Schäuble – ein deutscher imperialistischer Politiker

Martin Suchanek, Infomail 1240, 29. Dezember 2023

Wolfgang Schäuble verstarb am 26. Dezember. Obwohl er selbst nie Bundeskanzler war, prägte er die Politik des deutschen Imperialismus über Jahrzehnte wie kaum ein anderer, gehörte zu den führenden bürgerlich-kapitalistischen Strateg:innen.

Werdegang

Auch wenn er nach seinem Jurastudium als Finanzbeamter tätig war, so führte er im Grunde Zeit seines Lebens das Dasein eines Berufspolitikers. Von 1972 bis zu seinem Tod gehörte er ununterbrochen dem deutschen Bundestag an. Von 1984 bis 1991 fungierte er in den Regierungen Kohl als Minister, zuerst als Chef des Kanzleramtes, dann als Innenminister. 1991 wurde er Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit eine zentrale Stütze der Regierung. Vor der kapitalistischen Wiedervereinigung gehörte Schäuble zudem zu den wichtigsten Stützen Kohls gegen die innere Opposition in der CDU (Geißler, Späth, Süssmuth).

Schäuble war maßgeblich an der zur „geistig moralischen Wende“ verklärten konservativ-(neo)liberalen schwarz-gelben Regierungspolitik und am Wiedervereinigungsvertrag beteiligt, wobei er sich als verlässlicher Vertreter der Interessen des deutschen Gesamtkapitals und dessen führender Konzerne erwies.

Kein Wunder also, dass der „Kanzler der Einheit“ Schäuble zu seinem Nachfolger auserkoren hatte, der als Parteivorsitzender und auch als Kanzler „übernehmen“ sollte. Doch Kohls Wahlniederlage gegen Schröder vereitelte die für 2002 anvisierte „Übergabe“ im Kanzleramt. Auch Schäubles Zeit als CDU-Vorsitzender währte nur kurz. 1999 wurden nämlich die Dimensionen der CDU-Spendenaffäre immer deutlicher. Über gut zwei Jahrzehnte hatte die Partei Millionen DM auf Schattenkonten gehortet. Wie so viele andere in die „Affäre“ verstrickte CDU-Politiker:innen bestritt auch der Ehrenmann Schäuble zunächst alle Vorwürfe. Doch die Beweise wurden immer erdrückender. Kohl mutierte vom Ehrenvorsitzenden zur Altlast, Schäuble trat schließlich vom Parteivorsitz zurück, blieb aber Abgeordneter.

An seine Stelle trat Angela Merkel. Ursprünglich als Zwischenlösung betrachtet, wurde sie schließlich 16 Jahre lange Kanzlerin. Und Schäuble machte sich daran, seinem Land wieder als Innenminister zu dienen, als Law-and-Order-Mann, der sich auch mit Schwarzgeldkonten auskannte. Von 2009 bis 2017 erlebte Schäuble seinen internationalen Durchbruch als Finanzminister und neoliberaler Hardliner. Im Rahmen der Troika und der EU setzte er drakonische Bedingungen für das infolge der globalen Krise vor dem Bankrott stehende Griechenland durch, das er mehr oder weniger offen eigentlich aus dem Euro-Raum treiben wollte (was jedoch von Merkel abgelehnt und verhindert wurde). Schäuble, der bis dahin vor allem im deutsch-deutschen Verhältnis (bis 1990) und innenpolitisch hervorgetreten war, machte sich nun einen Namen als beinharter, neoliberaler Einpeitscher und finanzpolitischer Zuchtmeister des deutschen Imperialismus gegenüber seinen untergeordneten europäischen „Partner:innen“. Schäuble gab einen Vorgeschmack darauf, was „deutsche Führung“, deren angeblicher Mangel andernorts gern beklagt wurde, realiter bedeutet.

Von 2017 bis 2021 fungierte er als scheinbar über allen Parteien stehender Bundestagspräsident und – weniger über allen Parteien stehend – als elder statesman der CDU und Quasi-Berater von Friedrich Merz.

Schäubles Bedeutung

Aus der Masse der deutschen Politiker:innen aller, von der herrschenden Klasse als staatstragend anerkannter Parteien – ob nun CDU/CSU, FDP, SPD oder Grünen – stach Schäuble jedoch heraus. Und zwar nicht, weil er besonders exzentrisch oder persönlich bedeutend gewesen wäre. Was das betrifft, unterscheidet er sich wohl wenig von anderen konservativen, aus einer christlichen CDU-Familie stammenden Funktionär:innen seiner Partei.

Was ihn von der für den bürgerlichen Politikbetrieb kennzeichnenden geistig-intellektuellen Mittelmäßigkeit, die charakteristisch für die große Masse der Abgeordneten und Funktionär:innen sämtlicher bürgerlicher Parteien (letztlich auch der AfD und der Linkspartei) ist, unterschied, war jedoch die Tatsache, dass er nicht einfach ein weiterer Parteigänger des Kapitals war, sondern einer seiner strategisch agierenden Vertreter:innen. Geistig-intellektuell war er Kohl, dem Parteivorsitzenden und Kanzler, dem er rund zwei Jahrzehnte diente, sicher überlegen und freilich konnte er sich auf diesem Gebiet mit Merkel messen.

Anders als einige Möchtegern-Geistesgrößen der CDU, die sich mit Kohl oder Merkel überwarfen und daraufhin vom aktiven politischen Geschehen zurückzogen, fungierte Schäuble unter beiden als wichtiger Minister oder Fraktionschef in Schlüsselfunktionen für die eigene Partei, aber auch den Kurs der herrschenden Klasse. Somit wurde er selbst zu einer prägenden Figur, die gewissermaßen zu einer Institution wurde.

Schon früh stand Schäuble für eine, wenn auch auf deutsche Verhältnisse angepasste neoliberale Wirtschafts- und eine rigide Finanzpolitik. Zweifellos reflektiert das auch seine Herkunft aus dem spießigen schwäbisch-protestantischen Bildungsbürger:innentum, seit jeher eine Bastion des deutschen Konservativismus. Vor allem aber ging es ihm dabei immer darum, die Wirtschaftsmacht Deutschlands voranzubringen. Dies schloss durchaus – siehe die Kosten der Wiedervereinigung – auch Schulden für das große Ganze des deutschen Imperialismus ein. Aber bei allen anderen – ob nur den Millionen griechischer Arbeiter:innen und Arbeitsloser, den Lohnabhängigen in Deutschland oder den zahlreichen Gegenreformen, die er als Minister mit vorantrieb – kannte Schäuble keine Rücksicht. Dort betätigte er sich vorzugsweise als „Spardiktator“. Er war zwar wie fast alle Vertreter:innen des deutschen Imperialismus nach 1945 „bekennender Europäer“, also einer von Deutschland und Frankreich geführten EU. An diese wollte er sogar zeitweilig mehr nationale Kompetenzen abgeben und auch die Wahl der Kommission demokratisieren, aber zugleich wollte er eine „strenge“, von Deutschland diktierte Finanz- und Haushaltspolitik garantiert haben.

Diesen inneren Widerspruch bürgerlicher Europapolitik konnte auch Schäuble nicht auflösen. Im Gegenteil, das von ihm maßgeblich vorangetriebene Austeritätsdiktat gegenüber Griechenland war zwar insofern erfolgreich, als es die griechische Regierung vorführte und domestizierte – es offenbarte zugleich aber auch die zentrifugale, die EU und die Euro-Zone selbst auseinander treibende Logik dieser Politik.

Mehr als Kohl und Merkel (und erst recht Schröder) war Schäuble schon immer Transatlantiker und sehr viel enger am Bündnis mit den USA orientiert. Nichtsdestotrotz musste eine erfolgreiche Stärkung der EU und der Euro-Zone unvermeidlich auch die gegensätzlichen Interessen zu den USA hervorbringen. Hier stand Schäuble nach dem Maidan 2014 und damals im Gegensatz zu Merkel und Steinmeier für jenen Flügel des deutschen Imperialismus, der die einzige Chance zur geostrategischen Stärkung der EU und Deutschlands in der Anbindung an die USA als deren Führungsmacht sieht. Daher war seine Unterstützung für Merz im Kampf um die Merkel-Nachfolge in der CDU keineswegs nur Ausdruck einer „Männerfreundschaft“, sondern beruhte auf einer wirklichen geostrategischen Überstimmung.

Die Bedeutung der Strategie

Politische Strategie ist im Klassenkampf für jede Klasse von herausragender Bedeutung. Schließlich ergibt sich ein langfristiges Handeln im Rahmen der immer schärfer ausgetragenen wirtschaftlichen und geostrategischen Konkurrenz auch für die herrschende Klasse nicht „spontan“ oder automatisch, sondern formt sich selbst erst über die Austragung ideologisch-strategischer Auseinandersetzungen und den Klassenkampf.

In den letzten 50 Jahren prägte Schäuble die Politik des deutschen Imperialismus entscheidend mit, er trug maßgeblich zu wichtigen Siegen der herrschenden Klasse – allen voran die kapitalistische Wiedervereinigung – bei. Er vermochte jedoch ebenso wenig wie Kohl, Schröder oder Merkel, die inneren Widersprüche zu überwinden, die den Weltmachtambitionen des deutschen Imperialismus bis heute Grenzen setzen. Doch es ist unvermeidlich, dass diese im Kontext des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt auch die bürgerlich-imperialistische Politik vor immer neue, immer schärfe Alternativen (z. B. verstärkte europäische Integration oder Europa der zwei Geschwindigkeiten, Aufrüstung der EU zu einer Militärmacht, die mit den Großmächten mithalten kann oder militärisch und politisch zurückfällt) stellen werden.

Das heißt, die politisch-strategischen Weichenstellungen, die die Ampel-Regierung mit dem Terminus der Zeitenwende halb anerkennt, zugleich aber auch halb zu dementieren versucht, werden immer mehr in den Vordergrund treten müssen. Die deutsche Bourgeoisie verfügt dabei zur Zeit über keine wirkliche, längerfristige strategische Ausrichtung. Vielmehr befindet sie sich einem inneren Widerstreit, was grundsätzlich die politischen Schwankungen und Instabilität fördert, auch wenn in den letzten Jahren davon fast ausschließlich die Rechte profitierte.

Und das wird auch so bleiben, wenn die Arbeiter:innenklasse, wenn die Linke selbst nicht die Frage nach grundlegenden programmatischen und strategischen Lösungen für die aktuelle Krise beantwortet. Mit Schäuble hat die deutsche Bourgeoisie einen Strategen verloren, der ihre Politik prägte. Das Problem der Arbeiter:innenklasse besteht darin, dass sie über keine revolutionären Strateg:innen verfügt, die ihre Politik prägen.




Rechtsruck in Deutschland: Neuausrichtung der CDU?

Leonie Schmidt, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Innerhalb der CDU stellt sich schon länger die Frage nach einer Neuausrichtung. Immerhin erlitt sie bei der Bundestagswahl 2021 eine Niederlage, ist aktuell nicht Teil der Regierung und spielt somit auf Bundesebene die Oppositionsrolle. Anders als Grüne oder FPD konnten CDU/CSU keine einheitliche Strategie vorweisen – und grundlegende Fragen um ihre „Neuorientierung“ sind  auch unter Merz in Wahrheit ungelöst.

Von der Krise der Ampel konnte auch deshalb nicht die Union, sondern fest ausschließlich die AfD profitieren. Der Rechtsruck und das sich verändernde Wahlverhalten in Deutschland stellt die CDU vor ein großes Fragezeichen: nach rechts rücken und mit der AfD koalieren oder weiterhin zuzugeben, eine, wenn auch recht löchrige „Brandmauer“ aufrechtzuerhalten?

Daher verwundert es nicht, dass sich die CDU auch jetzt ein neues Parteidesign ausgedacht hat, was unter starker Kritik steht. Auffällig sind zum einen die prominenten Deutschlandfarben und zum anderen das Türkis, welches für viele Kritiker:innen dem der AfD ähnelt. Expert:innen gehen davon aus, dass die Veränderung insbesondere auch der Abgrenzung zur CDU unter Angela Merkel und ihrem Konservatismus dient. Da neue Parteidesigns sicherlich keine unüberlegte Entscheidung sind, setzt die CDU an dieser Stelle schon einmal ein visuelles Zeichen für eine Neuausrichtung, deren Ziel es ist, der AfD wieder einige Wählende streitig zu machen. Des Weiteren wird auch innerhalb der CDU aktuell an einem neuen Grundsatzprogramm gefeilt, was die parteipolitische Ausrichtung wieder auf Vordermann bringen soll.

Innerparteilicher Rechtsruck: Berlin …

Kai Wegner, amtierender Regierender Bürgermeister von Berlin, brachte der CDU einen mächtigen Wahlerfolg ein, als er 2023 den Posten in Berlin einheimste, einer Stadt, die lange von R2G regiert wurde. Interessant hierbei ist, mit welchem Programm und welcher Rhetorik er sich den Wahlsieg erkämpfen konnte. Sein Programm ist klar rechtskonservativ und immer wieder kam es von seiner Seite auch zu rechtspopulistischen Äußerungen. Er stellte klar, ein „Anwalt der Autofahrer“ sein zu wollen und sich gegen die Verkehrswende im Sinne der Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu stellen. Dabei schürte er erfolgreich die Angst der Wähler:innen, bald auf ihr geliebtes Statussymbol und Verkehrsmittel der Wahl verzichten zu müssen. Dass es sich dabei nicht nur um ein Wahlversprechen handelte, wird jetzt klar: Die CDU-Fraktion möchte den Rad- und Fußverkehr zukünftig gegenüber dem Autoverkehr noch mehr benachteiligen. Radwege sollen schmaler sein dürfen und ihre Instandhaltung sollte Vorrang vor Neubau genießen.

Auch rassistische Äußerungen halfen ihm, den Wahlsieg zu erringen. So hetzte er besonders gegen Migrant:innen bezüglich der Silvesternachtkrawalle 2022/23 und wollte mit einer parlamentarischen Anfrage die Vornamen Festgenommener erfahren, um sein Narrativ zu stützen. Auch wenn das Resultat, die meisten Namen waren deutsch gelesene, seiner Logik widersprach, nutzte er weiterhin das Framing von den „kriminellen Ausländer:innen“, gegen die er vorgehen wolle. Auch hier zeigt sich der Rechtsruck und die CDU konnte sich als „Law -and-Order-Partei darstellen, die die Sicherheit der braven deutschen Bürger:innen garantiert und die Rechte und Befugnisse der Polizei weiter ausbauen will.

Das kam gut bei an bei den Wähler:innen in Berlin, insbesondere beim Kleinbürger:innentum und den rückschrittlichen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Natürlich ist es auch den Versäumnissen von R2G zuzuschreiben, dass sich Wegner durchsetzen konnte. Beispielsweise, dass sich trotz Volksentscheid nichts hinsichtlich Deutsche Wohnen & Co. enteignen getan hat, weil sich Franziska Giffey querstellt und zusammen mit der CDU die Vergesellschaftung verhindern will. Im Allgemeinen entschied sie sich lieber dafür, unter Wegner in einer GroKo zu regieren, statt wenigstens ein paar soziale und umweltbezogene Zugeständnisse an Grüne und Linkspartei zu machen.

… und Bayern

Auch in Bayern glänzt die CSU mit rechtspopulistischer Rhetorik. So ist auch bei ihr das Vorbild des US-amerikanischen Senators Ron DeSantis angekommen, weswegen sie begann, gegen Dragshows und deren vermeintliche Gefahr für Kinder zu hetzen. Aber warum? Die CSU hat in Bayern eine spürbare rechte Konkurrenz: die Freien Wähler unter Hubert Aiwanger, welche trotz (oder gerade wegen) seiner antisemitischen Flugblattkampagne an Zulauf gewonnen haben. Deswegen muss sie sich auch hier rechter positionieren, um ihre Wähler:innen nicht zu verlieren. So trat Markus Söder prominent auf einer rechtspopulistischen Demo, organisiert von den Freien Wählern, in Erding gegen die Heizungspläne der Ampelregierung auf, wo sein Schulterschluss mit rechten und verschwörungsideologischen Kräften daran scheiterte, dass er sich zwar als Teil des rechten Sammelsuriums sah, dieses ihn aber nicht als Teil von ihrer „Volksbewegung“.

Dennoch ist die Union aber keine rechtspopulistische Partei, sondern weiterhin eine rechte, konservative Partei, die auf Biegen und Brechen hin versucht, ihre Wähler:innen nicht an die AfD, und in Bayern an die Freien Wähler, zu verlieren und gleichzeitig die sozialen Angriffe im Sinne der herrschenden Klasse zu verschleiern versucht. Dafür nutzt sie auch immer mehr rechtspopulistische Rhetorik. Jedoch stützt sie sich auf keine Protestbewegung und vertritt weiterhin die Interessen des globalisierten Großkapitals. Natürlich könnte es passieren, dass sie in ihrer Taktik komplett auf Rechtspopulismus umschwenkt, doch das hängt vor allem davon ab, wie sich die Krisen weiterentwickeln, ob sich die Kräfteverhältnisse der Kapitalfraktionen innerhalb der herrschenden Klasse verschieben und sich der Klassenkampf weiter zuspitzt, sodass es noch mehr vonnöten ist, durch Rechtspopulismus die Klasse zu spalten und Verwirrung zu stiften.

CDU und AfD – gemeinsam stark?

Wenngleich es aufgrund der verhassten Politik der aktuellen Ampel- und der vorherigen GroKo-Regierungen und der Prozente der AfD zu einer Möglichkeit geworden ist, dass AfD und Union nicht nur auf lokaler Ebene gemeinsam regieren, sondern auch in Ländern und im Bund, so unterscheiden sich ihre politischen Ausrichtungen doch (noch) erheblich. So vertritt die CDU vor allem die entscheidenden Sektoren des globalisierten Großkapital und ein enges geostrategisches Bündnis mit den USA im neuen Kalten Krieg gegen Russland und China. Die AfD setzt eher auf das binnenmarktorientierte mittelständische Kapital und vertritt einen EU-feindlichen und NATO-kritischen außenpolitischen Kurs.

Zugleich setzen sie sich beide für eine Entlastung der Reichen ein und bieten ihnen Steuergeschenke an: So möchte zum Beispiel die CDU die Steuerbelastung für Gewinne bei 25 % deckeln, während die AfD noch weiter geht und sich in allen Fragen für Steuersenkungen für Reiche und Unternehmer:innen ausspricht, auf Bundesebene die Abschaffung des Solidaritätszuschlags fordert und eine Steuer für hohe Vermögen ablehnt. Eine neue Analyse des DIW zeigt nun auch, wie stark sich die Positionen von Union und AfD überschneiden: Die stärkste Schnittmenge gibt es von allen untersuchten Parteien mit der Union, was nun eher weniger verwunderlich ist. Besonders stark ist diese in Bayern und in Thüringen, wo 74 Prozent der Antworten, also fast drei von vier Positionen, identisch sind. Am stärksten fällt die Überschneidung von Union und AfD bei der Klima- und Umweltpolitik aus, gefolgt von der Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik. So zeigten sich ihre gemeinsamen Positionen, als sie zusammen in Thüringen für die Senkung der Grunderwerbssteuer eintraten.

Aber bei all diesen Gemeinsamkeiten, dürfen dennoch nicht die Unterschiede zwischen den beiden Parteien unter den Teppich gekehrt werden. Wenngleich sich die CDU bei der Migrationspolitik zunehmend rechtspopulistischer äußert, wie beispielsweise nach den Ausschreitungen in Stuttgart im baden-württembergischen Landtag, so sind die von der AfD geforderten geschlossenen Grenzen und der Migrationsstopp überhaupt nicht im Interesse der Kapitalfraktion, deren Interessen die CDU vertritt. Einerseits würde das die Lieferketten und die Just-in-time-Produktion gefährden, welche relevant für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind. Andererseits würde es ebenso bedeuten, dass es schwieriger sein dürfte, Arbeitskräfte für den Niedriglohnsektor anzuwerben, da diese Jobs oft von Migrant:innen ausgeführt werden. Auch der Kampf gegen den viel beschworenen Fachkräftemangel dürfte sich so eher ineffektiv gestalten.

Das zeigt auch die Positionierung vom Arbeit„geber“:innenverband BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände), welcher Erwerbsmigration stärken möchte und dafür 2022 einen 10-Punkte-Plan veröffentlicht hat, welcher u. a. Entbürokratisierung und schnellere Anerkennungsverfahren, aber auch eine Aufhebung des Zeitarbeitsverbots für Migrant:innen und eine klare Trennung zwischen Asyl- und Migrationspolitik beinhaltet. So soll die Zahl der „beruflich qualifizierten Zuwanderer:innen“ schnell gesteigert werden. Die AfD hingegen will zum Beispiel Sonderregelungen abschaffen, die Asylsuchenden Bleiberecht gewährleisten, wenn sie einer Arbeit oder einer Ausbildung nachgehen möchten. Sie unterstellen den betroffenen Migrant:innen an dieser Stelle, sie würden sich „unter Vortäuschung eines Asylgrundes den Zugang zum Arbeitsmarkt erschleichen“.

Noch größer sind zur Zeit die Unterschiede in der internationalen Politik. CDU/CSU wissen, was das deutsche Kapital an der EU hat. Der Euroraum und die EU-Ökonomie bilden eine wichtige Stütze des deutschen Imperialismus. Im globalen Konkurrenzkampf kann er darauf schlecht verzichten. Ebenso wenig können die EU und Deutschland heute auf die NATO pfeifen. Die eigene Aufrüstung, eine mögliche Stärkung der militärischen Rolle Deutschlands kann zur Zeit nur im Windschatten der US-Dominanz verfolgt werden. Natürlich hat auch die AfD selbst kein Problem mit der Aufrüstung der Bundeswehr und massiven Steigerungen der Rüstungsproduktion.

Aber eine Koalition auf Bundesebene würde voraussetzen, dass die AfD an dieser Stelle die Positionen der CDU/CSU annimmt – sicher kein Ding der Unmöglichkeit, wie Meloni in Italien oder Le Pen in Frankreich zeigen. Es würde aber nicht nur zu Konflikten in der Union, sondern vor allem auch in der AfD führen.

Zwischen beiden Parteien bestehen also durchaus erhebliche Gegensätze. Wenn die CDU also nicht in der Lage ist, die Interessen dieser Kapitalfraktion, welche sie aktuell abbilden soll, zu vertreten, könnte sich ihre Zukunft schwierig gestalten. Dementsprechend wäre eine Koalition mit der AfD sehr riskant für die Union. Deshalb betont auch Friedrich Merz immer wieder, dass die Brandmauer gegen diese nicht einreißen darf und eine Zusammenarbeit auf Bundesebene ausgeschlossen sei. Aber es geht hier nicht darum, die bürgerliche Demokratie zu schützen, sondern wie bereits erwähnt die Interessen des Großkapitals.

Sollte es zu Verschiebungen innerhalb der herrschenden Klasse kommen, was nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden darf, könnte es eine Zusammenarbeit geben, die vor allem für soziale Angriffe auf Arbeiter:innen, Migrant:innen und sozial Unterdrückte stände. Das dürfte keineswegs widerstandslos hingenommen werden. In jedem Fall mehren sich die Anzeichen, dass die CDU/CSU eine begrenzte Zusammenarbeit mit der AfD zuerst auf Länderebene testen könnte – z. B. in Sachsen oder Thüringen.

Um diese und eine später auch mögliche Koalition im Bund zu bekämpfen, werden uns „Brandmauern“ aller Demokrat:innen gegen die AfD nicht weiterhelfen. Die Geschichte wie auch die aktuelle Entwicklung in zahlreichen Ländern zeigen, dass die herrschende Klasse durchaus bereit ist, auf Rechtspopulist:innen oder auch ehemalige Faschist:innen wie Meloni zurückzugreifen, wenn diese entschlossen die Interessen der dominierenden Kapitalfraktionen vertreten.

Nur mittels einer Politik, die praktisch die Klassenfrage, und zwar die politische wie die ökonomische, in den Mittelpunkt stellt, kann der Rechtsruck zurückgeschlagen werden und CDU, Freien Wählern oder AfD der Wind aus den Segeln genommen werden! Revolutionär:innen müssen daher für den gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Angriffe von Kapital und Regierung eintreten. Sie müssen jede klassenübergreifende Zusammenarbeit mit den offen Bürgerlichen zurückweisen und innerhalb einer Einheitsfront von Gewerkschaften und, wo möglich, auch von reformistischen Parteien aktiv auf die Widersprüche des Kapitalismus aufmerksam machen und für notwendige radikale Forderungen kämpfen.




Kemmerich – ein Ministerpräsident von AfD Gnaden

Martin Suchanek, Infomail 1088, 5. Februar 2020

Bis vor kurzem kannten ihn nur wenige. Nachdem Thomas L.
Kemmerich am 5. Februar zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde, warfen
wohl viele die Suchmaschinen im Internet an, um mehr über einen Mann zu
erfahren, der bisher im bürgerlichen Parlamentarismus und auch in der FDP
allenfalls eine drittrangige Rolle spielen durfte.

Der Thüringer FDP-Fraktionsvorsitzende Kemmerich gehörte von
2017–2019 zu den HinterbänklerInnen, den grauen Mäusen im Bundestag. Bei den
Landtagswahlen 2019 schaffte seine Partei gerade 5 %. Der Unternehmer und
Vorsitzende der FDP-nahen Vereinigung „Liberaler Mittelstand“ war bisher nur
durch notdürftig als „Mittelstandpolitik“ verbrämten Neo-Liberalismus und als
Betreiber einer Friseurkette aufgefallen, die Jobs mit „flexiblen
Arbeitszeiten“ verspricht.

Wahrscheinlich wäre Kemmerich auch eine unbekannte
Randfigur, eine der zahlreichen StatistInnen des bürgerlichen Politbetriebs
geblieben, hätte ihn nicht die politische Lage in ungeahnte „Höhen“ gehievt.
Schließlich kommt es auch in deutschen Landtagen nur höchst selten vor, dass
ein Mitglied der schwächsten Partei zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Erklärbar ist seine Wahl nur als Folge des politischen
Patts, das die Wahlen 2019 in Thüringen mit sich brachten – und der
offenkundigen Bereitschaft von CDU und FDP, auch mit der AfD „bürgerliche
Mehrheiten“ zu organisieren.

Die Linkspartei konnte zwar zulegen und wurde mit 31 %
stärkste Partei. Allein verfügt sie über 29 der 90 Sitze. Aber ihre
Koalitionspartnerinnen schwächelten: Die SPD sackte auf 8,2 % ab und die
Grünen schafften mit 5,2 % gerade den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Daher
verfügte die rot-rot-grüne Koalition gerade über 42 Stimmen, während die AfD
(22 Mandate), CDU (21) und FDP (5) eine gemeinsame Mehrheit bilden konnten.

Bürgerblock

Union und FDP standen also vor der Wahl, entweder mit der
AfD zu kooperieren oder Rot-Rot-Grün und damit den bisherigen
Ministerpräsidenten Ramelow zu „tolerieren“.

Nachdem Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen jedoch keine
absolute Mehrheit erringen konnte, zog die AfD im dritten ihren Kandidaten
zurück – und erklärte wie schon in den letzten Wochen, den FDP-Mann Kemmerich
zu wählen. Dieser errang die Mehrheit. Mit 45 gegenüber 44 Stimmen für Ramelow
wurde er bei einer Enthaltung als neuer Ministerpräsident gewählt.

Zufall stellt die Wahl von Kemmerich natürlich keinen dar.
Schon im Vorfeld hatte er erklärt, dass er sich auch von der AfD zum
Ministerpräsidenten wählen lassen würde. Während Bundes-CDU und -FDP
„offiziell“ noch von der „Abgrenzung“ und „Nichtzusammenarbeit“ mit der rechten
AfD schwadronierten, kümmerte die Thüringer Abgeordneten dieses leere Geschwätz
offenkundig schon lange nicht mehr.

Der Feind der Union und FDP wird dort offenbar bei den
„Roten“ – und sei es ein noch so blasser Roter wie Thüringens Ramelow –
verortet. Den Hauptfeind für Union und FDP bildet schließlich die
ArbeiterInnenbewegung und nicht der Rechtspopulismus, in dessen Reihen sich
neben (halb)faschistischen Flügel-Leuten auch viele ehemalige CDUlerInnen und
FDPlerInnen tummeln. Hier wächst anscheinend zusammen, was, jedenfalls für
bedeutende Teile der Union und FDP, zusammengehört.

Zu solch einer Wahl gehört auch die Legendenbildung.
FDP-Bundesvize Kubicki erklärt gar, dass die Wahl einen großen Erfolg seiner
Partei darstelle, da diese schließlich die „demokratische Mitte“ darstelle –
einen Erfolg, für den FDP und CDU den politischen Sieg der AfD billigend in
Kauf nehmen. Kemmerichs FDP und erst recht die Thüringer CDU stellen den
Ausgang so dar, also hätten sie nur „zufällig“ den Liberalen mit den Stimmen
der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, da sie Höcke und Co. nicht an ihrer
Stimmabgabe „hindern“ hätten können. Dabei hätten sie das natürlich können. Sie
hätten sich nur der Stimme enthalten müssen.

Die TaschenspielerInnen des Parlamentarismus ziehen es
offenkundig vor, sich blöd zu stellen. Das glaubt zwar niemand, aber solche
„Erklärungen“ sollen wenigstens den Bundesparteien erlauben, weiter so zu tun
können, als ob sie mit der AfD nicht kooperieren würden, als ob es sich nur um
einen „Sonderfall“ oder „Betriebsunfall“ handeln würde. FDP-Chef Linder phantasiert
sogar davon, dass es gar keine Kooperation mit der AfD gegeben habe – man habe
sich schließlich nur von ihr wählen lassen.

In Wirklichkeit stellt die Thüringer Wahl des Ministerpräsidenten ein Politprojekt einer CDU/FDP-Koalition von AfDs Gnaden dar. Auch wenn es durchaus möglich ist, dass die Bildung einer Landesregierung Kemmerich durch CDU und FPD mit Duldung der AfD scheitert, so sollte doch niemand deren Bildung ausschließen. Schließlich zeigte der 5. Februar, zu welchen Manövern Teile von FDP und CDU mittlerweile bereit sind.

Schließlich entspricht die Bereitschaft der CDU und FDP in
Thüringen auch der Überzeug weiter Teile ihrer Parteien und von Fraktionen der
herrschenden Klasse, dass Koalitionen mit der AfD eine Option werden könnten,
wenn sich die Krise der EU weiter verschärften sollte. Hinzu kommt, dass damit
in jedem Fall auch der Druck auf die Grünen oder andere „PartnerInnen“ nach den
nächsten Bundestagswahlen erhöht werden kann. Sollten sie sich der CDU/CSU
nicht fügen, hätte diese dann eben auch eine Alternative.

Klassenpolitik

Thüringen zeigt auch, dass – unabhängig von allen
„zufälligen“ Momenten der Wahl – Klasseninteressen allemal bedeutender sind als
Beteuerungen, undemokratische, rechtspopulistische, rassistische Parteien
„auszugrenzen“. Wenn es um die Sicherung bürgerlicher Macht und vor allem auch
um die Option eines aggressiveren, nationalistischen Kurses zur Wahrung der
Interessen des eigenen Kapitals in der internationalen Konkurrenz geht, will
und wird sich die herrschende Klasse nicht den „Luxus“ einer „Ausgrenzung der
AfD“ leisten. Solche Schritte müssen freilich vorbereitet werden – und dazu
kann eine regionalpolitische Entscheidung, bei der für alle unappetitlichen
Tabubrüche im Zweifelsfall die LandespolitikerInnen verantwortlich gemacht
werden können, den Boden bereiten.

Diese Schlussfolgerung sollten sich auch alle jene zu eigen
machen, die hofften und hoffen, die AfD im Gleichschritt mit den bürgerlichen
Parteien zu „stoppen“. Dies trifft bei aller Empörung über die Manöver von FDP
und CDU auch auf die SPD, Grünen und Linkspartei in Thüringen zu. Die Grünen
werfen der FDP vor, sich von FaschistInnen wählen zu lassen – ein Akt, der
jedoch im Gegensatz zu den Vorstellungen dieser bürgerlichen DemokratInnen
leider nicht einzigartig in der deutschen Geschichte ist.

Die SPD verspricht, dass sie mit Kemmerich nicht kooperieren
wolle. Diese „Härte“ fällt ihr freilich leicht. Ausnahmsweise muss sie ihre
„Prinzipien“ nicht über Bord werfen, denn sie wird im Thüringer
Kabinettsschacher ohnedies nicht gebraucht. Nach dem Rechtsruck im Landtag
müsste sie eigentlich die Große Koalition auf Bundesebene aufkündigen – doch so
treu will die Sozialdemokratie zu ihren angeblichen Prinzipien wieder auch
nicht stehen. Stattdessen wird sich die SPD wohl auf Allerweltsfloskeln
beschränken wie etwa Kevin Kühnert, der in einer ersten Stellungnahme erklärte,
dass „Wachsamkeit … das Gebot der Stunde“ sei.

Schließlich muss sich aber auch die Linkspartei fragen,
wohin sie ihr Hofieren der Thüringer CDU, die Spekulationen und
Hinterzimmergespräche mit Gauck über eine „Projektregierung“, also eine Duldung
von Rot-Rot-Grün durch die CDU, gebracht haben. Selbst das zahme rot-rot-grüne
„Projekt“ wollten CDU und FDP nicht länger erdulden – es zweigt sich einmal
mehr, dass diese parlamentarischen Kombinationen kein Schutz vor dem Rechtsruck
und dem weiteren Aufstieg der AfD darstellen. Der 5. Februar legte nicht nur
die Leere der „Abgrenzung“ von CDU und FDP gegenüber der AfD offen, sondern
auch die Leere der – auch von der Linkspartei geteilten – „Einheit der
DemokratInnen“, von offen bürgerlichen Kräften, und der, wenn auch
verbürgerlichten, ArbeiterInnenbewegung.

Dass die Thüringer Vorsitzende der Linkspartei,
Hennig-Wellsow, Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße wirft, drückt
schließlich nicht nur berechtigen Zorn, Wut, ja Abscheu aus – es verdeutlicht
auch ungewollt das illusorische Vertrauen, das die Linkspartei in CDU und FDP,
also in die Parteien des Kapitals, hegt(e).

Auch Parteichef Riexinger beklagt diesen „bitteren Tag für
die Demokratie“ – als ob diese erst gar keine Herrschaftsform des Kapitals
wäre. In Wirklichkeit zeigt der Urnengang eben auch, dass „die Demokratie“
keine über den Klassen schwebende politische Institution darstellt, dass die
„demokratischen Parteien“ der Bourgeoisie eben auch zur Kooperation mit den
wenig demokratischen, rechtspopulistischen politischen Parteien bereit sind.

Die AfD, Rechtspopulismus, Rechtsruck und erst recht der
Faschismus werden durch die gemeinsame „Ausgrenzung“ dieser Parteien weder in
den Parlamenten noch in der Gesellschaft gestoppt werden können. Im Gegenteil.
Die „Ausgrenzung“ durch CDU und FDP hat sich als Chimäre, als Illusion
erwiesen. Der Kampf gegen rechts – diese Lehre verdeutlicht das Thüringer
Ergebnis einmal mehr – kann letztlich nur als Teil des Klassenkampfes, gegen
Rassismus, Faschismus, Ausbeutung und Unterdrückung geführt werden. Einheit
also nicht „der DemokratInnen“, sondern der sozialen und ArbeiterInnenbewegung
mit eigenen Zielen und Forderungen gegen den Rechtspopulismus als eine, wenn
auch aggressivere Spielart bürgerlicher Politik.




Thüringen nach der Wahl: Was nun Linkspartei?

Tobi Hansen, Neue Internationale 242, November 2019

Thüringen bildete den Abschluss der ostdeutschen
Landtagswahlen. Wenn auch in der Tendenz – Wachstum der AfD, Bestätigung der
Partei des Ministerpräsidenten als stärkster Kraft – ähnlich, entscheidet sich
das Ergebnis doch in einem wesentlichen Punkt. Während in den Landtagen von
Brandenburg und Sachsen die „Parteien der Mitte“ (noch) über eine absolute
Mehrheit verfügen, stellen in Thüringen Union, SPD, Grüne und FDP gemeinsam
weniger als die Hälfte der Abgeordneten.

Die beiden stimmenstärksten Parteien und Siegerinnen der
Wahlen vom 27. Oktober, Linkspartei und AfD, vereinen mehr als die Hälfte der
ParlamentarierInnen auf sich. Die bürgerliche „Mitte“ reagiert „geschockt“ und
verstört. In der „Mitte“, zwischen den beiden „Extremen“ AfD und Linkspartei,
ließe sich keine Regierung bilden.

Der Schock sitzt tief – diesmal vor allem bei der CDU. Dass
SPD und Grüne verloren, überrascht nach den Umfragen der letzten Wochen nicht
wirklich. Allein die Linkspartei vermochte diesmal die „Arbeit der
rot-rot-grünen Landesregierung“ und den Ministerpräsidentenbonus für sich zu
verbuchen, so dass sie an Stimmen und Abgeordneten sogar weiter zulegen konnte,
während ihre Koalitionspartnerinnen verloren. Sie erzielte 31 % (plus
2,8 %) und damit 29 Sitze im Landtag.

Die FDP schaffte mit 5 % knapp den Einzug in den
Landtag, was mit dazu beitrug, dass Rot-Rot-Grün über keine Mehrheit im Landtag
verfügt. Die Liberalen feierten diesen „Sieg“, als hätten sie ein politisches
Wunder vollbracht – ein Zeichen dafür, wie gering mancherorts die politischen
Erwartungen geworden sind.

Dramatisch sind die Ergebnisse der Parteien der Großen
Koalition. Die CDU verlor 11,7 % und sackte hinter Linkspartei und AfD mit
21,8 % auf Platz 3 ab. Die SPD fuhr eine weitere Schlappe ein und erreicht
gerade 8,2 %, ein Minus von 4,2% gegenüber dem letzten Urnengang.

Die Berliner Regierungsparteien kommen so auf 30 %, das
schlechteste Ergebnis der ehemaligen „Volksparteien“. Auch die Grünen schafften
nur 5,2 %.

Die AfD beendete die ostdeutschen Landtagswahlen
erwartungsgemäß. Wie in Brandenburg gelang es ihr, vor der CDU zu landen und
mit 23,4 % sich klar über der 20 %-Marke zu etablieren. Auch wenn für
Spitzenkandidat Höcke selbst die bürgerlichen Medien keinen Nazi-Vergleich
scheuten, gab sich dieser nach den Wahlen biedermännisch-brav und offen für
„bürgerliche“ Koalitionen mit der CDU. Im Wahlkampf vermied er weder Hinweise
auf Machtergreifung noch NS-Rhetorik, nach der Wahl gibt Höcke eher den „Wolf
im Schafspelz“.

Katastrophe für die Union

Bis 2014 regierte die CDU in Thüringen meist alleine,
manchmal in Koalition. Als Rot-Rot-Grün siegte, beschwor die Union den
Wiedereinzug von SED und Staatssicherheit in die Erfurter Staatskanzlei. Der
aktuelle CDU-Spitzenmann, Mohring, unterstützt auch die damalige rechten
„Fackelmärsche“.

Nach der Wahl und vor allem nach einer relativ
störungsfreien Regierung unter Bodo Ramelow in Thüringen, die nicht den
Verfassungsschutz abschaffte, sondern diesem neue Stellen zusicherte, ruderte
Mohring zurück. Für ihn scheint jetzt auch eine Zusammenarbeit mit der
Linkspartei denkbar, wenn auch nicht für seine Bundespartei. Dass gleichzeitig
der CDU-Fraktionsvize Heym eine Koalition mit AfD und FDP ins Spiel bringt, die
ebenfalls über eine Mehrheit im Landtag verfügen würde, verdeutlicht die tiefe
Krise der Union, die vor allem in den ostdeutschen Ländern von der AfD als
führende bürgerliche Kraft massiv herausgefordert wird. Während Mohring ganz
den Landespolitiker gibt, nach dem Motto: „Was hat Berlin uns schon gebracht?“,
z. B. beim Wahlkampf, beharrt der Bundesvorstand auf den geltenden
Beschlüssen, nämlich dass es weder mit der Linkspartei noch mit der AfD
Koalitionen geben dürfe.

Bundesvize Klöckner sieht gleich die CDU in der
Bedeutungslosigkeit versinken, sollten diese „Tabus“ gebrochen werden, wie auch
Carsten Linnemann die „Beliebigkeit“ verhindern will. Auch hier wird der
nahende Untergang befürchtet, zumindest das „Ende als Volkspartei“.

Während die Äußerungen führender VertreterInnen der
Linkspartei befürchten lassen, dass diese derzeit wahrscheinlich sogar
opportunistisch genug wäre, um mit der Union zu koalieren, zeigt die
aufkommende Debatte die unsichere Führungslage in der herrschenden bürgerlichen
Partei offen auf. Parteichefin und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer
ist umstritten, ihre mögliche KanzlerInnenkandidatur wird ständig angezweifelt,
wie auch die mögliche Urwahl des/r KandidatIn ihre Rolle schwächt. Der
gescheiterte Kandidat Merz holte via Springer-Presse vor allem gegen Kanzlerin
Merkel aus. Diese führe zu wenig, die Große Koalition ruiniere das Land und er
könne sich schwer vorstellen, dass das noch 2 Jahre so weitergehen könne.
Sicher kennt er jemanden, der besser KanzlerIn kann, auch wenn ihm inzwischen
mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet ein wichtiger
Konkurrent erwächst. Dies zeigt, dass der Fortbestand der „Großen Koalition“
eben nicht allein von der Entscheidung der SPD im Dezember abhängt, sondern
dass auch in der Union weitere Krisen und Brüche zu erwarten sind.

Dabei wird die Frage einer Koalition mit der AfD nur solange
ein Tabu bleiben, wie die Europastrategie des deutschen Kapitals und ihrer
wichtigsten Partei, der CDU/CSU, auf die Formierung der EU zu einem
imperialistischen Block zielt, der weltmachtfähig ist. Je mehr dieses Ziel
jedoch in die Ferne rückt, je mehr die EU und damit Deutschland hinter ihren
RivalInnen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zurückfallen, desto mehr
werden Teile des deutschen Kapitals auf eine aggressiv-nationalistische Lösung,
auf eine Alternative zur EU-Strategie drängen. Dann könnte die Stunde einer
Koalition mit der AfD als extrem nationalistischer, rechtspopulistischer Kraft
schlagen.

Die AfD hat in Thüringen nicht nur ihre Wahlerfolge
konsolidiert. Zweifellos verschoben sich die Kräfteverhältnisse in der Partei
auch weiter nach rechts, zugunsten des Flügels um ihren Spitzenkandidaten Höcke
und den „Flügel“, das lose Netzwerk extrem nationalistischer, völkischer bis
faschistischer Kräfte in der Partei. Am Parteitag in Braunschweig Ende
November/Anfang Dezember ist eine weitere Stärkung dieser, von AfD-Fraktions-
und Parteivorsitzendem Gauland politisch gedeckter Kräfte zu erwarten. Die
Frage ist zur Zeit nicht, ob der „Flügel“ stärker wird, sondern nur wie viel
und in welcher Form.

Letzter Ausweg Regierungsauftrag?

Für die Linkspartei dient ihr Spitzenergebnis gleich für
mehrere Unterfangen. Erstmal sonnt sich die aktuelle Spitze im Ergebnis „ihres“
Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Ramelow. Damit wäre der Beweis für
die Regierungstauglichkeit der Partei auch praktisch erbracht. Sie leitet davon
gemäß den parlamentarischen Gepflogenheiten auch den Anspruch aufs
Weiterregieren ab. Gegen die verlogene Rhetorik der „geschrumpften Mitte“ setzt
die Linkspartei auch ihr Wahlergebnis ein. Sie will anhand ihrer
Regierungspolitik der letzten fünf Jahre – nicht ganz zu Unrecht – auch als
Teil der „Mitte der Gesellschaft“ anerkannt werden. Sie reklamiert für sich,
dass sie stärkste Kraft der „Demokratie“ wäre, die mit allen „DemokratInnen“ –
also allen außer der AfD – über Regierung, Koalition und Duldung sprechen will.

Wir wollen hier keine Kaffeesatzleserei betreiben. Aber die
Tatsache, dass sich die Linkspartei auch „offen“ für ein Bündnis, eine
Kooperation, eine Tolerierung mit und durch die CDU gibt, lässt Schlimmes
befürchten. Zwar hat Fraktionschef Bartsch erklärt, dass es entscheidende
Unterschiede zur Union gebe. Aber „Lösungen“ müssten auf Landesebene gefunden
werden – und dafür müsse die Linkspartei vor Ort „freie“ Hand haben.
Schließlich funktioniere eine Zusammenarbeit mit der CDU ohnedies schon lange
auf kommunaler Ebene.

Während die Diskussion darüber die CDU in eine tiefe Krise
stürzt, freut sich die Linkspartei als stärkste Kraft darüber, dass alle mit
ihr reden müssen, dass eine Koalition gegen die Partei kaum möglich ist. Dass
die CDU mit der Linkspartei sprechen wird, verbucht sie als „Erfolg“.

Hinsichtlich der vergangenen Legislaturperiode von 2014–2019
rühmt sich die Linkspartei, viele sozialpolitische Themen umgesetzt bzw. auf
den Weg gebracht zu haben. Sie habe versucht, eine Abkehr von der neoliberalen
Verwaltungspolitik auf Länderebene durchzusetzen. Dummerweise  war sie aber auch an die Durchführung
der übergeordneten Bundesgesetze gebunden, so dass der große Bruch mit der
restriktiven Budgetpolitik bislang ausblieb. Ein wie auch immer geartetes
Bündnis oder die Zusammenarbeit mit der Union würde auch die letzte Hoffnung
auf dieses Unterfangen begraben, vor allem bei einer Koalition zwischen den
beiden Parteien.

Eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, Weiterführung der
alten Koalition, die von Union und/oder FDP toleriert würde, wäre praktisch
gelähmt. Selbst noch so geringfügige soziale Vorhaben könnten einfach blockiert
werden.

Der einzige Ausweg, dass sich eine Linkspartei geführte
Minderheitsregierung nicht auf Gedeih und Verderb an CDU, FDP oder auch die
Grünen bindet, bestünde darin, dass sie mit ihrer Parlamentsfixiertheit bricht,
auch wenn ein „Landesvater“ Bodo Ramelow als auf der Straße  kämpfender Ministerpräsident schwer
vorstellbar wäre. In jedem Fall müsste sich eine solche Minderheitsregierung,
die ohne Koalitionen mit offen bürgerlichen Parteien auskommen will, auf die
Mobilisierung der WählerInnen und AnhängerInnen der Partei stützen, vor allem
auf die sozialen Bewegungen wie Fridays for Future, auf antirassistische und
antifaschistische Kräfte und auf die Gewerkschaften. Immerhin haben lt. einer
Umfrage des DGB überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder
(36,5 %) Linkspartei gewählt, ein Zeichen dafür, dass die organisierte
ArbeiterInnenklasse von dieser Wahl durchaus reale Verbesserungen erwartet.

In jedem Fall würde eine solche Politik einen Bruch mit der
bisherigen Strategie und Programmatik der Linkspartei erfordern. Eine
Minderheitsregierung der Linkspartei wäre zwar selbst noch im Falle einer
Alleinregierung dieser Partei eine bürgerliche Regierung – aber die
Mobilisierung um konkrete Forderungen auf der Straße und in den Betrieben könnte
eine neue, fortschrittliche Dynamik in die Situation bringen.

Zweifellos ist diese Variante angesichts der Ausrichtung der
Linkspartei extrem unwahrscheinlich. Eine solche Politik hätte aber enorme
Vorteile, auch für den Fall, dass Ramelow und seine Partei von einer
parlamentarischen Mehrheit gestürzt würden. Für diese wäre es überaus
schwierig, selbst eine Regierung zu bilden. Genau diese instabile Situation,
die der Linkspartei als größtes aller Übel erscheint, könnte durch eine massive
Mobilisierung auf der Straße und in den Betrieben zu einer Chance werden,
Gegenmachtstrukturen aufzubauen, die anderen Parteien durch die
ArbeiterInnenklasse herauszufordern.

Wie gegen rechts?

Für die Linkspartei und ihre Führung ist es jedoch
bezeichnend, dass sich ihre Vorstellungen einzig auf das Feld parlamentarischer
Kombinationen beschränken.

In den „liberalen“ bürgerlichen Medien wie SPIEGEL,
Süddeutsche Zeitung oder Die Zeit wird die CDU ziemlich direkt aufgefordert,
ihre Hemmnisse gegenüber der Linkspartei abzulegen und irgendwie den
Ministerpräsidenten Ramelow zu halten. Anders die konservativen Medien wie die
Springer-Presse, die die „Radikalen“ als WahlsiegerInnen sehen, quasi Thüringen
verloren zwischen SozialistInnen und Nazis. Auch die berüchtigten „Weimarer
Verhältnisse“ werden bemüht. Eine Koalition mit den Linken wird als „Tabubruch“
betrachtet. Den liberalen Medien geht es praktisch um stabile Verhältnisse,
notfalls auch mit der Linkspartei. Schließlich weisen sie zu Recht darauf hin,
dass die Linkspartei längst nicht so „extrem“ ist, wie von FDP und CDU
beschworen, und fest auf dem Boden der bürgerlich-demokratischen Verhältnisse,
von Parlamentarismus und „sozialer“ Marktwirtschaft steht. Als eigentliche
Gefahr und die einzigen „ExtremistInnen“ gelten ihr – nicht so viel anders als
der Linkspartei und der gesamten demokratischen Öffentlichkeit – die Bösewichte
von der AfD.

Im Kampf gegen rechts stellt die Bindung an bürgerliche Parteien für die ArbeiterInnenklasse ein strategisches Hindernis dar. Ohne eine politische Anerkennung der bürgerlichen Ordnung, des Privateigentums sind solche Bündnisse und erst recht Regierungskoalitionen oder Duldungen nie zu haben. D. h. sie kommen praktisch einer offenen Unterordnung unter die Interessen der herrschenden Klasse gleich. Auch wenn das „Bündnis der Demokratie“ in Regierungsform auf den ersten Blick als eine Stärkung im Kampf gegen die AfD und ihre faschistischen Verbündeten erscheint, weil es noch mehr gesellschaftliche Kräfte und Klassen umfasst, so stellt es in Wirklichkeit eine Schwächung des Kampfes dar. Stärkung träte nur ein, wenn die Kräfte eines solchen Bündnisses in eine Richtung ziehen würden. Im besten Fall ziehen aber ArbeiterInnenklasse und Kapital in entgegengesetzte Richtungen, paralysieren sich also und entfalten daher keine Kraft im Kampf gegen rechts. Im schlimmsten Fall – und so läuft es bei Koalitionsregierungen von offen bürgerlichen und reformistischen Parteien immer – ordnen sich die VertreterInnen der Linken den bürgerlichen unter, stärken also nur deren gesellschaftliche Position und schwächen damit die ArbeiterInnenklasse. Dass 22 % der Gewerkschaftsmitglieder in Thüringen AfD gewählt haben, verdeutlicht das Problem und die Gefahr, dass sich noch mehr Lohnabhängigen dem Rechtspopulismus zuwenden, wenn Linkspartei, SPD und Gewerkschaften auch noch gemeinsame Sache mit CDU und/oder FPD machen.

Das wird in Krisensituation, bei scharfen sozialen
Konflikten, drohenden Massenentlassungen besonders fatal.
Völkisch-nationalistische und populistische Kräfte wie die AfD können sich umso
besser als VertreterInnen „des Volkes“ gegen die „demokratische“ Elite
inszenieren, womöglich garniert mit Rassismus, Antisemitismus und demagogischem
Anti-Kapitalismus.

Daher gilt es, an die Linkspartei in Thüringen die Forderung zu stellen: Keine Koalition mit CDU, FDP und Grünen! Schluss mit der Parlamentsfixiertheit! Mobilisierung für die Forderungen von Fridays for Future, für die sozialen Versprechungen der Partei wie kostenlose Kita-Plätze, für Mindestlohn, gegen rassistische und faschistische Aufmärsche, für den Stopp aller Abschiebungen!

Dieser Forderungen sollten Anti-KapitalistInnen in Thüringen
an die Linkspartei (wie auch an die Gewerkschaften und die Restbestände der
SPD) richten. Zugleich gilt aber auch für dieses Land: Der Reformismus – ob nun
mit Ramelow als Ministerpräsident, ob in der Opposition – selbst vermag keine
überzeugende, tragfähige Antwort auf die aktuelle politische Krise zu geben.
Die verschärfte gesellschaftliche Konfliktlage, die das Wahlergebnis auch zum
Ausdruck bringt, will er umschiffen, sich ihr zu stellen vermag er nicht. Dazu
bedarf es einer politischen Neuformierung, einer neuen revolutionären
ArbeiterInnenpartei.




CDU-Politiker Lübcke erschossen – FaschistInnen morden, der Staat schaut zu

Tobi Hansen, Infomail 1060, 2. Juli 2019

Der Mord an
Walter Lübcke, dem CDU-Regierungspräsidenten von Kassel, im Juni schlägt
derzeit hohe Wellen. Selbst CSU-Innenminister Seehofer spricht von einer
„wachsenden“ Gefahr durch den Rechtsextremismus. Sogar in der Union finden kritische
Diskussionen statt, vor allem über die Rolle ehemaliger Parteimitglieder.

Als
Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel (Nordhessen) hatte sich Lübcke
dem rechten Mob in den Bürgerinformationsveranstaltungen 2015 entgegengestellt
und diesen empfohlen, doch Deutschland zu verlassen, wenn sie die
Flüchtlingspolitik von Merkel nicht teilen würden.

Der
Videomitschnitt von der Versammlung wurde massiv zur rassistischen Hetze genutzt,
auch von der damaligen Menschenrechtsbeauftragten und Mitglied der hessischen
CDU, Steinbach. Sicherlich setzte Lübcke auch jegliche Abschiebepolitik sowie
den staatlichen Rassismus als Technokrat um, doch beschwor dieser 2015 noch die
Werte des Humanismus bei der Aufnahme der Geflüchteten, vertrat die
„Willkommenskultur“, trat deutlich gegen FaschistInnen auf und zog sich so
deren Hass zu.

Dass dies in der
Union mit dem Aufstieg der AfD und deren Neuausrichtung als
rassistisch-nationalistische „Alternative“ zu den Konservativen tiefe Risse
erzeugt hat, beweist nicht nur Steinbachs Hetze via „soziale Medien“, sondern
auch ein aktuelles Zitat aus der Bundestagsfraktion der AfD:

„Der Massenzustrom nach der illegalen
Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen ist notwendiges
Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte“. (MdB Martin
Hohmann aus Fulda, zitiert nach „quer“, https://www.facebook.com/103687920727/posts/10155964850485728/)

Dass Hohmann 2003
als CDU-Abgeordneter bei der Holocaust-Gedenkveranstaltung des Bundestages die
„jüdisch-bolschewistische“ Weltverschwörung neu auftischte, läutete damals das
Ende seiner CDU-Karriere ein. Heute rechtfertigt er den politischen Mord am
ehemaligen Parteikollegen. Dass er als Folge der „illegalen“ Grenzöffnung
relativiert und legitimiert wird, offenbart auch das Rechtsverständnis der AfD,
die damit faschistischem Terror Tür und Tor öffnet.

Natürlich enthält
die aktuelle Diskussion und Aufregung auch einen irrealen Eindruck – schließlich
findet „politischer Mord“ andauernd statt. So fand und findet die große
Mehrzahl der über 200 Toten, die seit 1990 dem „Rechtsextremismus“ zugerechnet
werden, längst nicht die Aufmerksamkeit wie Lübcke. Erst recht trifft das auf
die Opfer imperialistischer Politik, darunter die Toten im Mittelmeer, an den
„Grenzen“ oder im Bürgerkrieg im Jemen zu.

Tathergang und
Verbindungen zu Combat 18

Trotzdem sollte
niemand unterschätzen, dass die Hinrichtung eines hochrangigen regionalen Regierungsbeamten
und Technokraten nach dem Volksfest zu Wolfhagen-Istha durch einen
faschistischen Täter das Ausmaß des „Rechtsrucks“ der letzten Jahre wie auch
die Militarisierung der faschistischen Szene verdeutlicht. Zwischen Bundeswehr,
Polizei, verschiedenen „Diensten“ und der militanten Nazi-Szene gab es immer
Verbindungen. Netzwerke dieser Kameraden durchziehen die Geschichte der BRD.
Jetzt setzt die Gruppierung „Combat 18“ die Liste der Wehrsportgruppen, der NSU
und der ReichsbürgerInnen fort. NRW-Innenminister Herbert Reul (derjenige, der
den toten Journalisten im Hambacher Forst mit auf dem Gewissen hat) bestätigt
die „Echtheit“ einer Videosequenz von „Combat 18“. Die Gruppierung gilt wie der
NSU als Teil des „Blood and Honour“-Netzwerks in Europa, welches nach US-Vorbild
eine militante faschistische Struktur aufbaut. Bei verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüssen
wurde bekannt, dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes dafür hauptverantwortlich
tätig war/ist.

Nach dem
Geständnis von Stephan E. wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob
hinter dem Mordanschlag eine terroristische Organisierung oder ein „verwirrter“
Einzeltäter stünde. Diese Fragestellung verbleibt jedoch an der Oberfläche und
lenkt von den eigentlichen Verhältnissen ab. Wie auch der Kassler linken Szene schon
lange bekannt, war Stephan E. jahrzehntelang in der neofaschistischen Szene
organisiert und führend tätig. Zusammen mit Kamerad Mike S., der weiter
unbehelligt von den Behörden agiert, baute er JN- und NPD-Gruppen auf Grundlage
des Konzepts der „freie Szene/Kräfte“ auf. Gewalt gegenüber Linken, persönliche
Bedrohungen, Körperverletzung – seine Akte beim Verfassungsschutz war
umfangreich, bis sie geschreddert wurde. Es ist daher nicht entscheidend, wo der
Täter bei seiner Tat „organisiert“ war und ob eine Entscheidung von „Combat 18“
den Mord herbeigeführt hat. Wichtig ist, dass es eine bewaffnete faschistische
Szene gibt, die von den inneren Diensten im Vergleich mit Linksextremismus und
Islamismus allenfalls nachlässig beobachtet, wenn nicht von Teilen geradezu
gefördert wurde. Diese Gruppierungen sind offenkundig in der Lage, Attentate
durchzuführen, und planen diese auch. Sie „verwirrten EinzeltäterInnen“
zuzuschreiben, verharmlost die Sache nur.

Stephan E. hat seinem
Opfer auf der Hausterrasse aufgelauert und dann mit Pistole am Kopf
„hingerichtet“. Tagelang wurde nichts getan, dann eingestanden, dass die
Spurensicherung wohl geschlampt hätte. Schließlich wurde öffentlich, dass es seit
2015 viele Morddrohungen gegen Lübcke gab und wo möglicherweise der Täter zu
finden ist.

Alle
gerechtfertigten Forderungen nach Aufklärung etc. treffen bereits auf die
Realität des hessischen Landeskriminalamts. Dabei hatte schon im Fall der
Anwältin Seda Basay-Yildiz „bewiesen“, dass dort faschistische Netzwerke
organisiert sind. Erst vor kurzem drangen neue Drohungen an die Öffentlichkeit.
Es ist äußerst zweifelhaft, wie die „Aufklärung“ durch das LKA funktionieren
soll.

Die CDU Hessen,
die lange Zeit den „Spitznamen Stahlhelm“ innehatte, rühmte sich unter ihrem
langjährigen Vorsitzenden Dregger (wie später auch unter Koch), dass sie klar
national-konservativ verortbar sei – auch das gehört zu den hessischen
Besonderheiten.

Als sich der
ehemalige Kandidat für den CDU-Vorsitz Merz neulich um die Gewaltorgane des deutschen
Staates Sorgen machte, dass die Union diese an die AfD verlieren würde, hätte
man vielleicht auch diskutieren sollen, wie viel „Combat 18“ eigentlich schon
im hessischen LKA steckt und was dieses so umtreibt.

Kein Vertrauen
in den Staat! – Selbstschutz organisieren!

Ein gutes
Zeichen war eine Demonstration von über 2.000 Menschen in Kassel gegen rechte
Gewalt. Dass die örtliche CDU dieser Demo fernblieb, ist nicht überraschend. Sie
will nicht mit „der Antifa“ auf die Straße gehen, obwohl wahrscheinlich die
Positionen der realen Kassler „Antifa“ gar nicht so weit mit jenen der
Konservativen auseinander liegen, z. B. was Rüstungsexporte nach Israel
angeht. Nein, die CDU wollte eben nicht mit Linkspartei, SPD und Gewerkschaften
auf die Straße gehen, schließlich wähnt man sich politisch im anderen „Lager“.
Dem wollen wir nicht widersprechen.

Wichtiger als
diese Frage ist, was für die Kassler Linke und organisierte ArbeiterInnenschaft
der Region daraus folgt?

Wenn es gelingt,
gemeinsame Bündnisstrukturen aufzubauen, die Informationen (Personen, Gruppen,
Treffpunkte sind bekannt) und Aktion verbinden, wäre dies ein wichtiger Schritt
gegen Rechtsruck und faschistische Gewalt. Dies wäre eine wichtige
antifaschistische Aufgabe im Gegensatz zu Verleumdungen, wie sie von Gruppen
der dortigen „antideutschen“ Antifa nur zu gerne verbreitet werden
(einschließlich gewalttätiger Drohungen gegen InternationalistInnen).

Der Fall Lübcke
zeigt auf, dass es den FaschistInnen möglich ist, RepräsentantInnen des Staates
zu erschießen. Dann sollte der antifaschistischen Linken und der
ArbeiterInnenbewegung auch klar sein, dass dies auch gegenüber uns möglich ist.
Die BewohnerInnen Kassels, die MigrantInnen, die relativ große
IndustriearbeiterInnenschaft, die Studierenden und SchülerInnen können sich
gegen faschistische MörderInnen wehren, dafür sorgen, dass diese „ihre“
Treffpunkte und „Szeneorte“ verlieren, wenn sie gemeinsam aktiv werden.

Angesicht des
Mordes an Lübcke geben sich jetzt auch bürgerliche PolitikerInnen umtriebig.

Da scheint sogar
ein Verbot von „Combat 18“ möglich zu sein. Doch das sollte niemanden
beruhigen. Erstens mag dies auch dazu dienen, die Spuren der eigenen V-Leute zu
verwischen, die den Laden womöglich selbst (mit)aufgebaut haben. Daher sollte  die Offenlegung aller Akten, aller
Aktivitäten von V-Leuten gefordert werden, so dass sie nicht wie beim NSU auf
120 Jahre weggeschlossen sind. Für den Mordfall sollten z. B. folgende
Forderungen erhoben werden:

  • Veröffentlichung aller noch vorhandene Akten zu faschistischen Kreisen in Nordhessen!
  • Rückzug aller V-Leute aus der faschistischen Szene! Stopp jeder Quersubventionierung von Nazis durch den Verfassungsschutz!
  • Auflösung aller inneren Dienste, ihrer Unterabteilungen – Offenlegung von deren Aktivitäten, einschließlich ihre Verbindungen zu Nazi-Netzwerken!
  • Öffentliche Untersuchung durch einen Ausschuss aus Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, von MigrantInnen und antifaschistischen Gruppierungen!



CDU-Parteitag: Merkel vorerst gerettet – politische Neuausrichtung weiter umkämpft

Helga Müller, Infomail 1034, 12. Dezember 2018

Der CDU-Parteitag wurde in den Medien als ein historischer Tag hochstilisiert, der über die zukünftige Ausrichtung der Partei entscheiden wird, und gar als Beginn einer neuen Ära gelten könne. Tatsächlich hätte der nicht ganz freiwillige Rückzug der Noch-Kanzlerin Angela Merkel als Parteichefin – eine Reaktion auf den zunehmenden Vertrauensverlust in der Union, in ihre Regierungspolitik und ihre Fähigkeit, die WählerInnen weiterhin an die wichtigste Partei des Großkapitals binden zu können –, eine Richtungsentscheidung bringen können. Aber mit der Wahl der von ihr aus dem Saarland geholten Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (kurz: AKK) als neue Parteichefin ist von einem Neuaufbruch nicht viel übrig geblieben, gilt sie doch als eine der wichtigsten Verbündeten der Kanzlerin. Diese hat es mal wieder durch diesen geschickten Schachzug geschafft, ihre Kanzlerinnenschaft – zumindest einstweilen – zu sichern.

Doch mit dem knappen Sieg vor ihrem Hauptwidersacher, Friedrich Merz vom rechten Flügel der Partei – AKK hatte mit nur 35 Stimmen mehr im zweiten Wahlgang die Wahl für sich entscheiden können –, sind die Probleme, die sich in der CDU seit Jahren aufstauen, nicht gelöst. Merz als Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers einer der größten Fondsgesellschaften der Welt, BlackRock Inc. – selbst in dreckige Steuerhinterziehungsaffären verstrickt –, vertritt sowohl die offen unternehmerfreundlichen als auch die Law-and-Order-Kräfte der CDU. Diese hatten sich auf dem Parteitag erhofft, mit dessen Wahl zum neuen Parteivorsitzenden endlich in die Offensive zu kommen und die CDU-Regierungspolitik in diese Richtung vorantreiben zu können. Dass dieser Flügel nicht zu unterschätzen ist, zeigt auch das Ergebnis des drittenaussichtsreichsten Kandidaten – von Gesundheitsminister Spahn, der ihm ebenfalls angehört – und im ersten Wahlgang immerhin auch noch 19 % der Delegiertenstimmen erhielt. Was sich darin ausdrückt, ist aber nicht nur ein Ringen zweier politischer Richtungen, in der sich das „Weiter so!“ zunächst durchgesetzt hat, sondern auch die Unentschiedenheit der deutschen Bourgeoisie, eher einen direkten und noch stärkeren Angriff auf die Errungenschaften der ArbeiterInnen, Arbeitslosen, RentnerInnen, Frauen und Jugendlichen zu fahren oder doch lieber weiterhin darauf zu setzen, SPD und Gewerkschaftsführung dafür einzusetzen.

Auch wenn sich mit der knappen Wahl von AKK der scheinbar gemäßigtere Flügel in der CDU aufdem Parteitag durchgesetzt hat, ist noch lange nicht entschieden, ob dieser auch auf Dauer bestehen und sich Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode halten kann. Auch wenn AKK – nicht minder geschickt als ihre Vorgängerin – durch die Wahl des neuen Generalsekretärs Paul Ziemiak von der Jungen Union, eines Repräsentanten der jungen Generation und des rechten Flügels der CDU, durchgesetzt hat, ist der Kampf um die „Neu“ausrichtung mit dem Parteitag entbrannt und lässt sich auf Dauer – auch mit geschickten Manövern – nicht mehr verhindern. So war auch der flehende (durchaus auch peinliche) Appell des Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann an Merz nach seiner Abstimmungsniederlage, weiterhin aktiv in der Partei zu bleiben, nicht zu überhören. Auch wenn die Unterschiede zwischen dem gemäßigteren und dem offen unternehmerfreundlichen Flügel der CDU nicht so groß sind, wie es die Pressevermeintlich ausmacht – man denke auch an die Aussagen von AKK zur Flüchtlingspolitik, zur gemischten Ehe oder Abtreibung –, so ist doch Friedrich Merz in der CDU als direkter Vertreter der aggressivsten Interessen des deutschen Kapitals und als jemand, der auch in der Lage ist, diesen Kurs in der CDU ohne „falsche“ Rücksichtnahmen durchzusetzen, bekannt und gesetzt. Nebenbei bemerkt, steht Merz auch dafür, die CDU weiter nach rechts zu verorten, um der AfD Stimmen abzuwerben. Nicht zuletzt für seine reaktionären Äußerungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik steht er bei den ostdeutschen Landesverbänden hochim Kurs. Auch dies wird eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die zukünftige Debatte erhalten. Das knappe Wahlergebnis für AKK und das schlechte Abschneiden Paul Ziemiaks bei der Wahl zum neuen Generalsekretär mit gerade mal 62,8 % sprechen eine deutliche Sprache. Auch wenn letztere nicht nur eine Antwort auf das leicht zu durchschauende Manöver von AKK darstellt, sondern ebenso eine Kritik– vor allem des rechten Flügels – an seiner Bereitschaft, sich so willig als Generalsekretär unter der Führung von AKK zur Verfügung zu stellen.

Welcher Flügel sich letztendlich durchsetzen wird, wird nicht allein in der CDU oder CSU entschieden, sondern auch dadurch, welchen Spielraum die deutsche Bourgeoisie und der deutsche Export-Weltmeister noch haben, sich eine privilegierte Schicht von Facharbeitern in strategisch wichtigen Unternehmen leisten zu können, und welche Zugeständnisse sie den besser gestellten Teilen der ArbeiterInnenschaft, den RentnerInnen, den Arbeitslosen, Frauen und Jugendlichen insgesamt noch machen kann und will. Der Kampf um die Neuausrichtung der Politik des deutschen Kapitals wurde mit dem Parteitag nicht beendet – er wird früher oder später wieder erneut und umso heftiger ausbrechen müssen.




GroKo in der Krise: Merkel geht – und die Regierung?

Tobi Hansen, Neue Internationale 233, November 2018

Überraschungen brachten die Landtagswahlen in Bayern und Hessen keine mehr. Dafür schaffte es Angela Merkel, ihre AnhängerInnen wie GegnerInnen zu verblüffen, indem sie erklärte, im Dezember nicht mehr für den Vorsitz der CDU zu kandieren. Einmal noch riss sie das Heft des Handelns an sich – mit dem absehbaren Ende ihrer eigenen Ära. Selbst wenn die ihr nahestehende Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden gewählt werden sollte, zeichnet sich das Ende der Großen Koalition (GroKo) ab, es sei denn, die SPD mag ihr eigenes Siechtum über die Halbzeit der Legislaturperiode hinaus verlängern. Das Ende der Großen Koalition, von Beginn an eine politische Totgeburt, ist letztlich nur noch eine Frage der Zeit. Ihre Agonie mag aber noch andauern, da sowohl die Unionsparteien wie die SPD nicht recht wissen, ob sie das weitere Wursteln, das weitere Beschwören von „Sacharbeit“ der Koalition mehr fürchten als Neuwahlen.

Wahlergebnisse

Dass die Regierungsparteien massiv abgestraft wurden, konnte niemanden überraschen. Die SPD fuhr gleich zweimal ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis ein, in Bayern einstellig, in Hessen unter 20 %. CDU (-11,3 %) bzw. CSU (-10,5 %) erlitten ebenfalls Rekordverluste.

In beide Landtage zog die AfD zweistellig ein (Bayern 10,1 %, Hessen 13,1 %) und ist damit in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Auch die FDP konnte in beide Parlamente einziehen, profitierte somit auch von den massiven Verlusten der Union. Die Linkspartei konnte in Hessen einen Prozentpunkt hinzugewinnen und schaffte somit den erneuten Einzug in den Landtag, in Bayern scheiterte sie an der 5-Prozent-Hürde.

Die Regierungsbildung in den Ländern wird trotz historischer Verluste für die GroKo-Parteien keine großen Überraschungen bringen. In Bayern werden die „Freien Wähler“, eine CSU-Abspaltung, den Christlich-Sozialen dabei eifrig zur Seite stehen, in Hessen gibt es noch eine knappe schwarz-grüne Mehrheit mit Option auf „Jamaika“, also FDP inklusive.

Außer der Koalitionsarithmetik ist noch entscheidend: Die Grünen profitieren neben der AfD als einzige von der Regierungskrise, die bürgerlichen Medien sprechen schon von der „grünen Volkspartei“.

Der Aufschwung der Grünen

Die Grünen konnten als einzige Oppositionskraft neben der AfD von der Krise profitieren. In Bayern (17,5 %) konnten sie die SPD deutlich überflügeln, in Hessen (19,8 %) gleichziehen. Die Grünen profilieren sich dabei als pragmatische, pro-kapitalistische, ökologische und auch humanitäre Oppositionspartei, teilweise ohne selber viel dazu beizutragen. Dabei präsentieren sie sich als einzig glaubwürdiger Gegenpart zur AfD. Sie profitieren dabei von der Krise der CDU/CSU und SPD gleichermaßen, indem sie all jene ansprechen, die „soziale Marktwirtschaft“ mit ökologischem Umbau, BürgerInnenrechten und sozialer Gerechtigkeit verbinden wollen. Dass sie bundesweit mit allen außer der AfD Koalitionen bilden, wird ihnen nicht als Beliebigkeit, sondern als „Flexibilität“ anrechnet.

Diese Mannigfaltigkeiten des bürgerlichen Charakters der Grünen in der Regierungsbildung wie auch der vorherrschende „Realo-Pragmatismus“ ermöglichen ihnen, wie einst der FDP, eine Rolle als „Scharnier“ zwischen den vermeintlich größeren Parteien zu spielen.

Anders als die FDP können sich die Grünen jedoch auch als führende Kraft von Bewegungen darstellen – am besten immer noch in der Ökologie-Bewegung, aber auch bei der „Seebrücke“ und #unteilbar waren die Grünen führend mit dabei und stellen auf dieser Ebene auch die Linkspartei in den Schatten.

Merkels Rücktritt auf Raten

Nach 18 Jahren Parteivorsitz wird Angela Merkel beim Bundesparteitag im Dezember nicht mehr antreten. Auch wenn sie noch bis 2021 Kanzlerin bleiben will und die CDU weiter diese Absicht proklamiert, so geht ihre Regierungszeit klar dem Ende entgegen. In den Unionsparteien wird es in den nächsten Monaten zu einer offenen Auseinandersetzung um den zukünftigen politischen Kurs kommen. Seehofers Rücktritt vom Parteivorsitz ist auch nur noch eine Frage der Zeit.

Bei der Neuwahl des/der CDU-Vorsitzenden geht es jedoch um eine Richtungsentscheidung. Bislang treten drei seriöse BewerberInnen an – CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Spahn, der einstige Merkelgegner Merz. Eine mehr oder minder offene Konfrontation über die Politik der bürgerlichen Führungspartei ist daher unvermeidlich. Zweifellos wird sie sich bemühen, diese in Grenzen zu halten, die „Einheit“ beschwören wollen – aber zugleich müssen sich die drei notwendigerweise auch politisch-inhaltlich präsentieren. Vor allem aber bringen sie wirkliche strategische Differenzen im bürgerlichen Lager wie auch dessen eigene Fragmentierung zum Ausdruck.

Diese bilden den Hintergrund für die politische Krise der Union. Außer als „KanzlerInnenwahlverein“ (wie zu Kohls Zeiten!) steht die Union derzeit noch für den Status quo der EU, teilweise für die Sozialpartnerschaft, für weiteres militärisches Engagement – aber strategisch hat Kanzlerin Merkel eben derzeit keine Perspektive. Die Union ist wie die herrschende Klasse selbst uneins über den weiteren grundsätzlichen Kurs. Soll sie einen weiteren Anlauf zur „Vertiefung“ der EU, also zur Neuordnung Europas unter deutscher (und französischer?) Führung nehmen? Oder bedarf es einer anderen Strategie, der Ausrichtung auf ein „Kerneuropa“ oder gar ein Einstellen auf ein Scheitern der EU? Soll der deutsche Imperialismus (als Führungsmacht der EU) zu einem eigenständigen Player im Kampf um die Neuaufteilung der Welt werden oder sich – womöglich in Nachfolge Britanniens – um die Rolle als engster Verbündeter der USA bemühen? Soll die EU dem aggressiven US-Imperialismus folgen, als „Juniorpartnerin“ fungieren oder wie beim letzten „Syrien-Gipfel“ gemeinsam mit Russland, Frankreich und der Türkei eigenständige Geopolitik im Nahen und Mittleren Osten betreiben?

Weichenstellungen

Auch in der Innenpolitik stehen neue Weichenstellungen an. Soll die Christenunion die nächste „Agendapolitik“ auflegen, die nächste Privatisierungswelle starten? Welche aktuellen Ziele des deutschen Imperialismus stehen für sie ganz oben auf der Agenda? Die Antwort bestand zuletzt in dem klassisch-konservativen „Weiter so“.

Diese „Haltung“ war bis zu einem gewissen Grad erfolgreich. Doch die jüngsten Zuspitzungen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt offenbarten die fehlende strategische Orientierung und die inneren Differenzen des deutschen Imperialismus.

In der Hinsicht steht die Kandidatin Kramp-Karrenbauer am ehesten für eine Fortsetzung der Merkel’schen Politik. Ihre Wahl würde eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD zumindest für das Jahr 2019 wahrscheinlicher machen. Friedrich Merz und Jens Spahn stehen für einen deutlich offeneren neo-liberalen, transatlantischen, wert-konservativen und wohl auch rassistischeren Kurs. Beide würden für das neoliberal-konservative Spektrum antreten und die Partei nach rechts rücken wollen.

Dabei wäre ein Parteivorsitzender Spahn sicherlich derjenige, der es auf einen Bruch mit der SPD ankommen ließe – und umgekehrt auch der SPD leichter einen Vorwand zur „nachvollziehbaren“ Aufkündigung der Koalition liefern könnte. Schließlich würde er wahrscheinlich den deutschen Imperialismus stärker an den USA ausrichten. Schon in der Vergangenheit unterhielt er Beziehungen zu US-Sicherheitsberater Bolton. Andererseits würde eine Wahl Spahns ziemlich sicher auf Neuwahlen hinauslaufen, da er – anders als Kramp-Karrenbauer – nur schwerlich eine Regierung unter Einbeziehung der Grünen formieren könnte.

Die SPD

Während die Unionsparteien um eine mögliche politische Neuausrichtung ringen, versucht die SPD nur noch, irgendwie die totale Katastrophe zu vermeiden. Dass die Arbeit in der Bundesregierung der SPD bei nichts helfen würde, war sogar relativ vielen Delegierten Anfang des Jahres klar, als um die 45 % gegen die Aufnahme der Verhandlungen mit der Union stimmten. Tausende wurden sogar im Zuge der #nogroko-Kampagne Mitglied, um dann mit knapp 33 % (ca. 120.000) gegen den ausgehandelten Koalitionsvertrag zu stimmen.

Seitdem hat die SPD den rassistischen Innenminister Seehofer täglich gedeckt, hat bei der Koalitionskrise zur „Migration/EU“ keine eigene Position gehabt, außer dass sie am Ende jedem Unionskompromiss zustimmte. Ähnlich verhielt sie sich in der „Causa Maaßen“, bei der sie spät „merkte“, dass eine Beförderung für Lügen, die rassistische Gewalt relativieren wollen, nicht sonderlich gut in der Öffentlichkeit ankommt, schon gar nicht bei der schmaler werdenden eigenen WählerInnenschaft. Nach den jüngsten katastrophalen Wahlniederlagen steht die SPD in den aktuellen Meinungsumfragen bei gerade 15 %.

Kein Wunder, dass wieder einmal die Forderung erhoben wurde, die Große Koalition zu beenden, um der Partei den Tod in der Wahlurne zu ersparen. Die Führung um Nahles zieht – sicher auch aus Gründen des politischen Selbsterhaltes – den Schrecken ohne Ende offenbar dem Ende mit Schrecken vor. Die Partei- und Faktionsvorsitzende und Generalsekretär Klingbeil sprachen nach der Hessenwahl von einem „Ultimatum“ für die Große Koalition, das darin bestand, die Regierung müsse sich „ändern“, endlich „liefern“ und die „Sacharbeit“ aufnehmen. Eine Frist für ihr „Ultimatum“ nannten die beiden wohlweislich nicht.

Nahles beklagt, dass die Regierung, die sie täglich stützt, kaum etwas auf die Reihe kriegt und, statt dies zu beenden, wird regelmäßig die Leier der „Sacharbeit“ abgespielt. Die strategische Parole der SPD „Zuerst das Land, dann die Partei“, also zuerst die Regierungsfähigkeit für das deutsche Großkapital, kommt an ihr Ende. Die SPD wird bald nicht mehr gebraucht, höchstens vielleicht als eine weitere Juniorpartnerin der Union.

Diejenigen, die diesem Procedere nicht zuschauen wollen, müssten eigentlich in der Partei und vor allem in den Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen. Selbst der ehemalige SPD-Finanzminister, Vizekanzler und Großkoalitionär, Peer Steinbrück, fordert jetzt eine Wende nach links. Allein, die SPD hofft offenbar, dass ihr die CDU die Aufgabe abnimmt, die Große Koalition aufzukündigen. Die versprochene Erneuerung wird derzeit mit jeder Wahl und von jedem Regierungssachzwang zermalmt, so dass „gute“ Ideen wie die „Abkehr“ vom Hartz-IV-System kaum in die Öffentlichkeit kommen, geschweige denn das Handeln der Partei irgendwie beeinflussen. Auch die Gewerkschaftsführungen müssten sich eigentlich die Frage stellen, ob sie dem langsamen Siechtum „ihres“ parlamentarischen Arms weiter zusehen wollen oder noch ein subjektives Interesse daran haben, dass die SPD zumindest „konkurrenzfähig“ erscheint. Die Krise und der politische Niedergang der Sozialdemokratie sind anscheinend so tief, ihre Konzept- und Perspektivlosigkeit ist so groß, dass sie wie paralysiert darauf zu warten scheint, mit der Großen Koalition gleich mit zu Grabe getragen zu werden.

Bewegung auf der Straße

Die aktuelle Krise der Regierung sollte von uns genutzt, nicht nur abgewartet werden.

Mit den Demonstrationen der letzten Wochen in Hamburg (Welcome United), gegen die Rodung vom Hambacher Forst (#hambibleibt), den Seebrücke-Demos, den Mobilisierungen gegen AfD und Nazis, gegen die Polizeiaufgabengesetze haben sich viele Hunderttausend gegen den Rechtsruck und Rassismus positioniert. Es ist nun gerade die Aufgabe der Linken, der Organisationen der ArbeiterInnenklasse, dies mit mehr Inhalt zu füllen. Dass sich die Gewerkschaften und Massenparteien wie DIE LINKE vor dieser Aufgabe drücken, ist nicht die Schuld des „breiten“ Protestes auf der Straße, sondern zeigt deren politisches Unvermögen an.

Hier wäre es wichtig, auf (Folge)-Konferenzen von #unteilbar den antirassistischen Kampf zu verallgemeinern, ihn mit den „anderen“ sozialen Kämpfen zusammenzuschweißen und gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Wohnungsnot, schlechte Ausstattung des Bildungsbereichs, anstehende Privatisierungen des öffentlichen Dienstes, weitere Verschärfung der inneren Repression durch Landesgesetze, Aufrüstung und Kriegspolitik, eine drohende neue wirtschaftliche Krise – all dies kann zusammengeführt werden in den lokalen Kämpfen wie auch in bundesweiten Mobilisierungen.

Es ist nicht zwingend, dass eine Massendemonstration mit Hunderttausenden ins politische Fahrwasser der Grünen und NGOs geführt wird, es bei einem einmaligen Ereignis bleibt und bei einer vagen Plattform ohne konkrete Forderungen und Kampfmethoden. Doch die Aufgabe, eine solche Ausrichtung in die Bewegung zu tragen, können RevolutionärInnen nicht an andere delegieren. Es ist notwendig, dass dazu alle Kräfte der „radikalen Linken“, die für ein Aktionsbündnis gegen den Rechtsruck und die Angriffe der Regierung eintreten, gemeinsam versuchen, die Massenorganisationen zur Aktion zu zwingen.




Landtagswahlen in Bayern: Keine Wahl wie jede andere

Helga Müller, Neue Internationale 231, September 2018

Sollte es der CSU trotz anderslautender Prognosen gelingen, die absolute Mehrheit in Bayern zu verteidigen – wovon derzeit nicht auszugehen ist -, würde dies auch bundesweit den Rechtsschwenk weiter befeuern. Aber selbst in einer Koalitionsregierung – in welcher auch immer – wird die CSU ihren bundespolitischen Einfluss geltend machen.

Nicht nur in der Bundesregierung wird sich Innenminister Seehofer (CSU) weiterhin als Garant für „Sicherheit“ durch geschlossene Grenzen aufspielen und auch an Abschiebungen festhalten. Auch in anderen – vor allem den unionsregierten – Bundesländern muss mit Maßnahmen gerechnet werden, die verstärkte Repression ermöglichen. So ist zwar die Verschärfung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) die erste und härteste ihrer Art. Andere Länder wie NRW und Sachsen – die auch CDU-regiert sind – ziehen jedoch bereits nach.

Gerade von der CSU in Bayern und von ihrem Innenminister Horst Seehofer wird immer wieder die Debatte um die angeblich zu vielen Flüchtlinge, die unseren armen „Sozialstaat“ zusätzlich belasten, angeheizt und liefert den Vorwand, die angeblich daraus resultierende terroristische Gefahr mit einem neuen Polizeiaufgabengesetz bekämpfen zu können. Dieses wurde in einem Hauruckverfahren durch den Landtag gepeitscht. Ein PAG, von dem sogar liberale JuristInnen sagen, dass dieses die Grundrechte eines/r jeden BürgerIn dermaßen einschränkt, wie es die Bundesrepublik seit ihrer Existenz noch nicht erlebt hat. Dieses Gesetz diente wiederum den anderen CDU-geführten Bundesländern als Muster. Weitere werden nachziehen.

Konflikte und Prognosen

Momentan sieht es allerdings eher nach einem Debakel für die CSU aus, kommt sie bisher laut Umfragen „nur“ auf 37 %. Doch auch im Falle erheblicher Stimmenverluste bleibt zu erwarten, dass sich die CSU weiterhin an der AfD orientieren und deren Forderungen soweit wie möglich in die Tat umsetzen wird.

Aber die derzeitigen Umfrageergebnisse zeigen gerade, dass die maßlose Verschärfung des PAG und die Grundrechtseinschränkungen auch den Widerstand und die Empörung breitester Bevölkerungsteile provozieren: Die Demonstration gegen das neue PAG vom 10. Mai mit ca. 50.000 TeilnehmerInnen, die ein breites Spektrum umfasste, war eine der größten seit Jahren in Bayern. Auch die Demo #ausgehetzt gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft und gegen Grundrechtseinschränkungen am 22. Juli – gerade mal einen Monat später – mit wiederum ca. 40.000 Menschen zeigt, dass in breiten Schichten – auch gerade bei CSU-AnhängerInnen – ein tiefes Misstrauen in die Politik des neuen Ministerpräsidenten Söder herrscht.

Aber auch Seehofer ist in der CSU nicht unumstritten. Risse über den zukünftigen Kurs – auch und gerade in der Flüchtlingspolitik – tun sich auf. Ein Indiz dafür ist, dass einige Vorsitzende in CSU-Bastionen Oberbayerns aufgrund der Flüchtlingspolitik von Seehofer und vor allem seiner Vorgehensweise zurückgetreten sind.

Dass die CSU – wenn sie auch eine sogenannte Regionalpartei ist – ein großes „Wörtchen“ im Bund mitzureden hat, zeigt die ganze Debatte um die „richtige“ Flüchtlingspolitik. Schon vor der Sommerpause geriet Merkels CDU unter Druck und Seehofer stellte ein Ultimatum nach dem anderen, um zu zeigen, dass an der CSU kein Weg vorbeiführt. Die SPD verhielt sich wahlweise passiv oder opportunistisch, keinesfalls kritisch oder kompromisslos in dieser Auseinandersetzung. Dabei sind die Grundrechtseinschränkungen und Erweiterungen polizeilicher Befugnisse nur ein Baustein im allgemeinen Rechtsruck der CSU in Bayern.

Die Landes-SPD war zwar in den Bündnissen gegen die Verschärfung des PAG dabei und hat auch RednerInnen auf den Demonstrationen gestellt, aber auf die drängenden Themen auch oder gerade im „reichen“ Bayern und in München wie steigende Mieten, Altersarmut und vor allem den Mangel an Pflegepersonal gaben sie keine Antwort. Folglich kann die Sozialdemokratie von der Krise der CSU nicht profitieren. Die bisherigen Wahlprognosen bestätigen dies: In aktuellen Umfragen liegt die SPD mit 12 % sogar hinter der AfD (13 %)!!

Auch DIE LINKE ist nur wenig in der Lage, aus dem Debakel der CSU Profit zu schlagen. Sie liegt in den Umfragen bei 4 % und könnte abermals an der undemokratischen Sperrklausel scheitern und nicht in den Landtag einziehen. Dies obwohl sie und ihre Jugendorganisation [’solid] an den Bündnissen gegen AfD aktiv – aktiver als die SPD – beteiligt waren. Dies auch, obwohl sie z. B. das bayerische Volksbegehren gegen Pflegenotstand (unsere Kritik am Volksbegehren ist in unserer Frauenzeitung „Fight“ unter „Druck machen muss anders gehen“! nachzulesen) – initiiert hat und aktiv vorantreibt. Die einzigen Parteien, die in der Lage sind, von der Wahlschlappe der CSU zu profitieren, sind die AfD und teilweise auch DIE GRÜNEN mit 17 %. Die AfD wird mit Sicherheit in den Landtag einziehen und zu befürchten ist, dass sie vor der SPD zur drittstärksten Partei in Bayern anwachsen könnte.

Themen

Themen gäbe es viele, mit denen sowohl die SPD als auch DIE LINKE gerade bei den Arbeitslosen und sozial Schwachen, aber auch beim Großteil der arbeitenden Bevölkerung in Bayern punkten könnten: preiswerte Mieten, ausreichend Pflegepersonal, Schutz gegen Altersarmut, ausreichend LehrerInnen, Jugendfreizeiteinrichtungen etc…

Um nur ein Beispiel herauszunehmen: Am 15. September wird eine Demonstration gegen die horrenden Mieten in München stattfinden, die von Mieterselbstorganisationen initiiert wurde. Diese wird sicherlich wieder die 10.000er-Marke überschreiten. Anstatt sich an die Spitze dieser Bewegung zu setzen und effektiv gegen Mietspekulation, die mit ein Grund für die exorbitanten Mieten in München ist, für einen bedarfsgerechten Ausbau des sozialen Wohnungsbaus im Bund, für eine effektive Mietpreisbindung zu kämpfen, kommt ein „Reförmchen“ von SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter. Dieses beinhaltet z. B., dass die soziale Zusammensetzung eines Stadtteils nicht durch Luxussanierungen auseinandergerissen werden darf. Noch schwerer wiegt, dass Reiter nach einem Protest von GrundstückseigentümerInnen gegen eine geplante städtebauliche Maßnahme im Münchner Norden, die auch die Möglichkeit von Enteignung vorsah, wenn sich diese gegen das Vorhaben der Stadt sträuben sollten, auf deren Durchsetzung verzichtet hat. So macht man sich natürlich gerade bei dem Bevölkerungsteil, der auf preiswerte Wohnungen angewiesen ist, keinen guten Namen.

Aber auch von der Partei DIE LINKE, die viele richtige Forderungen in ihrem Wahlprogramm hat – wie z. B. Beschlagnahme von Wohnraum, der aus Spekulationsgründen leer steht -, ist in dieser Frage nicht viel zu sehen. Und es gibt im Programm auch keine klare Vorstellung, wie dies durchzusetzen wäre im Falle des Widerstands von VermieterInnen und SpekulantInnen – was real passieren wird, wie am Beispiel oben geschildert. So bleibt diese Forderung in den Augen vieler – zu Recht – reiner Wunschtraum und ein bloßes Wahlversprechen.

Wahltaktik

Trotzdem rufen wir in den bayerischen Landtagswahlen zur Wahl der Partei DIE LINKE auf. Nicht weil wir der Meinung sind, dass das Wahlprogramm die Lösung aller Probleme in Bayern darstellt, trotz vieler richtiger Forderungen, die wir auch als RevolutionärInnen unterstützen können. Sondern erstens, weil in der derzeitigen Konstellation jede Stimme für DIE LINKE eine Ablehnung der aktuellen Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung, auf die Jugend, auf die RentnerInnen, Arbeitslosen und ImmigrantInnen und gegen die AfD und den allgemeinen Rechtsrutsch darstellt. Genau aus diesem Grund sehen zweitens gerade viele Jugendliche und die bewusstesten Teile aus der ArbeiterInnenklasse nur in der Wahl von DIE LINKE die Möglichkeit, auf Wahlebene ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Wir als RevolutionärInnen teilen diese Illusion nicht, deswegen fordern wir DIE LINKE dazu auf, konsequent für ihre Forderungen auf der Straße zu mobilisieren und in den Gewerkschaften den Kampf dafür zu führen. Das ist die beste Möglichkeit zu überprüfen, ob das Programm nur ein leeres Wahlversprechen ist oder Ausgangspunkt für einen Kampf gegen neoliberale Politik und Rechtsrutsch. Daher ist es notwendig, nicht nur DIE LINKE zu wählen und zu hoffen, dass sie ihr Programm wahrmacht, sondern für die Verteidigung der Arbeits- und Lebensbedingungen gemeinsam den Kampf aufzunehmen.

 




CDU/CSU-Vereinbarung: Einreise als Fiktion – Rassismus als Kompromiss

Martin Suchanek, Infomail 1009, 3. Juli 2018

Die Union bleibt ganz, wahrscheinlich auch die Bundesregierung. Die Geflüchteten, die es zukünftig trotz EU-Grenzschutz und Lagern lebend übers Mittelmeer oder gar nach Deutschland schaffen, sollen nicht „im Alleingang“ abgewiesen werden. Stattdessen werden sie in „Transitzentren“ festgehalten und zurückgeschickt. Offiziell sind sie somit nie eingereist und werden damit auch nicht ausgewiesen. Seehofers „Abweisung“ heißt jetzt im Merkel-Deutsch „Zurückweisung auf Grundlage einer fiktiven Nichteinreise“.

Abkommen zwischen CDU und CSU

„Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise). Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen.“ (Punkt 2 der Vereinbarung von CDU und CSU)

So viel zur „europäischen Lösung“, die offenkundig darin besteht, Rassismus nicht „einseitig“ durch die Errichtung nationaler Schlagbäume, sondern überall und per Verwaltungsabkommen umzusetzen – mit minimaler Störung für Handel und Verkehr. Einreise wird zu Fiktion erklärt – mit leider alles anderen als fiktiven rechtlichen Konsequenzen, also einer weiteren Entrechtung von Geflüchteten, mit geschlossenen Lagern usw.

Für die Rettung der Fraktionsgemeinschaft und der Regierung gehen CDU und CSU eben über Leichen. Das beweisen nicht nur Seehofer und andere Hardliner, die im Gleichklang mit der AfD von „rechtlosen Zuständen“ an Bayerns Grenzen schwadronieren. Das tun längst auch Merkel und ihre „humanistischen“ FreundInnen, die von Gipfel zu Gipfel noch drakonischere Maßnahmen gegen die Geflüchteten beschließen und umsetzen. Rassismus stört Europas „humanitäre“ und „demokratische“ Mitte nur, sobald er geschäfts- und Image schädigend daherkommt.

Der „Dreischritt“ zur weiteren Abschottung Europas umfasst den militarisierten „Genz“schutz Frontex, die Errichtung von geschlossenen „Zentren“ in Nordafrika, die sich nicht nur terminologisch mehr und mehr Konzentrationslagern annähern, und einen sog. „Marshallplan“ für Afrika, der den europäischen, also vor allem deutschen Kapitalexport beflügeln soll.

Die SPD?

Die SPD hat wie immer, wenn es noch weiter nach rechts gehen soll, „Diskussionsbedarf“. Das Einkicken ist vorprogrammiert und von CDU/CSU schon eingepreist. Noch ein, zwei „Koalitionsgipfel“, vielleicht noch ein, zwei kosmetische Zugeständnisse – und die SPD macht wahrscheinlich mit. Rassistischen Maßnahmen und einem ebensolchen Grenzregime kann und will sich eine Partei, die seit 1914 fest auf der Seite des deutschen Imperialismus steht, nicht verschließen. Ein Bruch der Koalition und etwaige Neuwahlen würden womöglich für die Sozialdemokratie noch katastrophalere Folgen als für die Unionsparteien haben. Das will eine SPD-Spitze, deren eigene Zukunft ohnedies untrennbar mit der Großen Koalition verbunden ist, nicht riskieren. Schließlich können Nahles und Scholz „nicht allen helfen“.

Umso mehr freut sich das Duo darüber, dass die Regierung nach den „Chaostagen“ endlich zur Sachpolitik zurückkehren könne. Die CSU habe Deutschland, die EU und die Regierung an den Abgrund getrieben – diesen Vorwurf will sich die SPD auf keinen Fall einhandeln. Während Seehofer für seine Mischung aus Egomanie, Nationalismus und Rassismus, die er selbstgefällig „Überzeugung“ nennt, ganz im Stile der populistischen Welle hoch pokerte, versucht sich die Sozialdemokratie als Verteidigerin einer politischen Vernunft und Normalität zu inszenieren, die doch ohne ihre Erbärmlichkeit nicht auskommen könne.

Seehofers „Masterplan“ und dem „Kompromiss“ von CDU und CSU setzt sie einen 5-Punkte-Plan entgegen – die EU-Politik von gestern. Angesichts größerer politischer Instabilität und tiefgehender Differenzen über die Europapolitik des Kapitals unter den verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Fraktionen fällt es der Sozialdemokratie schwer, Schritt zu halten. Die SPD, wie immer willfährige Erfüllungsgehilfin des Kapitals, wartet lieber ab, ruft zur „Ordnung“ – eine eigene Politik entwickelt sie möglichst erst gar nicht.

Das trifft im Grunde auch auf die „linken“ Oppositionsparteien im Bundestag zu. Es ist daher kein Wunder, dass die ultra-reaktionäre, rechtspopulistische AfD als einzige „radikale“ Opposition erscheint. An dieser Stelle wollen wir uns aber weder mit der FDP aufhalten, die zwischen Union und AfD oszilliert, noch mit den Grünen, die mehr und mehr zur Öko-CDU werden.

Und die Linkspartei?

Auch die Linkspartei bietet angesichts der Krise der Regierung ein erbärmliches Bild. Die Stellungnahmen konzentrieren sich einerseits darauf, das Chaos, die Selbstinszenierung und den Rechtsruck Seehofers sowie die inhumanen Beschlüsse von EU und Unionsparteien anzuprangern. Andererseits wird der Regierung vorgeworfen, dass sie sich nicht um die „wirklichen Probleme“ wie Armut, Renten, Mieten kümmere.

Hier erhebt sich doch unwillkürlich die Frage, ob Rassismus – staatlicher wie jener von Rechts-PopulistInnen, Nazis und der „bürgerlichen“ Mitte – nicht zu den „wirklichen Problemen“ gehört! Dass es sich dabei nicht nur um ein verbales „Versäumnis“ der Linkspartei handelt, belegen der unverhüllte Sozialchauvinismus einer Sahra Wagenknecht oder eines Oskar Lafontaine ebenso wie die Abschiebepolitik der von der Linkspartei mitregierten Länder. Die Sprachregelung von Fraktions- wie Parteispitze verweist aber auch darauf. Dass Bartsch und Wagenknecht – selbst VertreterInnen einer „regulierten“ Migration und GegnerInnen offener Grenzen – der Regierung vor allem falsche Prioritäten vorwerfen, sollte daher nicht verwundern. Doch auch Kipping und Riexinger, die wenigstens die Entlassung Seehofers forderten, kommt das Wort Rassismus nicht über die Lippen, wenn sie die Politik von Merkel, Nahles oder anderer VertreterInnen der bürgerlichen Mitte kritisieren. Schließlich will die Partei nicht nur die „Brücken“ zur SPD erhalten, sondern auch die „vernünftigen“ Teile des Bürgertums im Kampf für den „Humanismus“ gewinnen.

Wie so oft sitzt der Reformismus dabei – ob gewollt oder ungewollt spielt keine große Rolle – der Oberflächenerscheinung der bürgerlichen Demokratie auf. Der Konflikt zwischen Merkel und Seehofer, zwischen CDU und CSU erscheint als einer zwischen Nationalismus und Rassismus auf der einen Seite und wankenden „DemokratInnen“ auf der anderen. Letzteren müsste „die Linke“ beispringen, um Schlimmeres zu verhüten – und zwar durch eine Art Pakt für Humanität.

In Wirklichkeit gerät die Linkspartei damit noch mehr in das Schlepptau der „Mitte“. Deren eigener Rassismus – ganz zu schweigen von ihren bürgerlichen Klasseninteressen und ihrer imperialistischen Strategie – verschwindet aus dem Blickfeld. Die Bundesregierung wird nicht als Regierung des Kapitals kritisiert, gegen die mit aller Entschiedenheit zu kämpfen wäre. Vielmehr wird den politischen VertreterInnen der herrschenden Klasse vorgeworfen, sich zu wenig um die Armen und Ausgebeuteten zu kümmern. Der Verrat der SPD an der ArbeiterInnenklasse wird nicht benannt, vielmehr wird ihr vorgeworfen, sich nicht für eine „echte“ Reform des deutschen und europäischen Kapitalismus – vorzugsweise durch einen „Politikwechsel“ Hand in Hand mit Linkspartei und Grünen – einzubringen.

Die „Kritik“ der Linkspartei läuft letztlich darauf hinaus, dem Kapital die „einseitige“ oder gar radikale Verfolgung seiner Interessen vorzuwerfen. Sie appelliert an die herrschende Klasse, ihre eigenen Interessen zurückzustellen und sich mit aller Kraft den „Problemen der Menschen“ zuzuwenden.

Doch was sollen „die Menschen“, was sollen die Lohnabhängigen von den Zuwendungen einer Regierung erwarten, die Millionen den Zugang zur EU, zum Arbeitsmarkt, zu Wohnungen, zu StaatsbürgerInnenrechten verweigert, sie in und außerhalb der EU in Lagern „sammelt“ und möglichst schnell zurückschickt? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten! Fragt sich nur, was die Lohnabhängigen von den Spitzen „linker“ Parteien zu erwarten haben, die auf Sozialpartnerschaft, Zusammenarbeit zwischen ArbeiterInnenorganisationen mit Kapital, Regierung und Staat sowie „Mäßigung“ statt auf Klassenkampf setzen.




Bayrisches Polizeiaufgabengesetz: Gefahr für uns alle

Veronika Schulz, Neue Internationale 228, Mai 2018

Im Vorfeld des bayerischen Landtagswahlkampfs profiliert sich die CSU einmal mehr als Vorreiterin in Sachen Repression und Überwachungsstaat. Eine für Mai geplante Reform des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) ebnet den Weg zu ihrer militärischen Aufrüstung und zum massiven Ausbau der Kontrolle über BürgerInnen und ihre Privatsphäre. Die neuen Befugnisse heben die ohnehin nur scheinbare Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter auf und reihen sich nahtlos in die bereits umgesetzten Einschnitte in Grund- und Bürgerrechte der letzten Jahre ein.

Repressionswelle

Pünktlich vor dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg durfte sich die Polizei in ganz Deutschland über eine Ausweitung ihrer Befugnisse freuen: von „Integrationsgesetzen“ über die Verschärfung von §114 StGB bis hin zum sogenannten „Gefährdergesetz“ wurden nach und nach die Hürden für Strafverfolgung gesenkt.

So ist nun schon bei einer nicht näher definierten „drohenden Gefahr“ die Eingriffsschwelle für die Polizei gegeben, um – ohne richterlichen Beschluss! – eine Fülle von Maßnahmen anzuwenden: Einsatz von Bodycams (auch in Wohnungen), Ausweitung von Online-Durchsuchungen und Betreten der Wohnung zur Installation von Überwachungssoftware, intelligente Videoüberwachung, erweiterte DNA-Analyse mit Bestimmung der „biogenetischen Herkunft“ (racial profiling), Einsatz von Explosivmitteln wie Blend- oder Handgranaten und Maschinengewehren. Alles, was technisch möglich ist, wird durch das geplante Gesetz legalisiert.

Der Freistaat verfügt zurzeit laut Landespolizeipräsident Schmidbauer über keine bewaffneten Drohnen, ihr Einsatz wird durch das neue Gesetz auch ermöglicht. Dies alles ergänzt die bereits eingeführte präventive „Unendlichkeitshaft“ bei bloßem Verdacht, wobei lediglich alle drei Monate ein neuer richterlicher Beschluss erfolgen muss, ohne dass tatsächlich ein Strafverfahren gegen den/die Beschuldigte/n eröffnet wird. Außerdem kann die Polizei Kontaktverbote, Aufenthaltsgebote und -verbote aussprechen, aber auch Kontenpfändungen vornehmen.

Bei Haftstrafen ab drei Monaten wird die Lage für die Beschuldigten schnell existenzgefährdend, da Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung vorprogrammiert sind – wohlgemerkt, auf bloßen Verdacht hin. Wenn dann auch noch die Konten gepfändet werden, kann der/die Beschuldigte froh sein, wenn er/sie anwaltlichen Beistand bekommt, den er/sie zunächst nicht einmal bezahlen kann. Kurz: Menschen, denen in keinster Weise Straftaten oder deren Vorbereitung nachgewiesen werden können, sind um ein Vielfaches schlechter gestellt als Verdächtige in Strafverfahren, so betreffs Schadensersatz, sollte sich die Polizei „geirrt“ haben.

Auch das aktuelle PAG sieht keine Rechtsbeschwerdemöglichkeiten vor. Widersprüche haben keine aufschiebende Wirkung, die Maßnahmen greifen sofort.

Statt eines Strafprozesses wird im Verfahrensfall auf Basis des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) verhandelt. Ein Anspruch auf Pflichtverteidigung ist dabei nicht gegeben. Dadurch werden die Möglichkeiten für eine anwaltliche Verteidigung der Beschuldigten enorm erschwert. Während bei einem Strafprozess ein strenges Beweisverfahren vorgeschrieben ist und Ausnahmen begründet werden müssen, sieht das FamFG Ermessensentscheidungen vor, d. h. es bleibt den RichterInnen überlassen, ob sie Beweisen überhaupt nachgehen, wobei dies selbst dann nur „in geeigneter Form“ passieren muss. Auch die Akteneinsicht kann eingeschränkt werden, was eine Verteidigung und die Entkräftung von Vorwürfen schwer bis unmöglich macht.

Modell für die gesamte Bundesrepublik

Die CSU will sich vor der Landtagswahl, bei der ihre absolute Mehrheit auf dem Spiel steht, um jeden Preis als Garantin für innere „Sicherheit“ profilieren und versucht auf diesem Weg, sich die AfD als rechte Konkurrenz vom Hals zu halten. Landespolizeipräsident Schmidbauer rechtfertigt das geplante Polizeiaufgabengesetz als notwendig, Innenminister Herrmann und Ministerpräsident Söder rühmen die CSU als Vorreiterin, der es gelingt, das „härteste Polizeigesetz Deutschlands“ umzusetzen.

Bayern macht dabei nur den Anfang auf dem Weg zum deutschlandweiten Polizeistaat. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen planen ähnliche Gesetze. Horst Seehofer als neuer Bundesinnenminister hat seinerseits selbstbewusst angekündigt, sich bayerische Maßstäbe für ganz Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Der Grad der inneren Aufrüstung hat sich schon im letzten Jahr zum G20-Gipfel gezeigt, als in Hamburg Einsatzkräfte aus ganz Deutschland erfolgreich und mit Duldung von Bundesregierung und Hamburger Senat den Ausnahmezustand geprobt haben.

Nicht nur das PAG ist ein Angriff auf uns alle. Anwaltsverbände kritisieren die bereits vollzogene Verschärfung des §114 StGB als Sonderrecht für eine Berufsgruppe, die im Dienst des Staates steht. Vorgeblich um PolizistInnen besser zu schützen, wurde im Mai 2017 – rechtzeitig vor Gipfelbeginn in Hamburg – der „tätliche Angriff“ gegen VollstreckungsbeamtInnen neu definiert. Die Mindeststrafe ist eine Haftstrafe, wobei weder eine Verletzung vorliegen noch der Versuch dazu nachgewiesen werden muss. Die Hamburger Staatsanwaltschaft legte dies wie folgt aus: „Schon das gemeinsame Zugehen im Pulk auf Polizeibeamte stelle eine erhebliche Kraftentfaltung dar, die auf einen unmittelbaren körperlichen Zwang gerichtet sei. Einer tatsächlichen Berührung bedürfe es nicht.“

Bei diesem Szenario liegt das Mindeststrafmaß sogar bei 6 Monaten Haft, da hier von einem „gemeinschaftlichen tätlichen Angriff“ ausgegangen wird. Diese Interpretation durch Staatsanwaltschaften und Gerichte zeigt, wie ein Gesetzestext mit Leben gefüllt wird und welch massive Repression gegen jede Demonstration, jede Versammlung, jede Protestaktion, jeden Streik bereits jetzt befürchtet werden muss. Daher ist es auch und gerade im Sinne aller Gewerkschaften, sich gegen weitere Gesetze dieser Machart zur Wehr zu setzen.

Widerstand ist notwendig

Mitte Mai sollen der bayerische Landtag und der Ausschuss für Innere Sicherheit das Gesetz beschließen – in beiden hält die CSU die Mehrheit. Grüne und auch die SPD bauen auf das Verfassungsgericht, das die grundgesetzwidrigen Vorhaben kassieren soll. Das mag zwar einzelne Änderungen einfordern, die Verschärfung des Gesetzes, geschweige denn die bestehenden Befugnisse der Polizei und anderer Repressionsorgane lassen sich so nicht verhindern.

Was wir brauchen, um die weitere Militarisierung der bayerischen Polizei zu stoppen, ist eine entschiedene Opposition auf der Straße, in Betrieben, Schulen und an den Universitäten. Die Gewerkschaften machen – natürlich mit Ausnahme der reaktionären Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Deutschen Beamtenbund (DBB), die das Gesetz unterstützt (!), so der Vorsitzende ihres bayerischen Landesverbandes Rainer Nachtigall – den Anfang, indem sie für den 10. Mai zu einer Demonstration in München aufrufen. Dennoch darf sich der Protest gegen das PAG nicht auf Bayern beschränken und auch die Gewerkschaften müssen bundesweit dagegen mobilisieren. Es gilt, diesem unverhohlenen Angriff auf demokratische Rechte mit der drohenden Entwicklung zum Polizeistaat entgegenzutreten.

Die „drohende Gefahr“ ist das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz selbst! Lassen wir uns also weder einschüchtern noch spalten, unsere Solidarität gilt allen, die bereits von Repression betroffen sind.

  • Nein zum Polizeiaufgabengesetz! Keine Sonderschutzrechte für PolizistInnen!
  • Gewerkschaft der Polizei (GdP) – raus aus dem DGB!
  • Gegen willkürliche Kriminalisierung und Überwachung!
  • Gegen Polizeistaat und Aufrüstung – innen wie außen!