Landtagswahlen in Bayern: Wahldebakel für die Ampel, weiterer Rechtsruck

Helga Müller, Infomail 1233, 10. Oktober 2023

Diverse Wahlprognosen hatten ja schon vorausgesagt, dass die AfD und die Freien Wähler in Bayern von dem Verlust der SPD, FDP und Die Grünen/Bündnis 90, aber auch von der CSU profitieren werden. Auch wenn das Ergebnis nicht ganz so extrem ausfiel wie prognostiziert, bedeutet der Wahlausgang eine Niederlage für die gesamte Arbeiter:innenbewegung inkl. der Gewerkschaften, SPD und Die LINKE. Aber er offenbart auch die Schwäche der linken Kräfte insgesamt mehr als deutlich. Dieses Ergebnis kann nicht damit beschönigt werden, dass Bayern schon immer ein besonderes Bundesland war und ist. Auch bei der Landtagswahl in Hessen hat sich eine ähnliche Tendenz ergeben – mit Ausnahme der CDU, die noch gegenüber der letzten Wahl zugenommen hat.

Mit diesen beiden Wahlen hat nun die AfD endgültig den Sprung von Ostdeutschland in die Landesparlamente zweier großer westdeutscher Flächenstaaten geschafft, entsprechend frohlocken ihre Bundesgrößen in den Medien. Auch das Ammenmärchen von der besonderen Bindung der ostdeutschen Bevölkerung an sie ist damit Lügen gestraft worden.

Das Ergebnis

Doch bevor wir weiter in die Analyse einsteigen, zunächst einmal ein paar Worte zum vorläufigen Wahlergebnis der Landtagswahlen in Bayern vom 8.10.2023:

Die CSU bleibt zwar mit 37 % stärkste Partei, rutscht aber noch unter ihr desaströses Wahlergebnis bei der letzten Landtagswahl von 2018 mit 37,2 % – das schlechteste seit 1950. Eine stabile Regierung unter einer starken CSU ist damit in Frage gestellt. In Umfragen hatte das Ergebnis für sie noch schlechter ausgesehen. Sie konnte noch etwas zulegen, weil sie sich in der Frage der Zuwanderung zusehends an die Positionen der AfD angenähert hatte. CDU-Oppositionsführer Merz war sich auch nicht zu blöd in seiner Bilanz der beiden Landtagswahlen, seine rechtspopulistischen Aussagen zu Asylsuchenden, die zum Teil auch in seiner eigenen Partei umstritten waren, als Beitrag zum Wahlerfolg seiner Partei zu deklarieren. So weit zur Brandmauer der Union zur AfD! Zwar sah es lange in den Hochrechnungen so aus, dass die Grünen/Bündnis 90 die zweitstärkste Kraft in Bayern werden würden, aber dies schafften die Freien Wähler  mit 15,8 % der abgegebenen Stimmen und gewannen damit gegenüber 2018 4,2 % hinzu. Noch nicht einmal drittstärkste Kraft und damit Anführerin der Opposition im Bayerischen Landtag wurden sie, sondern die AfD mit 14,6 %! Sie erhöhe ihr Wahlergebnis um 4,4 % – der stärkste Zuwachs für eine Partei bei dieser Wahl. Sie hätte sicherlich wie in Hessen das Potential, zur zweitstärksten Partei in Bayern zu werden, wären da nicht die Freien Wähler mit der unsäglichen Aiwangeraffäre um das antisemitische Flugblatt und dem rechtspopulistischen Auftritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten auf einer Kundgebung gegen das Heizungsgesetz im Juni in Erding bei München. Dies hat paradoxerweise zu einer Stärkung der Freien Wähler geführt, was aber auch zeigt, welche rechtskonservative bis -radikale Stimmung dort vorherrscht.

Die viertstärkste Kraft wurden die Grünen/Bündnis 90 knapp hinter der AfD mit 14,2 %. Sie verloren 3,2 % gegenüber ihrem Rekordergebnis von 2018.

Die SPD schaffte es zwar im Gegensatz zur FDP noch einmal in den Landtag mit lächerlichen 8,4 % und verliert somit „nur“ 1,3 %. Damit fuhr sie das schlechteste Wahlergebnis in Bayern aller Zeient ein. Dieser geringe Zuspruch ist eine Wahlschlappe und eine Ohrfeige für die SPD.

Die FDP kommt mit 3 % – einem Minus von 2,1 Prozentpunkten – nicht mehr in den Landtag. (Alle Zahlen nach „merkur.de“ vom 9.10.23).

Die LINKE wird in den meisten Veröffentlichungen gar nicht mehr aufgelistet und verschwindet somit vollends in der Bedeutungslosigkeit, auch wenn auf den Wahlplakaten trotzig „Bayerns Opposition“ stand. Sie lag bei 1,5 % und verlor 1,8 Prozentpunkte. (Zahlen nach sueddeutsche.de vom 9.10.23). Auch außerhalb des Landesparlaments kriegt man von der Partei nicht viel von Oppositionsarbeit mit.

Die Wahlbeteiligung fiel mit 73,3 % etwas höher als 2018 (72,4 %) aus. Trotzdem kann man sagen, dass diese Wahl anscheinend von vielen auch nicht als eine Entscheidungswahl gesehen wurde oder sie fühlen sich von keiner Partei angesprochen!

Kommentare und Bedeutung

Alle Kommentator:innen betonen, dass diese beiden Wahlen vor allem auch eine Abrechnung mit der Politik der Ampelkoalition in Berlin symbolisierten und diese ganz offensichtlich abgemahnt wurde. Zu denken geben natürlich sowohl in Bayern als auch bei den Landtagswahlen in Hessen, wo die AfD mit 18,4 % (einem Plus von 5,3 Prozentpunkten) zweitstärkste Kraft wurde, der hohe Zuspruch für die AfD auf der einen und der geringe für die SPD (in Hessen 15,1 %, ein Minus von 4,7 Prozentpunkten) und für DIE LINKE (in Hessen 3,1 % ein Minus von 3,2 Prozentpunkten) auf der anderen Seite. D. h. beide Parteien sind nicht mehr in der Lage, ihre eigentliche Klientel – die Lohnarbeiter:innenschaft, aber auch Frauen, Erstwähler:innen etc. – an sich zu binden. Das ist aber auch ein Trend, der schon länger zu beobachten ist.

Die SPD wird aufgrund ihrer seit Jahrzehnten andauernden unternehmerfreundlichen, Sozialabbau- und mittlerweile auch ihrer Aufrüstungspolitik schon lange nicht mehr als politische Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung wahrgenommen. Das Ergebnis der Bundestagswahl vor zwei Jahren erscheint im Lichte der beiden Landtagswahlen als ein überraschendes Zwischenhoch. Aber DIE LINKE, die ihre Entstehung der Krise der SPD zu verdanken hatte, kann von dieser Schwäche nicht profitieren. Sie ist aufgrund ihrer inneren Zerstrittenheit nicht in der Lage, eine Massenattraktivität für die Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Jugendlichen, Frauen, LGBTQIA+, Rentner:innen oder Migrant:innen aufzubauen (auch nicht mehr in Ostdeutschland). Aber nicht nur ihre Zerstrittenheit – z. B. die Diskussion um den linkspopulistischen Flügel von Sahra Wagenknecht –, sondern vor allem ihre harmlose reformistische Programmatik, um sie regierungsfähig zu machen, tragen massiv dazu bei.

Diese Krise des Reformismus zeigt sich auch an der Wählerwanderung: Für die AfD in Hessen macht Infratest dimap die Hauptunterstützer:innen in den (normalen) Arbeiter:innenschichten und Menschen mit einfacher Bildung aus. Man muss natürlich dazu sagen, dass vor allem Mittelschichten, die Angst vor einer sozialen Degradierung empfinden, die eigentliche Basis für die AfD darstellen.

Diese Schwäche kann die AfD mit ihren rechtsradikalen Themen wie der „massenhaften“ Zuwanderung besetzen und lenkt damit von der eigentlichen Ursache der Krise, die die Menschen weltweit – auch in den reichen Industrienationen – zu spüren bekommen, ab.

Auch die Gewerkschaften befinden sich in einer tiefgehenden Krise, stehen sie doch in allen wichtigen Fragen fest an der Seite der regierenden SPD.

Versagen des Reformismus

Auf die wirklichen Fragen, vor denen die Arbeiter:innenklasse steht wie die effektive Bekämpfung der Inflation, des Arbeitsplatzabbaus, der Klimaveränderung, der  Aufrüstung, des Sozialabbaus durch das 30-Milliarden-Sparprogramm der Ampelkoalition, des Pflegenotstands, der Bildungsmisere und nicht zuletzt der Umgang mit Asylsuchenden, finden weder DIE LINKE noch die Gewerkschaftsführung eine Antwort. Damit treiben sie letzten Endes die Kolleg:innen in die Hände rechtspopulistischer Kräfte wie die Freien Wähler und rechtsradikaler Kräfte wie eben die AfD mit ihren rassistischen, antisemitischen und Antiestablishment-Antworten.

Anstatt die wahren Verursacher:innen und Profiteur:innen der Krise und letzten Endes auch der Zunahme von Migration zu nennen – nämlich die großen weltweit agierenden Konzerne und Banken – und gegen diese zu mobilisieren in großen Demonstrationen, aber auch konsequenten Streiks, setzen sie nach wie vor auf Sozialpartnerschaft und eine Bändigung des Kapitalismus – durch die Wiederbelebung einer grünen sozialen Marktwirtschaft.

Die Landtagswahlergebnisse haben gezeigt – wie wir es ja in Deutschland auch in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt haben –, dass es in Krisenzeiten immer eine Polarisierung nach rechts und links gibt. Wir erleben leider heute eine eindeutige Polarisierung nach rechts bis hin zu rechtsradikalen bis neonazistischen Kräften. Die linke Bewegung insgesamt dagegen steckt in einer tiefgehenden Krise.

Nach der Landtagswahl in Bayern wird sich die alteingesessene CSU aufgrund ihrer Wahlschlappe und des Anstiegs der Freien Wähler als auch der AfD noch stärker nach rechts bewegen und sich noch stärker populistischen Themen wie der Zuwanderung widmen.

Konsequente Arbeiter:innenpolitik statt Rechtsruck, „Einheit der Demokrat:innen“ und Sozialpartnerschaft!

Von daher stellt sich jetzt die Frage: Wie werden die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung – allen voran die Gewerkschaften und DIE LINKE, aber auch Teile der SPD – mit diesem gefährlichen Rechtsrutsch umgehen? Schon einmal in unserer Geschichte haben diese Organisationen die Gefahr von ganz rechts unterschätzt und auf die Einheit der Demokrat:innen geschworen, um dann als Erste verfolgt, verboten und eingesperrt zu werden.

Einhalt gebieten kann man der AfD nicht mit Hochglanzbroschüren, um über ihren wahren Charakters aufzuklären, wie es der DGB Bayern in der Wahlkampagne angestellt hat oder mit schönen Wahlkampfreden und -veranstaltungen von SPD und Linken zur sozialen Frage (Mieten, Gesundheit, Bildung etc.) im Wahlkampf.

Auch nicht mit „Wohlfühl“kundgebungen gegen die AfD – wie in München auf dem Odeonsplatz kurz vor der Wahl mit immerhin 35.000 Teilnehmer:innen unter dem Motto „Zammreißen in Bayern gegen rechts“ –, zu der alle Demokrat:innen, auch die FDP, aufgerufen waren. Letztere will im Bund gerade einen Sparhaushalt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.

Sondern jetzt wäre es dringlicher notwendiger denn je, dass diese jetzt die Initiative ergreifen – nicht nur in Bayern oder Hessen, aber durchaus hier beginnend. Sie müssen aufgefordert werden, große und machtvolle Demonstrationen gegen Sozialabbau, Aufrüstung und Vorbereitung auf Kriege, für Klimaschutz, der seinen Namen auch verdient, und auch die Aufnahme aller Asylsuchenden mit entsprechender Ausstattung der Kommunen vorzubereiten. Zahlen sollen die vielen Krisengewinnler:innen – die großen weltweit agierenden Konzerne und Banken mit der Einführung einer progressiven Kapitalsteuer, der Wiedereinführung der Vermögensteuer usw. Die jetzt kommenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder muss dazu genutzt werden, Einkommenserhöhungen durchzusetzen, die die Inflation auch wirklich bekämpfen. Dafür ist es auch notwendig, sie dazu nutzen, um den Widerstand gegen Hochrüstung und Sozialabbau aufzubauen. Die zu erwartende Ablehnung der Forderungen der Kolleg:innen im öffentlichen Dienst durch die Länder kann nur ernsthaft bekämpft werden, wenn ver.di auch gegen die gesamte Politik der Regierung vorgeht!

Wir dürfen aber nicht abwarten, bis unsere Gewerkschaften aktiv werden, sondern müssen uns selbst für unsere Interessen organisieren und Kampfstrukturen aufbauen, um unseren Kampf zu diskutieren und zu lenken: gegen jeden faulen Kompromiss und Ausverkauf durch die Gewerkschaftsführungen! Wir müssen dies aber auch gegenüber den Gewerkschaftsverantwortlichen einfordern und diese nicht aus der Pflicht lassen!




Bremen: Regierung steht – aber rechte Opposition gestärkt

Anne Moll/Bruno Tesch, Infomail 1227, 7. Juli 2023

Die ersten überlokalen Wahlen 2023 liegen mit denen im Land Bremen seit Mitte Mai hinter uns. Die Wahlbeteiligung lag mit 57 % rund 6 Punkte unter der von vier Jahren.

Ergebnisse

Entgegen dem Bundestrend, bei dem die Regierungsparteien Federn lassen mussten, hat sich die SPD bei den Landtagswahlen zur Bremischen Bürger:innenschaft wieder an die Spitze gesetzt und ihren parlamentarischen Erbhof, den sie, rechnet man die Weimarer Zeit hinzu, 90 Jahre lang verbissen verteidigt. Dennoch fuhr die Sozialdemokratie mit rund 30 % nach dem Debakel von 2019 ihr zweitschlechtestes Resultat ein. Die vorige Wahlperiode konnte sie nur durch den Senatsvorsitz in einer Dreierkoalition überstehen, obwohl sie stimmenmäßig der CDU unterlegen war.

Trotz dieser alles andere als berauschenden Tatsachen verstieg sich Amtsinhaber Andreas Bovenschulte nach der ersten Hochrechnung zur Einstufung als „historischer Tag“. Neben dem typischen Eigenlob über überzeugende Sacharbeit spielte der SPD auch die Schwäche der anderen Parteien in die Karten. Viele Wähler:innen sahen diesmal die Notwendigkeit, Stimmen gegen die große Konkurrentin CDU anzuhäufen, was zu Lasten der Mitregent:innen ging.

Abgestraft wurden vor allem die Grünen, abgesackt auf 11,9 %, deren inkonsequente Verkehrspolitik, aber auch die bundespolitisch umstrittenen Entscheidungen auf dem Energiesektor ihnen einen krassen Einbruch einbrockten. Die Spitzenkandidatin Maike Schaefer zog bereits die Konsequenzen und legte ihren Parteivorsitz einen Tag nach der Wahl nieder.

Die Partei DIE LINKE blieb von Einbußen weitgehend verschont und erzielte 10,9 % Wähler:innenanteil. Die Parteispitze führt dies in erster Linie jedoch nicht auf einen Kurs der Mobilisierung z. B. in der Tarifauseinandersetzung zurück, sondern auf ihr pragmatisches Verhältnis zu anderen Parteien. Es nimmt nicht Wunder, dass ihnen auch von über 40 % der CDU-Wähler:innenschaft eine Kompetenz in Sachen Wirtschaft – sprich kapitalistischer Mängelverwaltung – attestiert wird.

Eigentliche zahlenmäßige Gewinnerin war die rechtspopulistische Partei Bürger in Wut, die ihren Stimmenanteil auf fast das Vierfache (9,4 %) steigerte, in Bremerhaven gar auf über 20 % kam, jedoch auch Voten von der AfD abfischte, die wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz – sie hatte 2 Kandidat:inntenlisten eingereicht – nicht zu den diesjährigen Wahlen antreten durfte. Die Bundes-AfD will dagegen erneut Klage einreichen und erhofft sich davon eine Wahlwiederholung. Als kleinste Oppositionspartei zog auch die FDP haarscharf mit 5,1 % noch in die Bürgerschaft, das Bremer Landesparlament, ein. Das bringt die dort vertretene Parteienpalette auf ein halbes Dutzend.

Regierungskonstellation wird fortgesetzt

Die beiden braven Juniorpartner:innen, Grüne und LINKE, durften auf eine Fortsetzung des Dreibundes hoffen, zumal SPD-Chef Bovenschulte bereits im Wahlkampf seine Neigung hierzu nicht verhohlen hatte. Nach vier Wochen konnten die Verhandlungen abgeschlossen werden und nach Billigung des Vertrags durch die Landesparteitage der drei beteiligten Koalitionär:innen geriet die für Mittwoch, den 5.7., vorgesehene Wahl des neuen Senats nur noch zur Formsache.

Die Neuzusammensetzung sieht vor, dass die SPD , die wieder den Bürgermeister stellt, 4 Ressorts (Inneres, Bildung, Arbeit, Soziales, Justiz, Bau- und Verkehr) besetzt, die Grünen 2 (Finanzen, Klima und Wissenschaften) und DIE LINKE ebenfalls 2 (Wirtschaft und Häfen sowie Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz) bekleiden. Es hat auch personell einiges Stühlerücken gegeben.

Interessanter jedoch sind die durchgesickerten Konfliktpunkte, bei denen die SPD ihr Gewicht bei den Verhandlungen in die Waagschale werfen konnte. So sagte Bovenschulte: „Wir werden auch in dieser Konstellation massiven Einfluss auf die Hafenpolitik nehmen,“ und deutete an, die Linke beim Energy Port in die Kabinettsdisziplin zwingen zu können. Die neue Hafenanlage im südlichen Fischereihafen Bremerhavens als Nachfolgeprojekt für den gescheiterten Offshorehafen soll die Windenergie auf See unterstützen und als Umschlagplatz für erneuerbare Energien dienen.

Den größten Widerspruch erntete die Linie zur Politik im Gesundheitswesen, wonach Leistungen zentralisiert werden sollen, weil der Klinikverbund defizitär arbeitet und deswegen Bereiche geschlossen werden müssten. Von der fixen Idee, die Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen wahrnimmt, wird also keinen Millimeter abgerückt.

DIE LINKE sieht den größten Dissens in der Innenpolitik, wo die Einsatzgruppe der Bereitschaftspolizei, die dem Streifendienst u. a. bei größeren Einsätzen unterstützt, mit Tasern (Elektroschockpistolen) ausgerüstet werden soll. Die Zahl der Polizeivollstellen soll „perspektivisch“ auf 3.860 anwachsen. All das hinderte ihren außerordentlichen Landesparteitag am Sonntag, dem 2. Juli, nicht, trotzdem mit großer Mehrheit für den Koalitionsvertrag zu stimmen. Berlin lässt grüßen!

Kein Vertrauen in Rot-Grün-Rot!

Gerade in Anbetracht der weit über den lokalpolitischen Tellerrand hinausragenden Probleme wie Inflation, immer schmalbrüstigere Budgets für Sozial- , Bildungs- und Gesundheitsbereich sind keine konstruktiven Impulse für die anstehenden Aufgaben zu erwarten.

Hochfliegende Pläne musste der Zwei-Städte-Staat schon mehrfach einmotten, wie z. B. das Space Center. Ob der geplante Energiehafen Bremerhaven sich aus dem ökonomischen und sozialen Tal heraushieven und nicht das Schicksal seines Vorgängers Offshore erleiden wird, darf mindestens angezweifelt werden.

Der Vorsatz, nicht mehr das Schlusslicht in der deutschen Bildungslandschaft zu bilden, nimmt sich dagegen fast bescheiden und realistischer aus. Die Arbeiter:innenklasse und die städtische Armut werden sich auf jeden Fall weiter warm anziehen und gegen Einschnitte in ihrem Lebensalltag ankämpfen müssen, z. B. durch Bildung von Preiskontroll- und Mieter:innenkomitees auf Stadtteilebene, die zentralisiert werden sollten.




AfD-Landrat in Sonneberg: das Desaster der „Einheit der Demokrat:innen“

Leo Drais, Infomail 1226, 29. Juni 2023

Zehn Jahre nach ihrer Gründung stellt die AfD zum ersten Mal einen Landrat. Im südthüringischen, historisch eigentlich fränkischen Sonneberg gewann Robert Sesselmann die Stichwahl gegen den bisherigen Amtsinhaber Jürgen Köpper (CDU) mit 52,8 Prozent. Der Sieg hat die bürgerliche Welt in einen kleinen Aufruhr versetzt, das mediale Echo erreichte sogar internationale Zeitungen.

Ampelkrise und Union

Dabei kommt der Wahlsieg der sogar vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften thüringischen AfD unter Goebbels-Nachahmer Höcke eigentlich für niemanden großartig überraschend daher. Er ist Ausdruck natürlich der lokalen, aber noch mehr der bundesweiten politischen Gemengelage, auf die die AfD sich dann auch abseits fast jeglicher kommunaler Themen von Anfang an populistisch gestützt hatte: „Themenbereiche, die jetzt konkret hier vor Ort sind, die interessieren die Leute nicht“ (Sesselmann).

Das Konzept hat gezogen und in diesem Sinne muss auch der Sieg der AfD verstanden werden, als Statement der überzeugten AfD-Wähler:innenschaft, das mehr in Richtung der Regierung zielt als auf Jürgen Köpper oder andere Lokalpolitiker:innen.

Selten war das Fressen für die AfD reichhaltiger, und es gibt keine linke Kraft, die es ihr streitig macht. Zwar ist das Thema Corona weitgehend durch, und auch wenn Sesselmann fleißig einen rassistischen Wahlkampf gefahren hat, dürfte es nicht das Thema Asyl und Migration gewesen sein, was entscheidend zum Erfolg der Rechten geführt hat.

Vielmehr ist dieser Erfolg dank der Krise der Ampelregierung und der Unfähigkeit der Union, daraus zu profitieren, zu verzeichnen. Das offenbart auch der Blick auf Sonntagsfragen zu verschiedenen Wahlen. In Thüringen würde die AfD stärkste Kraft werden, bundesweit misst sie sich mit der SPD um Platz zwei hinter der Union.

Im Ukrainekrieg ist die AfD neben Sahra Wagenknecht die einzige relevante politische Kraft, die sichtbar gegen die NATO-Unterstützung Selenskyjs auftritt. Gegen Aufrüstung hat sie natürlich auch nichts, aber sie will den deutschen Imperialismus lieber an der Seite Putins sehen, dann gibt es bestimmt auch wieder günstiges Gas. Feind:innen selbst der beschränkten bürgerlichen Demokratie unter sich!

Vor allem aber ist da das Thema Wirtschaftskrise und das von Habeck und Regierung in Arbeit befindliche Gebäudeenergiegesetz („Heizungsgesetz“), womit die AfD zur Zeit mobilisieren kann.

Während ihr Rassismus und ihre völlig irrationale Coronapolitik vor allem Affekte bedient und bediente, trifft ihre Opposition gegen die ohne nennenswerte soziale Abfederung geplante „Wärmewende“, die keine ist, die Sorgen tausender kleiner Hausbesitzer:innen auf den Kopf. Es ist doch alles was sie haben, das Kleinbürger:innentum und verbürgerlichte Teile der Arbeiter:innenklasse. Der Blick nach Sonneberg bestätigt diese Analyse bis zu einem gewissen Grad auch. Sonneberg ist keine abgehängte Region. Als Zentrum der Spielwarenindustrie hat die Stadt keine massive Deindustrialisierung wie viele andere Orte in der ehemaligen DDR durchgemacht.

Eine grundlegende Analyse geht den Kommentaren in bürgerlichen Medien oft ab. Wer wählt die AfD? Es ist vor allem eine Partei der Kleinbürger:innen, der Akademiker:innen und Mittelschichtler:innen. Das heißt nicht, dass sie nicht auch von Arbeiter:innen gewählt wird, aber ihr Programm und ihre sozialen Wurzeln sind kleinbürgerlichen Ursprungs.

Ängstliche Kleinexistenzen

Trotzdem ist die soziale Lage von gehobeneren Teilen der Arbeiter:innenklasse mit der großer Teile des Kleinbürger:innentum durchaus vergleichbar.

Beide, Kleinbürger:innen und Arbeiter:innenaristokratie, machen zusammen den größten Teil der Eigenheimbesitzenden in Deutschland aus bzw. derer, die sich bis an ihr Lebensende bei der Bank verschuldet haben, um so zu tun, als gehöre ihnen ein kleiner sicherer Hort auf der Welt, die brennt. Und weil sie brennt, wird das, was man sich hart erarbeitet hat, als bedroht wahrgenommen, wobei Corona, Krieg, Klimakrise (Für die der Mensch natürlich nichts kann, und gibt es sie überhaupt?) und Inflation diese Verlustängste bestätigen und befeuern.

Wenn die Finanzierung des eigenen Lebens mit scheinbarer Unabhängigkeit wie einem Haus (das einen dann an einen Ort bindet, von dem man nur mit der angeblichen Freiheit Auto wieder wegkommt) sowieso schon auf Kante genäht ist, dann kann so eine staatlich verordnete Wärmepumpe schon mal ein Schlag ins Kontor sein.

Die AfD findet hier einen nicht zu unterschätzenden Anknüpfungspunkt realer Sorgen. Weil eine rationale Opposition gegen Krise und Ampel fehlt, kann sie sich hier aufbauen. An tatsächlichen Mitschuldigen der Misere – Habeck, Baerbock, Scholz usw. – wird eine falsche Kritik geübt, eine die darauf hinausläuft, in Verteidigung des „hart arbeitenden kleinen Mannes“ eine wütende irrationale Sündenbocksuche zu betreiben, wo Ursachen und Wirkungen gegeneinander vertauscht oder geleugnet werden oder auf die eingetreten wird, die noch unter einem/r stehen.

Die Kritik am „Genderwahn“, der Hass auf Geflüchtete und Migrant:innen findet eine unheilvolle Zusammenkunft mit der einzigen sichtbaren Opposition im Bundestag gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Allgemeinheit. In dieser Lage wird die AfD für viele wählbarer, so wie es einst die NSDAP wurde. „Die machen wenigstens ihr Maul auf!“ „Die lassen nicht alles mit sich machen!“, wobei Weidel und Höcke auch der Vorteil zuteil wird, dass sie bisher in keiner Postion mit politischer Verantwortung saßen und daher bisher nicht zu den willigen Vollstrecker:innen des deutschen Kapitals wurden, das selbst bisher auch (noch) kein Interesse daran, äußert, auf sie zu setzen.

Sollten sie eines Tages in dieser Position sitzen (bequem und auskömmlich mit den Steuern des „kleinen Mannes“ bezahlt), so werden sie von den Peitschenhieben auf die, die sie wählten, mit Knüppelschlägen auf die ablenken, gegen die sie heute ihren Rassismus und Sexismus entfachen.

Robert Sesselmann sitzt in keiner solchen Position.

Er wird auf lokaler Ebene verwalten und „denen da oben“ die Schuld für alles geben können, was nicht läuft, und diese werden dazu genug Angriffsfläche bieten. Er wird einen fortgesetzten Wahlkampf für Björn oder Joseph Höcke-Goebbels fahren, nächstes Jahr sind Landtagswahlen in Thüringen.

Bauchlandung der Demokrat:innen

Was in Erfurt praktiziert wird, ist jedoch in Sonneberg gescheitert. Die „Einheit der Demokrat:innen“ ist auf dem Bauch gelandet. Im Erfurter Landtag hält die CDU de facto die Minderheitsregierung Ramelows aus. Um die nächsten Landtagswahlen steht es noch prekärer.

Für die CDU ist das in gewisser Weise alternativlos, was nicht heißt, dass sie Rot-Rot-Grün nicht auch fleißig von rechts unter Druck setzen kann. Bisher jedenfalls kann sich die Union noch kein Zusammengehen mit der AfD leisten, die in so vielen Punkten den Erfordernissen der deutschen Kapitalist:innen entgegensteht (Außenpolitik, „grüne“ Industrie …).

Für alle Linken und DIE LINKE ist eine „Einheit der Demokrat:innen“ jedoch nicht nur nicht alternativlos, sondern für sie und die Arbeiter:innenklasse (2023 in erster Linie politisch) tödlich. Die Mitverwaltung des Kapitalismus in Landesregierungen, die absolut unzureichenden Antworten auf die Krise mit dem Bestreben, vielleicht doch von SPD und Grünen auf Bundesebene zum Mitregieren eingeladen zu werden, die Unfähigkeit, eine konkrete Perspektive zu weisen und Kämpfe abseits des Parlamentarismus zu führen, bedeuten, dass die AfD kaum auf Konkurrenz trifft, wenn es um das Kanalisieren von Wut auf die Regierung geht.

Denn eigentlich liefert diese genug Vorwände, um als Linke zu wachsen. Beispiel „Heizungsgesetz“: Die Energiewende ist notwendig. Aber sie muss nicht durch die Arbeiter:innenklasse oder das Kleinbürger:innentum bezahlt werden. Statt das Land mit Millionen kleiner Privatwärmepumpen zu bestücken, sollte es pro Gemeinde ein zentrales E-Heizwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung geben, bezahlt durch die fossilen Profite von RWE und Co. Damit ließe sich dann auch auf lokaler Ebene gegen einen Robert Sesselmann kämpfen.

Mit einer „Einheit der Demokrat:innen“ ist so eine antikapitalistische Perspektive jedoch unmöglich. Die Politik von Ampel und CDU besteht ja gerade darin, ein realpolitisch-kapitalistisches Es-geht-nicht-anders zu fahren.

Statt einer Einheit der Demokrat:innen muss die Linke auf eine Einheitsfront der organisierten Arbeiter:innenklasse hinwirken – gegen die AfD, aber eben auch gegen die Regierung. Es ist der einzige Weg, der mittelfristig der rechten Gefahr wirklich etwas entgegenstellen kann. Versagt die Linke darin, so wird die letzte Landtagswahl in Thüringen nicht die einzige Wiederholung der Geschichte gewesen sein (siehe: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/02/10/tragoedie-und-farce-in-thueringen/).

Versagt sie darin nicht, könnte aus so einer Einheitsfront eine Partei entstehen, die eine wirkliche Alternative formuliert, eine Alternative zum Kapitalismus, der zwangsläufig zu Höckes und Sesselmännern führen muss, wenn er nicht überwunden wird.




Die SPD wird stärkste Kraft in Bremen??

Anne Moll/Karl-Heinz Hermann, Infomail 1222, 14. Mai 2023

Musste die SPD 2019 noch bangen, die Regierungsmehrheit zu verlieren und seit 1945  nicht mehr an der Landesregierung in Bremen beteiligt zu sein, steht sie, laut Umfragewerten, eine Woche vor der nächsten Wahl deutlich besser da.

Bremer Senatsgeschichte

Sie regiert im Zwei-Städte-Staat also ununterbrochen seit dem 2. Weltkrieg, darunter in 2 von den Alliierten ernannten Senaten vor der ersten Landtagswahl 1946 (Vagts, Kaisen I). In den ersten 3 Senaten, darunter dem ersten gewählten (Kaisen II), saß auch die KPD gemeinsam mit BDV (Bremer Demokratische Volkspartei, ab 1951 in die FDP übergegangen) und SPD.

Hat sie etwas richtig oder haben die an der Landesregierung beteiligten Parteien, die Grünen und DIE LINKE, alles falsch gemacht?

Bilanz des Senats Bovenschulte (Rot-Grün-Rot)

Wenn wir uns die Politik der letzten Jahre in Bremen anschauen, sind die Probleme alle noch da, und einige haben sich verschärft.

In der Wahrnehmung der Menschen dort gilt allerdings nicht vor allem die SPD als unfähig, sondern ihre Koalitionspartner:innen haben sehr viel mehr mit Kritik und auch mit Stimmenverlusten zu kämpfen.

Die Grünen, werden besonders über die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau und Stellvertreterin des Präsidenten des Senats, Bürgermeisterin Maike Schaefer, bewertet – und hier besonders negativ. Die Idee, Bremen als Fahrradstadt umzugestalten, wurde von einer großen Minderheit sehr positiv aufgenommen. Die Realisierung dieses durchaus strittigen Vorhabens – unserer Meinung nach sollte der Schwerpunkt auf dem ÖPNV, insbesondere dem schienengebundenen, liegen – erfolgte aber so chaotisch und wenig konsequent, dass auch diejenigen, die hinter der Idee stehen, es den Grünen nicht zutrauen, diese auch umzusetzen.

DIE LINKE mit der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Claudia Bernhard, zeigt große Schwächen bei den Lösungsansätzen für die seit Jahrzehnten verschuldeten kommunalen Krankenhäuser. Klar: Die Probleme hat DIE LINKE nicht verschuldet, aber sie versucht, diese Lösung nun gegen die Beschäftigten durchzudrücken, was ihr einen großen Stimmenverlust einbringen wird.

Die SPD hat es geschafft, sich als stabilisierend und verlässlich darzustellen, obwohl das Wirtschaftsressort auch von der Linkspartei geführt wird und es um die Bildung in Bremen schlechter wohl nicht mehr bestellt sein kann – ein Ressort, das von der SPD bekleidet wird.

Wahlprognosen

Erklären kann dies nur die Besonderheit in Bremen, traditionell SPD zu wählen, um die CDU zu verhindern, gepaart mit einem Sympathieträger wie dem Bürgermeister und Senatspräsidenten Andreas Bovenschulte, der so bodenständig und vertrauenswürdig daherkommt im Gegensatz zu seinem Vorgänger Sieling, der als distanzierter Bürokrat wahrgenommen wurde.

Die SPD konnte sich in der Koalition der letzten Jahre damit hervortun, dass sie den Mindestlohn in Bremen und Bremerhaven eher erhöht hatte, als der Bund das vorsah. Außerdem hält sich die Meinung, dass die Bremer Regierung die Pandemie ganz gut gemanagt hat. Es gab schnell viele Testzentren, kurzfristig FFP2-Masken umsonst, die Impfungen liefen organisiert und es gab wegen der Pandemie keine Massenentlassungen.

Zusätzlich spielt natürlich die höhere Erwerbsquote eine Rolle. Besonders für Bremerhaven konnte hier gepunktet werden. Was allerdings weniger eine Bremer Leistung ist, als ein bundesweiter Trend und im Großunternehmen Daimler gibt es seit Monaten Produktionsprobleme, vor allem wegen der Zulieferung, und es wurden in diesem Jahr hunderte Leiharbeiter:innen nicht weiterbeschäftigt.

Aber auch die CDU ist politisch ideenlos, kann keine neuen Lösungsansätze bieten, kritisiert vor allem die schlechte Politik der jetzigen Regierung und das reicht in Bremen nicht, um die SPD abzulösen.

Neben der Besonderheit, dass, wie zuweilen mancherorts außerhalb des kleinsten Bundeslands gewitzelt wird, bereits Karl der Große Bremen als Lehen auf Lebenszeit an die SPD verpachtet habe, gibt es bei dieser Wahl eine weitere: Die AfD steht nicht auf dem Stimmzettel. Sie hat es geschafft, sich in Bremen und Bremerhaven so zu zerstreiten, dass sie dadurch gar nicht zugelassen wurde. Aber der rechte Flügel bleibt nicht unbesetzt: Die Wählervereinigung Bürger in Wut (BiW), ein Ableger der Schill-Partei seit 2004 und eine weitere Besonderheit des Zwei-Städte-Staats, kommt entsprechend über die 5 %-Hürde und wird statt der AfD wohl in die Bürgerschaft einziehen. Prognosen bewegen sich um die 9 %, vergleichbar wie die für DIE LINKE. Bisher profitierte die BiW von einer Besonderheit des Bremischen Wahlrechts: Die 5 % müssen nur in einer der beiden Städte erreicht werden. So reichte ihr bisher die Unterstützung aus Bremerhaven. In Bremen Stadt erzielte sie nur im abgehängten Norden ähnlich respektable Ergebnisse. Mittlerweile erhält sie im ganzen Bundesland gute Prognosen. Ursachen dafür: Sie beerbt das Wähler:innenpotenzial der AfD (2019: 9,1 % in Bremerhaven; 5,6 % in Bremen; 5 Sitze in der Bürgerschaft). Außerdem verfügt sie dank Unterstützung durch die neugegründete rechtskonservative Kleinpartei Bündnis Deutschland über ein großes Wahlkampfbudget. Manche munkeln, es stehe dem der Grünen nicht nach. Schließlich begünstigt das Wahlrecht mit der Möglichkeit, 5 Stimmen auf einzelne Kandidat:innen und Listen verteilen zu können, kleine Parteien. Diese wird einer weiteren Bremensie, der MERA25, einem Ableger der EU-weiten Bewegung DiEM25 aber laut allen Voraussagen trotzdem nicht zum Sprung in die Bürgerschaftssessel verhelfen.

Wählt DIE LINKE, aber organisiert den Kampf!

Zur Wahl rufen wir zur Stimmabgabe für DIE LINKE auf. Unsere Unterstützung ist aber eine kritische, denn wir wählen eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei wie SPD und/oder DIE LINKE trotz ihrer Politik und nicht wegen ihr. Es ist ihre Basis, die angesprochen, in ihrer fortschrittlichen Haltung (Die Arbeiter:innenschaft braucht eine Partei, die sich allein auf sie stützt und von ihr gestützt wird) gegenüber allen offen bürgerlichen Parteien einschließlich der Grünen bei der Stimmabgabe gestärkt gehört. Das erleichtert den Dialog mit dem organisierten Teil unserer Klasse und ermöglicht uns, ein offenes Ohr für unsere Kritik an ihrer vollständig bürgerlichen Politik zu finden, die in Forderungen an diese Parteien vor den Augen ihrer Basis münden muss.

DIE LINKE ist die erste Gliederung im Westen der Republik gewesen, die den Sprung in ein Landesparlament und in die Regierung geschafft hat. Aber nicht dies ist ausschlaggebend für unsere Wahlempfehlung und es sind auch nicht ihre „Glanzlichter“ als Regierungspartei (Impfkampagne, Pilotprojekte für die Unterbringung von Obdachlosen, Drogenpolitik und Durchsetzung der Ausbildungsabgabe für nicht ausbildende Betriebe). Im Unterschied nach wie vor zur SPD wird sie von den klassenbewusstesten Elementen (Arbeitslosen-, Wohnungs- und Stadtteilinitiativen, linken Vertrauensleuten und Betriebsräten) gewählt. Das macht – einstweilen noch – den Unterschied zur größeren und rechteren Sozialdemokratie aus: dass sie die fortgeschritteneren Schichten der Arbeiter:innenklasse repräsentiert, anders als die SPD.

Kein Wunder also, dass folglich ein größerer Widerspruch zur Realpolitik der Parteimehrheit, deren traurigen Kern wir oben beschrieben haben, auch unter ihren Funktionsträger:innen wie Cornelia Barth, Mitglied im Bundessprecher:innenrat der Strömung Sozialistische Linke, und Olaf Zimmer zum Ausdruck kommt und die Linksjugend [’solid] eigene Plakate für den Nachwuchskandidaten Dariush Hassanpour kleben darf. Insbesondere Zimmer tritt verbal für eine konsequent antimilitaristische Linie der LINKEN gegen die Unterstützung der Landespartei für Waffenlieferungen an die Ukraine ein, die damit der Beschlusslage der Bundespartei Hohn spricht. Diese Kräfte in Funktionärskörper und Parteijugend sind neben der Parteibasis die ersten Adressat:innen für Vorschläge, die die Partei auf einen klassenkämpferischen Weg bringen sollen und somit den Widerspruch zwischen Arbeiter:innenbasis und Wähler:innenschaft einerseits und bürgerlicher Regierungspolitik andererseits zuzuspitzen helfen können. Der linke Flügel muss sich fraktionell organisieren und darf den Kampf für notwendige Forderungen und das Eintreten für eine Ende der bürgerlichen Koalitionspolitik nicht scheuen, um den Bruch mit der Partei zu vermeiden, denn letztlich brauchen wir etwas ganz anderes als DIE LINKE.




Schwarze Zeiten? Die Berliner Wahlen und ihr Ausgang

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1213, 15. Februar 2023

Die CDU geht als klare Siegerin aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl vom 12. Februar hervor. Erstmals seit 1999 wurde sie zur stärksten Partei in der Stadt und konnte ihren Stimmenanteil deutlich auf 28,2 % steigern, was ein Plus vom 10,2 % gegenüber 2021 bzw. von 10,6 % verglichen mit 2016 bedeutet. Die einzige andere Partei, die einen leichten Stimmengewinn verbuchen kann, ist die AfD mit 9,1 % und einer Steigerung um 1,1 % zu 2021.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken hat geschlossen verloren und kommt auf 49 %, ein Verlust um 5,4 % zu 2021 (SPD bei 18,4 % und -3 %, Grüne ebenfalls bei 18,4 % und -0,5 %, LINKE bei 12,2 % und -1,9 % zu 2021). Die FDP fällt unter die undemokratische 5 %-Hürde, verliert 2,5 % und kommt nur noch auf 4,6 %. Sie muss somit das Abgeordnetenhaus verlassen – also wenigstens eine erfreuliche Nachricht.

Der Wahlgewinn der Union war zwar im Vorfeld abzusehen, ist aber dennoch deutlicher als von vielen erwartet. Vor allem aus zwei Parteien erhielt sie dabei Stimmengewinne (https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-berlin-113.html): 60.000 von der SPD und 37.000 von der FDP. Auch interessant sind die Zahlen von jeweils 21.000 Stimmenwanderungen von den sog. Kleinstparteien und Nichtwähler:innen. Daneben gewann sie 17.000 Stimmen von den Grünen, 12.000 von der AfD und 11.000 von der LINKEN. Bei den Erststimmen konnte die Union ihre gewonnenen Wahlkreise mehr als verdoppeln. Sie gewann 48 von 78, 2021 waren es 21. Die SPD stürzte von 25 auf 4 Wahlkreise ab. Daneben: Die Stimmendifferenz zwischen SPD und Grünen beläuft sich anscheinend auf 105, weshalb eine Neuauszählung wahrscheinlich ist.

Der Erfolg der CDU ist darauf zurückzuführen, dass sie gleich mehrere Stimmungen auf sich fokussieren konnte. Außerdem hat er auch sehr wichtige bundesweite Implikationen bzw. setzt Trends fort. Vergleichbar sieht es um die FDP aus, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen. Die Wahlniederlage reiht sich in den Trend der vergangenen Landtagswahlen ein. Die Union konnte sich gegen die rot-grün-rote Landeskoalition als Alternative präsentieren und den Unmut gegen den Senat kanalisieren.

Der Löwenanteil der Berliner:innen ist jedoch nicht zur Wahl gegangen oder durfte es nicht. Die Wahlbeteiligung lag bei 63 %. Gegenüber 2021 ist das ein massiver Rückgang. Damals lag die Beteiligung aber mit 75,4 % überaus hoch, weil sie gemeinsam mit der Bundestagswahl durchgeführt wurde. Die 63 % entsprechen hingegen dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Knapp 22 % der Bevölkerung hat überhaupt kein Wahlrecht, weitere 13 % haben das Wahlalter noch nicht erreicht. Am Dienstag, dem 14.2, tauchten auch in Lichtenberg noch mehr als 400 Briefwahlumschläge auf. Das endgültige amtliche Wahlergebnis ist nicht vor dem 17. Februar zu erwarten.

Ein Schritt nach rechts

Das „Es kann kein Weiter so geben“, das aus allen Fanfaren der Parteien klingt, drückt die Stimmung der Wahl aus. Mit der CDU und den Grünen haben sich zwei bürgerliche Parteien in Berlin weiter etablieren bzw. ein sehr gutes Ergebnis von 2021 weitgehend stabilisieren können, während die bürgerlichen Arbeiter:innenparteien SPD und LINKE weiter an Stimmen und Prozenten verlieren.

Auch wenn die Wahl von keinem großen Rechtsruck begleitet wurde, so stabilisiert sie die Rechtsentwicklung im Abgeordnetenhaus. In diesem Licht muss das „Es kann kein Weiter so geben“ gewertet werden, egal ob es eine Fortsetzung von RGR, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wird.

Diese Verschiebung zeigt sich auch in den Wahlkampfthemen. So haben CDU, AfD und FDP einen thematisch vergleichbaren Wahlkampf geführt, wenn auch im Ton verschieden. Sie haben das Berliner Verwaltungsversagen auch über die gescheiterte Wahl von 2021 hinaus ins Zentrum gestellt und andererseits den Ruf nach Recht und Ordnung im Lichte der rassistischen Diffamierungen rund um die Silvesternacht oder um das „Chaos“ in den „linken“ Stadtteilen erklingen lassen. Alles klassisch rechte oder rechtspopulistische Themen.

Die Senatsparteien hatten dem im Grunde nichts entgegenzusetzen. Die SPD versuchte sich sogar, wenn auch ohne großen Erfolg, selbst als Law-and-Order-Partei mit Augenmaß zu inszenieren. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass der nächste Senat – egal wie er zusammengesetzt sein wird – die Polizei, deren Mittel und Befugnisse unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Clankriminalität“ und „linken Chaot:innen“ massiv stärken wird. Wir können annehmen, dass die ohnedies oft eher symbolischen und letztlich zweitrangigen Reformen unter RGR faktisch kassiert werden sollen.

Daneben stand Mobilität im Zentrum, wobei die drei Parteien sich für die Aufrechterhaltung Berlins als Autostadt mitsamt der Fortsetzung des Baus der A100 ausgesprochen haben. Insgesamt wurde die Koalition als handlungsunfähig beschrieben und das trotz einer LINKEN, die bei den Koalitionsverhandlungen ihre Beteiligung an der Regierung über ihr Programm stellte.

Im Jahr 2021 war die Wohnungsfrage noch das zentrale Thema der Wahl. Das aktuelle Ergebnis könnte vermutlich der letzte parlamentarische Todesstoß für den Volksentscheid von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sein, solange dessen strategische Orientierung weiterhin auf parlamentarische Mehrheiten ausgerichtet ist statt des Aufbaus einer klassenkämpferischen Mieter:innenbewegung in den Häusern, auf den Straßen und in den Betrieben. Inwiefern die möglichen Handlungsempfehlungen der Verschleppungskommission (offiziell: Expert:innenkommission) noch im Senat Zustimmung finden werden, steht in selbigem fragwürdigen Licht. Und das obwohl Kai Wegner (CDU-Spitzenkandidat) deutlich als Feind der Mieter:innen hätte demaskiert werden können. Er war damals im Bundestag einer von denen, die gegen den Berliner Mietendeckel geklagt haben. Die Berliner CDU wurde in den vergangenen Jahren massiv durch Parteispenden von der Immobilienlobby unterstützt.

Doch, wie es in der Presse so oft heißt, bleibt unklar, ob Wegner nicht ein „König ohne Land“ bleibt, also keine/n Koalitionspartner:in finden könnte, da sowohl SPD als auch Grüne sich für die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot ausgesprochen haben. Außerdem fürchten diese zu Recht, dass sie unter CDU-Führung zum Anhängsel der Konservativen würden.

Die Sondierungsgespräche, die SPD und Grüne nun mit der Union führen werden, könnten beide zur Durchsetzung ihrer Ziele in einer Drei-Parteien-Koalition verwendet werden. Eine schwarz-grüne Koalition scheint zwar am unwahrscheinlichsten, wenn man sich die konträren Wahlkampfthemen und die beidseitige Rhetorik anschaut, hätte aber eine starke Wirkung auf die Bundespolitik und könnte ein etwaiges Scheitern der Ampel vorbereiten, in der sich die Grünen und nicht die FDP als verlässlichere Partnerinnen für eine etwaige CDU-geführte Regierung präsentieren.

Und die LINKE?

Auch sie hat verloren. Einerseits zwei von sechs Direktmandaten, die jeweils an die CDU verlorengingen. Generell hat die CDU bis auf zwei Wahlkreise der AfD alle Außenbezirke gewonnen, während die Innenstadt grün ist (Zweitstimmen). Vergleichbar ist es auch bei der Altersstruktur. Die Grünen sind die stärkste Kraft unter 35 Jahren und die CDU bei den über 45-Jährigen. Die Lützerath-Räumung, die die Grünen mitverantworten, hat hier also keinen signifikanten Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Die LINKE sieht sich somit einer Verringerung ihres Einflusses gegenüber. Auch wenn sie in allen Bezirken verloren hat, lässt sich ein deutlicherer Stimmrückgang in ihren alten Ostberliner Stimmbezirken verbuchen, während sie sich im Stadtzentrum relativ gefestigt hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im sonst so roten Köpenick, das nun tiefschwarz überzogen ist. Im Verhältnis zum Bundestrend bleibt Berlin jedoch eine Hochburg der LINKEN. Dass die verschiedenen brennenden sozialen Fragen wenig im Zentrum standen und die LINKE dies nicht auffangen konnte, wird deutlich, wenn wir sehen, dass die Partei seit 2001 an der Landesregierung ist, mit einer Ausnahme von 2011 bis 2016.

Katja Kipping warb bereits wenige Minuten nach den ersten amtlichen Hochrechnungen für eine Fortführung von Rot-Grün-Rot und war damit vermutlich die erste öffentliche Fürsprecherin. Es bleibt abzuschätzen, wie stark das Lager gegen die Regierungsbeteiligung sein wird. Angesichts dessen, dass beispielsweise die oppositionelleren Bezirke wie Neukölln und Mitte verhältnismäßig gute Ergebnisse erzielten, sind die Möglichkeiten dafür verbessert, wie die Basis für die Nebelkerze des „rebellischen Regierens“ sichtbar geschwächt ist. Andererseits konnte dieses Doppelspiel, einerseits Teil der Regierung zu sein, sich andererseits auf die Seite des Sozialprotests zu stellen, in keiner gesteigerten Unterstützung münden – zwei Wege, die sich offensichtlich entgegenstehen.

Nach der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2021 war das größte Schreckgespenst in den Reihen der LINKEN die Möglichkeit einer Ampelkoalition auf Berliner Ebene. Mit diesem Argument wurden weite Teile des Programms in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben. Es droht, dass mit selbigem erneut in Koalitionsverhandlungen eingestiegen werden soll.

Natürlich wäre es leichfertig, ja albern zu sagen, dass eine CDU-geführte Regierung überhaupt keinen Unterschied für die Bevölkerung ausmachen würde. Zweifellos würden Wegner und Co. eine solche Situation nutzen, um ihr Law-and-Order-Programm durchzuziehen, wenn auch vielleicht mit etwas grüner oder sozialer Tünche für eine jeweilige Koalitionspartnerin.

Doch das würde nur einen weiteren Zerfallsprozess befördern. DIE LINKE würde sich an einer solchen Regierung ebenso wie die Restbestände des linken SPD-Flügels einfach selbst überflüssig machen und eine CDU-Regierungsübernahme bloß hinauszögern.

Zudem zeigt die Erfahrung mit dem RGR-Senat (wie vordem mit den rot-roten Senaten), dass diese selbst zur Verschleppung und Sabotage demokratischer Entscheidungen wie der Enteignung der großen Immobilienhaie bereit sind. Nachdem DIE LINKE den Volksentscheid schon in der letzten Koalition nicht durchsetzen konnte, ist natürlich kindisch zu denken, dass eine geschwächte Partei und ein geschwächter Senat ausgerechnet jetzt die Konfrontation mit dem Kapital suchen werden.

Daher müssen aber auch die Gegner:innen eine Regierungsbeteiligung in der LINKEN jetzt aufstehen. Schließlich haben sie sich in der letzten Legislaturperiode auch nicht mit Ruhm  bekleckert, sondern nur so getan, als hätten sie mit dem Senat nichts zu tun – und haben doch umgekehrt „ihrer“ Partei keine Steine beim Regieren in den Weg gelegt.

Gerade die linken Bezirke wie Neukölln und Mitte sowie alle anderen Gegner:innen einer weiteren Regierungsbeteiligung müssen sich jetzt offen gegen die Regierungssozialist:innen, gegen die Giffey-Freund:innen um Schubert, Lederer und Kipping formieren. Ein erster Ausgangspunkt dessen könnte eine Einberufung einer öffentlichen Konferenz des linken Flügels der Partei sein. Bereits als Folge der letzten Sondierungen gab es erste Ansätze zum Aufbau einer solchen Opposition, jedoch verpuffte die Organisierung dieser Ansammlung von Parteimitgliedern, sobald die Abstimmung für die Beteiligung an der Koalition innerhalb der LINKEN vorüberging.

Die Linken in der LINKEN stehen vor der Aufgabe, den Widerstand gegen die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot zu organisieren und um die Ausrichtung der Partei zu kämpfen. Angesichts ihrer bundesweiten Krise dürfen sie dabei vor einem organisierten Kampf nicht weiter zurückschrecken – und das heißt auch nicht vor einem kommenden, im Grunde unvermeidlichen organisierten Bruch mit ihr.




Wiederholte Qual der Wahl

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 271, Februar 2023

Berlin wählt noch einmal. Am 12. Februar steht die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlungen an. Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Wiederholung des Urnengangs vom 26. September 2021 zur „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ (Tagesschau 16.11.22) an.

Schließlich war die vergangene Wahl auch ein Desaster. Es wurden unvollständige Briefwahlzettel ausgeschickt. In 72 dokumentierten Fällen fehlten die Stimmzettel für den damaligen Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. In mindestens 424 Wahllokalen musste noch nach 18 Uhr abgestimmt werden, da nicht rechtzeitig ausreichend Stimmzettel vorlagen und 73 Wahllokale wurden aufgrund dessen zeitweise geschlossen. Teilweise wurden Stimmzettel vertauscht. Schlussendlich kam es in neun Prozent der Lokale zu Unregelmäßigkeiten.

Wiederholung und nicht Neuwahl

Politisch führte die Abgeordnetenhauswahl 2021 zu einer Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition. Sechs Parteien zogen ins Abgeordnetenhaus ein (SPD: 21,4 %, Grüne: 18,9 %, CDU: 18,9 %, LINKE: 14,1 %, AfD: 8,0 % und FDP: 7,1 %). Die Wahlprognosen ähneln diesem Ergebnis mit leichten Verschiebungen. Es ist unklar, ob SPD, Grüne oder CDU die meisten Stimmen erhalten werden. Die FDP und die LINKE drohen, 2 bzw. 3 Prozent zu verlieren.

Dabei ist zu beachten: Das Prozedere am 12. Februar ist eine Wahlwiederholung, keine Neuwahl. Dementsprechend dürfen die Parteien keine Veränderungen bezüglich der aufgestellten Direktkandidat:innen sowie Landeslisten vornehmen – nur der Tod entschuldigt. Doch was bedeutet das für uns? Mehr als ein Jahr RGR2 liegt bereits hinter uns mit Auseinandersetzungen um die Krise der LINKEN, einer Konfrontation um die Frage „Regierungsbeteiligung oder Umsetzung des Mietenvolksentscheids?“, einem Krieg, einer Teuerungswelle und vielem mehr. Wir wollen dementsprechend in diesem Text auf die Politik der Koalition von SPD, Grünen und LINKEN, aber auch auf die Krise der LINKEN eingehen und unsere wahltaktischen Schlussfolgerungen darlegen.

Links blinken, rechts abbiegen?

Zahlreich sind die Versprechen für Verbesserungen, die Rot-Rot-Grün gegeben hat. Noch zahlreicher sind jedoch die, die über Bord geworfen oder so umgedreht wurden, dass man sie kaum als Verbesserungen verstehen kann. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Schulbauoffensive, ein Private-Public-Partnership-Modell, mit dem Versprechen, notwendige Sanierungsarbeiten zu tätigen,  das mehr schlecht als recht läuft. Hinzu kommen massive Kürzungen bei den Verfügungsfonds der Berliner Schulen. Während früher pro Schule 28.000 Euro zur Verfügung standen, sind es nun 3.000 Euro.

Auch die von den Grünen geführte Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (Senatorin: Jarasch) kann nicht besonders glänzen: Denn RGR2 setzt den Versuch der Teilprivatisierung der Berliner S-Bahn fort und schrieb am 17. Juni 2020 die sogenannte Stadtbahn (Ost-West-Verbindung) und den Nord-Süd-Tunnel aus. Die Netzausschreibung findet in Teilen statt und die Ausschreibung der Fahrzeuginstandhaltung ist ebenfalls davon getrennt.

Besonders präsent ist jedoch der Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der bereits während des letzten Wahlkampfes für einigen Aufruhr in der Parteienlandschaft sorgte. So machten die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), und mit Abstrichen die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, schon vor der Wahl klar, dass es eine Enteignung großer Immobilienkonzerne mit ihnen nicht geben wird. Somit wurde bereits vor dem ersten möglichen Sondierungsgespräch deutlich, dass es keine Koalition geben konnte, die bereit war, den Volksentscheid umzusetzen.

Das hielt die LINKE nicht davon ab, sich bis heute als bedingungslose Unterstützerin des Volksentscheids zu inszenieren. Statt ihn aber konsequent umzusetzen, stimmte sie der Einrichtung  einer Expert:innenkommission zu, die die Enteignung objektiv verschleppt, die nicht nur das „Wie“ sondern auch und vor allem das „Ob“ diskutieren soll. Währenddessen plante DIE LINKE mit der Koalition hinterrücks die personelle Zusammensetzung der Kommission, gaukelte der Initiative DWe aber vor, selbiges mit ihr abzusprechen.

Das gibt natürlich ordentlich Raum für emotionale Empörung und ist einer der Gründe, warum sich viele Linksparteimitglieder enttäuscht von der eigenen Partei abwandten. Überraschend ist es jedoch auf der anderen Seite nicht. Schließlich besteht einer der Funktionen reformistischer Organisationen darin, soziale Proteste zu inkorporieren. Gleichzeitig hat genau dies dazu geführt, dass sich die Spaltungslinien innerhalb der Linkspartei verstärkt haben, da man auch seiner sozialen Basis gerecht werden muss.

Auch wenn die Linkspartei wahrscheinlich weiter Stimmen verlieren wird, so ist sie noch immer eine Partei mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Wähler:innen. Trotz Unterordnung unter die Vorgaben der Koalition und Enttäuschung vieler Anhänger:innen setzen bis heute viele Aktivist:innen sozialer Bewegungen (sogar von DWe!) und die politisch bewussteren Schichten der Arbeiter:innenklasse (z. B. Krankenhausbewegung) auf DIE LINKE – und sei es als kleineres Übel angesichts von Parteien, die ansonsten entweder für offen neoliberale, konservative und rassistische Politik stehen oder die imperialistische Aufrüstungspolitik und den Wirtschaftskrieg gegen Russland an der Bundesregierung mitverantworten.

Zerreißprobe für die Linkspartei: für eine linke Opposition!

Die Auseinandersetzung rund um das letzte Wahlergebnis zeigte auf, dass es in den unterschiedlichen Flügeln der LINKEN Differenzen gibt um die Frage, welche Politik die Partei angesichts ihrer generellen Krise anstoßen muss. Das regierungssozialistische Mehrheitslager in Berlin wie bundesweit warb für Rot-Grün-Rot und gab dafür weite Teile seiner Versprechen auf, während ein Minderheitsflügel die Beteiligung an einer Regierung mit SPD und Grünen nicht prinzipiell ablehnte, jedoch die Selbstaufgabe dafür.

Diese Orientierung der Mehrheit ist nachvollziehbar, da die LINKE seit ihrer Gründung länger an der Regierung in Berlin war als in der Opposition. Berlin ist quasi zu einem Vorzeigeprojekt der Regierungssozialist:innen geworden. Die Beteiligung an etwaigen Koalitionen wird von diesem Lager mit der Existenzberechtigung der Gesamtpartei in eins gesetzt – eine Orientierung, die ein Hindernis und keinen Zugewinn gegenüber den Angriffen auf Errungenschaften der Klasse darstellt.

Während der Minderheitsflügel in der Partei in Teilen zwar ausspricht, dass sich beide Ziele entgegenstehen, bleiben die praktischen Konsequenzen aus. In Teilen der Partei wird anerkannt, dass es sich um zwei mögliche Pfade handelt, die sie einschlagen kann: entweder Orientierung auf die Regierung oder Kampf für die Umsetzung ihrer Versprechen. Das Ausbleiben einer systematischen Opposition durch DWe selbst hängt direkt damit zusammen, dass die Initiative programmatisch auf selbige Sackgasse zusteuert: eine Umsetzung durch parlamentarische Mehrheiten.

Zwischen der Wahl und der Koalitionsbildung bildete sich innerhalb der LINKEN Widerstand. Mit der Initiative für eine linke Opposition und Anträgen gegen die Regierungsbeteiligung wurde dies greifbar, doch erstickte dies schlussendlich im Keim. Anstatt über die Urabstimmung hinaus gegen die Regierungsbeteiligung zu kämpfen, endete der organisatorische Prozess zu Beginn des Jahres 2022. Zwar gibt es weiterhin eine Reihe von Direktkandidat:innen der LINKEN, die sich gegen eine erneute Beteiligung an RGR aussprechen, doch ändert diese nichts an ihrer Zersplitterung. Unter den Parlamentarier:innen findet sich keine Person, die offen ausspricht, gegen Giffey gestimmt zu haben.

Keine offenen Treffen der Gegner:innen der Regierungsbeteiligung wurden organisiert. Der Konflikt hat sich verlagert – hin zur Frage der Umsetzung des Volksentscheids. Diese Verlagerung ist ein Ausdruck dessen, in welche Sackgasse sich die LINKE manövriert hat, jedoch zugleich ein falscher Konsens. Denn es zögert den Konflikt hinaus, da zugleich passiv auf das Ergebnis einer Expert:innenkommission gewartet werden kann, deren Urteil nicht bindend ist, und das als eine Perspektive gegen die Verhinderungstaktik von SPD und Grünen dargestellt wird.

Die Verlagerung steht also aktiv dem politischen Konflikt im Wege. In diesem Sinne muss auch die bedingungslose Unterstützung des Volksentscheides, die die LINKE kürzlich erst erneut bekräftigte, als Lippenbekenntnis gewertet werden. Für Parteilinke bedeutet das, ihre Aufgaben in der LINKEN zu erkennen, wenn sie nicht Flankendeckung zur Verteidigung der Regierungsbeteiligung bleiben möchten.

Wie verhalten wir uns dazu?

Die Aufgabe für Revolutionär:innen lautet nun aufzuzeigen, wie der linke Flügel den Kampf um seine Inhalte führen muss. Dazu muss an dieser Stelle Druck aufgebaut werden, da eine bisher systematische Organisierung des Widerstands gegen die Regierungssozialist:innen ausgeblieben ist. Zugleich sind dessen Kandidat:innen durchaus Repräsentant:innen einer bedeutenden Minderheit in der Partei und kontrollieren faktisch Bezirke wie das mitgliederstarke Neukölln.

Deswegen rufen wir zur kritischen Unterstützung der Kandidat:innen des linken Flügels der LINKEN bei den Erststimmen auf. Wir wollen damit jene Kräfte in ihr stärken, die sich gegen eine prinzipienlose Regierungsbeteiligung ausgesprochen und, wenn auch inkonsequenten, Protest gegen den Koalitionsvertrag unterstützt und organisiert haben. Das Ziel ist es, sie in die Verantwortung zu bringen und unter Druck zu setzen, den kämpferischen Worten auch ebensolche Taten folgen zu lassen.

Wir rufen daher bei den Erststimmen nur zur Wahl jener Kandidat:innen auf, um unsere Stimme gegen die Regierungsbeteiligung sichtbar zu machen. Diese Sichtbarkeit machen wir fest an drei Punkten; Erstens unterstützen wir jene Kandidat:innen direkt, die auf dem Landesparteitag der LINKEN den Antrag gegen die Regierungsbeteiligung aufgestellt haben. Zweitens rufen wir zur Stimmabgabe für jene Kandidat:innen auf, die öffentlich die Initiative „Für eine linke Opposition“ unterstützten, sowie drittens jene, die öffentlich für einen Bruch mit der Regierungspolitik der LINKEN eintreten wie beispielsweise Jorinde Schulz und Ferat Koçak, beides Direktkandidat:innen in Neukölln.

Die Unterstützung verbinden wir mit der Forderung, dem Nein-Lager einen organisatorischen Ausdruck zu geben. Zugleich rufen wir zur Zweitstimmenabgabe für DIE LINKE auf. Schlussendlich soll die eingeschlagene Taktik dem linken Flügel im Kampf zur Klarheit verhelfen und nicht durch reine Stimmabwesenheit zum Bedeutungsverlust ohne politische Alternative führen. Wäre dies der Fall, so würde unsere Wahltaktik gegenüber den Wähler:innen nichts aussagen, außer zuhause zu bleiben.  Mit dieser Taktik hingegen rufen wir dazu auf, auch über die Wahl hinaus Druck aufs Abgeordnetenhaus und die bremsende Mehrheit der LINKEN aufzubauen. Der essentielle Punkt ist nämlich nicht einfach nur, dazu aufzurufen, ein Kreuz zu machen, sondern die Stimmabgabe mit der Aufforderung zur gemeinsamen Aktion zu verbinden.

Warum schlagen wir diesen Weg ein?

Als revolutionäre Marxist:innen betrachten wir die Überwindung des Kapitalismus und damit einhergehend des bürgerlichen Staates als die zentrale Aufgabe unseres politischen Wirkens. In Konsequenz dessen spielt für uns die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter:innenbewegung eine zentralere Rolle als die Arbeit im Parlament, die strategisch überhaupt unfähig ist, den Kapitalismus zu überwinden. Für uns ist das Abgeordnetenhaus in diesem Sinne eine Tribüne im Klassenkampf. Der Reformismus hingegen steht dieser Aufgabenbeschreibung diametral entgegen. Während er zugleich am gewerkschaftlichen Bewusstsein kämpfender Teile der Klasse ansetzend die politische Vertretung als Partei der organisierten Arbeiter:innenschaft zu repräsentieren vorgibt, hängt er zugleich der Utopie der schrittweisen Überwindung gesellschaftlichen Elends an. Das Ziel muss also sein, das vorherrschende reformistische Bewusstsein innerhalb der Arbeiter:innenklasse – noch bürgerlich, aber von der Notwendigkeit einer Klassenpartei überzeugt – zu brechen. Das passiert nicht allein durch Denunziation oder moralische Empörung über den Verrat der bürgerlichen Arbeiter:innenparteien. Ansonsten wäre es schwer erklärbar, warum nach mehr als 100 Jahren der stetigen Enttäuschung Olaf Scholz Kanzler ist oder Giffey in Berlin regieren kann.

Das heißt: Wir rufen zur kritischen Wahlunterstützung für DIE LINKE nicht auf, weil wir denken, dass ihr Wahlprogramm, ihre Politik die dringlichsten Ziele von Arbeiter:innen, Migrant:innen, Jugendlichen, Renter:innen, Arbeitslosen oder anderen Ausgebeuteten und Unterdrückten einlösen, sondern weil sie gewählt wird von Hunderttausenden, die sie für eine soziale Kraft angesichts massiver Preissteigerungen und inmitten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks halten. Entscheidend ist daher nicht das Programm, sondern das Verhältnis der Kandidat:innen und/oder ihrer Partei zur Klasse und den Unterdrückten. Die Taktik der kritischen Wahlunterstützung setzt an diesem Punkt an, weil wir als revolutionäre Marxist:innen nicht imstande sind, aus eigenen Kräften anzutreten. Folglich geben wir eine kritische Wahlempfehlung für nicht-revolutionäre Kandidat:innen der organisierten Klasse mit dem Ziel, auf sie Druck auszuüben und somit Teile vom Reformismus aktiv leichter wegbrechen zu können, anstatt zu warten, bis diese von selbst desillusioniert werden. Denn ob man es will oder nicht: Mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Stimmen bei der letzten Wahl ist DIE LINKE keine Kraft, die einfach ignoriert werden kann.

Die Illusionen i sie zerfallen nicht durch die reine Kritik an ihrer Ausrichtung, sondern dadurch, dass die Partei in die Lage versetzt wird, ihre Politik umsetzen zu müssen. Gerade angesichts der Wahlwiederholung muss deutlich gesagt werden, dass DIE LINKE bereits anschaulich bewiesen hat, dass die Regierungsbeteiligung für sie mehr bedeutet als ihrer Wähler:innenbasis. Doch der linke Flügel der Partei läuft Gefahr, dies durch seine Passivität zu legitimieren, anstatt in der Partei und Wähler:innenschaft Widerstand zu organisieren.

Daher sagen wir: Schluss damit! Wir fordern die sofortige Umsetzung des Volksentscheides, ansonsten kommt keine Koalition zu Stande. Wählt die Kandidat:innen, die diese Position vertreten haben und lasst uns gemeinsam für die Umsetzung dieser kämpfen!




Niedersachsenwahl 2022: Ampel mit zwei Lichtern

Bruno Tesch, Infomail 1201, 11. Oktober 2022

Aufregend war der Wahlkampf in Niedersachsen nicht gerade, eher waren es die überregionalen Umstände, unter denen er stattfand. Stephan Weil, der mit Sicherheit im Amt verweilende Ministerpräsident der Wahl„siegerin“ SPD, meinte: Die Wahl sei „bestimmt gewesen von den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger“ und schwenkte um auf die Erwartung, in der Energiekrise ein gebündeltes Vorgehen von Bund und Ländern zu erleben. „Ein Maximum an Konzentration“ müsse darauf gelegt werden, „die deutsche Industrie zu schützen“. Er hatte auch schnell die Ursache allen Übels zur Hand: „Der Grund für unsere Probleme ist nicht die Bundesregierung. Der Grund ist der Angriffskrieg von Wladimir Putin auf die Ukraine.“

Richtig daran ist, dass die Landtagswahlen isoliert genommen nur geringen Aussagewert haben. Zum einen sind sie der erste bundespolitische Stimmungstest für die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, zudem der einzige für längere Zeit, denn die nächsten Wahlen auf Regionalebene finden erst im Mai 2023 in Bremen statt. Überlagert wurde die Niedersachsenwahl durch den Handlungsdruck zu Entscheidungen, die die Krisenerscheinungen abmildern sollen. Am Wahltag trat eine sogenannte Expertenkommission zusammen, um der Bundesregierung Empfehlungen an die Hand zu geben, wie für „Wirtschaft und Verbraucher“ die Energiepreise gedeckelt werden können. Das stieß sicher auch bei der Bevölkerung in der niedersächsischen Provinz auf ein höheres Interesse als der Wahlausgang. Die Wahlbeteiligung ging gegenüber dem letzten Urnengang 2017 um rund 2 Punkte auf 61 Prozent zurück.

Wahlergebnis

Die SPD behauptete sich trotz Verlusten von 3,5 % mit 33,4 %. Ihr folgte die bisherige Koalitionspartnerin CDU, die am Ende um 5,4 % gerupft mit 28,1 % dastand, ihrem schlechtesten Abschneiden seit 1947. An dritter Stelle kamen Die Grünen auf 14,5, % und verzeichneten mit 5,8 % den stärksten Zuwachs, wenn sie auch weit unter den vorher prognostizierten Gewinnen blieben. Die AfD verbesserte sich gegenüber den letzten Landtagswahlen um 3,8 % und erreichte mit 11 % erstmals ein zweistelliges Resultat. Die FDP schmierte von ihren 2017 erzielten 7,5 % noch unter die 5 %-Marke ab (4,7 %) und ist somit nicht mehr im Landtag vertreten. Andere Parteien blieben chancenlos. DIE LINKE erfüllte mit ihren desaströsen 2,7 % nicht einmal die Erwartungen der Umfrageinstitute, die sie bei 4 % gesehen hatten.

SPD und Grüne werden bereits am 13.10. Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Beide hatte sich schon vorab für eine Regierungspartnerschaft bereit erklärt. Mit diesem Ergebnis geht die grottige Groko-Zeit mit dem gemeinsamen Regieren von SPD und CDU nun auch auf Länderebene zu Ende. Ein Freifahrtticket für die im Bund regierende Ampelkoalition bedeutet dies hingegen nicht, denn die FDP, deren Licht im niedersächsischen Landtag verloschen ist, hat bereits wissen lassen, dass sie ihr „Profil schärfen“ wolle, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das bedeutet, härtere Auseinandersetzungen um den Regierungskurs sind vorprogrammiert.

CDU und SPD verteidigten im Wesentlichen ihre traditionellen Hochburgen, die CDU v. a. im Osnabrücker Land, während Industriestandorte wie Wolfsburg oder Salzgitter für die SPD wogen. Im Raum Salzgitter befindet sich jedoch eine Industrie in der Krise, und das Resultat für die AfD lag mit 18 % über dem Durchschnitt. Bei der SPD trat alles Inhaltliche hinter den Zuschnitt auf die Vaterfigur des Amtsinhabers Weil zurück. Die CDU tat sich als bisherige  „Juniorpartnerin“ umso schwerer, da die Schützenhilfe der auf harte Konfrontation gebürsteten Bundespartei ihren Wahlkampf nicht glaubwürdiger machte. Sie versuchte, teilweise mit dubios rassistischen Plakaten wie „Null Toleranz gegen Clans“, im rechten Milieu zu fischen.

Das Abschneiden der AfD wurde von den Wahlkommentator:innen mit „Besorgnis“ verfolgt und als Ausdruck von Abstiegsängsten bedrohter Existenzen gedeutet. Ein Alleinstellungsmerkmal war neben der Rhetorik gegen die „Linksrepublik“ auch der Verweis auf die „Flüchtlingsproblematik“ durch Zuzug aus der Ukraine, ein Thema, was andere Parteien gemieden haben, aber reaktionäre Ressentiments mit tatsächlicher Problematik  bei Verknappung von Wohnraum vermischt hat. Daneben konnte auch die erstmals angetretene rechtspopulistische Partei Die Basis im Wahlkreis 47 (Elbe) mit ihrer Kandidatin einen Achtungserfolg über 6 % erlangen. Die AfD erhielt Zulauf von fast allen anderen Parteien, ebenso wie die Grünen.

Die Grünen profitierten von ihrer bereits zuvor gestärkten Stellung  in Niedersachsen, unterstrichen durch 17 eroberte Bürgermeisterchef:innensessel, darunter nicht zuletzt in der Landeshauptstadt Hannover. Sie konnten in der Oppositionsrolle unbeschadet ihre vermeintliche Sachkompetenz in Umweltfragen ins Spiel bringen und punkteten vornehmlich bei jüngeren und perspektivisch einkommensstärkeren Wähler:innengruppen, während sie in industriell geprägten Bezirken schwach abschnitten.

Nur in traditionell linken Wahlbezirken wie Amt Neuhaus (ehemals DDR-Gebiet) konnte DIE LINKE jenseits der 5 % landen. Sie  bestritt ihren Wahlkampf mit Plakaten, auf denen teils in derben populistischen Ausdrücken von Krisenerscheinungen zu lesen war, die aber mittlerweile jede/r potenzielle Wähler:in zur Genüge kennt: Inflation, Mieten, Schulen, Gesundheitswesen – allein, Antworten auf die oft in Frageform formulierten Probleme waren den Schildern nicht zu entnehmen. Bei den wenigen Protestkundgebungen trat DIE LINKE nicht als treibende Kraft und mit klaren Positionierungen in Erscheinung, sondern versteckte sich in „breiten Bündnissen“. Kein Wunder also, dass sie nicht ernst genommen wurden als Vertreterin von Interessen der Arbeiter:innen und anderen Benachteiligten.

Das aber ist die Aufgabe von Kräften, die sich auch auf Landesebene formieren und den Anschluss suchen müssen an eine bundesweite Bewegung, die sich gegen die Pläne der Regierungskoalition in Bund und Land wendet. Nicht von ungefähr hat Weil nur die Standortlogik der deutschen Industrie verteidigt – die Interessen der Arbeiter:innenklasse hingegen mit keiner Silbe gewürdigt. Eine solche Protestbewegung muss aber genau diese Interessen in einem Aktionsprogramm zum Tragen bringen und damit auch den Bestrebungen der rechten „Opposition“ die Spitze brechen.




Nach NRW-Wahl: Zeitenwende für die Ampel?

Leo Drais, Infomail 1188, 18. Mai 2022

Vielleicht läuft die Geschichte doch ein bisschen in Kreisen. Zum Beispiel in der politischen Beziehung zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bund. 2017 verlor Hannelore Kraft für die SPD die Landtagswahlen – es wurde als Vorbote für Merkels vierte Wiederwahl betrachtet und so kam es. Oder nehmen wir 2021. Eine Flutkatastrophe erschüttert NRW. Armin Laschet, Spitzenkandidat der CDU für die Bundestagswahl und davor Ministerpräsident in Düsseldorf, fand die Flut anscheinend lustig. Danach verging ihm das Lachen dann schnell. Im September verlor er gegen Olaf Scholz. Die vor sich hinsiechende SPD konnte dank der Union das Krankenhaus kriselnder Parteien verlassen.

Landtagswahl

Jetzt aber hat sie in Nordrhein-Westfalen eine saftige Niederlage kassiert, im Kontext einer Wahlbeteiligung von gerade mal 55 %. Die CDU holte 35,7 % – exakt 9 % mehr als die SPD. AfD und FDP schafften gerade so den Einzug ins Parlament. Die eigentlichen Gewinner:innen sind die Grünen, die mit 18,2 % über zehn Prozent dazugewinnen konnten.

Sie betonten gleich, dass ohne sie nichts gehen würde, und wahrscheinlich haben sie damit Recht.

Denn da weder CDU noch SPD aufeinander Bock haben (rechnerisch zumindest eine mögliche Große Landeskoalition), bleibt beiden nur, die Grünen zu umgarnen. Die SPD wäre dabei sogar noch auf die FDP angewiesen, also auf eine regionale Wiederauflage der Ampel, was kaum passieren wird.

Ziemlich sicher wird der bisherige Ministerpräsident Hendrik Wüst also eine CDU/Grünen- Regierung anführen. Vieles spricht dafür. Zum Beispiel dass die Union weiß, dass sie mit den Grünen im Grunde fast alles machen kann, solange hier und da mal ein Windrad aufgestellt wird. Ihre gesamte Umweltpolitik ist keine und gerät daher nicht mit dem Kapital in Konflikt. In allen anderen Belangen sind sich Union und Grüne sowieso sehr nah. Die einen vielleicht etwas konservativ-miefig, die anderen  eben grün und hip. Vielleicht gäbe es zusammen keine Cannabislegalisierung oder formal-rechtliche Fortschritte für non-binäre Menschen.

Aber das sind Bundesangelegenheiten. Wenn es um das Wesentliche geht – Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innenklasse, Durchsetzen von Polizeigesetzen, dem Kapital den Weg ebnen – ziehen Grüne und Union an einem Strang. Ihre größte Differenz besteht wohl darin, wie viel Staatsintervention zur Neuformierung des deutschen Kapitals nötig ist. Doch die breite Unterstützung für den Green Deal in der EU zeigt, dass sich, jedenfalls für die nächste Zukunft, eine gemeinsame Linie finden lässt. Natürlich könnte man auch mit der FDP gut. Die hat in NRW jedoch ebenfalls ordentlich verloren und warum sollten sich Union und Grüne Verhandlungen mit ihr antun, wenn es auch ohne sie geht?

Ampelzeichen?

Die Rückkehr der Krise in die Reihen der SPD kommt nicht überraschend. Bei der Wahl im Saarland konnte sie noch von der CDU-Krise profitieren, zumal der dortige Unions-Kandidat sehr unpopulär war. In Schleswig-Holstein ging‘s dafür krachend bergab – 11,3 Prozent Verlust und bei der Union ein fast genauso großer Gewinn.

Was bedeutet die SPD-Krise für die Bundesregierung? Euphorie für die Ampel gab es sowieso nie, und nicht erst seit dem Krieg wird Scholz von den Ereignissen getrieben. Mit dem Krieg und der Inflation haben sich die ökonomischen Bedingungen für eine Koalition zwischen einer bürgerlichen Arbeiter:innenpartei – also einer Partei, die die kapitalistischen Verhältnisse verteidigt, sich aber auf  die organisierte Arbeiter:innenbewegung, vor allem die Gewerkschaften, stützt –, und zwei offen bürgerlichen Parteien nochmal ordentlich prekärer gestaltet. Einerseits erleichtert die SPD an der Regierung der herrschenden Klasse die Ruhigstellung der Lohnabhängigen durch die Einbindung der Gewerkschaftsapparate und Betriebsräte der Großunternehmen, die beide eine soziale Hauptstütze der Regierung bilden. Andererseits werfen Krisenperioden für das Kapital unwillkürlich die Frage auf, ob es sich die Kosten des Korporatismus weiter leisten kann und will. Und hier kommt die Union ins Spiel – nicht nur am Rhein, sondern auch an der Spree.

Mit Friedrich Merz als neoliberalem Hardliner scheint die Union den Führer gefunden zu haben, der für sie in die Zeit passt. Mit ihm versucht sie, die Ampel vor sich her und einen Keil in sie zu treiben. Mit Erfolg. Im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, sprich dem Ukraine-Krieg, stehen Baerbock und Lindner Merz näher als Scholz, dem immer wieder Zögerlichkeit vorgeworfen wird, als es zum Beispiel um schwere Waffen für Kiew ging.

Die Grünen und die Union sind demgegenüber die bürgerlichen Parteien, die am ehesten die Gesamtinteressen des deutschen Imperialismus vertreten. Sie haben die Bedeutung des von Scholz als Zeitenwende beschriebenen Periodenwechsels fürs deutsche Kapital begriffen, dem schon die bestehenden, unzureichenden sozialen Abfederungen der Inflation, sei es durch Neuverschuldung oder irgendwelche lächerlichen (Mindest-)Lohnerhöhungen demnächst schon zu viel sein könnten. Immerhin geht es darum, nicht im Kampf zwischen den Großmächten USA, China und Russland aufgerieben zu werden.

Ausblick

Natürlich ist es zu früh, der Ampel ein vorzeitiges Ende in Aussicht zu stellen. Denkbar ist jedoch allemal, dass Scholz das Schicksal Schmidts widerfährt: der Verlust seiner Koalitionspartnerinnen an die Union: Jamaika im Bundestag.

Schwieriger wird es für die Sozialdemokratie jedoch sicher. Sie ist einerseits in den DGB-Gewerkschaften und in der Arbeiter:innenaristokratie verwurzelt. So wählten lt. einer Erhebung des DGB (https://www.dgb.de/themen/++co++c653c982-d51c-11ec-96a8-001a4a160123) in NRW (noch) 36 % der gewerkschaftliche Organisierten SPD – deutlich mehr als 26,7 % der Gesamtbevölkerung.

Auch wenn sich die Gewerkschaftsführungen hier noch so Mühe geben, die Arbeiter:innenklasse mit warmen Worten abzuspeisen, kann das nicht ewig funktionieren. Bei Inflationsraten von über 7 Prozent kann der Druck durchaus so groß werden, dass Unmut und Arbeitskämpfe ausbrechen, denen die Gewerkschaftsbürokratie nachgeben muss. Bleiben selbst Ansätze von ernsthaften Kämpfen der DGB-Gewerkschaften aus, werden noch mehr Mitglieder mit den Füßen abstimmen – und austreten.

Bezüglich der SPD und ihrer Regierung wird beides die Fieberkurve steigen lassen. Ein schwächer und kleiner werdender DGB legt schleichend, aber stetig auch die verbliebene soziale Basis der SPD trocken. Gewerkschaften wiederum, die einem steigenden Druck aus der Arbeiter:innenklasse nachgeben und in eine verschärfte Konfrontation mit dem Kapital treten, bedeuten auch einen stärkeren Druck, den das Kapital und damit Grüne, FDP und Union auf die SPD ausüben werden.

Insgesamt eine Lage, die die SPD schneller ins Krankenbett zurückbefördern kann, als sie rausgekommen ist. Auf einen tapsig-trotteligen Laschet darf Scholz in der Persona Merz zumindest nicht hoffen. Und wir werden sehen, ob NRW wieder zum politischen Orakel für die Bundespolitik gestaltet wird.

Agonie der LINKEN

Wenn dem so ist, läuten für die andere bürgerliche Arbeiter:innenpartei demnächst die Totenglocken. Auch für DIE LINKE läuft die Zeit in NRW ein bisschen im Kreis. Seit sie existiert, dümpelt sie mal über, mal unter der 5 %-Hürde.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie zuvor. DIE LINKE sitzt nicht im Landesparlament von NRW. In Prozenten ausgerückt hat sie die Hälfte der Wähler:innen verloren. Trotzdem ist das Ergebnis keines den letzten NRW-Wahlen vergleichbares. Es ist Teil der Überlebenskrise der Partei, die längst zu einer sich selbst verstärkenden geworden ist. Ihrem ganzen Wesen nach ist die Partei eine, die bürgerlich-reformistische Realpolitik betreibt. Dass sie in Wahlkämpfen um Nuancen sozialer daherkommt als die SPD, nutzt vielleicht als „Wir hatten gute Inhalte“-Entschuldigung nach der Wahl, aber mehr auch nicht. Weil DIE LINKE keine Kampfpartei, sondern genauso eine Grinsebacken auf Wahlplakate druckende Angeberin leerer Versprechen ist, braucht sie niemand, schon gar nicht die Arbeiter:innenklasse. Die entscheidet sich im Zweifel taktisch lieber für die SPD als Anti-Laschet-Abstimmung wie bei der Bundestagswahl, wählt eine offen bürgerliche Partei wie die Grünen oder die Union oder bleibt der Wahl gleich ganz fern.

Im Juni will die Partei wieder mal die Weichen stellen. Mehr als Formelkompromisse und das Beschwören einer nicht existenten Geschlossenheit wird wohl kaum dabei herauskommen. Der nächste Sündenbock-Parteivorsitz darf seinen Kopf schon mal aufs Schafott der nächsten Wahlpleiten und Skandale legen.

Revolutionär:innen in der LINKEN sollten ernsthaft ihre Hoffnung daraufhin abwägen, ob die Partei irgendwann mal in eine Richtung verändert werden kann, die auch nur im Ansatz die Adjektive „klassenkämpferisch“ oder gar „sozialistisch“ verdient hätte. Wir denken, dass das nicht passieren wird. Die Partei ist wurmstichig bis ins Mark, zerfressen vom Karrierismus und ausgeblutet vom Grabenkampf. Die Linken in der Linkspartei, die für eine Politik des Klassenkampfes eintreten, sollten das sinkende Schiff bald, aber organisiert verlassen. Es gilt, diejenigen zu sammeln, die ernsthaft nach einer Kampfpartei und revolutionären Antworten suchen. Ja, es gilt, so eine Partei schnell aufzubauen. Sie wird nötig sein, um den kläglichen Linksparteirest sowie die SPD unter Druck zu setzen und die Arbeiter:innenklasse selbst zur ersten Kraft im Kampf gegen Krieg und Inflation zu bewaffnen.

Während sich ein riesiger Apparat an das wie auch immer schlecht weitergehende Leben der LINKEN klammern wird, haben Revolutionär:innen das nicht nötig. Ihr Überleben sollte gleichbedeutend mit dem der Arbeiter:innenklasse sein.

Die LINKE liegt in ihrer Agonie – und Sterbende sollen auch mal sterben dürfen. Damit die Zeit nicht ewig im Kreis läuft und Krisen auch mal wirklich enden.




Landesparteitag DIE LINKE Berlin: mit gebührender Begleitmusik

Jürgen Roth, Infomail 1167, 21. Oktober 2021

Wenig überraschend hat DIE LINKE Berlin auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag am 19.10.2021 mit deutlicher Mehrheit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen zugestimmt. Das 6-seitige Sondierungspapier, das eine Kommission aus den 3 Parteien vorgelegt hat, stellt damit kein Hindernis für die Fortführung der alten Senatskoalition (R2G) – unter geänderten Kräfteverhältnissen aufgrund des Wahlergebnisses als RGR – mehr dar.

Umstrittene Sondierungsergebnisse

Es blieben im Wesentlichen zwei: die von der scheidenden grünen Verkehrssenatorin forcierte Ausschreibung der S-Bahn und damit ihre Zerschlagung und forcierte Privatisierung sowie der Umgang mit dem Volksentscheid für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohneinheiten. Innensenator Geisel (SPD) darf es beruhigen, dass das von ihm verlangte neue Landespolizeigesetz von keiner der 3 Parteien mehr infrage gestellt wird.

In der Wohnungsfrage setzte sich im Sondierungspapier die Handschrift der designierten Regierenden Bürgermeisterin, Franziska Giffey, durch. Der Schwerpunkt liegt demnach auf dem Neubau von angestrebten 20.000 Wohnungen pro Jahr. Ein Bündnis für bezahlbaren Neubau mit der renditehungrigen privaten Immobilienlobby soll es also richten. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, hält das Ziel von 200.000 bezahlbaren Wohnungen bis 2030 für unrealistisch. Für ihn bleibt unklar, wer die denn bauen soll. Dem schließt sich auch der Berliner BUND-Landesgeschäftsführer, Tilmann Heuser, an: „Es ist relativ klar, dass zu den aktuellen Baukosten kein bezahlbarer Wohnraum entstehen kann.“ (NEUES DEUTSCHLAND, 19.10.2021, S. 9)

Wild hält zudem die Einstellung, dass man über den Markt, über die Neubaumenge die Preise im Bestand beeinflussen könne, für problematisch. Linksfraktionsmitglied Katalin Gennburg bemängelt, dass das Verhältnis von einem Prüfauftrag für den klaren Volksentscheid zur reinen Orientierung auf ein Neubaubündnis der Realität und der eingeleiteten stadtpolitischen Wende nicht standhalte.

Gedämpfte Begleitmusik im Saal …

Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, hatte im Vorfeld des Parteitags die Einsetzung einer ExpertInnenkommission zur Ausarbeitung eines Enteignungsgesetzes empfohlen. Von der Kontrolle der Umsetzung durch die von der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWe) mobilisierte Volksentscheidsmehrheit und MieterInnenbasis insbes. in der Frage der Entschädigungshöhe und Betriebsführung der verstaatlichten Wohnungen redet dieser auf den parlamentarischen Kuhhandel fixierte Reformist also erst gar nicht.

Das tut auch die innerparteiliche Opposition um Landesvorstand Moritz Warnke und die 3 Abgeordneten Elif Eralp, Katalin Gennburg und Niklas Schenker leider nicht. Doch immerhin formulierte sie einen Antrag an den Landesparteitag, dass die Verpflichtung zur Vorlage eines vom zukünftigen Senat erstellten Enteignungsgesetzes im Abgeordnetenhaus im Koalitionsvertrag verankert und dies zur zwingenden Voraussetzung gemacht werden soll, um in eine Koalition mit SPD und Grünen einzutreten. Damit steht sie deutlich links von Lederer. Es versprach also, ein lebhafter Parteitag zu werden, auch wenn die AntragstellerInnen grundsätzlich eine Koalition mit einer offen bürgerlichen Partei wie den Grünen für möglich halten.

Natürlich wurde auch diese Opposition im Vorfeld unter Druck gesetzt und die Abstimmung über den Antrag von Warnke und anderen wurde erst abgehandelt, nachdem über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen entschieden worden war. Dies geschah mit einer deutlichen Mehrheit, eine Auszählung der Gegenstimmen und Enthaltungen gab es nicht.

Schließlich wurde der Antrag abgestimmt, die Erstellung eines Enteignungsgesetzes zur Bedingung für eine Koalition zu machen. Er selbst kam jedoch nie zur Abstimmung, weil unter diesem Punkt zuerst ein Ergänzungsantrag der Mehrheit des Landesvorstandes behandelt wurde, der zwar das Ziel eines Enteignungsgesetzes bekräftigte, aber dies nicht zur Bedingung für eine Koalition macht.

Diese Ergänzung, die den Antrag praktisch in sein Gegenteil verkehrte, wurde mit 86 Ja- bei 53 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen. Damit war die Opposition geschlagen.

Katina Schubert, die für den Antrag des Parteivorstandes eintrat, stellte die Sache so dar, als ginge es nur um eine taktische Frage, wie das gemeinsame Ziel – die Fortsetzung der Koalition und die Verhinderung einer Ampel – erreicht werden könne.

Hier handelt es sich jedoch keineswegs bloß um ein untergeordnetes Manöver. Vielmehr wird darin deutlich, dass die Linkspartei und besonders deren Führung eine Koalition mit SPD und Grünen, also die Bildung eines linksbürgerlichen Senats, zum Credo „linker“ Politik macht, dem alles andere – auch die Reformsprechen der Linkspartei, auch die Umsetzung einer klaren demokratischen Entscheidung von über einer Million BerlinerInnen – untergeordnet wird.

Der ansonsten gern beschworene Dialog mit den sozialen Bewegungen, als deren parlamentarische Vertretung sich die Linkspartei gern darstellt, fand auf dem außerordentlichen Parteitag daher erst gar nicht statt. Die VertreterInnen von DWe, Gemeingut in BürgerInnenhand (GIB) und die Streikenden der Vivantes-Töchter durften unter dem fadenscheinigen Vorwand des Hygieneschutzes keine Delegation auf den Parteitag entsenden.

… lautstarkes Open-Air-Konzert davor

Das sahen gut 100 AktivistInnen vor dem ND-Gebäude am Franz-Mehring-Platz, in dem die Linksparteidelegierten tagten, anders. Sie rekrutierten sich überwiegend aus DWe, GIB, das u. a. gegen die Zerschlagung der S-Bahn und Schließungen von Krankenhäusern eintritt, und zahlreichen Streikenden aus den Tochterunternehmen des kommunalen Krankenhauskonzerns Vivantes, die sich weiterhin im Ausstand befinden. Letztere nehmen es dem Senat übel, dass er in der abgelaufenen Legislaturperiode sein Versprechen, die Töchter wieder unterst Dach der Landesunternehmensmütter zurückzuführen, nicht wahrmachte, sondern auch als quasi Eigentümervertretung für ihren Kampf um eine demgegenüber bescheidene Forderung nach Angleichung an den TVöD bisher keinen Finger krummgemacht hat.

„TvöD – für alle an der Spree!“, „S-Bahn für alle – jetzt!“ und „Vonovia & Co. enteignen – jetzt!“ waren denn folgerichtig auch die am meisten und lautesten gebrüllten Parolen. Welch herzerfrischender Kontrast zur üblichen Konzentration aufs parlamentarische Gerangel!

Die Mehrheit der Delegierten scheint das kaltgelassen zu haben.

Doch es ist dieses Potenzial, auf dem sich ein zukünftiges Antikrisenbündnis gegen die zu erwartenden Angriffe der nächsten Bundesregierung aufbauen lässt. Die Linken in DIE LINKE werden sich fragen müssen, wie weit sie noch den Niedergang ihrer Partei „kritisch“ begleiten wollen. Den Widerspruch, die Parlamentspartei zu verkörpern, die sich am meisten auf solche sozialen Bewegungen stützt, und letztere stets durch die Politik des vermeintlich kleineren Übels vor den Kopf zu stoßen, können sie nur positiv lösen, indem sie nicht weiter immer giftigere Kröten im Interesse der Parteieinheit schlucken. Sie müssen vielmehr eine einen offenen Kampf gegen die RegierungssozialistInnen führen und dürfen dabei auch vor einem politischen und organisatorischen Bruch nicht weiter zurückschrecken.




Berlin: Giffey bereitet die Ampel vor

Martin Suchanek, Infomail 1166, 11. Oktober 2021

Bis Mitte Oktober soll die Berliner SPD entscheiden, mit wem über einen neuen Senat verhandelt werden soll. Die Signale stehen auf Ampel, daran lässt die SPD-Spitzenkandidatin und nächste Bürgermeisterin, Giffey, keinen Zweifel.

Nachdem sich die Berliner SPD im Wahlkampf noch offiziell bedeckt gehalten hatte, verkündet sie, dass die Partei eine Koalition mit Grünen und FDP gegenüber der Fortsetzung von Rot-Grün-Rot favorisieren würde.

Bemerkenswert daran: Ob eine Mehrheit der Berliner SPD hinter diesem Kurs steht, ist zumindest zweifelhaft. Warum aber die Mitglieder oder einen Parteitag fragen, wenn es mit einer Mehrheit im Vorstand auch geht und mit der von Giffey und dem rechten Parteiflügel geleiteten Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen schon mal Fakten geschaffen werden können?

Mit einem geschickten Manöver gelang es Giffey, die Grünen nicht nur als sicheren Koalitionspartner, sondern auch für parallele Sondierungen mit der FDP zu gewinnen, obwohl die Grünen die rot-grün-rote Regierung fortsetzen wollen. Die Linkspartei würde dabei wohl auch keine Probleme machen. Jedenfalls nach außen hin erklärt sie beständig, dass sie für eine „Reformkoalition“, also eine linke Flankendeckung eines von Giffey geführten Senats bereit wäre.

Doch die SPD-Rechte will offenbar nicht. Wie im Bund setzt sie auf eine Ampel-Koalition. Dass sich die Grünen darauf einließen, zeigt vor allem eines. Auch die angeblich linkere Berliner Partei ist nichts weiter als der lokale Ableger einer offen bürgerlichen Kraft, die für alle Koalitionen mit den sog. demokratischen Parteien offensteht und auf ihre Posten im Senat nicht verzichten will. Sicherlich spielte bei deren Zustimmung zur Sondierung mit der FDP auch mit, dass die SPD rein rechnerisch auch mit CDU und FPD eine Koalition bilden könnte. Letztlich zeigen die letzten Wochen, dass die Grünen auch in Berlin der Linkspartei keineswegs näher stehen als den Liberalen.

Ampel als Garant gegen Enteignung

Dass die SPD-Rechte nie glücklich über eine Koalition mit der Linkspartei war, stellt kein großes Geheimnis dar. Aber Giffey, Saleh, Geisel und Co. fürchten diesmal, dass sie in einer rot-grün-roten Koalition unter den Druck der Mitglieder und WählerInnenbasis aller Senatsparteien geraten könnten, den Volksentscheid zur Enteignung der großen privaten Immobilienhaie durchzusetzen.

Eine Bürgermeisterin Giffey würde dessen Umsetzung auch in einem rot-grün-roten Senat hinauszögern, verschleppen und verwässern. Die Grünen würden das Spiel auch mitspielen und versuchen, mit den Wohnungskonzernen eine freiwillige Begrenzung der Mieten zu verhandeln. Angesichts des Geschäftsmodells der Unternehmen würden sich alle diese Maßnahmen jedoch früher oder später als politische Placebos entpuppen und der Enteignungsforderung neue UnterstützerInnen zutreiben.

Auch wenn die Linkspartei die Enteignung wahrscheinlich nicht zur Koalitionsbedingung machen würde, so wäre es selbst für die Leute um Lederer schwer, ganze fünf Jahre alles für den Frieden mit der SPD-Rechten und den Konzernen zu verschleppen.

Bedenkt man außerdem, dass selbst in der Berliner SPD die Mehrheit auf einem Parteitag zugunsten einer Enteignung und der Umsetzung des Volksentscheides kippen könnte, dem die Mehrheit ihrer WählerInnen und Mitglieder zugestimmt hat, so wäre eine rot-grün-rote Koalition eine, bei der sie ständig erklären müsste, warum sie dem Willen der BerlinerInnen und auch der UnterstützerInnen der Koalitionsparteien nicht folgt.

In dieser „Not“ kommt die FDP gerade recht. Die Verteidigung des Privateigentums bildet schließlich den Kern ihres Kampfes um sog. Freiheitsrechte.

Für SPD und Grüne bildet eine FDP in der Koalition zugleich eine willkommene Ausrede dafür, warum eine Enteignung der Wohnungskonzerne nicht möglich ist. Zum Trost präsentiert eine solcher Senat womöglich einige Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Sie bringen den MieterInnen zwar nichts, aber sie machten sich gut im Koalitionsvertrag. Ein solcher würde wahrscheinlich mit allerlei Bekenntnissen zum Wohnungsbau garniert werden, samt Subventionen für private BauträgerInnen und ökologischer Sanierung dieses potemkinschen Dorfes.

Giffey und Jarasch kennen außerdem ihre Parteilinken. Diese stehen zwar einer Ampel skeptisch bis ablehnend gegenüber, einen wirklichen Kampf um die Koalitionsfrage würden sie jedoch nicht riskieren. Letztlich werden sie wohl die Kröte FDP schlucken, denn diese Parteilinken verfügen zwar über wenig Rückgrat, dafür aber über einen kräftigen Magen.

Linkspartei

Daher wird der Linkspartei ihre ganze Anbiederung an SPD und Grüne wahrscheinlich nichts nützen. Der Koalitionszug fährt wohl ohne sie ab – und das obwohl sie freiwillig von der wichtigsten konkreten Forderung an einen neuen Senat absieht, der nach sofortiger Umsetzung des Volksentscheids. Die Linkspartei verzichtet aus gutem Grund darauf, dies zur Vorbedingung für eine Senatsbildung zu machen, denn ihrer Führung ist bewusst, dass SPD und Grüne auf diese nicht eingehen werden und zur Zeit der gesellschaftliche Druck noch viel zu gering ist, als dass sie sich dazu gezwungen sähen.

Dieser Sachverhalt offenbart zugleich den zweifelhaften Wert einer Neuauflage der rot-grün-roten Koalition für die MietenaktivistInnen und alle anderen gesellschaftlichen Bewegungen. Schließlich hatten SPD, Grüne und Linkspartei ganze fünf Jahre Zeit, beispielsweise die Lage im Gesundheitsbereich und an den Krankenhäusern zu verbessern.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage, angesichts steigender Preise und des Diktats der Schuldenbremse wird der Spielraum für soziale Maßnahmen in Berlin und anderswo deutlich schrumpfen. Jede größere, substantielle Reform erfordert unter diesen Bedingungen, sich mit (Teilen) der KapitalistInnenklasse  anzulegen und in den Betrieben und auf der Straße zu mobilisieren. Doch genau das wollen SPD und Grüne nicht. Eine FPD als Senatspartei kann hier noch als zusätzliche Ausrede dafür herhalten, dass keine großen Sprünge für die Massen möglich sind.

Die Linkspartei hält in dieser Lage wider besseres Wissen am Säen ihrer Illusionen von einer sozialen, ökologischen, linken und progressiven Koalitionsregierung fest. Die Ampel verhindern wird das wahrscheinlich nicht, ja ein Teil der Linkspartei und sogar ihrer Führung mag sogar klammheimlich hoffen, dass ihr eine weitere Regierungsbeteiligung erspart bleibt. Das hätte immerhin den Vorteil, dass sie in den kommenden fünf Jahren keine Verantwortung für soziale Angriffe und Sparmaßnahmen übernehmen müsste und sich in der Opposition „regenerieren“ könnte.

Die Beschäftigten der Charité und bei Vivantes, die sich zur Zeit im Arbeitskampf befinden, sollten jedenfalls keine Hoffnungen in irgendwelche automatischen Verbesserungen durch diesen oder jenen zukünftigen Senat setzen. Ebenso wenig sollten es die AktivistInnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen tun. Die BesetzerInnen der Köpi, die noch unter dem scheidenden Senat am 15. Oktober geräumt werden sollen, wissen ohnedies, dass sie von einem rot-grün-roten Senat nichts zu erwarten haben.

Dennoch sollten wir die aktuelle Lage nutzen, um zentrale Forderungen dieser Bewegungen auf die Straße zu tragen und vom Senat einzufordern:

  • Stopp aller Räumungen besetzter Häuser und Wagenplätze! Keine Räumung von MieterInnen!
  • Sofortige Umsetzung des Volksentscheides. Wohnungskonzerne enteignen – sofort!
  • Umsetzung der Forderungen der Krankenhausbewegung bei Charité und Vivantes!