zu. Katholische ArbeiterInnen in Hunderten von Fabriken traten in den sechs Grafschaften in den Streik und veranstalteten spontane Proteste. Die Provisional IRA (Provisorische Irisch Republikanische Armee) verstärkte ihre bewaffnete Kampagne und verzeichnete einen enormen Anstieg der Rekrutierung. In der Republik Irland kam es zu beispiellosen Protesten mit dreitägigen Streiks und Demonstrationen in Dörfern, Städten und Gemeinden auf der ganzen Insel. Die Proteste wurden häufig von den Gewerkschaftsräten organisiert, und es nahmen ganze Betriebskontingente an den Märschen teil. Die Aktionen gipfelten in einem Generalstreik am dritten Tag, an dem 12 der 13 Opfer vom 30. Januar begraben wurden.

Die britische Botschaft in Dublin wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und die Abgeordnete Bernadette Devlin, die auf einer BürgerInnenrechtsliste gewählt worden war, schlug dem Innenminister Reginald Maudling im Unterhaus ins Gesicht. Irische BauarbeiterInnen legten auch in London und Birmingham die Arbeit nieder. Auf internationaler Ebene gab es Proteste in vielen Städten, darunter New York, wo John Lennon als Unterstützer der irischen Bewegung zugegen war, San Francisco, Paris, Montreal und Neapel, um nur einige zu nennen. Zwei New Yorker GewerkschaftsführerInnen, die Transport- und HafenarbeiterInnen vertraten, kündigten einen Boykott britischer Exporte an.

Die britische Reaktion

Das diskreditierte Widgery-Tribunal, das unmittelbar nach dem Bloody Sunday stattfand, bildete 38 Jahre lang die Grundlage für die Reaktion der britischen Regierung. Der Bericht sprach die britischen Soldaten von jeglichem Fehlverhalten frei und behauptete, sie seien unter Beschuss geraten. Die Angehörigen der Ermordeten führten eine lange und entschlossene Kampagne, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. 2010 wurde schließlich eine neue Untersuchung, der Saville-Bericht, durchgeführt, der den Angehörigen Recht gab und die Tötungen für „ungerechtfertigt und nicht zu rechtfertigen“ erklärte.

Nach 12 Jahren Untersuchung und 38 Jahre nach den Ereignissen bestätigte der Saville-Bericht die Unschuld der Opfer und bestätigte lediglich, was die Menschen in Derry bereits wussten. Aber es stellte einen Sieg für sie dar, dass Großbritannien endlich sein Verbrechen eingestehen musste. Sogar David Cameron, der Premierminister der Tories, sah sich gezwungen, sich im Unterhaus zu entschuldigen.

Der Saville-Bericht stellt fest, dass die Truppen nicht gewarnt haben, dass sie schießen würden, und: „Trotz der gegenteiligen Aussagen der Soldaten sind wir zu dem Schluss gekommen, dass keiner von ihnen als Reaktion auf Angriffe oder drohende durch Nagel- oder Benzinbomben geschossen hat.“ Der Befehl zum Schießen hätte nicht gegeben werden dürfen. Einige der Opfer waren vor den Militärs weggelaufen und wurden in den Rücken geschossen. Einige waren sogar dabei, anderen Verletzten zu helfen, und keine/r von ihnen war bewaffnet. In dem Bericht heißt es außerdem, dass die Soldaten bei den Ermittlungen „wissentlich falsche Angaben“ gemacht hätten.

In den Pressemitteilungen der Armee am Abend des Massakers wurde behauptet, die Soldaten seien unter schwerem Beschuss gestanden, was jedoch eindeutig eine Lüge war. Hauptmann Michael Jackson, der an diesem Tag als zweiter Befehlshaber fungierte, wurde für seinen Vertuschungsbericht belohnt, indem er schließlich den höchsten Posten in der Armee übernahm. Seine „Schussliste“ entpuppte sich als Fälschung, da keine der darin beschriebenen Schussabgaben mit den tatsächlich abgegebenen Schüssen übereinstimmte.

Ein paar faule Eier?

Der Saville-Bericht hat die Unschuldigen entlastet, auch wenn er nicht die offensichtliche Schlussfolgerung zog, dass es sich um eine unrechtmäßige Tötung oder einen Mord handelte. Zwölf Jahre später und immer noch keine strafrechtliche Verfolgung dieser Soldaten! Es überrascht nicht, dass der Saville-Bericht die britische Regierung freisprach, denn er fand keine Verschwörung in der Regierung oder in den höheren Rängen der Armee, um tödliche Gewalt gegen DemonstrantInnen in Derry anzuwenden. Oberstleutnant Wilford, der für die Fallschirmjäger, die in die Bogside eindrangen (1. Bataillon des Regiments), verantwortlich war, wurde dafür kritisiert, dass er über seine Befehle hinausging, und die Studie kam zu dem Schluss, dass einige in den Einheiten die Selbstkontrolle verloren hatten, so dass für Saville alles auf ein paar faule Eier hinauslief!

Diese verlogene Theorie lenkt von der Rolle ab, die hochrangige VertreterInnen der Armee und der Regierung am Bloody Sunday und im gesamten Norden Irlands in dieser Zeit gespielt haben. Der Bericht hörte, wie Generalmajor Ford, Kommandeur der Landstreitkräfte im Norden, drei Wochen vor dem Blutsonntag ein Memo an General Tuzo schrieb: „Ich komme zu dem Schluss, dass das Minimum an Gewalt, das zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung erforderlich ist, die Erschießung ausgewählter RädelsführerInnen unter den jungen Hooligans von Derry ist, nachdem klare Warnungen ausgesprochen wurden.“

Premierminister Ted Heath erklärte vier Tage später gegenüber seinem Kabinett: „Eine Militäroperation zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung wäre eine große Operation, die zwangsläufig zahlreiche zivile Opfer fordern würde.“ Offensichtlich hatte die britische Regierung bereits vor dem Bloody Sunday über den BürgerInnenrechtsmarsch und ihre Reaktion ein Memorandum an ihre Botschaft in Washington geschickt, in der sie vor feindseligen Reaktionen warnte, sollte es in Derry zu Unruhen kommen. Darüber hinaus hatte dasselbe Fallschirmjägerregiment seine mörderischen Absichten bereits im August des Vorjahres kundgetan, als elf unbewaffnete ZivilistInnen, darunter ein Priester, im Ballymurphygebiet von Belfast im Rahmen einer Operation getötet wurden, bei der Hunderte von NationalistInnen ohne Prozess interniert wurden. In einem Bericht des Gerichtsmediziners aus dem Jahr 2021 wurde festgestellt, dass alle ZivilistInnen in dem als „Ballymurphymassaker“ bekanntgewordenen Fall unschuldig waren und „ohne Rechtfertigung“ getötet wurden.

Warum Bloody Sunday?

Der Bloody Sunday war also kein einmaliger Vorfall oder eine Abweichung in der Politik, geschweige denn eine Frage von ein paar faulen Eiern in einer ansonsten großartigen Armee. Er kann nur im Zusammenhang mit der Besetzung eines Teils Irlands durch Großbritannien und dem sektiererischen Staat, den es seit 1921 mit aufgebaut und gestützt hat, verstanden werden. Der „nordirische“ Staat konnte nur durch die systematische soziale Unterdrückung der KatholikInnen überleben, die auf allen Ebenen diskriminiert wurden, auch bei der Vergabe von Wohnungen und Arbeitsplätzen sowie bei Wahlen. Im Jahr 1968 sagten die KatholikInnen schließlich, dass sie genug haben, und gingen in Scharen auf die Straße, um für BürgerInnenrechte und Gleichberechtigung zu kämpfen.

Sie wurden von der  Polizeitruppe Royal Ulster Constabulary (RUC) und LoyalistInnen brutal attackiert. Die überwiegend protestantische RUC wurde im August 1969 aus dem nationalistischen Bogsidebezirk in Derry vertrieben. Britische Truppen wurden stationiert, um die Kontrolle wiederherzustellen. Als die Truppen zunehmend auf die Straße gingen, wurde allen, die für BürgerInnenrechte kämpften, klar, dass die Armee und ihre Vorgesetzten in Whitehall keine ernsthaften Reformen des Staates zulassen würden, sondern dass ihre Priorität darin bestand, jeglichen Widerstand gegen ihn zu brechen.

Im August 1971 wurde die Internierung ohne Gerichtsverfahren eingeführt, um der Protestbewegung den Kopf abzuschlagen. Als Armee und Polizei rund 350 Personen festnahmen, wurden mehrere Fälle von Folter bekannt, insbesondere die 14 „Kapuzenmänner“, die in das „Folterzentrum“ der Armee in Ballykelly gebracht worden waren. Der Massenwiderstand wuchs. 8.000 ArbeiterInnen traten in Derry in einen eintägigen Streik. In der gesamten katholischen Gemeinde wurde ein Miet- und Gebührenstreik organisiert und es kam zu Tausenden von Angriffen auf Soldaten und PolizistInnen.

Die Internierung war nicht das einzige Mittel, das Großbritannien einsetzte. Die britische Armee verhängte Ausgangssperren, riegelte ganze Gebiete ab, führte Massenrazzien durch und schoss natürlich auch. Ballymurphy und der Blutsonntag waren Teil dieser allgemeinen Strategie der Unterdrückung, die sowohl von den Tory- als auch Labour-Regierungen betrieben wurde. Natürlich schickte Labour die Truppen und war ebenso eifrig wie die Tories, um den korrupten und bigotten Oranierstaat zu stützen.

Raus mit Britannien!

Die Armee spielte also keine neutrale Rolle, sondern wurde von der britischen Regierung zur Zerschlagung des Widerstands gegen den Nordstaat eingesetzt. Der künstlich geschaffene Charakter des Staats, der der Minderheit der UnionistInnen im Nordosten der Insel zugutekommen sollte, konnte ohne ständige militärische Unterstützung und drakonische repressive Gesetze wie den Special Powers Act (Sonderermächtigungsgesetz), das vom südafrikanischen Apartheidsystem so bewundert wurde, nicht bestehen.

Die Teilung war Großbritanniens Antwort auf den Unabhängigkeitskrieg von 1921. Der damals gegründete Nordstaat wurde zu einem Gefängnis für KatholikInnen. Ein wesentlicher Bestandteil seiner Existenz bestand in der systematischen sozialen Unterdrückung einer Minderheit aufgrund ihrer Identifikation mit dem irischen Nationalismus und einem geeinten Irland. Jede Anfechtung dieser institutionalisierten Diskriminierung würde unweigerlich einen nationalen Kampf auslösen. Der Bloody Sunday hat diesen Kampf beschleunigt und verschärft.

Heute, wo wir des Bloody Sundays als einer weiteren britischen Gräueltat gedenken, für die nie Gerechtigkeit geübt wurde, sind wir immer noch mit einem dysfunktionalen Staat konfrontiert, der durch britische Gewalt gestützt wird. Der permanente Krisenzustand Nordirlands, die rapide schwindende, wenn nicht sogar schon verschwundene Mehrheit der UnionistInnen, die anhaltende Farce einer Democratic Unionist Party/Sinn Fein-Exekutive und das Auflösen des Brexit auf einer Insel, die ihn nie gewollt hat, haben die Frage nach dem britischen Rückzug und einem vereinten Irland erneut aufgeworfen.

Der Kampf für eine ArbeiterInnenrepublik ist der beste Weg, um die mutigen BürgerInnenrechtsdemonstrantInnen zu rächen und ihrer zu gedenken, die an jenem schändlichen Tag in Derry von der britischen Regierung und ihrer Armee niedergemetzelt wurden. Das ist auch der einzige Weg, wie wir ein vereinigtes Irland aufbauen können, frei vom britischen Imperialismus, frei von kapitalistischen Regierungen im Norden und Süden und im Besitz und unter Kontrolle der irischen ArbeiterInnen.




100 Jahre Teilung Irlands – ein „Karneval der Reaktion“

Bernie McAdam, Infomail 1149, 14. Mai 2021

James Connolly, der große irische Sozialist, sagte richtig voraus, dass die Folge der Teilung Irlands ein „Karneval der Reaktion sowohl im Norden als auch im Süden“ sein würde. Wie zur Bestätigung seiner Aussage wurde der diesjährige hundertste Jahrestag mit Angriffen eines protestantischen Mobs auf die ironisch benannte Friedenslinie in Belfast gefeiert. Obwohl sich heute fast die Hälfte der Bevölkerung mit einem vereinten Irland identifiziert und nichts zu feiern hat, haben LoyalistInnen damit gedroht, das Karfreitagsabkommen zu ignorieren und zu versuchen, durch nationalistische Gebiete zu marschieren, was unterstreicht, dass „Nordirland“ einem großen Teil seiner Bevölkerung nichts als Unterdrückung und Repression geboten hat.

Nationale Revolution

Die Gründung von „Nordirland“ fand vor dem Hintergrund einer nationalen Revolution in Irland, Großbritanniens ältester Kolonie, zwischen 1916 und 1923 statt. Beim Osteraufstand von 1916 wurde die irische Republik ausgerufen und Dublin sechs Tage lang gehalten, bevor die RebellInnen kapitulierten. Sie genossen zwar nicht die Unterstützung der Mehrheit der Stadtbevölkerung, aber nach der anschließenden Hinrichtung von 16 AnführerInnen des Aufstands im Gefängnis von Kilmainham (Stadtteil Dublins) wandte sich die Mehrheit der irischen Bevölkerung entschieden gegen die britische Herrschaft. Zu den AnführerInnen, die sich dem Erschießungskommando stellten, gehörte auch James Connolly, der verwundet und an einen Stuhl gefesselt wurde. Patriotische britische Labour-Abgeordnete bejubelten die Bekanntgabe der Hinrichtungen im Unterhaus.

Die britischen Parlamentswahlen von 1918 sicherten der republikanischen Partei Sinn Fein eine überwältigende Mehrheit der irischen Sitze. Deren Mitglieder traten 1919 prompt als souveränes irisches Parlament, das erste Dail Eireann, zusammen. Dieses wurde von Großbritannien für illegal erklärt. Bald folgten die ersten Schüsse in einem Guerillakrieg, als sich die Irisch Republikanische Armee (IRA), die Schutzeinheit des Dail, mit britischen Truppen und der Polizei anlegte.

Parallel zum Unabhängigkeitskrieg und mit ihm verbunden war die Massenaktion der irischen ArbeiterInnen. Ein Generalstreik wehrte 1918 erfolgreich den Versuch Großbritanniens ab, die Wehrpflicht in Irland einzuführen. Ein weiterer im Jahr 1920 wurde für die Freilassung von über hundert republikanischen Gefangenen ausgerufen, die aus Protest gegen ihre Internierung in den Hungerstreik getreten waren. „Sowjets“ wurden in Irland zu einem populären Ausdruck für Aktionskomitees der ArbeiterInnenklasse mit dem Limerick-Rat und über hundert weiteren „Sowjets“, die von Streikkomitees bis hin zu Genossenschaften reichten.

Dies zeigte das enorme Potenzial der irischen ArbeiterInnenklasse, die Führung in der nationalen Revolution gegen die britische Herrschaft zu übernehmen. Eine entschlossene Führung durch irische ArbeiterInnen an der Seite von Kleinbauern, -bäuerinnen und LandarbeiterInnen hätte in ganz Irland Räte aufbauen können, die von einer ArbeiterInnenmiliz auf dem Weg zu einer ArbeiterInnenrepublik verteidigt worden wären.

Ein Guerillakrieg allein war wahrscheinlich nicht genug, um die BritInnen zu vertreiben, angesichts der Knappheit an Waffen und Munition und der ungleichmäßigen Stärke der IRA-Einheiten, so dass der Druck für Verhandlungen stark wurde. Dennoch erkannte auch die britische Regierung, dass sie den größten Teil Irlands nicht länger direkt regieren konnte. Home Rule (eine eigene Regierung), gegen die die britischen Tories und Sir Edward Carsons „Ulster“-UnionistInnen mit bewaffnetem Widerstand gedroht hatten, wurde plötzlich für zwei Teile einer geteilten Insel zugestanden.

Konterrevolution

Am 3. Mai 1921 trat der Government of Ireland Act (1920) (Regierungsgesetz für Irland) in Kraft. Dieses „Teilungsgesetz“ sah zwei getrennte, vermeintlich eigene Gerichtsbarkeiten in Irland vor, die jedoch beide der britischen Regierung  und der Krone unterstellt und immer noch Teil des britischen Empire waren. Im Nordosten der Insel sollte das „Nordirland“, das sechs der neun Grafschaften der historischen Provinz Ulster umfasste, ein eigenes Parlament wählen. In ähnlicher Weise war beabsichtigt, für die verbleibenden südlichen 26 Grafschaften ein „eigenes Parlament“ einzurichten.

Die Wahlen fanden am 24. Mai  1921 statt. Im Norden wurden 40 unionistische KandidatInnen und 12 NationalistInnen bzw. RepublikanerInnen gewählt. In den 26 Grafschaften wurden keine Wahlen abgehalten, da 124 irisch-republikanische (Sinn Fein) KandidatInnen ohne GegenkandidatInnen mit 4 unabhängigen UnionistInnen vom Trinity College, Dublin, wiedergewählt wurden. Das südliche Home-Rule-Parlament kam nie zustande, da Sinn Fein gegen das Teilungsgesetz war und weiterhin ihre VertreterInnen in den Dail Eireann schickte.

Nach jahrzehntelanger Feindseligkeit der UnionistInnen gegenüber einer eigenen Regierung für Irland überzeugte die revolutionäre Welle von 1916 bis 1921 sie schließlich, zumindest die in den sechs Grafschaften, dass die Aufrechterhaltung ihrer Vorherrschaft über KatholikInnen und NationalistInnen in Irland als Ganzes eine verlorene Sache war. Die IndustriekapitalistInnen und GroßgrundbesitzerInnen von Ulster, deren überwältigende Abhängigkeit vom britischen Markt längst feststand, gaben sich mit einer territorialen Enklave mit einer eingebauten protestantischen Mehrheit, einem dezentralisierten Parlament, einer schwer bewaffneten, sektiererischen Polizei und den berüchtigten Spezialeinheiten zufrieden, einer neuen reaktionären Miliz, die auf Einheiten der Ulster Volunteer Force, UVF (Freiwilligentruppe), basierte.

Kein Wunder also, dass die Wahl in den sechs Grafschaften von weit verbreiteter Gewalt gegen KatholikInnen und den Wahlkampf der Sinn Fein begleitet wurde. Im Jahr zuvor war es auch zu der empörenden Vertreibung von 7.000, hauptsächlich katholischen, WerftarbeiterInnen von ihren Arbeitsplätzen in Belfast gekommen, darunter etwa 2.000 „verrottete Prods“, also protestantische GewerkschafterInnen und SozialistInnen. Die Vertreibungen breiteten sich in der gesamten Maschinenbauindustrie aus, als loyalistische protestantische ArbeiterInnen auf Edward Carsons (unionistischer Politiker) aufrührerische Anti-Sinn-Fein-Rhetorik reagierten.

Trotz des Wahlsiegs von Sinn Fein hatte das Teilungsgesetz durch die Bildung einer Regierung in den sechs Grafschaften vollendete Tatsachen geschaffen, und Winston Churchill rühmte sich: „Von diesem Moment an wurde die Position von Ulster unangreifbar“. In der Tat. Das war eine gute Voraussetzung für die britische Regierung, im Juni Sinn Fein Verhandlungen anzubieten. Im Wissen um die militärische Schwäche der IRA und im Bewusstsein des Vertrauens der nördlichen UnionistInnen in ihre etablierte Macht stimmte diese zu.

Es folgte ein Waffenstillstand und Ende 1921 wurde ein anglo-irischer Vertrag vereinbart. Anfang 1922 wurde der Vertrag von der britischen Regierung und einigen der Sinn-Fein-AnführerInnen unterzeichnet. Seine Bestimmungen waren weit entfernt von einer separaten Republik. Die GouverneurInnen des neuen Freistaates mussten einen Eid auf den König ablegen. Er würde dann den Status eines Dominions als Mitglied des britischen Commonwealth erlangen, wobei Großbritannien seine Marinestützpunkte im Süden behalten würde. Was den Norden anbelangt, so war die Übertragung von Befugnissen an die dezentralisierte Regierung bereits im Gange, und das Versprechen, eine Grenzkommission einzusetzen, kam nie zustande.

Der britische Premierminister, der gerissene David Lloyd George, drohte mit einem „schrecklichen und sofortigen Krieg“, falls der Vertrag nicht angenommen würde. Der Vertrag wurde von einer Minderheit der Sinn-Fein-Führung, einschließlich Éamon de Valera, und 9 von 15 Abteilungen der IRA verurteilt. Aber der Dail Eireann akzeptierte den Vertrag mit 64 zu 57 Stimmen. Die südliche Bourgeoisie mit dem Rückhalt der katholischen Kirche stellte sich hinter den Vertrag. Der darauf folgende Bürgerkrieg im Süden sah die Niederlage der vertragsfeindlichen IRA, da Großbritannien schnell die neue Armee des Freistaats bewaffnete. Bis 1923 war die Konterrevolution abgeschlossen, und der irische Freistaat konsolidierte sich zu einem klerikalen und arbeiterInnenfeindlichen Vasallen des britischen Imperialismus, genau wie Connolly es vorhergesagt hatte.

Der Nordstaat

Im Norden wurde der Charakter des neuen Staates perfekt vom ersten Premierminister Nordirlands, Lord Craigavon, zusammengefasst, der ihn anerkennend „ein protestantisches Parlament und einen protestantischen Staat“ nannte. Allerdings war etwa ein Drittel der Bevölkerung katholisch, und durch skandalöse Wahlkreiseinteilung wurde ihnen jedes Fünkchen politischer Macht vorenthalten. Für eine Gemeinschaft, die in gemischten Gebieten bösartige Pogrome mit dem Verlust von Häusern, Arbeitsplätzen und Leben erlebt hatte, war dieser Staat ein Gefängnis.

Der Sonderermächtigungsgesetz, das 1922 im neuen Nordparlament verabschiedet worden war, war als Notmaßnahme während der schlimmsten Gewalt in Belfast gedacht. Er wurde schließlich zu einem dauerhaften Gesetz und wurde von Südafrikas Apartheid-Premierminister B. J. Vorster in den 1960er Jahren bewundert. Es beinhaltete die Todesstrafe für einige Schusswaffen- und Sprengstoffdelikte und Auspeitschung und Gefängnis für andere. Seine wirksamste Macht war die Internierung, die die unbefristete Inhaftierung aller Personen bedeuten konnte, die verdächtigt wurden, eine Bedrohung darzustellen, ohne dass ein Geschworenenprozess durchgeführt wurde.

So wurde für diejenigen, die sich als Iren und Irinnen identifizierten, hauptsächlich KatholikInnen, die systematische Diskriminierung in allen Lebensbereichen institutionalisiert. Besonders deutlich wurde dies bei Wohnungen und Arbeitsplätzen. Die willkürliche Wahlkreisfestlegung der Kommunalverwaltung durch die UnionistInnen sorgte dafür, dass der Bau und die Zuteilung von Sozialwohnungen und sowie Tausenden von Arbeitsplätzen an ProtestantInnen ging. Derry war das deutlichste Beispiel dafür. 1966 wurde die Körperschaft von den UnionistInnen kontrolliert, obwohl die erwachsene Bevölkerung aus 20.102 KatholikInnen und nur 10.274 ProtestantInnen bestand.

Da Hausbesitz eine Voraussetzung für Kommunalwahlrecht war, wirkte sich dies massiv gegen KatholikInnen aus, daher der Ruf der BürgerInnenrechtsbewegung nach „Eine Person, eine Stimme“. SteuerzahlerInnen stimmten ab, aber nicht UntermieterInnen, und FirmenchefInnen erhielten zusätzliches Stimmrecht. Die Diskriminierung war in der verarbeitenden Industrie genauso heftig, wenn nicht noch schlimmer. Im Jahr 1970 beschäftigte die Werft von Harland und Wolff nur 400 KatholikInnen von 10.000 Beschäftigten. Ähnlich winzige katholische Minderheiten gab es bei Mackie’s und Sirocco Engineering Works. Die Vertreibungen aus den Werften der 1920er Jahre wurden nie wieder gutgemacht und bestimmten die Szene für die kommenden Jahre. 1972 war die katholische männliche Arbeitslosigkeit in Belfast doppelt so hoch wie der Gesamtdurchschnitt, was zu einer höheren Auswanderungsrate führte.

Antiunionistische Massenrevolte

Die sektiererischen Widersprüche im Herzen des Nordstaates explodierten schließlich 1968 mit der Geburt der nordirischen Bürgerrechtsbewegung NICRA. Inspiriert von der zeitgenössischen US-BürgerInnenrechtsbewegung unter der Führung von Martin Luther King, sammelte sich die Masse der katholisch-nationalistischen Bevölkerung hinter den Forderungen, die Diskriminierung und Schikanen durch den Staat zu beenden. Der Marsch am 5. Oktober in Derry wurde von der Royal Ulster Constabulary (britische Polizei in Irland) brutal angegriffen und die Krise vertiefte sich.

Je mehr Märsche stattfanden, desto mehr wurden sie von TotschlägerInnen der loyalistischen Banden und staatlichen Kräften bedroht. Als 1969 ein groß angelegter Einsatz der britischen Polizeitruppe in der Bogside-Siedlung in Derry begann, vertrieben NationalistInnen die Polizei mit Benzinbomben und Ziegelsteinen, was den Innenminister der Labour-Partei, Jim Callaghan, dazu veranlasste, britische reguläre Truppen zu schicken. Neben der Schlacht von Bogside kam es auch in Belfast zu schweren Zusammenstößen, als LoyalistInnen, oft unterstützt von Polizeieinheiten, versuchten, katholische Familien zu vertreiben.

Der anfängliche „Sandwiches und Tee“-Willkommensgruß für die Truppen als Beschützerinnen vor dem loyalistischen Mob verflüchtigte sich bald, als alle Reformen ausblieben und es in der Folge zu Straßenkämpfen zwischen britischen Truppen und NationalistInnen kam. Als die Forderungen der NICRA vom unionistischen Staat und seinen britischen UnterstützerInnen ignoriert wurden, begannen die NationalistInnen, sich anderweitig, auf direkte Aktionen, zu orientieren, um ihre Interessen durchzusetzen.

Die Pogrome in katholischen Gebieten warfen die Frage der Selbstverteidigung auf und bestätigten den KatholikInnen, dass sie sich nicht auf den Schutz des Staates verlassen konnten. Dies erklärt das Wachstum der BürgerInnenverteidigungskomitees und den Aufstieg der Provisorischen IRA. Ein Kampf um die Reform des Staates war zu einem Kampf zur „Zerschlagung des nordirischen Parlaments Stormont“ und zur Beseitigung der Grenze übergegangen. Die britische Herrschaft war nun als zentrales Problem erkannt. Ohne diese konnte die Grenze zwischen Nord und Süd abgeschafft werden.

Das Ballymurphy-Massaker 1971 in Westbelfast und die Ermordung von 14 DemonstrantInnen in Derry am Blutsonntag 1972 durch das Fallschirmjägerregiment hatten den bewaffneten Kampf gegen Großbritannien eskalieren lassen und die ganze katholische Gemeinschaft entfremdet. Das Gemetzel in Derry geschah unter einer Tory-Regierung, aber von der Labour Party kam kein Protest. Die parlamentarische Labour-Partei stimmte sogar dafür, den Widgery-Bericht zum Blutsonntag zu akzeptieren, der die britische Armee für unschuldig erklärte, ein Urteil, das erst viele Jahre später, 2010, durch die Saville-Untersuchung gekippt wurde.

Das erste Jahr der Massenrevolte wich einer bewaffneten republikanischen Guerillakampagne, die nach dreißig Jahren nicht in der Lage war, die BritInnen aus dem Norden zu vertreiben. Der politische Flügel dieser Bewegung, Sinn Fein, plädierte schließlich für Frieden und einen Deal, und das Karfreitagsabkommen, GFA (Good Friday Agreement), wurde 1998 geschlossen. Das Markenzeichen dieses Abkommens war eine dezentralisierte nordirische quasi-parlamentarische Körperschaft, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wurde, und eine Regierung mit Machtteilung zwischen protestantischen und katholischen Kräften. Sinn Fein gab seinen militanten Widerstand gegen den Staat auf. Sie legte ihre Waffen ab, erkannte die umbenannte Polizei an, deren katholische Zusammensetzung erhöht wurde, und akzeptierte ein Veto der UnionistInnen gegen ein vereinigtes Irland.

Unionismus in der Krise

Jetzt, 23 Jahre nach dem Abkommen, kämpft das GFA damit zu funktionieren. Es wurde für drei Jahre ausgesetzt, ist aber jetzt gerade wieder am Laufen. Das SektiererInnentum der pro-britischen ProtestInnen ist so weit verbreitet wie eh und je, die „Friedensmauern“ sind immer noch vorhanden und werden angegriffen. Die Teilung der Macht ist eine Farce, der eine sektiererische Verteilung von Geldern gegenübersteht, um die wichtigsten politischen Parteien und Gemeindegruppen ruhig zu halten. Es ist auch bequem für die Londoner Regierung, die Verantwortung für die Umsetzung der Sparpolitik zu übertragen. Die Exekutive hat den Vorsitz über die am meisten benachteiligte Region Großbritanniens.

Die Krise des Unionismus ist tiefgreifend. Nach einem Jahrhundert verfügen die LoyalistInnen nun über weniger als die Hälfte der Stimmen der Bevölkerung. Die materiellen Privilegien der protestantischen ArbeiterInnenaristokratie wurden mit dem Niedergang der verarbeitenden Industrie und dem Abbau der eklatanten Diskriminierung von KatholikInnen massiv ausgehöhlt. Vor allem die Auswirkungen des Brexit haben viele davon überzeugt, dass ein vereinigtes Irland eine klare reale Möglichkeit ist.

Der Brexit hat gezeigt, wie nutzlos eine Grenze auf der irischen Insel ist. Als beide Teile Irlands in der Europäischen Union waren, förderte eine „unsichtbare Grenze“ den reibungslosen Handel. Die Probleme der Handelshemnisse und der Bürokratie werden nun zunehmen. Die Pro-EU-Mehrheit beim Referendum deutete auf eine gewisse Unterstützung der UnionistInnen und der Wirtschaft hin, was teilweise das Wachstum der bürgerlichen Allianzpartei erklärt.

Obwohl die DUP den Brexit unterstützte, war sie gezwungen, gegen eine harte Grenze zu wettern, da dies zu einem wirtschaftlichen Chaos führen würde. Aber sie hat nie damit gerechnet, durch Boris Johnsons Nordirland-Protokoll, das eine Wirtschaftsgrenze entlang der Irischen See schafft, die den Handel mit Britannien beeinträchtigen würde, über den Tisch gezogen zu werden. Also wäre jetzt eine harte Landgrenze für die DUP (Demokratisch Unionistische Partei) und ihre loyalistischen KollaborateurInnen vorzuziehen. Wie üblich wurde die orange Karte gespielt und die Angst vor einem vereinigten Irland durch Anzetteln von Unruhen auf den Straßen geschürt.

Loyalistische Mobilisierungen nehmen immer wieder isolierte nationalistische Gebiete aufs Korn. Der Übergriff an der Schnittstelle Lanark Way Anfang April wurde von nationalistischen Jugendlichen zurückgeschlagen. Wenn in den nächsten Monaten die Marschsaison der loyalistischen  AnhängerInnen beginnt und sie ankündigen, dass sie sich nicht an die Entscheidungen der Paradekommission halten werden, die einige ihrer Marschrouten eingeschränkt hat, könnte die Frage der Verteidigung der nationalistischen Gebiete erneut kritisch werden. Organisierte Verteidigungstrupps, die sich die Militanz der Jugend zunutze machen können, müssen sowohl gegen Übergriffe der LoyalistInnen als auch der Polizei aufgestellt werden.

Der Unionismus ist jedoch von tiefen Spaltungen zerrissen. Die bisher relativ geringe Zahl loyalistischer RandaliererInnen auf den Straßen zeigt seine Schwäche. Sie stehen einer Tory-Regierung gegenüber, die sich mehr davor fürchtet, Biden, die EU und die irische Regierung zu verärgern als sie. Zweifellos werden die Tories versuchen, die UnionistInnen zu beschwichtigen und einen kosmetischen Deal über das Protokoll zusammenzuflicken, da jede Rückkehr einer harten Landgrenze noch schädlicher wäre.

Für eine ArbeiterInnenrepublik

Nach einem „Karneval der Reaktion“, der ein Jahrhundert andauert, taumelt Großbritanniens Gefängnisstaat weiterhin von einer Krise in die nächste. Währenddessen ist in der Republik die skandalumwitterte katholische Kirche gezwungen, ihre kulturelle Vorherrschaft aufzugeben, indem sie den sukzessiven Bewegungen für Frauen- und LGBTQ-Rechte nachgibt. Der britische Imperialismus, der für die Erschaffung dieses kleinen Monsters zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse im Norden verantwortlich ist, schaut mit zunehmender Irritation und Unverständnis auf seine „loyalistischen“ UnterstützerInnen.

Es ist an der Zeit, diesen Staat und die dazugehörige Grenze abzuschaffen. Aber es wäre unklug, sich auf eine Grenzabstimmung zu verlassen, wie Sinn Fein und andere es tun, um diese Aufgabe zu erledigen. Obwohl dies vollständig in der Zuständigkeit der britischen Regierung liegt, hat der britische Premierminister Johnson, der mit den Forderungen der Schottischen Nationalistischen Partei nach einem Unabhängigkeitsreferendum konfrontiert ist, gewarnt, dass es für eine „sehr, sehr lange Zeit“ keine Abstimmung geben wird.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die irischen ArbeiterInnen in den bevorstehenden Kämpfen auf ihre eigene Stärke verlassen, gegen den Orangestaat nicht weniger als im Süden. Die ArbeiterInnen sehen sich einer drohenden wirtschaftlichen Verwüstung durch den Brexit und die Pandemie sowie einer verschärften Unterdrückung gegenüber, und das gilt für beide Seiten der „Friedensmauern“.

Die Einheit der ArbeiterInnenklasse muss geschmiedet werden, um Lebensstandard und Arbeitsplätze rund um ein kämpferisches Aktionsprogramm zu verteidigen. Es gibt viel mehr, was die ArbeiterInnen eint, als was sie trennt. Gegen jeden Arbeitsplatzverlust und jede Kürzung muss mit Solidaritätsaktionen Widerstand geleistet werden, und die Basis muss ihre Gewerkschaften aufrütteln, damit die FührerInnen innerhalb der Gewerkschaft und durch demokratische Versammlungen am Arbeitsplatz zur Aktion gezwungen und zur Rechenschaft gezogen werden können. Aktionen der ArbeiterInnenklasse sind der Schlüssel zum Widerstand gegen die Angriffe, die von jeder DUP/Sinn Fein-Exekutive auf Befehl aus Westminster kommen werden.

Das Erbe des britischen Imperialismus in Irland zeigt jedoch, dass gemeinsame wirtschaftliche Interessen allein die Einheit der ArbeiterInnenklasse nicht fördern können. Klassenbewusstsein entspringt nicht spontan oder automatisch aus wirtschaftlichem Kampf. Es ist unaufrichtig zu glauben, dass das Ignorieren der Politik der Diskriminierung und der nationalen Unterdrückung es leichter machen wird, ArbeiterInnen zu vereinen. Die pro-imperialistische Ideologie der protestantischen ArbeiterInnen ist ein Hindernis für die Fortsetzung des Klassenkampfes gegen den Kapitalismus und eine Waffe in den Händen reaktionärer LoyalistInnen.

Es gibt ein tiefes Unbehagen innerhalb der protestantischen und unionistischen Gemeinschaft angesichts der Möglichkeit, ihre britische Identität in einem vereinigten Irland zu verlieren. Wir müssen sie darauf hinweisen, dass die britische Regierung, wenn sie es will, ihre Bedenken ignorieren und auf sie einhämmern wird, wie sie es mit der nationalistischen Gemeinschaft getan hat. Wenn deine sogenannten besten Verbündeten sich wenig um dich kümmern, ist es an der Zeit, neu über deine potenziellen Klassenverbündeten nachzudenken.

In der Tat, wenn man für den Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen kämpft, kann man die gleiche Antwort von den kapitalistischen Regierungen im Norden und Süden erwarten. Deshalb brauchen wir Einigkeit über die konfessionelle Kluft hinweg, um so besser einen mächtigeren Kampf gegen die Bosse organisieren zu können. Es ist besser, sich mit den ArbeiterInnen in ganz Irland und Britannien zusammenzutun und für eine Gesellschaft zu kämpfen, die der ArbeiterInnenklasse gehört und von ihr kontrolliert wird, eine ArbeiterInnenrepublik in Irland, verbunden mit schottischen, walisischen und englischen ArbeiterInnen, die alle Teil der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa sind.




Britannien: Unionismus nach Angriffen nordirischer LoyalistInnen in der Krise

Bernie McAdam, Infomail 1146, 18. April 2021

Seit über einer Woche greifen probritische LoyalistInnen die Polizeikräfte Nordirlands (PSNI) bei Ausschreitungen in Belfast, Derry und anderen Teilen Nordirlands an. Trotz ihrer relativ geringen Anzahl gelang es den Protestierenden, die Molotowcocktails, Ziegelsteine und Feuerwerkskörper einsetzten, über 70 PolizistInnen zu verletzen. Am 7. April versuchten sie in Belfast, am Lanark Way/Springfield Road – Kontrollposten in nationalistische Gebiete einzudringen, wurden aber von mehreren hundert nationalistischen Jugendlichen zurückgeschlagen.

In der folgenden Nacht versammelten sich größere nationalistische Menschenmengen. Um sie zu zerstreuen, setzte die Polizei Wasserwerfer, Plastikgeschosse und Hunde ein, was in deutlichem Kontrast zu ihrem Vorgehen mit Samthandschuhen bei den weitaus gewalttätigeren Ausschreitungen der LoyalistInnen Anfang der Woche steht. Eben dies bot den Medien wiederum die Gelegenheit, zu ihrem alten Narrativ vom „sektiererischen Konflikt“ zurückzukehren. Das Anzünden eines Translink-Busses durch LoyalistInnen wurde am folgenden Tag mit einem Streik und Protest der BusarbeiterInnen in Belfast beantwortet.

Manche mögen es als Ironie empfinden, dass in diesem Jahr die Hundertjahrfeier zur Gründung des nordirischen Staates begangen wird. Andere, NationalistInnen und SozialistInnen, werden sich daran erinnern, dass der Six-County-Statelet (County = Grafschaft) in einer Orgie von Pogromen geboren wurde, bei denen Hunderte katholische ArbeiterInnen, Männer, Frauen und Kinder getötet oder von ihren Arbeitsplätzen und aus brennenden Häusern vertrieben wurden. Und das war bei weitem nicht das letzte Mal, dass Mobs der LoyalistInnen Amok liefen.

Das reaktionäre Lager

Jetzt gehen die entschlossensten AnhängerInnen des Loyalismus auf die VerteidigerInnen „ihres eigenen Staates“ los. Die LoyalistInnen, die fanatisch für den Brexit waren, begründen ihre Proteste damit, dass das Nordirland-Protokoll, also die Vereinbarung mit der EU über die Wirtschaftsgrenze entlang der Irischen See, ein „Verrat“ sei und dies in ihren Augen ein vereintes Irland immer näher kommen lasse.

Die Democratic Unionist Party (DUP) unter Arlene Foster – wichtigste unionistische Akteurin im Norden und ebenfalls pro-Brexit – schürt diese Ängste. Zwei Jahre lang konnte sie die britische Tory-Minderheitsregierung von Theresa May in Sachen Brexit in Schach halten, aber Boris Johnsons erdrutschartiger Sieg im Dezember 2019 gab ihm die Möglichkeit, einen Deal mit der EU auf Kosten der UnionistInnen auszuhandeln. Infolgedessen wird die DUP von Jim Allisters Traditional Unionist Voice (Traditionelle Unionistische Stimme) und dem Loyalist Communities Council (LCC = Loyalistischer Gemeinderat) als von Johnson über den Tisch gezogen betrachtet – und damit für einen gigantischen „Ausverkauf“ verantwortlich gemacht.

Obwohl der britische Premierminister Johnson als ausgesprochener Lügner bekannt ist, glaubten ihm die unglückliche Arlene Foster und die DUP im letzten August, als er sagte: „Es wird keine Grenze an der Irischen See geben, nur über meine Leiche!“

Das LCC umfasst die paramilitärischen Gruppen Ulster Defence Association (UDA), Ulster Volunteer Force (UVF) und Red Hand Commando – allesamt berüchtigt für Morde an KatholikInnen und ihre Verwicklung in verfeindete Drogenbanden. Das hat die DUP aber nicht davon abgehalten, sich kürzlich mit ihnen zu treffen und sie für ihre eigene Agenda zu benutzen. Wie schon 2012, als die DUP eine Kampagne lostrat, um den Stadtrat von Belfast davon abzuhalten, das Hissen der Unionsflagge von jedem Tag auf 18 Tage im Jahr zu reduzieren, peitschte auch diesmal ihre Kampagne die LoyalistInnen auf den Straßen auf und endete unweigerlich mit großen Krawallen.

Das LCC/DUP-Treffen war es, dass die Aktionen gegen das Nordirland-Protokoll geplant hatte: Die Schließung von Hafenbüros wurde von der DUP organisiert, und ihr Landwirtschaftsminister, Gordon Lyons, stoppte die Arbeit an neuen permanenten Grenzkontrollposten. Sammy Wilson, DUP-Abgeordneter, sagte, er werde sich dem Protokoll „mit allen Mitteln, die wir haben“ widersetzen, und das schließe „Guerillakrieg“ ein. Er behauptete später, dass dies nur metaphorisch gemeint war, aber es passt allzu gut in die nicht so verschlüsselten Botschaften, die sie typischerweise an die loyalistischen Mobs und Paramilitärs aussenden, um danach zu handeln. Trotzdem wurde Wilsons Büro mit „Verräter“ beschmiert, was einer von mehreren hundert Vorfällen krimineller Beschädigung und Graffiti gegen das Protokoll seit Januar war, inklusive Angriffen auf Büros der Sinn Fein und der Allianz-Partei Nordirlands.

Die DUP wird insbesondere von zwei Kräften unter Druck gesetzt: der loyalistischen Rechten, aber auch durch die EU-freundlichen liberalen UnionistInnen der Allianz-Partei. Die LCC drohte bei ihrem Treffen mit der DUP, dass sie die nordirische Parlamentsversammlung im Stormont zusammenbrechen lassen und sich aus dem Karfreitagsabkommen zurückziehen würde, wenn das Protokoll nicht abgeschafft werde. Die DUP leugnete hernach, dies diskutiert zu haben, aber natürlich ist das eine Option, die sie in Betracht gezogen haben, für den Fall, dass alles andere fehlschlägt.

Zur Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit forderte Arlene Foster (DUP) dann den Rücktritt des Polizeipräsidenten der Provinzen, Simon Byrne. Der Vorwand dafür war, dass die Polizeikräfte Nordirlands die FührerInnen der Sinn Fein nicht strafrechtlich verfolgt hatten, obwohl sie an der 2.000 Menschen großen Trauerfeier des ranghohen Republikaners Bobby Storey teilgenommen und dabei die Corona-Beschränkungen missachtet hatten. Dies war dann auch wirklich der Funke, der die Lunte entzündete und die Ausschreitungen der LoyalistInnen gegenüber der Polizei entfachte. Natürlich wird sich die  DUP –  wie immer  – von der eigentlichen Gewalt distanzieren und sie sogar verurteilen, aber die Krawalle der letzten Woche trägt doch unübersehbar ihre Handschrift.

Verteidigung

Trotz der stürmischen Verurteilung der loyalistischen Attacken auf die Polizei – ironischer Weise leugnete sogar die LCC eine Beteiligung – sind weitere Straßenkämpfe erwartbar. LoyalistInnen hatten bereits angekündigt, dass weitere Proteste an mehreren Kontrollposten stattfinden würden, um Auseinandersetzungen mit NationalistInnen zu provozieren. Sollte  sich dies bewahrheiten ist es natürlich wünschenswert, dass sich die nationalistischen Jugendliche nicht dazu hinreißen lassen in die loyalistische Falle zu tappen.

Die Logik der loyalistischen Mobilisierungen war schon immer, nationalistische Gebiete für Einschüchterungen und Terrorismus ins Visier zu nehmen, die Frage der Verteidigung ist daher entscheidend. Das NationalistInnen sind nicht nur an randalierende Mobs von Seiten der LoyalistInnen gewöhnt, sondern auch daran, Angriffen von Polizei und Armee ausgesetzt zu sein. Sie haben gelernt, sich zu verteidigen und sich nicht auf den Schutz des Staates zu verlassen. Während die „Paradesaison“ näher rückt, die Zeit von April bis August, in der NationalistInnen und KatholikInnen zum Ziel hässlicher und aggressiver Demonstrationen protestantischer AnhängerInnen werden, haben die LoyalistInnen bereits angekündigt, dass sie sich nicht an die Anordnungen der Paradekommission halten werden, welche die Aufmarschrouten eingeschränkt hat.

Eine Gemeindegruppe, die bereits Erfahrung mit der Verteidigung ihres Gebiets gegen Aufmärsche des protestantischen Oranier-Ordens hat, ist das Greater Ardoyne Residents Collective (GARC = EinwohnerInnenkollektiv der Greater Ardoyne-Region). Es wurde über die Konfrontationspläne der LoyalistInnen informiert. Sein Ratschlag konzentrierte sich vor allem darauf Eltern aufzufordern ihre Kinder von Brennpunkten fernzuhalten, aber es war sich  auch klar über die Notwendigkeit zur Verteidigung: „Wie immer haben die BewohnerInnen das Recht, ihre Häuser gegen Angriffe zu verteidigen, und das GARC unterstützt diese Verteidigung voll und ganz, sollte sie notwendig sein.“

Es wird berichtet, dass GemeindearbeiterInnen, politische AktivistInnen und Jugendorganisationen eine entscheidende Rolle bei der „Entschärfung“ von Konfrontationen mit LoyalistInnen gespielt haben. Dies mag zwar dazu beigetragen haben, die Spannungen in einigen Gebieten zu verringern, ist aber an sich kein Ersatz für organisierte Verteidigungstrupps, welche Übergriffe abwehren und die Militanz der Jugend auf disziplinierte Weise nutzen können. Andere politische AktivistInnen vor Ort wiederum, etwa Sinn Fein und die SDLP (Sozialdemokratische und Labour-Partei), verlassen sich auf die Polizeibehörden und würden wohl jede Form der Selbstverteidigung vereiteln. Nicht ganz unähnlich ist die Gruppe People before Profit (Menschen vor Profite), die lieber die Straßen freihalten würde, anstatt eine sinnvolle Verteidigung zu organisieren.

Die Reaktion der nationalistischen Jugend auf den Übergriff am Lanark Way war lobenswert und keine sektiererische. Die Frage der Verteidigung könnte in den kommenden Monaten durchaus noch drängender werden. Die Wiederauferstehung der BürgerInnenverteidigungskomitees, die gegen die Pogrome der LoyalistInnen in den späten 1960er Jahren organisiert wurden, wäre eine willkommene Entwicklung, und solche Verteidigungsgremien sollten demokratisch organisiert und politisch unabhängig vom Staat sein.

Die Geburt des Oranier-Staates

Einmal verglich Boris Johnson die Grenze durch Irland mit den Grenzen der Londoner Verkehrstarifzone und demonstrierte damit die Ignoranz und Verachtung, die das irische Volk von britischen PolitikerInnen zu erwarten hat. Die sogenannte „irische Grenze“ ist ein Problem, das Britannien Irland auferlegt hat. Es ist eine britische Grenze. Sie hatte nie eine demokratische Legitimation durch das irische Volk als Ganzes. Der überwältigende Sieg von Sinn Fein bei den Parlamentswahlen 1918 war der Wunsch nach einer vereinigten und souveränen irischen Republik.

Die BritInnen wollten dies nicht akzeptieren und so kam es zu einem Guerillakrieg für die Unabhängigkeit, der 1921 mit der Unterzeichnung eines Vertrages endete, der die RepublikanerInnen spaltete und wiederum zu einem Bürgerkrieg führte. Jenes „Abkommen“ blieb weit hinter einer unabhängigen Republik mit 32 Countys zurück, es führte zur Schaffung eines kolonialen „Nordirlands“ mit sechs Countys und einer durch die entsprechende Wahlkreisfestlegung begünstigten protestantisch-unionistischen Mehrheit einerseits und eines irischen Freistaats mit 26 Countys andererseits. Die „Selbstverwaltung“ (engl. „Home-Rule“) geht also mit einem britischen Abhängigkeitsstatus und einem Eid auf die Krone einher. Beide Staaten waren reaktionär und konfessionell, und beide fühlten sich dem britischen Empire verpflichtet.

James Connolly, der große irische Sozialist, der 1916 von den Briten ermordet wurde, schrieb, dass die Teilung einen Karneval der Reaktion sowohl im Norden als auch im Süden bedeute, das Rad des Fortschritts zurückdrehe, die sich anbahnende Einheit der irischen ArbeiterInnenbewegung zerstören und alle fortschrittlichen Bewegungen lähmen würde, solange sie andauert.

Er hatte Recht. Die Grenze störte und hemmte das wirtschaftliche Leben der gesamten Insel. In den Grenzgebietsgemeinden wurden Familien und Bauernhöfe auseinandergerissen, und sie gehören noch heute zu den verarmtesten Teilen Irlands. Der Oranier-Staat förderte die systematische Diskriminierung von KatholikInnen in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Bildung und sogar beim Wahlrecht und verfügte über ein Sonderermächtigungsgesetz, um das ihn das südafrikanische Apartheidsystem beneidet hat. Er degradierte die katholischen BewohnerInnen zu BürgerInnen zweiter Klasse, was zu einem 30-jährigen Widerstandskrieg gegen den sektiererischen Staat und seine britisch-militärischen UnterstützerInnen führte, der 1968 durch die BürgerInnenrechtsbewegung eröffnet wurde.

Im Freistaat, der Rumpfrepublik Irland sorgte die Teilung im Bildungs-, Kultur- und Gesundheitswesen wiederum für enorme Machtbefugnisse auf Seiten der katholischen Kirche, worunter Frauen und Kinder jahrzehntelang zu leiden hatten.

Zuguterletzt war es dem britischen Imperialismus durch den Konflikt möglich, die ArbeiterInnenklasse in Nordirland auf der Grundlage marginaler Privilegien für protestantische ArbeiterInnen und einer Überlegenheitsideologie, die sowohl anti-katholisch als auch anti-irisch war, effektiv zu spalten und zu beherrschen. Das heutige Beharren darauf, dass die Oranier-Märsche durch die katholischen Gebiete gehen dürfen, ist eine direkte Folge jenes reaktionären Imperialismus und nicht weniger erklärt es die jüngste ethnische Säuberungsaktion der Ulster Volunteer Force (UVF), die die Entfernung katholischer Familien von einem Landgut in Carrickfergus anordnete.

Karfreitagsabkommen und Brexit

Als 1998 der Frieden durch das Karfreitagsabkommen besiegelt wurde, erschien es Einigen, als würde Oranier-Staat verschwinden. Die Machtteilung zwischen allen großen Parteien war eine Reform, die sich von der historischen Führung des Nordens durch die UnionistInnen unterschied. Viele in der DUP haben dies nie wirklich akzeptiert. Einige der krassesten Diskriminierungen waren seit 1968 abgeschwächt worden und sogar einige Oranier-Märsche waren umgeleitet worden. Das aber lag nicht an dem Friedensabkommen, sondern an den Massenkämpfen der KatholikInnen über dreißig Jahre hinweg, einschließlich des bewaffneten Kampfes der IRA (Irische Republikanische Armee) von den ’70ern bis in die 1990er Jahre.

Der Oranier-Staat war jedoch nicht zerschlagen worden, und, was entscheidend war, das Karfreitagsabkommen erkannte das Recht des Nordstaates an, so lange zu existieren, wie die dortige Mehrheit es wollte – ein großes Zugeständnis seitens der Republikanischen Bewegung. Denn, es verurteilt die Minderheit und ihre politischen VertreterInnen zu einer permanenten untergeordneten Rolle und sicherte das Veto der UnionistInnen gegen ein vereinigtes Irland ab. Somit verweigert das Abkommen dem irischen Volk als Ganzes das Recht selbst über die Zukunft der sechs nördlichen Countys zu bestimmen.

Die daraus resultierende Exekutive mit geteilter Macht stützte sich auf eine gewählte und dezentralisierte Versammlung mit sektiererischer Sitzverteilung im Stormont-Parlament, von der die UnterstützerInnen des Karfreitagsabkommens in beiden irischen Teilen profitierten. In Übereinstimmung mit ihrer arbeiterInnenfeindlichen Natur hat sie treu die Sparmaßnahmen der britischen Regierung umgesetzt. Das Sektierertum hat seit dem Karfreitagsabkommen nicht abgenommen. Der Teilstaat und die „Friedensmauern“ bleiben bestehen, und es hat keine „Friedensdividende“ für die ArbeiterInnenklasse gegeben.

Und trotzdem schwören alle blind auf das Karfreitagsabkommen. Von Joe Biden bis Tony Blair, von Sinn Fein bis zu den Tories, von der DUP (zähneknirschend) bis zur EU wird es uns als der Deal präsentiert, an dem in keiner neuen Vereinbarung mit der EU nach dem Brexit gerüttelt werden darf. Seit dem Karfreitagsabkommen, bei dem das Veto der UnionistInnen gegen ein vereinigtes Irland gesichert war, haben der britische und irische Kapitalismus mit Hilfe der EU für eine „unsichtbare“ Grenze gesorgt, um reibungslose und profitable Geschäfte zu ermöglichen. Der Brexit wird diesen Handel immer stören, aber der Brexit wurde ja auch nicht mit Blick auf Irland konzipiert.

Was heute bleibt ist die Erkenntnis, dass die Mitgliedschaft in der EU offenbarte wie sinnlos eine Grenze auf der irischen Insel ist. Der Brexit hat nun – ganz ungewollt – die Grenze zurück in die irische Politik gebracht. Er schlägt das nächste Kapitel des „Karnevals der Reaktion“ auf, vor dem internationalistische SozialistInnen während des Brexit-Referendums und in den Jahren der Verhandlung gewarnt haben. Es ist die Ironie der Geschichte: Das aufflammende Interesse an einem vereinten Irland war es nicht gewesen, was die fanatischen Brexit-BefürworterInnen der DUP mit ihren Tory/UKIP-Verbündeten erreichen wollten, als sie ihre Brexit-Kampagne vorantrieben.

Das Dilemma für die Tories besteht nun darin, dass sie entweder einen Brexit mit einer Grenze in der Irischen See oder einen Brexit mit einer harten Landgrenze quer durch Irland bekommen. Ersteres wird die LoyalistInnen verärgern, letzteres Biden, die EU und die irische Regierung. Bisher hat Johnson auf den erstgenannten Plan gesetzt, und die Reaktion darauf spielt sich jetzt auf den Straßen ab. Aber die LoyalistInnen sind nicht loyal zum britischen Staat oder zu Westminster, geschweige denn zu einer Tory-Regierung. Sie sind nur sich selbst gegenüber „loyal“, ihren schwindenden Privilegien, ihrer Vorherrschaft über die katholische Minderheit. Zweifellos werden das „Vereinigte Königreich“ und die EU versuchen einen kosmetischen Deal zusammenzuschustern um die Auswirkungen des Nordirland-Protokolls abzufedern, da jede Rückkehr einer harten Landgrenze noch explosiver wäre.

Die Tories müssen ihre Pläne der DUP schmackhaft machen und die DUP den LoyalistInnen  – jedoch haben letztere dem Protokoll bereits die Unterstützung entzogen. Es liegt eine ungewisse Zukunft vor uns, und das nächste Opfer könnte das Karfreitagsabkommen sein samt Zusammenbruchs seiner Versammlung/Exekutive, welche erst kürzlich nach dreijähriger Aussetzung 2020 wieder einberufen wurde.

Labour

Der neue Vorsitzende Keir Starmer von der Labour-Partei kann die Gewalt nur einschmeichelnd verurteilen und Johnson auffordern, „vorwärtszugehen“ und parteiübergreifende Gespräche einzuberufen. Unterm Strich verteidigt Labour das Karfreitagsabkommen genauso wie es Jeremy Corbyns (Starmers Vorgänger) törichter Optimismus tat. Doch das Abkommen hat weder den sektiererischen Charakter des Staates verändert noch die Vormacht der UnionistInnen in Frage gestellt. Corbyn erklärte zwar, dass sein ultimatives Ziel ein vereinigtes Irland wäre, aber eben dies wurde durch das Karfreitagsabkommen mit Absicherung des unionistischen Vetos über ein vereinigtes Irland eingeschränkt.

Die Labour-Linke scheint weitgehend zu den Gewalttaten der LoyalistInnen zu schweigen und setzt damit das traditionelle Schweigen über Großbritanniens Besetzung des Nordirlands fort. Echte SozialistInnen und InternationalistInnen müssten ihren Mund auf machen und sagen: Es ist Zeit, dass die Grenze verschwindet! In der Tat sind wir ebenso gegen eine Wirtschaftsgrenze in der Irischen See, die wirtschaftlichen Niedergang, Arbeitsplatzverluste und Hindernisse für die Freizügigkeit der ArbeiterInnen bedeuten würde.

Die UnionistInnen, eine Minderheit sowohl in Irland als auch in Großbritannien, sollten kein Veto über irgendetwas haben, sei es Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, den Brexit oder die Grenze selbst. Das irische Volk auf der Insel Irland muss entscheiden und die britischen Streitkräfte sollten sofort aus dem Norden abgezogen werden. Wie mies ihre Bilanz in Sachen Irland auch sein mag, Labour sollte jetzt das Richtige für die IrInnen tun und ein für alle Mal mit ihrer pro-imperialistischen und überparteilichen Politik brechen!

Für eine ArbeiterInnenrepublik

Nach einem Jahrhundert der Unterdrückung und Repression taumelt Großbritanniens oranger Gefängnisstaat weiterhin von einer Krise zur nächsten. Der britische Imperialismus ist für dieses kleine Monster genauso verantwortlich wie für die Spaltung der ArbeiterInnenklasse im Norden. Angesichts der drohenden wirtschaftlichen Verwüstung durch den Brexit und die Pandemie sieht die ArbeiterInnenklasse auf beiden Seiten der „Friedensmauern“ einer Zukunft von Not und Arbeitslosigkeit entgegen.

Natürlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Einheit der ArbeiterInnenklasse um ein kämpferisches Aktionsprogramm geschmiedet wird, damit Lebensstandard und Arbeitsplätze verteidigt werden können. Es gibt viel mehr Einigendes als Trennendes für die ArbeiterInnen. Gegen jeden Arbeitsplatzverlust und jede Kürzung muss mit Solidaritätsaktionen Widerstand geleistet werden, und die Gewerkschaften müssen von der Basis aufgerüttelt werden, ihre FührerInnen müssen durch demokratische Versammlungen am Arbeitsplatz zur Verantwortung gezogen werden. Aktionen der ArbeiterInnenklasse sind der Schlüssel zum Widerstand gegen die Angriffe, die von jeder DUP/Sinn Fein-Exekutive auf Befehl aus Westminster kommen werden.

Das Erbe des britischen Imperialismus in Irland zeigt, dass die Einheit der ArbeiterInnenklasse nicht allein durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen gefördert werden kann. Klassenbewusstsein entspringt nicht spontan oder automatisch aus wirtschaftlichem Kampf. Es ist unaufrichtig zu glauben, dass die Ignoranz gegenüber  Diskriminierung und nationaler Unterdrückung es leichter machen wird, ArbeiterInnen zu vereinen. Die pro-imperialistische Ideologie der protestantischen ArbeiterInnen ist ein Hindernis für den Klassenkampfes und eine mächtige Waffe in den Händen der reaktionären LoyalistInnen.

Es gibt ein tiefes Unbehagen innerhalb der protestantischen und unionistischen Gemeinschaft, da sie spürt, dass ihr die Mehrheit entgleitet und sie verteufelt wird. Sie fürchtet, dass sie ihre britische Identität in einem vereinigten Irland verlieren wird. Wir müssen ihr klar machen, dass die britische Regierung, wenn sie es will, genau so auf sie einschlagen wird, wie sie es mit der nationalistischen Gemeinschaft getan hat. Wenn ihre sogenannten besten Verbündeten sich nicht um sie kümmern, dann ist es an der Zeit, neu über ihre wahren Klasseninteressen nachzudenken.

In der Tat, im Kampf um ihre wirtschaftlichen Interessen können wir von den kapitalistischen Regierungen im Norden und Süden die gleichen Angriffe erwarten. Deshalb brauchen wir eine Einigkeit über die konfessionelle Kluft hinweg, um uns so besser gegen die Bosse organisieren zu können. Wir teilen das Los mit den ArbeiterInnen in ganz Irland und Britannien. Es braucht den Kampf für eine Gesellschaft, die der ArbeiterInnenklasse gehört und von ihr kontrolliert wird. Es braucht eine irische ArbeiterInnenrepublik als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.




Irland: Der Aufschwung von Sinn Féin

Dara O’Coghaidhin, Infomail 1091, 24. Februar 2020

Die Wahlen in
Irland am 7. Februar lieferten Sinn Féin ein beeindruckendes Ergebnis. Sie
gewann 24,5 % der Erststimmen und beseitigten damit das seit einem
Jahrhundert von den Mitte-Rechts-Parteien Fine Gael und Fianna Fáil ausgeübte
Quasi-Monopol auf die Macht, wurde aber nach Sitzen übertrumpft. Größte Partei
nach Mandaten wurde Fianna Fáil mit 38 Sitzen, da Sinn
Fein mit einem derartigen Sieg nicht gerechnet und nur 42 KandidatInnen für 160
Sitze aufgestellt hatte, sodass sie am Ende nur 37 Abgeordnete stellen konnte.

Angesichts einer
schweren Immobilienkrise und dem Abbau öffentlicher Dienstleistungen wurden die
WählerInnen für Sinn Féins Programm zur Eindämmung von Sparmaßnahmen und zur
Umsetzung von Reformen wie Mietstopps und dem Bau von günstigen Wohnungen
gewonnen. Eine Umfrage nach der Wahl offenbarte einen starken
Generationsunterschied – rund 32 % der 18- bis 34-Jährigen wählten Sinn
Féin. Vor allem deren frustrierende Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt
entschieden wohl über das Wahlergebnis. Die anhaltende Begünstigung
spekulativer Immobiliengeschäfte führte zur Steigerung der Nachfrage und zur
Unbezahlbarkeit von Wohnraum und damit zum exponentiellen Anstieg von Wohnungslosigkeit.
In der Woche vom 23. bis 29. Dezember 2019 gab es in ganz Irland 9.731 Leute
ohne Wohnung. Diese Zahl umfasst Erwachsene und Kinder. Laut Wohltätigkeitsorganisationen
wie „Focus Ireland“ ist die Zahl der wohnungslosen Familien seit Dezember 2014
um 280 % gestiegen.

Drakonische
Sparmaßnahmen

Die Wut der Menschen hat ihre Wurzeln in dem Finanzcrash, der durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 ausgelöst wurde, gefolgt von der schlimmsten Wirtschaftskrise der Welt seit 1929. Die irische Wirtschaft taumelte in eine der tiefsten Rezessionen der Eurozone. Sie schrumpfte 2009 um 10 % und die Regierung war gezwungen, sich für einen Kredit von 67,5 Mrd. EUR an die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission und den Internationalen Währungsfonds zu wenden, um den Haushalt zu finanzieren und ihre Banken mit Kapital auszustatten. Diese drei als „Troika“ bekannten Institutionen stellten Rettungsgelder zur Verfügung, machten hierfür aber die Umsetzung einer Vielzahl von Sparmaßnahmen zur Verringerung des Haushaltsdefizits zur Bedingung.

Zu Beginn des Jahres 2013 war Irland das fünftteuerste Land in der EU. Die Immobilienpreise lagen 17 % über dem europäischen Durchschnitt. Die Regierung führte außerdem eine Reihe von Sozialkürzungen durch, die immer mehr Menschen in Schulden und Armut getrieben haben. Die Sparmaßnahmen haben Irland in Bezug auf Kinderarmut, Benachteiligung und Ungleichheit ans Ende der OECD-Rangliste gebracht. Infolgedessen wanderten viele junge Erwachsene aus. Zwischen 2009 und 2013 waren es mehr als 300.000 Menschen, von denen 40 % zwischen 15 und 24 Jahre alt waren.

Die jahrzehntelange Passivität der Gewerkschaften hat zu einer geringen Verhandlungsmacht der ArbeiterInnen und zum ungewöhnlich massiven Ausbau des Niedriglohnsektors geführt. Während die irische Wirtschaft in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebte, stellte ein Bericht der unabhängigen Denkfabrik TASC aus dem Jahr 2019 fest, dass Irland eine der höchsten Niedriglohnquoten in der Europäischen Union aufweist. In dem Bericht wurde außerdem verzeichnet, dass die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder vergleichsweise gering ist und Irland in Bezug auf Schutzrechte am Arbeitsmarkt auf Platz 22 der 23 EU-Länder steht. Immer mehr ArbeiterInnen-Familien sind mit steigender Überschuldung konfrontiert. Kaum ein Wunder also, dass eine von Amarach Research im Jahr 2018 durchgeführte landesweite Umfrage ergab, dass mehr als die Hälfte der Irinnen und Iren einen Rückgang ihrer psychischen Gesundheit infolge der Wirtschaftskrise gemeldet hat. 14 % hatten gar über Selbstmord nachgedacht.

Aufstieg von Sinn Féin

Die Behauptungen der Regierung über eine wirtschaftliche Erholung machten sich über die Realität der allermeisten ArbeiterInnen lustig. Diese beschlossen also, eine Nachricht an die herrschende Klasse zu senden. Nach neun Jahren zermürbender Herrschaft von Fine Gael, in denen der Lebensstandard sank, erwartete Fianna Fáil, die nach Veränderung verlangende Stimmung nutzen und eine neue Regierung anführen zu können. Das Vertrauens- und Versorgungsabkommen, auf dessen Grundlage diese bürgerliche Oppositionspartei seit 2016 eine Minderheitsregierung von Fine Gael stützte, wurde jedoch zu ihrer Achillesferse. Dies ermöglichte es der Sinn Féin-Führerin Mary Lou McDonald, den Finger in die Wunde zu legen und das starke Wirtschaftswachstum Irlands dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum und dem Versagen im Gesundheitswesen gegenüberzustellen.

Sinn Féins
kometenhafter Anstieg in den Meinungsumfragen brachte das Establishment in
Panik. Fine Gael und Fianna Fáil schlossen beide eine Zusammenarbeit mit Sinn
Féin aus und griffen sie aufgrund ihrer früheren Unterstützung für die IRA an.
Dies unterstrich aber nur ihre eigene Heuchelei, da sie erst Wochen zuvor die
Wiederherstellung der Machtteilung zwischen Sinn Féin und der Demokratischen
Unionistischen Partei im Stormont (Sitz der Exekutive Nordirlands) feierten.
Als sich die verblüffenden Ergebnisse der Wahl abzeichneten und der Fianna
Fáil-Vorsitzende Michéal Martin keine andere Option sah, um doch noch Premierminister
zu werden, revidierte er auch seine langjährige Ablehnung gegen eine
Zusammenarbeit mit Sinn Féin. Er musste später allerdings zurückrudern, als
eine Sitzung der Fraktion beschloss, keine Regierungsbildungsgespräche mit Sinn
Féin aufzunehmen.

Sinn Féin konnte
zudem in Verfolgung seiner nationalistischen Ziele von der Ankündigung
profitieren, ein öffentliches Referendum über die irische Einheit im Norden und
Süden abhalten zu wollen, nachdem die Regierung zuvor durch das Gedenken an
reaktionäre royalistische Polizeikräfte (Royal Irish Constabulary und die
mörderischen „Black and Tans“, ihre Spezialeinheiten) viel Unmut auf sich
gezogen hatte. Sinn Féins strategisches Ziel war es lange Zeit, Teil der
Regierung im Norden und Süden zu werden, um eine solche Abstimmung zu
erreichen. Aber wie sie genau wissen, muss die britische Regierung dem
Zustimmen. Wie Nicola Sturgeon, die schottische Premierministerin, die
ebenfalls ein Unabhängigkeitsreferendum anstrebt, bestätigen kann, steht dies
nicht auf Boris Johnsons „To Do“-Liste.

„Große“
Koalition Solidarity SOL/PBP

Bei den Wahlen zum britischen Unterhaus Ende 2019 griff „People Before Profit“, die nordirischen MitstreiterInnen der britischen SWP, zu Recht Sinn Féins Umsetzung von Tory-Kürzungen in den 6 Grafschaften an. Während der Kampagne hängten sie Plakate mit der Aufschrift „Sinn Féin stimmte für Sozialkürzungen“ in Teilen von West-Belfast auf, wo sie eine bedeutende Basis von UnterstützerInnen aufbauen konnten. In einer Erklärung auf der Twitter-Seite von PBP-Ratsmitglied Matt Collins sagte er: „Stimmen Sie am Donnerstag nicht für Parteien, die die ‚Reform’ unterstützen, sondern für die sozialistische Linke.“ Kaum einen Monat später wollten PBP-TDs (Abgeordnete des Dáil, des irischen Unterhauses) in den 26 Landkreisen ein völlig anderes Bild von Sinn Féin präsentieren.

Als Teil eines Wahlbündnisses mit „Solidarity“ (SOL)  – in dem die irische „Socialist Party“ (SP), die Schwesterorganisation der SAV, beide bis letztes Jahr Mitglieder der internationalen Tendenz KAI/CWI, mitwirkt) und der kürzlich von der SP abgespaltenen „RISE“ beteiligte sich „People Before Profit“ an einer keynesianischen Plattform mit Forderungen nach höheren öffentlichen Ausgaben, kostenlosem öffentlichen Nahverkehr, einem Existenz sichernden Lohn von 15 EUR pro Stunde und dem Bau von zusätzlichem bezahlbarem Wohnraum. Bezahlt werden sollte das Ganze durch Steuererhöhungen für SpitzenverdienerInnen und Schließen von Steuerschlupflöchern, um alle multinationalen Konzerne zur Zahlung der Körperschaftsteuer in Höhe von 12,5 % zu verpflichten – eines der niedrigsten Steuersätze in Europa. Sozialismus stand jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung.

SOL-PBP versuchten, ihre 6 Parlamentssitze zu verteidigen, und appellierten direkt an eine „große Koalition“ der Linken, die von Sinn Féin geführt werden sollte. In einer Fernsehdebatte wollte Richard Boyd Barrett (PBP-TD) die Bedenken von Sinn Féin, den Grünen, der Labour Party und den SozialdemokratInnen zerstreuen, indem er ihnen versicherte, dass sie zuverlässige KoalitionspartnerInnen sein würden. Sie hofften so auch, Stimmen von diesen Parteien zu erhalten, um die Wiederwahl ihrer Abgeordneten zu sichern. Nach der ersten Auszählung rangen sie mit dem Verlust ihrer Sitze. Aufgrund der Besonderheiten des irischen Wahlrechtes (Proportional Representation with a Single Transferable Vote) konnte SOL-PBP 5 ihrer 6 Sitze halten, wobei sie begünstigte, dass Sinn Féin in einigen Wahlkreisen, wo mehrere Sitze vergeben werden, nur eine/n KandidatIn aufgestellt hatte und ihnen deren Stimmenüberschuss zugutekam.

Linke Regierungsillusionen

SOL-PBP TDs versuchten direkt nach der Wahl, Sinn Féin zur Bildung einer „linken Regierung“ zu drängen. Viele, die Sinn Féin aufgrund ihres Versprechens gewählt hatten, günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wussten nichts von der Politik, die Sinn Féin diesbezüglich in Nordirland verfolgt hatte. In Belfast etwa unterstützte sie einen „City Deal“, der die Privatisierung von Land in öffentlichem Eigentum beschleunigen wird – Land, das zuvor für den Bau von Sozialwohnungen genutzt werden sollte. PBP kämpfte im Rathaus von Belfast dagegen an.
Dessen ungeachtet forderten PBP-Abgeordnete im Süden die ArbeiterInnen auf, „auf der Straße zu mobilisieren“ – aber nicht, um das Land wie in Frankreich durch einen Generalstreik lahmzulegen, sondern um Sinn Féin aufzufordern, eine linke Minderheitsregierung zu bilden, einschließlich der Grünen und der Labour Party – Parteien, die die ArbeiterInnenklasse nach der Wirtschaftskrise drangsalierten, als sie mit Einschnitten regierten. Außerdem wäre jede Regierung immer noch auf irgendeine Art Abkommen mit Fianna Fáil oder Fine Gael angewiesen, das sie bei wichtigen Abstimmungen zur Enthaltung auf den Oppositionsbänken zwingen würde. Dies verdeutlicht die Torheit des PBP-Vorschlags.

Darüber hinaus wäre jede „linke Regierung“ mit der Schwäche des irischen Kapitalismus, seinem Status als Halbkolonie und der Gefahr der Kapitalflucht konfrontiert. Multinationale Unternehmen machen 90 % der irischen Exporte aus und nutzen das Land hauptsächlich für Steuerhinterziehung. Die Beschäftigung im produzierenden Gewerbe nimmt jährlich ab. Dies bedeutet, dass Irland als schwaches Glied im europäischen Kapitalismus besonders anfällig für flüchtige, anfällige Kapitalströme ist.

Der globale Finanznachrichtendienst Bloomberg reagierte auf das Wahlergebnis mit der Feststellung, dass „jetzt ein guter Zeitpunkt sein könnte, um die Anleihen des Landes abzuwerfen“, und verwies auf die Ausgabenversprechen von Sinn Féin. Der Arbeit„geber“verband IBEC zeigte hingegen Vertrauen in eine „fiskalisch verantwortliche“ Sinn Féin, die sich verpflichtet hatte, den Körperschaftsteuersatz von 12,5 % und die Gewinne multinationaler Unternehmen zu schützen. Natürlich müsste eine „linke Regierung“ die Troika bekämpfen und die Euro-Schulden streichen, wenn bedeutende Reformen durchgeführt werden sollen, aber keine „linke“ Partei ist bereit, diesen Weg zu gehen.

Bis jetzt wurden zudem alle unwirklichen Forderungen nach einer „linken Regierung“ von Labour torpediert, die sich weigert, die Macht mit Sinn Féin zu teilen. Auch Eoin Ó Broin von Sinn Féin verwarf sogleich die Idee, da dies angesichts der Zahlen im Parlament nicht machbar sei, und veranlasste damit Richard Boyd Barrett von PBP zu der Klage, zu schnell „das Handtuch zu werfen“. Die Gespräche zwischen Fine Gael und Fianna Fáil, in der sie über das erstmalige Schmieden einer „Großen Koalition“ unter Beteiligung der Grünen beraten, werden indes voraussichtlich diese Woche fortgesetzt. Fine Gael hat als Bestandteil eines Abkommens mit Fianna Fáil eine Rotation der Regierungsspitze gefordert. Das beste Ergebnis für Sinn Féin in dieser Phase wäre, dass die Gespräche scheitern und eine weitere Wahl stattfinden muss. Sinn Féin könnte dann mehr KandidatInnen in Wahlkreisen mit Spitzenergebnissen aufstellen und gestärkt als größte Partei (auch nach Sitzen) ins Parlament zurückkehren. Dies würde wahrscheinlich SOL-PBPs Vertretung im Parlament auslöschen.

Massenmobilisierung

SozialistInnen in „People Before Profit“, „Solidarity“ und „RISE“ sollten sich gegen eine Koalition mit kapitalistischen Parteien wie Sinn Féin stellen. Die radikale Linke schöpft ihre Stärke aus der Mobilisierung der Werktätigen, um für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Die Aussetzung der Wassergebühren im Jahr 2016, eine massive Niederlage für die Regierung, wurde durch Massendemonstrationen, Konfrontation und Zahlungsboykott erreicht.

Trotz der mangelnden Bereitschaft von Sinn Féin, den Boykott der Wasserrechnungen zu unterstützen, konnte die radikale Linke diese Botschaft verbreiten und eine Führungsrolle bei der Organisation eines breiteren politischen Zurückschlagens übernehmen. Das Versäumnis, auf dieser Kampagne aufzubauen, schuf jedoch ein Vakuum auf der linken Seite, das Sinn Féin erfolgreich füllte. Eine ähnliche Kampagne gegen die Immobilienkrise könnte die Linke wiederbeleben und neue Schichten von ArbeiterInnen in den Kampf ziehen, die aus dem Immobilienmarkt und dem privaten Mietsektor verdrängt wurden.

Der globale Kapitalismus ist in eine Zeit der Instabilität und Stagnation eingetreten. ÖkonomInnen sind sich im Großen und Ganzen einig, dass Irland mit einer der offensten Volkswirtschaften der Welt einem höheren Risiko durch globale Handelskonflikte ausgesetzt und ein Abschwung unvermeidlich ist. Die Auswirkungen des Brexit werden ebenfalls verheerend sein. Von den ArbeiterInnen wird erneut erwartet, dass sie die Verluste sozialisieren und die Hauptlast der Kürzungen tragen. Wir stehen außerdem vor einer Klimakatastrophe, der schwersten Krise, mit der die Menschheit in ihrer gesamten Geschichte konfrontiert war. Lösungen für diese Probleme erfordern einen System-, nicht nur einen Regierungswechsel.

Eine echte ArbeiterInnenregierung müsste die kapitalistische Elite Irlands und die Wut ihrer imperialistischen UnterstützerInnen EU, USA und Großbritannien herausfordern. Sie müsste die Euro-Schulden zurückweisen und im Gegensatz zu Syriza Brüssel trotzen. Sie sollte nicht die EU verlassen, sondern gegen die EU kämpfen und eine Kampagne für die Solidarität der europäischen ArbeiterInnenklasse im Kampf für ein sozialistisches Europa führen. Eine solche Regierung würde die Reichen besteuern, die einheimischen und ausländischen KapitalistInnen enteignen, die Banken und die Industrie ohne Entschädigung verstaatlichen und unter ArbeiterInnenkontrolle stellen, um so eine Brücke zum Sozialismus zu schlagen.

Dieses Sozialismusgespenst werden die KonzernchefInnen und ihr Staat erbittert bekämpfen. Deshalb müsste eine ArbeiterInnenregierung auf bewaffneten ArbeiterInnenräten basieren und diesen Räten gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Die SozialistInnenen müssen eine revolutionäre sozialistische Alternative aufbauen – eine neue ArbeiterInnenpartei, die in jeder Gewerkschaft, an jedem Arbeitsplatz und in jeder Gemeinde verwurzelt ist, den Kampf koordinieren kann und für eine 32 Grafschaften zählende ArbeiterInnenrepublik streitet.