„Neue starke Männer“ zum Kampf für Chinas Vormachtstellung in der Welt?

Resa Ludivien (Sympathisantin von REVOLUTION, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Schaut man chinesische Serien, so finden sich immer mehr starke Frauenfiguren auf dem Bildschirm. Noch verwunderlicher ist es, dass, im Vergleich zum westlichen Pendant ganz normale Dinge einen Platz in 45 Minuten bekommen. Wann hatte in einer deutschen Serie das letzte Mal eine Frau ihre Tage, was nicht nur erwähnt wurde, um ihre schlechte Stimmung zu erklären?

Fernab von Fiktion ist die Entwicklung in Festland-China allerdings seit Jahren eine andere und sie spitzt sich zu. Militarisierung, Stärkung tradierter Männlichkeitsideale und ein neuer Rechtfertigungszwang für diversere Frauenbilder bestimmen den Alltag. Im folgenden Artikel soll diese Entwicklung beschrieben und analysiert sowie ein Überblick des Frauenbildes in China geliefert werden.

Geschlechterverhältnisse in China: Long Story Short

Im konfuzianischen Weltbild gibt es nur eine Beziehung, die als gleich dargestellt wird: nämlich zwischen Freund_Innen, wobei hier in erster Linie Männer gemeint sind. Der Ideologie zufolge sind alle dem Staat untergeordnet, Kinder den Eltern und Frauen den Männern. Dieses Weltbild war jahrhundertelang prägend. Doch es hatte eine materielle Grundlage. Die ökonomischen Verhältnisse in China unterschieden sich von der vorkapitalistischen Wirtschaft in Europa. Marx fasste diese unter asiatische Produktionsweise (auch wenn sie auch in anderen Teilen der Welt vorkam) zusammen.

In dieser erfüllte der Staat wesentliche, stark zentralisierte Funktionen zur Sicherung der Gesamtreproduktion der Gesellschaft (Bewässerung, Handel, Austausch zwischen den Agrargemeinden, Militär). Auf dieser Grundlage konnten nicht nur große Agrarterritorien regiert werden, wo die Dorfgemeinde (später tw. auch individuelle Bauern) noch Eigentümer von Grund und Boden war/en, an den Staat ein Mehrprodukt in Form von Tribut ablieferten.

Obwohl es immer wieder zu Aufständen kam, die sogar zu Herrschaftswechseln und Einsetzung einer neuen Herrschaftselite führten, blieben die eigentlichen Produktionsverhältnisse am Land davon weitgehend unberührt.

Eine starke Rolle in diesem Staat der herrschenden Klasse bildeten Beamte (nur Männer). Diese besaßen nicht nur das Macht-, sondern auch das Wissensmonopol. Die Rolle der Frau war demnach, bis auf den kaiserlichen Hof, eher eine arbeitende.

Beschäftigt man sich mit den Geschlechter- und Schönheitsidealen des vormodernen China, so ist davon auszugehen, dass vor allem die Verhältnisse der herrschenden Klasse bis heute überliefert sind. Über die normale Bevölkerung wissen wir hingegen wenig, da sie in Abbildungen und Texten weniger vorkommt und diese nicht selber hervorgebracht habt. Sie war zu sehr mit Produzieren beschäftigt. Allerdings waren Schönheitsideale bereits vor 1.000 Jahren nicht nur auf Frauen konzentriert. Immer wieder gab es Zeiten, in denen Männer, die sich schminkten, ganz normal waren. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in den vormodernen Gesellschaftsstrukturen Chinas die Geschlechterverhältnisse keineswegs deckungsgleich mit europäischen waren.

Durch das Vordringen des Weltmarktes und damit verbundene Umwälzung der Klassenbeziehungen, soziale Bewegungen und nicht zuletzt die maoistische Führung wurde dieses Weltbild v. a. im 20. Jahrhundert stark aufgebrochen. So hinkte die Technik unter Mao Wirtschaftsplänen hinterher und Frauen wurden als Arbeiter_Innen gebraucht. Dies spiegelte sich auch in der Propaganda wider. Gleichzeitig kann man nicht von einer gänzlichen Gleichberechtigung von Frauen sprechen. Denn dazu zählt nicht nur die Gleichstellung auf rechtlicher und ökonomischer Ebene, sondern auch gesellschaftlich und somit auch die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Ein-Kind-Politik und auch die starke Bevorzugung von männlichen Babys stehen im krassen Widerspruch zur Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Jedoch gab es nach Maos Tod eine Zeit der Entspannung in China. Doch diese war nicht nachhaltig. In der KP von heute stehen vor allem Männer in den ersten Reihen. Und spätestens mit der Übernahme durch Xi Jinping wurden die chinesische Politik und Gesellschaft neustrukturiert. Dazu gehört auch die bewusste Förderung tradierter konfuzianischer Vorstellungen von Ordnung und Unterordnung sowie reaktionären Geschlechterrollen.

Xi Jinping zieht die Zügel an

Im ostasiatischen Raum ist Südkorea in der Popkultur seit mehreren Jahren der Maßstab. Von K-Pop, bis Serien begegnen einem dort auch Männerbilder, die fernab westlicher Vorstellungen sind. Werden hierzulande schon Menschen wegen etwas Nagellack schief angesehen, ist es dort kein Problem, als Nicht-XX-Chromosomensatz geschminkt aufzutreten und großen Wert auf die äußere Erscheinung zu legen. Auch chinesische Schauspieler nähern sich diesem Ideal oft an. Doch sind „verweichlichte“ Männer, womit Schminke von reaktionären Kräften auch assoziiert wird, der Parteiführung mittlerweile ein Dorn im Auge. Die nationale und somit KP-gesteuerte Filmindustrie soll sich diesem Trend entgegenstellen. Zum Teil bedeutet das sogar die Zensur solcher Filme und Serien. Doch warum werden Männer mit Schminke als so große Gefahr angesehen?

Bedenkt man, dass Menschen, die nicht in das binäre und heteronormative System passen, vor allem LGBTIQA, in China stark bekämpft werden, ist das nicht sehr verwunderlich. Sie werden als krasses Gegenstück für die herrschenden Geschlechterverhältnisse und als Angriff auf die soziale Ordnung gesehen. Des Weiteren gibt es auch einen politischen Hintergrund für das Verstärken eines vermeintlich traditionellen Männerbildes.

Im Rahmen zunehmender globaler Konkurrenz und eines Blockbildungsprozesses auf Militarisierung und „traditionelle“ Männlichkeit zu setzen, ist nichts Neues. Auch Putin greift zu diesem Narrativ „des Hüters der Männlichkeit“. Dieses betrifft nicht nur die offizielle politische Ebene, sondern auch die scheinbar private. Schönheitsideale werden politisch. Schminke gilt als Verweichlichung der starken Männer. Dieses Weltbild betrifft nicht nur Männer, die sich dem nicht unterwerfen, sondern auch vor allem Frauen und nonbinäre oder trans Personen. Denn das Pendant ist nicht die kämpferische Frau, sondern das krasse Gegenteil: Die „gute“ Frau sorgt sich um den Herd und trägt einen Rock, ähnlich dem westlichen Familienbild der 1950er Jahre.

Dieser reaktionäre Wandel des Frauenbildes wird vor dem Hintergrund der veränderten Rolle Chinas als aufstrebende imperialistische Macht verständlich. Mittlerweile stellt es den Hauptrivalen der niedergehenden Hegemonialmacht USA dar. Schaut man sich die Versuche an, Halbkolonien in die eigene Einflusssphäre einzubinden, ist sein Weg zur Weltmacht z. B. bei der „Neuen Seidenstraße“ deutlich erkennbar. Doch auch im Inland gibt es Auswirkungen des Blockbildungsprozesses.

Das Militär ist in China mittlerweile omnipräsent: seien es stetig wiederkehrende Militärreklame, die an Werbespots erinnert, Truppen bei Zugreisen oder in Bahnhöfen, wie man sie in wahrscheinlich keinem europäischen Land in diesem Umfang zu sehen bekommt. Die letzten Jahre und Monate hat China nicht nur auf ökonomischer und diplomatischer Ebene, vor allem in halbkolonialen Ländern in Afrika, Asien oder Südosteuropa, seinen Einfluss verstärkt. Auch im Inland bzw. dem Gebiet, welches die chinesische Regierung als solches betrachtet, wurden Militäraktionen immer präsenter und aus Sicht der Regierung notwendiger. In Taiwan läuten unaufhörlich die Alarmglocken, da das chinesische Militär immer stärker in dessen Luftraum eindringt. Des Weiteren kam es auch bei den Protesten in Hongkong zum Einsatz. Wie es in Xinjiang oder Tibet aussieht, lässt sich aufgrund der immer schlechter werdenden Informationslage nur vermuten. Sucht man nach „Zhongguojunren“ (chinesische Soldat_Innen), erscheinen in erster Linie Bilder von Männern in Uniform. Frauen und Militär sind an sich eigentlich kein Widerspruch und Frauen und Kämpfer_Innen schon gar nicht. Allerdings scheint der neue Kurs vor allem auf Männer ausgerichtet zu sein. Diese Entwicklung symbolisiert auch das staatlich verordnete Männlichkeitsbild.

Frauen als Systemstörung!?

Die Frauen werden in den Hintergrund gedrängt, zurück an den Herd, während die Männer kampfbereit gemacht werden sollen. Neben der strategischen Militarisierung Chinas spielt noch ein weiteres Element hinein. Auch der chinesischen Wirtschaft hat die Corona-Pandemie, vor allem zu Beginn, geschadet. Zusätzlich muss eine innerchinesische Schuldenkrise abgewendet werden (siehe: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/10/19/china-was-heisst-lehman-auf-chinesisch/).

Zwei Krisen auf einmal also, die den Aufstieg gefährden könnten! Der eingeschlagene Kurs auf Stärkung reaktionärer Geschlechterrollen und das Zurückdrängen der Frauen stellt dabei auch ein Mittel zur Spaltung der Ausgebeuteten und zur Schwächung und Isolierung von Widerstand und Protest dar. Dabei manifestierten sich in den letzten fünf Jahren durchaus Proteste unter der Beteiligung von Frauen und gesellschaftlich unterdrückten Gruppen, die der Linie der KP-Führung im Weg stehen. Dazu zählen Proteste der LGBTIAQ-Bewegung ebenso wie Streiks im Care-Sektor oder „#MeToo“-Ableger in chinesischen „sozialen Medien“ oder der Versuch, in China als Single-Frauen anerkannt und in Ruhe gelassen zu werden. (Siehe Frauenzeitung 2020: „Frauen in China: die Verliererinnen des Aufschwungs?“)

Diese Bewegungen haben auch gezeigt: Frauen stellen eine „Gefahr“ dar. Gleichzeitig sind sie unabdinglich für Reproduktion und Reproduktionsarbeit, zuhause und gesellschaftlich, sowie als Reserve im Kriegsfall. Daher muss ein Weg gefunden werden, um sie in Schach zu halten. Sie aus dem ökonomischen Kreislauf heraus- und zurück nachhause zu drängen, ist ein Mittel, um ihre Unabhängigkeit und Mitbestimmung zu beschneiden. Um die längerfristige Machterhaltung der KP zu ermöglichen und gleichzeitig den Einfluss in der Welt zu stärken, ist die stärkere Unterordnung der Gesellschaft und vor allem der Frauen unabdingbar.

Die Rhetorik Xi Jinpings greift zur Formierung einer kampfbereiten Gesellschaft auf altbewährte Phrasen zurück. Das alte philosophische Konstrukt des „Tianxia“, was so viel wie alle unter einem Himmel bedeutet, ist sein Credo. In diesem Fall ist es nicht nur ein philosophisches Modell, sondern ein Kampfbegriff, unter dem sich imperialistische Politik betreiben lässt und der sich geradezu anbietet. Alte Größe wiederherstellen, indem man auf lange tradierte, funktionierende und stark verankerte Konstrukte zurückgreift, funktioniert. Erstens, weil die Ideen stark in der chinesischen Kultur verankert und daher in der Bevölkerung anschlussfähig sind. Zweitens, weil gerade der Konfuzianismus stark hierarchisch geprägt ist. Die Unterordnung unter den Staat steht an erster Stelle, die Durchsetzung des patriarchalen Systems folgt darauf und stützt wiederum den Staat. Schließlich basieren Kapitalakkumulation und Herausbildung einer Kapitalist_Innenklasse im chinesischen Imperialismus darauf, dass die Staatsbürokratie eine aktive, vorantreibende Rolle spielt.

Gemeinsamer Kampf!

Daran zeigt sich, dass die Forcierung reaktionärer Geschlechterrollen eng mit der Entwicklung des Kapitalismus und Militarismus verknüpft ist. Der Kampf gegen die neuen Formen der Unterdrückung und die Stärkung patriarchaler Strukturen und Ideologien braucht einerseits ökonomische Organisierung, aber auch gemeinsamen Widerstand gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im öffentlichen und privaten Raum.

Ein Kampf gegen die Verhältnisse ist jedoch keiner von Frauen allein. Auch eine Organisierung von LGBTIAQ-Menschen liegt in unserem Interesse, u. a. weil es hier bereits Strukturen gibt und auch Erfahrungen mit der Arbeit im Untergrund. Doch eine sozialistische Antwort ist nicht nur auf ein Geschlecht fokussiert.

Das Vorgehen der chinesischen Regierung richtet sich nicht nur gegen die Stellung von Frauen in der Gesellschaft, sondern birgt auch für Männer eine Gefahr, weil es ein Teil der Formierung des chinesischen Kapitalismus darstellt und eng mit dem Kampf um die Weltmachtrolle Chinas verknüpft ist.

Der Kampf muss dabei unter Bedingungen der Illegalität geführt werden müssen, was auch einschließt, Dynamiken für offene Auseinandersetzungen z. B. in Betrieben zu nutzen, wo sie entstehen. Vor allem aber geht es darum, eine politische Organisation, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die den Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen und den Sexismus auf allen Ebenen mit dem gegen Kapitalismus und Imperialismus verbindet. Auch in China steht der Hauptfeind der Arbeiter_Innenklase und der ländlichen Armut im eigenen Land.




Situation von trans Personen an Schulen

Theo Morello & Ella Mertens (REVOLUTION, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10

Die Schule ist ein Ort, an dem wir uns alle täglich aufhalten müssen. Für manche trans Personen ist das jedoch Tag für Tag eine Qual. Stell dir vor, du stehst vor den beiden Schultoiletten und blickst von der einen zur anderen! Auf welche sollst du gehen? Was, wenn irgendwer kommt und Fragen stellt, warum du jetzt genau diese Toilette benutzt? Ist es nicht einfacher zu warten, bis du zu Hause bist? Tausende Gedanken, dabei geht’s nur darum, wo mensch auf Toilette geht. Doch das ist nicht alles: Sportunterricht, Klassenfahrten, der Biounterricht, selbst in Musik – überall kommt die starre Einteilung in Mädchen und Jungen vor. Überall wirst du daran erinnert, dass du anders bist als die anderen. Hinzu kommen veraltetes Lehrmaterial und eben Mitschüler_Innen und Lehrpersonal. Klar gibt es viele, die einen unterstützen, sobald man sich geoutet hat. Es gibt Lehrer_Innen, die die Namen nicht verwechseln und Mitschüler_Innen, die das tun. Aber es gibt eben auch die anderen, die Witze über einen machen, mobben und einem/r nicht glauben wollen.

Ein paar Zahlen

Generell sind trans Personen häufiger von Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt und Ausgrenzung betroffen. Im Alter sind z. B. bi- und homosexuelle Menschen häufiger von Armut bedroht als Heterosexuelle. So liegt bei Männern im Alter von 60 bis 90 Jahren die Armutsquote bei Bi -und Homosexuellen um sechs Prozentpunkte höher als bei heterosexuellen Männern (12 Prozent zu 6 Prozent). Als „Armutsgrenze“ gilt dabei 60 Prozent des Nettoeinkommens. Bei Frauen in dieser Altersgruppe ist ebenfalls ein Gefälle zu verzeichnen. Frauen, die sich als homo- oder bisexuell identifizieren, haben mit rund 1750 Euro durchschnittlich 10 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung als Frauen mit heterosexueller Orientierung (rund 1950 Euro).

Die Zahlen stammen aus dem Deutschen Alterssurvey und sind nun in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zur sozialen Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland veröffentlicht worden. (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/gruene-kritisieren-tatenlosigkeit-des-bundes-altersarmut-unter-queeren-menschen-deutlich-groesser/27089984.html)

Und in der Schule? Positiv ist es, dass für die Änderung des Namens im Klassenbuch oder in Schulausweisen keine rechtlich verbindliche Vornamensänderung erforderlich ist. Die Berliner Senatsverwaltung empfiehlt sogar, dass man trans Personen mit dem selbstgewählten Namen ansprechen sowie die gewünschten Personalpronomen verwenden sollte. Und sonst? 2014 beteiligten sich über 5.000 Jugendliche an einer Umfrage des Deutschen Jugendinstitutes, die sich an LGBTIA+-Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren richtete. Knapp die Hälfte der befragten jungen Trans gab an, an Bildungs- und Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Etwa 10 % wurden körperlich angegriffen oder verprügelt. Die Befragten gaben ferner an, dass nur etwa die Hälfte der Lehrer_Innen offen gezeigt habe, dass Schimpfwörter nicht geduldet werden. Die Befragten erzählten weiter, dass etwa die Hälfte der Lehrkräfte gelacht hat, als Witze über LGBTIA+ gemacht wurden, oder sich direkt über Jugendliche, die sich nicht „typisch weiblich/männlich“ verhielten, lustig machte. (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf)

Was dagegen tun?

Uns aufs Leben vorzubereiten – im Kapitalismus. Deswegen werden in der Schulstruktur und im Schulalltag auch Rassismus und Sexismus mehr oder weniger bewusst reproduziert. Das macht den Kampf gegen Transphobie an der Schule nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Konfrontiert man Lehrer_Innen oder Mitschüler_Innen mit ihren Äußerungen, wird man selten ernst genommen. Außerdem ist es mehr als anstrengend, jeden Tag mit Menschen zu verbringen, die die eigene Identität in Frage stellen. Je mehr Ablehnung man erlebt, umso mehr stellt man auch sich selbst in Frage. Deswegen ist’s leichter, sich der Diskriminierung zu stellen, wenn man nicht alleine ist. Eine gute Möglichkeit dazu bietet die Gründung eines Schulkomitees. Im Gegensatz zur institutionellen Schüler_Innenvertretung können dort alle mitmachen, die möchten. Zudem sind wir in diesem Rahmen nicht vom autoritären Schulgesetz abhängig und können uns deswegen politisch positionieren. Im Rahmen eines solchen Komitees ist es dann auch leichter, Aktionen zu starten: zum Beispiel Plakataktionen, wo Kommentare, die man in der Schule abbekommen hat, nochmal aufgeschrieben oder Informationen über trans Identitäten sowie Unterdrückung aufgezeigt werden. Auch ist es sinnvoll, Veranstaltungen zu organisieren, bei denen man gemeinsam mit Mitschüler_Innen über aktuelle Themen diskutieren kann. Beispielsweise über die Wurzeln des Christopher Street Day oder LGBTIA+-Diskriminierung in anderen Ländern, da diese im Unterricht oftmals zu kurz kommen oder erst gar nicht thematisiert werden. Ebenso kann man in so einem Rahmen auch für konkrete Verbesserungen wie geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleiden, eine Antidiskriminierungsmeldestelle oder die Mitbestimmung über die Rahmenlehrpläne eintreten. Gibt’s Stress oder geht es darum, sich gegen diskriminierende Lehrer_Innen oder Schulstrukturen zu wehren, ist es auch besser, gemeinsam aktiv zu sein: Ob offene Briefe an Schüler_Innenvertretung oder Öffentlichkeit, gemeinsame Protestkundgebungen oder gar Vollversammlungen zu dem Thema – zusammen organisiert’s sich leichter.

Das Problem an der Wurzel packen

Trotzdem muss uns klar sein, dass Transphobie keine Frage der Bildung ist. Man kann sie nicht wegerziehen. Es gibt nämlich auch Teile der Gesellschaft, die aktiv von dieser Spaltung profitieren. Um Transphobie also in die Geschichtsbücher zu verbannen, müssen wir sie an der Wurzel packen: dem Kapitalismus. Der Ursprung der Diskriminierung von LGBTIA+ liegt nämlich in der geschlechtlichen Arbeitsteilung der bürgerlichen Familie. Diese Familienkonstellation besteht aus einem Mann, der arbeiten geht und die Familie ernährt, und eben aus einer Frau, die den Haushalt schmeißt und die Kinder erzieht. Bestenfalls kann diese dann Teilzeit arbeiten und etwas dazu verdienen. Klar, das erscheint jetzt erstmal nur als Klischee, es wird jedoch durch konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung tagtäglich reproduziert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die überwältigende Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer In Fabrik oder Büro arbeiten und Frauen die Hausarbeit verrichten.

Also warten wir auf das Ende der Diskriminierung?

Natürlich nicht. Wir müssen im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen kämpfen und diese mit dem Kampf gegen das ausbeuterische System verbinden. In den letzten Jahren konnten schon einige Errungenschaften erkämpft werden, auch ist die gesellschaftliche Akzeptanz von trans und inter Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen. Allerdings ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der LGBTIA+-Bewegung dar. Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können.

Daher fordern wir:

  • Kampf der Diskriminierung an Schule, Uni und im Betrieb! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen trans Personen und LGBTIA+: Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!
  • Das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft (auf Rechtsdokumenten, bei Zugang zu Gesundheitsversorgung und Versicherungsleistungen usw.)!
  • Recht auf Nutzung der sanitären Einrichtungen, die dem angegebenen Geschlecht der Trans Persone entsprechen, sowie der Einrichtung von geschlechtsneutralen sanitären Einrichtungen und Umkleiden!
  • Kostenlose gesundheitliche Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird, auch für Jugendliche! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!



Der Kampf für eine Fraueninternationale – Lehren aus der sozialistischen Frauenbewegung

Aventina Holzer (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt/Österreich), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10

Internationale Vernetzung stellt für jeden politischen Kampf eine Bereicherung, wenn nicht eine Voraussetzung dar. In der feministischen Bewegung, die aufgrund des zunehmenden Widerspruchs von Kapitalismus und Gleichberechtigung wieder Fahrt aufnimmt, gibt es momentan aber wenig erfolgreiche Bestrebungen, eine solche Verbindung nachhaltig aufzubauen. Dabei haben die Frauen*streiks der letzten Jahre die Notwendigkeit einer international koordinierten, verbindlichen Aktion um gemeinsame Forderungen eigentlich auf die Tagesordnung gesetzt.

Die führenden Feminist:innen der Bewegung schlagen jedoch stattdessen eher lose Vernetzungen der nationalen Kämpfe vor oder behaupten, dass die Art, wie man sich aufeinander bezieht, schon internationalen Charakter hätte. Auch fehlt bei diesen Vorschlägen nur allzu oft ein klarer Klassenstandpunkt. Statt einer gemeinsamen Koordinierung, die auf einem Aktionsprogramm fußt und dadurch handlungsfähig wird, wird also auf abstrakte Appelle und liberale Politik gesetzt. Wenn wir wollen, dass die momentanen Kämpfe erfolgreich sind, dann brauchen wir auch eine Vorstellung, welche gemeinsame, internationale Organisationsform, aber vor allem auch welche Politik und welcher Klassenstandpunkt notwendig sind. Wir wollen daher die Sozialistische Fraueninternationale (heute: Sozialistische Frauen-Internationale; SIW) und ihre Entwicklung beleuchten und für die Gegenwart fruchtbar machen. Denn wir brauchen nicht nur eine linke Frauenpolitik, wir wollen antisexistische Kämpfe, die in einer revolutionären und proletarischen Tradition stehen.

Herausbildung der proletarischen Frauenbewegung

Prinzipiell ist die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale keine lineare. Um sie richtig verstehen und einordnen zu können, stellt sich die Frage nach der proletarischen Frauenbewegung, die sich neben der bürgerlichen herausbildete. Mit der Industrialisierung und dem Übergang zum Kapitalismus bildeten sich neue gesellschaftstragende Klassen heraus: Bürger:innentum und Proletariat. Mit den Widersprüchen, die der Kapitalismus für die arbeitende Frau brachte (Mehrfachbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit), wurde auch eine neue Generation an Kämpfer:innen politisiert.

Auch in der bürgerlichen Frauenbewegung wurde die Frage nach politischer Gleichstellung im 19. Jahrhundert immer relevanter. Zentral dafür war das Frauenwahlrecht, das von bürgerlicher Seite oft nur für privilegierte Frauen gefordert wurde. Mit widersprüchlichen Interessen und Vorstellungen sammelten sich hinter dieser Forderung die Frauenorganisationen. Die proletarische Frauenbewegung hatte ihre Wurzeln natürlich in der Sozialdemokratie und speziell der deutschsprachige Raum übernahm hier eine Vorreiterrolle (die deutsche Sozialdemokratie war die stärkste Europas).

Zwar gab es im europäischen Raum auch schon vorher Absprachen und Vernetzungen, aber was die proletarische Frauenbewegung betrifft, wurden erst ab 1896 (also 7 Jahre nach dem Gründungskongress der II. Internationale, dem Zusammenschluss der sozialdemokratischen Parteien) Treffen, die der internationalen Verbindung der sozialdemokratischen Frauen dienten, abgehalten. Ein Grund für diese recht späte Entwicklung lag sicher in den tief sitzenden sexistischen Einstellungen innerhalb der Sozialdemokratie, die erst mit der Zeit abgebaut werden konnten und die Ausrichtung der Partei wie der entstehenden Gewerkschaften auf die männliche Lohnarbeit. Die Organisierung von Frauen wurde von vielen allenfalls als untergeordnete Aufgabe verstanden – was das Entstehen eigener Frauenorganisationen erschwerte und gleichzeitig umso notwendiger machte.

Ein Beispiel dafür liefert die Debatte rund um die Frauenarbeit, die erst langsam mit dem Entstehen der II. Internationale eine sinnvolle gemeinsame Beantwortung fand, in der nicht von einem „Ausspielen“ der Frau gegen die männlichen Arbeiter die Rede war. Zeitgleich kann man aber auch in der II. Internationale starke sexistische Stereotype und Probleme sehen. Selbst Zetkin, die wichtigste Vertreterin der deutschen, proletarischen Frauenbewegung neigte dazu, bestimmte bürgerliche Geschlechterrollen zu reproduzieren. So enthält selbst ihre bedeutende, politisch starke Aussage „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen“ den Satz: „Es darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein, die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter und Gattin zu entfremden“.

Frauenwahlrecht

In Deutschland gab es in der Sozialdemokratie schon länger Frauenkonferenzen und 1907 wurde dieses Konzept auch auf die II. Internationale übertragen und fand die erste internationale Frauenkonferenz statt. Vom 17. bis 19. August trafen sich 58 Delegierte aus 15 Ländern in Stuttgart. Zentral behandelt wurden Fragen des weiteren internationalen Austausches und des Frauenwahlrechts. Als Ergebnis, stark geprägt von den Anträgen Clara Zetkins, wurde ein internationales Frauensekretariat der II. Internationale bestimmt und die „Gleichheit“ gegen den Widerstand des revisionistischen Flügels als deren offizielles Organ anerkannt.

Die Konferenz sprach sich für ein allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen aus und verabschiedete eine entsprechende Resolution. Der revolutionäre Flügel um Zetkin, Luxemburg oder auch Kollontai drängte darauf, das allgemeine Frauenwahlrecht zu einem zentralen Kampfziel der proletarischen Bewegung zu machen und dieses nicht, wie in einigen Ländern (z. B. Österreich und Großbritannien geschehen) dem Ringen um das Männerwahlrecht oder sogar weitaus unbedeutenderen kurzfristigen Reformzielen unterzuordnen.

Österreichische und britische Delegierte verteidigten hingegen die Position, dass es in manchen Situationen taktisch klug wäre, auf ein Frauen- zugunsten eines allgemeinen Wahlrechts für Männer zu verzichten. Dies wurde so argumentiert, dass in manchen Situationen diese letztere Forderung leichter umzusetzen wäre und mit dem Erreichen dieses Meilensteins ein späterer Kampf für das allgemeine Frauenwahlrecht erleichtert werden würde.

Schließlich setzte sich der linke Flügel bei der Abstimmung 1907 klar durch. Der Kampf für das Frauenwahlrecht sollte ein entscheidender sein für die Sozialdemokratie. Es war eine sehr richtige Entscheidung, diese Bedenken klar abzuwehren. Bald darauf wurde die Entscheidung der Fraueninternationale auch von der II. Internationale bestätigt.

Die Debatte rund um das Wahlrecht war aber nicht nur eine taktische, sondern zeigte bereits die tiefgreifenden Unterschiede zwischen reformistischen und revolutionären Kräften. Die von den Österreicherinnen eingebrachte Debatte stellte ja auch infrage, wie die Internationale gemeinsam und verbindlich radikal auftreten konnte, ein Problem, das in der zunehmend reformistisch dominierten ArbeiterInnenbewegung immer größer geriet.

Dass es sich um alles andere als bloße „Meinungsverschiedenheit“ oder „kleine politische oder taktische Differenzen“ handelte, wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg Revolutionärinnen wie Luxemburg oder Zetkin zunehmend bewusst. Innerhalb der deutschen und internationalen Frauenbewegung kam es rund um „die Gleichheit“ und deren Chefredakteurin, Clara Zetkin, zur Formierung eines Pols, der sich klar zum linken Flügel zählte.

Die Etablierung eines eigenen Frauensekretariats war sicherlich ein Fortschritt, litt aber an ähnlichen Problemen wie andere Gremien der II. Internationale, nämlich dass es über wenig tatsächliche politische Entscheidungsfähigkeit und Verankerung verfügte. Beim nächsten internationalen Frauenkongress 1910 musste bilanziert werden, dass trotz der Bekenntnisse und Resolutionen die gemeinsame Arbeit rund um das allgemeine Frauenwahlrecht und die internationale Vernetzung noch einiges zu wünschen übrig ließen. Man sollte sich in der Analyse dieser Fehler nicht nur auf die Form beschränken, sondern versuchen herauszufinden, aus welchen politischen Fehlentscheidungen diese resultierten. Ein Fehlen von demokratisch zentralistischen Strukturen, also einem gemeinsamen, verbindlichen Handeln nach außen, nach Diskussion in der Organisation bedeutete eben auch, dass die Internationale nie ihr volles Potenzial entfalten konnte. Sie bildete eher eine Vernetzung zwischen den nationalen Organisationen und keine internationale Organisation mit Sektionen in den einzelnen Ländern.

Zeitgleich konnten sich die reformistischen Kräfte dadurch aber auch immer stärker in ihre nationalen bürgerlichen Verhältnisse festkrallen. Selbst wenn die Internationale von Sozialismus und Revolution redete, entsprach das nicht der tatsächlichen Praxis der Sozialdemokratien der einzelnen Länder. Vielmehr rechtfertigten sie ihre zunehmend bürgerlich-gradualistische Reformpolitik als „Taktik“, deren opportunistischer Charakter durch Lippenbekenntnisse zum Sozialismus versteckt wurde. Das bedeute dann eben auch, dass die meisten international agierenden Strukturen fast wirkungslos blieben und als primäre Aufgabe die Vernetzung hatten. Nicht zu unterschätzen war jedoch, dass die „Gleichheit“ als einziges großes, internationales Organ der II. Internationale vom revolutionären Flügel und nicht vom reformistischen kontrolliert wurde.

Als „Lösung“ wurde beim Frauenkongress 1910 der Internationale Frauentag als Kampftag für das Wahlrecht verankert. Ein weiterer Kongress fand 1913 statt, der sich gegen die Balkankriege stellte und schon einen starken Fokus auf Frieden hatte.

Weltkrieg

Mit dem 1. Weltkrieg wurden die Widersprüche in der Sozialdemokratie offensichtlicher und es zeichneten sich Spaltungen ab. In Deutschland formierte sich ab 1915 die kleine, revolutionäre Minderheit, der Spartakusbund. Die SPD selbst schloss 1916 die wachsende Zahl der Kriegsgegner:innen unter den Parlamentsabgeordneten aus, die 1917 die USPD gründeten. Die Organisation zerbrach in die sozialchauvinistische Mehrheitssozialdemokratie, welche den Krieg unterstützte und den Burgfrieden für Kapital und Kaiser organisierte, und in die USPD, welche eine pazifistische Politik vertrat. Die Bruchpunkte existierten auch in der proletarischen Frauenbewegung weiter und grob gesagt unterteilte sie sich in drei Strömungen. Die reformistische, die die Burgfriedenspolitik mittrug und sich auf Arbeit in „sozialen Strukturen“ (Wohltätigkeit) beschränkte. Die gewerkschaftliche, die versuchte, sich auf ihre Rolle als Interessenvertretung zu konzentrieren, und dabei die politischen Forderungen und Notwendigkeiten hintanstellte. Und die innerparteiliche Linke, die auch maßgeblich für die weitere Entwicklung der Sozialistischen Fraueninternationale verantwortlich war.

Im Herbst 1914 plante Zetkin ein weiteres ihrer Treffen. Dieses konnte aber wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erst 1915 stattfinden. Die Konferenz war klar eine Antikriegskonferenz und es sammelten sich hier vom 26. bis 28. März 30 Delegierte aus unterschiedlichen Ländern in der Schweiz. Die Konferenz wurde von der SPD-Parteiführung nicht unterstützt. Schließlich stand die deutsche Sozialdemokratie (wie die meisten Sozialdemokratien Europas) auf Regierungsseite.

Diese Konferenz sollte nicht nur einer der ersten Versuche sein, die internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Organisationen trotz des Krieges wiederzubeleben, sondern war auch eines der ersten internationale Zusammentreffen einer radikalen Strömung, die sich gegen die offizielle Parteilinie stellte. Ähnlich wie die später unter dem Namen „Zimmerwalder Linke“ bekanntgewordene Gruppe wurde eine Opposition zur Kriegspolitik, aber auch zur reformistischen Degeneration der Sozialdemokratie gesammelt.

Die teilnehmenden Frauen, speziell die führenden Aktivistinnen, gehörten nun zum Großteil dem linken Flügel ihrer Parteien an. So ist es also nicht verwunderlich, dass die Sozialistische Fraueninternationale wichtig für die internationale Verbindung der Kriegsopposition gewesen war. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen aufgrund ihrer Mehrfachunterdrückung häufiger direkt konfrontiert mit den Problemen des Kapitalismus waren und wegen des in den Organisationen (inklusive der Gewerkschaften) vorherrschenden Sexismus’ weniger in Systeme integriert wurden und auch weniger aufgrund materieller Anreize ihre Politik verrieten.

Die Konferenz verabschiedete im März 1915 den Aufruf „Frauen des arbeitenden Volkes!“, der deutlich den imperialistischen Charakter des Krieges hervorhob, das Ende der Burgfriedenspolitik forderte und mit folgenden Losungen endete: „Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der Besitzenden Hekatomben von Menschen opfert! Nieder mit dem Kriege! Durch zum Sozialismus!“

Die Konferenz stellte schon durch ihr Zustandekommen einen wichtigen Fortschritt dar. Anders als die Frauenkonferenzen vor dem Krieg erkannte sie überhaupt nur der linke, gegen den Krieg eingestellte Flügel an. Aber es zeigten sich bei der Mehrheit der Teilnehmerinnen auch zwei wichtige Schwächen und damit Differenzen zu den Bolschewiki, die durch Krupskaja vertreten waren. Es fehlte die Erkenntnis, dass es an der Zeit war, sich von der Sozialdemokratie loszusagen und eine linke Opposition aufzubauen, eine neue Partei, die in einer Situation der Illegalität auch Arbeit machen konnte. Die Forderung, den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Bürger:innenkrieg umzuwandeln, was die tatsächlich richtige Schlussfolgerung aus dem beschlossenen Slogan gewesen wäre, wurde nicht aufgestellt. Die russische Delegation stellte zu diesen Punkten zwar einen Antrag, der wurde allerdings abgelehnt. Die Erkenntnis holte die führenden Aktivistinnen zwar nach und nach ein, als sich die Spaltung vollzog und immer klarer wurde, dass ein politischer und organisatorischer Bruch mit der sozialdemokratischen Führung unumgänglich war. Ähnlich wie die Konferenzen von Zimmerwald und Kiental bildeten die internationalen Frauenkonferenzen einen wichtigen Ausgangspunkt für die Sammlung der revolutionären Internationalist:innen und die spätere Formierung der Dritten Internationale.

Lehren

Die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale gibt uns heruntergebrochen heute Ansätze für fünf wichtige Aspekte.

Erstens: Wie muss eine Frauenbewegung aussehen, die auch in der Lage ist, tatsächliche Verbesserungen zu erkämpfen? Und wie ist dieser Kampf mit dem um eine revolutionäre Umwälzung verbunden? Die Auseinandersetzung rund um das Frauenwahlrecht ist ein gutes Beispiel dafür, was eine proletarische Frauenbewegung leisten kann, und zeigt auch, dass es selbst in Situationen, wo man mit bürgerlich-feministischen Kräften zusammenarbeiten kann, sinnvoll und notwendig ist, sich klar von ihnen politisch und organisatorisch abzugrenzen.

Zweitens: die Frage von separater Organisierung. Auch wenn es sich hierbei nicht um ein Prinzip handelt, so ist es doch interessant zu beobachten, wie gerade die führenden Frauen und die Jugend in der europäischen Sozialdemokratie oft zum linken Flügel gehörten. Ziel einer Organisation ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle Aktivist:innen gemeinsam handeln können, aber es kann auch Situationen geben, wo es erfolgreicher ist, sich separat zu organisieren oder eigene Gremien in der Organisation einzufordern, um gegen soziale Unterdrückung auch innerhalb der Gruppe vorzugehen. So formten sowohl die Jugendinternationale als auch die Sozialistische Fraueninternationale wichtige Sammelpunkte des Kampfes gegen die reaktionäre Politik der Sozialdemokratie nach 1914. Immer sinnvoll ist es aber, in Organisationen einen Rahmen zu schaffen, um sich als gesellschaftlich Unterdrückte zu treffen und Probleme auch gesondert besprechen und deren Lösung vorantreiben zu können. Ein sogenanntes Caucus-Recht bildet also auch eine wichtige Lehre und Errungenschaft.

Drittens: Die wirkliche Frauenbefreiung ist eine globale Frage. Die Vernetzung der Kämpfe ist nicht nur sinnvoll und lehrreich, sondern stärkt sie auch maßgeblich. Aber wenn es nur dabei bleibt, dann besteht die Gefahr, wie es auch bei der II. Internationale der Fall war, dass sich nie eine länderübergreifende Organisation herausbildet, die als Grundprinzip das internationale, gemeinsame Handeln verfolgt. Aktionen werden stärker und können mehr an Fahrt aufnehmen, wenn es eine zentrale Koordination und Vernetzung auf internationalem Niveau gibt. Selbst jetzt, ohne eine solche Organisation und Vernetzung, sieht man, wieviel schlagkräftiger Kampfmittel wie zum Beispiel Frauenstreiks werden, wenn sie international passieren und sich gegenseitig in ihren Anliegen unterstützen (auch wenn es gerade sehr dezentral und losgelöst erfolgt).

Viertens: Internationalismus ist nicht nur eine Frage der Effektivität, sondern folgt auch daraus, dass der Klassenkampf – und damit logischerweise der der proletarischen Frauen – ein globaler ist. D. h., eine neue sozialistische Frauenbewegung darf sich nicht auf Fragen der Gleichheit und geschlechtlichen Unterdrückung beschränken, sondern muss fest auf dem Boden eines Kampfprogramms gegen Imperialismus und Kapitalismus, eines von Übergangsforderungen stehen.

Fünftens: Neben der Erkenntnis, dass es notwendig ist, innerhalb der bestehenden bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Bewegung für eine proletarische Frauenbewegung zu kämpfen, sehen wir diesen Kampf auch als einen direkten Beitrag für eine neue Internationale. Die Führungskrise des Proletariats und damit auch das Fehlen einer internationalen, revolutionären Partei bedeutet, dass die Kämpfe, die in Bewegungen wie der der Frauen geführt werden, auch das Potenzial gewinnen können, revolutionäre Kräfte zu sammeln und damit auch einen Ansatzpunkt für so eine Partei sein können. Auch deshalb ist es notwendig, sich auf einer klaren und revolutionären programmatischen Grundlage zu sammeln, um die Zuspitzung innerhalb der Frauenbewegung auch für den Aufbau einer neuen Internationalen und deren revolutionäre Ausrichtung nutzen zu können.

Seit der Degeneration der III., Kommunistischen und dem Scheitern der Vierten Internationale ist es ein zentrales Problem, dass es keine revolutionäre Internationale und politisch-programmatische Kontinuität in der Arbeiter:innenklasse gibt. D. h. der Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie ist ungleich größer als in Perioden mit einer konstituierten Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse. Der Kampf um eine proletarische, sozialistische Frauenbewegung ist daher untrennbar mit dem Kampf um eine revolutionäre Internationale verbunden.

Die Sozialistische Fraueninternationale war bei allen Problemen nicht nur historisch ungleich fortschrittlicher und weiter als die Bewegung heute, sie stellt auch ein anderes Modell dar. Sie stand von Beginn an auf einer klassenpolitischen, proletarischen Grundlage und verstand sich als Teil des revolutionären Kampfes zur Befreiung aller Lohnabhängigen. Zugleich aber entstand sie als Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und am Beginn der imperialistischen Epoche – und damit in einer, wo sich die Differenzen zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Flügel zuspitzten.

Dazu benötigen wir eine revolutionäre internationale Organisation auf klarer programmatischer Grundlage, die es schafft, sich an den Aufbau solcher Strukturen zu machen. Die internationale Frauen- und LGBTQIA+-Bewegung kann nur mit solchen langfristig erfolgreich sein, ihre Unterdrückung nicht nur innerhalb des Systems zu bekämpfen, sondern auch das System an sich aus den Angeln zu heben und damit tatsächliche Befreiung zu erwirken. Für eine neue, revolutionäre Internationale!




Vergesellschaftung von Erziehung

Lina Lorenz (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Mama steht am Herd, putzt, macht die Wäsche und versorgt die Kinder. Sie backt den Geburtstagskuchen und tröstet die Kinder, wenn sie traurig sind. Papa geht zur Arbeit und wird als „der Beschützer“ der Familie angesehen. In der Schule werden hauptsächlich literarische Werke gelesen, in denen männlichen Protagonisten den Helden spielen und es fallen Sätze wie „Mädchen können kein Mathe, und quatschen zu viel.“ All das sind Beispiele, die sicherlich viele von uns aus ihrer Erziehung kennen. Schon von klein auf werden uns im Rahmen der Erziehung patriarchale Rollenbilder und bürgerliche Normen eingetrichtert – durch die Familie, in Kita und Schule. Doch was ist Erziehung eigentlich? Welchen Zweck erfüllt sie? Und kann es eine „neutrale“ geben?

Erziehung im Kapitalismus

Erziehung erfüllt in allen Gesellschaftsformationen die Funktion, das Individuum im Sinne der gesellschaftlichen Anforderungen zu formen. Natürlich möchte sich jedes System selbst erhalten und seinen Nachwuchs bestmöglich auf seine Zukunft in ihr vorbereiten, weshalb Erziehung immer im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss. Da dieser von Klassengegensätzen durchzogen ist, kann sie nie unabhängig von den bestehenden Klassenverhältnissen stattfinden. Sie weist immer einen der jeweiligen Gesellschaft entsprechenden Klassencharakter auf. In Abgrenzung zur Erziehung umfasst Bildung einen weniger fremdbestimmten Prozess des Lernens, bei dem es um eine selbstständigere Entwicklung des Individuums geht. Aber auch Bildung kann niemals unabhängig von der gesellschaftlichen Struktur betrachtet werden. Die Gesellschaft beeinflusst, welche Ziele wir mit Bildung verfolgen und welche Mittel uns dafür zur Verfügung stehen.

Im Kapitalismus ist die Bourgeoisie die herrschende Klasse. Sie besitzt die Produktionsmittel und nutzt die Erziehung für ihre Interessen. Oberstes Ziel dabei ist, die Klassenstruktur und damit die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten. Die Produktionsverhältnisse sollen bestehen bleiben und die Klassen immer wieder reproduziert werden. Es braucht also immer neue Kapitalist:innen, die wissen, wie man Arbeitskräfte effizient ausbeutet, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können. Andererseits braucht es immer neue Arbeiter:innen, die spezifische Fachkenntnisse besitzen, um den Produktionsprozess am Laufen zu halten.

Eine Aufgabe der Erziehung ist also, die Arbeiter:innenklasse zu bilden. Gleichzeitig soll sie aber auch paralysiert werden. Denn was wäre, wenn sie zur Erkenntnis gelangen würde, dass sie sich nicht weiter ausbeuten lassen muss? Die Produktion und Verbreitung der bürgerlichen Ideologie stellt einen wichtigen Grundpfeiler dar, der verhindern soll, dass sie sich organisiert und für ihre eigenen Interessen eintritt. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie sich freiwillig den Produktionsverhältnissen fügt. Erzählungen wie die „vom Tellerwäscher zum Millionär“ suggerieren, dass dem sozialen Aufstieg mit genug Fleiß und Durchhaltevermögen nichts im Wege steht. Sie verschleiern die Klassenstruktur und lassen glauben, dass wir im besten aller möglichen Systeme leben. Daneben werden wir schon als Kinder und Jugendliche zu Unterordnung und Gehorsam erzogen, damit wir uns später als Lohnarbeiter:innen brav den Interessen der Kapitalist:innen fügen. Wir sind es gewohnt, uns den Forderungen der Eltern, von denen wir finanziell abhängig sind, oder der autoritären Lehrer:innen, deren Notengebung über unsere beruflichen Chancen entscheiden, zu beugen. Ein weiteres Mittel zur Disziplinierung stellen Zuwendung und Anerkennung dar, womit wir vor allem dann belohnt werden, wenn wir die an uns gestellten Anforderungen erfüllen.

Wie schafft es die herrschende Klasse, die Erziehung auf diese Weise zu kontrollieren? Hier kommt der Staat ins Spiel. Denn einzelne kapitalistische Unternehmen haben kein Interesse daran, selbst für Erziehung aufzukommen. Diese erscheinen ihnen als unnütze Kosten. Sie erfordern Ressourcen, schaffen aber keinen Mehrwert – also auch keine Profite für das Unternehmen. Daher übernimmt der Staat – dessen Funktion es ist, das bestehende Gesellschaftssystem aufrechtzuerhalten – als ideeller Gesamtkapitalist diese Aufgabe. Er vertritt die Interessen des gesamten Kapitals, indem er Wissen und bürgerliche Ideologie vermittelt. Er führt beispielsweise eine allgemeine Schulpflicht ein und legt Lehrpläne fest. Er bildet pädagogisches Personal aus und betreibt Bildungs- und Erziehungseinrichtungen.

Überwindung des Klassencharakters von Erziehung

Viele Menschen sehen zwar einen Veränderungsbedarf des Erziehungs- und Bildungssystems, hegen allerdings die Illusion, dass hierfür bürgerliche Reformen das Mittel der Wahl darstellen. Reformen können sicherlich ein Werkzeug sein, kleine Veränderungen innerhalb des Gesellschaftssystems zu erreichen. Sie können aber niemals den Klassencharakter – der diesen Problemen zu Grunde liegt – verändern. Denn sie stützen sich auf den bürgerlichen Staat, der kein Interesse daran hat, die Klassenstruktur zu verändern. Reformpädagogische Ansätze beispielsweise zeigen den begrenzten Spielraum von solchen Mitteln auf. Sie ermöglichen ein Lernen ohne autoritäre Erziehung, Konkurrenz und Leistungsorientierung. Allerdings können sie nur pädagogische Inseln schaffen, zu welchen allein eine privilegierte Minderheit Zugang hat. Sie ignorieren die Einbindung der Erziehung in die Klassengesellschaft und stellen sich dieser nicht entgegen, wodurch sie letztendlich den Status quo unterstützen. Systeme wie Montessori oder Waldorfschulen sind dafür ein gutes Beispiel. Zwar schaffen sie die Illusion von einer Pädagogik, die tatsächlich für die Kinder gemacht wird und mit alten, autoritären Lehrmethoden bricht, aber sie individualisieren und isolieren die gesellschaftlichen Probleme der Bildung und Erziehung weiterhin. Es ist also auch kein Wunder, dass mit Rudolf Steiner (dem Begründer der Waldorfschulen) eine starke Abgleitfläche hin zu Esoterik bis zum Faschismus besteht. Ein unwissenschaftlicher Zugang, der es nicht schafft, die Ideologische Ausrichtung der momentanen Erziehung zu durchbrechen, wird immer zu einer Verstetigung des Systems führen und an den eigenen Widersprüchen zerbrechen.

Um die Probleme des Erziehungs- und Bildungssystems an ihrer Wurzel zu packen, darf die pädagogische Sphäre nicht losgelöst vom Rest der Gesellschaft betrachtet werden. Genauso müssen Erziehung und Bildung auch als Einheit verstanden werden, nicht nur als „private“ gegenüber der „gesellschaftlichen“ Aufgabe. Der Kampf um eine sinnvollere Erziehung muss immer mit dem gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die Klassenstruktur verbunden werden. Nur wenn das Klassensystem als Ganzes aufgehoben wird, kann auch der Klassencharakter der Erziehung überwunden werden. Ziel ist daher nicht die Herausbildung des besseren Individuums innerhalb des kapitalistischen Systems durch reformorientierte Erziehungsansätze, sondern die Überwindung dessen durch kollektive revolutionäre Organisierung. Kinder, Jugendliche und lohnabhängige Lehrende dürfen nicht mehr nur als Personen begriffen werden, die besser pädagogisch versorgt werden müssen oder andere besser pädagogisch versorgen sollen. Stattdessen müssen sie als revolutionäre Subjekte verstanden werden, die Akteur:innen im Klassenkampf sind und für ihre Interessen und Forderungen einstehen. Zentral dabei ist, dass sie neben Fragen nach inhaltlicher auch solche nach struktureller Veränderung der Erziehung stellen. Wer bestimmt Inhalt und Rahmen der Erziehung? Wer hat die Kontrolle über relevante Institutionen? Wer trifft Entscheidungen? Wer kontrolliert deren Umsetzung?

Vergesellschaftung von Erziehung auf dem Weg in die klassenlose Gesellschaft

Auch wenn es im Kapitalismus bereits gewisse Tendenzen zur Vergesellschaftung der Erziehung gibt – beispielsweise durch die Errichtung von Kitas, Schulen oder Internaten – werden wesentliche Teile ins Private zurückgedrängt, wo sie nicht entlohnt werden müssen. Erziehung wird immer noch hauptsächlich als private Angelegenheit betrachtet, die im Rahmen der bürgerlichen Familie geleistet werden soll, wo sie in die geschlechtliche Arbeitsteilung eingebettet ist. Erziehung ist wie andere Reproduktionsarbeiten (z. B. Nahrungsversorgung, Pflege etc.) eine der unsichtbaren und unbezahlten Tätigkeiten, die mehrheitlich von Frauen verrichtet wird. Männer dagegen haben einen größeren Anteil an der gesamtgesellschaftlich geleisteten Lohnarbeit.

Um die Struktur dieser Arbeitsteilung aufzubrechen, muss die Forderung nach Vergesellschaftung von Erziehung mit anderen Kämpfen verbunden werden. Nur wenn allen Menschen das Recht auf Arbeit garantiert wird und gleichzeitig jegliche Reproduktionsarbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird, ist eine Neuaufteilung von Arbeit möglich. Erst dann können sich toxische Strukturen innerhalb von Familien abbauen, deren Grundlage die finanzielle Abhängigkeit von Frauen und Kindern legt.

Erst nach einem revolutionären Bruch und dem beginnenden Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft wird Erziehung durch zunehmende Vergesellschaftung immer weniger den Interessen der wenigen Kapitalist:innen, sondern zunehmend denen der gesamten Gesellschaft folgen. Doch wie kann ermittelt werden, was gesellschaftlich relevant ist? Jugendliche, Pädagog:innen und Gewerkschaften müssen sich in Räten organisieren, um einerseits gesellschaftlich relevante Bildungsinhalte zu ermitteln und andererseits die Umsetzung dieser zu kontrollieren. Generell ist eine stärkere Verknüpfung von Erziehung, Ausbildung und Arbeit wichtig. Die sogenannte „polytechnische Bildung“ in der frühen Sowjetunion umfasste beispielsweise ein Bildungskonzept, indem die Erziehung mit der materiellen Produktion verbunden wurde. Auch die Möglichkeit zu lebenslangem Lernen und der Zugang zu außerschulischen Bildungseinrichtungen fördert Theorie und Praxis als gemeinsamen und wechselseitigen Prozess. So kann gewährleistet werden, dass nicht an den gesellschaftlichen Bedürfnissen vorbei gelernt wird.

Durch die Integration von Lernen und Arbeiten wird das Erziehungs- und Schulsystem, wie wir es kennen, grundlegend in Frage gestellt. Aber erst mit dem gänzlichen Verschwinden der gesellschaftlichen Klassenstruktur kann sich der Charakter der Erziehung vollends ändern. Die gesamte gesellschaftlich relevante Arbeit, einschließlich der Reproduktion, kann auf alle Hände aufgeteilt werden. Die bürgerliche Familie wird überflüssig werden, denn sie wird nicht mehr für die Reproduktion der Arbeitskraft benötigt. Auch die Rolle der Eltern wird sich wandeln, da diese nicht mehr die Hauptverantwortung für die Erziehung tragen müssen. Das bedeutet nicht, dass Eltern nicht auch weiterhin eine Rolle im Leben ihrer Kinder spielen können und sollten. Es steht in dieser anderen Form der Gesellschaft aber erstmal das Kindeswohl an oberster Stelle und es wird nicht mehr nur durch Zufall entschieden, wie die häusliche Erziehung passiert. Grundlegende pädagogische Fähigkeiten werden an alle weitergegeben, die sich um Kinder kümmern und werden gemeinsam gesellschaftlich festgelegt und verändert. Erst mit dem Umbruch in eine klassenlose Gesellschaft kann Erziehung also zu dem werden, was sie sein sollte: eine Aufgabe von allen für alle.




Hexenjagd: Silvia Federici auf der Suche nach Antworten

Jaqueline Katharina Singh, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Federicis Buch „Caliban und die Hexe“ ist nicht nur in sieben Sprachen übersetzt worden. Ihre Analyse der Hexenverfolgung und ihrer Bedeutung zum Verständnis von Frauenunterdrückung und Kapitalismus wurden vom linken Feminismus diskutiert und aufgegriffen. Viele Autor:innen stützen sich mittlerweile auf die darin entwickelten Ideen, machen sie zur Grundlage eigener Theorien und Konzepte.

Silvia Federici selber ist ehemalige Hochschullehrerin, politische Philosophin und Aktivistin. Zusammen mit Mariarosa Dalla Costa, Selma James und anderen gründete sie 1972 das International Feminist Collective, welches die internationale „Lohn für Hausarbeit“-Kampagne startete. Über Jahre veröffentlichte Federici zahlreiche Bücher und Essays zu marxistischer und feministischer Theorie, Globalisierungskritik und zum Konzept der „Commons“. Mit ihrem 2004 erschienenen Hauptwerk „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ (Mandelbaum-Verlag, Wien/Berlin 2021, 9. Auflage) wollen wir uns im Folgenden beschäftigen und einige ihrer zentralen Ideen diskutieren.

Grundgedanken von „Caliban und die Hexe“

Auch für Federici selbst bilden die in „Caliban und die Hexe“ entwickelten Auffassungen die Grundlage einer politisch-strategisch Orientierung, die davon ausgeht, dass die eigentliche Quelle des Reichtums und damit seiner Vermehrung in der kapitalistischen Gesellschaft nicht oder allenfalls nur zum Teil in der Aneignung fremder Arbeit im kapitalistischen Verwertungsprozess besteht. „In diesem Sinn zeigt Caliban und die Hexe, dass der Körper für Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft das gewesen ist, was die Fabrik für männliche Lohnarbeiter gewesen ist: der Hauptschauplatz ihrer Ausbeutung und ihres Widerstandes.“ (Caliban und die Hexe, a. a. O., S. 23.)

Die ursprüngliche Akkumulation, als deren integralen Bestandteil Federici die Hexenverfolgung und den Mord an Hunderttausenden begreift, steht daher nicht einfach am Beginn der Durchsetzung des Kapitalismus als Gesellschaftsformation. Sie betrachtet sie vielmehr als „universellen Vorgang“, der „in jeder Phase kapitalistischer Entwicklung“ (S. 24) ein ergänzendes, wenn nicht grundlegendes Moment des Gesamtprozesses bildet. Kolonialismus, Imperialismus, Globalisierung und die private Hausarbeit stellten für sie grundlegende Formen dieser Permanenz der ursprünglichen Akkumulation dar.

In ihrer Einleitung fasst Federici ihre Thesen prägnant zusammen: „Die politische Lektion, die wir Caliban und die Hexe entnehmen können, lautet in der Tat, dass der Kapitalismus als sozio-ökonomisches System zwingend auf Rassismus und Sexismus angewiesen ist. Denn der Kapitalismus muss die Widersprüche, die seinen gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnen, rechtfertigen und mystifizieren: Seinem Freiheitsversprechen steht die Realität weitverbreiteten Zwangs, seinem Wohlstandsversprechen die ebenso weitverbreiteten Elends gegenüber.“ (S. 25) Zentral ist dabei ihre These, dass die Hexenverbrennung eine maßgebliche Rolle bei der ursprünglichen Akkumulation gespielt hat. Dabei greift sie Marx’ Begriff auf, übt jedoch zugleich Kritik und leistet eine eigene (Fehl-)Interpretation. Für Federici war die Hexenverfolgung ebenso konstitutiv für die Entstehung des Kapitalismus wie die „Entdeckung“ der Kolonien und Sklaverei sowie Einhegung und Vertreiben der Bauern/Bäuerinnen von ihrem Land. Dies konnte ihrer Auffassung zufolge von Marx nicht gesehen werden, da dieser „die ursprüngliche Akkumulation vom Standpunkt des entlohnten männlichen Proletariats und der Entwicklung der Warenproduktion“ (S. 17) untersucht habe. Federici fokussiert hingegen auf die Stellung der Frau und ihre Veränderung, die die ursprüngliche Akkumulation bei der Produktion der Ware Arbeitskraft bewirkte. Daraus resultiert für sie unter anderem auch eine andere Bewertung der weltgeschichtlichen Rolle des Kapitalismus. Sie lehnt den Grundgedanken des Marxismus, dass die Durchsetzung dieser Produktionsweise erst die Bedingungen für eine sozialistische Gesellschaft (gesellschaftliche Produktion, Herausbildung des Proletariats als universeller Klasse) schafft und insofern eine notwendige Voraussetzung für diese darstellt, kategorisch ab (S. 18). Für Federici wäre im Grund auch aus der Krise des Feudalismus ein Übergang zu einer gemeinwirtschaftlichen, nicht-unterdrückerischen Wirtschaftsweise und Gesellschaftsformation möglich gewesen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit Körpern. Ihr Ziel ist es, mithilfe der Analyse des Übergangs zum Kapitalismus und der ursprünglichen Akkumulation über die bisher existierenden Analysen der „Körperpolitik“ seitens Foucaults und diverser Feminist:innen hinauszugehen. „Caliban und die Hexe“ soll zeigen, dass der Körper für Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft das gewesen ist, was für Männer die Fabrik gewesen ist: Hauptschauplatz der Ausbeutung und des Widerstandes. Diese These ist darin begründet, dass der weibliche Körper von Staat und Männern angeeignet wurde, als Mittel zur Akkumulation und Reproduktion von Arbeit (S. 23).

Wie wir sehen werden, zieht diese eine Reihe theoretischer wie politischer Konsequenzen nach sich, was das Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise, ihrer Rolle in der Geschichte, des revolutionären Subjekts und der Alternative zum Kapitalismus betrifft. Für Federici stellt nicht die Enteignung des Kapitals und die bewusste Vergesellschaftung von Produktions- und Reproduktionsarbeit im Rahmen einer globalen, demokratischen Planwirtschaft die notwendige Form der Überwindung des Kapitalismus dar, sondern eine Rückkehr zu, wenn auch an moderne Produktivkräfte angepassten, gemeinwirtschaftlichen Formen der Commons (oder der Allmende). Diese Schlussfolgerungen werden in „Caliban und die Hexe“ nur knapp angedeutet und in anderen Schriften und Interviews umfänglich dargestellt. Auch diese einer ausführlichen Kritik zu unterziehen, würde jedoch den Rahmen des Artikels sprengen. Es sei einer zukünftigen Arbeit vorbehalten. „Caliban und die Hexe“ bildet aber so etwas wie einen theoretischen Unterbau für diese universellen politischen Schlussfolgerungen. Daher konzentrieren wir uns auf eine Kritik ihres Buches.

Die ursprüngliche Akkumulation bei Marx

Bevor wir Federicis Argumente genauer betrachten und verstehen können, lohnt es sich, mit Marx’ Verständnis der ursprünglichen Akkumulation anzufangen. Im Kapitel 24 des ersten Bandes von „Das Kapital“ (Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation) geht Marx darauf näher ein. Unter diesem Begriff versteht er die historischen Prozesse, die der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise vorausgehen, zur Herausbildung einer Klasse von Kapitaleigentümer:innen, die die wesentlichen Produktionsmittel monopolisieren, und einer Klasse doppelt freier Landarbeiter:innen führen. Der Kapitalismus ist nun mal nicht vom Himmel gefallen: „In einer längst verfloßnen Zeit gab es“, so Marx sarkastisch, „auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der anderen faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen [ … ] So kam es, daß die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut“ (MEW 23, Berlin/Ost 1971, S. 741). Die Entstehungs- und Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus als vorherrschender Produktionsweise ist vielmehr ein längerer Prozess vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, bei dem in unterschiedlichen Regionen aufgrund ihrer jeweiligen Gegebenheiten auch unterschiedliche Produktionsweisen herrschten und teilweise gleichzeitig existierten. Schließlich geht es im Kapitalismus darum, Kapital durch Kombination mit Lohnarbeit zu vermehren. Der dabei gewonnene Mehrwert wird dem Gesamtkapital hinzufügt, damit es sich weiter vermehrt, auf einer nach oben offenen Akkumulationsskala. Damit nun aber ein solches selbsttragendes Kapitalwachstum beginnen kann, muss zunächst einmal einsatzfähiges Kapital vorhanden sein, das selber nicht durch seinen Einsatz im indistriellen Produktionsprozess entstanden sein kann. Und es muss eine Klasse von Lohnarbeiter:innen vorhanden sein, die keine Alternative hat zum Verkauf ihrer Arbeitskraft, um ihre Existenz zu fristen. Marx untersucht diesen Prozess in erster Linie für England, da sich dort die kapitalistische Produktionsweise zuerst und am durchgängigsten entfaltet hat. Die ursprüngliche Akkumulation umfasst v. a. die Momente, „worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleuderte werden“ (a. a. O., S. 744). Dazu gehören:

a) Die gewaltsame Aneignung des Grund und Bodens

Um überhaupt ausreichend Arbeitskräfte für das Kapital zu haben, musste die Bauern-/Bäuerinnenschaft von ihrem Grund und Boden gewaltsam vertrieben werden, was nicht nur die Vertreibung der selbstständigen Produzent:innen bedeutete, sondern auch die Enteignung des Gemeindelandes, der Allmende, um so der Bevölkerung jede Grundlage für Subsistenzwirtschaft zu entziehen.

b) Blutgesetzgebung und Absenkung des Arbeitslohns

Durch die Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoßweise, gewaltsame Expropriation von Grund und Boden entstanden massenhaft Bettler:innen, Räuber:innen, Vagabund:innen, zum Teil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang der Umstände, da diese nicht von den aufkommenden Manufakturen absorbiert werden konnten. Um dem entgegenzuwirken, wurde Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrhunderts in Westeuropa die Blutgesetzgebung erlassen. Die Strafen reichten von Auspeitschung, Brandmarkung bis zur Hinrichtung, die erfolgen konnte, wenn jemand ein drittes Mal beim Vagabundieren gefasst wurde. Allein unter Heinrich VIII. sollen 72.000 Vagabund:innen hingerichtet worden sein. Der entscheidende Punkt dieser Maßnahmen bestand darin, sämtliche Formen alternativer Einkommen zu kriminalisieren und damit die Besitzlosen faktisch zur Lohnarbeit zu zwingen, oft sogar in Form direkter Zwangsarbeit (Arbeitshäuser) und zu extrem geringen Löhnen, was umgekehrt die Profite der entstehenden Manufakturbesitzer:innen massiv steigerte.

c) Die Herausbildung der Kapitalist:innenklasse und kapitalistischen Pächter:innen

Die Enteignung des Landes und die Durchsetzung des Zwangs zur Lohnarbeit bildet die Grundlage für die Entstehung des/r industriellen Kapitalist:in und des/r kapitalistischen Pächter:in (Agrarkapitalist:innen). Das Handelskapital hatte sich historisch früher entwickelt. Damit die kapitalistische Produktionsweise jedoch zur vorherrschenden werden konnte, musste es die Schranken feudaler Bindung an Grund und Boden sowie Zunftwesen plus das Eigentum kleiner Landbesitzer:innen zerstören. Der Kolonialismus, die Plünderung der Amerikas, Sklav:innenhandel, Ausweitung der Staatsschuld sowie die Entstehung eines internationalen Kreditsystems schafften dabei mächtige Hebel zur Akkumulation des industriellen Kapitals, weil so viel gewaltigere Kapitalmassen (und damit Produktionsmittel und Arbeitskraft) mobilisiert werden konnten, als dies ohne diese Katalysatoren möglich gewesen wäre.

d) Kommodifizierung und Herstellung des innern Markts für das industrielle Kapital

Schon die Krise des Feudalismus und erst recht die Vertreibung der Landbevölkerung führen zu einer zunehmenden Kommodifizierung der Reproduktion. Ein wichtiges Beispiel stellt dabei der Übergang von der Natural- zur Geldrente im Feudalsystem dar. Noch viel umfassender ist dieser Prozess natürlich bei der Expropriation der kleinen Bauern/Bäuerinnen. Sie müssen nun ihre Lebensmittel und ihren Wohnraum als Waren kaufen. Das zwingt sie nicht nur zur Lohnarbeit, sondern es erzeugt zugleich auch den inneren Markt für das Kapital, indem ganze Produktionszweige (Produktion von Konsumgütern, Einzelhandel) ausgedehnt werden.

Aus all dem ergibt sich die historische Bedeutung der ursprünglichen Akkumulation als Geburtshelferin des Kapitalismus. Die Gewalttätigkeit und Brutalität des Prozesses beruht gerade darauf, dass die Produktionsweise sich erst als vorherrschendes gesellschaftliches Verhältnis durchsetzt. Sie ist wesentlich eine Durchsetzungsgeschichte des Wertgesetzes. Hat sie sich einmal als solche etabliert, finden zwar im Weltmaßstab weiter ähnliche Prozesse statt – doch vor einem grundlegend anderen Hintergrund, nämlich einer längst etablierten Herrschaft des großen Kapitals. Die Gewalt, mit der die Besitzlosen noch zur Lohnarbeit gezwungen werden mussten, ist weitgehend der stummen Macht der Verhältnisse gewichen.

Die Unterschiede zwischen Marx und Federici

Da wir nun ein grobes Verständnis der ursprünglichen Akkumulation bei Marx erlangt haben, können wir nun auf Federicis Thesen eingehen. Wichtig zu verstehen ist, dass ihre Interpretation der Geschichte keine reine, positive Ergänzung der ursprünglichen Akkumulation darstellt. Vielmehr widerspricht sie in fundamentalen Punkten Marx’ Ansichten, die sich vor allem in ihren Vorschlägen im Kampf gegen den Kapitalismus zeigen – und somit auch gegen die Frauenunterdrückung. Dazu aber später mehr.

Sie hat zwar Recht, dass im 24. Kapitel des ersten Bandes bezüglich der ursprünglichen Akkumulation selten explizit auf die Rolle der Frau eingegangen wird. Schon für den gesamten Band von „Das Kapital“ trifft das nicht wirklich zu. Marx und Engels entwickeln zwar nirgendwo eine ausführliche werttheoretische Untersuchung der Reproduktionsarbeit im Kapitalismus. Aber schon die Darlegungen im 24. Kapitel machen deutlich, dass sich die Arbeitsteilung und die Stellung der Frauen grundlegend ändern, weil die Arbeiter:innenfamilie auf die Lohnarbeit angewiesen ist, um überhaupt existieren zu können. Dass die Reproduktion im Haushalt zu einem untergeordneten Moment wird, das von der kapitalistischen Akkumulation und Mehrwertproduktion bestimmt wird, hat nichts mit „Wertschätzung“ zu tun, sondern entspricht einem Ausbeutungssystem, da auf der Aneignung von Mehrarbeit durch das Kapital beruht.

Gleichzeitig offenbart Federici mit ihrem bereits oben zitierten Standpunkt, dass „die ursprüngliche Akkumulation vom Standpunkt des männlichen Proletariats und der Entwicklung der Warenproduktion“ aus betrachtet wird, ihr eigenes Fehlverständnis von Marx. Wie deutlich geworden ist, führt die ursprüngliche Akkumulation die Entstehung einer Produktionsweise mit sich und wird aus Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen hergeleitet, nicht aus den Standpunkten oder Sichtweisen der männlichen oder weiblichen Arbeiter:innen. Dies ist jedoch nicht der wichtigste Punkt.

Zentraler ist vielmehr, dass die ursprüngliche Akkumulation und damit auch die Entstehung des Kapitalismus selbst für Federici nicht aus der Krise der Feudalgesellschaft und der Entstehung einer neuen Produktionsweise verstanden werden, sondern vor allem als Antwort auf die sich erhebenden Bauern und Bäuerinnen, die für ihre Befreiung kämpften.

a) Der Kapitalismus stellt gegenüber vorherigen Produktionsweisen keinen Fortschritt dar

Federici vertritt letztlich einen anderen Kapitalismusbegriff als Marx. Für letzteren steht die Vermehrung von Kapital durch die Aneignung von Mehrwert im Zentrum. Dieser kann nur im industriellen Produktionsprozess geschaffen werden (Aneignung durch Plünderung ist ein untergeordneter Prozess). Für Federici hingegen sind die Formen des Kapitals relativ, daher kann die neue Produktionsweise bei ihr schon mit der Dominanz des Handelskapitals die Oberhand gewinnen. Die Schaffung einer universellen Produktionsweise, die die Kleinteiligkeit vorhergehender Formationen überwindet und den Weltmarkt überhaupt erst schafft, stellt für Marx und Engels einen historischen Fortschritt dar – trotz des von ihnen geschilderten, notwendigerweise extrem brutalen und gewalttätigen Prozesses der Herausbildung der Arbeiter:innenklasse und der kolonialen Ausbeutung.

Der Kern des geschichtlichen Fortschritts besteht für Marx nämlich nicht in der Schaffung einer kapitalistischen Ökonomie und der bürgerlichen Gesellschaft als solcher, sondern darin, dass dies eine notwendige Voraussetzung für eine zukünftige universelle Entwicklung der Menschen bildet. Die Frage der Expansion des Kapitalverhältnisses und des Weltmarkts inkludiert daher auch in einem anderen Sinn ein grundlegend historisches Moment. Sobald es sich gemäß seiner eigenen technischen Grundlage – der großen Industrie – durchgesetzt hat und der Weltmarkt etabliert ist, hört die Bourgeoisie auf, eine fortschrittliche Klasse zu sein. Die Welt ist unter die großen Kapitale und Mächte aufgeteilt, die ihrerseits auch den Eintritt und die Form der Weltmarktintegration der sog. Dritten Welt bestimmen.

Federici hingegen widerspricht dem klar und stellt die These auf, dass die Entwicklung des Kapitalismus verhindert hätte werden können. Die bürgerliche Revolution war kein, wenn auch widersprüchlicher geschichtlicher Fortschritt, sondern wesentlich eine Konterrevolution. So schreibt sie „Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus dem antifeudalen Kampf hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte: Möglichkeiten, die uns, wenn sie verwirklicht worden wären, jene ungeheure Vernichtung menschlichen Lebens und der natürlichen Umwelt erspart hätten, die den Vormarsch kapitalistischer Verhältnisse auf der ganzen Welt gekennzeichnet hat. Das muss auf jeden Fall betont werden, denn der Glaube, der Kapitalismus habe sich aus dem Feudalismus ‚entwickelt’ und stelle eine höhere Form gesellschaftlichen Lebens da, hält sich noch immer.“ (S. 30)

Dies geht mit einer starken Romantisierung des Mittelalters einher. „Die ‚Allmende’ stellt sich als Vorschein einer Welt dar, in der Güter geteilt werden und gesellschaftliche Beziehungen von der Solidarität zehren, nicht von dem Wunsch nach selbstsüchtiger Erweiterung.“ (S. 33) Zwar gibt sie im Nachsatz zu: „Die Gemeinschaft der mittelalterlichen Leibeigenen 4 hinter diese Ziele zurück und sollte nicht als Beispiel des Kommunalismus idealisiert werden.“ (ebda.) Allerdings fehlt die entscheidende Kritik daran. Die Subsistenzwirtschaft mag zwar auf den ersten Blick – insbesondere verglichen mit der kapitalistischen Produktionsweise – etwas Friedliches, gar Fortschrittliches repräsentieren. Global betrachtet ist dies allerdings nicht der Fall. Zum einen bindet die Subsistenzwirtschaft enorm viel Zeit, die – je nach Gesellschaftsformation – anderweitig genutzt werden könnte. Ist man jedoch tagein, tagaus damit beschäftigt, sich bzw. die eigene Kommune selber zu versorgen, wird ein Hauptteil der Arbeitszeit darauf verwendet.

Des Weiteren bietet sie keine Möglichkeit, auf Schwankungen im Bedarf schnell zu reagieren. Der Kapitalismus hingegen war die erste Produktionsweise, in der die technische Basis der Produktion ständig umgewälzt wird. Er geht mit einer welthistorischen Steigerung der Produktivkräfte einher, auf deren Grundlage erstmals die Möglichkeit für die volle Entfaltung aller Individuen materiell überhaupt möglich wird.

Solange jedoch nicht so viel produziert werden kann, dass nicht nur für alle genug vorhanden ist, sondern auch noch ein Überschuss von Produkten zur Vermehrung des gesellschaftlichen Investitionsfonds und zur weiteren Ausbildung der Produktivkräfte bleibt, muss es immer eine herrschende, über die Produktivkräfte der Gesellschaft verfügende und eine arme, unterdrückte Klasse geben.

Kurzum: Die Entwicklung hin zum Kapitalismus war mit unfassbar viel Gewalt verbunden, die bis heute anhält. Wenn wir jedoch davon sprechen, welche Gesellschaftsformation, international betrachtet, eine Versorgung der gesamten Bevölkerung ermöglicht, so schafft er die Basis dafür – ist jedoch unfähig, diese umzusetzen. Große Monopole produzieren im Überfluss auf anarchische Weise vorbei an den Bedürfnissen der Menschheit, ohne Rücksicht auf die Umwelt – allerdings nur, solange sie im Interesse der Kapitalist:innen produzieren. Unter zuerst Kontrolle und dann Enteignung durch die Arbeiter:innenklasse, frei von der Konkurrenz der Profite, sind diese Monopole zentralisierte Produktionsinstrumente, die dazu eingesetzt werden können, zeitsparend und effektiv Massen an Menschen zu versorgen. Sie legen somit auch die Grundlage dafür, dass die Arbeitszeit, die notwendig bleibt, um das eigene Leben zu erhalten, gesamtgesellschaftlich gesenkt und international nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert wird.

b) Klassenbegriff

Neben der Romantisierung des Mittelalters ist auffällig, dass Federici keinen wirklichen marxistischen Klassenbegriff vertritt. Bauern und Bäuerinnen sind für sie Proletariat, den Feudalherren unterscheidet nicht viel vom Kapitalisten. Die Kapitalist:innen stellen für sie im Grunde keine neue gesellschaftliche Klasse dar, sondern nur die Geistlichen, Adeligen und städtischen Kaufleute und Patrizier:innen, die sich neuer Techniken der Herrschaft bedienen, weil sie mit den tradierten Formen der Ausbeutung die Bauern/Bäuerinnen nicht mehr niederhalten können.

Es scheint eher so, dass es für sie in populistischer Art Einteilung in Ausbeuter:innen und Unterdrückte gibt, die überhistorisch existieren und sich auch nicht groß unterscheiden. So formen letztlich die Kapitalist:innen keine wirklich neue Klasse und die bürgerliche Revolution sowie die Veränderung der Produktionsweise bilden keinen wirklichen Fortschritt. Das ist jedoch ein fataler Fehler. Widmen wir uns zuerst der Frage, warum es wichtig ist, genauere Unterteilungen zwischen den Formen der Unterdrückung anzustellen, oder anders gesagt, Bauern/Bäuerinnen und Lohnarbeiter:innen nicht das Gleiche sind.

Kurz könnte man wie Engels in „Grundsätze des Kommunismus“ (http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm) sagen, dass die arbeitenden Klassen auf verschiedenen Entwicklungsstufen der Gesellschaft in unterschiedlichen Verhältnissen gelebt und verschiedene Stellungen zu den besitzenden und herrschenden Klassen eingenommen haben. So gab es beispielsweise in der Antike Sklav:innen sowie deren Besitzer. Deren Verhältnis war davon gekennzeichnet, dass der/die Sklav:in das Eigentum des Besitzers ist. So elendig dieses Schicksal ist, bringt es jedoch auch einige Unterschiede zum Proletariat mit sich. Der/die Sklav:in gilt für eine Sache, nicht als Mitglied der Gesellschaft. Dadurch, dass er/sie „Sache“ des Besitzers ist, ist seine Existenz gesichert.

Der/die Proletarier:in hingegen tritt als „freies“ Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft auf und muss seine/ihre Arbeitskraft eigenständig verkaufen, wenn er/sie überleben möchte. Seine/Ihre Existenz ist also im direkten Vergleich ungesicherter. Ähnliches gilt für die Leibeigenen, die im Mittelalter arbeitende Klasse, gegenüber dem grundbesitzenden Adel. Leibeigene erhielten Inventar und ein Stück Boden gegen Abgabe eines Teils des Ertrages oder Leistung von Fronarbeit oder beides. Der/Die Proletarier:in arbeitet mit Produktionsinstrumenten eines/r anderen für dessen/deren Rechnung gegen Empfang eines Teils des Ertrages (Lohn). Der/Die Leibeigene gibt ab, dem/r Proletarier:in wird abgegeben. Erstere/r führt eine gesicherte Existenz, letztere/r nicht. Der/Die Leibeigene steht außerhalb der Konkurrenz, der/die Proletarier:in in ihr.

Zentral ist jedoch die Frage nach der Aufhebung der Konkurrenz untereinander. Sklav:innen und Leibeigene waren größtenteils frei davon. Ihr Weg, um ihrer Ausbeutung ein Ende zu bereiten, bestand darin, beispielsweise in die Städte zu fliehen und dort Handwerker:in zu werden oder statt Arbeit und Produkten Geld an den Gutsherrn zu entrichten und freie/r Pächter:in zu werden. Alternativ hätten Hörige/Leibeigene auch den Feudalherrn verjagen und selbst Eigentümer:in werden können. Auf die oder andere Weise treten sie somit in die besitzende Klasse und in die Konkurrenz ein. Das Proletariat hingegen befreit sich, indem es die Konkurrenz, das Privateigentum und alle Klassenunterschiede aufhebt. Das ist keine belanglose Kleinigkeit, sondern zeigt auf, dass die vorangegangenen arbeitenden Klassen über die Möglichkeit zum Aus- und Aufstieg verfügten – aber nicht über Interesse und materielle Grundlage, das System der Ausbeutung insgesamt abzuschaffen.

c) Der Kapitalismus wäre aufzuhalten gewesen

So legt der Kapitalismus als Gesellschaftsform ironischer Weise die Grundlage zur Befreiung der (lohn)arbeitenden Klasse und aller anderen Werktätigen selbst – etwas, das vorher nicht möglich gewesen ist. Das sind nur ein paar Gründe, warum Federicis These, dass der Kapitalismus eigentlich für eine Weiterentwicklung nicht notwendig sei, fehlerhaft ist. Deutlicher wird es aber erneut, wenn wir ihre Ansicht überprüfen, dass diese Entwicklung gar hätte verändert werden können.

Für sie war die Feudalwirtschaft zwar zum Untergang verurteilt, aber es hätte sich ebenso gut keine kapitalistische Gesellschaft aus ihr „entwickeln“ müssen. So schreibt sie: „Die Entwicklung des Kapitalismus war nicht die einzige mögliche Reaktion auf die Krise der Feudalmacht. In ganz Europa hatten riesige kommunistische Sozialbewegungen das Versprechen in einer neuen, egalitären, auf sozialer Gleichheit und Kooperation beruhen Gesellschaft geboten.“ (S. 80) Sie bezieht sich dabei unter anderem auf den deutschen Bauernkrieg.

Der Widerstand der Bauern/Bäuerinnen scheiterte ihrer Auffassung nach am Bündnis zwischen Bürger:innentum und Adel. Engels hingegen führt in seinem Werk „Der deutsche Bauernkrieg“ (MEW 7, Berlin/Ost 1964, S. 327 – 413) aus, dass dies nicht der einzige Grund war. Die lokale Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame Übereinkunft. Auch die unterschiedliche Stärke der Ausbeutung aufgrund der unterschiedlichen Vorgehensweise der Herren verkomplizierte dauerhafte, gemeinsame Aktionen. Eine weitere Schwäche war die Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen in vielen Gegenden. Vor allem waren, laut Engels, die Bauern/Bäuerinnen allein nicht imstande, eine Revolution zu machen, solange ihnen die organisierte Macht der Fürsten, des Adels und der Städte verbünde und geschlossen entgegenstand. Nur durch eine Allianz mit anderen Ständen konnten sie eine Siegchance bekommen. Aber wie sollten sie sich mit anderen Ständen verbinden, da sie von allen gleichmäßig ausgebeutet wurden?

Federici hingegen beschäftigt sich nicht wirklich im Detail mit dem deutschen Bauernkrieg. Vielmehr wirft sie unterschiedliche Proteste zusammen und führt Verallgemeinerungen an wie „Wann immer die Bauern rebellierten, standen ihnen die Handwerkerinnen und Tagelöhner zur Seite, und die wachsende Masse der städtischen Armen ebenso.“ (Seite 56) Es mag stimmen, dass die passiert ist – jedoch bildet es nicht die ganze Realität ab. Ebenso stimmt es, dass immer wieder fortschrittliche Fraktionen in den Bauern-/Bäuerinnenkriegen existierten, die Freiheit und gleiche Behandlung für alle Menschen forderten.

Engels bezieht sich beispielsweise positiv auf Thomas Münzer. An ihm zeigt sich aber gerade das Dilemma eines der fortschrittlichsten und hervorragenden Anführer des Aufstandes, der selbst aus dem entstehenden Bürger:innentum stammte und sich auf den radikaleren Flügel des städtischen Kleinbürger:innentums, die plebejischen Schichten und die Bauern-/Bäuerinnenschaft stützte. Wie Engels zeigt, enthielt das Programm von Münzer Elemente, die nicht nur den unmittelbaren Interessen seiner Basis entsprechen, sondern viele darüber hinausgehende radikale, egalitäre Zielsetzungen.

Sein Problem bestand jedoch gerade darin, dass er seiner Zeit voraus war, die Vision einer Gesellschaft predigte, deren materielle Bedingungen noch nicht existierten. Nach der kurzzeitigen Machtergreifung in Süddeutschland (Mühlhausen) stieß er selbst an die Grenzen der Unreife der gesellschaftlichen Verhältnisse: „Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert.“ (Engels, a. a. O., S. 400; http://www.mlwerke.de/me/me07/me07_400.htm)

Münzer musste zu unhaltbaren Kompromissen und Zugeständnissen Zuflucht nehmen. Seine Herrschaft war notwendig von kurzer Dauer, weil seine Basis selbst, wenn auch auf widersprüchliche Weise, dem Privateigentum verhaftet war und es allenfalls erste Ansätze einer proletarischen Klasse gab. Engels zeigt darüber hinaus, dass die Bauern-/Bäuerinnenschaft zwar enorme Kampfkraft und Mut entfalten kann, jedoch aufgrund ihrer widersprüchlichen gesellschaftlichen Stellung nicht nur Allianzen mit anderen Klassen braucht, sondern der politischen Führung durch eine der Hauptklassen der Gesellschaft bedarf.

Es ist daher historisch und theoretisch falsch, die Geschichte so darzustellen, dass alle Aufständischen eine einheitliche Position bezogen und die Bauern-/Bäuerinnenschaft selbst eine konsistente, revolutionäre Ideologie und Führung hervorgebracht hätte. Im Gegenteil, wie Engels und andere Marxist:innen gerade anhand einer Analyse der verschiedenen Klassen in den Bauernkriegen zeigen, war sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Klassenlage dazu nicht fähig.

Engels bekräftigt dies noch einmal im Vorwort zum Bauernkrieg, wo er erstens zeigt, dass „die“ Bauern-/Bäuerinnenschaft überhaupt keine einheitliche Klasse bildet. Ihre oberen Schichten zählt er zur ländlichen Bourgeoisie. Die ökonomische Unabhängigkeit ist für die unteren Schichten zwar schon im späten 19. Jahrhundert eine Fiktion. Umso hartnäckiger hängen sie an ihrem Kleineigentum an Produktionsmitteln. Diese Stellung macht sie zwar zu möglichen Bundesgenoss:innen der Arbeiter:innenklasse, aber zugleich auch unfähig, selbstständig eine konsequent antikapitalistische Position zu entwickeln. (Vorbemerkung [zum Zweiten Abdruck (1870) „Der deutsche Bauernkrieg“]; in: MEW 16, Berlin/Ost 1962, S. 399; http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_393.htm)

Eine solche materialistische Charakterisierung und damit ihres Verständnisses von Arbeiter:innenklasse findet sich bei Federici nicht, ja kann sich nicht finden. Für sie gehören Bauern/Bäuerinnen, Lohnarbeiter:innen und die Masse der Frauen nämlich alle einer Klasse an.

Die Rolle der Hexenverbrennungen

Dies gilt auch für eine ihrer Hauptthesen, dass die Hexenverbrennung eine zentrale Rolle im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation gespielt hat. Sie gilt ihr dabei als ein Mittel zur Disziplinierung des weiblichen Körpers und wäre in Europa im Interesse des Staates zu dem Zweck durchsetzt worden, um die Geburtenrate zu steigern, die Lohnkosten zu senken und die Rolle der Frau als Mutter zu verfestigen.

Historisch betrachtet ist diese Konstruktion, wie unter anderem der Historiker und Marxist Fabian Lehr in seinem YouTube-Video bezüglich Caliban und die Hexe zeigt, überaus fragwürdig. Wir wollen dabei auf einige Punkte verweisen. Er führt zuerst aus, dass es erstmal Probleme in der zeitlichen Darstellung gibt. Federici erklärt den Drang zur Steigerung der Geburtenraten damit, dass es im 16. und 17. Jahrhundert einen bedenklichen Bevölkerungsrückgang gegeben hätte. Die Hexenverfolgungen beginnen jedoch im 15. Jahrhundert und erreichen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhebliche Ausmaße. In dieser Zeit hat es jedoch im Großteil Europas eher das Problem eines zu großen Bevölkerungswachstums gegeben mit der Folge einer starken Zunahme an Land- und Besitzlosen.

Diese mussten umherziehen, wirkten aber im frühneuzeitlichen Europa destabilisierend. So beginnen dann ab dem späten 15. Jahrhundert massive Einschüchterungen und disziplinarische Maßnahmen, um das Problem einzudämmen. Dies führt sie zwar an, erkennt aber nicht, dass dies ihrer These widerspricht, da zu Beginn der Hexenverfolgung gar kein Interesse der europäischen Staaten an der Erhöhung der Geburtenrate bestand. Vielmehr wurde versucht, die kaum zu unterhaltenden Unterschichten in die neuen Kolonien auszulagern.

Darüber hinaus führt er an, dass die Hexenverbrennungen gar nicht flächendeckend innerhalb Europas und eher in zeitlich verschiedenen Episoden stattfanden. So sollen oftmals innerhalb einer Region nur einige Monate bis wenige Jahre große Hexenverfolgungen stattgefunden haben mit längeren Pausen, bis eine neue Prozesswelle startete. Somit waren sie nirgends eine dauerhafte, gleichmäßig intensive Erscheinung, sondern traten eher in wiederholten Schüben auf – mit einer Opferzahl von einigen Zehntausenden und nicht mit mehr, wie Federici andeutet. Größere Hexenverfolgungen gab es nur in einigen Regionen. Spielten sie eine so zentrale Rolle, müsste es also größere ökonomische, soziale sowie demographische Unterschiede zwischen Regionen mit und ohne Hexenprozesse gegeben haben. Dies spart Federici aus, obwohl es, wie Lehr festhält, die naheliegendste und empirische Prüfung auf ihre Theorie wäre. Die Hexenverbrennungen somit als zentralen, für die ursprüngliche Akkumulation absolut notwendigen Schritt zu betrachten, macht nur wenig Sinn, während die oben bereits aufgeführten Merkmale wie die Einhegung von Land flächendeckend auftraten.

Auch Federicis Konstruktion, die Hexenverfolgung vor allem als Ausdruck des Kampfes gegen die aufständische Bauern-/Bäuerinnenschaft und gegen aufbegehrende plebejische Schichten zu betrachten, ist fragwürdig. Es ist daher auch kein Zufall, dass sie Vorkommnisse herunterspielt, wo die Hexenverfolgung – durchaus ähnlich wie Judenpogrome – Ausdruck irrationaler, reaktionärer, von unteren Schichten des Klerus, des Adels oder auch des Kleinbürger:innentums geschürter öffentlicher Exzesse waren. Eine Analyse dieser irrationalistischen, reaktionären Entwicklungen fehlt bei ihr weitgehend.

Trotzdem wollen wir Federicis These bezüglich der Disziplinierung des weiblichen Körpers damit noch nicht völlig verwerfen, sondern im Folgenden näher betrachten.

Die Disziplinierung des weiblichen Körpers

Diese sei zentral für die Entwicklung der ursprünglichen Akkumulation gewesen. Wie wir bereits festgehalten haben, hat die Hexenverbrennung damit jedoch wenig zu tun. Das ist aber nicht der einzige Mechanismus, auf den Federici sich stützt. Festzuhalten ist vor allem, dass für sie der weibliche Körper selber zum Produktionsmittel wird. Damit greift sie, wie sie in ihrem Vorwort schreibt, auch die Idee von Mariarosa Dalla Costa sowie Selma James auf. „Gegen die marxistische Orthodoxie, die die ‚Unterdrückung’ der Frauen und ihre Unterordnung unter die Männer als Residuum feudaler Verhältnisse erklärte, vertraten Dalla Costa und James die Position, die Ausbeutung der Frauen habe im Prozess kapitalistischer Akkumulation insofern eine zentrale Rolle gespielt, als Frauen die Produzentinnen und Reproduzentinnen der grundlegenden kapitalistischen Ware gewesen sind: der Arbeitskraft.“ (S. 8)

Dass die spezifische Form, die die Frauenunterdrückung im Kapitalismus annimmt, bloß ein Rückstand feudaler Verhältnisse sei, ist ein theoretischer Pappkamerad, der „der marxistischen Orthodoxie“ in die Schuhe geschoben wird. Sowohl Engels’ Arbeiten (beispielsweise „Der Ursprung der Familie … “), vor allem aber die Anknüpfungspunkte, die Marx im Kapital für eine werttheoretische Analyse der Reproduktionsarbeit liefert, belegen das Gegenteil. Sie zeigen deutlich auf, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung und der Ursprung der Frauenunterdrückung deutlich früher beginnen  – mit Anfang der Entstehung der ersten Klassengesellschaften. In etlichen Teilen mag eine umfassende, zusammenhängende Darstellung ausstehen. Andererseits haben beispielsweise Autorinnen wie Lise Vogel wertvolle Arbeit zu einer solchen geliefert. Sie kommen allerdings zu grundlegend anderen Schlussfolgerungen als Federici (siehe: Aventina Holzer, Social Reproduction Theory: moderner Marxismus oder feministische Sackgasse? In: REVOLUTIONÄRER MARXISMUS 53, Berlin 2020, S. 295 – 308).

Körper als Produktionsmittel?

Wesentlich ist jedoch, dass für Federici vor allem der weibliche Körper ein Produktionsmittel geworden sei. Um dies zu zeigen, knüpft sie an verschiedenen Autor:innen an, die darauf verwiesen, dass die bürgerliche Gesellschaft eine vollkommen neue Art von Individuum hervorbringt. Max Weber zufolge bilde die Neugestaltung des Körpers den Kern der kapitalistischen Ethik, weil der Kapitalismus den Erwerb zum Selbstzweck mache, anstatt ihn als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung zu behandeln. Daraus folgt, dass die protestantische, kapitalistische Ethik, die Entsagung des spontanen Lebensgenusses zur moralischen Handlungsmaxime werden muss.

Federici verweist hier auch zu Recht darauf, dass mit der kapitalistischen Produktionsweise die Selbstentfremdung der Lohnabhängigen auf die Spitze getrieben wird: „So wird der Arbeitsprozess zum Terrain der Selbstentfremdung. ( … ) Auch das bewirkt eine gewisse Loslösung vom eigenen Körper, der verdinglicht und auf einen Gegenstand reduziert wird, mit dem sich die Person nicht mehr unmittelbar identifiziert.“ (S. 170)

Diese Selbstentfremdung kennzeichnet den kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozess und wird im Fabriksystem systematisch angewandt, wie Marx im „Kapital“ zeigt. Die Arbeitenden werden Anhängsel des Maschinensystems, dem Kapital nicht nur formell, sondern reell subsumiert.

Diese sich verändernde Produktionsweise brachte auch eine andere Organisation der Reproduktion mit sich, auf die wir weiter unten noch näher eingehen werden. Natürlich erfolgte auch dies wie die Durchsetzung des Kapitalismus selbst alles andere als gewaltfrei. So weit ist Federici sicher zuzustimmen.

Schließlich prägt der entfremdete Arbeitsprozess nicht nur den betrieblichen Alltag, sondern auch die Verhältnisse außerhalb desselben sowie die Denkweisen und Ideologien der Gesellschaftsmitglieder. Der zugerichtete, zerstückelte, auf einige Handgriffe oder Prozesse reduzierte, dem Verwertungsprozess untergeordnete erscheint als der „natürliche Mensch“. Auch die Körperideale von Frauen werden darauf reduziert. Allerdings ist der Körper im kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozess selbst kein Produktionsmittel, sondern Träger des menschlichen Arbeitsvermögens. Als solcher ist er für den Produktionsprozesse unerlässlich, schafft er Mehrwert fürs Kapital.

Damit diese Prozesse verstetigt werden können, muss dieser Körper, muss das menschliche Arbeitsvermögen beständig außerhalb der Produktionssphäre reproduziert werden. Dies geschieht im proletarischen Haushalt, welche Form dieser auch immer annehmen mag (Familie, alleinstehend … ). In diesem muss darüber hinaus nicht nur die eigene Arbeitskraft, sondern auch die nächste Generation der Klasse aufgezogen und reproduziert werden.

Der Wert der Arbeitskraft umfasst daher die Reproduktionskosten der gesamten Klasse – wobei die einzelnen Kapitale diese ständig versuchen, unter ihren Wert zu drücken.

Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die im Grunde von vorhergehenden Gesellschaften übernommen wurde, führt dazu, dass im „klassischen“ Familienmodell der Mann als Hauptverdiener, die Frau als Hausfrau gilt (auch wenn selbst dieses Modell historisch gesehen der herrschenden Klasse abgerungen werden musste).

Entscheidend für uns ist aber Folgendes. Auch in der privaten Haus- und bei der Care-Arbeit fungiert der weibliche Körper in der Regel nicht als Arbeitsmittel. Auch dort ist er vor allem Träger des Arbeitsvermögens. D. h. die arbeitende Person kocht, putzt, betreut Kinder oder Alte. Sie verändert wie jede Arbeit einen Gegenstand. Die einzige wichtige Ausnahme stellt hier die Geburt von Kindern dar. Hier ist der weibliche Körper als solcher selbst für die Reproduktion der Gattung unerlässlich.

Zweifellos bildet dieser reale Unterschied der Geschlechter eine wichtige Grundlage für die Ideologisierung, Rechtfertigung und Reproduktion einer reaktionären, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und ebensolcher Geschlechterrollen. Dass die Arbeit der Frau im Haushalt als gleichsam natürliche „Körpertätigkeit“ erscheint, ist jedoch selbst eine Ideologisierung, der Federici aufsitzt. Ein entscheidender Fehler ihrer gesamten Analyse besteht darin, dass sie im Grunde jegliche Tätigkeit im Haus als analoge Form zur Geburt betrachtet.

Dies geht in Caliban und die Hexe auch mit einer Romantisierung vorindustrieller, vorkapitalistischer Familienformen einher. Deutlich wird dies, wenn sie über die  Allmende schreibt: „Darüber hinaus war die Arbeit auf den Höfen der Leibeigenen an der Subsistenz ausgerichtet, so dass die geschlechtliche Arbeitsteilung dort weniger ausgeprägt und weniger diskriminierend war als auf den kapitalistischen Höfen“ (S. 34), und folgt mit: „Wenn wir darüber hinaus auch zur Kenntnis nehmen, dass kollektive Beziehungen in der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber Familienbeziehungen vorrangig waren und dass die von den weiblichen Leibeigenen übernommenen Aufgaben (Waschen, Spinnen, Ernten, das Hüten der Tiere auf der Allmende) gemeinsam mit anderen Frauen erledigt wurden, dann erkennen wir, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung weit davon entfernt war, die Frauen zu isolieren. Sie war ihnen vielmehr eine Quelle von Macht und Schutz. Die geschlechtliche Arbeitsteilung war Grundlage einer ausgeprägten weiblichen Gesellschaft und Solidarität, die es den Frauen erlaubte, sich gegen die Männer zu behaupten, obwohl die Kirche die Unterordnung der Frauen predigte und das Kirchenrecht es dem Mann erlaubte, seine Frau zu schlagen.“ (S. 35)

Das Problem besteht in der Bewertung der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Es wird ein einfacher Gegensatz konstruiert, der isoliert betrachtet sinnvoll erscheinen mag, aber weder mit den historischen Tatsachen übereinstimmt noch etwas über den Gesamtverlauf der Geschichte aussagt. Gleichzeitig wird die geschlechtliche Arbeitsteilung in ihrer Bedeutung für die weibliche Unterdrückung eigentlich relativiert. Der Ausschluss der Frauen aus Teilen der Produktion ist in keiner Epoche der Menschheitsgeschichte als etwas Positives zu bewerten, als „Quelle von Macht und Schutz“. Denn es ist eben jene Arbeitsteilung, die Frauen an der Selbstständigkeit hindert.

Sie prägt viel mehr den Kern der Frauenunterdrückung als die bloße Fähigkeit, Kinder zu gebären. Vielmehr scheint es in ihrer Erzählung so, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung erst im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation zum wirklich großen Problem für Frauen wurde und vorher eigentlich eine recht positive Lage existierte, da es keine klare Trennung zwischen Produktion und Reproduktion gab.

Mit Beginn des Kapitalismus und der Entstehung des Proletariats hörte der Haushalt auf, die grundlegende Produktionseinheit zu sein. Statt in der Familie selber zu produzieren, musste die eigene Arbeitskraft an Kapitalist:Innen für einen bestimmten Zeitraum vermietet werden. Die Einbeziehung der Frauen in die Lohnarbeit stellt zwar einen wichtigen Fortschritt dar, aber einen, der im Rahmen des Kapitalismus immer mit einer doppelten Last – Ausbeutung in der Lohnarbeit und ihrer unentgeltlichen Plackerei im Haushalt – einhergeht. Daher stellt auch die Vergesellschaftung der Hausarbeit eine zentrale Forderung im Kampf gegen ihre Unterdrückung dar, der untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Federici hingegen vertritt eine andere Perspektive. Statt Vergesellschaftung geht es um eine Rückkehr zu einer längst überholten Form, der Allmende. Dem entspricht, dass die Frauenunterdrückung letztlich nicht als mit der Klassenherrschaft verwobene Form begriffen wird, sondern eigentlich als neben der kapitalistischen Lohnarbeit existierendes Ausbeutungsverhältnis.

Federici vertritt bei allen Verdiensten wie der Hervorhebung der  vergangenen Kämpfe von Frauen, sowie der Zurichtungen und Zumutungen von ihnen und Unterdrückten objektiv eine reaktionäre Vorstellung von der Lösung dieser Probleme. Sie hängt der Utopie an, dass Häretiker:innen, Kleineigentümer:innen an den Produktionsmitteln, Bauern-/Bäuerinnengemeinden eine befreite Gesellschaft und fortschrittliche Alternative zum Kapitalismus nicht nur in der Vergangenheit hätten schaffen können, sondern die Rückkehr zu einer „modernisierten“ Variante der Allmende, die Commons, die Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme und Überwindung der Klassen- wie Frauenunterdrückung leisten könne. Dies ist eine Utopie. Auch wenn Federici immer wieder den Frauenkampf als Klassenkampf und die Frauen als Proletarierinnen darstellt, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei ihr die Arbeiter:innen in einer Allianz mit den kleinbürgerlichen Klassen untergehen, das historisch Spezifische des proletarischen Befreiungskampfes letztlich verlorengeht. Ihre historische Analyse stellt daher letztlich keine Erweiterung oder Korrektur, sondern eine kleinbürgerlich-populistische Abkehr vom Marxismus dar.




Care-Sektor: Warum die, die uns am Leben erhalten trotzdem so schlecht bezahlt werden

Sani Meier (REVOLUTION, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Spätestens seit Beginn der Corona-Krise wurde uns allen noch einmal mehr verdeutlicht, wie sehr wir auf die Arbeiter_Innen im Gesundheitssektor angewiesen sind und wie schlimm es eigentlich um diesen ganzen Bereich steht: Überstunden, viel zu niedrige Löhne, privatisierte Kliniken und mangelndes Personal sind hier nur ein paar der unzähligen Baustellen. Doch warum werden gerade die Menschen, die uns buchstäblich am Leben erhalten so schlecht bezahlt?

Was ist Care-Arbeit eigentlich?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst einmal anschauen, was genau Care-, oder Sorgearbeit, eigentlich ist, denn hierzu zählt noch viel mehr als die Arbeit in Krankenhäusern. Generell fällt hierunter alles, was dem Erhalt menschlichen Lebens dient. Das ist also auch die Versorgung und Erziehung von Kindern, alten Menschen sowie Pflege- und Haushaltstätigkeiten wie u. a. Kochen, Putzen, Waschen und emotionale Fürsorge. Hier findet zudem eine Unterscheidung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit statt. In Kliniken, Schulen, Kindergärten, Altersheimen oder ambulanten Pflegediensten wird gegen Lohn gearbeitet, während der größte Anteil unbezahlt und mehrheitlich von Frauen im Haushalt geleistet wird. Weltweit werden ungefähr 2/3 dieser unbezahlten Sorgearbeit von Frauen getragen, durchschnittlich verbringen Frauen 3,2-mal mehr Zeit damit. Care-Arbeit im privaten Haushalt wird also nicht mal wirklich als Arbeit angesehen, während in öffentlichen oder privaten Einrichtungen die Ausbeutung der Arbeiter_Innen kontinuierlich wächst. Somit stellt die Tatsache, dass man überhaupt für bestimmte Care-Tätigkeiten entlohnt wird, oft nur eine minimale Verbesserung für die Beschäftigten dar.

Der Charakter von Care-Arbeit im Kapitalismus

Die Entscheidung über Löhne und Arbeitsbedingungen ist dabei aber keine moralische, sondern basiert auf den Funktionsweisen des Kapitalismus. Alle Menschen, die selbst nicht das Kapital besitzen, um Produktionsmittel wie Fabriken, Maschinen etc. zu kaufen (Arbeiter_Innen), müssen ihre Arbeitskraft gegen Lohn an diejenigen verkaufen, die über dieses verfügen (Kapitalist_Innen). Letztere kaufen Arbeitskraft für einen gewissen Zeitraum mit der Absicht, das Produkt bzw. die Dienstleistung zu einem höheren Preis zu verkaufen als deren Kosten einschließlich der zur Reproduktion der benötigten Arbeitskraft. Diese Differenz nennen wir Mehrwert (Profit( für die Kapitalist_Innen. Dieser entsteht dadurch, dass Arbeiter_Innen nicht dann Feierabend machen können, wenn sie den Gegenwert ihres Lohnes erzeugt haben, sondern darüber hinaus weiterarbeiten müssen. Ab diesem Zeitpunkt wird unbezahlte Mehrarbeit geleistet, deren Wert sich die Kapitalist_Innen aneignen. Um diesen Profit möglichst effektiv zu maximieren, versuchen sie natürlich, die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten. Da die Löhne aber dennoch hoch genug sein müssen, um die Arbeiter_Innen am Leben zu halten und den weiteren Verkauf ihrer Arbeitskraft zu sichern, wird ein Großteil der dafür benötigten Tätigkeiten (Reproduktionsarbeit) in die private und unbezahlte Sphäre in der „Freizeit“ der Beschäftigten ausgelagert. Warum manche reproduktive Arbeiten in öffentliche und private Hand gegeben werden, hat unterschiedliche Gründe. Auf der einen Seite profitieren Kapitalist_Innen auch davon, weibliche Arbeitskraft ausbeuten zu können, und Dinge wie eine einheitliche (Aus-)Bildung sind auch für manche Wirtschaftsbereiche notwendig. Das ist nicht immer besonders profitabel. Deshalb schreitet der Staat ein, um für das Kapital bestimmte Dinge umzusetzen, wo sich Unternehmen keinen (großen) Profit erhoffen können. Aber auch in Kriegssituationen kommt es oft zu einer Verstaatlichung der meisten reproduktiven Aufgaben, da die Arbeitskräfte fehlen und entlastet werden müssen. Andererseits wurden auch viele Fortschritte in Klassenkämpfen errungen. Im Care-Sektor (also Kinderbetreuung, Krankenhäuser u. ä.) haben von Beginn an hauptsächlich Frauen gearbeitet und da man erwartet hatte, dass ihre Beschäftigung mit Beginn der Ehe enden oder lediglich Nebeneinkommen zu dem des Mannes erwirtschaften würde, wurden Frauen von Anfang an schlechter bezahlt und ein Aufstieg in besser bezahlte Positionen (z. B. von der Krankpflegerin zur Ärztin) war lange nicht denkbar.

Doch obwohl Frauen heute fast selbstverständlich erwerbstätig sind, auch wenn sie heiraten, und es immer mehr Ärztinnen gibt, hat sich an der schlechten Bezahlung und den miserablen Arbeitsbedingungen wenig geändert. Wie kann das sein?

Die Ursache liegt im grundlegenden Verhältnis dieser Arbeit zum Kapital. Solange Reproduktionsarbeit (wozu private Kindererziehung ebenso zählt wie die Betreuung in der Kita) in staatlichen Einrichtungen geleistet wird, entsteht durch sie kein Mehrwert für das Kapital. Wenn es sich also nicht vermeiden lässt, diese Arbeiten außerhalb der Familie und des privaten Haushaltes zu verrichten, muss es eine andere Möglichkeit geben, damit Profit zu generieren: Privatisierung!

Privatisierung und Prekarisierung

Spätestens seit Einführung der Fallpauschale 2004 in Deutschland, welche für jedes Krankheitsbild eine durchschnittliche Bezahlung für die Behandlung festlegt, womit alles, was darüber hinausgeht, ein Defizit für die Klinik oder enormen Bürokratieaufwand bedeutet, sahen sich viele Kommunen gezwungen, ihre Kliniken an private Unternehmen zu verkaufen. Seit 1991 ist die Zahl der privaten Klinken um 70 % gestiegen und über 320 % mehr privatisierte Betten sind seitdem entstanden. Das führt dazu, dass vor allem die Behandlungen durchgeführt werden, die am meisten Profit bringen und im Gegenzug möglichst viel Geld beim Personal eingespart wird, um konkurrenzfähig zu bleiben. Kein Wunder also, dass allein zwischen 2002 und 2006, also rund um die Einführung der Fallpauschalen und den Beginn der Privatisierungswelle, circa 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege wegfielen. Aktuell fehlen rund 100.000 Vollzeitstellen. Pflegekräfte arbeiten momentan rund 10 Jahre lang in ihrem Beruf, bevor sie wegen Überlastung eine neue Beschäftigung suchen.

Was tun?

Es ist also vor allem der Druck, Profit im Care-Sektor zu generieren, welcher letztendlich sowohl den Beschäftigten schadet als auch den Patient_Innen und damit der gesamten Bevölkerung. Wir fordern deshalb, dass der Care-Sektor nach den Bedürfnissen derer ausgerichtet werden muss, die er versorgt und die darin arbeiten. Dazu braucht es auf der einen Seite die Entprivatisierung und Neuorganisierung öffentlicher Einrichtungen unter Arbeiter_Innenkontrolle wie auch die Vergesellschaftung der privaten Reproduktionsarbeit in Form von öffentlichen Wäschereien, Küchen, Kitas etc. Diese Forderungen können aber letztendlich nicht vollständig im Rahmen des kapitalistischen Systems realisiert und müssen deshalb immer als Teil einer revolutionären gesellschaftlichen Umwälzung gesehen werden, die das Ziel hat, den Kapitalismus zu überwinden. Bis dahin muss es aber auch unsere Aufgabe sein, für konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen wie zum Beispiel: Die Offenlegung aller Geschäftsbücher und damit volle Einsicht der Beschäftigten in Kosten und Einnahmen ihrer Betriebe!

  • Die Verstaatlichung und den Ausbau des gesamten Care-Sektors unter Kontrolle der Beschäftigten, Patient_Innen, Gewerkschaften und Arbeiter_Innen, finanziert durch die Besteuerung der Reichen!
  • Mehr Planungssicherheit und Wertschätzung für Care-Berufe! Das heißt: höhere Löhne, verringerte Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und mehr Personal in sämtlichen Pflegebereichen!
  • Das Ende der Fallpauschalen! Für eine Behandlung, die an der Gesundheit und den Bedürfnissen der Patient_Innen ausgerichtet ist und nicht am Profit privater Konzerne!

Quellen

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_633166.pdf