Der Charakter der EU und die Ursachen der aktuellen Krise

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 4, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Die EU befindet sich in einer historischen Krise. Großbritannien hat sich entschieden, die EU zu verlassen, auch wenn der Brexit noch verschoben werden könnte. Der Brexit würde nicht nur bedeuten, dass die EU ihre drittgrößte Volkswirtschaft und eine Nuklearmacht verliert, sondern dürfte auch viele der verbleibenden Industrien des Vereinigten Königreichs selbst zerstören, insbesondere angesichts einer Konjunkturabschwächung und einer neuen sich abzeichnenden Rezession.

Die Weltwirtschaftskrise 2007/2008 und die
„Schuldenkrise“ 2010/2011 haben die kapitalistischen Widersprüche in der EU
verstärkt und verschärft. Mit massiven Finanzmitteln wurden das Europäische
Finanzaufsichtssystem, das ESFS, und der Europäische Stabilitätsmechanismus,
ESM, eingerichtet, um Banken, Finanzinstitute und die Aktienmärkte in Gang zu
halten. Dies führte zu einem Anstieg der Staatsverschuldung und zur Auferlegung
von Sparprogrammen für große Teile Europas.

Das neoliberale Dogma des Sparens und
Kürzens wurde den Haushalten der verschiedenen Staaten aufgedrückt, die
sogenannte „schwarze Null“ (ein Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen)
wurde zum Hauptziel der EU-Institutionen. Die wirtschaftlich schwächeren Staaten
der EU, deren Wirtschaft größtenteils durch Neuverschuldung expandiert war,
wurden damit ökonomisch ruiniert, während die wirtschaftlich stärkeren Staaten
relativ stabil blieben oder sich sogar stärken konnten.

Das deutsche Industriekapital konnte seine
Vormachtstellung innerhalb der EU ausbauen, seine Produktionsketten und
Marktmacht konsolidieren und die Konkurrenz aus anderen EU-Staaten schwächen.
Insbesondere in den Bereichen Maschinenbau, Automobilindustrie, Elektronik,
Chemie und Energie konnte die Marktmacht ausgebaut werden, während die
Konkurrenz aus Frankreich, Großbritannien und Italien an Boden verlor.

Der mit Deutschland wirtschaftlich
verbundene Block, d. h. Österreich, Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei
sowie teilweise Skandinavien und Benelux, konnte die Krise im Bereich der
Industrieproduktion schneller überwinden und die Werke in Osteuropa sogar
ausbauen. In Südeuropa, aber auch in Frankreich und Großbritannien kamen die
Industriemonopole unter Druck. Aufgrund des Brexit begannen ausländische
InvestorInnen, die Produktion für den europäischen Markt in die 27 EU-Staaten
zu verlagern, was massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt Großbritanniens
haben könnte.

So führte die Krise sowohl zu einer
weiteren Kapitalkonzentration als auch zu einer neoliberalen Offensive gegen
den öffentlichen Sektor sowohl in Bezug auf Beschäftigung als auch auf
Dienstleistungen, vor allem auf Kosten der ArbeiterInnenklasse und der
lohnabhängigen Mittelschichten. Diese Krisenergebnisse waren kein „Zufall“,
sondern vom gemeinsamen Binnenmarkt und vom Währungsraum vorprogrammiert. Neben
den Kreditprogrammen für die Banken, Börsen und Staatsanleihen wurde eine
europäische Schuldenbremse eingeführt ebenso wie verschiedene Mechanismen zur
Vertiefung der neoliberalen Politik auf dem Kontinent, sei es im Kampf gegen
Gewerkschaftsorganisierung, Tarifverträge, Rechte oder für den weiteren Abbau
von Arbeitsschutz und Rentenansprüchen.

Während eine solche Politik weiterhin auf
dem Rücken der LohnempfängerInnen und der südeuropäischen Volkswirtschaften
durchgesetzt wird, gibt es auch viele Risse innerhalb der bürgerlichen Klassen
und ihrer angeschlossenen kleinbürgerlichen Schichten, die ebenfalls Teil des
imperialistischen Projekts der EU sind. Die verhängten Maßnahmen konnten die
Ursachen der globalen kapitalistischen Krise, die zu Finanzkrise und Rezession
führte, nicht aufheben. Das globale Kapital ist nach wie vor von einer
Kapital-Überakkumulation und sinkenden Gewinnmargen betroffen. Die Politik der
USA und der EU, der Aufstieg Chinas als imperialistische Macht sowie die
expandierenden halbkolonialen Volkswirtschaften (vor allem Indien) führen dazu,
dass die Probleme der Überakkumulation in der nächsten Rezession noch stärker
zum Tragen kommen werden. Die Finanzblase ist in jeder Beziehung größer als die
vor 2008, und der Industriesektor hat nicht die notwendige Zerstörung von
Sachkapital erfahren. Gleichzeitig sind die Reserven zur Bewältigung der
nächsten Rezession begrenzter, mit bereits niedrigen Zinssätzen und massiven
Schulden im staatlichen und privaten Sektor.

Schließlich sind die Chancen für eine
koordinierte Reaktion der Großmächte wie 2009/2010 gering. Die nächste
Rezession wird vor dem Hintergrund eines verschärften Kampfes um die
Neuaufteilung der Welt ausbrechen. Die großen kapitalistischen Mächte werden
zwar weiterhin darauf abzielen, einen Zusammenbruch des Welthandels und des
Finanzgeschäfts zu verhindern, gleichzeitig aber darauf, ihre KonkurrentInnen
mit den Kosten der Rezession zu belasten.

Vor diesem Hintergrund werden nicht nur die
EU, sondern auch deren einzelne Volkswirtschaften massiv unter Druck geraten.
Die EU und die nationalen Regierungen werden vor der Wahl stehen, ob sie ihren
US-amerikanischen und chinesischen KonkurrentInnen eine gemeinsame Antwort
erteilen oder die Kosten der Krisen auf die halbkolonialen oder auch
schwächeren imperialistischen Volkswirtschaften abladen wollen. Auch die
bereits angespannten deutsch-französischen Beziehungen werden auf die Probe
gestellt werden.

Der Charakter der Europäischen Union als
Block von Nationalstaaten und nicht als Bundesstaat wird sich bemerkbar machen.
Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass sich in der Bourgeoisie wenig
„europäisches Bewusstsein“ entwickelt hat. Das Großkapital und die Finanzhäuser
werden nach wie vor von den in den dominierenden Ländern verwurzelten Monopolen
dominiert. „Europäisches“ Kapital ist eigentlich deutsches, französisches,
italienisches oder sonstiges Kapital, das noch immer in den jeweiligen
Volkswirtschaften verwurzelt ist.

Die Kapitale der schwächeren
kapitalistischen Staaten, vor allem Ost- und Südeuropas, unterliegen dem
dominanten imperialistischen Kapital, das sich während der Krise erweitert und
gestärkt hat. Teile der britischen und italienischen Bourgeoisie suchen nun
nach Auswegen auf nationaler Ebene. Italien will seinen Status als
imperialistische Macht behaupten, steht aber unter dem Druck seiner
GläubigerInnen. Der ständige Wettbewerb mit dem deutschen Imperialismus hat
nicht zu einer „Annäherung“, geschweige denn zu einer Abschwächung der inneren
Spannungen geführt, wie es sich der französische Imperialismus erhofft hatte.
Vielmehr ist das genaue Gegenteil eingetreten: Im Kapitalismus überwiegt
der/die stärkste MarktteilnehmerIn und wirtschaftliche Ungleichgewichte werden
reproduziert und sogar verstärkt.

Die kommende Wirtschaftskrise wird die EU
und die Eurozone auf den Prüfstand stellen. Was das Projekt der Vereinigung
Europas betrifft, so gibt es mehrere mögliche Szenarien. Wenn die EU in konkurrierende
Blöcke mit jeweils „eigenen“ Sonderwirtschaftszonen zerfällt, würde die
deutsch-französische Führung sicherlich zerbrechen. Andererseits dürfte ein
kleiner „Kerneuropa“-Block um Deutschland oder gar Deutschland-Frankreich
weiterhin große Teile Europas wirtschaftlich dominieren, wenn auch in anderer
Form. Im schlimmsten Fall könnten die EU in zahlreiche „unabhängige“ Staaten
implodieren, die bereits geschaffenen Wirtschaftsbeziehungen sich auflösen und
dies zum völligen Zerfall der Produktivkräfte führen und damit eine Form der
Balkanisierung des gesamten Kontinents heraufbeschwören.

Schließlich kann auch eine Form der
Vereinigung unter deutsch-französischer Führung nicht völlig ausgeschlossen
werden, aber dies könnte nur eine vollständige politische Unterordnung der
anderen EU-Staaten, insbesondere der wirtschaftlich schwächeren, bedeuten. Sie
könnte nur durch wirtschaftliche Gewalt und politischen Zwang zustande kommen
und wäre daher eine „Vereinigung“, die früher oder später zu Spannungen, Konflikten
und Auseinanderfallen führen würde.

Die europäische Wirtschaft und das soziale
Leben haben sich zwar stärker europaweit verzahnt und integriert, so dass die
Freizügigkeit der Menschen auf dem gesamten Kontinent möglich werden konnte und
als Folge davon die nationale Engstirnigkeit sich bis zu einem gewissen Grad
verringert hat, insbesondere bei den jungen Menschen und denjenigen, die in
international organisierten Dienstleistungen und Industrien tätig sind. Aber
die kapitalistischen Klassen waren nicht in der Lage, den Kontinent zu
vereinheitlichen, da dies auch die Überwindung seiner ungleichen Entwicklung
und die Anhebung der sozialen und wirtschaftlichen Standards auf das höchste
Niveau erfordern würde. Das ist auf kapitalistischer Ebene unmöglich, ebenso
wie es für die imperialistischen Bourgeoisien aus Deutschland, Frankreich und
die schwächeren Mächte unmöglich ist, den Kontinent organisch zu entwickeln.
Für sie ist die Vereinigung Europas nur dann sinnvoll, wenn sie auf der
Dominanz ihres Kapitals beruht, auf der Fortsetzung der Ausbeutung
halbkolonialer Räume durch Integration dieser in ihre Produktions- und
Vermarktungssysteme. Während die deutsche und die französische herrschende
Klasse sich vielleicht darauf einigen könnten, die schwächeren Teile des
Kontinents unter sich aufzuteilen, streben dennoch beide
KapitalistInnenklassen, beide imperialistischen Staaten danach, der dominante
Teil in dieser Beziehung zu sein – ein Widerspruch, der nicht auf der Grundlage
des kapitalistischen Systems überwunden werden kann.

Darüber hinaus versuchen die
HauptkonkurrentInnen der EU bereits, diese Krise zu nutzen und in sie
einzugreifen. Die USA unter Trump wollen die EU als eine Reihe von einzelnen
Handels- und IndustriepartnerInnen behandeln und so zerlegen. China strebt den
Zugang zur EU an und nutzt die Bedeutung seines Marktes für das europäische
Kapital im Kampf mit den USA. Russland will auch eingreifen, wenn auch mit dem
bescheideneren Ziel, Wirtschaftssanktionen und eine politische Isolierung durch
die USA und einige EU-Staaten zu überwinden. Selbst schwächere imperialistische
Mächte außerhalb der EU suchen Zugang zu ihren Märkten. Schließlich versuchen
nicht nur Staaten, sondern auch einige Teile der globalen Rechten, wie z. B.
die Alt-Right aus den USA, sich in die Krise Europas einzumischen.

Die aktuellen Spannungen und inneren
Widersprüche drücken sich darin aus, dass die EU an einer Reihe von Fronten
nicht vorankommt. Ihre Struktur und Verfassung spottet nicht nur selbst
bürgerlichen Formen der Demokratie. Der Verbleib entscheidender Kompetenzen bei
den nationalen Regierungen hat auch zu inneren Blockaden, Verzögerung von
„Reformprojekten“ und einer Reihe halbherziger Entscheidungen geführt. Die
vermeintlichen „Lösungen“ für diese Probleme haben selbst zu einer Abschaffung
der demokratischen Kontrolle, vor allem im Finanz- und Wirtschaftsbereich, oder
zu „Ausnahmen“ von den EU-Vorschriften geführt, die die Verhandlungsmacht der
verschiedenen Staaten widerspiegeln.

Je größer die Krise der Institution, je
geringer ihre Legitimität in der Bevölkerung, desto mehr „ermuntert“ dies einen
reaktionären Antieuropäismus der populistischen oder gar faschistischen
Rechten. Die Salvinis, Orbáns, Straches der Welt, obwohl sie alle AnhängerInnen
ihres nationalen Kapitals und der Interessen ausländischer InvestorInnen sind,
nutzen die wirkliche arbeiterInnenfeindliche und antisoziale Politik der EU
oder der Großmächte aus einem erzreaktionären, nationalistischen und
rassistischen Blickwinkel.

Andererseits stellen die liberalen, grünen,
proeuropäischen Konservativen sowie die Mehrheit der Sozialdemokratie und der
Gewerkschaften die derzeitige EU und ihre Reform als eine ultimative Leistung
dar. Sie bezeichnen alle, die die EU ablehnen, als neoliberal, undemokratisch, rassistisch
oder imperialistisch und als „antieuropäisch“.

Beide Lager versuchen, die Massen für ihre
eigenen Zwecke zu täuschen, aber für die europäischen KapitalistInnenenklassen
steht der entscheidende Moment bevor. Sie brauchen eine „Reform“ der EU, um
ihre inneren Blockaden zu überwinden, um eine politische und militärische
Vereinigung von oben herbeizuführen und die EU zu einer echten Konkurrentin
gegenüber den USA oder China zu machen. Oder sie müssen sich für eine andere
Strategie entscheiden.

Diese könnte in einer untergeordneten
„Partnerschaft“ mit einer der stärkeren Mächte bestehen und darin, die Rolle
einer „Juniorpartnerin“ in der Weltpolitik zu spielen, wenn die EU weiter
stagniert. Natürlich könnte es eine „privilegierte Partnerschaft“ mit den USA
geben ebenso wie enge Beziehungen zu einem expandierenden China oder eine
engere Zusammenarbeit mit Japan. Gleichzeitig wird die anhaltende Krise auch zu
„Blöcken“ innerhalb der EU führen, sei es um eine dominante europäische Macht
wie Deutschland herum oder um andere imperialistische Mächte herum, wie den
USA. Nichts ist sicher außer der Tatsache, dass sich die Dinge nicht mehr so
wie bisher hinziehen können. Europa ist bereits in einer tiefen Krisenphase und
diese wird sich fortsetzen und verschärfen.




Der Aufstieg der Rechten

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 5, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

In den letzten zehn Jahren hat Europa eine
Reihe von beeindruckenden sozialen und politischen Kämpfen erlebt. Die
griechischen ArbeiterInnen und Jugendlichen erhoben sich gegen die
Sparprogramme, verdrängten die Regierungen von Pasok und Nea Dimokratia,
organisierten Dutzende von Generalstreiks, brachten Syriza an die Macht und
waren bereit, sich der von der EU und dem IWF auferlegten Sparpolitik zu
widersetzen. Ähnliche Kämpfe, wenn auch in geringerem Umfang, gab es in Ländern
wie Spanien und Portugal. In Frankreich erzwangen die ArbeiterInnen- und
StudentInnenbewegungen Zugeständnisse und Rückzüge sowohl vom rechten
Präsidenten Nicolas Sarkozy als auch vom Vorsitzenden der Sozialistischen
Partei François Hollande bei einigen ihrer „Reformen“.

Im Jahr 2015/2016, als Millionen von
Flüchtlingen vorübergehend in der Lage waren, die rassistischen und
militarisierten Grenzregime zu überwinden und in die Festung Europa
einzudringen, begrüßten sie Millionen von UnterstützerInnen.

Aber die historischen Kämpfe in
Griechenland und die antirassistische Welle der Solidarität mit Flüchtlingen
wurden besiegt. Über die Grenzen der EU hinaus führte die Niederlage des
Arabischen Frühlings nicht nur zur Flüchtlingskrise in Europa, sondern
verschärfte auch das Gefühl, dass die Hoffnungen der Widerstandswelle 2010/2011
zunichtegemacht worden waren.

Es waren diese Niederlagen, nicht nur die
Krise der Europäischen Union, die die Rechte hervorbrachten, den Aufmarsch
offen rassistischer, islamfeindlicher und chauvinistischer Kräfte im
bürgerlichen Lager und reaktionäre Massenmobilisierungen in allen Ländern.
Rechte Parteien wurden zu Massenkräften in der Gesellschaft, sowohl auf der
Straße als auch in den Parlamenten.

Die rechtspopulistischen, nationalistischen
und rassistischen Parteien waren bereits bei den Europawahlen 2014 große
Gewinnerinnen, und dasselbe ist für 2019 zu erwarten. Sie präsentieren sich
gegenüber der EU als die großen Verteidigerinnen der „Nation“, die endlich die
Bürokratie in Brüssel „ausmisten“ wollen, die die „Fremdherrschaft“ beenden
wollen. Sie stellen die EU als ein Projekt gegen die nationalen Interessen dar.
Die „Brexit“-Kampagne im Jahr 2016 fasste die Versprechen dieses
bürgerlich-nationalen Lagers am besten zusammen, als der damalige britische
Außenminister Boris Johnson versprach, dass das gesamte Geld, das nach Brüssel
fließe, nach dem Brexit in das britische Gesundheitssystem, den NHS, gelangen
würde.

Eine solche Demagogie ist zu einem
einfachen, aber wirksamen Instrument für Rechtsextreme aller Art geworden, um
Unterstützung gegen die EU zu sammeln. Im Mittelpunkt stehen dabei
„klassischer“ Nationalismus und Rassismus. Das Problem seien nicht der
Kapitalismus, sondern die „AusländerInnen“. Manchmal wird die EU sogar als das Werk
einer internationalen Verschwörung gegen das „Volk“ dargestellt, in der die
dunklen Kräfte des „Kosmopolitismus“ für das Kapital wirken würden. Hier
beginnt neben der vorherrschenden Islamophobie das Monster des Antisemitismus
sein hässliches Haupt zu erheben. Auf diese Weise verbinden einige von ihnen
Rassismus entweder mit einer neoliberalen Agenda (wie FPÖ, Fidesz, Lega oder
die Mehrheit der deutschen AfD) oder mit einem nationalistischen
„Antikapitalismus“, mit Islamophobie und Antisemitismus einschließlich aller
möglichen Mischformen.

Bei Wahlen und in anderen Massenkampagnen
sind diese RechtspopulistInnen immer bereit, sich aus der EU zurückzuziehen
oder eine „Wiederherstellung“ der nationalen Souveränität zu versprechen, sei
es in der Finanzpolitik oder beim Grenzregime. Wie es bei populistischen
DemagogInnen üblich ist, hat dies jedoch nicht unbedingt etwas mit ihrem
Handeln zu tun, wenn sie in die Regierung eintreten. So freut sich Viktor
Orbán, Verteidiger der christlich-ungarischen Zivilisation gegen die von George
Soros gestifteten Institutionen für höhere Bildung und Menschenrechte, dass
„seine“ ungarischen ArbeiterInnen vom deutschen Industriekapital mit Hilfe
eines „Sklavengesetzes“, das bis zu 400 unbezahlte Überstunden pro Jahr
erlaubt, über-ausgebeutet werden, um so die Interessen der InvestorInnen aus
der BRD zu bedienen.

Auch in Österreich hat die FPÖ ihre
Forderungen nach einem Referendum über den Austritt aus der EU schnell
zurückgenommen, da der österreichische Kapitalismus von der Unterwerfung der
osteuropäischen Volkswirtschaften profitiert. Selbst die derzeit recht
„hartnäckige“ italienische populistische Regierung hat ihre „Ixit“-Pläne
vorerst beiseitegelegt. Schließlich sollen zunächst mit der EU über eine
Umschuldung der horrenden Staatsschulden verhandelt werden und gleichzeitig die
von der ehemaligen „technokratischen Regierung“ von Mario Monti (2010-2012)
vereinbarten Verpflichtungen erfüllt werden. Auch Marine Le Pen, die Führerin
der französischen Rassemblement National, versuchte, an die französischen
bürgerlichen WählerInnen zu appellieren, indem sie ihre Forderung nach einem
Rückzug aus der EU abschwächte.

Viele dieser Kräfte wollen einen „neuen“
kapitalistischen Deal mit der EU. Salvini, der italienische Innenminister und Führer
der Lega, schlug sogar vor, dass sein Land in Zusammenarbeit mit Deutschland
ein neuer Ko-Führer Europas werden sollte, indem er sich auf die Idee einer
„Achse Rom-Berlin“ bezog. War dies nur eine unglückliche Redewendung oder ein
Signal an AnhängerInnen der extremen Rechten?

Die rechtspopulistischen Parteien sind mit
ihren sozial-nationalen Versprechungen und der entsprechenden Rhetorik tief in
die Wählerschaft der konservativen „Volksparteien“ sowie der
sozialdemokratischen oder „sozialistischen“ Parteien Europas eingedrungen.
Diese Erfolge in der ArbeiterInnenklasse sowie im Kleinbürgertum haben diesen
Parteien eine Unterstützung zwischen 15-25 Prozent in den Umfragen und Wahlen
beschert. Es ist ihnen gelungen, die Feindseligkeit gegenüber der EU zu
absorbieren, indem sie sich als Verteidigerinnen des „einfachen Volkes“
präsentieren oder sogar, ähnlich wie Trump in den USA, behaupten die
(einheimischen) arbeitenden Menschen zu vertreten, die von ihren traditionellen
Parteien verlassen worden wären. Dass sie damit durchkommen können, liegt nicht
zuletzt daran, dass sozialistische und andere ArbeiterInnenparteien zu
Agentinnen neoliberaler Reformen geworden sind und ihre alten sozialistischen
Programme und ihre Identifikation mit dem Proletariat heruntergespielt oder
aufgegeben haben. Hinzu kam die Schwäche der Gewerkschaften bei der Bekämpfung
der Sparpolitik der nationalen Regierungen, die von den EU-Institutionen
unterstützt wurden. Unterdessen führte die Deindustrialisierung ganzer
Regionen, der Ersatz von sicheren durch unsichere Arbeitsplätze zur Schrumpfung
der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, obwohl die lohnabhängige
ArbeiterInnenklasse beileibe nicht verschwunden war.

Mit ihren Erfolgen öffnen solche
rechtspopulistischen Parteien auch den Weg für offen faschistische Kräfte. In
vielen Staaten gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen. Militante
Organisationen sind keine Seltenheit mehr. Gewalttätige Angriffe auf
MigrantInnen, Flüchtlinge und Linke, auch Mord, sind Realität geworden. Zusammengenommen
stellen die RechtspopulistInnen, die rassistischen Bewegungen und die
faschistischen Kräfte eine echte und unmittelbare Bedrohung für die
ArbeiterInnenklasse des Kontinents dar. Dies setzt sich fort und verschärft
sich noch, wenn sie an der Regierung sind. Sie verbinden Rassismus mit massiven
Angriffen auf die Rechte der ArbeiterInnenklasse und die von Frauen,
Minderheiten usw.

Viele europäische Regierungen und
Mainstream-Parteien, darunter die Sozialdemokratie und Teile der Linken, haben
zum Aufstieg der Rechten durch eine rassistische Politik in Regierungen und
Parlamenten beigetragen. Die EU hat das Mittelmeer de facto abgeschottet und
überwacht es mit militärischen Kräften. Alle Länder haben massive Angriffe auf
die demokratischen Rechte sowie auf die Rechte von ArbeitsmigrantInnen und
Flüchtlingen unternommen. Nur als überausgebeutete ArbeiterInnen oder
hochqualifizierte Arbeitskräfte sind sie „willkommen“.

Die Anpassung an die Rechten ist aber auch
das Ergebnis der inneren Krise und der imperialistischen Ambitionen der EU und
ihrer führenden Staaten selbst. Antimuslimischer Rassismus ist zur
dominierenden Form des Rassismus in ganz Europa geworden, nicht nur, weil er
ein fester Bestandteil der rechten Agenda ist, sondern auch, weil er neue
„Antiterror“-Gesetze, mehr Rechte für die Polizei, die Verkündung von
„Ausnahmezuständen“ und die „humanitären“ Interventionen im Nahen Osten oder
Afrika rechtfertigt.




Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 6, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Der Aufstieg der Rechten wäre ohne die
Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung und der antirassistischen und sozialen
Kräfte unmöglich gewesen. Diese Niederlagen sind selbst eindeutig das Ergebnis
der verräterischen Politik der FührerInnen und des Apparats der
ArbeiterInnenbewegungen in Europa.

Die Sozialdemokratie hat längst eine
Rechtskurve hinter sich. Unter Tony Blair und Gerhard Schröder gab sie
„traditionelle“ keynesianische soziale Reformen und Verbesserungen auf und
akzeptierte die Parameter der neoliberalen Agenden. Diese Politik verlangte von
ihnen, die reformistischen, sozialdemokratischen und Labour-Parteien
unabhängiger von den Gewerkschaften und ihrer ArbeiterInnenbasis, von ihren
sozialen und historischen Verbindungen zur ArbeiterInnenbewegung zu machen.
Obwohl die reformistischen FührerInnen in Parlamenten und Apparaten einen
langen Weg gegangen sind, um diese Verbindung zu lösen und zu brechen, ist es
den meisten von ihnen letztendlich nicht gelungen, dies zu tun.

Eine wichtige Ausnahme ist die ehemals
größte kommunistische Massenpartei Europas, die italienische, die, immer schon
eine der reformistischsten, sich „erfolgreich“ in eine linke, offen bürgerliche
Partei verwandelt hat und mit einem Teil der Christdemokratie verschmolzen ist.
Sie führte den italienischen Kapitalismus so sehr im Interesse der Bourgeoisie
und der EU, dass sie damit die Voraussetzungen für den Aufstieg der
Fünf-Sterne-Bewegung und der neuen rechten Regierung schuf.

In den meisten Teilen Europas haben die
sozialdemokratischen Parteien jedoch ihre Verbindungen zur
ArbeiterInnenbewegung aufrechterhalten, was auch die gelegentlichen
demagogischen und letztlich leeren sozialen Versprechungen eines Hollande und
der französischen PS oder in jüngster Zeit der spanischen PSOE ermöglicht hat.
Der Aufstieg von Jeremy Corbyn in der britischen Labour-Partei und ihre
Massenrekrutierung von Hunderttausenden hat jedoch auch gezeigt, dass sich die
traditionellen reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenparteien unter
bestimmten Bedingungen sogar nach links entwickeln und zu einer Attraktion für
ArbeiterInnen und Jugendliche werden können.

Die meisten der traditionellen
reformistischen Parteien bleiben jedoch der bürgerlichen Mainstreampolitik verbunden.
Bestenfalls befürworten sie ein „soziales“ und „reformiertes“ Europa, das eine
Wirtschaftspolitik zur Förderung von Investitionen, Wachstum und Beschäftigung
einführen und Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Umwelt
finanzieren soll. Kurz gesagt, sie schlagen einen „New Deal“ für Europa vor,
der die kapitalistische Vereinigung auf der Grundlage einer staatlichen
Intervention zur Schaffung von Formen des „europäischen Kapitals“ verstärken
und gleichzeitig einige Mindestrechte für ArbeiterInnen, Jugendliche, Frauen
und unterdrückte Minderheiten einführen soll.

Außen- und internationalpolitisch sind sie
für ein starkes vereintes Europa, eine europäische „Verteidigung“ und eine noch
„aktivere“ Außenpolitik, um „Demokratie“ und eine „Weltwirtschaft“ zu sichern.
Ihr Europa, auch wenn es einige Verbesserungen für die europäischen
ArbeiterInnen zugestehen sollte, ist eigentlich ein sozialchauvinistisches und
imperialistisches Europa, das die Migration „regelt“, seine Grenzen verteidigt,
seine bestehenden Militär- und Polizeikräfte aufbaut oder verteidigt oder sogar
ihre „Modernisierung“ fordert, um Europa gegen Trump und/oder Putin zu
verteidigen.

Trotz ihres vermeintlichen „Europäismus“
bleiben die FührerInnen der Sozialdemokratie jedoch ebenso wie „ihre“
herrschenden Klassen auf das nationale Terrain orientiert. Während der großen
Krise, als die EU und der Internationale Währungsfonds die griechischen und
südeuropäischen ArbeiterInnen auf Rationierung setzten, unterstützten sie ihre
Bourgeoisie und die EU-Kommission. Sie haben zwar den deutschen Finanzminister
Wolfgang Schäuble als etwas zu hart kritisiert, aber jede Opposition gegen ihn
abgelehnt und schließlich für die der Regierung Syrizas auferlegten EU-Verträge
gestimmt.

Wie die Corbyn-Bewegung aber beweist,
können solche Parteien unter bestimmten Bedingungen nach links gehen und ein
linkes reformistisches Programm verabschieden, das sogar eine Verstaatlichung
und eine ganze Reihe von sozialen Reformen verspricht. Aber, wie selbst die Labour
Party und Corbyns linke AnhängerInnen zeigen, sind sie nicht bereit oder
vorbereitet für einen entscheidenden Bruch mit den Rechten in ihren eigenen
Parteien, selbst wenn diese massive Sabotage betreiben. Was sie in der
Regierung tun würden, kann man sich leicht vorstellen.

Dies ist eine Folge ihrer politischen
Strategie, nicht des Charakters ihrer FührerInnen. Ihr Programm erfordert eine
parlamentarische Mehrheit, und um diese zu erreichen oder aufrechtzuerhalten,
müssen sie nicht nur den rechten Flügel „an Bord“ halten, sondern auch den
GewerkschaftsführerInnen und der Bourgeoisie selbst versichern, dass sogar eine
von den linken ReformistInnen geführte Regierung nicht „zu weit“ gehen und zu
Kompromissen bereit sein würde. Sie versichert der ArbeiterInnenbürokratie und
der Bourgeoisie, dass die Bewegung unter ihrer Führung nicht mit revolutionären
Mitteln mit dem bürgerlichen Staat und der herrschenden Klasse brechen würde.
Deshalb hat die Corbyn-Führung in der Frage der Kontrolle der Parteimitglieder über
die Abgeordneten den Rechten zugestimmt, hat eine demokratische Entscheidung
über die Brexit-Politik behindert und gleichzeitig die Unterstützung der
Freizügigkeit (Niederlassungsrecht für Beschäftigte in allen EU-Staaten)
aufgegeben. Sie hat es zeitweilig sogar der Premierministerin Theresa May
ermöglicht, die Initiative wiederzuerlangen.

Angesichts des Rechtsrucks in Europa und
der sich verschärfenden Krise müssen sich die RevolutionärInnen auf die
Mitglieder und AnhängerInnen dieser Parteien beziehen, da sie immer noch die
Masse der organisierten ArbeiterInnenklasse des Kontinents repräsentieren und
immer noch die Mehrheit der Gewerkschaften anführen und dominieren. Kein
erfolgreicher Kampf gegen die aktuellen und kommenden Angriffe wird möglich sein,
ohne diese ArbeiterInnen zum Handeln zu bewegen.

Daher müssen RevolutionärInnen eine
unerbittliche Kritik an der Politik, den Programmen und den Anpassungen dieser
Parteien an die Bourgeoisie mit der Aufforderung an sie verbinden, gegen die
nationalen und europäischen KapitalistInnen zu mobilisieren. Das bedeutet, zu
verlangen, dass sie mit der Bourgeoisie brechen, wenn sie an der Regierung
sind, und jede Koalition mit den Parteien der herrschenden Klasse ablehnen. Sie
sollten die Linke in diesen Parteien in ihrem Kampf gegen die Rechte
unterstützen und von ihr entschlossenes Handeln verlangen, aber, wie das
Beispiel von Labour oder anderen Parteien zeigt, dürfen sie dies nicht mit der
Anpassung an das Programm und die Strategie der linken ReformistInnen verwechseln.
Jede Unterstützung muss sehr kritisch und darauf ausgerichtet sein, das Gehör
des ArbeiterInnenanhangs dieser Parteien zu finden, um ihn davon zu überzeugen,
mit dem Reformismus als solchem zu brechen und für ein revolutionäres Programm
zu gewinnen.

In vielen Ländern hat die Krise der
Sozialdemokratie oder der alten „kommunistischen“, d. h. stalinistischen
Partei, zur Gründung von „linken Parteien“ geführt, Parteien mit einem linken
reformistischen Programm. Wie das Beispiel von Syriza in der Regierung gezeigt
hat, unterscheiden sich diese Parteien qualitativ nicht von den etablierten
reformistischen Parteien. Sie sind weder willens noch bereit, mit der
Bourgeoisie und dem europäischen Kapital zu brechen, wenn ein revolutionärer
Bruch erforderlich ist.

Trotz der Krise der europäischen
Sozialdemokratie waren diese linken Parteien jedoch selbst nicht in der Lage,
die Masse der ArbeiterInnenklasse in den meisten Ländern außerhalb
Griechenlands zu gewinnen. Ein Grund dafür ist, dass sie letztendlich keine
strategische, programmatische Alternative zum Programm der Hauptspielart des
Reformismus bieten. Wenn die größere reformistische Partei „plötzlich“ nach
links geht, sind die linken ReformistInnen schwer zu unterscheiden. Zweitens
haben sich solche Parteien immer wieder geweigert, die Führung und Hegemonie
der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisationen in
Frage zu stellen und haben dadurch oft sogar schwächere organische Verbindungen
zur Klasse.

Während sich die sozialdemokratischen
Parteien selbst bisher generell an die „proeuropäischen“ Teile ihrer
herrschenden Klassen angepasst haben, sind die europäischen Linksparteien in
dieser Hinsicht gespalten. Ein wichtiger Teil imitiert die Politik der
Sozialdemokratie, wenn auch in einer eher linken Version. Er fordert die
„Umwandlung“ der EU in eine soziale, demokratische Einheit mit Wohlfahrt,
Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftssektoren und einer „humanitären“ oder
„friedlichen“ Globalpolitik. Er lehnt die NATO ab und ruft auch zur „Abrüstung“
auf, d. h. zu einer sozialpazifistischen und nicht zu einer offen
sozial-chauvinistischen Politik.

Als ReformistInnen ist ihre Strategie für
den Wandel jedoch letztendlich eine parlamentarische, die versucht, Europa über
die bestehenden, wenn auch demokratisierten Institutionen der bürgerlichen
Staaten zu verändern.

Während dieser Flügel des europäischen
linken Reformismus eindeutig sozial mit der ArbeiterInnenklasse verbunden und
organisch damit vernetzt ist, sind auch Formen eines europäischen linken
Populismus entstanden, sowohl in den Formen „Pro-EU“ als auch „Anti-EU“.

Einerseits gibt es die kleine „Demokratie
in Europa“-Bewegung 2025, kurz DiEM25, um den ehemaligen griechischen
Finanzminister Yanis Varoufakis. Mit 60.000 Mitgliedern aus der gesamten
Europäischen Union sieht diese den Feind im „finanzialisiertes“ globalen
Kapital. In ihrem Manifest wird über den demokratischen Wiederaufbau der EU von
unten durch eine „radikale“ Demokratisierung und „die Neuaufstellung
bestehender Institutionen durch eine kreative Neuinterpretation bestehender
Verträge und Charten“ gesprochen, die in den Wahlen zu einer
„verfassunggebenden Versammlung“ gipfeln sollen. Es stellt eine eklektische
Mischung aus utopischen und reformistischen Forderungen wie einem universellen
Grundeinkommen und Beteiligungshaushalten dar. Als Agentur, die dies erreicht,
sieht DiEM25 nicht die ArbeiterInnenbewegung, sondern „das Volk“. In der Tat
erweist sich dieses „Volk“ als der akademische Mittelstand.

Andererseits hat eine Spaltung in der
Europäischen Linkspartei zur Bildung einer linkspopulistischen europäischen
Allianz geführt, die „Maintenant le Peuple“ (Jetzt das Volk) um La France
Insoumise (Unbeugsames Frankreich) herum, mit dem Parti de Gauche
(Linkspartei), dem spanische Podemos, dem portugiesischen Bloco de Esquerda
(Linksblock), der schwedische Vänsterpartiet (Linkspartei) und der dänische
Enhedslisten (Einheitsliste Rot-Grün). Im Gegensatz zur Europäischen
Linkspartei kämpfen sie für eine offene Ablehnung der EU von Seiten der
„Linken“ und für den Austritt aus der EU. Sie sind der Ansicht, dass ein
Reformprogramm nur außerhalb der EU und mit der Rückkehr zur „nationalen
Souveränität“ durchgeführt werden kann.

Die Allianz „Jetzt das Volk“ versucht die
Rechten in ihrer Ablehnung der EU zu übertreffen, auch wenn die Alternative,
zurück zum Nationalstaat, die gleiche ist. Hier wird die Illusion verbreitet,
dass es im Nationalstaat bessere Kampfperspektiven gebe, dass die
ArbeiterInnenbewegung und der Mittelstand da „mehr“ herausholen könnten als aus
dem bürokratischen Monster EU. In diesem Sinne gibt es gewisse Überschneidungen
dieser linken PopulistInnen mit ihren GegnerInnen, den rechten PopulistInnen.
Diese Anpassung an den populistischen Trend der bürgerlichen Klasse ist nicht
verwunderlich, da sowohl Mélenchon als auch die Europäische Linke bürgerliche
Politik innerhalb der ArbeiterInnenbewegung vertreten und sich als
„vernünftige“ Alternative für das jeweilige nationale Kapital verstehen.




Gewerkschaften

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 7, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Nicht nur die alten und
neuen reformistischen Parteien und die linken PopulistInnen haben es versäumt,
eine kämpferische Antwort auf die Krise zu geben. Auch die Gewerkschaften haben
dabei versagt, in den Abwehrkämpfen eine Führungsrolle zu übernehmen und sie
auf europäischer Ebene zu vereinen. Die Gewerkschafts- und
Betriebsorganisationen, wie die Europäischen Betriebsräte, sind nach wie vor
schwach und eng mit einem System der Klassenzusammenarbeit verbunden, das sich
mehr oder weniger an dem deutschen Mitbestimmungssystem orientiert. In den
meisten Ländern sind die Gewerkschaften geschrumpft und auf bestimmte
Industriezweige oder den öffentlichen Sektor reduziert worden. Nur noch
kleinere Teile der Volkswirtschaften sind durch Tarifverträge abgedeckt.

In weiten Teilen Europas
haben Arbeitslosigkeit, Prekarität, die Abschaffung oder Kommerzialisierung
öffentlicher Dienstleistungen, Gesundheit, Bildung usw. zugenommen und haben
Frauen, Jugendliche und MigrantInnen besonders hart getroffen. Ganze Teile Ost-
und Südeuropas sind bereits verarmt.

Es ist eine
bürokratische, reformistische Utopie zu denken, dass all dies nur dann
aufgehalten werden könne, wenn man sich in „eigenen“ Land widersetzen würde.
Erfolgreicher Widerstand kann nicht ohne einen koordinierten europäischen
Gegenschlag erreicht werden, aber die Unorganisierten können nicht auf der
Grundlage von Sozialpartnerschaft und bürokratischer Routine organisiert
werden.

Die reformistischen und
bürokratischen Führungen und der gesamte bürokratische Apparat haben ihr
Schicksal schon lange mit einer Politik der systematischen
Klassenzusammenarbeit in den Betrieben und der Sozialpartnerschaft in der
Gesellschaft im Allgemeinen verknüpft. Die großen Gewerkschaften haben
Produktivitätsvereinbarungen mit den großen Monopolen ausgehandelt, um die
angeblich gemeinsamen Interessen „ihrer“ Unternehmen oder sogar der
ArbeiterInnen aus „ihrem Land“ gegen die anderer Länder innerhalb eines
multinationalen Unternehmens zu verteidigen. Die meisten Tarifverhandlungen  und Gewerkschaftskämpfe werden auf
nationaler Ebene geführt, obwohl sie innerhalb der EU und weltweit zunehmend
mit globalisierten Branchen zu tun haben.

Dieser national
ausgerichtete Charakter der Gewerkschaften drückt sich entweder in einer sozialchauvinistischen
Reformpolitik aus – Unterstützung von Einwanderungsbeschränkungen, die „unsere“
Lohnabhängigen an die erste Stelle setzen usw. – oder, noch schlimmer, in einer
Zunahme von rechten Kräften in Betrieben und manchmal auch in Gewerkschaften,
denn sie präsentieren sich als VerteidigerInnen des/r „nationalen ArbeiterIn“.
Die Krise der Gewerkschaften kann jedoch überwunden werden, wenn wir das
Positive an den Kämpfen der letzten Jahre verallgemeinern und ausbauen und
einen systematischen Kampf für eine internationalistische Klassenpolitik in den
Gewerkschaften führen.

An dieser Stelle sollten
wir uns daran erinnern, dass es bereits europäische Kämpfe gegeben hat, die
neoliberale Reformen zurückgewiesen haben, wie die Kämpfe der Transport- und HafenarbeiterInnen
gegen die so genannten „Bolkestein“-Richtlinien. Dort erhob sich die
ArbeiterInnenklasse gegen die EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg und
konnte die Angriffe zunächst abwehren. In einigen Häfen gibt es Tarifverträge,
die über die nationalen Grenzen hinaus gelten.

Jeden Tag arbeiten
Hunderte von Millionen Menschen auf diesem Kontinent. Sie sind es, die den
größten Binnenmarkt, einen großen öffentlichen Dienst und eine Großindustrie
unterhalten, nicht die neoliberalen BürokratInnen aus Brüssel oder die Bosse
der großen Produktionsketten. Dies eröffnet enorme Möglichkeiten für Aktionen
der ArbeiterInnenklasse. Das Beispiel von Audi Ungarn zeigt dies. Nach einer
Woche Streik in Györ waren auch andere Werke des VW/Audi-Konzerns betroffen. In
Bratislava und Leipzig kam es zu Produktionsausfällen. Die ArbeiterInnen von
Györ setzten ihre Forderung, eine Lohnerhöhung von 16 Prozent, durch trotz der
Einführung der Sklavengesetze in Ungarn. Solche Arbeitskampfmaßnahmen könnten
dazu erfolgreich beitragen Massenentlassungen in der nächsten Krise abzuwehren.

All dies zeigt den Weg
vorwärts, einen Weg, auf den die Dynamik des Klassenkampfes selbst hinweist.
Die ArbeiterInnenbewegung leidet jedoch unter dem Mangel an Internationalismus
und revolutionärer Ausrichtung. Dies zeigt sich auch bei den Protesten und
Massenmobilisierungen gegen dauernden Angriffe. Wenn die ArbeiterInnenklasse
und ihre Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, die Kämpfe im
Betrieb und auf der Straße zu führen, werden dies andere Klassen, andere Kräfte
tun. Wir konnten dies bei Bewegungen wie den Indignados (Bewegung 15 M) in
Spanien sehen, die Podemos hervorbrachten, oder in einer noch beunruhigenderen
Version bei den Gilets Jaunes (Gelbwesten) in Frankreich, die einen
populistischen, kleinbürgerlichen Charakter haben, wo rechte und linke
PopulistInnen um die Führung wetteifern.

Wir können das auch bei
den antirassistischen Kämpfen, in der Umweltbewegung oder am Aufstieg der
linken nationalistischen Bewegungen wie in Katalonien beobachten. In diesen
Fällen übernehmen grüne Parteien, nationalistische Kräfte oder NGOs
(Nichtregierungsorganisationen) die Führung und beeinflussen die Bewegungen,
wenn die ArbeiterInnenklasse nicht eine Politik betreibt, die sich aktiv gegen alle
Formen von Unterdrückung richtet. In Osteuropa, Irland und Spanien haben die
massiven Angriffe auf die Rechte der Frauen Hunderttausende auf die Straße
gebracht. Viele Frauen haben sich zusammengeschlossen, aber meist unter der
Führung liberaler bürgerlicher oder reformistischer Kräfte, was die Dimension
ihrer Aktionen einschränkt.




Neue revolutionäre Parteien und die Internationale

Die Krise der Europäischen Union, Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 8, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Trotz des Aufstiegs der
extremen Rechten und der reaktionären Kräfte im Allgemeinen mangelt es nicht an
Kämpfen von Menschen, die sich der Sparpolitik ebenso widersetzen wie der
Zerstörung des  „Sozialstaates“,
der Bildung, den öffentlichen Diensten, dem Abstempeln der EinwanderInnen zu
Sündenböcken und dem Weg in die Klimakatastrophe. Die existenzielle Krise der
EU, der Anschlag auf die demokratischen Rechte in den Mitgliedsstaaten, hat
ArbeiterInnen, Jugendliche und unterdrückte Minderheiten immer wieder zu
Hunderttausenden, ja Millionen auf die Straße getrieben. Die nächste Rezession
und die Verschärfung der innerimperialistischen Rivalitäten sowohl in
wirtschaftlicher als auch in militärischer Hinsicht werden dies noch
verstärken. Dies stellt eine historische Herausforderung für die europäischen
ArbeiterInnenbewegungen dar. Heute ist nicht die Zeit, in der der Kapitalismus
große Reformen zulassen kann, außer er wird durch offen revolutionäre Kämpfe
dazu gezwungen.

Die derzeitigen Führungen
der Gewerkschaften und reformistischen Parteien, rechter wie linker, aber auch
der „linken“ PopulistInnen, haben zweifellos ihre Unfähigkeit bewiesen, dieser
Herausforderung zu begegnen. Es muss eine europaweite revolutionäre Alternative
geschaffen werden von neuen revolutionären Massenparteien, die in einer
Internationalen vereint sind, die Kräfte aus den Gewerkschaften, in den
Betrieben und sozialen Bewegungen sammeln. Natürlich kann ein solcher Prozess
nicht ohne den Versuch stattfinden, die antikapitalistischen und
internationalistischen KämpferInnen in den bestehenden reformistischen Parteien
für sich zu gewinnen. Eine solche Partei braucht Einheit im Handeln und damit
ein Aktionsprogramm, das die Kämpfe des Tages mit dem Kampf um die Vereinigten
Sozialistischen Staaten von Europa verbindet.

Der Aufbau neuer Parteien
und einer neuen, Fünften, Internationalen, ist eine dringende Frage des Tages,
denn wir brauchen eine politische Kraft, um die verschiedene Kämpfe zu vereinen,
um für ein klares politisches Programm und eine klare politische Richtung zu
kämpfen, den Reformismus, den linken Populismus, die kleinbürgerliche Politik
und den Zugriff der Bürokratie auf die Gewerkschaften herauszufordern.

Wir brauchen eine revolutionäre
Organisation, die sich für ein Programm des Klassenkampfes in allen
entstehenden Bewegungen einsetzt, in allen Formationen des Widerstands gegen
die Angriffe der Bosse, gegen die Angriffe auf demokratische Rechte, gegen
Rassismus, Krieg, Militarismus und Klimawandel. Ein solches Programm muss in
die Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse und insbesondere in die
Gewerkschaften und Betriebe eingebracht werden.

Ein wesentlicher
Bestandteil einer solchen Politik muss die Forderung nach Aktionskonferenzen
der ArbeiterInnenbewegung und der Unterdrückten auf allen Ebenen sein; in den
Betrieben, in den Gewerkschaften, an den Universitäten und Schulen, in den
Stadtvierteln, auf lokaler, regionaler, nationaler und europaweiter Ebene. Auf
solchen Konferenzen muss ein internationales Vorgehen ausgearbeitet und
vereinbart werden. Sie müssen Entscheidungen treffen, die zu gemeinsamen
Massenaktionen führen, wie die Anti-Kriegs-Mobilisierungen des Europäischen
Sozialforums zu Beginn des Jahrhunderts.

Die Notwendigkeit eines
europaweiten Kampfes gegen das Wachstum der Rechten, gegen die Sparmaßnahmen
und die Militarisierung muss in die Strukturen der ArbeiterInnenbewegung
getragen werden. Das ist die Perspektive für 2019, unabhängig von den
Ergebnissen der EU-Wahlen. Die Rechte ist weiter in der Offensive, und die
Linke und die ArbeiterInnenklasse müssen die Führung beim wachsenden Widerstand
übernehmen. Deshalb rufen wir alle RevolutionärInnen und AntikapitalistInnen
auf, sich in dieser Aufgabe zu vereinen und präsentieren dieses Programm als
Beitrag zur notwendigen Diskussion, um den Widerstand zu schmieden, der nicht
nur die Offensive der Rechten besiegen, sondern auch zur sozialistischen
Transformation Europas übergehen kann.




Europäisches Aktionsprogramm

Die Krise der Europäischen Union, Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 9, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Gegen Arbeitslosigkeit
und prekäre Beschäftigung

  • Für Massenstreiks bis hin zu Generalstreiks, um zu verhindern, dass Unternehmen und Regierungen uns den Preis für ihre Krise durch Massenentlassungen zahlen lassen.
  • Gegen alle Ausgliederungen und das Verdrängen von Vollzeitstellen durch Subunternehmen und Leiharbeit. Keine Lohnkürzung durch Kurzarbeit oder erzwungene Teilzeit!
  • Für ein massives Sofortprogramm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten zur Schaffung von Vollbeschäftigung, Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur und zur Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt. Die EinwohnerInnen der ArbeiterInnenbezirke, die mit akutem Mangel an sozialem Wohnraum, mit baufälligem Wohnungsbestand, heruntergekommenen Schulen, Mangel an Kindergärten, Arztpraxen und Kliniken konfrontiert sind, sollen eine Liste ihrer sozialen Forderungen erstellen, die ein solches Programm erfüllen soll.
  • Die öffentlichen Arbeiten sollen Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter ArbeiterInnenkontrolle sein. Die Pläne sollten von den Beschäftigten dieser Sektoren zusammen mit denen der Bau-, Rohstoff- und Zulieferindustrie ausgearbeitet werden. Demokratisch gewählte GewerkschaftsvertreterInnen sollten für die Aufnahme von Arbeitslosen oder SchulabgängerInnen in das Programm verantwortlich sein und gemeinsam einen existenzsichernden Lohn durchsetzen. Die Kosten müssen die Banken und Unternehmen, die die Krise verursacht haben, tragen. Das Programm muss durch eine massive Steuererhöhung auf Einkommen und Vermögen der Reichen finanziert werden.
  • In Betrieben, in denen die Bosse versuchen, einen Teil der Belegschaft zu entlassen, fordern wir eine gleitende Skala der Arbeitszeit (Verkürzung der Arbeitsdauer, angepasst an das Ziel Vollbeschäftigung): Die Arbeit soll auf alle aufgeteilt werden, ohne Lohnausfall.

Die Unternehmen nutzen
die Krise, um die Reallöhne zu senken und die prekären Arbeitsbedingungen
auszuweiten. Millionen wurden bereits in Armut und Unsicherheit getrieben, was
unsere kollektive Stärke untergrub. Davon werden in der nächsten Krise mehr
Menschen bedroht sein. Wir fordern:

  • Ein von der ArbeiterInnenbewegung jeweils national festgelegter Mindestlohn auf einem Niveau, das die LohnempfängerInnen vor Armut schützt und das über der europäischen Mindestlohngrenze liegt.
  • Eine gleitende Lohnskala (fortlaufende Anpassung an die Preise) zum Schutz des Lohns vor Inflation.
  • Die Gewerkschaften müssen einen grenzüberschreitenden Kampf beginnen, um das Lohnniveau in allen Ländern auf höherem Niveau anzugleichen. Das ist die Antwort der ArbeiterInnenklasse auf den „Wettlauf nach unten“: ein Wettlauf nach oben, der auf internationaler Solidarität basiert, und nicht Versuche, „ausländische“ Werktätige zu vertreiben oder StaatsbürgerInnen gegenüber MigrantInnen zu privilegieren.
  • Für eine 30-Stunden- und eine 4-Tage-Woche jetzt, als gesetzlich vorgeschriebenes Maximum ohne Lohnausfall.
  • Gegen alle Zwangsarbeitssysteme für Arbeitslose oder Regeln, nach denen niedrigere Löhne gezahlt werden können und die einen geringeren Rechtsschutz für dort Angestellte bieten. Echte Jobs für Arbeitslose, nicht Arbeitsmodelle, die arm machen.
  • Alle Beschäftigten in Leiharbeit, erzwungener Teilzeit, Werksverträgen und auslernende Auszubildende sollen einen unbefristeten Vertrag zu vollen Tarifbedingungen erhalten.
  • Für die Verstaatlichung bankrotter Unternehmen statt staatlicher Rettungsaktionen. Anstelle der Billionen-Euro-Beihilfen für Banken und Unternehmen sollten die Banken, die Großkonzerne und alle Unternehmen, die Entlassungen ankündigen, ohne Entschädigung und unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Vom heutigen Kampf der
Frauen bis zur vollständigen Befreiung

Das Patriarchat und die
Dominanz der Männer im politischen, wirtschaftlichen, familiären und privaten
Leben macht Männer, einschließlich derjenigen der ausgebeuteten Klassen, zu
Begünstigten und Agenten der Frauenunterdrückung. Männlicher Sexismus ist
jedoch gleichzeitig den Interessen der Männer der ArbeiterInnenklasse
abträglich und behindert den täglichen Klassenkampf und das Ziel des
Sozialismus. Es kann keinen Sozialismus ohne Frauenbefreiung geben.

Zugleich wird nur die
Abschaffung des Kapitalismus, der letzten Form der Klassengesellschaft, die
Frauen endlich befreien. Diese gemeinsame Aufgabe ist die der gesamten
ArbeiterInnenklasse und all jener, die sich aus anderen Klassen für ihre Sache
einsetzen. Deshalb können wir den Ausschluss von Frauen, auch durch Passivität
und Ignoranz, von jedem Aspekt des Klassenkampfes nicht tolerieren. Heute
müssen und können wir, als Frauen und Männer gemeinsam, Millionen Menschen im
Kampf gegen die vielen Formen der Frauenunterdrückung, in Staat, Wirtschaft und
in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse mobilisieren.

In den letzten zehn
Jahren haben die Regierungen den Bankiers riesige Subventionen verschafft und
dann massive Kürzungen bei den sozialen Leitungen vorgenommen. Diese trafen die
Arbeiterinnen doppelt hart: erstens als Mehrheit der Beschäftigten in Bildung
und Erziehung von Kindern,  in der
Betreuung von Kleinkindern, Kranken und Älteren; zweitens in der Familie, wo
sie die unbezahlte Arbeit der Betreuung von Menschen übernehmen müssen, deren
Pflege der Staat aufgegeben hat.

Millionen von Frauen in
Europa wird nach wie vor die Möglichkeit einer gut bezahlten Lohnarbeit
verwehrt. Diejenigen, die in die Arbeitswelt eintreten können, werden oft in
die am schlechtesten bezahlten Berufe gezwungen und leiden weiterhin unter
Diskriminierung bei der Bezahlung, wobei sie oft wesentlich weniger für genau
die gleiche Arbeit verdienen als Männer. Arbeitsunterbrechungen durch
Schwangerschaften und Kinderbetreuung in den ersten Jahren werden genutzt, um
Löhne, Gehälter und Renten von Frauen zu drücken.

In jeder Rezession und
Krise erhöhen Armut und die Verzweiflung über Massenarbeitslosigkeit den
körperlichen und geistigen Missbrauch von Frauen, einschließlich Vergewaltigung
und häuslicher Gewalt. Auch hier sind die Mittel zur Bewältigung dieser
Probleme, wie z. B. Frauenhäuser, Opfer von Sparmaßnahmen geworden. Aber mit
zunehmender Unterdrückung wächst auch der Widerstand der Frauen. Die
#Me-Too-Bewegung in den USA verbreitete sich weltweit, auch in Europa, und
machte das allgegenwärtige Ausmaß der sexuellen Belästigung deutlich, unter der
Frauen am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben leiden. Wichtige Teile der
vermeintlich revolutionären Linken haben sich als davon nicht immun erwiesen,
bei all ihren Bekundungen zur Unterstützung des Feminismus und der Frauenbefreiung.

Frauen der
ArbeiterInnenklasse sind nicht nur mit einer Verschlechterung ihrer
Lebensbedingungen konfrontiert, sondern auch mit einer Propagandaoffensive der
Rechten, die verkünden, dass der Platz einer „Frau im Haus“ sei. Dies geht Hand
in Hand mit Maßnahmen zur Einschränkung der reproduktiven Rechte von Frauen. In
einigen Staaten der Europäischen Union, wie Polen, wo die Kirche noch immer
einen enormen Einfluss auf Bildung und Gesundheit hat, sind Abtreibungen für
die überwiegende Mehrheit der Frauen schwierig bis unmöglich.

Der erdrutschartige Sieg
des irischen Referendums (zur Abtreibung) im Mai 2018 und Polens „Schwarzer
Montag“, die Mobilisierungen von Frauen im Jahr 2016, zeigen jedoch, dass
Massenkampagnen sich der tief verwurzelten Macht der Kirchen und anderer
ReaktionärInnen widersetzen und sie sogar brechen können.

Die Wahl von Donald
Trump, berüchtigt wegen seiner Frauenfeindlichkeit und seiner Übergriffe, und
Jair Bolsonaro zum Präsident Brasiliens hat ReaktionärInnen in ganz Europa ermutigt.
Die Welle des Massenwiderstandes in Nord- und Südamerika hat jedoch die Idee
und Praxis gleichzeitiger globaler Mobilisierungen wie den Internationalen
Frauenstreik gefördert.

  • Verteidigt das Recht der Frauen auf Arbeit!
  • Verteidigung der sozialen Leistungen gegen Kürzungen in Kindergärten und bei der Kinderbetreuung und Kampf gegen die Schließung von Zufluchtsorten vor Vergewaltigung und häuslicher Gewalt. Für eine angemessene Unterstützung für die Pflege älterer und gebrechlicher Menschen im Haushalt!
  • Wiederverstaatlichung privatisierter Dienstleistungen, einschließlich kostenloser Kinderbetreuung, Zugang zu Gesundheit und Bildung für alle unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für volle Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen, mit erhöhtem Mutterschafts- (oder Vaterschafts-) Urlaub ohne Verlust von Lohnerhöhungen oder Rentenansprüchen!
  • In jedem europäischen Land fordern wir den uneingeschränkten Zugang aller Frauen zu freier Empfängnisverhütung und Abtreibung auf Verlangen. Der Ausschluss des Einflusses der Kirche auf diese Sphären bleibt in vielen Ländern eine wesentliche demokratische Forderung, ebenso wie die kollektive Kontrolle über die Einrichtungen zur Geburtenkontrolle durch ihre Nutzerinnen und die ArbeiterInnenorganisationen.
  • Verteidigung, Wiederherstellung und Ausbau der Sozialdienste und -leistungen, keine Rückkehr in die häusliche Isolation!
  • Für eine Massenmobilisierung unter dem Motto: Die Frauen werden für die soziale Krise des Kapitalismus nicht bezahlen!
  • Eine radikale Veränderung der Art und Weise, wie das Polizei- und Justizsystem mit Opfern von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt umgeht, bei der nicht die Betroffenen vor Gericht stehen, sondern die Täter.
  • Eine Kampagne, um die Anstachelung von Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu stoppen. Öffentliches Anprangern von allen Formen der Erniedrigung, die von der Millionärspresse oder den Social- und Online-Medien kommen.
  • Ausweitung der Frauenausschüsse in den Gewerkschaften und Parteien der ArbeiterInnenklasse sowie Stärkung derer Rechte. Durchsetzung der gleichberechtigten Beteiligung von Frauen an der Führung. Bekämpfung sexistischer Praktiken und jedes Missbrauchs.
  • Unser Ziel, untrennbar mit dem Sturz der kapitalistischen Herrschaft verbunden, ist die vollständige Vergesellschaftung von Kinderbetreuung und Hausarbeit, die volle Gleichstellung der Geschlechter und das Absterben auch der letzten Spuren des Patriarchats.

Jugendliche an der Spitze
der Kämpfe

Die Wurzel der
Unterdrückung der Jugend liegt in der Familie. In der bürgerlichen Familie ist
das Kind fast völlig rechtlos und dem Diktat der Eltern unterworfen, eine
Situation, die die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern vergiftet.
Jugendliche, die ihre eigenen persönlichen und sexuellen Beziehungen aufbauen,
ihre eigenen Interessen verfolgen und irgendwann ihr eigenes Leben gestalten
wollen, müssen die Autorität von Eltern, Schule und Polizei in Frage stellen.

Infolgedessen stehen
junge Menschen an vorderster Front im Kampf um die Freiheit, und die ersten Jahrzehnte
des neuen Jahrtausends haben viele eindrucksvolle Beispiele dafür erlebt. Sie
bildeten die Massenbasis der antikapitalistischen und Antikriegsbewegungen in
den frühen 2000er Jahren. Der Selbstmord eines jungen tunesischen
Straßenhändlers, der gegen Erpressung und Schikanen der Polizei protestierte,
löste 2010/2011 eine Revolution aus, die den autoritären Führer des Landes
vertrieb und den Arabischen Frühling in Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und
Syrien einleitete. Mit Hilfe der so genannten sozialen Medien organisierten
Jugendliche eine Welle von Straßenmobilisierungen und Platzbesetzungen, die
sich auf Europa und Nordamerika ausbreitete.

Die Besetzung des
Tahrir-Platzes in Kairo wurde von 2010 bis 2015 von den Indignados in Spanien
und in Italien, Portugal und Griechenland kopiert. Im Jahr 2010 motivierten
Kürzungen in der Bildung als Teil der neoliberalen kapitalistischen
Sparmaßnahmen Universitäts- und CollegestudentInnen, das Parlament in
Großbritannien zu belagern. In vielen Generalstreiks standen junge Menschen an
vorderster Front, um sich den Sparpaketen zu widersetzen, die in der Spitze
dazu führten, dass die Jugendarbeitslosigkeit fast 50 Prozent betrug.

Im Jahr 2018
organisierten junge PalästinenserInnen den Rückkehrmarsch in Gaza, bei dem 200
unbewaffnete DemonstrantInnen von israelischen ScharfschützInnen erschossen
wurden. Schulstreiks, die von der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin
Greta Thunberg initiiert wurden, lösten 2019 in Deutschland und Großbritannien
direkte Massenaktionen und eine sich weltweit ausbreitende Bewegung aus. Im
Jahr 2019 kam es auch zu Massendemonstrationen junger Menschen in Algerien, die
die 20-jährige Herrschaft von Abd al-Aziz Bouteflika beendeten, gefolgt von
einem Massenaufstand im Sudan, bei dem sich junge Menschen, Frauen und
GewerkschafterInnen zusammenschlossen, um das Ende des gesamten
militärisch-bürokratischen Regimes zu fordern.

Fast ein Jahrzehnt nach
der großen Krise ist die Arbeitslosigkeit, trotz der anhaltenden
wirtschaftlichen Erholung, für die 15- bis 24-Jährigen hoch: in Griechenland
39,9 Prozent, in Italien 32,2 Prozent, in Spanien 34,4 Prozent und  in Frankreich 20,8 Prozent.

Die Mehrheit der
Erwerbstätigen ist in prekären Arbeitsverhältnissen tätig, mit befristeten
Verträgen, Null-Stunden oder erzwungenen Teilzeitverträgen, und mit einem
deutlich schwächeren rechtlichen Schutz als andere Beschäftigte. Firmen wie
Amazon, Deliveroo und Uber beuten junge ArbeiterInnen übermäßig aus. Staatliche
Ausbildungsprogramme zahlen Hungerlöhne und garantieren am Ende keinen
Arbeitsplatz. Auf der Straße werden junge Menschen von der Polizei aufgegriffen
und belästigt.

In den Schulen werden die
Ungleichheiten und Machtstrukturen der Gesellschaft reproduziert und
gerechtfertigt, denn dieses „Lernen fürs Leben“ bedeutet im Kapitalismus,
jungen Menschen das Recht auf Teilnahme an der Entscheidungsfindung zu
verweigern und sie einer willkürlichen Disziplin zu unterwerfen.

Wir sind gegen jede
religiöse oder private Kontrolle des Schulwesens und kämpfen für eine säkulare,
staatlich finanzierte Bildung. Die Lehrpläne sollen von den LehrerInnen, Eltern
und SchülerInnen selbst festgelegt und die Schulen demokratisch verwaltet
werden. Junge Frauen müssen Zugang zur Geburtenkontrolle und das Recht haben,
unerwünschte Schwangerschaften abzubrechen. Wir brauchen Jugend-, Sport-
und  Kulturzentren und den Zugang
zu angemessenen Wohnungen, die vom Staat finanziert werden und unter der
demokratischen Kontrolle der NutzerInnen und der dort beschäftigten
ArbeiterInnen stehen.

  • Kostenlose Bildung für alle, Stipendium, Abschaffung der Studierendendarlehen für einheimische und ausländische Studierende.
  • Ein Ende jeder Trennung und Diskriminierung in der Schule aufgrund von Geschlecht, Rasse oder Religion! Nein zu religiösen Schulen! Für Bildung, keine Indoktrination!
  • Verstaatlichung aller Privatschulen ohne Entschädigung, werft die ProfiteurInnen raus!
  • Demokratisierung der Schulen, Hochschulen und Universitäten unter Beteiligung von SchülerInnen-, Studierenden-, Eltern-, LehrerInnen- und Hilfskräftekomitees zur Planung von Bildung und Verwaltung! Für SchülerInnen- und Studierendengewerkschaften in Schulen und Hochschulen!
  • Sozialzentren für junge Menschen unter der demokratischen Kontrolle derjenigen, die sie nutzen und in ihnen arbeiten!
  • Für einen Lebensunterhalt, Verpflegung und Unterkunft für alle SchülerInnen und Studierenden.

Die demokratischen Rechte
junger Menschen müssen gestärkt werden, mit dem Recht, mit 16 oder früher zu
wählen, wenn sie arbeiten. Diejenigen, die alt genug sind, um zu arbeiten, sind
alt genug, um zu wählen! Keine Zwangsrekrutierung junger Menschen in
kapitalistische Armeen, aber die Ausbildung im Umgang mit Waffen soll für alle
zugänglich sein.

  • Nulltoleranz gegenüber Kindes-, sexuellem oder körperlichem Missbrauch, harte Strafen für Prügel und Grausamkeiten! Abschaffung der Gesetze gegen einvernehmlichen Sex zwischen jungen Menschen!
  • Sexualaufklärung im Kampf gegen Frauenfeindlichkeit, Lesben-/Schwulenhass und Transphobie!
  • Volle StaatsbürgerInnenschaftsrechte mit 16 Jahren, einschließlich des Wahlrechts!
  • Für das Recht auf Arbeit! Schafft Arbeitsplätze, indem die Stunden verkürzt werden, mit vollem Lohnausgleich!

Wo immer reformistische
ParlamentarierInnen oder GewerkschaftsfunktionärInnen es für notwendig halten,
junge Menschen zu organisieren, in angegliederten Jugendorganisationen oder
-bewegungen, versuchen sie immer zu verhindern, dass sie ihre eigenen
Forderungen äußern. Aufgrund der spezifischen Situation der Jugendlichen und
des Charakters ihrer Unterdrückung wird eine wirklich revolutionäre Partei die
Jugendorganisation niemals als untergeordnete Jugend-Abteilung unter der
Vormundschaft erwachsener „FührerInnen“ behandeln. Stattdessen muss sie sich
für die organisatorische und politische Unabhängigkeit der Jugendbewegung
einsetzen, die in der Lage ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ihre
eigene Tätigkeit zu bestimmen, über ihre eigene Politik zu diskutieren und
entscheiden und gegebenenfalls die „erwachsene“ Partei zu kritisieren, die
wiederum das Recht hat, sie zu kritisieren. Nur so können junge Menschen sowohl
aus ihren Fehlern als auch aus ihren Erfolgen lernen.

Kämpfe für Umwelt,
Ressourcen, Nahrung und Klima!

Der Kapitalismus selbst
hat jene Sitation geschafffen, die zu einer globalen Umweltkatastrophe zu
führen droht. Die Wiederbelebung der akuten inter-imperialistischen Rivalität,
der verschärfte Wettbewerb und die 
Handelskriege machen praktisch unmöglich, dass die kapitalistischen
Staaten in der aktuellen Periode die Gefahr einer globalen Klimakatastrophe
angehen oder gar lösen können. Um unsere natürliche Umwelt vor Verschmutzung,
Überschwemmungen, Waldbränden, Wüstenbildung, Hungersnöten und dem Verlust der
biologischen Vielfalt zu schützen, muss die Produktion von der Geißel des
Profits und der Anarchie des Marktes befreit werden. An ihrer Stelle muss eine
nachhaltige Produktion von Energie, Nahrung, Rohstoffen und Verkehr auf
lokaler, regionaler und internationaler Ebene geplant werden.

Ohne schnelles und
entschlossenes Handeln wird der Klimawandel die Reproduktion der Menschheit
selbst gefährden. Während sich die europäischen herrschenden Klassen als „grün“
präsentieren und empört sind über Trump und seinen Ausstieg aus den „Pariser
Klimaabkommen“, wollen sie selbst nur, dass andere für ihr Versagen bei der
Bewältigung der aktuellen Krise bezahlen. Sie verteidigen nicht die Umwelt und
die Zukunft der Menschheit, sondern die Gewinne der Großindustrie, der Monopole
im Automobil-, Öl-, Transport- und Energiesektor. Während sie gegenüber den von
Katastrophen, Überschwemmungen, Wüsten und Wasserknappheit bedrohten
halbkolonialen Ländern Lippenbekenntnisse ablegen, wollen sie eigentlich die
Kosten des Klimawandels auf die Armen, die ausgebeuteten Länder, die
Bauern-/Bäuerinnenschaft und die ArbeiterInnenklasse abwälzen.

Gleichzeitig beginnen
Millionen von Menschen zu erkennen, dass wir einen Systemwechsel brauchen, um
den Klimawandel zu stoppen. Die grünen, bürgerlichen, kleinbürgerlichen
und  reformistischen FührerInnen der
Bewegung verstehen jedoch nicht den Charakter des Systems, des Kapitalismus,
und damit des Mittels, ihn zu stürzen, den Klassenkampf. Um die Umweltfrage
anzugehen, sind sofortige und entschlossene Maßnahmen auf nationaler,
europäischer und globaler Ebene erforderlich.

  • Schnellstmöglicher, geplanter Ausstieg aus nuklearen und fossilen Brennstoffen in der Energieerzeugung; für massive Investitionen in erneuerbare Energien, um die Probleme der Energiespeicherung zu lösen!
  • Für massive Investitionen in ein öffentliches Verkehrssystem auf europäischer Ebene, um den Individualverkehr zu ersetzen und gleichzeitig die Verkehrssysteme in den Gemeinden, in der Stadt und auf dem Land, auf nationaler und europäischer Ebene zu erhalten und zu verbessern!
  • Verstaatlichung ohne Entschädigung aller großen Monopole im Energie- und Verkehrssektor. Verstaatlichung der Forschung und ihre Neuausrichtung auf die Bedürfnisse der Massen und eine nachhaltige Umwelt!
  • Ein Investitionsplan für die Umweltreparatur, Energieeinsparung in Wohnen und Produktion.
  • Lasst die KapitalistInnen für den ökologischen Wandel bezahlen! Keine „grünen“ indirekten Massensteuern, sondern eine massive Besteuerung von Gewinnen und Vermögen!

Verteidigt
gewerkschaftliche, bürgerliche und demokratische Rechte

Der Kampf gegen den
Terrorismus wurde als Vorwand benutzt, um unsere demokratischen Rechte
anzugreifen, einschließlich einer längeren Untersuchungs- oder Schutzhaft von
Verdächtigen („GefährderInnen“) ohne Beistand von AnwältInnen oder Erscheinen vor
HaftrichterInnen. Die polizeiliche Überwachung der Bevölkerung unter dem
Vorwand der Sicherheit wurde enorm verstärkt, da alle Formen der Kommunikation
jetzt offen für Spionage sind. Das Recht auf Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit wurde eingeschränkt, und die Polizeikräfte haben neue
Gesetze erhalten, um gegen protestierende ArbeiterInnen und migrantische
Bevölkerungsgruppen vorzugehen.

  • Aufhebung aller so genannten Anti-Terror-Gesetze und polizeilichen Befugnisse, um die rechtlichen Aktivitäten der BürgerInnen zu überwachen.
  • Keine Inhaftierung ohne Prozess.
  • In den meisten europäischen Ländern leiden die Gewerkschaften unter schweren rechtlichen Fesseln, die den Widerstand der ArbeiterInnen behindern. Schwerfällige Abstimmungssysteme, Abkühlungsfristen oder Zwangsschlichtungen verzögern eine sofortige Reaktion auf Arbeitsplatzabbau oder Massenentlassungen. Politische Streiks, d. h. Streiks gegen die Regierungspolitik, sind in den meisten Ländern verboten, und in Italien und Frankreich droht die Einführung von Streikverboten in „wesentlichen Diensten“.
  • Aufhebung aller Gesetze, die das Streik- und Organisationsrecht einschränken. Für das Streikrecht.
  • Gesetzlich durchsetzbares Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft: für die sofortige Wiedereingliederung und Entschädigung von ArbeiterInnen, die wegen der Ausübung dieses Rechts entlassen wurden.

Kampf dem Rassismus und Faschismus!

Das Wachstum der
Massenarbeitslosigkeit und der Verzicht auf Widerstand führen zu rassistischer
Sündenböckensuche in Gestalt von Minderheiten und zur Zunahme des Faschismus.
Gegen das Wachstum der rassistischen Rechten und der FaschistInnen! Kämpfen wir
für:

  • Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts der ArbeiterInnen, sich auf der Suche nach Arbeit durch Europa zu bewegen! Gegen alle Einreisekontrollen. Nieder mit dem Schengener Abkommen, mit Frontex und der EU-Polizei im Mittelmeerraum! Annullierung des Abkommens mit der Türkei, das Flüchtlinge davon abhalten soll, nach Europa zu kommen! Für volle StaatsbürgerInnenrechte für, einschließlich der gleichen Berechtigung auf Arbeit, des gleichen Aufenthaltsrechts, des gleichen Zugangs zu Sozialleistungen, der Gesundheitsversorgung, der Bildung, der vollen politischen Rechte, einschließlich des Wahlrechts! Für offene Grenzen: für das uneingeschränkte Recht auf politisches Asyl und auf Arbeit!
  • Massenaktionen, um die Verbreitung der Hass-Propaganda von FaschistInnen und rassistischen PopulistInnen zu unterbinden, und zur Bekämpfung und Beendigung gewalttätiger Angriffe auf MigrantInnen und ethnische Minderheiten. Die ArbeiterInnenbewegung sollte alle unterstützen, die sich gegen Pogrome, rassistische und faschistische Gewalt verteidigen, und die Führung bei der Organisation einer ArbeiterInnen- und Volksverteidigungsmiliz übernehmen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Polizeikräfte und Justizsysteme des kapitalistischen Staates dies tun, denn ihre oberste Priorität ist die Verteidigung der Klasseninteressen der Herrschenden.
  • Obwohl der Faschismus heute wächst, indem er sich als „respektable“ demokratische Partei ausgibt, greift er in vielen Ländern immer noch zu Straßenmärschen und gewalttätigen Provokationen, um MigrantInnen, Roma, Muslima/e, nationale Minderheiten, schwarze und asiatische Gemeinschaften und Juden/Jüdinnen einzuschüchtern. Dies sind zudem auch vorbereitende Manöver, um der KapitalistInnenklasse seine Fähigkeit zum Bürgerkrieg gegen die organisierte ArbeiterInnenklasse, seinen Nutzen beim Streikbruch und Einschüchtern der Linken zu zeigen, genau wie Mussolinis Schwarzhemden und die Nazi-SA in den 1920er und 30er Jahren. Das oberste Ziel des Faschismus ist die Atomisierung der ArbeiterInnenbewegung. Wir müssen jetzt für eine massenhaft vereinte Aktion der ArbeiterInnenklasse kämpfen, um die faschistischen Organisationen zu zerschlagen, bevor sie dazu umgekehrt in der Lage sind.
  • Gleichzeitig senden wir den Massen – entlassenen ArbeiterInnen, der Jugend ohne Arbeit, den Familien ohne Sozialwohnung – eine Botschaft des Kampfes, die sich nicht gegen Sündenböcke richtet, sondern gegen die wahren UrheberInnen ihrer Entbehrungen, die KapitalistInnen. Wir antworten auf die konterrevolutionäre Verzweiflung von Rassismus und Faschismus mit der revolutionären Hoffnung auf den Kampf für den Sozialismus.
  • Für gleiche Rechte bei der Verwendung von Sprachen: keine obligatorischen Amtssprachen. MigrantInnenkinder sollten, wo immer möglich, ihre Muttersprache in den Schulen verwenden und die Sprache des Gastlandes erlernen können. Der Unterricht in Schulen und Universitäten sollte in den Sprachen der in der Region lebenden Menschen erfolgen; ebenso sollten sie in den öffentlichen Institutionen ihre Sprache verwenden können. Für eine massive Einstellung von LehrerInnen und ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund und mit entsprechenden Sprachkenntnissen, um dies zu ermöglichen.
  • Für die Integration von MigrantInnen in die ArbeiterInnenbewegung, sowohl in Gewerkschaften als auch in politische Parteien, auf der Grundlage der Gleichberechtigung und in Kampagnen gegen ihre Unterdrückung und Ausbeutung. Für die Schaffung einer gemeinsamen Kampfkultur, die auf Internationalismus, Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und Solidarität beruht.

Nein zu einem
imperialistischen Superstaat!

Das Ende der Hegemonie
der Vereinigten Staaten als Weltwirtschaftsmacht sowie ihre Entschlossenheit,
keine echten Herausforderungen ihrer absoluten militärischen Dominanz durch
China und Russland zu dulden, hat zu einer zunehmenden Rivalität zwischen
Amerika, der Europäischen Union, Russland und China geführt. Die europäischen
ArbeiterInnen, die sich zwar gegen die von den USA geführten Aktionen wie die
Invasion und Besetzung Afghanistans und des Irak, ihre begrenzten
Interventionen in Syrien oder ihre Drohungen gegen den Iran stellen, dürfen
nicht in einen europäischen Patriotismus hineingezogen werden, in das Projekt
des Aufbaus eines vereinten europäischen imperialistischen Staates, mit seiner
eigenen Armee und seinem eigenen Projekt der Dominanz von Einflussbereichen in
der ganzen Welt.

Die Propaganda der EU
behauptet, dass eine solche neue europäische Supermacht eine friedlichere,
demokratischere oder „sozialere“ Weltmacht wäre als ihre RivalInnen. Das ist
eine völlige Täuschung, die SozialdemokratInnen, Labour, die Linksparteien und
die Gewerkschaften gemeinsam mit den Bossen verbreitet haben.

Ein europäischer
Superstaat wäre eine imperialistische Macht, die das Ziel der europäischen
KapitalistInnen zur Neuaufteilung der Märkte und Ressourcen der Welt verfolgt.
Eine solche Neuaufteilung mag mit einem verschärften Wettbewerb um den Handel
und gegenseitigen Vorwürfen des „Protektionismus“ beginnen, aber das zwanzigste
Jahrhundert hat gezeigt, wie dies endet – in ungemein zerstörerischen
Weltkriegen. Wir müssen unsere Ablehnung dieser schrecklichen Perspektive jetzt
beginnen, indem wir uns gegen die Schaffung einer Militärmacht der Europäischen
Union aussprechen, auch wenn sie bisher nur in embryonaler Form existiert.
Aktuell gibt es die unter dem NATO-Dach nach Afghanistan entsandten
Streitkräfte und die verschiedenen „humanitären Kräfte“, die für Interventionen
in Afrika aufgestellt wurden.

Die ArbeiterInnenbewegung
sollte sich ihnen allen widersetzen. Aber wir sollten uns auch gegen die
Ausweitung „unserer“ nationalen Streitkräfte und gegen die Rekrutierung von
Jugendlichen an Schulen wenden, unter denen, die eine allgemeine und berufliche
Bildung, Vollzeitarbeit suchen oder einfach nur die „Welt sehen wollen“. Kurz
gesagt, allen, denen diese Ziele im Alltag des Kapitalismus missgönnt werden.
Wir fordern den sofortigen Abzug aller im Ausland stationierten Streitkräfte
und aller Ausgaben für die imperialistischen Streitkräfte. Wir wiederholen den
alten sozialistischen Slogan, der immer noch ein Leitfaden dafür ist, wie man
auf Forderungen zur Verteidigung des kapitalistischen Vaterlandes reagieren
kann: keinen Cent, keine Person für die Verteidigung dieses Systems.

Wir unterstützen den
Widerstandskampf der Völker auf der ganzen Welt gegen die europäischen
Besatzungstruppen, zum Beispiel in Afghanistan und im Tschad. Die Niederlage
der EU-Truppen in diesen Ländern wäre ein Sieg für die ArbeiterInnen und
Volksmassen der Welt, ein Schlag gegen den Imperialismus. Wir fordern den
sofortigen Rückzug aller europäischen Truppen und die Schließung der
Militärbasen aller europäischen Mächte in Übersee.

  • Rückzug aller europäischen Streitkräfte aus Afghanistan und aus Mali zurück – Nato auflösen!

Transformation der
Wirtschaft

Die Berge von „toxischen“
Schulden, die von MilliardärInnen angesammelt wurden, dürfen nicht den
SteuerzahlerInnen der ArbeiterInnenklasse aufgehalst werden. Die Unternehmen,
die in Produktion und Verteilung operieren oder nützliche Dienstleistungen
erbringen, deren EigentümerInnen sie in den Ruin getrieben haben, müssen durch
die entschädigungslose Übernahme in Staatseigentum „gerettet“ werden. Ihre
Bilanzen müssen veröffentlicht, das Geschäftsgeheimnis gegenüber ArbeiterInnen
und VerbraucherInnen abgeschafft und die Buchführung, Bilanzen und
Unternehmenspläne vollständig offengelegt werden.

  • Nein zu den Bankenrettungsaktionen. Nein zu Rettungsaktionen der Industriemonopole auf der Grundlage von Rationalisierungen und Schließungen. Übernehmt alle Banken ohne Entschädigung und verschmelzt sie zu einer einzigen Staatsbank! Anstelle von Subventionen für Unternehmen fordern wir die entschädigungslose Enteignung der Großindustrie, der Kommunikationssysteme und der Medien, der industriellen Landwirtschaft und der Einzelhandelskonzerne. Die Rentenfonds der KleinsparerInnen und ArbeiterInnen sollten durch Staatsanleihen oder die Konsolidierung zu einem sicheren, lebensfähigen Einkommen über das staatliche Rentensystem gesichert werden.
  • Für einen europaweiten Produktionsplan, der auf einem System integrierter Pläne auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene basiert. Alles sollte demokratisch von ArbeiterInnen und VerbraucherInnen ausgearbeitet und beschlossen und unter der Leitung der ArbeiterInnen in Produktion und Vertrieb umgesetzt werden.
  • Ein Ende der geschäftlichen und bürokratischen Geheimhaltung. Die Banken hielten ihre dubiosen Geschäfte im Dunkeln und ruinierten viele ihrer KundInnen und KleinsparerInnen, aber dann ließen sie uns den Preis für die Rettungsaktion zahlen. Öffnet die Konten und die Bilanzen der Banken, Unternehmen, des Staates und der EU-BürokratInnen zur Einsichtnahme durch die ArbeiterInnen und die Öffentlichkeit!

Eine Planwirtschaft
könnte systematisch die Ungleichheiten in ganz Europa beseitigen, Ressourcen
und Reichtum transferieren, um das Niveau der Länder im Osten zu erhöhen, die
sich über Jahrzehnte in der Unterentwicklung befanden, und so den Boden
untergraben, auf dem Nationalismus und Reaktion gedeihen können.

Nein zur
imperialistischen EU! Für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa!

Selbst wenn die heutige
Europäische Union in der Lage wäre, große Schritte in Richtung eines föderalen
imperialistischen Superstaates zu verwirklichen, wäre dies kein Gewinn für die
ArbeiterInnen und Unterdrückten innerhalb Europas, geschweige denn für unsere
Klassenschwestern und -brüder außerhalb der Mauern der „Festung
Europa“.

Daher sollten sich die
Bewegungen der ArbeiterInnenklassen des Kontinents gegen die Europäische Union
als eine Vereinigung stellen, die versucht, den deutschen und französischen
Imperialismus in ihrem wirtschaftlichen Wettbewerb und ihrer militärischen
Schlagkraft gegenüber anderen imperialistischen Mächten, den USA, China,
Russland, Japan zu stärken – und somit und ihre Fähigkeit, die ArbeiterInnen
der ganzen Welt auszubeuten.

Wir stehen zu den Worten
des Kommunistischen Manifests, dass die ArbeiterInnenklasse kein Vaterland  hat und, wie wir hinzufügen können,
auch keinen Kontinent. Die Politik unserer Klasse muss konsequent international
ausgerichtet sein, auf weltweiter Ebene, sonst wird sie nichts anderes sein als
ein Werkzeug verschiedener Flügel ihrer AusbeuterInnen.

Gleichzeitig müssen wir
die Argumente jener „Anti-EuropäerInnen“ ablehnen, die sich aus
fremdenfeindlichen und nationalistischen Gründen gegen die EU stellen. Diese
Kräfte und ihre sozialchauvinistische Politik, die sich in den Gewerkschaften
und reformistischen Parteien widerspiegelt, stellen eine Sackgasse für die
ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten dar. Sie zielen darauf ab, unsere
Bewegung nach nationalen und rassischen Gesichtspunkten zu spalten und uns
„unseren“ nationalen HerrscherInnen unterzuordnen.

Obwohl wir für die
Verteidigung dieser wenigen fortschrittlichen Errungenschaften kämpfen, die
sich aus dem EU-Prozess ergeben haben, z. B. die Abschaffung der
Grenzkontrollen innerhalb der EU, sind wir gegen ihre Strukturen und ihre
Wirtschaftsagenda, die nun dazu genutzt werden, frühere Sozialreformen und in
früheren Perioden erworbene Arbeitsrechte abzubauen. Wir sind auch gegen die
Behinderung des Rechts auf Selbstbestimmung von Völkern wie den KatalanInnen
und IrInnen durch die EU gemeinsam mit den nationalen Regierungen. Für uns sind
die Grenzen der bestehenden Staaten nicht heilig und über den demokratischen
Wünschen der Nationen.

  • Nieder mit dem EU-Parlament, der EU-Kommission, dem Europäischen Gerichtshof! Abbau der europäischen Superstaatsstrukturen!
  • Nein zur Lissabon-Agenda und zum Bologna-Prozess, nein zu allem Neoliberalismus und der Mentalität des Dumpingwettlaufs der Europäischen Union!
  • Für die Wahl einer souveränen Europäischen verfassunggebenden Versammlung durch alle, die über 16 Jahre alt sind und ihren ständigen Wohnsitz in den teilnehmenden Staaten haben. Der EuGH und alle anderen Gerichte sollten durch gewählte Organe ersetzt werden.

Heute sollten wir für
Folgendes kämpfen.

  • Ein sofortiges Ende der Sparpolitik auf dem gesamten Kontinent und ein Kampf, um die Macht in die Hände von Regierungen der Werktätigen zu bringen. Der nächsten bevorstehenden kapitalistischen Krise darf nicht mit Sparpolitik, sondern muss mit der Sozialisierung aller Unternehmen begegnet werden, die Entlassungen verkünden oder Konkurs anmelden.
  • Gemeinsame Maßnahmen gegen Rationalisierung, Werksschließungen und Arbeitsplatzverluste, die von den großen Automobil- und Zulieferfabriken in ganz Europa geplant sind, darunter Ford, Jaguar Land Rover, Michelin und andere. Ziel ist es, die Automobil-, Bus- und Nutzfahrzeugindustrie zu sozialisieren und ihre Transformation auf einer umweltverträglichen Basis zu beginnen.
  • Wir brauchen mehr als die zaghaften Versprechen von Labour im Vereinigten Königreich, die InhaberInnen von Eisenbahnlizenzunternehmen nach Ablauf ihrer Verträge wieder zu verstaatlichen oder dafür Entschädigungen an GroßaktionärInnen zu zahlen! Kampf für ein verstaatlichtes paneuropäisches Eisenbahnnetz!
  • Sozialisiert die riesigen Stromkonzerne Enel, EDF, EON, Siemens, RWE, deren ArbeiterInnen einen massiven Wechsel von fossilen Brennstoffen und Kernspaltungsenergie zu erneuerbaren Energien planen können!
  • Erhöhung der Löhne und Verbesserung der Sozialsysteme des gesamten Kontinents auf das Niveau der besten Beispiele und Praktiken als Beginn einer weiteren Verbesserung!
  • Aufhebung des Vertrags von Lissabon und aller neoliberalen Politiken, die die Erhaltung und Ausweitung des öffentlichen Eigentums an Industrien, Verkehr, Sozialdiensten und Versorgungseinrichtungen behindern! Ersatz der „Entsenderichtlinie“ und der Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Laval, Viking und Rueffert (Angriff auf das Streikrecht und europaweite Nivellierung der industriellen Beziehungen) nicht, um „ausländische“ Beschäftigte auszuschließen, sondern um sicherzustellen, dass sie für die gleichen Löhne, den gleichen Zugang zu sozialen Dienstleistungen und mit den gleichen gewerkschaftlichen Rechten beschäftigt sind wie Beschäftigte in den Aufnahmeländern!
  • Der Euro muss unter die Kontrolle eines europaweiten, von den Arbeitenden kontrollierten staatlichen Bankensystems gebracht werden, das dabei HSBC, BNP Paribas, Deutsche Bank, Santander usw. vergesellschaftet. Dieses System wäre eine wesentliche Grundlage für die Schaffung eines europaweiten Planungssystems, dessen Ziele wären:
  • i)     Entwicklung sozialer Gleichheit durch Anhebung der Bildungs-, Sozial- und Beschäftigungsniveaus sowie durch Überwindung der nationalen und regionalen Ungleichheiten, die die europäischen Staaten plagen. Beseitigung der Ungleichheiten zwischen Stadt und Land!
  • ii)    Bekämpfung der globalen Erwärmung und Wiederherstellung der Umwelt, die durch die gedankenlose Plünderung der Natur durch das Kapital verwüstet wird!
  • (iii) Um dies zu erreichen, bedarf es der Kontrolle durch die Bankangestellten, als Voraussetzung für die demokratische Verwaltung durch die Werktätigen.
  • Brecht die Mauern der Festung Europa und  reißt die Stacheldrahtzäune  zwischen den Staaten nieder! Öffnet die Grenzen für Flüchtlinge und Arbeitssuchende! Volle StaatsbürgerInnenschaft und soziale Rechte für diejenigen, die bleiben wollen!
  • Rückzug der europäischen Streitkräfte aus den von ihnen besetzten Ländern in Asien und Afrika! Unterstützung des Widerstandskampfs der Völker auf der ganzen Welt gegen den Imperialismus. Wir fordern die sofortige Schließung der Militärbasen aller europäischen Mächte in Übersee und die Auflösung der NATO. Keinen Cent für die Verteidigung kapitalistischer Vaterländer. Ersetzung der stehenden Armeen durch Milizen der Werktätigen.
  • Die Organisationen, die wir brauchen, um uns heute gegen Sparmaßnahmen und Kürzungen zu wehren, können morgen zu den Instrumenten unserer Herrschaft werden. Gemeinsame Komitees und branchenübergreifende Koordinationen von ArbeiterInnen und Jugendlichen in jeder Stadt und Gemeinde, die mit Selbstverteidigungsgruppen gegen Angriffe der Polizei und der FaschistInnen verbunden sind, können zu mächtigen Räten aus ArbeiterInnendelegierten werden, die in der Lage sind, die Gesellschaft zu regieren, wie es die Sowjets im revolutionären Russland 1917 taten. Die organisierte Selbstverteidigung, die die ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen polizeiliche Repression und faschistische Angriffe aufbauen müssen, kann zum Instrument werden, um den kapitalistischen Staat zu bekämpfen und zu überwinden.
  • Nur ArbeiterInnenregierungen, die auf den Organisationen der Klasse basieren, können die Macht der KapitalistInnen brechen und systematisch ihr Eigentum übernehmen und eine sozialistische Planwirtschaft aufbauen.

ArbeiterInnenregierungen und die europäische Revolution

Ein vereinter
Klassenkampf in Europa oder in bedeutenden Ländern wird schnell die Frage nach
der politischen Macht aufwerfen, die Frage, welche Klasse in einem bestimmten
Land oder auf dem Kontinent insgesamt herrscht. Die derzeitige Krise Europas
kann nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Jede wichtige Frage wird die
Notwendigkeit einer Transformation des gesamten Kontinents aufwerfen.

Eine sozialistische
Föderation in Europa, die „Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“,
sind die Lösung für die drängenden Probleme künftiger Generationen. Wenn wir Rechtsruck,
Rassismus, Nationalismus und Faschismus bekämpfen wollen, brauchen wir eine
internationalistische und antikapitalistische Alternative zur derzeitigen EU.

Jede große politische
Krise in der EU, ihre langfristige Stagnation und eine bevorstehende Wirtschaftskrise
betreffen die ArbeiterInnenklasse des gesamten Kontinents ebenso wie die
Kleinbauern/-bäuerinnen und die untere Mittelschicht. Die Angriffe seitens der
KapitalistInnen und bürgerlichen Regierungen wiederum erzeugen große soziale
Widerstandsbewegungen und weisen auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen
Gegenwehr hin.

Natürlich entwickeln sich
solche Kämpfe ungleichmäßig, und vorrevolutionäre oder revolutionäre
Situationen werden nicht in allen Ländern gleichzeitig auftreten. Daher muss
der Kampf für eine sozialistische Revolution in Europa Hand in Hand gehen mit
dem für den Sturz des Kapitalismus und die Schaffung von ArbeiterInnen- und
BäuernInnenregierungen, wo immer sich dazu die Möglichkeit ergibt.

So wie der Slogan für die
Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa einen Übergangscharakter trägt,
so auch die Forderung nach ArbeiterInnenregierungen oder Regierungen der
ArbeiterInnen und  BäuerInnen in
einzelnen Ländern. Unter solchen Regierungen verstehen wir nicht „linke“
sozialdemokratische oder Labour-Regierungen, geschweige denn solche in
Koalition mit den offenen bürgerlichen Parteien, wie die Syriza-ANEL-Regierung
in Griechenland. Sie haben nicht wirklich mit der KapitalistInnenklasse
gebrochen und operieren immer noch in der Zwangsjacke der bürgerlichen
Staatsmaschine. Wir fordern sie auf, diesen Bruch zu vollziehen. Unter
Bedingungen des massenhaften Widerstands gegen Sparmaßnahmen und Kürzungen des
Sozialwesens oder einer neuen Rezession werden sie vor der Wahl stehen, ob sie
wie Syriza kapitulieren oder den Weg gehen wollen, echte
ArbeiterInnenregierungen zu werden, indem sie die ArbeiterInnenklasse zu
Millionen mobilisieren. Unser Ziel muss es sein, sie zu verpflichten, ihre
AnhängerInnen aus der ArbeiterInnenklasse nicht zu verraten, sondern den
letztgenannten Weg einzuschlagen.

Um solche Regierungen
dazu zu bringen, echte Schritte in Richtung einer sozialistischen
Transformation zu unternehmen, sie zu Übergangsregierungen in Richtung der
demokratischen Herrschaft der ArbeiterInnenklasse, also der Diktatur des
Proletariats, zu gestalten, müssen sie unwiderruflich mit den bürgerlichen
Parteien brechen, echte Schritte unternehmen, um großes Kapital unter
ArbeiterInnenkontrolle zu enteignen und einen ArbeiterInnenplan zur Reorganisation
der Wirtschaft zu entwerfen. Und sie dürfen ihre Macht nicht auf die
bürokratischen und repressiven Institutionen des bürgerlichen Staatsapparates,
des Militärs, der Polizei, der Spezialeinheiten und der Verwaltungsbürokratien
stützen, sondern auf die ArbeiterInnen- und BäuerInnenräte und die bewaffnete
ArbeiterInnenklasse.

Solche Regierungen
könnten nicht nur als wichtiges Mittel für einen revolutionären Umsturz in
einem Land dienen. Sie müssen von der gesamten europäischen ArbeiterInnenklasse
gegen die unvermeidlichen konterrevolutionären Machenschaften der nationalen
Bourgeoisie, der europäischen oder anderer imperialistischer Mächte verteidigt
werden. Letztendlich werden sie nur überleben und ihr volles revolutionäres
Potenzial ausschöpfen können, wenn sie nicht nur die Macht „ihrer“ nationalen
KapitalistInnenklasse brechen, sondern auch darauf abzielen, die Revolution auf
dem europäischen Kontinent zu verbreiten und die Grundlage für Vereinigte
Sozialistische Staaten von Europa zu schaffen. Für eine solche Übergangszeit,
einen revolutionären Kampf auf dem gesamten Kontinent, bleibt ein europäisches
Aktionsprogramm, das demokratische, soziale und Übergangsforderungen
kombiniert, uneingeschränkt gültig.

Darüber hinaus muss ein
sozialistisches Europa seine Beziehungen zu den umliegenden Regionen der Welt
auf Solidarität, Gleichheit und Internationalismus gründen. Dann könnten die
Ursachen für Migration durch Armut, Kriege, Klimawandel wirklich verändert
werden. Das kann keine kapitalistische EU. Ein sozialistisches Europa kann die
Rechte der MigrantInnen umsetzen, ihnen volle BürgerInnenrechte garantieren und
den Rechtsruck, die Bedrohung durch Rassismus, beenden. Ein sozialistisches
Europa würde die Massenarbeitslosigkeit beenden, gleiche und gerechte Lebensbedingungen
schaffen, die Bourgeoisie enteignen und die in Europa geschaffenen menschlichen
Fähigkeiten und materiellen Reichtümer sinnvoll nutzen. Ein solches Europa
müsste auf einer demokratischen Planwirtschaft beruhen, die die Mittel für eine
echte Bewältigung der Umwelt- und Klimaprobleme bereitstellt.

All dies ist viel
„realistischer“, als zu hoffen, dass die heutige EU einfach reformiert werden
könnte oder der Klassenkampf in einzelnen „unabhängigen“ Ländern zu einem
Sozialismus führen könnte.

Wie wir gezeigt haben,
können die bestehenden Massenparteien der ArbeiterInnenklasse – seien es
traditionelle reformistische, neue „linke“ populistische Parteien wie Podemos
oder La France Insoumise oder solche, die zwischen Reform und Revolution
schwanken, keine Antwort auf die dringenden Fragen der Zukunft geben.

Nur neue revolutionäre
ArbeiterInnenparteien und eine neue revolutionäre Internationale können eine
solche Perspektive bieten und dem Kampf eine Führung geben. Unsere
internationale Strömung, die Liga für die Fünfte Internationale, kämpft für ein
solches Programm des internationalen Klassenkampfes, für einen revolutionären
Marxismus des 21. Jahrhunderts, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von
Europa.




EU-Wahlen 2019: Vor der nächsten Krise

Tobi Hansen, Neue Internationale 2019, Juni 2019

Wie beim parlamentarischen
Schauspiel üblich freuten sich zunächst alle SpitzenkandidatInnen und Parteien
über die gestiegene Wahlbeteiligung. Erstmals seit 1994 ging mit 50,97 %
europaweit mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten an die Urne. Kein Wunder,
denn verschiedenste gesellschaftliche Kräfte stilisierten die Europawahlen zu
einer „Schicksalswahl“ – seien es die „europaskeptischen“ und
rechtspopulistischen AkteurInnen, welche schon 2014 einige Erfolge feiern
konnten, seien es die VertreterInnen des „Mainstreams“ um die Konservativen und
SozialdemokraInnen, seien es Liberale oder Grüne.

Allesamt betrachteten die Wahlen
als eine Art „Kampfabstimmung“ über die Zukunft Europas – selbst wenn sie
natürlich nur diese keineswegs entscheiden. Ihr Ausgang verdeutlicht jedoch
nicht nur, dass eine größere Zahl politischer Kräfte wie auch der Bevölkerung
den Urnengang als eine wichtige politische Auseinandersetzung betrachteten – er
brachte auch, wenn auch nur wenig überraschende, Verschiebungen des
Kräfteverhältnisses in der EU bzw. in den einzelnen Staaten zum Ausdruck.

Weitere Zersplitterung des
bürgerlichen Lagers

Die sogenannten „Volksparteien“,
die etablierten Regierungskräfte aus Europäischer Volkspartei (EVP) und S&D
(Fraktion der Progressiven Allianz der SozialdemokratInnen) haben wieder Wahlen
verloren. Dies ist weder national noch europäisch eine Überraschung derzeit.
Die EVP erhielt gerade noch 178 Sitze, verlor also gegenüber 2014 39, also gut 20
Prozent. Besonders dramatisch fielen die Verlust der Konservativen in
Deutschland aus. Die Niederlage der Tories reiht sich darin ein, auch wenn die
britischen Konservativen der EVP-Fraktion seit längerem nicht mehr angehören
und deren Niederlage durch das Brexit-Desaster extrem verschärft wurde.

Auf der Ebene des EU-Parlaments
haben Christ- und SozialdemokratInnen zusammen keine Mehrheit. Sie sind
angewiesen auf die Unterstützung von Liberalen und/oder Grünen für die nächste
Kommission. Die ehemalige „Große Koalition“ in der EU stellte die klare
Wahlverliererin.

Angesichts der gleichzeitigen
Stärkung der rechtspopulistischen Parteien setzt sich die Fragmentierung des
bürgerlichen Lagers weiter fort. Es ist „zersplittert“. Dies zeigt auch die
unterschiedliche Orientierung der bürgerlichen Kräfte in der EU auf und einen
eindeutigen Verlust der Hegemonie der konservativen Parteien im bürgerlichen
Lager.

Klare Verliererinnen sind auch die
bürgerlichen ArbeiterInnenparteien der Sozialdemokratie und der europäischen Linkspartei.
Zusammen stellen sie weniger als 200 von 751 Abgeordneten.

Die S&D-Fraktion errang nur
noch 153 Mandate und verlor 32 Sitze gegenüber den vorherigen Wahlen. Die
Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke stellt zukünftig 38
ParlamentarierInnen – 14 weniger als in der letzten Periode.

Gegensätze

Dieser Wahlausgang verdeutlicht
die Krise der EU, des bürgerlichen Lagers wie auch der ArbeiterInnenbewegung.
Was die bürgerlichen Klassen betrifft, so finden die herrschenden
Kapitalfraktionen der EU-Mitgliedsstaaten immer weniger zu einer gemeinsamen
Perspektive und Zielsetzung für die Union. Dies kommt auch beim Streit um
den/die nächste/n KommissionschefIn zum Ausdruck. Die EVP und damit die
Christliche Union schicken den CSUler Weber ins Rennen, den der französische
Präsident Macron offen ablehnt. Er fürchtet zu viel „deutschen Einfluss“, zumal
die Neubesetzung des EZB-Chefs durch Bundesbankchef Weidmann nur schwer
verhinderbar erscheint. Diese und andere Personalfragen werden vor dem Hintergrund
des Kampfes um die zukünftige Ausrichtung der EU erst verständlich – und
bewegen sich daher nicht zufällig zwischen heftiger Zuspitzung und
Postenschacher hinter den Kulissen. Während alle – von den Konservativen,
Liberalen, Grünen bis zu den SozialdemokratInnen – nicht müde werden, sich zu
„Europa zu bekennen“, so fürchtet doch jede/r, von den „PartnerInnen“ über den
Tisch gezogen zu werden. Darüber hinaus darf niemand vergessen, dass gerade die
größeren bürgerlichen Fraktionen eben keine „europäischen Parteien“, sondern
letztlich immer die herrschende Klasse oder eine Fraktion ebendieser aus einem
europäischen Nationalstaat repräsentieren. Dementsprechend werden auch die
Verhandlungen der nächsten Wochen geführt. Nur eines scheint sicher – Neoliberalismus,
Rassismus nach außen und nach innen, Aufrüstung und Verschärfung der
Repressionen werden auch durch die neue Kommission forciert.

Stärkung von Liberalen und Grünen

Während die Grünen speziell in
Deutschland stark zulegten, die SPD überrundeten und zweitstärkste Kraft
wurden, konnten die Liberalen von der neuen französischen Regierungspartei La
République en Marche, aber auch neue Parteien aus Osteuropa wie die
tschechische Regierungspartei ANO 2011 des Populisten und Oligarchen Babis
ebenso punkten. Die gestiegene Wahlbeteiligung, besonders unter Erst- und
JungwählerInnen, kam dem liberalen und grünen Spektrum zu Gute. Die Fraktion
der Allianz der Liberalen und DemokratInnen für Europa (ALDE) stellt nunmehr
105 Abgeordnete (gegenüber 69 in der letzten Periode), die europäischen Grünen
69 (plus 17).

Speziell ErstwählerInnen wurden
über die Klimafrage und die „Fridays-for-Future“-Bewegung mobilisiert. Dort
stellen grüne Parteien und Organisationen wie auch linksbürgerliche NGOs einen
entscheidenden Faktor für die Mobilisierung auf der Straße dar, was sich auch
bei den Wahlen widerspiegelt. Während manches vor den Wahlen über die
Einflussnahme Russlands via soziale Medien spekuliert wurde, lässt sich nun
feststellen, dass vor allem die grüne Mobilisierung viele WählerInnenstimmen
gebracht hat. Dadurch wurden auch Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit Schlagworte
des Wahlkampfes, dort hatten sowohl Christ- als auch SozialdemokratInnen eher
wenig zu bieten.

Die Rechte konsolidiert sich

Derzeit ist noch nicht klar, wie
die neue gemeinsame Fraktion der RechtspopulistInnen und NationalistInnen
aussehen wird. Ziel soll es sein, die drittstärkste Fraktion zu stellen.
Symbolhaft für die Krise der EU lässt sich feststellen, dass bei den größten
Konkurrenten zum deutschen Imperialismus, in Frankreich und Italien, die
Rechten die stärkste Kraft geworden sind. Le Pen konnte auch mit dem
umbenannten RN (Rassemblement National – Nationale Sammlungsbewegung) das
Ergebnis von 2014 wiederholen und liegt einen Prozentpunkt vor der Macron
Partei La République en Marche (23 % zu 22 %), wie auch die italienische Lega
jetzt führende Kraft der europäischen Rechten ist. Mit Innenminister Salvini
als Spitzenkandidat holte sie 33 % und ließ den Koalitionspartner Fünf Sterne
mit 16 % klar hinter sich. Dies bestätigt auch den Trend der letzten
Regionalwahlen. In der bisherigen ENF-Fraktion (Europa der Nationen und der
Freiheit) sind die AfD und die FPÖ bislang sichere Partnerinnen. Wer dazu
kommen soll, gilt als unsicher.

Einheitliche Rechte?

Inwieweit sich die
SchwedendemokratInnen, die polnische Regierungspartei PiS, die „Brexit Party“
von Farage oder verschiedene flämische NationalistInnen (Nieuw-Vlaamse
Alliantie und Vlaams Belang), neue spanische FranquistInnen (Vox) einfangen
lassen, ist fraglich.

Mit Salvini versucht sich auch der
ehemalige US-Präsidentschaftsberater Bannon als Strippenzieher im EU-Parlament
zu beweisen. Der ehemalige „Breitbart-News“-Chef gründete eine Stiftung in
Brüssel und eine Akademie in Rom. Ziel ist es, möglichst viele Parteien aus den
Fraktionen der EKR (Europäische Konservative und ReformerInnen) und der EFDD
(Europa der Freiheit und der direkten Demokratie) zur ENF hinüberzuziehen.

Realistisch scheint eine „neue“
ENF-Fraktion, welche die Grünen und die Liberalen (ALDE) hinter sich lässt.
Damit hätte sich über die Wahlen 2014 und 2019 eine neue rechtspopulistische
Fraktion etabliert. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
RassistInnen und NationalistInnen durch innere Gegensätze zerrissen sind – sei
es bei der Finanzpolitik wie auch bei dem Verhältnis zu Russland, was speziell
für osteuropäische Parteien einen Knackpunkt darstellt.

Die bürgerlichen
ArbeiterInnenparteien

Auf der Iberischen Halbinsel
erschien die Farbe Rot auf der Wahlkarte. Gemeinsam mit den Niederlanden waren
Portugal und Spanien die einzigen Staaten, in denen die etablierte
Sozialdemokratie Siege einfahren konnte, zum Teil auch auf Kosten dortiger
Linksparteien wie Podemos. In Portugal vermochten auch der Linksblock und die KP
zuzulegen.

Auf der Pyrenäenhalbinsel konnte
sich die Sozialdemokratie als soziale Kraft für die EU und als soziale,
demokratische und fortschrittliche Alternative zu den Rechten präsentieren und
im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten Hoffnungen der ArbeiterInnenklasse
auf sich ziehen. Jetzt kann sie noch als „Zünglein an der Waage“ auftreten, mit
den iberischen Regierungschefs ein gutes Ergebnis für die Kommission
aushandeln. Zu mehr wird es nicht reichen.

Verloren hat nicht nur die
Sozialdemokratie, sondern auch die europäische Linkspartei. Sie verlor  10 Sitze, speziell aufgrund der
Verluste der deutschen Linkspartei und von Podemos. Doch auch die geschwächte
Fraktion vermag keine gemeinsame europäische Strategie zu formulieren. Zwischen
einer nationalstaatlich orientierten Ablehnung der EU wie bei FI (La France
insoumise), welche auch von Podemos, der schwedischen Linkspartei und vom
portugiesischen Linksblock mitgetragen wird, und Reformhoffnungen wie sie z. B.
von Syriza und der Linkspartei in die EU transportiert werden, war und ist die
europäische Linkspartei nicht in der Lage, eine antikapitalistische Alternative
zur EU zu vertreten, geschweige denn dafür zu mobilisieren.

Zusammen mit den europäischen
Gewerkschaften waren diese reformistischen Kräfte nicht in der Lage, auch nur
zu einer ihrer Forderungen zu mobilisieren oder gar sichtbar zu werden. Die
Demonstrationen unter dem Motto „Ein Europa für Alle – Deine Stimme gegen
Nationalismus!“ wurden eben nicht durch Forderungen und Aktionen der ArbeiterInnenbewegung
begleitet bzw. aufgewertet, sondern hier wurde das Feld vielerorts NGOs wie den
Grünen überlassen.

Große Teil der ArbeiterInnenklasse
haben sich von „ihren“ Parteien abgewandt und werden von diesen Mobilisierungen
mitgerissen. Sei es durch die rechtspopulistische und nationalistische Rhetorik
gegen die EU oder durch die linksliberalen und grünen Versprechungen in die
Reformierbarkeit der EU wie auch die ökologische Frage. Das Versagen der
Gewerkschaften, der Sozialdemokratie und der Linksparteien führt dazu, dass
sich auch jener Teil der Lohnabhängigen und der Jugend, die Nationalismus und
Rechtsruck entgegentreten, den Grünen und anderen links-bürgerlichen Kräften
zuwenden.

Was tun?

Für eine radikale,
antikapitalistische und/oder sozialistische Linke ist dies eine immense
Herausforderung. Wir müssen eine klare klassenkämpferische Alternative zu
dieser EU präsentieren, dürfen weder den populistischen wie reformistischen
Illusionen hinterherlaufen, sondern brauchen eine Orientierung auf europäischen
Klassenkampf.

Wenn „wir“ real Rechtsruck,
Austerität, Neoliberalismus dieser EU die Stirn bieten wollen, dann brauchen
wir eine Perspektive für ein sozialistisches Europa und müssen mit den
reformistischen und populistischen AkteurInnen brechen. Dies ist die Aufgabe,
unabhängig von den Wahlergebnissen. Um eine solche revolutionäre Alternative
aufzubauen, braucht es freilich nicht nur Kampf und Bewegung – es bedarf vor
allem eines Aktionsprogramms, um die Lohnabhängigen europaweit zu mobilisieren.

Anhang: Krise der Großen Koalition setzt
sich fort

In Deutschland haben die Grünen
mit 20,5 % die SPD deutlich auf Platz 3 verwiesen (15,5 %) und damit
die nächste Krise der GroKo losgetreten. Während sich die Union noch über Platz
1 freuen darf und bei den Wahlen in Bremen die SPD als stärkste Partei ablösen
könnte, werden in der Sozialdemokratie wiederum Personaldebatten geführt.
Partei- und Fraktionsvorsitzende Nahles stellt die Vertrauensfrage in der
Fraktion. Dies kann die geschwächte SPD in ihre nächste existenzielle Krise
stürzen und somit auch die GroKo erneut gefährden.

Dass die CDU-Vorsitzende „AKK“
gleichzeitig eine Zensurdebatte aufgrund eines Youtube-Videos losstößt, zeigt
den krisenhaften Moment dieser Koalition auf.

Dass die Linkspartei viele ihrer
Stimmen an die Satire-Partei „Die Partei“ verloren hat, ist schon nicht mehr
lustig, sondern zeigt, dass diese „Partei“ teilweise sehr deutlich und
provokant sich für die Seenotrettung eingesetzt hat, während die Linkspartei
das Thema Antirassismus und Migration eher beiseitelegte.

Die AfD hat deutlich weniger
zugelegt als selbst erhofft (von 7 auf 10 %), dafür allerdings in
Brandenburg und Sachsen die Wahl vor der Union gewonnen. Dies sind die
Vorzeichen für die Landtagswahlen im Herbst in diesen beiden Ländern und
Thüringen.




Die Europawahlen und die Krise der EU

Martin Suchanek, Neue Internationale 237, Mai 2019

Zwei Jahrzehnte
nach der Tagung ihrer Staats- und RegierungschefInnen in Lissabon im März 2000
ist die Europäische Union zum „schwächsten Glied“ unter den Großmächten in der
imperialistischen Weltordnung geworden. Tatsächlich wäre Unordnung ein besserer
Begriff für eine Welt rivalisierender Mächte mit deren Handels- und anderen
Kriegen sowie ihrer Weigerung, etwas Ernstes gegen Klimakatastrophe und globale
Konflikte zu tun. Und innerhalb der Union sind offene Kämpfe um die Art und
Zukunft der Vereinigung ausgebrochen (Brexit).

Euro-Einführung

Mit der
Einführung des Euro um die Jahrhundertwende und dem Lissabon-Vertrag im Jahr
2009 sollte der größte Wirtschaftsraum der Welt zu einem gemeinsamen europäischen
Kapitalblock werden. Das würde nichts Geringeres bedeuten als die politische
und militärische Vereinigung des Kontinents unter deutscher und französischer
Herrschaft. Seine führenden PolitikerInnen erklärten, wenn auch vorsichtig,
dass sie zu den USA aufschließen und ihre Rolle weltweit in Frage stellen
wollten.

Seit der großen
Krise sind EU und Euro-Zone trotz Austeritätspolitik, trotz Versuchen der
wirtschaftlichen Vereinheitlichung weiter hinter den USA und China
zurückgeblieben.

Das 21.
Jahrhundert hat die tiefen Widersprüche, die das „europäische Projekt“ von
Anfang an prägten, an die Oberfläche befördert. Millionen von ArbeiterInnen,
Bauern/BäuerInnen und sogar große Teile der „Mittelschicht“ wurden von der
Politik der Europäischen Kommission, der EZB, der Staats- und
RegierungschefInnen und der SchlüsselministerInnen der europäischen Großmächte
enttäuscht.

Um die
Jahrhundertwende galt die neoliberale Politik als untrennbarer Bestandteil
dieser vermeintlichen neuen Weltordnung. Die Europäische Union erlebte eine
Hinwendung zu dem, was bisher als „angelsächsisches“ Modell galt, den „Reformen
des freien Marktes“. Für Millionen wurden die alten Versprechungen eines
„sozialeren Europas“, „wohlhabender“, „demokratischer“ und
„humanitärer“ als dreiste Lügen offenbart.

Seit der Agenda
von Lissabon

Die
Lissabon-Agenda von 2000 mit ihren Schwerpunkten Sparsamkeit,
„Arbeitsmarktreform“ und Wettbewerbsfähigkeit markierte auch eine Ablehnung von
„Sozialstaat“ und Keynesianismus durch die europäischen Bourgeoisien. Die
konservativen Parteien sowie Labour-Parteien und Sozialdemokratie passten sich
dem Neoliberalismus an. Ohne Blairs „Dritten Weg“ oder Schröders „Neue Mitte“
wäre die Verabschiedung der neoliberalen Agenda unmöglich gewesen oder
zumindest auf viel mehr Widerstand gestoßen.

Die führenden
Mächte und die EU-Kommission haben nicht nur die Lissabon-Agenda durchgesetzt,
sondern zielten auch auf eine neoliberale Verfassung der Europäischen Union ab.
Diese wurde jedoch in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden
abgelehnt.

Die Antwort der
europäischen Regierungen und Institutionen war jedoch lehrreich. Dem massiven
Widerstand und der Ablehnung der Verfassung wurde durch ihre Einführung als
„Vertrag“ gegen den Willen des Volkes begegnet.

Dies machte Millionen
das „demokratische“ Defizit der EU ebenso deutlich wie „soziale“, ökologische
und viele andere Mängel, die hinter diesem Manko an europäischer Demokratie
stehen. Es unterstrich, dass die herrschenden Klassen den europäischen
Kontinent nicht auf demokratische, geschweige denn auf „soziale“ Weise vereinen
können und werden, stattdessen den „Willen des Volkes“ völlig ignorieren.

Das Gleiche gilt
umso mehr für die Bereiche Finanzen, Außenpolitik, Interventionen und Kriege.
Die europäischen Regierungen haben „ihre“ Bevölkerung nie gefragt, ob sie
Syrien oder Libyen bombardieren oder den Irak besetzen, ob sie in Mali oder
anderen afrikanischen Staaten intervenieren oder ob sie sich in der Ukraine
einmischen sollen. Sie haben auch nicht „ihre“ Völker konsultiert, ob sie neue
europäische Militärverträge abschließen, die Osterweiterung der NATO
unterstützen und Truppeneinsätze an den Grenzen Russlands durchführen und einen
neuen Kalten Krieg beginnen sollen.

Das letzte
Jahrzehnt hat jedoch gezeigt, mit welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen
die EU konfrontiert ist.

Globale
Konkurrenz

Wirtschaftlich
fiel sie weit hinter die USA und China zurück. Nach der großen Rezession haben
Deutschland und andere wettbewerbsfähigere Länder die Kosten der Krise auf die
schwächeren europäischen Volkswirtschaften abgewälzt. Die Institutionen der
Eurozone haben im Namen der Haushaltsdisziplin weite Teile Südeuropas mutwillig
verarmt. Sie haben Griechenland und anderen Staaten brutale Sparpolitik
auferlegt und damit noch anfälliger für die Verheerungen einer neuen globalen
Rezession gemacht. Aber Deutschland und Frankreich zahlten dafür einen hohen
Preis – die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der EU und der Eurozone nahmen
stark zu.

Militärisch und
geopolitisch bleibt die EU im Vergleich zu den USA, Russland oder China ein
Zwerg. Die Versuche der europäischen Mächte, dies zu überwinden, sind alle
halbherzig und spiegeln oft eher ihre inneren Spannungen als eine klare Politik
wider. Während die EU versuchte, eine Schlüsselrolle bei dem Regimewechsel in
der Ukraine zu spielen, konnte sie nicht verhindern, dass die USA sie in einen
neuen Kalten Krieg manövrierten und damit die Pläne Deutschlands für engere
Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und darüber hinaus zu China zunichtemachten.
Putin begann, unangenehme EU-Regierungen wie Ungarn und rechtsextreme
populistische Bewegungen auf dem ganzen Kontinent zu unterstützen. Gleichzeitig
hat die aggressive „America First“-Politik der Trump-Administration nicht nur
die Spannungen zwischen der EU und den USA in Bezug auf Handels-, Militär- und
internationale Politik verschärft, sondern auch innerhalb der EU und sogar
innerhalb der herrschenden Klassen der Großmächte.

Die EU wird so
auch zu einem potenziellen Schlachtfeld, auf dem ihre RivalInnen um politischen
und militärischen Einfluss kämpfen. Italien unter seiner rechtspopulistischen
Regierung hat gegen Macron in die inneren Angelegenheiten Frankreichs
eingegriffen und ein Abkommen mit China geschlossen, dessen Projekt der „neuen
Seidenstraße“ von anderen EU-Mitgliedern und den USA scharf abgelehnt wird.

Die so genannte
Flüchtlingskrise hat die Spannungen weiter verschärft. Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit sind zu einem echten Mittel geworden, um Massen von
desillusionierten kleinbürgerlichen Schichten oder sogar rückständigen Teilen
der Arbeiterklasse zu sammeln, die verarmt wurden oder es befürchten. Der
Aufstieg des Nationalismus und der Anti-EU-Sektionen der Bourgeoisie und der
Kleinbourgeoisie spiegelt die wachsenden Spannungen und inneren Widersprüche
wider. Die EU ist kein europäischer Superstaat, sondern immer noch eine
Föderation von Nationalstaaten mit ihren konkurrierenden Interessen.

Kein Wunder,
dass dies zur Entstehung von rechtspopulistischen und rassistischen, gegen die EU
gerichteten Kräften auf dem gesamten Kontinent geführt hat, die versuchen, sich
als Alternative zu einer deutsch oder deutsch-französisch dominierten Union zu
präsentieren, die im Begriff ist zu scheitern. Sobald kleinbürgerliche Kräfte
in die Szene eintreten, kann und wird diese Krise irrationale Formen annehmen –
die extremsten wahrscheinlich in Großbritannien -, wo das ganze Land mit
einem  Brexit festsitzt, den die
Mehrheit der Bevölkerung und der beiden Hauptklassen eigentlich nicht will.

Schicksalswahl?

Vor diesem
Hintergrund erscheint die Europawahl vom 23.-26. Mai als eine weitere
Schicksalswahl. Dabei wird die Zukunft der EU sicherlich nicht dort entschieden
– schließlich befinden sich die Machtzentralen der Union nicht im
Europaparlament und selbst nicht in der EU-Kommission, sondern in Berlin und
Paris.

Aber diese
Zentralen schwächeln – nicht zuletzt aufgrund der inneren Widersprüche in ihren
Ländern, aufgrund einer fehlenden gemeinsamen „Europastrategie“, was eine
Verschärfung der Konflikte, Gegensätze, ja ein Zerfallen der EU und selbst der
Euro-Zone entlang nationaler Interessen wahrscheinlich macht. Die europäischen
Bourgeoisien können offenkundig Europa nicht einigen, selbst wenn die
Wirtschaft, der Austausch zwischen den Menschen längst über die Nationalstaaten
hinausdrängen.

Auch wenn es im
eigentlichen Sinn keine europäischen Parteien gibt, so zeichnet sich doch eine
klare Polarisierung bei den Wahlen ab und eine deutliche Verschiebung nach
rechts.

Die europäischen
rechts-populistischen Parteien werden mit Sicherheit einen deutlich größeren
Block darstellen. Dabei zeichnet sich eine Umgruppierung bzw. Vereinigung der
Rechten um „Europa der Nationen und Freiheit“ (ENF) mit „Europa der Freiheit
und der direkten Demokratie“ (EFFD) und „Europäischen Konservativen und
Reformern“ (EKR) ab, was einer Verbindung von französischem „Rassemblement
National“ (RN), italienischer Lega, der FPÖ, der AfD, der dänischen Volkspartei
und der „Wahren Finnen“ gleichkäme.

ENF umwirbt
außerdem die ungarische Fidesz, die noch noch der „Europäischen Volkspartei“
(EVP) angehört, und die polnische PiS. Die Stärkung der ENF als
Gravitionszentrum des Rechtspopulismus wird außerdem durch den wahrscheinlichen
Austritt Britanniens aus der EU verstärkt, da die beiden konkurrierenden
rechten Fraktionen (EFFD, EKR) mit den UKIP und Tories ihre mandatsstärksten
Parteien verlieren würden.

Gegen die
Rechten treten gleich drei Fraktionen/Parteienbündnisse der „bürgerlichen
Mitte“ an.

Die größte
Fraktion des EU-Parlaments dürfte wieder die EVP werden. Ihr Erfolg gilt als
ziemlich sicher – zugleich wird sie jedoch Stimmen und Mandate verlieren.
Wahlprognosen vom April gehen davon aus, dass sie künftig 176 Mandate erhalten
würde (bisher 217), bei einer Wahl in Britannien sogar nur 165.

Aber die
vereinigten rechten und rechtspopulistischen Parteien werden insgesamt etwa
gleich stark wie die EVP, bei einer Wahl in Britannien womöglich sogar stärker.

Neben der
Volkspartei treten mit der „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“
(ALDE), der neben FPD und „Freien Wählern“ auch Macrons „La République en
Marche“ angehört, und den „Die Grünen/Europäische Freie Allianz“ (DG/EFA) zwei
weitere Fraktionen der bürgerlichen „Mitte“ an. Beide gerieren sich
pro-europäisch und reden einem „demokratisch“ bemäntelten imperialistischen
Europa das Wort, einmal in seiner offen neo-liberalen Variante, das andere Mal
mit einem „Green New Deal“.

So werden die
Europawahlen vordergründig zu einem Kampf zwischen „pro-europäischen“ und
nationalistischen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien, zwischen Pest
und Cholera.

Die
ArbeiterInnenbewegung?

Das liegt jedoch
auch daran, dass die Parteien der ArbeiterInnenbewegung und der Linken selbst
wenig mehr als Anhängsel dieser beiden Lager bilden.

Die Europäische
Sozialdemokratie tourt weiter mit ihren Versprechungen von einem „sozialen
Europa“. Nur glauben immer weniger daran. Sie führt ihren Wahlkampf erst gar
nicht mit dem Ziel, die Politik der EU zu bestimmen, sondern als
Koalitionspartnerin der „pro-europäischen“ offen bürgerlichen Parteien zu
fungieren. Auch wenn niemand eine „Große Koalition“ in Europa wollen sollte, so
steht die Sozialdemokratie dafür schon mal in den Startlöchern. Dass sie dabei
für jede Schweinerei zu haben ist, dass ihre „sozialen“ Versprechungen auf
europäischer Ebene noch wertloser als im nationalen Maßstab sind, hat sie
hinlänglich bei der Erpressung Griechenlands bewiesen.

Doch auch die
europäischen „Linksparteien“ vermögen keine Alternative zu präsentieren. Im
Gegenteil. Während sich die europäische Sozialdemokratie fest dem
„pro-europäischen“ Flügel der Bourgeoisie anschließt, hadern sie bezüglich
ihrer Europastrategie. Ein Teil versucht es mit der Neuauflage eines
„europäischen Reformprogramms“, das eine reformistische Reformstrategie für die
EU vertritt. Da sich dafür keine Bündnispartnerin (offen bürgerlich oder Labour
bzw. Sozialdemokratie) anbietet, kann sich dieser Flügel noch vergleichsweise
„internationalistisch“ und kämpferisch geben und stellt sich zumindest in
Worten der Wende zum Nationalismus in vielen Ländern entgegen.

Der andere
Flügel der europäischen Linken setzt hingegen auf eine Hinwendung zu nationaler
Politik, auf den Austritt aus der EU, eine Abkehr von „Klassenfixierung“ hin zu
einer linkspopulistischen Politik. Hierfür stehen Kräfte wie „La France
insoumise“ oder „Aufstehen“ in Deutschland, die selbst – bei aller berechtigter
Kritik an den utopischen Seiten des „pro-europäischen“ Reformismus – auf
nationale Anpassung setzen und die reformistischen bürgerlichen ArbeiterInnenparteien
durch linke „Volksparteien“, also klassenübergreifende Organisationen, ersetzen
wollen.

Diese
grundlegende Kritik bedeutet jedoch nicht, dass wir den Wahlen zur EU einfach
den Rücken kehren dürfen. Ein Wahlsieg der Rechten, eine Stärkung der
verschiedenen offen bürgerlichen Fraktionen wird auch das Kräfteverhältnis
ungünstiger gestalten. Wo reformistische Parteien eine bedeutende Verankerung
in der Klasse haben und Illusionen der Lohnabhängigen auf sich ziehen, sollten
sie daher kritisch unterstützt werden (wie z. B. Labour in Britannien), ohne
die Kritik an ihrem Programm und ihrer reformistischen, d. h. letztlich
bürgerlichen Ausrichtung zu verschweigen. In Deutschland rufen wir zu einer
kritischen Unterstützung der Linkspartei auf – trotz ihres reformistischen
Programms und ihrer Illusionen in eine Reformierbarkeit nicht nur der EU,
sondern auch des Kapitalismus. Unseren Aufruf verbinden wir mit der Forderung
an die Linkspartei, sich aktiv am Widerstand und Mobilisierungen gegen die laufenden
und kommenden Angriffe zu beteiligen und die Organisierung einer europaweiten
Aktionskonferenz des Widerstandes aktiv zu unterstützen, die an die besten
Seiten der europäischen Sozialforen anknüpft.

Alternative

Dabei gibt es
trotz des Aufstiegs der extremen Rechten keinen Mangel an Kämpfen. Die
existenzielle Krise in der EU, der Ansturm auf die demokratischen Rechte in den
Mitgliedsstaaten, hat ArbeiterInnen, Jugendliche und unterdrückte Minderheiten
immer wieder zu Hunderttausenden, ja Millionen auf die Straße getrieben. Die
nächste Rezession und die Verschärfung der interimperialistischen Rivalität
sowohl in wirtschaftlicher als auch in militärischer Hinsicht werden dies noch
verstärken.

Dies ist keine
Zeit, in der der Kapitalismus große Reformen zulassen kann, außer beim Ausbruch
großer Klassenkämpfe, die zu eine revolutionären Zuspitzung führen könnten. Die
derzeitigen Führungen der Gewerkschaften und reformistischen Parteien – rechten
wie linken – sowie der „linken“ PopulistInnen haben zweifellos ihre
Unfähigkeit bewiesen, dieser Herausforderung zu begegnen. Es bedarf vielmehr
einer europaweiten revolutionären Alternative, neuer revolutionärer Parteien,
die in einer Internationalen vereint sind. Natürlich kann ein solcher Prozess
nicht ohne das Bestreben stattfinden, die antikapitalistischen und
internationalistischen AktivistInnen der bestehenden reformistischen Parteien
zu gewinnen. Eine solche Partei braucht jedoch Einheit im Handeln und damit ein
Aktionsprogramm, das diese Kämpfe mit dem Kampf für die Vereinigten
Sozialistischen Staaten von Europa verbindet.

Genau diese
grundlegende Alternative zur imperialistischen Vereinigung wie zur
nationalistischen Abschottung fehlt jedoch der ArbeiterInnenklasse wie auch der
“radikalen” Linken. Ohne ein solches Programm, ohne eine solche Perspektive
erweist sie sich regelmäßig als unfähig zur Lösung aller großen Probleme des
Kontinents, verurteilt sich selbst zu Ohnmacht oder Nachtrabpolitik hinter
einen Flügeln der herrschenden Klasse.

Die Losung der
„Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“, eines Europas auf der Basis
demokratischer Planung und von ArbeiterInnenregierung, stellt daher in der
aktuellen Krise keine „abstrakte“ oder ferne Zukunftsvision dar, sondern die
einzige realistische Alternative zu Nationalismus und Imperialismus – mag sie
auch noch so schwer zu erkämpfen sein.




Reisefreiheit unter Stacheldraht: EU verschärft Migrationsregime

Jürgen Roth, Infomail 1050, 9. April 2019

Am EU-Sondergipfel Juni 2018 zu Migration herrschte in einer
zentralen Frage Einigkeit. Nahezu alle Teilnehmerstaaten wollten die Zahlen der
nach Europa kommenden MigrantInnen senken bzw. noch stärker kontrollieren.
Einig waren sich die EU-Staats- und RegierungschefInnen in der engeren
Kooperation mit „PartnerInnen“ wie dem ägyptischen Al-Sisi-Regime, der
Aufrüstung der Grenzschutzagentur Frontex von 1.500 auf 10.000 Mitarbeiterinnen
– Anfang Dezember 2018 erst einmal von Ende 2020 auf 2027 verschoben – und der
Einrichtung „kontrollierter Zentren“, also Massenlagern für MigrantInnen. Der
Streit mit den Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn, die im
Rahmen der Umverteilung innerhalb der EU keine Menschen aufnehmen wollen,
schwelt indes weiter. Die angekündigte Reform der Dublin-Verordnung ist
ebenfalls gescheitert.

Im Vergleich zu 2015 und 2016 ist die Zahl derjenigen, die
es nach Europa schaffen, stark gesunken. Zudem haben sich die Migrationsrouten
vom Balkan über Italien nach Spanien verschoben. Ein Grund dafür ist der im
März 2016 unterzeichnete EU-Türkei-Deal, ein weiterer seit Juni mit Antritt der
neuen italienischen Regierung die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung.
Im Südosten, so auf den griechischen Inseln und in Nordbosnien, leben immer
noch etliche, die 2015 auf der „Balkanroute“ stecken geblieben sind.
Gleichzeitig wurde/n in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Union das Asylrecht
geschliffen und restriktivere Regeln für MigrantInnen eingeführt.

Dänemark

Im März 2017 wurde die 50. Verschärfung des Ausländerrechts
beschlossen, keine zwei Jahre später ist die Zahl 100 übertroffen. Im Dezember
beschloss der Folketing offiziell die Abkehr vom Prinzip der Integration als
Ziel der dänischen Ausländer- und Asylpolitik. Stattdessen konzentriert sich
die von der rechten Danske Folkeparti unterstützte rechtsliberale Regierung auf
einen vorübergehenden Aufenthalt.

Das Integrationsgeld wurde gekürzt. Abgelehnte AsylantragsstellerInnen
sollen ab 2021 auf der kleinen Ostseeinsel Lindholm untergebracht werden. 2019
tritt das „Ghetto-Gesetz“ in Kraft, dem zufolge bis 2030 sog. migrantische
Stadtviertel abgeschafft gehören. Als Ghetto gelten Bezirke mit mind. 50 %
EinwohnerInnen aus „nicht westlichen“ Ländern, einer Arbeitslosigkeit über
40 % und in denen die Kriminalitätsrate höher als anderswo im Staate
Dänemark ist. In solchen Gegenden soll künftig Kita-Besuch Pflicht werden. Eine
Extra-Justiz bestraft einige Delikte doppelt so streng wie in anderen
Wohnvierteln. Der Schlachtruf „Bekämpfung von Parallelgesellschaften“ ist nicht
das Einzige, was in diesem Staat faul ist.

Österreich

Die seit über einem Jahr amtierende ÖVP/FPÖ-Bundesregierung
hatte versprochen, Abschiebungen zu forcieren und die Regeln für Eingewanderte
in der Alpenrepublik zu ändern. Sie hielt Wort:

Seit 1. September 2018 kann Bargeld bis zu 840 Euro pro
Person bei der Asylantragstellung beschlagnahmt werden. Neu ist ein automatisch
einsetzendes Aberkennungsverfahren, wenn Asylberechtigte einen Reisepass ihres
Herkunftslandes beantragen oder in dieses reisen. Die Wartepflicht für die
Verleihung der StaatsbürgerInnenschaft wurde von 6 auf 10 Jahre verlängert. Ein
im April 2019 in Kraft tretendes Gesetz sieht vor, dass für AusländerInnen 300
von 863 Euro der Mindestsicherung an Bedingungen wie Sprachkenntnisse geknüpft
sind. Ab Januar diesen Jahres soll das Kindergeld für EU-AusländerInnen
(jährlich mehr als 100 Millionen Euro) gekürzt werden. Betroffen davon sind
v. a. Arbeitskräfte aus Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn. Dagegen
drohen EU-Kommission und –Parlament mit einem Vertragsverletzungsverfahren.
Österreich zählt zur „Achse der Willigen“ – jener, die dafür eintritt, an den
Landesgrenzen innerhalb der Union MigrantInnen abzuweisen. Bundeskanzler Kurz
sieht diese ohnehin besser auf Anlandeplattformen außerhalb des Kontinents
festgehalten. Die Achsenpolitik deckt sich mit Seehofers Zielen, die schon
teils in Bayern verfolgt werden.

Italien

Lega-Innenminister Salvini untersagte binnen kürzester Zeit
das Anlegen von Schiffen voller EinwanderInnen, verfolgte Seenotretterinnen und
beschnitt gleichzeitig Rechte von im Land lebenden AusländerInnen. Begleitet
wurde das Ganze von einer Reighe rassistischer Überfälle. Die Zahl der in
Italien ankommenden MigrantInnen sank drastisch.

Im November wurde ein „Dekret für Einwanderung und
Sicherheit“ verabschiedet, das laut UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR)
internationale Menschenrechtsprinzipien grundlegend verletze. Das humanitäre
Bleiberecht soll abgeschafft werden. Dieser Status für bisher mehr als ein
Viertel der AsylbewerberInnen ermöglichte den legalen Aufenthalt. Die Zahl der
ordentlichen Asylbescheide liegt weit darunter. Abschiebungen sollen erleichtert
werden, die Unterbringungsdauer in Abschiebezentren wurde von 90 auf 180 Tage
verdoppelt. Kommunale Integrationszentren wie in Riace dürften bald der
Vergangenheit angehören. Im Oktober wurden hieraus 200 gut integrierte
Migrantinnen in Flüchtlingsunterkünfte zwangsumgesiedelt.

Frankreich

Im Frühjahr 2018 passierte ein Gesetzespaket zur
Verschärfung des Asyl- und Einwanderungsrechts Nationalversammlung und Senat
trotz Kritik auch aus den Reihen der Regierungspartei Macrons La République en
Marche (LREM). Asylanträge sollen demnach innerhalb von 6 Monaten entschieden
werden, die Einspruchsfrist gegen einen negativen Entscheid wurde verkürzt, die
Dauer der Abschiebehaft von 45 auf 90 Tage erhöht. Es soll schärfer zwischen
Flüchtlingen und „Wirtschaftsimmigration“ unterschieden werden. Der
Aufenthaltstitel für subsidiär Geschützte, denen zuhause Tod und Folter drohen,
soll für 4 Jahre statt bisher eines verliehen werden. Letztere sollen nach dem
Vorbild der BRD „besser“ aussortiert und eher abgeschoben werden. Während in
der übrigen EU die Asylanträge seit 2016 zurückgingen, nahm deren Zahl in
Frankreich 2017 auf über 100.000 zu. Die Studiengebühren für ausländische
Studierende sollen von knapp unter 200 Euro auf über 2.700 jährlich angehoben
werden. (NEUES DEUTSCHLAND/ND, 29.30.12.2018, S. 4)

Großbritannien

Seit Wochen nimmt die Zahl derjenigen zu, die Großbritannien
auf dem Wasserweg über den Ärmelkanal erreichen wollen. Der Grund dafür:
personell verstärkte und technisch verfeinerte Kontrollen der Fähren und
Eisenbahnen im Eurotunnel auf blinde PassagierInnen! 2 britische Kriegsschiffe
wurden vom Auslandseinsatz zurückgerufen, um die hier eingesetzten 2
Küstenschutzboote zu verstärken. 539 ausländische Geflüchtete versuchten 2018,
das Land auf dem besonders gefährlichen Seeweg über den Kanal zu erreichen,
darunter allein 80 % im letzten Quartal. Die französische Kommunalpolizei
in Boulogne-sur-Mer überwacht vermehrt die Fischerboote, damit sie nicht für
diese riskanten Unternehmen gestohlen werden, und fordert gemeinsame
Patrouillen zwischen der britischen und französischen Seepolizei. Ein Fischer
meinte, die Londoner Regierung locke MigrantInnen dadurch an, dass sie
praktisch nichts gegen „Schwarzarbeit“ sich illegal auf der britischen Insel
Aufhaltender unternehme – „splendid isolation“? (ND, 4.1.2019, S. 6)

Salzburger Gipfeltreffen im September 2018

28 EU-Mitgliedsstaaten trafen sich am 19.9.2018 in Salzburg
und debattierten Wege zu einem einheitlichen Asylsystem. Im Mittelpunkt standen
Debatten über Flüchtlingsdeals, Lager in Nordafrika, die Behinderung und
Ausschaltung der zivilen Seenotrettung. Die österreichische EU-Präsidentschaft
erneuerte ihren Vorschlag, Flüchtende außerhalb der EU-Grenzen in
„Rückkehrzentren“ festzusetzen und auf europäischem Boden überhaupt keine
Asylanträge mehr zu akzeptieren.

Bis Mitte September 2018 hatten 74.388 Schutzsuchende Europa
übers Mittelmeer erreicht, 1.600 kamen dabei zu Tode. Ankünfte gingen zurück,
die Todesrate stieg – das Ergebnis rigorosen Vorgehens staatlicher Behörden
gegen die zivile Seenotrettung und ihrer Zusammenarbeit mit der libyschen
Küstenwache. Der Europäische Rat gewährte den libyschen „PartnerInnen“ im Juni
2018 völlige Handlungsfreiheit und forderte, im Mittelmeer verkehrende Schiffe
dürften diese nicht stören. In libyschen Flüchtlingslagern hatte sich die Zahl
der Schutzsuchenden von März bis Ende Juli von 4.400 auf über 10.000 mehr als
verdoppelt – darunter 2.000 Frauen und Kinder. Folterungen, Vergewaltigungen
und Morde sind hier an der Tagesordnung.

Seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals herrscht
Ausnahmezustand auf den griechischen-Ägäisinseln. Allein auf Lesbos saßen ca.
10.000 Flüchtende fest, 60 % der Ankommenden sind Frauen und Kinder, die
aufgrund restriktiver Familiennachzugsregeln wieder auf Schlepperboote
zurückverwiesen sind. Von den 55.000 in Libyen beim UNHCR Registrierten wurden
zwischen November 2017 und Ende Juli 2018 1.536 nach Niger im Rahmen des
Emergency Transit Mechanism (Notüberführungsmechanismus) evakuiert. Nur 339
Schutzsuchende fanden Aufnahme in Europa und Nordamerika.

Schaffen es trotz der von der EU vorangetriebenen Pläne zur
Schließung der Mittelmeerroute doch Flüchtlinge nach Europa, gilt das Motto:
Festsetzung, Sortierung, Abschiebung. Das bedeutet Lager, Haft und entweder
vermehrte Abschiebung in die Heimat oder die „Auslagerung“ in Drittstaaten. Die
EU-Kommission legte am 28.7.2018 ein Konzept für die Einrichtung von
„Kontrollierten Zentren“ innerhalb und „Regionalen Ausschiffungsplattformen“
außerhalb der EU-Grenzen vor. In ersteren sollen gerettete Bootsflüchtige bis
zu 8 Wochen untergebracht werden, „Asyl-Screening“ und Verteilung stattfinden.
Ein Schnellverfahren soll binnen 72 Stunden über Anerkennung, Ablehnung oder
Unzulässigkeit der Anträge entscheiden. Letztere unterscheiden sich davon nur
dadurch, dass die EU die Verantwortung und die Plattformen auf Nordafrika
abwälzt. Die österreichische Hardcorevariante dessen sind „Rückkehrzentren“.
Hier sollen alle Asylanträge gestellt werden, in Europa keine mehr. Dort sollen
auch alle Personen untergebracht werden, die um Bleiberecht ersuchen bzw.
abgewiesene AusländerInnen, die aus in ihrer Person liegenden Gründen
(subsidiäre Schutzbedürftigkeit) oder mangels Aufnamebereitschaft ihrer
Herkunftsstaaten nicht wieder in die Heimat geschickt werden können.

Mehr Geld und Einsatzkräfte für Frontex stand ebenfalls in
der Brüsseler Vorlage vom 12.9.2018. Hier herrschte einhellige Akzeptanz. Der
Beginn dieser Maßnahmen verzögert sich indes (s. o.). Die Verhandlungen über
eine umfassende Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS),
v. a. die Dublin-IV-Verordnung, verliefen dagegen zäh und erzielten kein
Ergebnis. PRO ASYL hatte die GEAS-Vorlage aus dem Jahre 2016 als Orbánisierung
der europäischen Flüchtlingspolitik bezeichnet: kollektive Aushebelung des
Zugangs zum Asylverfahren und Auslagerung der Verantwortung auf Drittstaaten
v. a. Nordafrikas, Unterbindung der Weiterwanderung von Asylsuchenden und
Geflüchteten innerhalb der EU. Die Organisation spricht von einem
Paradigmenwandel im europäischen Flüchtlingsschutz, der das individuelle
Asylrecht in der Union infrage stelle. Dass das EU-Parlament am 12.9.2018 mit
deutlicher Mehrheit für die Einleitung eines Strafverfahrens nach Artikel 7 des
EU-Vertrages gegen Ungarn gestimmt hat, dürfte ein schwacher Trost für diese Orbánisierungsgegnerin
bleiben.

Für eine Aktionskonferenz!

Die rassistischen Gesetzesverschärfungen in der EU und der
Vormarsch rechtsextremer Kräfte verdeutlichen die Dringlichkeit des Aufbaus
einer europaweiten anti-rassistischen Bewegung. Nur so können
Klassensolidarität mit den Geflüchteten, der Kampf gegen die Abschottung und
Militarisierung der EU-Außengrenzen sowie gegen Angriffe der RassistInnen, der
KapitalistInnen und der Regierung nachhaltig und erfolgreich werden. Wir
schlagen daher eine Aktions- und Strategiekonferenz vor, die folgende
Forderungen diskutieren sollte:

  • AfD, Pegida, rassistischen und faschistischen Mobilisierungen entgegentreten! Organisierte Selbstverteidigung und Solidarität gegen rassistische Angriffe!
  • Gegen alle Abschiebungen! Rücknahme aller Verschärfungen der Asylgesetze! Nein zum sog. „Integrationsgesetz“! Keine rassistischen Sondergesetze wie „Burkaverbot“ oder Einschränkung des Nachzugs von Verwandten! Bereitstellung von sicherer Unterbringung (z.  B. in Frauenhäusern) für Frauen und sexuell Unterdrückte! Für offene Grenzen! Seenotrettung ist kein Verbrechen – weg mit der Festung Europa!
  • Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen! Recht auf Arbeit und Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde für alle! Öffentliches Wohnungsbauprogramm! Beschlagnahme leerstehender Wohnungen und entschädigungslose Enteignung von ImmobilienspekulantInnen, um Wohnraum für alle zu schaffen! Gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten!



Unter dem Stacheldraht: EU verschärft Migrationsregime

Jürgen Roth, Neue Internationale 235, Februar 2019

Nahezu alle
Teilnehmerstaaten des EU-Gipfels im Juni 2018 wollten hier die Zahlen der nach
Europa kommenden MigrantInnen senken bzw. stärker kontrollieren. Einig waren
sich die EU-Staats- und RegierungschefInnen in der engeren Kooperation mit
„PartnerInnen“ wie dem ägyptischen Al-Sisi-Regime, der Aufrüstung der
Grenzschutzagentur Frontex von 1.500 auf 10.000 Mitarbeiterinnen – Anfang
Dezember 2018 erst einmal von Ende 2020 auf 2027 verschoben – und der
Einrichtung „kontrollierter Zentren“, also Massenlagern für MigrantInnen. Der
Streit mit den Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn, die im
Rahmen der Umverteilung innerhalb der EU keine Menschen aufnehmen wollen,
schwelt indes weiter. Die angekündigte Reform der Dublin-Verordnung ist
ebenfalls gescheitert.

Im Vergleich zu
2015 und 2016 ist die Zahl derjenigen, die es nach Europa schaffen, stark
gesunken. Zudem haben sich die Migrationsrouten vom Balkan über Italien nach
Spanien verschoben. Ein Grund dafür ist der im März 2016 unterzeichnete
EU-Türkei-Deal, ein weiterer seit Juni mit Antritt der neuen italienischen
Regierung die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung. Im Südosten, so auf
den griechischen Inseln und in Nordbosnien, leben immer noch etliche, die 2015
auf der „Balkanroute“ stecken geblieben sind. Gleichzeitig wurde/n in
zahlreichen Mitgliedsstaaten der Union das Asylrecht geschliffen und
restriktivere Regeln für Eingewanderte eingeführt.

Salzburger
Gipfeltreffen

28
EU-Mitgliedsstaaten trafen sich am 19.9.2018 in Salzburg und debattierten Wege
zu einem einheitlichen Asylsystem. Im Mittelpunkt standen Debatten über
Flüchtlingsdeals, Lager in Nordafrika, die Behinderung und Ausschaltung der
zivilen Seenotrettung. Die österreichische EU-Präsidentschaft erneuerte ihren
Vorschlag, Flüchtende außerhalb der EU-Grenzen in „Rückkehrzentren“
festzusetzen und auf europäischem Boden überhaupt keine Asylanträge mehr zu
akzeptieren.

Bis Mitte
September 2018 hatten 74.388 Schutzsuchende Europa übers Mittelmeer erreicht,
1.600 kamen dabei zu Tode. Ankünfte gingen zurück, die Todesrate stieg – das
Ergebnis rigorosen Vorgehens staatlicher Behörden gegen die zivile
Seenotrettung und ihrer Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache. Der
Europäische Rat gewährte den libyschen „PartnerInnen“ im Juni 2018 völlige
Handlungsfreiheit und forderte, im Mittelmeer verkehrende Schiffe dürften diese
nicht stören. In libyschen Flüchtlingslagern hatte sich die Zahl der
Schutzsuchenden von März bis Ende Juli von 4.400 auf über 10.000 mehr als
verdoppelt – darunter 2.000 Frauen und Kinder. Folterungen, Vergewaltigungen
und Morde sind hier an der Tagesordnung.

Reaktionäre
Abkommen

Seit
Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals herrscht Ausnahmezustand auf den
griechischen-Ägäis-Inseln. Allein auf Lesbos saßen ca. 10.000 Flüchtende fest.
60 % der Ankommenden sind Frauen und Kinder, die aufgrund restriktiver
Familiennachzugsregeln wieder auf Schlepperboote zurückverwiesen sind. Von den
55.000 in Libyen beim UNHCR (UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge) Registrierten
wurden zwischen November 2017 und Ende Juli 2018 1.536 nach Niger im Rahmen des
Emergency Transit Mechanism (Notüberführungsmechanismus) evakuiert. Nur 339
Schutzsuchende fanden Aufnahme in Europa und Nordamerika.

Schaffen es
trotz der von der EU vorangetriebenen Pläne zur Schließung der Mittelmeerroute
doch Flüchtlinge nach Europa, gilt das Motto: Festsetzung, Sortierung,
Abschiebung. Das bedeutet Lager, Haft und entweder vermehrte Abschiebung in die
Heimat oder die „Auslagerung“ in Drittstaaten. Die EU-Kommission legte am
28.7.2018 ein Konzept für die Einrichtung von „Kontrollierten Zentren“
innerhalb und „Regionalen Ausschiffungsplattformen“ außerhalb der EU-Grenzen
vor. In ersteren sollen gerettete Bootsflüchtige bis zu 8 Wochen untergebracht
werden, „Asyl-Screening“ und Verteilung stattfinden. Ein Schnellverfahren soll
binnen 72 Stunden über Anerkennung, Ablehnung oder Unzulässigkeit der Anträge
entscheiden. Letztere unterscheiden sich davon nur dadurch, dass die EU die
Verantwortung und die Plattformen auf Nordafrika abwälzt. Die österreichische
Hardcorevariante dessen sind „Rückkehrzentren“. Hier sollen alle Asylanträge
gestellt werden, in Europa keine mehr. Dort sollen auch alle Personen untergebracht
werden, die um Bleiberecht ersuchen bzw. abgewiesene AusländerInnen, die aus in
ihrer Person liegenden Gründen (subsidiäre Schutzbedürftigkeit) oder mangels
Aufnamebereitschaft ihrer Herkunftsstaaten nicht wieder in die Heimat geschickt
werden können.

Mehr Geld und
Einsatzkräfte für Frontex stand ebenfalls in der Brüsseler Vorlage vom
12.9.2018. Hier herrschte einhellige Akzeptanz. Der Beginn dieser Maßnahmen
verzögert sich indes (s. o.). Die Verhandlungen über eine umfassende Reform des
„Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS), v. a. die Dublin-IV-Verordnung,
verliefen dagegen zäh und erzielten kein Ergebnis. PRO ASYL hatte die
GEAS-Vorlage aus dem Jahre 2016 als Orbánisierung der europäischen
Flüchtlingspolitik bezeichnet: kollektive Aushebelung des Zugangs zum
Asylverfahren und Auslagerung der Verantwortung auf Drittstaaten v. a.
Nordafrikas, Unterbindung der Weiterwanderung von Asylsuchenden und
Geflüchteten innerhalb der EU. Die Organisation spricht von einem
Paradigmenwandel im europäischen Flüchtlingsschutz, der das individuelle
Asylrecht in der Union infrage stelle. Dass das EU-Parlament am 12.9.2018 mit
deutlicher Mehrheit für die Einleitung eines Strafverfahrens nach Artikel 7 des
EU-Vertrages gegen Ungarn gestimmt hat, dürfte ein schwacher Trost für diese
Orbánisierungsgegnerin bleiben.

Für eine
Aktionskonferenz!

Die
rassistischen Gesetzesverschärfungen in der EU und der Vormarsch rechtsextremer
Kräfte verdeutlichen die Dringlichkeit des Aufbaus einer europaweiten
anti-rassistischen Bewegung. Nur so können Klassensolidarität mit den
Geflüchteten, der Kampf gegen die Abschottung und Militarisierung der
EU-Außengrenzen sowie gegen Angriffe der RassistInnen, der KapitalistInnen und
der Regierung nachhaltig und erfolgreich werden. Wir schlagen daher eine
Aktions- und Strategiekonferenz vor, die folgende Forderungen diskutieren
sollte:

  • AfD, Pegida, rassistischen und faschistischen Mobilisierungen entgegentreten! Organisierte Selbstverteidigung und Solidarität gegen rassistische Angriffe!
  • Gegen alle Abschiebungen! Rücknahme aller Verschärfungen der Asylgesetze! Nein zum sog. „Integrationsgesetz“! Keine rassistischen Sondergesetze wie „Burkaverbot“ oder Einschränkung des Nachzugs von Verwandten! Bereitstellung von sicherer Unterbringung (z.  B. in Frauenhäusern) für Frauen und sexuell Unterdrückte! Für offene Grenzen! Seenotrettung ist kein Verbrechen – weg mit der Festung Europa!
  • Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen! Recht auf Arbeit und Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde für alle! Öffentliches Wohnungsbauprogramm! Beschlagnahme leerstehender Wohnungen und entschädigungslose Enteignung von ImmobilienspekulantInnen, um Wohnraum für alle zu schaffen! Gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten!