„Zwei Staaten“ in Palästina: Geschichte einer reaktionären Idee

Robert Teller, Infomail 1239, 14. Dezember 2023

Dass „Zwei Staaten“ in Palästina niemals Wirklichkeit werden, bedeutet nicht, dass die Idee nicht auch einen eigenen Zweck erfüllen kann. Während Israels Bombenteppiche in Gaza Wohnviertel, Bäckereien, Justiz- und Regierungsgebäude in Schutt und Asche legen – und damit nebenbei auch jeden realen Ansatz palästinensischer Staatlichkeit pulverisieren – geistert die „Zweistaatenlösung“ wieder durch die Köpfe vor allem jener unter den Freund:innen Israels, die es für moralisch geboten halten, auch an eine „Zeit nach dem Krieg“ zu denken.

UN-Teilungsplan und Nakba

Ursprung der „Zweistaatenlösung“ ist der Teilungsplan von 1947, der nach einem Beschluss der UN-Vollversammlung aufgrund des von Britannien angestrebten Rückzugs aus Palästina durch eine eingesetzte Kommission erarbeitet wurde. Obwohl damals bereits die Schaffung eines einzigen föderalen und demokratischen Staates in ganz Palästina diskutiert wurde, entschied sich die Kommission schließlich für einen Teilungsplan, der mehr als die Hälfte der Fläche Palästinas für einen „jüdischen“ Staat vorsah, während Jerusalem unter UN-Verwaltung gestellt werden und auf der verbleidenden Fläche ein „arabischer“ Staat geschaffen werden sollte. Beide Staaten sollten politisch souverän, jedoch in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum verbunden sein.

Diese Aufteilung des Landes stand bereits damals in keinem Verhältnis zur demographischen und territorialen Realität der 32 % jüdischen Einwander:innen. Die große palästinensische Bevölkerungsmehrheit erstreckte sich auch auf etwa 400 palästinensische Dörfer innerhalb der vorgeschlagenen Grenzen eines „jüdischen“ Staates. Die Palästinenser:innen lehnten die Abtretung von Territorien an eine koloniale Siedler:innenbewegung ab, was nicht überrascht. Der Teilungsplan enthielt auch von Beginn an einen Verstoß gegen den Souveränitätsgedanken, mit dessen Anspruch die UNO gegründet wurde.

Der durch nichts demokratisch legitimierte Teilungsplan trug nicht dazu bei, die Spannungen zwischen einer kolonialen Siedler:innenbewegung und der indigenen Bevölkerung Palästinas zu entschärfen. Vielmehr verlieh er 1948 der gewaltsamen Vertreibung von 700.000 (und Ermordung von Tausenden) Palästinenser:innen politische und moralische Rückendeckung. Die Nakba endete in der militärischen Eroberung eines deutlich über den Teilungsplan hinausgehenden Territoriums und dessen ethnischer Säuberung. Diese gewaltsam geschaffenen Grenzen wurden 1949 durch Waffenstillstandsabkommen und die Aufnahme Israels in die UNO international anerkannt. Der in UN-Resolution 194 auferlegten Pflicht, allen palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen, kam Israel bekanntlich nie nach – und dies stand auch bei den vielen Verhandlungsrunden des „Friedensprozesses“, der zu einer Zweistaatenlösung hätte führen sollen, nie ernsthaft zur Debatte. Vielmehr war deren Voraussetzung gerade die Anerkennung der 1948 geschaffenen Verhältnisse, die seither Generationen von Palästinenser:innen zu Flüchtlingen im eigenen Land oder in den Nachbarstaaten machen.

Folgen des Sechstagekriegs

In die politische Debatte kam die „Zweistaatenlösung“ erst Jahrzehnte später wieder – und zwar nicht als Lösung für die nationale Frage Palästinas, sondern für das israelische „Problem“ der 1967 neu eroberten Gebiete, die sich für den zionistischen Staat als zweischneidiges Schwert herausstellten. Nach den Erfahrungen, die die Palästinenser:innen (und die Weltöffentlichkeit) 1948 gemacht hatten, konnten die Westbank und Gaza nicht in der gleichen Weise ethnisch gesäubert werden, um sie den Expansionsbestrebungen Israels zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der dort verbliebenen großen palästinensischen Bevölkerung konnte sich Israel diese Gebiete weder einfach einverleiben noch an die unterlegenen arabischen Staaten abtreten oder gar eine palästinensische Selbstverwaltung zulassen, die es der PLO erlaubt hätte, sich entlang der Grenzen von 1948 zu formieren. Die „Lösung“ eines dauerhaften Besatzungsregimes erwies sich mit Beginn der ersten Intifada 1988 als nicht nachhaltig. Kollektive Kampfformen der Palästinenser:innen wie Streiks, Kauf- und Steuerboykott versetzten der israelischen Ökonomie schwere Schläge. Die nach 1967 verfolgte Strategie einer ökonomischen Integration und Entwicklung der eroberten Gebiete – bei gleichzeitiger Vorenthaltung jeglicher demokratischer Rechte – erwies sich als Bedrohung für das zionistische Projekt.

Oslo-Prozess

Das zentrale Versprechen der Osloer Abkommen 1993 beinhaltete Israels Rückzug aus der Westbank und dem Gazastreifen. Dies sollte jedoch erst als Endergebnis in einem Friedensabkommen vereinbart werden, als Abschluss eines 5 Jahre langen Prozesses, der in kleinen Schritten Verantwortung hin zur neu geschaffenen Palästinensischen Autonomiebehörde verlagern würde. Bis dahin sollte die palästinensische Seite unter Bewährung stehen und demonstrieren, dass sie „zum Frieden bereit“ sei.

Auf Seite Israels lag ein wichtiger Gesichtspunkt darin, die Armee zunehmend von ihrer Funktion als Polizei der besetzten Gebiete zu entbinden, also ihre militärischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Im zionistischen Lager umstritten war die Frage der ökonomischen Integration. Die alleinige Kontrolle der Grenzen und des Außenhandels durch Israel seit 1967 ermöglichten der israelischen Ökonomie Extraprofite durch Überausbeutung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse und durch Zölle und Handelsprofite. Obwohl die Wirtschaftsunion und auch die Bewegungsfreiheit für palästinensische Arbeiter:innen in den Osloer Abkommen vertraglich vereinbart wurde, setzte sich in Israel letztlich der Flügel im Sicherheitsapparat durch, der einen gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Wirtschaftsraum als inakzeptable „Sicherheitsbedrohung“ sah. Die zunehmende Abriegelung der Westbank und des Gazastreifens war ein klarer Verstoß gegen den Wortlaut des Oslo-Abkommens, aber Israel betrieb diese aus genau der Logik heraus, mit der es in die „Friedensverhandlungen“ gegangen war: der angestrebten Minimierung der „Gefahr“, die mit der Verantwortung für das besetzte Volk einhergeht. Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen nach 1967 war zwar seit Beginn der Besatzung dem israelischen Militärregime in den Gebieten unterworfen, doch erst Mitte der 1990er Jahre wurde die Abriegelung von Dörfern, Städten bzw. der gesamten Westbank oder die Verhängung von Ausgangssperren durch militärischen Befehl ein alltäglicher Normalzustand.

Eine weitere wichtige Folge des Oslo-Abkommens war die Zerstückelung der Westbank in einen Flickenteppich mit abgestufter Aufgabenteilung zwischen dem israelischen Militär und der Autonomiebehörde. Dem anfänglichen Versprechen nach sollte der israelische Rückzug aus den A- und B-Gebieten nur der erste Schritt hin zu einer wachsenden palästinensischen Selbstbestimmung werden, und bis Ende 1999 sollte die gesamte Westbank der Autonomiebehörde übergeben werden. Umgesetzt wurde letztlich nur der Abzug aus den großen palästinensischen Bevölkerungszentren der Westbank (A- und B-Gebiete), die seither großteils Enklaven unter Verwaltung einer Israel treu ergebenen palästinensischen Hilfspolizei darstellen. Selbst hier behält sich Israel das Recht auf militärische Interventionen vor, die ggfs. höchstens durch die Auslieferung von Israel gesuchter Personen durch die palästinensische Polizei verhindert werden können. In Einzelvereinbarungen setzte Israel in jedem Teilrückzug Konditionen durch, die dem langfristigen Ziel der Kolonisierung der Westbank Rechnung tragen. So wurde etwa beim israelischen Abzug aus Hebron 1997 eine verbleibende dauerhafte Militärpräsenz zum „Schutz“ der damals 400 israelischen Siedler:innen vereinbart. Eine Folge dieses Abkommens ist, dass in der israelisch besetzten H2-Zone dieser Stadt seither 20.000 Palästinenser:innen ihr Leben den militärischen Bedürfnissen der innerstädtischen Siedler:innenkolonie unterordnen müssen. Die daraus entstandene Lebensrealität von Ausgangssperren, „sterilisierten“ (d. h. ethnisch gesäuberten) Straßen, Checkpoints und elektronischer Überwachung wurde zum Paradebeispiel des von Israel errichteten Apartheidsystems.

Die „Zweistaatenlösung“ der 1990er setzte auf Seiten der PLO zwei Bedingungen voraus: Einerseits die Anerkennung allen vor 1967 begangenen Unrechts als unverrückbare Tatsache, andererseits die Demobilisierung der Intifada und Entwaffnung der PLO. Damit wurden Fakten zugunsten Israels geschaffen. Die interessanten Fragen hingegen wurden vielsagend auf ein „endgültiges“ Abkommen in unbestimmter Zukunft vertagt – wie die des Rückkehrrechts, der israelischen Siedlungen, der Außenbeziehungen des palästinensischen Staates und des zukünftigen Status von Jerusalem (welches 1980 von Israel völkerrechtswidrig annektiert worden war). So unbestimmt das Abkommen in allen wesentlichen Fragen war – den Palästinenser:innen forderte es nicht nur handfeste Zugeständnisse ab. Es sollte auch in der Folgezeit dazu dienen, die Äußerung jeder nur denkbaren palästinensischen Forderung als „Sabotage des Friedensprozesses“ zu delegitimieren. Die palästinensische Seite war in der Pflicht, sich als „Partnerin“ Israels zu bewähren, bevor sie einer „echten“ Einigung würdig war.

Die israelische Seite hingegen interpretierte die getroffenen Abkommen so, dass sie jeden kleinen Schritt hin zur palästinensischen Unabhängigkeit unter Verweis auf „Sicherheitsbedenken“ blockieren konnte, während die palästinensischen Zugeständnisse – insbesondere die territoriale Aufteilung der Westbank – aber endgültig blieben. Als diskussionswürdig gilt seitdem nur noch die Rückgabe einzelner Landfetzen der Westbank, auf die Israel selbst nach Meinung seiner westlichen Schutzmächte keinen territorialen Anspruch besitzt. Die Souveränität über Grenzen, Luftraum und Küstengewässer, ja selbst das Recht palästinensischer Flüchtlinge aus den Nachbarländern auf Rückkehr in diese palästinensischen Bantustans – all das verletzt kategorisch israelische „Sicherheitsinteressen“.

Spätestens mit Beginn der 2. Intifada im Jahr 2000 war klar, dass eine endgültige Vereinbarung über Israels Abzug aus der Westbank unerreichbar ist. Die von einer politisch gebrochenen PLO unter Jassir Arafat unterzeichneten Abkommen dienen seither als politische Legitimation für die zeitlich unbegrenzte Besatzung der C-Gebiete und den massiven Transfer von Siedler:innen dorthin als menschliche Schutzschilde der Besatzung. Statt eine begrenzte palästinensische Selbstbestimmung zu erreichen, wurden die Palästinenser:innen zu Fremden in einem Gebiet, das sich vom israelischen Kernland nur durch die umfassenden Privilegien unterscheidet, mit denen der israelische Staat die Siedler:innen für ihre Funktion als zivile Besatzer:innen belohnt. Durch diese De-facto-Annexion der C-Gebiete wird vermieden, die israelische Verantwortung für die Palästinenser:innen (rassistisch als „demographische Gefahr“ bezeichnet) zu vergrößern.

Für die Unterstützer:innen des Staates Israel legitimiert eine angenommene Bedrohung der Siedler:innen jede denkbare Schikane gegen Palästinenser:innen. Ungeachtet der v. a. im Westen verbreiteten scheinheiligen Hoffnung, nach Oslo irgendwie mit den palästinensischen Forderungen abschließen zu können – reale Folge der Abkommen war ihre systematische Einzäunung durch eine nun tödliche Sperranlage um Gaza und ein System von Mauern, Checkpoints und Apartheidstraßen, das die Westbank durchzieht und eingrenzt. Der einzige palästinensische Flughafen, der ein Symbol für neu gewonnene Freiheiten der Palästinenser:innen sein sollte, wurde nur drei Jahre nach Eröffnung durch die israelische Luftwaffe zerstört. Die Autonomiebehörde sollte nach der Abnabelung Israels zur lokalen Verwalterin des Status quo der Besatzung werden. Außerdem bietet der von ausländischen „Hilfsgeldern“ abhängige Apparat allen möglichen „Freund:innen der Palästinenser:innen“ die Möglichkeit, ihre Komplizenschaft mit Israel finanziell zu kompensieren.

Obwohl es in Folge der Oslo-Abkommen einen Rechtsruck in Israel gab, der jede Illusion über die Möglichkeit einer friedlichen Lösung zerstreute – die für die Palästinenser:innen desaströsen Folgen des „Friedensprozesses“ liegen nicht in dessen Scheitern begründet, sondern wohnen diesem von Beginn an inne. Der nach seiner Ermordung 1995 vielfach zum Friedensstifter verklärte Premierminister Jitzchak Rabin ließ selbst keinen Zweifel daran, dass die von ihm ausgearbeiteten Abkommen keine palästinensische Souveränität zur Folge haben sollten und die „Sicherheitsgrenze“ Israels immer am Fluss Jordan liegen würde.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus Oslo ist aber, dass auch die vollständige politische Kapitulation der einst selbstbewussten PLO nicht ausreichte, um die palästinensische Frage ad acta zu legen. Die Zweite Intifada ab 2000 bewies, dass die Palästinenser:innen weiterhin zu massenhaftem Widerstand fähig waren. Die Reaktion Israels – der erneute militärische Vorstoß in die A- und B-Gebiete, die Belagerung von Jassir Arafats Hauptquartier in Ramallah und die Zerstörung der bis dahin aufgebauten zivilen palästinensischen Verwaltung in der Westbank, die routinemäßige Verhängung von Kollektivstrafen wie Ausgangssperren, Abriegelungen oder Hauszerstörungen – führte auch vor Augen, dass der Kern des Konflikts eben nicht der Unwille zum friedlichen Ausgleich ist, sondern die Fähigkeit und der Wille Israels, gewaltsam den Status der Palästinenser:innen als Vertriebene und Rechtlose durchzusetzen.

Die Intentionen der israelischen Regierung wurden vor dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 sehr klar durch Dov Weissglass, damals Berater von Premierminister Ariel Scharon, formuliert:

„Die Bedeutung des Rückzugsplans liegt darin, dass wir den Friedensprozess einfrieren. Und wenn man diesen Prozess einfriert, verhindert man die Gründung eines palästinensischen Staates und verhindert eine Diskussion über die Flüchtlinge, die Grenzen und Jerusalem. Das ganze Paket namens palästinensischer Staat mit allem, was es mit sich bringt, wurde auf unbestimmte Zeit von unserer Tagesordnung gestrichen.“

Wie bei jedem Einsatz militärischer Mittel ist das real herrschende Gewaltverhältnis der Maßstab für jeden „Friedensplan“. Die 2002 von den USA neu aufgelegte „Roadmap for Peace“ machte der israelischen Seite erhebliche Zugeständnisse. Von Israel wurde die Roadmap so interpretiert, dass als ihre Vorbedingung ein Ende der Intifada, die Entwaffnung des palästinensischen Sicherheitsapparates und die politische Entmachtung von Jassir Arafat erfolgen müsse. Die Roadmap hatte daher für Israel die Funktion, die Niederschlagung der Intifada mit politischer Legitimität zu versehen.

Deal of the Century

Der Trump-Plan von 2019 („Deal of the Century“) war letztlich für fast alle Beobachter:innen nur der Versuch, die Realität zu legalisieren und in eine dauerhafte Rechtsform zu gießen. Teil des Plans war die einseitige Annexion aller Siedlungen in der Westbank sowie des Jordantals, die lediglich von den USA „bewilligt“ werden müsste. Der palästinensische „Staat“ dürfte keinerlei bewaffneten Organe unterhalten, müsste alle rechtlichen Schritte gegen Israel vor internationalen Tribunalen unterlassen und dürfte nicht in eigener Verantwortung internationalen Organisationen beitreten. Bei Verstoß gegen irgendwelche Vereinbarungen würde Israel automatisch das Recht auf militärische Intervention erhalten, vorbehaltlich nur der Zustimmung durch die US-Administration. Der Plan enthält die Möglichkeit der Ausbürgerung von Palästinenser:innen mit israelischem Pass und die weitergehende Annexion von Gebieten der Westbank im „Tausch“ gegen Gebiete in der Negev-Wüste. Die Annexion Jerusalems würde unverrückbar anerkannt, alle Grenzen würden ausschließlich von Israel kontrolliert und die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge selbst in diesen „Staat“ Palästina würde unter den Vorbehalt israelischer Zustimmung gestellt. Durch die „Hilfe“ von Investor:innen aus den Golfstaaten sollten die palästinensischen Kantone zu einer florierenden Sonderwirtschaftszone ausgebaut werden. Der Rest der Welt sollte auf diese Weise von der finanziellen Last befreit werden, einen Großteil der palästinensischen Bevölkerung über das UNRWA-Hilfswerk mit dem Nötigsten zu versorgen, was seit 1948 eine zentrale Voraussetzung der dauerhaften Ghettoisierung der palästinensischen Flüchtlinge und damit der israelischen „Sicherheitsinteressen“ ist.

Die „Zweistaatenlösung“ hat für Israel ihren Zweck erfüllt – die politische Unterwerfung der PLO. Zugleich hat sie 3 Jahrzehnte lang deutschen, US-amerikanischen und anderen Regierungen als Feigenblatt gedient, um ihre fortgesetzte Rückendeckung für den Kolonialstaat Israel politisch zu flankieren. Das erklärt auch, dass sie nicht so einfach aus den Köpfen verschwinden wird, wie es der zionistischen Rechten in Israel lieb wäre.

Resultat der Oslo-Abkommen ist auch der Apparat der Autonomiebehörde, der als Auftragnehmer des Besatzungsregimes für Israel unverzichtbar geworden ist. Dies unterstreicht auch die von Präsident Abbas und Premierminister Schtajjeh demonstrierte Bereitschaft, nach Ende von Israels Krieg in Gaza dort als Statthalter über die Trümmerwüste einzuspringen. Dass dies von Israel bislang ausgeschlossen wird, erklärt sich gerade aus der wichtigen Funktion, die die Behörde für Israel besitzt. Es ist nicht nur fraglich, woher diese die notwendige Autorität für die Neuordnung Gazas nehmen soll. Die politische Vereinigung von Gaza mit der Westbank würde auch den palästinensischen Massen die längst diskreditierte Autonomiebehörde als gemeinsame Gegnerin präsentieren und den Widerstand gegen deren Herrschaft als gesamtpalästinensische Frage, als zentralen Aspekt des Kampfes gegen Besatzung und Unterdrückung überhaupt, aufwerfen.

Für einen binationalen, säkularen, sozialistischen Staat!

Die Sackgasse in der Diskussion um die Zweistaatenlösung zeigt schlichtweg auf, dass die Lösung der palästinensischen Frage im Widerspruch steht zum Fortbestand eines kolonialen, ethnisch gesäuberten Staates Israel – in welchen Grenzen auch immer. Seine revolutionäre Überwindung ist die Voraussetzung für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts beider Nationen, der palästinensischen und der jüdisch-israelischen. Dies erfordert neben der völligen rechtlichen Gleichstellung der Nationalitäten, der Anerkennung aller gesprochenen Sprachen als gleichberechtigt, der Anerkennung des Rückkehrrechts für alle palästinensischen Flüchtlinge weltweit und ihrem Anspruch auf Entschädigung auch, die ideologische Bindung der israelischen Massen an das zionistische Projekt zu durchbrechen. Solange die jüdisch-israelische Selbstbestimmung fälschlich mit der Aufrechterhaltung militärisch abgesicherter Völkerreservate gleichgesetzt wird, bleibt eine „gerechte Lösung“ eine Unmöglichkeit. Dieses Wegbrechen der israelischen Massen vom Zionismus kann jedoch keine Vorbedingung für den palästinensischen Befreiungskampf sein. Vielmehr wird jeder Schlag, den die Palästinenser:innen und die internationale Solidaritätsbewegung dem Staat Israel versetzen, auch die Grundlage dieser ideologischen Bindung schwächen, die auf dem chauvinistischen Glauben an die Unbesiegbarkeit Israels fußt.

Auch wenn heute der Kampf gegen den Siedlungsbau und den alltäglichen Versuch der Vertreibung von Palästinenser:innen in der Westbank auf der Tagesordnung steht, muss dieser auf die Anerkennung der jüdisch-israelischen Nation unter vollständiger Abschaffung sämtlicher Privilegien abzielen. Dieses Ziel ist unvereinbar mit der Existenz zweier Staaten. Die Zweistaatenlösung würde unweigerlich beinhalten, einen Grenzverlauf festzuschreiben, der durch koloniale Gewalt aufgezwungen ist – und mit diesem auch die Vertreibungen von 1948, von 1967, die der vergangenen Jahrzehnte und die mit allem verbundene Enteignung palästinensischen Eigentums unwiderruflich machen. Eng damit verknüpft ist die Aneignung von Wasser, landwirtschaftlicher Nutzfläche und anderer natürlicher Ressourcen durch den Siedlerkolonialismus und die Kontrolle der Außengrenzen. Status quo ist die Existenz eines einzigen souveränen Staates, der eine echte Teilung seiner Souveränität kategorisch ausschließt. Es ist eine Utopie, diesen Staat derart zu bändigen, dass neben ihm Platz für einen zweiten existiert. Voraussetzung für jede gerechte Lösung ist seine revolutionäre Zerschlagung und die Schaffung eines neuen binationalen Staates.

Obwohl Marxist:innen für unterdrückte Nationen das Recht auf Lostrennung und auf einen eigenen Staat fordern, kann diese Forderung keinesfalls unterschiedslos, ohne Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Unterdrückung aufgestellt werden.

Ein palästinensischer „Staat“ neben Israel würde nicht nur vergangenes Unrecht legitimieren, sondern auch die derzeit vollzogenen ethnischen Säuberungen in der Westbank als endgültig hinnehmen müssen. Die Festlegung eines Grenzverlaufs zwischen beiden Staaten würde höchstwahrscheinlich eine neue Vertreibungswelle nach sich ziehen, die auf die Ausweisung eines möglichst großen Teils der Palästinenser:innen in den Grenzen von 1948 abzielt. Solche Szenarien werden u. a. von der ultrarechten zionistischen Partei „Jisra’el Beitenu“ (Unser Zuhause Israel) vertreten. Der reaktionäre Gehalt der „Zwei-Staaten“-Idee wird daran deutlich, dass ihr Ziel letztlich die Schaffung eines ethnisch homogenen Staates Israel ist, also der Abschluss der historischen Mission des Siedlerkolonialismus – wenn auch mit ggfs. geringfügig reduzierter territorialer Ausdehnung. Solange die Existenz eines Siedler:innenstaates auf der Basis ethnischer Exklusivität akzeptiert wird, kann der historische Zweck der Zweistaatenlösung nur in dessen Vollendung liegen – unabhängig davon, welche Hoffnungen einige Palästinenser:innen mit der Aussicht auf einen eigenen Staat neben Israel verbinden mögen. Ein unter den heutigen Bedingungen irgendwie vorstellbarer palästinensischer Staat – der seiner staatlichen Souveränität und wichtigsten sozialen Errungenschaft, des Rückkehrrechts, beraubt wäre – würde die palästinensische Frage nicht lösen, sondern die Unterdrückung mit umfassender politischer Legitimität ausstatten. Ein solcher „Deal“ würde auch auf die „Normalisierung“ Israels durch die Abraham Accords von 2020 aufbauen. Im schlimmsten Fall könnte dabei das ägyptische Regime gezwungen werden, einer Vertreibung der Palästinenser:innen aus Gaza und deren Ansiedlung auf dem Sinai zuzustimmen.

Revolutionär:innen sollten daher unmissverständlich für eine „Einstaatenlösung“ eintreten. Natürlich zieht diese Position auch die Frage des Klassencharakters des zu erkämpfenden Staates nach sich. Die Schaffung eines gerechten Ausgleichs beider Nationalitäten erfordert den massiven Transfer von Ressourcen zur Entschädigung und Wiederansiedlung der Vertriebenen. Die Beseitigung des Apartheidcharakters, der bereits im Städtebau und in Straßenverläufen einbetoniert worden ist, ist nur auf Grundlage gemeinschaftlichen Eigentums an Land, Wohnraum, Industrie und Bodenschätzen möglich. Sie fällt also der Arbeiter:innenklasse zu, die diese Ressourcen enteignen und einer gesamtgesellschaftlichen Planung des binationalen Staates zugänglich machen würde. Die Verknüpfung der demokratischen mit der sozialistischen Revolution stellt daher den programmatischen Kern der revolutionären Strategie zur Befreiung Palästinas dar.




Die „Feuerpause“ bei der Bombardierung Gazas

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1237, 25. November 2023

Am 24. November trat eine viertägige Waffenruhe für Israels Land-, See- und Luftangriffe auf die Bevölkerung des Gazastreifens in Kraft, die eventuell bis zu zehn Tage verlängert werden kann. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat jedoch darauf bestanden, dass es keine dauerhafte Waffenruhe oder einen Waffenstillstand geben wird, solange die Hamas nicht vernichtet ist, koste es die 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen, was es wolle. Die Zahl der Todesopfer hat bereits 14.000 überschritten und ist damit mehr als zehnmal so hoch wie die Zahl der 1.200 Israelis, die bei den Hamas-Angriffen am 7. Oktober getötet wurden.

Beim Austausch von Gefangenen sollen die Hamas und der Islamische Dschihad 50 israelische Geiseln und Israel 150 palästinensische Gefangene freilassen, die meisten davon Jugendliche unter 18 Jahren und Frauen. Im Gegenzug für weitere Geiselfreilassungen könnte es zu weiteren Verlängerungen kommen. Für die Dauer der „Pause“ werden größere Mengen an Lebensmitteln, Wasser, Treibstoff und medizinischen Gütern durch die israelische Blockade gelassen.

Hintergrund

Unmittelbarer Hintergrund sind die schrecklichen Angriffe der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) auf Krankenhäuser und UNRWA-Schulen (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), in die sich Familien geflüchtet hatten. Insbesondere der Befehl des Kriegsverbrecherkabinetts Netanjahu an die IDF, in das al-Shifa-Krankenhaus einzumarschieren und alle Patient:innen, Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen sowie viele Hunderte von Menschen zu vertreiben, die hofften, dort vor der Grausamkeit der IDF sicher zu sein. Hinzu kommt das peinliche Versäumnis, die „Hamas-Kommandozentrale“ zu entdecken, von der Netanjahu behauptete, sie befände sich unter dem Gelände.

In den westlichen imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas, deren Regierungen die Augen vor diesen völkermörderischen Aktionen verschlossen haben, haben die Massendemonstrationen jede Woche zugenommen, trotz der Drohungen von Minister:innen und Polizeikräften, diese überwältigend friedlichen Proteste zu verbieten, indem sie sie als Unterstützung für den „Terrorismus“ und wahrscheinlich zu antisemitischen Ausschreitungen führend verleumden.

In Großbritannien haben beide großen Parteien Abgeordnete und Ratsmitglieder suspendiert oder ausgeschlossen, die es gewagt hatten, sich für Palästina einzusetzen, und das US-Repräsentantenhaus hat sein einziges Mitglied mit palästinensischem Wurzeln verurteilt. In Deutschland und Frankreich wurden Demonstrationen verboten und Hunderte festgenommen. Palästinensische Organisationen wurden verboten und Aktivist:innen kriminalisiert. Trotz dieser Verleumdungen, Lügen und Repressionen sind Hunderttausende in London und Washington und Zehntausende in Paris und Berlin auf die Straße gegangen. In den arabischen Ländern und generell in der halbkolonialen Welt hat die große Mehrheit der Bevölkerung die israelischen Angriffe von Anfang an abgelehnt.

Doch die Gräueltaten Israels, die dank des Mutes einfacher Menschen in Gaza, die Videos davon herausbringen konnten, jede Nacht zu sehen sind, haben begonnen, die „öffentliche Meinung“ auch in den meisten westlichen Ländern zu verändern und eine Massenbewegung zu fördern, die ein Ende des Tötens fordert und nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

Die Forderung nach einem sofortigen, vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand ist zu einer zentralen Forderung der Massendemonstrationen und der weltweiten Solidaritätsbewegung geworden.

Druck der USA

Infolgedessen sahen sich die Regierung Biden und imperialistische Verbündete wie Deutschland und Großbritannien, die alle von Anfang an ihre bedingungslose Unterstützung Israels erklärt hatten, gezwungen, das Land aufzufordern, das Ausmaß der zivilen Opfer in Grenzen zu halten und das Völkerrecht einzuhalten. Obwohl diese schwach geäußerten „Bedenken“ wochenlang auf taube Ohren stießen, verbanden die USA und die EU die Wiederaufbereitung ihrer alten „Zweistaatenlösung“ für ein Nachkriegs-Gaza und ein Westjordanland mit der Forderung nach einer „Pause“ bei den IDF-Angriffen, um die humanitäre Katastrophe zu begrenzen.

Der wahre Grund, warum die USA ihre „Friedenspropaganda“ wieder aufleben lassen, ist der Schaden, den Israels unerbittliche Grausamkeit ihren Plänen für einen von den USA dominierten Nahen Osten zugefügt hat, in dem Israel mit ihren Verbündeten wie Saudi-Arabien und Ägypten befreundet ist, sich aber gegen ihre Gegner:innen Syrien, Iran, Hisbollah, die Huthis und Hamas stellt. Trump hat dies mit den „Abraham-Abkommen“ (Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten vom September 2020) begonnen und Biden hat es fortgesetzt. Ende September behauptete sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan sogar, „die Region des Nahen Ostens ist heute so ruhig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr“. Die Ereignisse haben nicht nur die Torheit dieser Vorhersage bewiesen, sondern seine Behauptung, dass alles „ruhig“ sei, zeigt, was das für einen imperialistischen Satrapen bedeutet, wenn man es mit dem Bericht von Medical Aid for Palestine vom Juli vergleicht, der besagt, dass „die Zahl der Todesopfer unter den Palästinenser:innen im Westjordanland im Jahr 2023 153 erreicht hat und damit bereits das Jahr 2022 als das tödlichste für die Palästinenser:innen im Westjordanland seit Beginn der Aufzeichnungen durch die UN im Jahr 2005 übertrifft“.

Biden erklärte: „Wenn diese Krise vorbei ist, muss es eine Vision geben, was danach kommt. Und unserer Meinung nach muss es eine Zweistaatenlösung sein“. Ebenso hat Außenminister Antony Blinken erklärt, dass jeder Nachkriegsplan für den Gazastreifen eine palästinensisch geführte Regierung und seine Vereinigung mit dem Westjordanland unter der Palästinensischen Autonomiebehörde beinhalten müsse.

Hindernisse

Diese Lösungen könnten nur über auf dem Rücken einer entwaffneten und zerstückelten palästinensischen Nation und ihres Heimatlandes erreicht werden. Seit der Nakba von 1948 hat das Volk trotz der Fehler und des Verrats seiner Führungen und der korrupten Monarchien und Militärdiktaturen der arabischen Welt immer wieder bewiesen, dass es dies niemals zulassen wird.

Das andere Hindernis für Bidens Pläne – sofern sie überhaupt mehr als eine Täuschung sind – besteht darin, dass Israels Politiker:innen, ob von der zionistischen Rechten oder Linken, deutlich gemacht haben, dass es keine Chance für irgendeine Art von „Land gegen Frieden“ im Sinne von Oslo gibt. Unter Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PNA) unter Jassir Arafat um die Jahrhundertwende zunächst gedemütigt (Belagerung seines Hauptquartiers in Ramallah) und dann unter Mahmud Abbas gezwungen, eine Hilfspolizei für Israel zu werden.

In einer Instruktionssitzung nach dem 7. Oktober skizzierten die israelischen Sicherheitsministerien Optionen für eine Nachkriegslösung. Die „bevorzugte“ Lösung wäre der „Transfer“ der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens auf die Sinai-Halbinsel, während die am wenigsten wünschenswerte Lösung die Rückgabe an die PNA wäre. Unerwünscht, weil dies ihrer Meinung nach der palästinensischen Nationalbewegung einen „noch nie dagewesenen Sieg bescheren würde, einen Sieg, der Tausende von israelischen Zivilist:innen und Soldat:innen das Leben kosten und Israels Sicherheit nicht garantieren würde“.

Es liegt auf der Hand, dass die derzeitige Likud-Koalitionsregierung mit ihren rechtsextremen Minister:innen die Vollendung der Nakba, die Vertreibung der Palästinenser:innen, mit anderen Worten einen politischen Völkermord, anstrebt. Aus diesem Grund hat sie bereits vor dem 7. Oktober Dschenin (Stadt und UN-Flüchtlingslager in der Westbank) angegriffen, die Siedler:innen bewaffnet, die ethnische Säuberung im Westjordanland gefördert, palästinensische Häuser zerstört, Provokationen in Jerusalem gestartet und eine Rekordzahl unbewaffneter palästinensischer Demonstrant:innen ermordet.

Kurzum, die von israelischen Politiker:innen, ob rechts oder links, vorgeschlagenen Lösungen sehen nichts vor, was auch nur annähernd an Blinkens oder Bidens Fata Morgana eines palästinensischen Staates heranreicht.

Aber auch die israelischen Lösungen sind nicht praktikabel. Ägypten wäre niemals in der Lage, 2,3 Millionen Menschen aus dem Gazastreifen aufzunehmen, was nur als eine weitere Episode der Nakba angesehen werden könnte. El-Sisi würde nicht die Aufgabe übernehmen, Gaza zu regieren, und Mahmud Abbas (und die glücklose PNA) wären nicht in der Lage, Gaza zu regieren, indem sie als Gefängniswärter:innen im Namen Israels und des Imperialismus agieren. Die PNA wurde bereits von den reichen imperialistischen Ländern um ihr Geld gebracht, sie wird von israelischen Politiker:innen verabscheut und von den palästinensischen Massen gehasst.

Wie geht es jetzt weiter?

Die weltweite Bewegung hat die Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand laut werden lassen. Natürlich würde dies eine sofortige und willkommene Atempause für die Bevölkerung bringen, aber es würde keine dauerhafte Erleichterung bringen, solange die IDF-Besatzung des nördlichen Gazastreifens anhält. Solange die Land-, See- und Luftblockade in Kraft bleibt, wird das Leiden der Bevölkerung zu einer Waffe in den Händen des Zionismus. Selbst ein formelles Abkommen oder ein Waffenstillstand würde das Leiden nur vorübergehend einfrieren, solange Israel Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung und Baumaterialien für den Wiederaufbau und die Reparatur der 40 Prozent der Gebäude, die bereits in Schutt und Asche liegen, blockieren kann, während der Winter naht.

Die Bewegung auf der ganzen Welt muss durch fortgesetzte Massendemonstrationen, Boykotte und die Blockade von Militär- und Wirtschaftsexporten aus Europa und den USA den größtmöglichen Druck ausüben. Die Unterstützer:innen Palästinas müssen maximalen Druck auf die prozionistischen Führungen der reformistischen Arbeiter:innenparteien und der Gewerkschaften ausüben, damit gezwungen werden, politisch mit Israel zu brechen und diese Forderungen aufzugreifen. Sie müssen gegen die Kriminalisierung der palästinensischen Organisationen und den antimuslimischen Rassismus kämpfen. Sie müssen die Lüge entlarven, dass Antizionismus Antisemitismus sei, und deutlich machen, dass der Kampf gegen den sehr realen Anstieg des Antisemitismus durch die Rechte Hand in Hand mit der Unterstützung des palästinensischen Volkes gegen seine nationale Unterdrückung gehen muss.

In den arabischen und muslimischen Ländern brauchen wir eine Bewegung in der Größenordnung des Arabischen Frühlings, die sich gegen die Kollaborateure mit den USA richtet, um den Abbruch nicht nur jeglicher Beziehungen zu Israel, sondern auch zu seinen nordamerikanischen und europäischen Unterstützer:innen zu fordern, bis sie Israel zwingen, seine völkermörderischen Angriffe einzustellen und sich aus Gaza und dem Westjordanland zurückzuziehen.

In den Ländern, in denen sich eine Massenprotestbewegung entwickelt hat, müssen wir nicht nur für einen humanitären Waffenstillstand kämpfen, sondern für den vollständigen Rückzug der IDF, ihrer Panzer, Bulldozer und Drohnen aus dem gesamten Gebiet, dem Luftraum und den Anrainergewässern des Gazastreifens sowie für ein sofortiges Ende der brutalen, anhaltenden Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem. Wir müssen auch das Ende der Blockade und die Einführung des freien Verkehrs auf dem Land-, See- und Luftweg über die Grenzen Gazas und zwischen Gaza und dem Westjordanland und Jerusalem fordern.

Seit dem 7. Oktober hat Israel 4.000 Menschen aus dem Gazastreifen und mehr als 1.000 aus dem besetzten Westjordanland festgenommen, womit sich die Gesamtzahl der Inhaftierten auf 10.000 erhöht. Wir müssen die bedingungslose Freilassung aller palästinensischen „Geiseln“ fordern, sowohl derjenigen, die von israelischen Gerichten verurteilt wurden, als auch ihrer Mehrheit, derjenigen, die ohne Gerichtsverfahren einsitzen.

Außerdem müssen wir uns jedem „Friedensprozess“ widersetzen, der nicht das Recht auf Rückkehr aller Palästinenser:innen einschließt, die seit 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden; jede Regelung muss die freie, ungezwungene und demokratische Zustimmung aller Palästinenser:innen erhalten.

Ein einziger palästinensischer Staat kann sowohl Menschen mit palästinensischer als auch israelischer Nationalität umfassen, vorausgesetzt, es gibt keine Privilegien für irgendeine. Wenn Palästina zu einem sozialistischen Staat wird, in dem das Land und die Arbeitsplätze gemeinsam genutzt werden, kann dieses historische Unrecht überwunden werden. Es ist die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse beider Nationen, ja der gesamten Region, dies zu erreichen. Dazu gehört der Kampf gegen die imperialistischen Mächte, die die Region so lange geteilt und ausgebeutet haben.

  • Vollständiger Waffenstillstand, Abzug aller IDF-Truppen!

  • Vollständige Beendigung der Belagerung!

  • Freiheit für Palästina!



Stoppt den Krieg gegen Gaza! Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!

Flugblatt der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1235, 4. November 2023

Israel führt Krieg gegen Gaza. Seit über 14 Tagen fliegt die Armee massive Angriffe gegen Gaza, aber auch auf Stellungen im Libanon und in Syrien. Bei den Einsätzen der israelischen Luftwaffe und mit Raketen sind bisher über 9.000 Menschen getötet worden. Rund eine Million Palästinenser:innen – die Hälfte der Bewohner:innen Gazas – befindet sich auf der Flucht.

Israels Kriegsziele

Die israelische Strategie zielt auf die „Säuberung“ und Vernichtung des gesamten palästinensischen Widerstandes in Gaza. Die Hamas, aber auch sämtliche andere Organisationen, die sich zur Wehr gesetzt haben und setzen (wie Islamischer Dschihad, PFLP, DFLP), sollen ausradiert werden. Um dafür den Boden vorzubereiten, werden Städte und Infrastruktur systematisch zerstört und große Teile der Bevölkerung vertrieben.

Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wird von Seiten des Notstandskabinetts und der Armee nur genommen, um das Gewissen der „demokratischen“ Öffentlichkeit im Westen zu beruhigen und Brüche in der Front der Unterstützer:innen im Inneren zu vermeiden. 

Israel und seine Verbündeten, allen voran alle westlichen imperialistischen Regierungen, rechtfertigen den Krieg als „Akt der Selbstverteidigung“ gegen den „Terrorismus“ der Hamas. Sie erklären ihre „bedingungslose Solidarität“ mit Israel. Die USA entsenden zwei Flugzeugträger mit Einsatzkräften ins östliche Mittelmeer. Frankreich, Deutschland, die EU und Britannien versprechen Waffenlieferungen und materielle Hilfe. Zugleich mahnen sie die Einhaltung des Völker- und Kriegsrechts an, weil sie fürchten, dass ein zu rücksichtsloses Vorgehen die ohnedies angeschlagene westliche imperialistische Dominanz im Nahen Osten weiter schwächen könnte.

Die Vorstellung, dass es sich bei dem Angriff Israels um einen Krieg zur Selbstverteidigung handle, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Es geht nicht nur um die Vernichtung der Hamas und aller bewaffneten, Widerstand leistenden palästinensischen Gruppierungen. Es geht darum, den Widerstandswillen und die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu brechen.

Gescheiterte Strategie

Die US-Strategie seit Trump, die der israelischen Regierung unter Netanjahu wie auch von Armeeführung und Geheimdienst setzten auf eine „Friedenslösung“ im Nahen Osten ohne Einbeziehung der Palästinenser:innen. Diesbezüglich wurde die Politik Trumps unter Biden fortgesetzt und die EU und deren führende Mächte folgten dabei den USA. Die Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Verhandlungen mit Saudi-Arabien und anderen Staaten zur längerfristigen „Normalisierung“ mit Israel schienen diese Strategie zu bestätigen.

Der israelische Staat ging im Grunde davon aus, dass er die Palästinenser:innen weiter ohne wirksamen Widerstand und großen internationalen Aufschrei marginalisieren könnte, Siedlungsbau und Landraub in der Westbank weiter voranschreiten würden und Gaza abgeriegelt und seine Bevölkerung weiter ausgehungert würde. Die Ermordung von über 300 Palästinenser:innen in der Westbank und der weitere Landraub bis zum Oktober 2023 schienen das auch zu bestätigen.

Die meisten Staaten des Nahen Ostens haben in den letzten Jahren den Weg Ägyptens und Jordaniens beschritten und faktisch ihren Frieden mit Israel gemacht. Das Schicksal der Palästinenser:innen stellte kein Hindernis für eine Intensivierung des wirtschaftlichen Austauschs dar. Auch in geostrategischer Sicht haben z. B. Israel und die Türkei als wichtige Waffenlieferant:innen und Unterstützer:innen Aserbaidschans bei der Vertreibung der Armenier:innen aus Arzach (Bergkarabach) kooperiert. Kein Wunder also, dass die ersten Erklärungen der Arabischen Liga zum Angriff der Hamas auf Israel und zum angedrohten Vergeltungsschlag sehr vorsichtig ausfielen. Bis heute rufen Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien zur „Mäßigung auf allen Seiten“ oder zu einer Waffenruhe auf. Allerdings hat Saudi-Arabien die Verhandlungen mit Israel ausgesetzt.

Auch wenn zur Zeit die arabischen Staaten kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel hegen, so hat der Angriff der Hamas der zuletzt verfolgten Nahoststrategie des US-Imperialismus und seiner Verbündeten einen schweren Schlag versetzt. Die Vorstellung, den Nahen Osten unter Ausschluss der Palästinenser:innen zu befrieden, entpuppte sich als reaktionäre Illusion. Sie ist gescheitert.

Welche Alternative?

Insgesamt hat der Krieg gegen Gaza die Lage im Nahen Osten grundlegend verändert und ihn zu einem Zentrum der Instabilität gemacht. Während auf der einen Seite eine konterrevolutionäre, barbarische Vertreibung und eine Vernichtung des palästinensischen Widerstandes drohen, können auf der anderen die Unterdrückten die aktuelle Lage auch zu ihren Gunsten wenden, wenn sie die inneren Widersprüche im Lager des Zionismus und der imperialistischen Reaktion nutzen. Das erfordert wiederum, dass die Arbeiter:innenklasse als selbstständige, führende Kraft in der Solidarität mit Palästina, und damit verbunden auch in Palästina, in Erscheinung tritt.

Nur, wenn sie angesichts der Angriffe des Zionismus bedingungslos auf Seiten der Unterdrückten steht, den Widerstand trotz dessen reaktionärer politischer  Führung unterstützt und gegen die Regierungen im Westen mobilmacht, mit der Unterstützung Israels bricht und sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern im globalen Süden zusammenschließt, kann sie auch als verlässliche Verbündete des palästinensischen Volkes in Erscheinung treten.

Nur dann werden die palästinensischen Massen erkennen können, dass die reaktionären arabischen und islamistischen Regime nicht ihre Verbündeten sind, wohl aber deren Arbeiter:innen und Jugend, und es eine wirkliche Alternative zur Politik und Strategie von Hamas und Fatah gibt – eine Politik, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem für die sozialistische Revolution verbindet. Nur so wird es möglich sein, dass die palästinensische Arbeiter:innenklasse auch zur führenden Kraft des Befreiungskampfes werden kann. Und schließlich wird es nur unter der Bedingung eines massiven Widerstandes und der weltweiten Unterstützung Palästinas möglich sein, die israelische Arbeiter:innenklasse vorm Zionismus zu retten, so dass nicht nur einer politisch fortgeschrittenen antizionistischen Minderheit, sondern auch der Masse der Lohnabhängigen klar wird, dass sie der Zionismus nicht nur zu Kompliz:innen der Unterdrückung macht, sondern dass ihre Freiheit und Sicherheit unter einem Regime, das auf der Unterdrückung einer anderen Nation aufbaut, letztlich eine Schimäre sind.

Aufgaben der Arbeiter:innenbewegung

Die erste und vordringliche Aufgabe der Linken und Arbeiter:innenbewegung auf der ganzen Welt besteht darin, den palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen. Wir treten für die Niederlage Israels ein und solidarisieren uns mit dem Widerstand in Gaza und ganz Palästina. Zugleich verschweigen wir unsere grundlegenden Differenzen mit der reaktionären Hamas, mit Dschihad, aber auch mit der palästinensischen Linken nicht. Wir unterstützen den Befreiungskampf trotz seiner Führung und ihrer falschen Strategie, Politik und Programmatik.

Die Stellung des zionistischen Staates im Nahen Osten, seine zentrale Rolle als Statthalter westlicher imperialistischer Interessen, die enorme Hochrüstung der israelischen Armee und das Ausmaß westlicher Unterstützung bedeuten auch, dass der palästinensische Widerstand internationale Unterstützung braucht. Daher bedarf es einer internationalen Strategie, um den Kampf zum Sieg zu führen.

1. Widerstand und Befreiungskampf in Palästina

Im gegenwärtigen Krieg, im Angriff auf Gaza unterstützen wir den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Je länger sich dieser der IDF entgegenstellen kann, desto höher wird der politische und materielle Preis für den Angriff und die Invasion.

Der Ausbruch der Hamas-geführten Kräfte aus Gaza verkörperte selbst einen legitimen Akt im nationalen Befreiungskampf. Unterdrückte haben das Recht, aus einem Territorium auszubrechen, in dem sie vom unterdrückenden Staat über Jahre inhaftiert werden, ihre Versorgung von diesem blockiert und rationiert wird, ein großer Teil der Bevölkerung zur Arbeitslosigkeit verurteilt ist, wo immer wieder Infrastruktur, Wohnungen, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen zerstört werden.

Es ist im Kampf gegen nationale Unterdrückung natürlich legitim, die militärischen Institutionen und Einheiten der Unterdrücker:innen anzugreifen, auf Raketenbeschuss mit Raketen zu antworten. Das heißt aber nicht, dass wir allen Aktionen oder ihrer Führung unkritisch gebenüberstehen dürfen oder diese Kritik verschweigen sollen.

Als revolutionäre Marxist:innen stehen wir in entschiedener Feindschaft zur Strategie und Politik der Hamas (wie aller islamistischen Kräfte) und ihrem politischen Regime. Ebenso lehnen wir die willkürliche Tötung von oder Massaker an israelischen Zivilist:innen ab. Diese erleichtern es Zionismus und Imperialismus offenkundig, ihren Großangriff auf Gaza auch in den Augen vieler Arbeiter:innen als „Selbstverteidigung“ hinzustellen.

Aber es greift viel zu kurz, willkürliche Tötungen von Zivilist:innen nur der Hamas oder dem Islamismus anzulasten. Sie sind auch Ausdruck der viel umfassenderen, Jahrzehnte andauernden Unterdrückung, der täglichen Erfahrung des Elends, Hungers, der Entmenschlichung in Gaza durch die israelische Abriegelung. Aus der nationalen Unterdrückung wächst der Hass auf den Staat der Unterdrücker:innen und alle, die diesen mittragen oder offen unterstützen – und dazu gehört auch die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und der israelischen Arbeiter:innenklasse.

Der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands und die Kritik an politisch falschen oder kontraproduktiven Aktionsformen dürfen keineswegs zu einer Abwendung vom Kampf gegen die Unterdrückung führen. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und der Unterdrücker:innen unterscheiden. Nur wenn die revolutionäre Linke und die Arbeiter:innenklasse den Kampf um nationale Befreiung gegen den Zionismus und „demokratischen“ Imperialismus unterstützen, werden sie in der Lage sein, eine politische Alternative zu islamistischen Kräften aufzubauen. Nur so werden sie eine revolutionäre Partei bilden können, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem um eine sozialistische Revolution verbindet.

Dies beinhaltet notwendig auch die Beteiligung am Befreiungskampf und militärisch koordinierte gemeinsame Aktionen. In der Westbank und Israel unterstützen wir Solidaritätsaktionen mit der Bevölkerung Gazas. Wir unterstützen Massenprotest und Streiks gegen die Besatzung. Eine neue Massenintifada ist angesagt.

Doch ist nicht nur ein gemeinsamer Kampf nötig. Die Führungen des Befreiungskampfes verfügen selbst über keine Strategie, die eine revolutionäre Lösung bringen kann. Hamas und Fatah vertreten letztlich reaktionäre bürgerliche Programme. Die palästinensische Linke vertritt eine Etappentheorie, der zufolge der Kampf um nationale Befreiung und der um eine sozialistische Umwälzung streng voneinander getrennt sind,

Diesem Programm stellen wir jenes der permanenten Revolution entgegen. Wir treten für einen gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina ein, der Palästinenser:innen wie Juden und Jüdinnen gleiche Rechte gewährt, der allen vertriebenen Palästinenser:innen das Rückkehrrecht garantiert und auf der Basis des Gemeineigentums an Land und großen Produktionsmitteln in der Lage ist, die Ansprüche zweier Nationen gerecht und demokratisch zu regeln. Ein solcher Kampf wird nicht durch Reformen erreicht werden können, sondern nur durch den revolutionären Sturz des zionistischen Staates.

In Israel und Palästina treten wir auch für die möglichst enge Einheit im Kampf mit den antizionistischen Kräften der israelischen Linken und Arbeiter:innenbewegung ein. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse mit dem Zionismus bricht, kann sie sich auch selbst befreien.

Uns ist jedoch bewusst, dass die israelischen Lohnabhängigen über Jahrzehnte nicht nur an der Unterdrückung, Vertreibung und Überausbeutung der palästinensischen Massen teilhatten, sondern dass der Labourzionismus wie auch die „liberalen“ Zionist:innen selbst aktiv an der Vertreibung und Unterdrückung beteiligt waren und sind.

So wichtig und richtig es ist, Spaltungen und Brüche im zionistischen Lager auszunutzen und zu befördern, so dürfen wir uns keinen Illusionen über die Tiefe der Bindung der israelischen Arbeiter:innen an den Zionismus hingeben. Wir müssen uns vielmehr darüber klar sein, dass deren Masse wahrscheinlich erst unter dem Eindruck einer tiefen Krise des zionistischen kolonialistischen Projekts für einen Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden kann. Daher ist die Stärke des palästinensischen Befreiungskampfes selbst ein zentraler Motor, um überhaupt Risse im Zionismus zu vertiefen. Die antizionistische Linke in Israel hat daher jedes Interesse am Erfolg des palästinensischen Befreiungskampfes und muss diesen unterstützen. Nur auf dieser Basis lässt sich eine wirkliche Einheit palästinensischer und jüdischer Arbeiter:innen herstellen.

2. Die Massen im Nahen Osten

In den arabischen Ländern, in der Türkei, im Iran wie in der gesamten Region muss die Arbeiter:innenklasse mit ihren Kräften die Mobilisierungen gegen Israel in Solidarität mit Palästina unterstützen. Sie muss sich dabei zugleich von reaktionären oder gänzlich verlogenen staatlichen Institutionen abgrenzen, die die Palästinafrage für reaktionäre Zwecke oder eigene geostrategische Interessen missbrauchen (z. B. Erdogan in der Türkei).

Daher müssen die Gewerkschaften und die Linke nicht nur unter eigenem Banner und mit eigenen Aktionen mobilisieren. Sie müssen auch über Demonstrationen und Protestkundgebungen hinausgehen. So sollten Transportarbeiter:innen alle Exporte nach Israel blockieren, indem sie z. B. das Beladen von Schiffen oder Flugzeugen verweigern oder deren Auslaufen oder Abflug verhindern.

Sie müssen die Offenlegung aller wirtschaftlichen und militärischen Abkommen sowie aller Geheimverträge mit Israel fordern, um so die wirkliche Kooperation ihrer angeblich propalästinensischen Regierungen offenzulegen, und den Stopp diese Kooperation erzwingen. Sie müssen für die Schließung der Militärbasen der USA und ihrer Verbündeten in der Türkei und im gesamten arabischen Raum eintreten.

Dieser Kampf gegen die verschiedenen reaktionären Regierungen muss mit dem gegen die soziale und ökonomische Krise wie gegen die mehr oder weniger unverhüllten Diktaturen verbunden werden, um so einen zweiten Arabischen Frühling einzuläuten – einen Arabischen Frühling, dessen linke und proletarische Kräfte die Lehren aus dem Scheitern des ersten Anlaufs ziehen, indem sie von Beginn an die Notwendigkeit anerkennen, eine solche Revolution permanent zu machen und nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben. Dies erfordert, in diesen Bewegungen revolutionäre Arbeiter:innenparteien aufzubauen, die für ein Programm der permanenten Revolution kämpfen und für Vereinigte Sozialistische Staaten des Nahen Ostens.

3. Die Arbeiter:innenklasse im Westen

Der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren Nordamerikas und Europas kommt insofern eine Schlüsselrolle zu, als diese Staaten auch die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützer und Verbündeten Israels sind. Lohnabhängige in aller Welt sollten den gesamten Handel mit Israel auf dem Land-, See- und Luftweg boykottieren. Versuche, solche Aktionen oder Kundgebungen zur Unterstützung Palästinas als antisemitisch zu bezeichnen, müssen zurückgewiesen und entlarvt werden. Auf den Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften darf nicht nur mit warmen Worten, sondern muss mit Taten reagiert werden.

In diesen Staaten kämpfen wir gegen jede weitere militärische, finanzielle und ökonomische Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Angriffsmaschinerie. Wir fordern die Offenlegung aller Verträge, wir kämpfen für den Stopp aller Rüstungsexporte und den Rückzug aller entsandten Streitkräfte aus dem Nahen Osten und von der Mittelmeerküste, die als Rückendeckung für Israel gegenüber der Hisbollah oder anderen dienen.

In diesen Ländern kämpfen wir gegen die massive rassistische antipalästinensische und antimuslimische Hetze. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung mit Palästina, wir fordern die Entkriminalisierung aller palästinensischen Organisationen und Vereine und die Streichung der sog. Terrorlisten der EU und USA.

Die Solidarität mit Palästina erfordert in allen westlichen Ländern auch einen Kampf, um die Arbeiter:innenklasse über die Lügen aufzuklären und die wahren Ursachen des Krieges und die Berechtigung des Befreiungskampfes darzulegen.

Die berechtigte Trauer und das Mitgefühl mit den zivilen jüdischen Opfern des Angriffs aus Gaza werden zur ideologischen Vorbereitung auf die Unterstützung eines Krieges gegen die dortige Bevölkerung missbraucht, der zur Vernichtung jeden Widerstandes und zur Massenvertreibung führen soll. Daher auch die gebetsmühlenartige Beteuerung, dass die „Solidarität mit Israel“ auch dann nicht nachlassen dürfe, wenn „andere Bilder“ aus Gaza kommen. Ganz nebenbei erklärt der Deutsche Bundestag auch gleich seine Unterstützung für Militärschläge im Libanon oder in Syrien und verstärkten Druck gegen den Iran.

Dieser Hetze und Kriegstreiberei, der offiziellen „öffentlichen“ Meinung, der sich fast alle politischen Parteien der „Mitte“ – Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokratie – wie auch jene der extremen Rechten, aber selbst die meisten linksreformistischen Organisationen und die Führungen der Gewerkschaften anschließen, müssen wir entschlossen entgegentreten.

Dies ist ein notwendiger Teil des Kampfes für eine breite, auch von der Arbeiter:innenklasse in Europa und Nordamerika unterstützte Solidaritätsbewegung mit Palästina. Daher müssen wir die Lügen der Herrschenden entlarven, um einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter:innenklasse, insbesondere in den Gewerkschaften herbeizuführen. Das wird nur möglich sein, wenn wir der Hetze durch die Medien, aber auch der sozialchauvinistischen Politik der Führungen von Gewerkschaften, SPD und Linkspartei offen entgegentreten und ihre Unterstützung der Angriffe auf Gaza anprangern. Nur so – wenn wir Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen den Chauvinismus und Rassismus der Führungen der Arbeiter:innenbewegung miteinander verbinden – kann und wird es möglich sein, eine gemeinsame Solidaritätsbewegung für Palästina aufzubauen, die sich auf die Migrant:innen und auf die fortschrittlichen und internationalistischen Teile der Arbeiter:innenklasse stützt.

  • Sofortige Einstellung der israelischen Bombardierung und der IDF-Tötungen im Westjordanland!

  • Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza für Treibstoff, Lebensmittel, Wasser, medizinische Hilfe und die Medien!

  • Ein Ende der westlichen Waffenlieferungen an Israel, Abzug der Kriegsschiffe aus der Region!

  • Arbeiter:innenaktionen zur Beendigung der wirtschaftlichen und militärischen Hilfe für Israel!

  • Sieg des palästinensischen Widerstands!

  • Für ein vereinigtes, säkulares, sozialistisches Palästina mit Gleichheit für alle seine Bürger:innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens!



Hamas: nur eine weitere terroristische Organisation?

Jeremy Dewar, Infomail 1235, 1. November 2023

Die Hamas wird von den USA, Kanada, der EU, Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Japan und Australien als „terroristische Organisation“ eingestuft. Andere Länder, vor allem Saudi-Arabien, haben ihren militärischen Flügel verboten.

Die rechte Politikerin und britische Innenministerin Suella Braverman erklärte, die Organisation lebe einen „mittelalterlichen Antisemitismus“ und sei „dem Islamischen Staat (ISIS) ebenbürtig“. Dies wird von der Labour-Partei und sogar von einigen Linken, die die Organisation als „faschistisch“ bezeichnen, aufgegriffen.

Vieles soll die Menschen davon abhalten, sich näher mit der Hamas, ihrer Ideologie und Praxis zu befassen. Insbesondere sollen wir pauschal die Botschaft schlucken, dass die Hamas den Gazastreifen diktatorisch regiert und ihre Beziehung zu den Palästinenser:innen im Gazastreifen einseitig und ausbeuterisch ist.

Die Wahrheit ist vielschichtiger und offenbart eine Massenorganisation mit tiefen Wurzeln in der palästinensischen Bevölkerung.

Ursprünge und Ideologie

Die Hamas geht auf eine Initiative des palästinensischen Ablegers der ägyptischen Muslimbruderschaft zurück, der Anfang der 1980er Jahre zu Zwecken der Bildung, der religiösen Unterweisung und sozialen Wohlfahrt gegründet wurde. Sie wurde im Dezember 1987 gegründet, fünf Tage nachdem die erste Intifada gegen die israelische Besatzung ausbrach. Hamas ist ein Akronym für Islamische Widerstandsbewegung, bedeutet aber auf Arabisch „Begeisterung“.

Die israelischen Behörden duldeten ihre Aktivitäten zunächst als konservativ-religiöses Gegengewicht zu den säkularen nationalistischen und „marxistischen“ Befreiungsbewegungen und Guerillaorganisationen. Sie war bei weitem nicht die erste bewaffnete palästinensische Widerstandsorganisation. Die säkulare Fatah unter Jassir Arafat und die marxistisch-leninistische Volksfront für die Befreiung Palästinas unter der Führung von George Habasch waren zwischen dem Krieg von 1967 und der Intifada von 1987 die dominierenden Kräfte in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Anfang der 1980er Jahre entstand eine weitere islamistische Gruppe, der Islamische Dschihad.

Nachdem ihre Kämpfer:innen 1982 aus dem Südlibanon vertrieben worden waren, gab die PLO den Guerillakampf auf, den sie in den 1960er und 1970er Jahren geführt hatte, und ihr Prestige sank. Sie beteiligte sich an den Abkommen von 1992, erkannte schließlich den Staat Israel an und verurteilte den „Terrorismus“ als Preis für die Gründung der neuen Palästinensischen Autonomiebehörde. Schon bald verstrickte sie sich in Korruption und Zusammenarbeit mit der israelischen Unterdrückung im Westjordanland und im Gazastreifen.

Nachdem Arafat sowohl den bewaffneten Kampf als auch das Ziel eines einzigen säkularen Staates aufgegeben hatte, entschied er sich für den Schatten der Macht in einem zersplitterten Staat im Westjordanland, der immer noch unter israelischer Militärkontrolle stand. Damit überließ er der Hamas den militanten Widerstand als politisches Geschenk.

Dies wurde durch die Tatsache begünstigt, dass die israelischen Unterdrücker:innen weiterhin an der Schraube drehten, auch bei der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die jungen Palästinenser:innen verlangten nach einer wirksamen Widerstandsbewegung, die bereit und in der Lage ist, sich mit der Waffe in der Hand gegen die mörderische Unterdrückung der Proteste der Bevölkerung durch die IDF zu wehren.

Die Gründungscharta der Hamas aus dem Jahr 1988 erklärte es zur Pflicht aller Muslim:innen auf der ganzen Welt, den palästinensischen Waqf (heiliges Gebiet) „vom Fluss bis zum Meer“ zu verteidigen und zu befreien. Sie benannte „die Juden/Jüdinnen“ als Feind:innen und erklärte, dass nur eine kleine Anzahl von ihnen bleiben dürfe. Ihr Ziel ist eine islamische Gesellschaft, die religiös und sozial konservativ ist. In dieser Hinsicht stellt ihre Ideologie ein Spiegelbild der zionistischen Hardlinerdoktrin dar.

Somit ist die Ideologie der Hamas eine durch und durch reaktionäre, antisemitische Utopie. Ihre Gründungscharta vertritt alle antisemitischen Verschwörungstheorien, wonach die Juden/Jüdinnen hinter jedem Krieg und jeder Revolution stecken, und führt als Beweis die berüchtigte Fälschung der zaristischen Geheimpolizei, die Protokolle der Weisen von Zion, an. Obwohl sich Sprecher:innen der Hamas davon distanziert haben, wurde es nie aufgehoben und bleibt eine mächtige Waffe in den Händen Israels und seiner Unterstützer:innen.

Denjenigen, die behaupten, die Hamas sei faschistisch und unterscheide sich nicht von ISIS, muss jedoch eine Reihe von Punkten entgegengehalten werden. Erstens ist die Hamas im Gegensatz zu ISIS eine Massenorganisation, die durch ihre Schulen und Universitäten, ihre Krankenhäuser und Wohlfahrtsprogramme und ihre Tausende von Widerstandskämpfer:innen tief in der palästinensischen Gesellschaft verwurzelt ist, insbesondere im Gazastreifen.

ISIS gehört zum takfirischen Zweig des Islamismus, der andere Muslim:innen als Abtrünnige betrachtet, gegen die ein terroristischer Krieg geführt werden kann. Folglich glaubt er daran, den Islam „von oben“ aufzuerlegen, unabhängig von den Wünschen der Bevölkerung. Die Hamas hingegen glaubt an eine Islamisierung „von unten“ und hat bei vielen Gelegenheiten auf die Bedürfnisse und Bestrebungen ihrer Basis reagiert.

In den seltenen Fällen, in denen lokale Hamaskommandeur:innen versucht haben, strenge islamische Bekleidungsvorschriften durchzusetzen, sind diese immer gescheitert und haben fast nie den Segen der Führung erhalten. Vielmehr hat sie ihre Vision als an das historische Kalifat angelehnt beschrieben, in dem christliche und jüdische Gemeinschaften toleriert wurden.

Weder ihr Sozialsystem noch ihre Korruptionsfreiheit sind jedoch der eigentliche Grund für die Unterstützung der Massen. Vielmehr ist es ihr Ruf der „Standhaftigkeit“ bei der Verfolgung der ursprünglichen gemeinsamen Ziele aller palästinensischen Bewegungen, einschließlich des Rechts auf Rückkehr für alle 1948 und 1967 Vertriebenen und ihre Nachkommen. Dennoch ist ihre Bilanz nicht ganz so kompromisslos, wie es den Anschein haben mag, und der Grund dafür ist ihre Abhängigkeit von verschiedenen Staaten der arabischen und islamischen Welt.

Kompromisse seit Oslo

Natürlich weigerte sich die Hamas, an den Gesprächen teilzunehmen, die zu den Osloer Verträgen führten, weil dies die Anerkennung des Existenzrechts Israels bedeuten würde. Aber schon damals gab es in ihren Reihen und ihrer Führung eine Debatte über die Teilnahme, da die Gespräche von den Palästinenser:innen, die eine Art von Staatlichkeit anstrebten, damals massiv unterstützt wurden. In den folgenden Jahren wurde weiter darüber diskutiert, ob man Israel anerkennen und eine Hudna (Waffenstillstand) auf der Grundlage eines vorübergehenden palästinensischen Staates in den Grenzen von 1948 mit Jerusalem als Hauptstadt, dem Abzug der israelischen Truppen und dem Abbau der Siedlungen vereinbaren sollte.

Obwohl sie sich bei den Präsidentschaftswahlen 2005, die Mahmud Abbas von der Fatah gewann, der Stimme enthielt, kandidierte die Hamas bei den allgemeinen palästinensischen Wahlen 2006 und erlangte eine Mehrheit in der Legislative und die Kontrolle über den Gazastreifen. In ihrem Wahlprogramm verzichtete sie auf die antisemitische Sprache ihrer Charta (ohne sie zu verleugnen) und erklärte den zionistischen Staat Israel und nicht „die Juden/Jüdinnen“ zum Feind. Außerdem erkannte sie ihn faktisch an.

Unmittelbar nach ihrem Wahlsieg stellten die „demokratischen“ imperialistischen Mächte USA und EU die Finanzierung der allgemeinen Palästinensischen Autonomiebehörde ein und leiteten alle Hilfen über das Büro von Abbas weiter. Die Versuche der Hamas, eine Einheitsregierung zu bilden, scheiterten, was zum so genannten Bruderkrieg von 2007 führte, der damit endete, dass die Fatahkräfte aus dem Gazastreifen vertrieben wurden und die Hamas den Streifen beherrschte, den Israel 2005 geräumt hatte, um ihn noch stärker zu blockieren.

Zwei weitere Kriege mit Israel in den Jahren 2008 – 2009 (Operation Gegossenes Blei) und 2014 (Operation Schutzkeil) sowie Einfälle im Jahr 2021 führten zur Zerstörung eines Großteils der Infrastruktur des Gazastreifens. In der Zwischenzeit haben Israels Blockade und das Verbot der Organisation als „terroristisch“ durch den westlichen Imperialismus versucht, die Hamas zu isolieren und ruinieren. Heute sind nur noch der Iran und Katar bereit, ihre Führung aufzunehmen und ihr Hilfe und diplomatische Dienste zukommen zu lassen.

Schlussfolgerung

Der fundamentalistische rechte Flügel Israels, der unter den Regierungen von Benny Gantz und Benjamin Netanjahu gestärkt wurde, bleibt mit der unerschütterlichen Unterstützung durch die USA, sowohl unter Trump als auch unter Biden, die entscheidende Kraft in Israel-Palästina.

Es stimmt nicht, dass die Hamas darauf nur mit Raketen geantwortet hat. In den Jahren 2018 – 2019 kam es zu Massenprotesten entlang der Grenze zum Gazastreifen; israelische Scharfschütz:innen töteten 190 unbewaffnete Demonstrant:innen und verletzten Tausende. Dann, im Jahr 2020, brach die sogenannte Dritte Intifada mit Massendemonstrationen in den Flüchtlingslagern und wichtigsten Städten des Westjordanlandes aus. Natürlich wurde auch diese von den IDF unterdrückt. Im Jahr 2021 kam es zu einem palästinensischen Generalstreik.

Bewaffnete rechte Siedler:innen mit Unterstützung durch die IDF machten das Jahr 2022 zum blutigsten Jahr im Westjordanland seit Jahren, als sie ihre Kontrolle über das Land brutal ausweiteten. Selbst die völlig friedliche BDS-Kampagne wird in westlichen Ländern verboten, während Kritik an Israel unterdrückt oder als „antisemitisch“ stigmatisiert wird.

Kein Wunder, dass der Ruf nach bewaffnetem Widerstand immer lauter wird. Der Aufschwung der Bewegung Löwengrube im Westjordanland in den letzten zwei Jahren (mit Beteiligung der Hamas) spiegelt diese Realität wider. Und deshalb wird der Widerstand auch dann weitergehen und bewaffnet sein, wenn die Infrastruktur der Hamas im Gazastreifen in diesem Krieg zerstört wird.

Der Ausbruch vom 7. Oktober mag den Plan der USA, Israels und Saudi-Arabiens zur „Normalisierung“ der Beziehungen und zur Wiederherstellung eines größeren Einflusses der USA in der Region gestoppt haben, aber das bleibt ihr Ziel. Die Aktion ermöglichte es rivalisierenden zionistischen Parteiführer:innen auch, ihre Reihen zu schließen und die israelische Bevölkerung zu vereinen, gerade als sich die schwersten Spaltungen in der Geschichte des Staates abzeichneten. Schlimmer noch, sie gab den Zionist:innen Deckung für ihre rachsüchtigen Vergeltungsmaßnahmen und lieferte einen Vorwand, um noch mehr Palästinenser:innen im Westjordanland aus ihren Häusern zu vertreiben, ja sogar die gesamte Bevölkerung zu verjagen, was das erklärte Ziel einiger Mitglieder der Regierung Netanjahu ist.

In den Fehlern der Hamas zeigt sich auch der Fehler im Programm des palästinensischen bürgerlichen Nationalismus, ob säkular oder islamistisch. Auch wenn es die dringenden Bedürfnisse der am meisten unterdrückten Menschen zum Ausdruck bringt, ist es als Strategie auf die Unterstützung durch benachbarte Regime angewiesen, die es dann für ihre eigenen Zwecke manipulieren. Im Grunde hat die Hamas die fatale stalinistische Etappentheorie, die sich für die verschiedenen PLO-Fraktionen als Sackgasse erwies, nicht überwunden. Stattdessen hat sie ihr lediglich einen islamistischen Anstrich verpasst und die „Volksfront“ durch eine reaktionäre klerikale Diktatur ersetzt.

Nichtsdestotrotz müssen alle Sozialist:innen und konsequenten Demokrat:innen den palästinensischen Widerstand gegen die IDF unterstützen, sofern sie sich der zionistischen Besatzung und dem Apartheidstaat widersetzt. Aber wir können weder das soziale und politische Programm der Hamas noch ihre Kampfmethoden unterstützen, weder eine elitäre Guerillastrategie noch Massaker an hilflosen israelischen Zivilist:innen.

Echte Solidarität mit Palästina bedeutet, für eine radikal andere Strategie einzutreten, deren Elemente sich in den drei Intifadas gezeigt haben: Mobilisierungen mit bewaffneter Selbstverteidigung und Appelle an die umliegende und internationale Arbeiter:innenklasse, sich gegen Israel und den Versuch des Westens zu erheben, die Hamas von der Landkarte zu tilgen, womit sie jede Form des Widerstands meinen, wenn nicht gar das palästinensische Volk als Ganzes.

Wir fordern die Aufhebung der Gesetze, die die Hamas als terroristische Organisation etikettieren. Israel ist der eigentliche Massenterrorist, wie wir heute sehen können. Die riesigen weltweiten Demonstrationen zeigen die breite Unterstützung der Bevölkerung für Gaza und die palästinensische Sache. Diese Mobilisierungen müssen zu direkten Aktionen übergehen, die den Waffen- und Handelsverkehr mit Israel blockieren, einschließlich Streiks der Gewerkschaften, um die israelfreundlichen Regierungen und Politiker:innen zu zwingen, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen und die Einfuhr von Lebensmitteln, Treibstoff, Unterkünften, medizinischer Ausrüstung und Hilfsgütern zu ermöglichen. Sie müssen die Forderung nach einer dauerhaften Aufhebung der jahrzehntelangen Belagerung des Gazastreifens und dem Abzug nicht nur der IDF, sondern auch der Kriegsschiffe und Flugzeuge der USA und Großbritanniens beinhalten.

Diese unmittelbaren und strategischen Fragen unterstreichen die Notwendigkeit einer internationalen Partei der Arbeiter:innenklasse, die die Kräfte in Palästina, den umliegenden Ländern des Nahen Ostens und innerhalb Israels selbst vereint, egal wie weit entfernt Letzteres im Moment auch erscheinen mag. Bewaffnet mit der Strategie der permanenten Revolution und der Taktik der Massenaktion können Revolutionär:innen damit beginnen, die Führungskrise zu lösen, die so viele Niederlagen und so viel Leid nicht nur in Palästina, sondern in allen umliegenden Ländern verursacht hat.




Ein dringender Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften: Beendet alle Komplizenschaft, stoppt die Bewaffnung Israels!

Aufruf palästinensischer Gewerkschaften, übersetzt nach MENA Solidarity Network, Infomail 1235, 27. Oktober 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Aufruf palästinensische Gewerkschaften aus Gaza, der Westbank und Israel gegen die Angriffe und Bombardements. Der Übersetzung liegt der Text auf der Seite des MENA Solidarity Network zugrunde.

Beendet alle Komplizenschaft, stoppt die Bewaffnung Israels!

Israel hat 1,1 Millionen Palästinenser:innen aufgefordert, die nördliche Hälfte des Gazastreifens zu evakuieren, während sie gleichzeitig einem ständigen Bombardement ausgesetzt sind. Dieses rücksichtslose Vorgehen ist Teil des israelischen Plans, mit unerschütterlicher Unterstützung und aktiver Beteiligung der USA und der Mehrheit der europäischen Staaten beispiellose und abscheuliche Massaker an 2,3 Millionen Palästinenser:innen im Gazastreifen zu verüben und diesen vollständig ethnisch zu säubern. Seit Samstag hat Israel den Gazastreifen wahllos und intensiv bombardiert und die Versorgung mit Treibstoff, Strom, Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten unterbrochen. Israel hat mehr als 2.600 Palästinenser – darunter 724 Kinder – getötet, ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht, ganze Familien ausgelöscht und mehr als 10.000 Menschen verletzt. Einige Völkerrechtsexpert:innen haben begonnen, vor Israels völkermörderischen Handlungen zu warnen.

Andernorts hat Israels rechtsextreme Regierung mehr als 10.000 Gewehre an extremistische Siedler:innen in Palästina und im besetzten Westjordanland verteilt, um deren eskalierende Angriffe und Pogrome gegen Palästinenser:innen zu erleichtern. Israels Handlungen, Massaker und Rhetorik deuten auf seine Absicht hin, die seit langem versprochene zweite Nakba zu verwirklichen, so viele Palästinenser:innen wie möglich zu vertreiben und einen „Neuen Nahen Osten“ zu schaffen, in dem die Palästinenser:innen in ständiger Unterwerfung leben.

Die Reaktion der westlichen Staaten bestand in einer vollständigen und uneingeschränkten Unterstützung des Staates Israel, ohne auch nur flüchtig auf das Völkerrecht zu achten. Dies hat die Straflosigkeit Israels noch verstärkt und ihm einen Freibrief für die uneingeschränkte Durchführung seines völkermörderischen Krieges verschafft. Über die diplomatische Unterstützung hinaus beliefern westliche Staaten Israel mit Rüstungsgütern und sanktionieren die Tätigkeit israelischer Waffenfirmen innerhalb ihrer Grenzen.

Angesichts der Eskalation der israelischen Militäraktion rufen die palästinensischen Gewerkschaften ihre internationalen Partner:innen und alle Menschen mit Gewissen dazu auf, jede Form der Komplizenschaft mit den israelischen Verbrechen zu beenden und vor allem den Waffenhandel mit Israel sowie jegliche Finanzierung und militärische Forschung einzustellen. Die Zeit zum Handeln ist gekommen – das Leben der Palästinenser:innen steht auf dem Spiel.

Diese dringende, völkermörderische Situation kann nur durch einen massiven Anstieg der weltweiten Solidarität mit dem palästinensischen Volk verhindert werden und die israelische Kriegsmaschinerie zum Stillstand bringen. Wir brauchen Sie, um sofortige Maßnahmen zu ergreifen – wo auch immer Sie sich in der Welt befinden –, um die Aufrüstung des israelischen Staates und der an der Infrastruktur der Blockade beteiligten Unternehmen zu verhindern. Wir lassen uns von früheren Mobilisierungen der Gewerkschaften in Italien, Südafrika und den Vereinigten Staaten inspirieren sowie von ähnlichen internationalen Mobilisierungen gegen die italienische Invasion in Äthiopien in den 1930er Jahren, die faschistische Diktatur in Chile in den 1970er Jahren und in anderen Ländern, in denen die weltweite Solidarität das Ausmaß der kolonialen Brutalität begrenzte.

Wir rufen die Gewerkschaften in den betroffenen Branchen auf:

  • Sich zu weigern, für Israel bestimmte Waffen zu bauen;

  • sich zu weigern, Waffen nach Israel zu transportieren;

  • Verabschiedung von Anträgen in ihrer Gewerkschaft in diesem Sinne;

  • Maßnahmen gegen Unternehmen zu ergreifen, die an der Umsetzung der brutalen und illegalen Belagerung Israels beteiligt sind, insbesondere wenn sie Verträge mit Ihrer Institution haben;

  • Druck auf die Regierungen auszuüben, um den gesamten Militärhandel mit Israel und im Falle der USA auch die Finanzierung des Landes zu stoppen.

Wir rufen zu diesem Schritt auf, da wir Versuche sehen, alle Formen der Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu verbieten und zum Schweigen zu bringen. Wir fordern Sie auf, Ihre Stimme zu erheben und angesichts der Ungerechtigkeit aktiv zu werden, wie es die Gewerkschaften in der Vergangenheit getan haben. Wir machen diesen Aufruf in der Überzeugung, dass der Kampf für palästinensische Gerechtigkeit und Befreiung nicht nur ein regionaler und globaler Kampf ist. Er ist ein Hebel für die Befreiung aller enteigneten und ausgebeuteten Menschen in der Welt.

Kontakt: workersinpalestine@gmail.com

Aufrufende Gewerkschaften

Palestinian General Federation of Trade Unions, Gaza.

General Union of Public Service and Trade Workers

General Union of Municipal Workers

General Union of Kindergarten Workers

General Union of Petrochemicals Workers

General Union of Agricultural Workers

Union of Palestinian Women’s Committees

Generation Union of Media and Print Workers

Palestinian General Federation of Trade Unions (PGFTU)

General Union of Palestinian Teachers

General Union of Palestinian Women

General Union of Palestinian Engineers

Palestinian Accountants’ Association

Professional Associations Federation including:

Palestinian Dental Association – Jerusalem center

Palestinian Pharmacists Association – Jerusalem Center

Medical Association – Jerusalem Center

Engineers Association – Jerusalem Center

Agricultural Engineers Association – Jerusalem Center

Veterinarians Syndicate – Jerusalem Branch.

Palestinian Journalists’ Syndicate

Palestinian Bar Association

Palestinian Nursing and Midwifery Association

Union of Kindergartens Workers

Palestinian Postal Services Workers Union

Federation of Unions of Palestinian Universities Professors & Employees

The General Federation of Independent Trade Unions, Palestin

The Palestine New Federation of Trade Unions

Palestinian General Union of Writers

Palestinian Contractors Union

Federation of Health Professionals Syndicates

Palestinian Union of Psychologists and Social Workers




Resolution zum Krieg gegen Gaza

Internationales Exekutivkomitee der Liga für die Fünfte International, Infomail 1235, 26. Oktober 2023

Israel führt Krieg gegen Gaza. Als Reaktion auf die Angriffe vom 7. Oktober droht es mit blutiger Rache. Seit über 14 Tagen fliegt die Armee massive Angriffe gegen Gaza, aber auch auf Stellungen im Libanon und Syrien. In der Westbank wurden Palästinenser:innen, die sich mit Gaza solidarisieren, umgebracht – bisher über 100. Bei den Einsätzen der israelischen Luftwaffe und mit Raketen sind bisher über 6.000 Menschen in Gaza getötet worden. Rund eine Million Palästinenser:innen – die Hälfte der Bewohner:innen der Gazastreifens – befindet sich auf der Flucht nach Süden. Israel hat tagelang die Versorgung mit Wasser, Medikamenten und Energie unterbrochen. Die begrenzte Zahl LKWs, die den Grenzübergang Rafah passieren dürfen, ist lt. UNO total unangemessen niedrig. Die Bevölkerung Gazas wird faktisch ausgehungert und Krankenhäusern die Stromlieferung verweigert, die für Operationen an einer zunehmenden Zahl von Opfern benötigt wird. Eine humanitäre Katastrophe findet vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt.

Dabei stehen wir erst am Beginn dessen, was droht. Eine Bodeninvasion der IDF steht bevor. Die israelische Regierung und der Generalstab verkündeten die größte Mobilisierung der Armee in der Geschichte des Landes. 360.000 Reservist:innen wurden einberufen. Ihre Aufgabe: Hamas vernichten, Gaza von „Terrorist:innen“ und allen, die Widerstand leisten, „säubern“. Ganzen Städten und der Infrastruktur droht Zerstörung. Hunderte Panzer und Artilleriefahrzeuge, Zehntausende Soldat:innen machen sich zum Sturm auf Gaza bereit, dessen Norden schon jetzt weitgehend dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Angesichts dieser nationalistischen Mobilisierung treten die Differenzen zwischen Regierung und Opposition im zionistischen Lager zurück. Der Regierung der nationalen Einheit und einem fünfköpfigen Kriegskabinett aus Vertreter:innen von Regierung und Opposition wurden weitgehend unbeschränkte Vollmachten eingeräumt.

Israels Kriegsziele und deren Widersprüche

Die israelische Strategie zielt auf die „Säuberung“ und Vernichtung des gesamten palästinensischen Widerstandes in Gaza. Die Hamas, aber auch sämtliche andere Organisationen, die sich zur Wehr gesetzt haben und setzen (Islamischer Dschihad, PFLP, DFLP), sollen ausradiert werden. Um dafür den Boden vorzubereiten, werden Städte und Infrastruktur systematisch zerstört und große Teile der Bevölkerung vertrieben. Diese sollen den Norden Gazas verlassen oder es drohen „verheerende humanitäre Konsequenzen“ – mit anderen Worten der Mord an Tausenden und Abertausenden. Danach sollen die Bodentruppen folgen und der Süden des Landes „gesäubert“ werden.

Ältere Menschen und Schwerkranke werden nicht in der Lage sein zu gehen.  Die Krankenhausbehörden sagen, dass es unmöglich sein wird, ihre Patient:innen und die Opfer der anhaltenden Bombardierung über die verkraterten und durch Ruinen blockierten Straßen zu transportieren, die immer noch unter Luftangriffen stehen. Die Verdoppelung der Bevölkerungsdichte in einem Gebiet, das ohnehin schon am stärksten überbevölkert ist und in dem es weder Ersatzunterkünfte noch Wasser- oder Treibstoffvorräte gibt, ist zumindest eine kollektive Bestrafung. Wenn sie in vollem Umfang durchgeführt wird, wäre es korrekter, dies als Völkermord zu bezeichnen.

Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wird von Seiten der Notstandskabinetts und der Armee nur genommen, um das Gewissen der „demokratischen“ Öffentlichkeit im Westen zu beruhigen und Brüche in der Front der Unterstützer:innen im Inneren zu vermeiden. Die internationalen Unterstützer:innen Israels, allen voran die USA, Britannien und die führenden EU-Mächte, Deutschland und Frankreich, fürchten zudem, dass eine lange, extrem barbarische Kampagne gegen die Bevölkerung Gazas im gesamten Nahen Osten einen Flächenbrand entfachen könnte. Sie fürchten, dass die reaktionären Verbündeten in den arabischen Staaten (Saudi-Arabien, Ägypten und die Golfölmonarchien) ihre faktische Tolerierung der israelischen Politik der letzten Jahre nicht mehr aufrechterhalten könnten und der westliche imperialistische Einfluss weiter geschwächt werden würde.

Israel und seine Verbündeten, allen voran alle westlichen imperialistischen Regierungen, rechtfertigen den Krieg als „Akt der Selbstverteidigung“ gegen den „Terrorismus“ der Hamas. Sie erklären ihre „bedingungslose Solidarität“ mit Israel. Die USA entsenden zwei Flugzeugträger mit Einsatzkräften ins östliche Mittelmeer. Frankreich, Deutschland, die EU und Britannien versprechen Extrawaffenlieferungen und materielle Hilfe. Zugleich mahnen Biden, Scholz und die anderen Staats- und Regierungschef:innen der westlichen Welt die Einhaltung des Völker- und Kriegsrechts ein, weil sie fürchten, dass eine zu rücksichtslose Misshandlung auch die ohnedies angeschlagene westliche imperialistische Dominanz im Nahen Osten weiter schwächen könnte.

Die Vorstellung, dass es sich bei dem Angriff Israels um einen Krieg zur Selbstverteidigung handle, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Es geht nicht nur um die Vernichtung der Hamas und aller bewaffneten, Widerstand leistenden palästinensischen Gruppierungen. Es geht darum, den Widerstandswillen und die Widerstandsfähigkeit der ganzen palästinensischen Nation zu brechen. Nur zu gut wissen die Vertreter:innen des zionistischen Regimes und dessen imperialistischen Verbündete, dass Jahrzehnte der Repression, von Bombardements, Militäroperationen diesen nicht zu brechen vermochten, auch wenn sie die Lage der Palästinenser:innen immer mehr verschlechterten, diese immer mehr marginalisierten und die Vertreibung der Bevölkerung seit Gründung des Staates Israel fortsetzen.

Daher drängt extrem rechte Flügel der israelischen Führung auf die Vertreibung der Bevölkerung Gazas, auf die „vollständige Säuberung“, auf Massenexodus – und ist dafür bereit, den Tod Tausender und Abertausender, ja ein Pogrom an der gesamten Bevölkerung in Kauf zu nehmen. Die Notstandsregierung und die Armeeführung haben sich zumindest teilweise diese Rhetorik zu eigen gemacht. Sie entmenschlichen die Palästinenser:innen rassistisch als „menschliche Tiere“, die wie wilde Tiere behandelt werden müssen. Allen, die nicht flüchten, drohen sie mit „verheerenden humanitären Konsequenzen“. Gaza soll lt. Ihren Aussagen nach der Militäroperation nicht mehr wieder entstehen, wie es einmal war.

Unklar ist jedoch, wie das genau geschehen soll. Eine Bodeninvasion und ein unter Umständen langwieriger Guerillakampf gegen die von Hamas geführten Kämpfer:innen werden die kommenden Tage, Wochen, wenn nicht Monate andauern. Die israelische Regierung hat erklärt, dass sie beabsichtigt, den Gazastreifen vollständig vom übrigen Palästina abzuschneiden. Wie dieser Kampf endet, welche Seite politisch siegt und welche „Ordnung“ in Gaza errichtet, hängt natürlich auch von der Entschlossenheit des Widerstandes wie auch von der Rücksichtslosigkeit des zionistischen Angriffs ab. Geht es nach der israelischen Rechten und großen Teilen des Kabinetts, die sich auf sie stützen, so kann es dort bis zur Massenvernichtung an den Palästinenser:innen gehen. Im Moment gehen die Äußerungen der Notstandsregierung in diese Richtung, aber das darf nicht drüber hinwegtäuschen, dass es keine Einheitlichkeit im zionistischen Lager bezüglich der längerfristigen Kriegsziele und der zukünftigen „Neuordnung“ Gazas gibt.

Daher werden der israelischen Rechten auch Grenzen im Inneren gesetzt. Ein Flügel im zionistischen Lager will einen gewissen Restbestand der „demokratischen“ Herrschaftsform in Israel sichern (und zwar nicht nur gegenüber Netanjahu), sondern auch palästinensische Kräfte wie die Fatah und die PNA (Palästinensische Nationalbehörde) in Zukunft als ihren verlängerten Arm integrieren.

Vor allem aber drängen die internationalen Verbündeten Israels darauf, dass es zu keiner dauerhaften Besetzung Gazas kommt, dessen zukünftige Verwaltung formell von palästinensischen Kräften übernommen werden soll. Diese Bedingungen sind zugleich auch wichtig, um Saudi-Arabien, Ägypten und andere arabische Staaten als Verbündete zu halten und auch für eine etwaige Wiederaufnahme von Gesprächen am Ende der Gazaoperation mit zu gewinnen. Das setzt aber zumindest voraus, eine Scheinlösung der „Palästinafrage“ zu verkaufen, obwohl Israels unerbittlicher Ausbau der Siedlungen dies praktisch unmöglich gemacht hat.

Auswirkungen und Ursachen des Angriffs

Der Angriff der von Hamas geführten palästinensischen Kräfte aus Gaza hat die Palästinafrage wieder ins Zentrum der Politik im Nahen Osten und auch der internationalen Politik gerückt.

Die US-Strategie seit Trump, die der israelischen Regierung unter Netanjahu wie auch von Armeeführung und Geheimdienst setzten auf eine „Friedenslösung“ im Nahen Osten ohne Einbeziehung der Palästinenser:innen. Diesbezüglich wurde die Politik Trumps unter Biden fortgesetzt und die EU und deren führende Mächte folgten dabei den USA. Die Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Verhandlungen mit Saudi-Arabien und anderen Staaten zur längerfristigen „Normalisierung“ mit Israel schienen diese Strategie zu bestätigen.

Der israelische Staat ging im Grunde davon aus, dass er die Palästinenser:innen weiter ohne wirksamen Widerstand und großen internationalen Aufschrei marginalisieren könnte, Siedlungsbau und Landraub in der Westbank weiter voranschreiten würden und Gaza abgeriegelt und seine Bevölkerung weiter ausgehungert würde. Die Ermordung von über 300 Palästinenser:innen in der Westbank und der weitere Landraub bis zum Oktober 2023 schienen das auch zu bestätigen. Die Proteste des Iran und seiner Verbündeten waren einkalkuliert vorsichtig. Weder das Regime in Teheran noch die Hisbollah hatten ein Interesse an einer wirklichen militärischen Konfrontation.

Die meisten Staaten des Nahen Ostens haben in den letzten Jahren den Weg Ägyptens und Jordaniens beschritten und faktisch ihren Frieden mit Israel gemacht. Das Schicksal der Palästinenser:innen stellte kein Hindernis für eine Intensivierung des wirtschaftlichen Austauschs dar. Auch in geostrategischer Sicht haben z. B. Israel und die Türkei als wichtige Waffenlieferant:innen und Unterstützer:innen Aserbaidschans bei der Vertreibung der Armenier:innen aus Bergkarabach (Arzach) kooperiert. Kein Wunder also, dass die ersten Erklärungen der Arabischen Liga zum Angriff der Hamas auf Israel und zum angedrohten Vergeltungsschlag sehr vorsichtig ausfielen. Bis heute rufen Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien zur „Mäßigung auf allen Seiten“ oder zu einer Waffenruhe auf. Allerdings hat Saudi-Arabien die Verhandlungen mit Israel ausgesetzt.

Auch wenn zur Zeit die arabischen Staaten kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel hegen, so hat der Angriff der Hamas der zuletzt verfolgten Nahoststrategie des US-Imperialismus und seiner Verbündeten einen schweren Schlag versetzt. Die Vorstellung, den Nahen Osten unter Ausschluss der Palästinenser:innen zu befrieden, entpuppte sich als reaktionäre Illusion. Sie ist gescheitert.

Der Angriff der Hamas war sicherlich durch mehrere Faktoren motiviert und auch Resultat einer Entscheidung des militärischen Flügel gegen den politischen, der in Katar sitzt. Dieser fürchtete die absehbare vernichtende Reaktion Israels. Doch die immer größere Marginalisierung der Palästinenser:innen in der Westbank und in Gaza in den letzten Jahren stellte die Hamas wie den gesamten Widerstand auch vor die prekäre Alternative, entweder immer mehr mit dem Rücken an die Wand gedrückt zu werden oder einen Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis Gaza zu wagen, wohl wissend, dass der Zionismus in jedem Fall mit massiven Angriffen reagieren würde. Der Ausbruch war also wesentlich eine Reaktion auf die immer größere Isolierung und den drohenden Wegfall vorgeblicher Verbündeter der Palästinenser:innen wie Saudi-Arabien.

Insgesamt hat der Krieg gegen Gaza die Lage im Nahen Osten grundlegend verändert und ihn zu einem Zentrum der Instabilität gemacht. Während auf der einen Seite eine konterrevolutionäre, barbarische Vertreibung aus Gaza und eine Vernichtung des palästinensischen Widerstandes drohen, können auf der anderen die Unterdrückten die aktuelle Lage auch zu ihren Gunsten wenden, wenn sie die inneren Widersprüche im Lager des Zionismus und der imperialistischen Reaktion nutzen. Das erfordert wiederum, dass die Arbeiter:innenklasse als selbstständige, führende Kraft in der Solidarität mit Palästina, und damit verbunden auch in Palästina, in Erscheinung tritt.

Nur, wenn sie angesichts der Angriffe des Zionismus bedingungslos auf Seiten der Unterdrückten steht, den Widerstand trotz dessen reaktionärer politischer  Führung unterstützt und gegen die Regierungen im Westen mobilmacht, mit der Unterstützung Israels bricht und sich mit ihren Klassenbrüdern und Schwestern im globalen Süden zusammenschließt, kann sie auch als verlässliche Verbündete des palästinensischen Volkes in Erscheinung treten.

Nur dann werden die palästinensischen Massen erkennen können, dass die reaktionären arabischen und islamistischen Regime nicht ihre Verbündeten sind, wohl aber deren Arbeiter:innen und Jugend, und es eine wirkliche Alternative zur Politik und Strategie von Hamas und Fatah gibt – eine Politik, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem für die sozialistische Revolution verbindet. Nur so wird es möglich sein, dass die palästinensische Arbeiter:innenklasse auch zur führenden Kraft des Befreiungskampfes werden kann. Und schließlich wird es nur unter der Bedingung eines massiven Widerstandes und der weltweiten Unterstützung Palästinas möglich sein, die israelische Arbeiter:innenklasse vorm Zionismus zu retten, so dass nicht nur einer politisch fortgeschrittenen antizionistischen Minderheit, sondern auch der Masse der Lohnabhängigen klar wird, dass sie der Zionismus nicht nur zu Kompliz:innen der Unterdrückung macht, sondern dass ihre Freiheit und Sicherheit unter einem Regime, das auf der Unterdrückung einer anderen Nation aufbaut, letztlich eine Schimäre ist.

Die internationale Reaktion

Die internationalen Reaktionen auf den Ausbruch der Hamas und auf den Krieg gegen Gaza könnten nicht unterschiedlicher ausgefallen sein. Während die USA, Britannien, Japan und die EU-Mächte Israel unterstützen, rufen die imperialistischen Rivalen Russland und China ebenso wie die meisten Staaten des globalen Südens zum Waffenstillstand und zu humanitärer Hilfe auf. Natürlich verurteilen auch sie mehr oder weniger offen Hamas und den palästinensischen Widerstand. Sie wollen zum Vorkriegszustand zurückkehren.

Natürlich hat die Politik Moskaus oder Peking nichts mit Solidarität mit Palästina zu tun. Sie verfolgen nur eigene, dem Westen entgegengesetzte imperialistische Interessen und hoffen so, ihre geostrategischen Positionen zu stärken. Die verschiedenen Regionalmächte in der Region lehnen den Angriff Israels offener oder verdeckter ab, rufen zu „Mäßigung“ auf, weil sie damit sowohl eigene Interessen verfolgen, aber auch weil sie eine Destabilisierung in ihren eigenen Ländern und damit ihrer eigenen Herrschaft fürchten. Reaktionäre islamistische Regime wie der Iran oder reaktionäre islamistische Bewegungen inszenieren sich außerdem als einzig konsequente Verbündete der Palästinenser:innen. Dass dabei offen Antisemitismus propagieren, muss ebenso entlarvt werden wie ihr Versuch, von ihrer eigenen Diktatur und der Unterstützung konterrevolutionärer Regime z. B. in Syrien demagogisch abzulenken.

Doch diese vorgeblichen reaktionären „Freund:innen“ oder „Unterstützer:innen“ Palästinas dürfen den Blick nicht darauf verstellen, dass die Sympathie der Massen in den meisten Ländern der Welt dem palästinensischen Volk und seinem Befreiungskampf gilt. Die Masse der Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen und der Jugend in den halbkolonialen Ländern durchschaut sehr genau, dass die Darstellung des Krieges als eines zwischen israelischer „Demokratie“ gegen „islamistischen Terror“ seine Ursachen und seinen Charakter verschleiert, dass es sich um einen Krieg eines Unterdrückerstaates gegen die Unterdrückten handelt. Genau das wissen auch die palästinensischen und arabischen Migrant:innen in den westlichen Ländern sowie die große Mehrzahl der rassistisch unterdrückten Bevölkerung.

Daher gehen seit Wochen Massen auf die Straße, folgen dem Aufruf zu Großdemonstrationen und globalen Aktionstagen. Die Straßen im globalen Süden füllen sich – und daraus kann und soll eine internationale Massenbewegung der Solidarität mit Palästina werden. Selbst in den westlichen Staaten ist die öffentliche Meinung nicht so eindeutig für Israel ausgerichtet, wie die Regierungen uns gern glauben machen möchten.

In London beteiligten sich 150.000 am 14. Oktober an einer Demonstration in Solidarität mit Palästina und 300.000 am 21. Während in Britannien das Demonstrationsrecht noch anerkannt ist, greifen andere europäische Länder wie Deutschland und, in geringerem Maße Frankreich, zu extremen rassistischen und antidemokratischen Maßnahmen, verbieten Kundgebungen in Solidarität mit Gaza regelmäßig, nehmen hunderte Menschen fest, die sich den Verboten nicht beugen wollen und kriminalisieren alle Organisationen des palästinensischen Widerstandes.

Zur Legitimierung diese Maßnahmen greifen sie auf die Lüge zurück, dass Antizionismus, ja fast jede Israelkritik antisemitisch sei. Selbst der Verweis auf die Ursachen des gegenwärtigen Konflikts gilt schon als „Relativierung“ des „islamistischen Terrors“. Diese Hetze verknüpft sich mit einer dramatischen Zunahme des antimuslimischen Rassismus und soll die Bevölkerung der „demokratischen“ Staaten auf die weitere Aushebelung demokratischer Rechte vorbereiten und darauf einschwören, mit Israel auch dann solidarisch zu bleiben, wenn immer mehr Bilder über die Massaker und Kriegsverbrechen seitens der israelischen Armee öffentlich werden.

Der extreme Kontrast zwischen der Lage in den halbkolonialen und westlichen imperialistischen Ländern zeigt auch, was von der Behauptung zu halten ist, dass die ganze Welt hinter Israel stände. Unter der Welt werden vor allem die Länder Nordamerikas und Europas verstanden, die gerade einmal 12 % der Weltbevölkerung beheimaten – und auch dort ist die öffentliche Meinung vor allem die, die von den auf die imperialistische Staatsräson getrimmten Medien veröffentlicht wird, die sich in der Hand der westlichen Staaten oder der Monopolkonzerne im Medienbereich befinden.

Diese spiegeln vor allem die Interessen der imperialistischen Regierungen und Bourgeoisien wider. Sie können sich aber auch auf die Führungen der bürokratisierten Gewerkschaften und der meisten reformistischen Parteien stützen – sei es die SPD in Deutschland, Labour in Britannien oder die schwindsüchtige PS in Frankreich. Auch die Mehrzahl der europäischen Linksparteien solidarisiert sich uneingeschränkt oder verdeckt mit Israel oder nimmt eine „neutrale“ Haltung im Kampf zwischen Unterdrückten und Unterdrücker:innen ein. Dies verdeutlich einmal mehr den sozialchauvinistischen und proimperialistischen Charakter dieser Parteien und bürokratisierten Gewerkschaftsapparate.

Während sie sich über den „Terror“ der Hamas empören und die Tötung unschuldiger Zivilist:innen anprangern, versichern sie den israelischen Angriffen auf Gaza ihre Unterstützung, denen Tausende unschuldige palästinensische Zivilist:innen zum Opfer gefallen sind und weiter fallen werden. Statt die Seite der Arbeiter:innen und Unterdrückten in Gaza zu ergreifen, statt die palästinensischen und arabischen Migrant:innen gegen Rassismus und Repression zu verteidigen, unterstützen diese Berufsverräter:innen die Unterdrückung.

Der Aufbau einer Solidaritätsbewegung mit Palästina ist unmöglich ohne einen entschlossenen Kampf gegen diese chauvinistischen und proimperialistischen Irreführer:innen der Arbeiter:innenklasse. Die notwendige und berechtige Kritik an den Führungen des palästinensischen Befreiungskampfes, an Hamas, Dschihad, aber auch den militanten Kräften der Fatah, der PFLP und der DFLP hat nur dann einen revolutionären und fortschrittlichen Wert, wenn sie auf der Grundlage der Unterstützung des Befreiungskampfes formuliert wird. Ansonsten bleibt sie im gegenwärtigen Krieg bestenfalls nur eine beredte Form der Passivität oder wie bei den reformistischen Führungen eine der Unterstützung der zionistischen und imperialistischen Aggression.

Aufgaben der Arbeiter:innenbewegung

Die erste und vordringliche Aufgabe der Linken und Arbeiter:innenbewegung auf der ganzen Welt besteht darin, den palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen. Wir treten für die Niederlage Israels ein und solidarisieren uns mit dem Widerstand in Gaza und ganz Palästina. Zugleich verschweigen wir unsere grundlegenden Differenzen mit der reaktionären Hamas, mit Dschihad, aber auch mit der palästinensischen Linken nicht. Wir unterstützen den Befreiungskampf trotz seiner Führung und ihrer falschen Strategie, Politik und Programmatik.

Die Stellung des zionistischen Staates im Nahen Osten, seine zentrale Rolle als Statthalter westlicher imperialistischer Interessen, die enorme Hochrüstung der israelischen Armee und das Ausmaß westlicher Unterstützung bedeuten auch, dass der palästinensische Widerstand internationale Unterstützung braucht. Daher bedarf es einer internationalen Strategie, um den Kampf zum Sieg zu führen.

1. Widerstand und Befreiungskampf in Palästina

Im gegenwärtigen Krieg, im Angriff auf Gaza unterstützen wir den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Je länger sich dieser der IDF entgegenstellen kann, desto höher wird der politische und materielle Preis für den Angriff und die Invasion.

Der Ausbruch der Hamas-geführten Kräfte aus Gaza verkörperte selbst einen legitimen Akt im nationalen Befreiungskampf. Unterdrückte haben das Recht, aus einem Territorium auszubrechen, in dem sie vom unterdrückenden Staat über Jahre inhaftiert werden, ihre Versorgung von diesem blockiert und rationiert wird, ein großer Teil der Bevölkerung zur Arbeitslosigkeit verurteilt ist, wo immer wieder Infrastruktur, Wohnungen, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen zerstört werden.

Es ist im Kampf gegen nationale Unterdrückung natürlich legitim, die militärischen Institutionen und Einheiten des/r Unterdrücker:in anzugreifen, auf Raketenbeschuss mit Raketen zu antworten. In allen Kriegen sind zivile Opfer unvermeidlich, obwohl mutwillige Grausamkeit gegenüber Zivilist:innen nicht nur den Opfern schadet, sondern als Rechtfertigung für die weitaus größere Grausamkeit der Unterdrücker:innen erscheint.

In Wirklichkeit ist auch nicht die Hamas Verursacherin solch Blutvergießens und Schreckens. Es ist vielmehr der zionistische Staat Israel, der auf der rassistischen, kolonialistischen Vertreibung der Palästinenser:innen basiert. Auf dieser Basis ist jede demokratische und fortschrittliche Lösung unmöglich. Solange dieser herrscht, Palästina kontrolliert, Gaza und die Westbank als innere Kolonien „verwaltet“, die Bevölkerung permanent vertreibt, enteignet, ghettoisiert, kann es keinen Frieden und keine Gerechtigkeit geben.

Letztlich wird Gaza auch nicht von der Hamas oder irgendeiner anderen dort aktiven politischen Kraft beherrscht, sondern vom israelischen Staat – ganz so wie Gefängnisse nicht von den Gefangenen kontrolliert werden, selbst wenn sie sich innerhalb der Gefängnismauern „frei“ bewegen dürfen.

Als revolutionäre Marxist:innen stehen wir in entschiedener Feindschaft zur Strategie und Politik der Hamas (wie aller islamistischer Kräfte) und ihrem politischen Regime. Ebenso lehnen wir die willkürliche Tötung von oder Massaker an israelischen Zivilist:innen ab. Diese erleichtern es Zionismus und Imperialismus offenkundig, ihren Großangriff auf Gaza auch in den Augen vieler Arbeiter:innen als „Selbstverteidigung“ hinzustellen.

Es greift darüber hinaus viel zu kurz, willkürliche Tötungen von Zivilist:innen nur der Hamas oder dem Islamismus anzulasten. Sie sind auch Ausdruck der viel umfassenderen, Jahrzehnte andauernden Unterdrückung, der täglichen Erfahrung des Elends, Hungers, der Entmenschlichung in Gaza durch die israelische Abriegelung. Aus der nationalen Unterdrückung wächst der Hass auf den Staat der Unterdrücker:innen und alle, die diesen mittragen oder offen unterstützen – und dazu gehört auch die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und der israelischen Arbeiter:innenklasse.

Der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands und die Kritik an politisch falschen oder kontraproduktiven Aktionsformen dürfen keineswegs zu einer Abwendung vom Kampf gegen die Unterdrückung führen. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und der Unterdrücker:innen unterscheiden. Nur wenn die revolutionäre Linke und die Arbeiter:innenklasse den Kampf um nationale Befreiung gegen den Zionismus und „demokratischen“ Imperialismus unterstützen, werden sie in der Lage sein, eine politische Alternative zu islamistischen Kräften aufzubauen. Nur so werden sie eine revolutionäre Partei bilden können, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem um eine sozialistische Revolution verbindet.

Dies beinhaltet notwendig auch die Beteiligung am Befreiungskampf und militärisch koordinierte gemeinsame Aktionen. Es inkludiert eine Politik der antiimperialistischen Einheitsfront mit allen Kräften des Widerstandes. In der Westbank und Israel unterstützen wir Solidaritätsaktionen mit der Bevölkerung Gazas. Wir unterstützen Massenprotest und Streiks gegen die Besatzung. Wir verurteilen und bekämpfen die weiter erfolgenden Angriffe und Morde an Palästinenser:innen durch die israelischen Sicherheitskräfte und durch bewaffnete Siedler:innen.

Wir verurteilen insbesondere auch den Einsatz von Kräften der PNA gegen Protestierende. Diese reaktionären Angriffe auf die eigene Bevölkerung müssen enden, die Kräfte der PNA müssen mit ihrer Rolle als Hilfspolizei des Zionismus brechen. Sie und ihre Waffen müssen Aktionsausschüssen des palästinensischen Widerstandes unterstellt werden. Eine neue Massenintifada ist angesagt.

Doch in Palästina ist nicht nur ein gemeinsamer Kampf nötig. Die Führungen des Befreiungskampfes verfügen selbst über keine Strategie, die eine revolutionäre Lösung bringen kann. Hamas und Islamischer Dschihad sind kleinbürgerlich-reaktionäre, islamistische Kräfte, wobei die Hamas nicht nur aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten, sondern auch aufgrund ihrer Wohlfahrtsprogramme eine Massenbasis besitzt. Beide Organisationen verfolgen das reaktionäre Ziel einer Theokratie in Palästina, beide verbinden Antizionismus mit Antisemitismus. Beide betrachten nicht die Arbeiter:innenklasse als führende Klasse im Befreiungskampf, sondern ordnen diese und ihre Klasseninteressen jenen des Kleinbürger:innentums und der Bourgeoisie unter dem Deckmantel „islamischer Einheit“ unter. Es ist daher auch kein Zufall, dass ihre wirklichen internationalen Verbündeten und Unterstützer:innen nicht die arabischen Massen, sondern reaktionäre islamistische Regime wie Iran, Katar und Saudi-Arabien oder Bewegungen wie die Hisbollah sind.

Die palästinensische Linke (PFLP und DFLP) ordnet sich faktisch der Führung der Hamas politisch unter – ganz so, wie sie sich zu Zeiten der PLO der Fatah untergeordnet hatte. Die „Ablehnungsfront“ gegen das Osloer Abkommen, die die palästinensische Linke mit Hamas, Dschihad und anderen Gruppen gebildet hat, ist kein bloß zeitweiliges militärisches Abkommen, keine Form der antiimperialistischen Einheitsfront, sondern im Grunde ein strategisches Bündnis, das einer Unterordnung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse gleichkommt.

Den bürgerlichen Programmen und der Etappentheorie, die die palästinensische Linke vertritt, stellen wir ein Programm der permanenten Revolution entgegen. Wir treten für einen gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina ein, der Palästinenser:innen wie Juden und Jüdinnen gleiche Rechte gewährt, der allen vertriebenen Palästinenser:innen das Rückkehrrecht garantiert und auf der Basis des Gemeineigentums an Land und großen Produktionsmitteln in der Lage ist, die Ansprüche zweier Nationen gerecht und demokratisch zur regeln. Ein solcher Kampf wird nicht durch Reformen erreicht werden können, sondern nur durch den revolutionären Sturz des zionistischen Staates.

In Israel und Palästina treten wir auch für die möglichst enge Einheit im Kampf mit den antizionistischen Kräften der israelischen Linken und Arbeiter:innenbewegung ein. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse mit dem Zionismus bricht, kann sie sich auch selbst befreien.

Uns ist jedoch bewusst, dass die israelischen Lohnabhängigen über Jahrzehnte nicht nur an der Unterdrückung, Vertreibung und Überausbeutung der palästinensischen Massen teilhatten, sondern dass der Labour Zionismus wie auch die „liberalen“ Zionist:innen selbst aktiv an der Vertreibung und Unterdrückung beteiligt waren und sind.

So wichtig und richtig es ist, Spaltungen und Brüche im zionistischen Lager auszunutzen und zu befördern, so dürfen wir uns keinen Illusionen über die Tiefe der Bindung der israelischen Arbeiter:innen an den Zionismus hingeben. Wir müssen uns vielmehr darüber klar sein, dass deren Masse wahrscheinlich erst unter dem Eindruck einer tiefen Krise des zionistischen kolonialistischen Projekts für einen Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden kann. Daher ist die Stärke des palästinensischen Befreiungskampfes selbst ein zentraler Motor, um überhaupt Risse im Zionismus zu vertiefen. Die antizionistische Linke in Israel hat daher jedes Interesse am Erfolg des palästinensischen Befreiungskampfes und muss diesen bedingungslos unterstützen.

2. Die Massen im Nahen Osten

In den arabischen Ländern, in der Türkei, im Iran wie in der gesamten Region muss die Arbeiter:innenklasse mit ihren Kräften die Mobilisierungen gegen Israel in Solidarität mit Palästina unterstützen. Sie muss sich dabei zugleich von reaktionären oder gänzlich verlogenen staatlichen Institutionen abgrenzen, die die Palästinafrage für reaktionäre Zwecke oder eigene geostrategische Interessen missbrauchen (z. B. Erdogan in der Türkei).

Daher müssen die Gewerkschaften und die Linke nicht nur unter eigenem Banner und mit eigenen Aktionen mobilisieren. Sie müssen auch über Demonstrationen und Protestkundgebungen hinausgehen. So sollten Transportarbeiter:innen alle Exporte nach Israel blockieren, indem sie z. B. das Beladen von Schiffen oder Flugzeugen verweigern oder deren Abflug oder Auslaufen verhindern.

Sie müssen die Offenlegung aller wirtschaftlichen und militärischen Abkommen sowie aller Geheimverträge mit Israel fordern, um so die wirkliche Kooperation ihrer angeblich propalästinensischen Regierungen offenzulegen und den Stopp diese Kooperation erzwingen. Sie müssen für die Schließung der Militärbasen der USA und ihrer Verbündeten in der Türkei und im gesamten arabischen Raum eintreten.

Dieser Kampf gegen die verschiedenen reaktionären Regierungen muss mit dem Kampf gegen die soziale und ökonomische Krise wie gegen die mehr oder weniger unverhüllten Diktaturen verbinden werden, um so einen zweiten Arabischen Frühling einzuläuten – einen Arabischen Frühling, dessen linke und proletarische Kräfte die Lehren aus dem Scheitern des ersten Anlaufs ziehen, indem sie von Beginn an die Notwendigkeit anerkennen, eine solche Revolution permanent zu machen und nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben. Dies erfordert, in diesen Bewegungen revolutionäre Arbeiter:innenparteien aufzubauen, die für ein Programm der permanenten Revolution kämpfen und für Vereinigte Sozialistische Staaten des Nahen Ostens.

3. Die Arbeiter:innenklasse im Westen

Die Solidarität mit Palästina stellt eine Aufgabe der gesamten globalen Arbeiter:innenklasse dar. Im Krieg gegen Gaza sollten die Lohnabhängigen in allen Ländern auf die Straße gehen, ihre Solidarität zum Ausdruck bringen und jede materielle und militärische Unterstützung Israels durch betriebliche und gewerkschaftliche Aktionen stoppen.

Dabei kommt der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren Nordamerikas und Europas jedoch insofern eine Schlüsselrolle zu, als diese Staaten auch die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützer und Verbündeten Israels sind. Gewerkschaften sollen ihre Mitglieder dazu aufrufen, Waffenlieferungen an Israel zu blockieren. Lohnabhängige in aller Welt sollten den gesamten Handel mit Israel auf dem Land-, See- und Luftweg boykottieren. Versuche, solche Aktionen oder Kundgebungen zur Unterstützung Palästinas als antisemitisch zu bezeichnen, müssen zurückgewiesen und entlarvt werden. Auf den Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften darf nicht nur mit warmen Worten, sondern muss mit Taten reagiert werden.

In diesen Staaten kämpfen wir gegen jede weitere militärische, finanzielle und ökonomische Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Angriffsmaschinerie. Wir fordern die Offenlegung aller Verträge, wir kämpfen für den Stopp aller Rüstungsexporte und den Rückzug aller entsandten Streitkräfte aus dem Nahen Osten und von der Mittelmeerküste, die als Rückendeckung für Israel gegenüber der Hisbollah oder anderen dienen.

In diesen Ländern kämpfen wir gegen die massive rassistische antipalästinensische und antimuslimische Hetze. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung mit Palästina, wir fordern die Entkriminalisierung aller palästinensischen Organisationen und Vereine und die Streichung der sog. Terrorlisten der EU und USA.

Die Solidarität mit Palästina erfordert in allen westlichen Ländern auch einen Kampf, um die Arbeiter:innenklasse über die Lügen aufzuklären und die wahren Ursachen des Krieges und die Berechtigung des Befreiungskampfes darzulegen.

Die berechtigte Trauer und das Mitgefühl mit den zivilen jüdischen Opfern des Angriffs aus Gaza werden zur ideologischen Vorbereitung auf die Unterstützung eines Krieges gegen die dortige Bevölkerung missbraucht, der zur Vernichtung jeden Widerstandes und zur Massenvertreibung führen soll. Daher auch die gebetsmühlenartige Beteuerung, dass die „Solidarität mit Israel“ auch dann nicht nachlassen dürfe, wenn „andere Bilder“ aus Gaza kommen. Ganz nebenbei erklärt der Deutsche Bundestag auch gleich seine Unterstützung für Militärschläge im Libanon oder Syrien und verstärkten Druck gegen den Iran.

Dieser Hetze und Kriegstreiberei, der offiziellen „öffentlichen“ Meinung, der sich fast alle politischen Parteien der „Mitte“ – Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokratie – wie auch jene der extremen Rechten, aber selbst die meisten linksreformistischen Organisation und die Führungen der Gewerkschaften anschließen, müssen wir entschlossen entgegentreten.

Dies ist ein notwendiger Teil des Kampfes für eine breite, auch von der Arbeiter:innenklasse in Europa und Nordamerika unterstützte Solidaritätsbewegung mit Palästina, die ihren Ursprung in Nahost fand. Auch den Herrschenden ist bewusst, dass selbst in den Ländern, wo eine proisraelische Stimmungslage vorherrscht, diese nicht ewig anhalten wird. Denn in den kommenden Wochen werden trotz medialer Entstellung auch immer wieder und immer mehr Horrorbilder über die Auswirkung der israelischen Bombardements mit Tausenden Toten und die Ausweglosigkeit für Hunderttausende Flüchtlinge in Gaza zeugen.

Daher müssen wir schon heute daran arbeiten, die Lügen der Herrschenden zu entlarven, um einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter:innenklasse, insbesondere in den Gewerkschaften herbeizuführen. Das wird nur möglich sein, wenn wir der Hetze durch die Medien, aber auch der sozialchauvinistischen Politik der Führungen von Gewerkschaften, SPD und Linkspartei offen entgegentreten und ihre Unterstützung der Angriffe auf Gaza anprangern. Nur so – wenn wir Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen den Chauvinismus und Rassismus der Führungen der Arbeiter:innenbewegung miteinander verbinden – kann und wird es möglich sein, eine gemeinsame Solidaritätsbewegung für Palästina aufzubauen, die sich auf die Migrant:innen und auf die fortschrittlichen und internationalistischen Teile der Arbeiter:innenklasse stützt.

  • Sofortige Einstellung der israelischen Bombardierung und der IDF-Tötungen im Westjordanland!

  • Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza für Treibstoff, Lebensmittel, Wasser, medizinische Hilfe und die Medien!

  • Ein Ende der westlichen Waffenlieferungen an Israel, Abzug der Kriegsschiffe aus der Region!

  • Arbeiter:innenaktionen zur Beendigung der wirtschaftlichen und militärischen Hilfe für Israel!

  • Sieg des palästinensischen Widerstands!

  • Für ein vereinigtes, säkulares, sozialistisches Palästina mit Gleichheit für alle seine Bürger:innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens!



Nein zur israelischen Unterdrückung – Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand

Dave Stockton, Infomail 1233, 9. Oktober 2023

Am 7. Oktober um 6.30 Uhr Ortszeit feuerte die im Gazastreifen ansässige palästinensische Hamas ein Sperrfeuer von Raketen auf Israel ab, von denen einige das 80 Kilometer entfernte Tel Aviv erreichten. Zur gleichen Zeit überraschten Hamas-Kämpfer:innen die israelischen Verteidigungskräfte (IDF), durchbrachen die befestigten Linien und griffen die Siedlungen Sderot und Aschkelon an.

Israelischen Medien zufolge eröffneten die Hamas-Kräfte das Feuer auf Zivilist:innen, sowohl in den Straßen der Stadt als auch von Jeeps aus, die auf dem Lande unterwegs waren. Die Times of Israel berichtete von Schießereien rund um den Militärstützpunkt Re’im. Bilder in den sozialen Medien zeigen palästinensische Jugendliche, die um einen zerstörten israelischen Panzer herum feiern.

Ungefähr 700 Israelis wurden getötet und mehr als 2.000 verletzt. Die Hamas behauptet außerdem, Dutzende von Israelis, darunter Soldat:innen, gefangengenommen zu haben, die sie als Geiseln für die Freilassung palästinensischer Gefangener halten will. Innerhalb weniger Stunden flogen jedoch Dutzende von israelischen Kampfjets Angriffe auf militärische und zivile Ziele im Gazastreifen und töteten 200 Palästinenser:innen in einer Operation, die die IDF „Eiserne Schwerter“ nennt. Mindestens 410 Palästinenser:innen sind bisher bei israelischen Vergeltungsangriffen getötet worden.

Unmittelbare Auswirkungen

Die unmittelbaren Auswirkungen des „Ausbruchs“ der Hamas-Kräfte und das Ausmaß des Raketenbeschusses sind angesichts der strengen Belagerung des Gazastreifens und der bisherigen Wirksamkeit des israelischen Überwachungssystems bemerkenswert. Es scheint, dass der Angriff die IDF und den Sicherheitsdienst Schin Bet völlig überrumpelt hat. Zweifellos wird es zu einem massiven Angriff auf Gaza kommen, und Siedler:innen und Regierungstruppen werden wahrscheinlich in verschiedenen Teilen des Westjordanlandes brutale Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, während die Weltöffentlichkeit abgelenkt ist.

Innerhalb von fünf Stunden nach dem Ausbruch des Angriffs verkündete Premierminister Benjamin Netanjahu in einer Rundfunkansprache: „Bürger:innen Israels, wir befinden uns im Krieg und wir werden gewinnen.“ Und weiter: „Wir werden alle Orte, an denen die Hamas organisiert ist und sich versteckt, in Trümmerinseln verwandeln.“ Das Verteidigungsministerium mobilisierte am 9. Oktober 300.000 Reservist:innen, die größte Zahl in der Geschichte Israels. Weite Gebiete vom Gazastreifen bis nach Tel Aviv wurden in den Ausnahmezustand versetzt. Alle Treffen und Versammlungen wurden verboten.

Diese Maßnahmen könnten Netanjahu auch aus einer schwierigen innenpolitischen Lage heraushelfen. Das ganze Jahr über und bis weit in den September hinein protestierten wöchentlich Hunderttausende Israelis, darunter auch IDF-Reservist:innen, gegen seinen Versuch, die Befugnis des Obersten Gerichtshofs, ein Veto gegen Regierungsgesetze einzulegen, zu untergraben. Abgesehen von kleinen Kontingenten von Linken blieben diese Demonstrationen jedoch dem zionistischen Staat gegenüber entschlossen loyal, und die Reservist:innen machten deutlich, dass sie im Falle eines Krieges dienen würden.

Netanjahu war auch von der US-Regierung wegen seiner drohenden Verstöße gegen die Demokratie kritisiert worden (natürlich nur gegen israelische Bürger:innen, nicht die Palästinenser:innen). Jetzt beeilte sich Joe Biden, den „Terrorismus“ der Hamas anzuprangern und Israel zu versichern, dass es alle Hilfe bekommen wird, die es braucht. Und „natürlich“ stimmen die westlichen Verbündeten, darunter auch der deutsche Imperialismus, in den Chor der „bedingungslosen Solidarität“ mit Israel ein. Von der AfD über die CDU/CSU bis zur Ampel-Koalition rufen alle nach Unterstützung für den hochgerüsteten zionistischen Staat.

Freiluftgefängnis Gaza

Tatsächlich ist Israel bereits ein hochgerüsteter Staat, der keine zusätzlichen Waffen aus den USA benötigt. Die „westlichen Demokratien“ sind vorsätzlich blind gegenüber der Tatsache, dass Israels Demokratie nicht einmal seinen eigenen palästinensischen Bürger:innen gleiche Rechte einräumt, geschweige denn den rechtlosen Bewohner:innen des Westjordanlandes und des Freiluft-Gefangenenlagers Gaza.

Gaza ist gerade 40 Kilometer lang und zwischen sechs und 14 Kilometer breit. Auf engstem Raum beherbergt es eine Bevölkerung von über 2 Millionen Menschen. Seine Hoch- und Krankenhäuser wurden schon mehrfach in Schutt und Asche gelegt, vor allem bei den Operationen „Gegossenes Blei“ 2008/09 und „Protective Edge“ im Jahr 2014. Die Bedingungen dort sind wirklich unerträglich.

Eine Reihe brutaler Aktionen der rechtsgerichteten Regierung Netanjahu kommt einer Provokation gleich, die die Behauptung, die Israelis seien Opfer des Terrorismus – eine Behauptung, die nicht nur von der Regierung Netanjahu, sondern auch von Washington, Paris, London und Berlin aufgestellt wird –, als verachtenswerte Unwahrheit erscheinen lässt.

Die Hamas hat in den letzten Tagen auf die Übergriffe israelischer Siedler:innen auf die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem hingewiesen, die mit staatlicher Unterstützung auch an der ethnischen Säuberung Ostjerusalems von seinen palästinensischen Bewohner:innen beteiligt sind. Daher haben sie ihre Gaza-Offensive „Operation al-Aqsa-Flut“ genannt. In diesem Jahr kam es auch zu Angriffen der IDF auf das riesige Flüchtlingslager in Dschenin, bei denen Palästinenser:innen getötet, verletzt und ihre Häuser mit Bulldozern zerstört wurden.

Die intensivsten Angriffe fanden im Januar/Februar und erneut im Juni statt, bei denen Hunderte von Zivilist:innen und die Fedajin des Bataillons „Löwengrube“ getötet wurden. Auch in anderen Städten des Westjordanlands, vor allem in Nablus und Huwara, wurden Zivilist:innen und ihre jungen Verteidiger:innen getötet. Gleichzeitig haben rechtsgerichtete Siedler:innen mit Unterstützung von Regierungsstellen Dorfbewohner:innen von ihrem Land vertrieben.

All dies wird von den westlichen Medien zweifellos vergessen, die den zionistischen Staat stets als „einzige Demokratie“ im Nahen Osten darstellen und Israel praktisch wie einen europäischen oder nordamerikanischen Staat behandeln. Das ist kaum verwunderlich, da es sich um einen Staat handelt, der nur im Rahmen des britischen Mandats entstehen konnte, das die zionistische Besiedlung förderte und der einheimischen palästinensischen Bevölkerung das Selbstbestimmungsrecht verweigerte. Im Jahr 1948 unternahmen die britischen Truppen nichts, um Israels Eroberung von 78 % des Mandatsgebiets zu stoppen, indem sie mehr als die Hälfte der damaligen palästinensischen Bevölkerung vertrieben: ein Prozess, der sich nun unter Schirmherrschaft der USA durch die Eroberung des Westjordanlands und des Gazastreifens wiederholt.

Widerstandswille

Doch trotz 75 Jahren Besatzung, ethnischer Säuberung und wiederholtem Verrat durch die umliegenden arabischen Staaten haben die Palästinenser:innen den zionistischen Staat nie anerkannt oder den Kampf für die Wiederherstellung ihres Staates und die Rückkehr ihrer Flüchtlinge aufgegeben. Wie ineffektiv auch immer die von den Führungen des Widerstands verfolgten Strategien sein mögen, revolutionäre Sozialist:innen in aller Welt haben den Kampf gegen die nationale Unterdrückung stets verteidigt.

Als revolutionäre Marxist:innen haben wir immer den politischen Charakter der Hamas angeprangert, das System, mit dem sie den Gazastreifen beherrscht, ihre Unterstützung der Mullah-Diktatur im Iran oder des Erdogan-Regimes in der Türkei. Ebenso lehnen wir den willkürlichen Angriff auf Zivilist:innen ab und kritisieren die Strategie der Hamas. Aber eine Sache ist der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands gegen den Zionismus, eine andere ist die Unterstützung des zionistischen Staates gegen das palästinensische Volk und sein Recht auf Widerstand. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und der Unterdrücker:innen unterscheiden.

Die vor 30 Jahren in Oslo propagierte „Zweistaatenlösung“ erweist sich immer mehr als bankrott, nicht weil die palästinensische Führung nicht kompromissbereit wäre, sondern weil die zionistische Bewegung niemals ihr Ziel aufgeben würde und wird, ganz Palästina zu erobern und das Volk seiner Heimat zu berauben. Wir weisen den Vorwurf, der Widerstand gegen einen selbsternannten Siedler- und Kolonialstaat sei eine Form des Antisemitismus, mit Verachtung zurück. Die Förderung des Gedankens, dass es einen „neuen Antisemitismus“ der extremen Linken gibt, lenkt von dem tatsächlichen Antisemitismus ab, der heute in der extremen Rechten in Europa und den USA zu beobachten ist, von denen viele Israel bedingungslos unterstützen.

Ein einziger palästinensischer Staat kann sowohl Menschen palästinensischer als auch israelischer Nationalität umfassen, vorausgesetzt, dass es keine Privilegien für beide gibt. Wenn Palästina zudem ein sozialistischer Staat wird, in dem das Land und die Ressourcen gemeinsam genutzt werden, in dem für die Bedürfnisse der Massen und nicht für den Profit der Wenigen produziert wird, kann dieses historische Unrecht überwunden werden. Es ist die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse beider Nationen, ja der gesamten Region, dies zu erreichen. Dazu gehört ein Kampf gegen die imperialistischen Mächte, die die Region so lange geteilt und ausgebeutet haben, und für eine sozialistische Föderation in der gesamten Region. Bis dahin haben die gesamte Arbeiter:innenklasse und die fortschrittliche Bewegung der Welt die Pflicht, den Kampf der Palästinenser:innen zu unterstützen und sich mit ihnen zu solidarisieren.




Israel: Netanjahus Gesetz spaltet zionistisches Lager

Dave Stockton, Infomail 1229, 31. Juli 2023

Am 24. Juli gelang es Israels Premierminister Benjamin Netanjahu schließlich, seinen Gesetzentwurf durch die Knesset zu bringen, der die Befugnis des Obersten Gerichtshofs des Landes vereitelt, vom Parlament verabschiedete Gesetze aufzuheben, weil sie „unangemessen“ sind (d. h., weil sie „die Rechte anderer Bürger:innen verletzen“). Israel hat (wie Großbritannien!) kein einziges Verfassungsdokument, das einschränkt, was das Parlament erlassen kann, sondern nur eine Reihe von Grundgesetzen, die von der Knesset mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden. Und dieser Gesetzentwurf ist nur die erste Tranche. Ein weiterer wurde bereits ausgearbeitet, der der Regierung weitreichende Befugnisse bei der Ernennung von Richter:innen einräumen soll.

Die Verabschiedung des Gesetzes wurde von riesigen Massendemonstrationen in Jerusalem, Tel Aviv(-Jaffa) und anderen Zentren begleitet, an denen sich schätzungsweise 600.000 Menschen beteiligten. Netanjahus Likud-Partei und die ihr nahestehenden rechtsextremen religiösen und siedlerorientierten Parteien sehen sich seit acht Monaten mit massiven Protesten und einem eintägigen Generalstreik im März konfrontiert, zu dem der Gewerkschaftsbund Histadrut aufgerufen hatte. Nun sieht sich Netanjahu mit einem weiteren angedrohten Streik und der Weigerung von etwa 10.000 Reservist:innen konfrontiert, sich zum Dienst in der Armee zu melden.

Staatskrise

Jair Lapid, der die Opposition in der Knesset anführt und Vorsitzender der säkularen Partei der bürgerlichen Mitte Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) ist, erklärte, er werde den Obersten Gerichtshof auffordern, das Gesetz aufzuheben, da die Abstimmung „eine Übernahme der Macht über die israelische Mehrheit durch eine extreme Minderheit“ bedeute. Der rechtsextreme Minister für die Nationale Sicherheit Israels, Itamar Ben-Gvir, entgegnete, der Oberste Gerichtshof habe kein Recht, ein Grundgesetz zu streichen, und wenn er dies täte, käme dies einem Staatsstreich gleich. Sicherlich steht der zionistische Staat vor einer noch nie dagewesenen Krise, die eine große Kluft in der gesamten Gesellschaft widerspiegelt. Dies wird auch Israels Unterstützer:innen in den USA und der EU in eine heikle Lage bringen.

Warum hat sich die Likud-Koalition auf dieses noch nie dagewesene Abenteuer eingelassen? Sicherlich ist es für Netanjahu persönlich wichtig, die Befugnisse der Gerichte zu untergraben, da er mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, die er abwehren möchte. Aber für seine rechten Koalitionspartner:innen ist es noch wichtiger, die Justiz zu zähmen. Sie hoffen, auf diese Weise jede Zurückhaltung der Gerichte bei der weiteren Beschlagnahmung palästinensischen Landes und der Ausweitung illegaler Siedlungen im Westjordanland zu unterbinden. Die israelische Bewegung Peace Now (Frieden jetzt) stellt fest, dass die Regierung allein seit Januar den Bau von 12.855 Siedler:innenwohnungen genehmigt hat.

Bereits 61 % des Westjordanlandes stehen unter direkter israelischer militärischer und ziviler Kontrolle, und die palästinensischen Städte und Dörfer sind in ein Archipel unzusammenhängender Gebiete aufgeteilt, die von festungsartigen Siedlungen schwer bewaffneter rechter Zionist:innen überragt werden. Dies macht einen palästinensischen Staat seit langem undurchführbar und die „Zweistaatenlösung“ der Osloer Abkommen zu einem zynischen Witz.

Die Siedler:innen und die extremen religiösen Parteien streben offen danach, die Zerstörung der palästinensischen Nation durch ethnische Säuberung so weit wie möglich zu vollenden. Dies als Apartheid zu bezeichnen, ist eigentlich eine Untertreibung. Und der Versuch, ein ganzes Volk zu vertreiben, ist ganz sicher ein rassistisches Projekt. Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, der zusammen mit seinem Verbündeten Bezalel Smotrich das Bündnis „Jüdische Macht“ leitet, ist ein Anführer der rechtsextremen Siedler:innen im besetzten Westjordanland und hat an Demonstrationen teilgenommen, bei denen hauptsächlich „Tod den Araber:innen“ skandiert wurde.

Spaltung des zionistischen Blocks

Doch der Versuch der derzeitigen Regierung, jedes rechtliche Hindernis für dieses Projekt zu beseitigen, hat den zionistischen Block gespalten und die Einheit der israelischen Bevölkerung bedroht. Seit etwa einem Jahr ist die Mehrheit der jüdischen Bürger:innen des Landes aufgewacht und hat erkannt, dass Netanjahu und Ben-Gvir ihre eigenen demokratischen Rechte – oder besser gesagt Privilegien – bedrohen, da sie sich nicht gleichermaßen auf die Palästinenser:innen erstrecken. Dies hat zu den größten und am längsten andauernden Straßenprotesten in der Geschichte des Staates geführt. Für die meisten Bürger:innen Israels, die an einen europäischen und nordamerikanischen Lebensstandard und bürgerliche und soziale Freiheiten gewöhnt sind, ist die Aussicht auf Gesetze, die von religiösen Fanatiker:innen diktiert werden, kaum verlockend.

Tatsächlich zeigen Meinungsumfragen seit Februar, dass über 60 Prozent der Israelis das neue Gesetz ablehnen. In der Tat sieht ein großer Teil der 7 Millionen jüdischen Bürger:innen Israels den Obersten Gerichtshof als ihren letzten Schutz vor einer Koalitionsregierung, in der religiöse Parteien eine offen erklärte Agenda verfolgen, die die Bürger:innenrechte von säkularen Juden und Jüdinnen, Frauen und LGBTIA+-Personen verletzen und die Unterstützung des Landes durch westeuropäische und nordamerikanische Regierungen, eine wichtige wirtschaftliche Stütze des Siedler:innenstaates, entfremden würde.

Leider scheint es, dass nur wenige in den Reihen der Massenproteste gegen Netanjahus Gesetze die Wahrheit gegenüber den Palästinenser:innen erfassen oder anerkennen, dass diese Gesetze auch darauf abzielen, die vollständige Enteignung der ursprünglichen Bewohner:innen des Landes zu vollenden. Die palästinensischen Israelis, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, waren bei den Protesten weitgehend abwesend, obwohl sie zu den am stärksten Betroffenen der rechtsextremen Regierungen mit ihren juristischen „Reformen“ gehören wird.

Antizionistische Demonstrant:innen

Nichtsdestotrotz marschierten bei den meisten Demonstrationen Blöcke von mutigen Besatzungsgegner:innen, darunter auch jüdische Antizionist:innen. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift: „Es gibt keine Demokratie mit Apartheid“ und „Eine Nation, die eine andere Nation besetzt, wird niemals frei sein“. Die Weigerung der nationalen Organisator:innen, bei den Demos in Tel Aviv palästinensische Flaggen auf der Bühne zu zeigen, verdeutlicht jedoch die Grenzen ihrer Vorstellung von Demokratie oder davon, wer wirklich ein:e Bürger:in Israels ist.

Dann gibt es die absoluten Wälder von Isreal-Fahnen und das Singen der Nationalhymne, die von „der 2000 Jahre alten Sehnsucht der jüdischen Seele, eine freie Nation in unserem eigenen Land zu sein, dem Land von Zion und Jerusalem“ spricht. Kurzum, es handelt sich um überwältigend zionistische Märsche, deren Organisator:innen keinen Zusammenhang zwischen der Verteidigung ihrer eigenen demokratischen Rechte und dem Fehlen dieser Rechte bei 20 % ihrer Mitbürger:innen sehen.

Siedlungsbau und Vertreibung

Das andere zentrale Anliegen der Regierung ist eine massive Beschleunigung des Siedlungsbaus im Westjordanland. Ben-Gvir ist ein Anführer rechtsextremer Siedler:innen und hat an Demonstrationen in Jerusalem teilgenommen, bei denen vor allem „Tod den Araber:innen!“ skandiert wurde.

Aber die sieben Millionen Palästinenser:innen, die unter zionistischer Herrschaft leben, haben auch wenig Grund, hoffnungsvoll auf den Obersten Gerichtshof zu blicken. Im Jahr 2018 verabschiedete die Knesset ein weiteres „Grundgesetz“, das Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ definiert. Seine Fürredner:innen machten klar, dass „nationale Rechte in Israel ausschließlich dem jüdischen Volk zustehen“. Gegen das Gesetz wurde Berufung eingelegt und nach langen Verzögerungen legte der Oberste Gerichtshof keinen Einspruch gegen diese unverschämt rassistische und antidemokratische Definition der Staatsbürger:innenschaft ein. Im Juli 2021 entschied er, dass das Gesetz verfassungsgemäß sei und den demokratischen Charakter des Staates nicht in Frage stellen würde.

Unter dieser Regierung führte Israel kürzlich einen zweitägigen Angriff auf das dicht besiedelte Flüchtlingslager außerhalb von Dschenin, in dem 14.000 Palästinenser:innen leben. Dabei kam es zu heftigen Kämpfen mit militanten Palästinenser:innen und zur vorsätzlichen und weitreichenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur, einschließlich Wasser- und Abwassersystemen, Telekommunikation, Strom und Gesundheitseinrichtungen. Mindestens 13 Palästinenser:innen wurden getötet und 100 verletzt. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung des Lagers war gezwungen zu fliehen. Es ist mit weiteren derartigen Gräueltaten zu rechnen.

Imperialistische Freunde

Joe Biden, wie alle US-Präsidenten seit Truman „ein überzeugter Freund Israels“, hat sich dennoch kritisch zu den neuen Gesetzen geäußert. Er und die große Mehrheit der Demokratischen Partei lehnen Netanjahus Justizreform ab, weil sie befürchten, dass sie zusammen mit der zunehmenden Vorherrschaft extremer fundamentalistischer Kräfte den Mythos zerstören wird, dass Israel „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist, und seine Nützlichkeit als regionaler Spalter und Disziplinierer der arabischen und muslimischen Staaten der Region gefährdet.

Trotz der derzeitigen Unruhen hat der US-Kongress mit überwältigender Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der erklärt wird, dass Israel „kein rassistischer oder Apartheidstaat“ ist. Die endgültige Abstimmung fiel mit 412 zu 9 Stimmen aus. Und das, obwohl Netanjahu mit seiner üblichen Offenheit erklärt hat: „Israel ist kein Staat für alle seine Bürger:innen … gemäß dem Nationalstaatsgesetz, das wir verabschiedet haben, ist Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes – und nur dessen.“ Wie die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem (Ebenbild) unmissverständlich erklärt hat, handelt es sich um ein einzigartiges „Regime der jüdischen Vorherrschaft vom Jordan bis zum Mittelmeer: Das ist Apartheid.“

Trotz einer koordinierten Kampagne der israelischen Botschaften und der langjährigen Freund:innen Israels an der Spitze beider Parteien des politischen Establishments in den USA ergab eine Umfrage unter amerikanischen Juden und Jüdinnen aus dem Jahr 2021, dass 25 % der Befragten Israel nun als Apartheidstaat ansehen, und bei den unter 40-Jährigen stieg der Anteil auf 38 %.

Kein Wunder, dass die Freund:innen Israels besorgt sind, dass Netanjahu und seine Verbündeten den Anspruch des Staates, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, auf fatale Weise entlarven, und das zu einer Zeit, in der Biden versucht, sein neues Kalter-Krieg-Lager der Demokratie aufzubauen, um dem der Autokratie gegenüberzutreten. Dies ist umso mehr ein Grund, warum die Freund:innen der Palästinenser:innen in der ganzen Welt den Kampf für die Isolierung des rassistischen Siedlerstaates verstärken und gleichzeitig die mutigen Israelis unterstützen müssen, deren Verteidigung der demokratischen Rechte sich auch auf die der Palästinenser:innen erstreckt.

Dennoch stehen die Palästinenser:innen vor einem Dilemma. Die israelische Repression hat soziale Massenbewegungen und Mobilisierung immer schwieriger gemacht und junge Aktivist:innen zu individuellen Angriffen auf Siedler:innen oder israelische Zivilist:innen getrieben, die mit brutalen Repressalien beantwortet werden. Und die derzeitige Regierung würde auf das erste Anzeichen einer bewaffneten Intifada mit ziemlicher Sicherheit mit einem militärischen Angriff reagieren, um die Flüchtlingslager zu räumen und noch mehr Gebiete zu erobern.

Aber die Massenmobilisierung gegen Netanjahu bietet palästinensischen und antizionistischen Organisationen die Möglichkeit, gegen ihn und seine rassistischen Minister:innen zu mobilisieren, aber auch mit ihren eigenen demokratischen Slogans für gleiche Rechte und für ein Ende des Diebstahls palästinensischen Landes und palästinensischer Häuser, und zwar unter dem Motto „Getrennt marschieren, aber gemeinsam streiken“. In den Städten und Dörfern des Westjordanlandes, des Gazastreifens und in Jerusalem könnte sich eine Bewegung entwickeln, die nicht nur zum Sturz Netanjahus und zu einer historischen Krise des zionistischen Staates führen, sondern auch Israels „demokratische“ westliche Unterstützer:innen in die Enge treiben würde.

Dies stellt die Sozialist:innen in den westlichen imperialistischen Staaten und die Antiimperialist:innen in der halbkolonialen Welt vor die noch größere Aufgabe, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die fortgesetzte Unterstützung ihrer Regierungen für Israel zu bekämpfen. Dies wiederum wird die Unterstützung der israelischen Bevölkerung für die fortgesetzte Unterdrückung weiter spalten und kann den palästinensischen Massen den Weg zu einer Massenintifada öffnen. Das wird eine revolutionäre Wirkung auf die gesamte Region zeitigen.




Israels Angriff auf Dschenin

Dave Stockton, Infomail 1227, 4. Juli 2023

Am 3. Juli startete die israelische Armee eine massive Attacke auf Dschenin im nördlichen Westjordanland mit mehreren Drohnenangriffen und mindestens einem Raketeneinschlag in einem Wohnblock. Nach Angaben von Anwohner:innen wurden in den frühen Morgenstunden bis zu 10 Luftangriffe geflogen, wobei Rauch aus den Trümmern von Gebäuden aufstieg.

Ein Konvoi gepanzerter israelischer Fahrzeuge wurde gesichtet, der sich in Richtung des großen Flüchtlingslagers der Stadt bewegte. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden bei dem Angriff mindestens acht Palästinenser:innen getötet und mehr als 20 weitere verwundet.

Der palästinensische Krankenwagenfahrer Khaled al-Ahmad sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Was sich im Flüchtlingslager abspielt, ist ein echter Krieg. Es gab Angriffe aus der Luft auf das Lager, und jedes Mal, wenn wir mit fünf bis sieben Krankenwagen hinfahren, kommen wir voller Verletzter zurück.“

Associated Press berichtet, dass in diesem Jahr bereits mehr als 140 Palästinenser:innen im Westjordanland durch israelischen Beschuss getötet wurden. Das riesige Lager ist der Sitz des Dschenin-Bataillons, dem Kämpfende der Fatah, der Hamas und des Islamischen Dschihad angehören, und hat sich zum Hauptstützpunkt des Widerstands entwickelt. Minister:innen der rechtsextremen Regierung von Benjamin Netanjahu wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und der Finanzminister Bezalel Smotrich, die beide der rechtsextremen Siedlerbewegung nahestehen, haben ihr Ziel, die Palästinenser:innen von ihrem Land zu vertreiben, schamlos verfolgt.

Am 21. Juni wüteten israelische Siedler:innen im Westjordanland in dem Dorf Turmus Ayya und fackelten 30 Häuser und 60 Autos ab. Dies wurde sogar von der Regierung Biden verurteilt, vielleicht weil in dem Dorf viele palästinensische Amerikaner:innen leben.

Ali Abunimah, Co-Gründer der Website The Electronic Intifada, berichtete auf Al Jazeera (Al Dschasira): „Man darf nicht vergessen, dass Dschenin und das nördliche Westjordanland im Allgemeinen stark unter der israelischen Siedlerkolonisierung durch die fanatischsten Siedler:innen leiden, die in den letzten Wochen überall im Westjordanland Pogrome verübten, die von der israelischen Armee und der israelischen Regierung gefördert und unterstützt wurden.“

Er fügte hinzu, der Angriff sei „die Rache für den zunehmenden Widerstand gegen die Invasion der Siedler:innen im nördlichen Westjordanland und den rekordverdächtigen Diebstahl palästinensischen Landes für koloniale Siedlungen“.

Netanjahu kehrte Ende 2022 ins Amt zurück und kündigte ein Gesetz an, das die Macht des Obersten Gerichtshofs beschneiden soll, der die Siedler:innen erzürnt hatte, indem er ihre ungeheuerlichsten Landnahmen für illegal erklärte. Die „Reform“ würde es einer einfachen Mehrheit in der Knesset ermöglichen, fast alle Entscheidungen des Gerichts aufzuheben, und sie hätte den zusätzlichen Vorteil, dass sie „Bibi“ (Benjamin Netanjahu) helfen würde, seinem Prozess wegen Korruption zu entgehen. Die Angelegenheit hat monatelang zu Massendemonstrationen am Mittwochabend in Tel Aviv und Jerusalem geführt und dem Ansehen des Landes bei seinen internationalen Verbündeten geschadet.

Unterdessen wurde der Siedlungsprozess in der Woche vor dem Angriff auf Dschenin beschleunigt. Netanjahu gab bekannt, dass er 1.000 neue Siedlerhäuser in Eli genehmigt habe, und nannte diesen Schritt eine „Antwort auf den Terror“. Kurz zuvor hatte die zivile Verwaltung der israelischen Verteidigungsstreitkräfte Pläne für weitere 7.349 Wohneinheiten im Westjordanland genehmigt, die zu den 12.149 Objekten gehören, die im Jahr 2023 das Planungsstadium erreicht haben. Der Minister für Nationale Sicherheit, Ben-Gvir, forderte die Regierung in einer Rede auf einem Siedleraußenposten am Berg Sabih auf, eine groß angelegte Militäraktion im Westjordanland zu starten, um Land für den Ausbau der Siedlungen zu räumen.

Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass unter dieser offenkundig rassistischen Regierung eine ganz neue Phase der Massenenteignung (d. h. der ethnischen Säuberung) im Gange ist. Es ist auch klar, dass die Sorge der westlichen Demokratien um die Demokratie, die im Zusammenhang mit der Ukraine lautstark geäußert wurde, gedämpft ist, wenn es um Palästina geht, abgesehen von den routinemäßigen Plädoyers für die Wiederbelebung der Gespräche über die gescheiterte „Zwei-Staaten-Lösung“. Israel ist mehr denn je ein sich ausbreitender Kolonialstaat, der insofern, als er einer Minderheit von Palästinenser:innen den Verbleib gestattet, tatsächlich ein rassistischer Staat im Stil der Apartheid ist.

In der Zwischenzeit haben seine konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Unterstützer:innen in Europa und Nordamerika eine unerbittliche Kampagne geführt, um alle, die die Palästinenser:innen verteidigen, als Antisemit:innen zu verleumden. Ihr besonderes Schreckgespenst ist die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), die viele auf den falschen Anspruch Israels aufmerksam gemacht hat, die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ zu sein.

Es ist klar, dass die Sache eines säkularen, binationalen, demokratischen und sozialistischen Palästinas ein Lackmustest dafür ist, was  revolutionärer Sozialismus und ein Antiimperialismus im 21. Jahrhundert bedeuten.




Für ein sozialistisches und demokratisches Palästina!

Arbeiter:innenmacht-Rede, Infomail 1223, 23. Mai 2023

In Berlin wurden in den letzten Wochen alle Veranstaltungen in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf von der Versammlungsbehörde und den Gerichten verboten oder, wie am 20. Mai, von der Polizei aufgelöst. Unsere Rede konnte daher an diesem Tag nicht vollständig gehalten werden. Wir veröffentlichen sie hier im Wortlaut.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Ich stehe hier vor euch als eine kurdische Frau, die den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, gegen Unterdrückung, Vertreibung, Landraub und Besetzung genauso kennt, wie ihr.

Uns trennen vielleicht tausende Kilometer, aber egal ob in Rojava oder in Palästina, wir als Kommunist:innen verstehen den Kampf um Freiheit als einen Kampf um die grundlegenden Rechte eines jeden Menschen auf ein Leben in Würde, ein Leben in Freiheit, ein Leben ohne Herrschaft und Unterdrückung.

Und auch wenn wir heute hier sind, um der Vertreibung und Ermordung von Millionen Palästinenser:innen zu gedenken, sind wir vor allem hier, um den Widerstand nicht nur in unseren Herzen weiter aufrecht zu erhalten, sondern um uns die Straßen wieder zurück zu holen. 75 Jahre Nakba heißt 75 Jahre Vertreibung, Mord und Unterdrückung. Im palästinensischen Gedächtnis ist das Jahr 1948 das Jahr der Katastrophe, in welchem innerhalb eines Jahres mehr als 750.000 Palästinenser:innen aus ihrer Heimat entwurzelt und in die Flucht getrieben wurden. Dabei sollte nicht vergessen werden, die Nakba war eine geplante, systematische ethnische Säuberung Palästinas, die nach der UN Teilungsresolution im November 1947 begann und ihren Höhepunkt in den Monaten vor der Staatsgründung Israels hatte. Die Motive für die ethnische Säuberung sind dabei klar, ein jüdischer Staat in welchem Palästinenser:innen nicht wie historisch gesehen in der Mehrheit sondern in der Minderheit oder gar nicht vorhanden sind. Ziel war es, dass ganze Mandatsgebiet Palästinas zum Staat Israel zu machen. Die Massaker, welche in der Nakba an der arabischen Bevölkerung verübt wurden, waren und sind bis heute Staatsräson Israels und laut Aussagen von Politiker:innen wie Menachem Begin, hatten all die Massaker von Deir Yassin bis zur Staatsgründung Israels seine Berechtigung. Ich frage mich: Wie können die Massaker an der einheimischen Bevölkerung je eine Berechtigung haben, und welcher Staat wurde auf diesem blutigen Boden gegründet? Die Auswirkungen dieser Vertreibung sind immens: Etwa die Hälfte der Palästinenser:innen, fast 6 Millionen Menschen, lebt heute in der Diaspora – mehr als 50 % der gesamten palästinensischen Bevölkerung sind Geflüchtete. Und dieser Zustand hat sich bis heute nicht verbessert. Alleine diese Woche sind mehr als 13 Menschen in Gaza ermordet worden, damit sind seit Jahresbeginn mehr als 110 Menschen ums Leben gekommen. Das heißt, dass alle 3-4 Tage ein Mensch in Palästina ums Leben kommt.

Aktuell scheint die Lage in Israel und Palästina zu eskalieren. Zehntausende Israelis gingen gegen die Angriffe der israelischen Regierung gegen die vermeidliche demokratische Verfassung des Landes auf die Straße! Auch wenn bestimmt einige mutige Menschen unter den Demonstrierenden sind, so finden wir Heuchelei und Doppelmoral in ihrer Bezeichnung von „Demokratie“. Denn gegen die Massaker in Dschenin gingen nur einige Hundert auf die Straßen.

Menschen in Israel versuchen eine „Demokratie“ zu retten, die es nie gab! Denn es sind 75 Jahre andauernde, militärische Besatzung, welche die Grundsätze von Demokratie und Freiheit mit Füßen tritt und nie auch nur ein bisschen geachtet hat. Dass die Wut, die Reaktionen und auch der bewaffnete Widerstand der Palästinenser:innen gegen dieses systematische Morden und Vertreiben nicht gleich zu setzen ist mit dem was der israelische Staat verübt, ist für uns eindeutig. Denn die Gewalt der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker:innen kann in keiner Weise mit der Barbarei der militärischen und zivilen Besatzungstruppen gleichgesetzt werden. Und revolutionäre Kommunist:innen müssen im Kampf gegen den rassistischen, israelischen Siedler:innenkolonialstaat an der Seite der palästinensischen Widerstandsbewegung und der arbeitenden Massen stehen, während sie gleichzeitig die Ideologie, Strategie und Taktik der Führung der Bewegung schonungslos kritisieren müssen. Denn egal ob in Gaza unter einer islamischen Führung, im Westjordanland unter der bürokratischen Fatah oder in Israel unter einer reaktionären und konservativen Führung: Keine dieser Führungen hat das Interesse, die Unterdrückten und Arbeiter:innen zu befreien und diesen Kampf zu vereinen. Dies muss Aufgabe von uns sein! Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, für eine Welt in welcher die Bedürfnisse der Menschen über denen der Reichen und Besitzenden stehen.

Die in Oslo geplante und von den USA, Großbritannien und weiteren Staaten unterstützte „Zwei-Staaten-Lösung“ hat sich als Utopie erwiesen. Israel hat sie nie umgesetzt, sondern unter dem Deckmantel von Oslo den verbleibenden, zusammenhängenden Teil Palästinas mittels neuer Siedlungen weiter zerstückelt. Die einzige Lösung ist ein einheitlicher Staat für Israelis und Palästinenser:innen.

Dies hat jedoch nichts mit einer Vertreibung der jüdischen Bevölkerung zu tun, denn es muss auch in ihrem Interesse sein, in einem Land zu leben in Frieden mit all jenen, die ebenfalls dort wohnen. Es bedeutet aber auch das Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen in ihre Heimat und das Ende eines Staates, der ausschließlich von und für jüdische Israelis regiert wird. Wir glauben, dass nur die Arbeiter:innenklasse beider Nationalitäten und des gesamten Nahen Ostens eine fortschrittliche Lösung herbeiführen kann. Wir treten dafür ein, dass ein multiethnischer Staat ein sozialistischer sein sollte, da nur so die Beendigung der nationalen Unterdrückung mit einer gerechten Reorganisation der Wirtschaft im Interesse aller Lohnabhängigen, Bauern und Bäuerinnen verbunden werden kann. Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Kampf um ein befreites Palästina wird und muss von der palästinensischen Arbeiter:innenklasse geführt werden! Die israelische Arbeiter:innenklasse muss den Zionismus abweisen und ihn vehement bekämpfen, und kann dann erst einen Kampf Schulter an Schulter mit den Palästinenser:innen führen. Das heißt die Führung einer neuen Intifada liegt in den Händen der unterdrückten Massen Palästinas und der Unterdrückten weltweit! Widerstand gegen Besatzung ist legitim, ob in Palästina, Kurdistan oder in der Ukraine!

  • Für ein sozialistisches und demokratisches Palästina!