Hausarbeit und Frauenstreik

Stefan Katzer, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Wenn
feministische Organisationen am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag,
auch in Deutschland zum „Frauenstreik“ aufrufen, folgen sie damit dem Vorbild
von Millionen Frauen weltweit. Diese legten bereits letztes Jahr unter anderem
in Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Iran, Italien,
Kolumbien, auf den Philippineninseln, in der Republik (Süd-)Korea, im
mehrheitlich kurdisch bevölkerten nordsyrischen Kanton Afrin sowie in der
Türkei und in Uruguay die Arbeit nieder und gingen aus Protest gegen ihre
gesellschaftliche Unterdrückung auf die Straße. Sie forderten dabei unter
anderem ein Ende der Gewalt gegen Frauen, das Recht auf körperliche und
sexuelle Selbstbestimmung, die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse sowie
eine faire Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit. Die aufrufenden Gruppen
konnten dabei zum Teil enorme Mobilisierungserfolge erzielen wie etwa in
Spanien, wo zeitweise ca. sechs Millionen Frauen und Männer für einige Stunden
in den Ausstand gingen.

Der
„Frauenstreik“, der als politische Kampfform in den letzten Jahren vermehrt
wiederentdeckt wurde, ist jedoch bedeutend älter. Er kann als eine Erfindung
der zweiten Welle der Frauenbewegung betrachtet werden, die Ende der 1960er
Jahre vor allem in den USA und (West-)Europa entstand. Der „autonome
Frauenkampf“, den Teile dieser Bewegung propagierten und theoretisch zu
legitimieren versuchten, kann dabei auch als politische Reaktion auf die
Ignoranz der reformistisch geführten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung,
aber auch der meisten Gruppen aus der „radikalen Linken“ für die Probleme der
(Haus-)Frauen verstanden werden. Der Einfluss kleinbürgerlicher Ideologien auf
den neu aufkommenden Feminismus soll nicht geleugnet werden. Die Trennung von
Frauen- und Klassenkampf ist jedoch ebenso Folge der Unfähigkeit der
Organisationen der ArbeiterInnenklasse, eine politische Kampfperspektive zu
vermitteln, welche den Kampf gegen patriarchalische Unterdrückung und
kapitalistische Ausbeutung als gemeinsamen versteht. Wenn wir uns im Folgenden
mit diesen Theorien auseinandersetzen, so in der Absicht, dessen Notwendigkeit
und seine politischen Perspektiven aufzuzeigen. Inwiefern hierfür der Bezug auf
das Proletariat nach wie vor zentral ist, soll auch in Auseinandersetzung mit
der „Wert-Abspaltungskritik“ von Roswitha Scholz geklärt werden.

(Haus-)Frauenstreik

Theoretisch begründet wurde die Idee des Frauenstreiks von Mariarosa Dalla Costa und Selma James, die mit ihrer Schrift „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ die Debatte um das Thema Hausarbeit in den 1970er Jahren entscheidend prägten. Dalla Costa und James, die sich anschickten, die marxsche Theorie von ihren „blinden Flecken“ zu befreien und durch die Einbeziehung der Reproduktionsarbeit in die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise die Ausbeutung der Frau in der Familie sichtbar zu machen, diskutierten in diesem Zusammenhang auch die Frage des „Frauenkampfes“. Dabei sahen sie in der kollektiven Verweigerung der Hausarbeit eine geeignete politische Kampfform, um die Isolation der Frauen im Haushalt zu durchbrechen und ihren Kampf um die Befreiung von patriarchalischer Unterdrückung mit dem gegen die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse zu verbinden. Sie betrachteten den Frauenkampf somit als ein geeignetes Mittel im Kampf der (Haus-)Frauen gegen die Ausbeutung in der Familie, konzipierten ihn aber von Anfang an zugleich als „Teil des Kampfes, den die Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Arbeit führt“ (Dalla Costa/James, S. 42).

Ihr Vorwurf lautete, Marx sei für wesentliche Formen der Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutung blind gewesen. Für sie war die in der Familie geleistete Hausarbeit eine Form produktiver Arbeit wie die in der Industrieproduktion, die Mehrwert für den/die Kapitalistin schafft. Zugleich bildete diese Tatsache nach ihrer Ansicht die ausschlaggebende materielle Grundlage für die Möglichkeit eines „autonomen Frauenkampfes:“ „Diese Möglichkeit des Kampfes auf gesellschaftlicher Ebene entsteht eben aus dem gesellschaftlich produktiven Charakter der Tätigkeit der Frau im Haus.“ (S. 43) Oberflächlich betrachtet erscheine die Hausarbeit zwar als eine persönliche Dienstleistung für den Ehemann, tatsächlich aber gehe sie direkt in die Mehrwertproduktion des Kapitals ein, indem nämlich die Hausarbeit die Ware Arbeitskraft des männlichen Arbeiters hinter dem Rücken der industriellen Produktion, also in verschleierter Form, ohne Lohn reproduziere. Dadurch sorge sie für die Vergrößerung der Mehrwertproduktion, sei also produktive, Mehrwert erzeugende Arbeit. Da die kapitalistische Produktionsweise ohne die Reproduktion der Ware Arbeitskraft nicht funktionieren könne, sei zudem die Familie als die hauptsächliche Stütze der kapitalistischen Organisation der Arbeit zu betrachten (S. 42). Ebenso sei die Konsumtion, die in der Familie stattfinde, produktive Konsumtion und auch dadurch die Hausarbeit Moment der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Halten wir zunächst fest, dass „produktive“ Hausarbeit im o. a. Sinne nur in der LohnarbeiterInnenfamilie geleistet werden und somit nicht die Arbeit aller Hausfrauen umfassen kann.

Zwei wesentliche
Konzepte bilden somit die Grundlage für diese Theorie im Fall der
proletarischen Hausfrauen: ihre Produktion von Arbeitern/Arbeitskraft
(d. h. Kindererziehung, Dienstleistung am Ehemann/Arbeiter) und ihre Rolle
bei der „Konsumtion als Teil der Produktion“, also Einkaufen, Kochen, Putzen,
Pflegen usw. Die Behauptung, diese beiden Aspekte der Hausarbeit brächten Mehrwert
hervor, ignoriert allerdings zwei wesentliche Unterschiede, nämlich 1) den
zwischen industrieller und privaterKonsumtion (d. h. Verbrauch von
Lebensmitteln in der Familie) und 2) den Unterschied zwischen produktiver
Arbeit unter dem Kapitalismus, d. h. Lohnarbeit für eine/n KapitalistIn
zur Erzeugung von Mehrwert, und einfacher Arbeit, die „nur” einen Gebrauchswert
erzeugt.

Zum Unterschied
zwischen industrieller und privater Konsumtion schreibt Marx:

„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“ (Marx: Das Kapital, Bd. 1, 21. Kapitel, S. 596f.; Hervorhebung durch d. Red.)

Zwar wird auch
der private Verbrauch, von den KapitalistInnen berücksichtigt, da er zur
Aufrechterhaltung und Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, somit ein
notwendiges Moment des Produktionsprozesses darstellt. Aber da der/die
ArbeiterIn außerhalb des Produktionsprozesses nicht dem/r KapitalistIn, sondern
sich selbst gehört, kann er/sie dies getrost dem Selbsterhaltungs- und
Fortpflanzungstrieb der ArbeiterIn überlassen. Die Tatsache, dass es notwendig
ist zu essen, zu leben und sich fortzupflanzen, macht die
(ArbeiterInnen-)Familien somit nicht zu einem „Zentrum gesellschaftlicher
Produktion”. Diese Dinge finden vielmehr ungeachtet der gesellschaftlichen
Produktionsform statt. Individuelle Konsumtion zu Hause ist keine kapitalistische
Produktion, da dem/r KapitalistIn die Familie nicht gehört. Der/die ArbeiterIn gehört vielmehr
weiterhin sich selbst und verkauft dem/r KapitalistIn lediglich
stundenweise seine/ihre Arbeitskraft. Die Ware Arbeitskraft wird also in der
ArbeiterInnenfamilie nicht als Ware produziert, sondern als solche im
kapitalistischen Produktionsprozess verkauft. Somit ist auch der
„Produktionsprozess“ der Ware Arbeitskraft im Haushalt selbst nicht
kapitalistisch. Er steht vielmehr außerhalb des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses,
welches die systematische Grundlage der Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse
darstellt. Auch geht die (notwendige Reproduktions-)Arbeit nur dann als
wertbildende Arbeit in diese besondere Ware ein, wenn diese in Form von
bezahlten Dienstleistungen erbracht wird. Die Arbeitskraft wird durch Verbrauch
materieller Dinge (Essen, Kleidung) und Dienstleistungen (medizinische
Versorgung, Ausbildung) geschaffen. Der Gesamtwert dieser Mittel zum
Lebensunterhalt ist der Wert der Arbeitskraft. Die zur Aufbereitung dieser
Verbrauchsgüter von den Hausfrauen geleistete Hausarbeit wird bei dieser Summe nicht
berücksichtigt. Hausarbeit fügt der Ware Arbeitskraft somit auch keinen Wert hinzu,
sie schafft „lediglich“ Gebrauchswert für die individuelle Konsumtion.
Ihr Gebrauchswert für den/die KapitalistIn besteht dagegen erst in ihrem
industriellen Konsumtionsprozess, der Erzeugung von Mehrwert.

Das bedeutet
umgekehrt aber nicht, dass Frauen zu Hause nicht arbeiten oder ihre Arbeit – im
normativen Sinne – „nichts wert“ sei. Es bedeutet lediglich, dass diese
häusliche Schufterei keine kapitalistische Produktion ist und sie genau aus diesem Grund
bei der Analyse kapitalistischer Produktionsverhältnisse von Marx nicht
berücksichtigt wird. Dass Marx die im Haushalt geleistete Arbeit nicht als
„produktive Arbeit“ fasste, hat also nichts mit seiner Blindheit gegenüber
sexistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zu tun. Es liegt
vielmehr daran, dass diese Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen
vom Produktionsprozess wirklich ausgeklammert ist und „privat“ stattfindet –
obwohl sie als notwendige Arbeit für die Reproduktion der Gesellschaft zugleich
unerlässlich ist. Wenn Dalla Costa und James also behaupten, dass Frauen
Menschen „produzierten“, dann ist das im biologischen Sinne sicherlich richtig,
bedeutet aber nicht, dass man deshalb schon von produktiver Arbeit – für eine/n
KapitalistIn – sprechen kann. Genau dies war der theoretische Fehlschluss, der
letztlich auch zu falschen politischen Forderungen führte.

„Lohn für Hausarbeit!“ – eine
Forderung, viele Probleme

Eine, die
mit der Kampfform des (Haus-)Frauenstreiks erkämpft werden sollte, lautete:
„Lohn für Hausarbeit“. Sie begegnet uns heute zum Teil in der etwas
schwammigeren Forderung nach einer „Wertschätzung der Hausarbeit“ wieder und
wird auch vom Bündnis „Frauen*streik“ vertreten. Im „Aufruf zum Streik“ erklärt
es dazu u. a. Folgendes: „Wir wollen streiken, … weil wir in einer Welt
leben wollen, in der jede Arbeit wertgeschätzt wird. … weil wir uns nicht
länger ausbeuten lassen, weder zu Hause, noch auf der Lohnarbeit. … weil
unsere Zeit uns gehört und wir selbst bestimmen wollen, wann und wie wir
arbeiten. […].“ (Aufruf Frauenstreik 2019) Die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“
ist nicht alleine deshalb problematisch, weil sie auf einer falschen Analyse
beruht (eine solche kann sinnvoll und unterstützenwert sein), sondern vielmehr,
weil sie auch politisch-strategisch einige Probleme aufwirft. Dalla Costa und
James haben eines selbst diskutiert. Sie erkannten, dass die Forderung Gefahr
läuft, „so ausgelegt zu werden, als ob wir die Situation der Hausfrau
institutionalisierten und damit verfestigten wollten“ (Dalla Costa/James, S.
42), während ihr eigentliches Ziel darin bestehe, „die gesamte Hausfrauenrolle
zu zerstören“ (S. 43). Wenn es auch keinen Grund dafür gibt, die Aufrichtigkeit
der Autorinnen bezüglich ihrer revolutionären Intention zu bezweifeln, ist es
doch so, dass die soziale Logik einer Forderung und deren materielle
Auswirkungen nicht automatisch dem entsprechen, was sich der/die Fordernde
dabei subjektiv „eigentlich“ denkt oder wünscht. Denn diese Forderung zielt
gerade nicht auf die Überwindung der Trennung von produktiver und
reproduktiver/Gebrauchswert bildender Arbeit ab. Sie schreibt sie und die ihr
zugrunde liegende sexistische Arbeitsteilung vielmehr fest. Darüber hinaus
zeugt sie von einem falschen Verständnis des (bürgerlichen) Staates. Dieser ist
Staat des Kapitals und steht nur scheinbar über den Klassengegensätzen. Er
sichert zugleich die Voraussetzungen der kapitalistischen Ausbeutung und
schützt diese auch mithilfe seines Gewaltmonopols, dient somit in erster Linie
der herrschenden Klasse als Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Ein
revolutionäres Programm, das die Aufhebung aller Formen der Ausbeutung und
Unterdrückung zum Ziel hat, muss dementsprechend auf die Zerschlagung des
bürgerlichen und auf die Errichtung eines proletarischen Halbstaates abzielen,
um die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen vollziehen und absichern zu
können.

Die
Neuaufteilung der Hausarbeit, d. h. die Aufhebung der sexistischen
Arbeitsteilung, erfordert deshalb eine umfassende revolutionäre Strategie und
ein ihr entsprechendes Programm, welches unter anderem die Forderung nach einem
Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten enthält und die gesamte
ArbeiterInnenklasse als Subjekt der revolutionären Umwälzung benennt. Denn nur
diese ist objektiv dazu in der Lage, eine bewusste Vergesellschaftung des
Arbeits- und individuellen Reproduktionsprozesses und der darauf aufbauenden
Verkehrsformen vorzunehmen.

Entlohnung? Vergesellschaftung!

Die Forderung
nach einem/r „Lohn/Wertschätzung für Hausarbeit“ sollte deshalb ersetzt werden
durch die nach deren Vergesellschaftung. Diese muss entsprechend ihrer
Bedeutung und ihrem Zusammenhang mit anderen Bereichen der Produktion in ein
umfassendes Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten integriert werden. So
kann die Frage nach der demokratischen Planung der gesamten gesellschaftlichen
(Re-)Produktion und der Verteilung der hierfür notwendigen Gesamtarbeit auf
alle arbeitsfähigen Hände und Köpfe gelöst werden. Es geht dabei um die
bewusste Organisation des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Produktion und
den darauf aufbauenden gesellschaftlichen Verkehrsformen durch die in Räten
organisierten ProduzentInnen selbst. Die Verbindung mit den Kämpfen der
ArbeiterInnenklasse und die Integration einzelner Forderungen in ein
revolutionäres Übergangsprogramm sind 
auch deshalb notwendig, weil die Hausfrauen in keinem direkten
Verhältnis zum Kapital stehen und dementsprechend auch kein direktes
ökonomisches Druckmittel haben, das sie nutzen könnten, um ihre Forderungen
durchzusetzen. So waren auch bisher jene „(Haus-)Frauenstreiks“ am
erfolgreichsten, welche die Lohnabhängigen integrierten und dazu brachten, ihre
Arbeit ebenfalls niederzulegen. Dass dies auch vom Bündnis „Frauen*streik“
angestrebt wird, ist deshalb zu begrüßen. Allerdings ist die Klärung der
hierfür notwendigen Strategie und der jeweils konkret anzuwendenden Taktiken
etwa gegenüber den reformistischen geführten ArbeiterInnenorganisationen damit
noch nicht sehr weit gediehen. (Siehe Artikel zum Frauenstreik 2019 in dieser
Ausgabe!)

Roswitha Scholz und die Theorie der Wert-Abspaltung

War es noch das
erklärte Ziel der „sozialistischen FeministInnen“, die Kämpfe der Frauen mit
dem Klassenkampf des Proletariats zu verbinden, haben Teile der sich auf Marx
beziehenden feministischen TheoretikerInnen danach eine explizite Abkehr vom
Proletariat vollzogen. Eine davon, deren Einfluss auf Teile der
(post-)autonomen Linken nicht zu unterschätzen ist, ist Roswitha Scholz. Scholz
rechnet zum Kreis der WertkritikerInnen um die „EXIT!“-Gruppe („EXIT“ ist der
Name ihrer Theoriezeitschrift), deren bekanntester Vertreter der verstorbene
Robert Kurz war. Ihre Theorie der Wert-Abspaltung zielt laut eignem Bekunden
auf die Analyse des Zusammenhangs von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und
postmoderner Individualisierung, ihre hauptsächliche Kritik auf den von ihr so
genannten „Arbeiterbewegungsmarxismus“. Sie versteht ihre Theorie als
Weiterentwicklung der „fundamentalen Wertkritik“, deren blinde Flecken in Bezug
auf Fragen sexistischer und rassistischer Diskriminierung sie mit ihrer Theorie
der „Wert-Abspaltung“ zu überwinden trachtet. Ihr geht es dabei aber nicht
darum, mittels revolutionärer Theorie und Praxis das Proletariat von
kapitalistischer Klassenherrschaft zu befreien. Scholz’ Anstrengungen zielen
vielmehr darauf, die marxistische Theorie vom Proletariat zu „befreien“.
Hierfür bedarf es grundlegender theoretischer Revisionen – welche sie auch
tatsächlich vornimmt.

Die grundlegende
unter ihnen in Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie besteht in der
Bekämpfung der so genannten „Ontologie der Arbeit“. Arbeit ist etwa für den
„Vater“ der Wertkritik, Moishe Postone, lediglich eine für den Kapitalismus
gültige Kategorie:

„Den Kern aller Varianten des
traditionellen Marxismus bildet der transhistorisch gefasste Arbeitsbegriff.
Die Marxsche Kategorie Arbeit wird dabei als zielgerichtete gesellschaftliche
Tätigkeit verstanden, die zwischen Mensch und Natur vermittelt und dabei
spezifische Güter produziert, um bestimmte menschliche Bedürfnisse zu
befriedigen. Arbeit, so verstanden, ist der ,Urgrund‘ allen gesellschaftlichen
Lebens. Sie konstituiert die soziale Welt und ist Quelle allen
gesellschaftlichen Reichtums. Doch diese Auffassung schreibt der Arbeit als
transhistorisch zu, was Marx als historisch spezifische Eigenschaft der Arbeit im
Kapitalismus verstanden hat“. (Postone, S. 28)

Lassen wir
beiseite, dass Marx 1875 in der Kritik am Gothaer Programm der deutschen
Sozialdemokratie ebenso sehr die Natur als Quelle allen menschlichen Reichtums
betrachtete wie die Arbeit. Ungeachtet der Tatsache, dass einige der von
Postone aufgeführten Bestimmungen des angeblich vom traditionellen Marxismus
verwendeten Arbeitsbegriffs tatsächlich unzutreffend sind, ist die Stoßrichtung
seiner Kritik doch eindeutig: Arbeit ist für ihn eine auf die kapitalistische
Produktionsweise beschränkte Kategorie.

Scholz’ Aussagen
in dieser Richtung sind ambivalenter. Mit dem Allgemeinplatz, dass
„Gesellschaft ein historischer und dynamischer Prozess ist“ (Scholz 2005, S.
13), der sich „definitorischen (und ontologisierenden) Zugriffen“ (ebd.)
verweigere, scheint sie sich der Sichtweise Postones, auf den sie sich auch
ansonsten positiv bezieht, anzuschließen. Ihr scheint aber auch klar zu sein,
dass die Menschen doch immer irgendwie irgendetwas tun müssen, um nicht zu verhungern.
So spricht sie in ein und demselben Satz davon, dass es sich bei der Arbeit „in
anderer Hinsicht“ nicht um eine „überhistorische Angelegenheit“ handle, sie
aber dennoch, „wenngleich vielleicht auch in unterschiedlicher Weise, alle
Gesellschaftsformationen durchzieht“ (S. 21). In welcher Hinsicht Arbeit keine
„überhistorische“ Kategorie darstellt und ob sich dies lediglich auf die Form
der Arbeit bezieht, wird nicht klar. Eindeutiger hingegen ist ihr „negativer“
Bezug auf den Wertbegriff, den sie nur für den Kapitalismus gelten lässt.

Um dies zu
begründen, muss Scholz die Aufmerksamkeit vom Begriff des Kapitals, das bei
Marx letztlich als ein gesellschaftliches Verhältnis gedacht war und im Zentrum
seiner Kritik der politischen Ökonomie stand, auf den Wertbegriff umlenken und
sich diesen dabei zugleich zurechtbiegen. Dieser erscheint nicht mehr als
reflexives Verhältnis der einzelnen Arbeit zur Gesamtarbeit, sondern
gewissermaßen als „Substanz“ der „abstrakten Herrschaft“ im Kapitalismus und
damit als das eigentliche Übel dieser Produktionsweise. Dies alles „leistet“
die Wertkritik, indem sie sowohl vom grundlegenden Doppelcharakter der Arbeit
sowie von deren Naturbedingtheit abstrahiert und diese letztlich auf die
Verausgabung von abstrakter Arbeit reduziert. Diese Verkürzungen ergeben sich
aus dem Unverständnis der Bedeutung der abstrakten Arbeit im Allgemeinen und
ihrer Funktion im Kapitalismus im Besonderen. Damit schaffen sich die
WertkritikerInnen jene Theorie, die ihre kleinbürgerliche politische Praxis und
ihre Abkehr vom Proletariat rechtfertigt.

Doppelcharakter der Arbeit

Marx hat ihn als
den „Springpunkt“ seiner Analyse der Ware im Kapitalismus bezeichnet: den
Doppelcharakter der Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist neben der konkreten Arbeit
nach Marx ein Moment des Doppelcharakters aller Arbeit, unabhängig von ihrer
konkreten gesellschaftlichen Form. Der Begriff „abstrakte Arbeit“ bezieht sich
dabei auf die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, d. h. auf die gemeinsame,
gesellschaftlich gleiche Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft und die
dadurch erzeugte Beziehung aller Arbeitsprodukte untereinander und zur
gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Abstrakte Arbeit spielt qua dem „Gesetz der
Ökonomie der Zeit“ in allen Gesellschaftsformationen eine wichtige Rolle, und
zwar bei der proportionalen Verteilung der Gesamtarbeit auf einzelne Zweige.
Insofern von jeder konkreten Eigenschaft der besonderen Arbeitsprodukte und der
sie produzierenden Einzelarbeiten real abstrahiert wird, gelten sie als gleiche
menschliche Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist somit eine allgemeine Eigenschaft
aller konkret-nützlichen Arbeiten und in
allen Gemeinwesen
werden diese zugleich als abstrakt-menschliche Arbeiten
aufeinander bezogen. Abstrakte Arbeit, als Verausgabung menschlichen
Arbeitsvermögens im Verhältnis zur gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft,
existiert dem Prinzip nach also unter allen Gesellschaftsformationen.

„Nicht ,abstrakte Arbeit‘ an sich ist
also ein gesellschaftliches ,Konstrukt‘, das nur dem Kapitalismus eigen ist, …
sondern die spezifisch kapitalistische, gesellschaftliche Konstruktion ist es,
dass Arbeit, reduziert auf abstrakte Arbeit, schon als solche zu
gesellschaftlicher Arbeit wird. […] Die spezifisch-historische
gesellschaftliche Kategorie, die abstrakte Arbeit in der Wertform zur
Erscheinung bringt, besteht […] in der Auflösung der naturwüchsigen
gesellschaftlichen Zusammenhänge von Arbeit und Bedürfnisbefriedigung, in der
unmittelbaren Gesellschaftlichkeit von ,bloß verausgabter Arbeit‘, deren gegenständliches
Resultat sich im Nachhinein seinen Bedarf zu suchen hat. Hinter dem Rücken der
Akteure entsteht dabei eine ,zweite Natur‘: eine scheinbar ,naturwüchsige
Beziehung‘ zwischen Arbeit und vergegenständlichten Wertformen, die zum
eigentlichen Zweck und gesellschaftlichen Akteur des ökonomischen Prozesses zu
werden scheinen. Diese zweite Naturwüchsigkeit macht die Gewalt der
Fetischcharaktere der verschiedenen Wertformgestalten aus.“ (Lehner 2008, S.
133)

Moishe Postone
geht hingegen davon aus, dass die abstrakte Arbeit spezifisch kapitalistisch
sei und in anderen Gesellschaftsformationen keine Rolle spiele (vgl. Postone
2003, S. 233). Zudem sei die „Objektivierung“ der abstrakten Arbeit in einer
den Individuen gegenüber verselbstständigten Sphäre die spezifisch
kapitalistische Form „abstrakter Herrschaft“ und diese vom Proletariat und
durch dessen Verausgabung abstrakter Arbeit letztlich selbst erzeugt und
aufrechterhalten. Die der Entfremdung und Subsumtion (Unterordnung) der
lebendigen unter die tote (vergangene, im Kapitalvorschuss enthaltene) Arbeit
zugrundeliegende Klassenherrschaft der – äußerst lebendigen – Bourgeoisie wird
von den WertkritikerInnen hingegen ausgeklammert. Die Kontrolle der besitzenden
Klassen über die von ihnen bewegte Arbeit erscheint aber an der Oberfläche der
Gesellschaft lediglich als die Herrschaft von „objektiven“, „naturhaften“
Gewalten der „Markt- und Kapitalbewegungen“:

„Durch die Ablösung des Fetischs und des ,automatischen Subjekts‘ von dieser gesellschaftlichen Basis wird dem Fetisch sein eigentlicher gesellschaftlicher Zweck genommen – er wird quasi wörtlich genommen. Tatsächlich verschleiert er jedoch als sachliches Verhältnis, das doch eigentlich ein ganz handgreiflich gesellschaftliches ist, die Herrschaft einer Klasse über eine andere.“ (Lehner 2003, S. 116)

Die
WertkritikerInnen sind somit nicht in der Lage zu erkennen, dass die
gesellschaftliche Form der Arbeit von den gegenständlichen Bedingungen der
Arbeit und der Distribution der Produktionsmittel abhängt. Doch nur dann, wenn
vom Arbeitsprozess als Einheit seiner subjektiven und objektiven Bedingungen
ausgegangen wird, wenn also von der Naturbedingtheit der Arbeit nicht
abstrahiert und wenn sie nicht auf die Verausgabung von abstrakter Arbeit
reduziert wird, kann überhaupt wahrgenommen werden, dass das Eigentum an den
gegenständlichen Arbeitsbedingungen eine Bedingung der Arbeit ist und dass die
gesellschaftliche Form der Arbeit von
dieser Bedingung abhängt. Eine Theorie hingegen, die diesen Zusammenhang
unterschlägt, muss letztlich zu allerhand Mystizismus führen – wie die Texte
der Wertkritik verdeutlichen.

Auch Roswitha
Scholz behauptet, die abstrakte Arbeit sei überhaupt erst im Kapitalismus
„entstanden“ (Scholz 2005, S. 19). Sie spricht gar vom „System der ‚abstrakten
Arbeit‘“, bei dem es gar nicht um eine „subjektiv-private Aneignung von etwas
Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (S. 17) gehe, sondern
das „Privateigentum nur eine sekundäre Erscheinungsform des Mehrwerts als eines
negativen gesellschaftlichen Selbstzwecks“ darstelle (S. 17f.). Was immer man
unter einem „negativen Selbstzweck“ zu verstehen hat, Mehrwert und Verausgabung
abstrakter Arbeit sind gegenüber dem Privateigentum an Produktionsmitteln für
sie das bestimmende Moment.

Die
gesellschaftliche Form der Arbeit wird von ihr von deren gegenständlichen
Bedingungen getrennt. Statt ihren inneren Zusammenhang zu analysieren, wird
„der Wert“ bzw. die „Wert-Abspaltung“ als „zentrales gesellschaftliches
Basisprinzip“ (S. 21) und zugleich als „Metastruktur“ (S. 23) konzipiert, die
nirgends in der empirischen Realität mehr begründet scheint. Die
gesellschaftlichen Voraussetzungen und Vermittlungen der „Selbstverwertung des
Werts“ in der Produktionssphäre werden ausgeklammert. Die Verselbstständigung
der Wertform ist aber abhängig von der Einverleibung der „freien Arbeitskraft“
in die Warenwelt – und das nicht nur historisch, sondern auch logisch. Erst
dadurch – das heißt durch das Privateigentum an Produktionsmitteln, welches die
Eigentumslosigkeit der ArbeiterInnen und somit deren Abhängigkeit begründet –
entsteht überhaupt die Möglichkeit dafür. Doch auch Scholz kann die historische
Genese des Kapitalismus und dessen Voraussetzungen nicht völlig ausblenden.
Dementsprechend benennt sie die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware als
eine seiner Voraussetzungen (vgl. S. 18). Sie erklärt aber Klassengegensätze
für die sich auf den eigenen Grundlagen reproduzierende kapitalistische
Produktionsweise als zweitrangig bzw. vollkommen obsolet. Die
Verselbstständigung der Wertform ist für sie vielmehr eine Frage des Charakters
– und zwar des „Selbstzweckcharakters des Werts“ (ebd.). Damit verdinglicht sie
ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen Individuen und Klassen zu einem Ding
mit quasi-menschlichen Eigenschaften. Das Subjekt der gesellschaftlichen
Reproduktion wird von den empirischen Individuen und den materiellen
Verhältnissen abgelöst und die Wert-Abspaltung entsprechend zu einer
„Metastruktur“ stilisiert, welche sich auf die „Metalogik“ (S. 182) der
sozialen Reproduktion beziehe, deren Widerspiegelung in der Theorie der
Wert-Abspaltung „auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt“ (S. 22) sei.
Das „hohe Abstraktionsniveau“ gründet dabei aber nicht in einem über den
gesellschaftlichen Verhältnissen schwebenden „Formprinzip“, sondern in der
Abstraktion von den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen seitens der
Theoretikerin.

Zwischenfazit:
Alle menschlichen Gesellschaften kennzeichnet der doppelte Charakter Ihrer
Arbeit. Einerseits ist diese als konkrete Art der Tätigkeit zweckgerichtet,
erfüllt ein bestimmtes Bedürfnis, andererseits ist sie stets ohne deren
Unterschied abstrakte Verausgabung von Nerven, Hirn und Muskeln sowie auch in
dem Sinne abstrakt, dass sie stets Teil eines gesellschaftlichen Ganzen bleiben
muss, da die Menschen nur in Gesellschaft leben können.

Was den
Kapitalismus dagegen als einzigartig kennzeichnet, ist, dass er abstrakte
Arbeit als Wert darstellt und sie in
ihm misst, weil er eine universelle Warenproduktionsweise ist. Die Lohnarbeit
ist die einzige „freie“ Arbeitsform der Menschheitsgeschichte, in der den
ProduzentInnen die Verfügung über die gegenständlichen Bedingungen ihrer Arbeit
(Produktionsmittel) abhanden gekommen ist, sie nur über ihr subjektives
Arbeitsvermögen verfügen, das sie als Ware Arbeitskraft verkaufen, genauer:
stundenweise vermieten müssen.

Das
Klassenverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital ist also entscheidend dafür,
dass Arbeitskraft (subjektives Arbeitsvermögen) und Kapital (objektive
Arbeitsbedingungen, abstrakter Reichtum zum Zwecke seiner stetigen Vermehrung)
in deren Werten eine scheinbar dingliche Gestalt annehmen. Die „Wertkritik“
dagegen entfernt Ausbeutung, Klassen und Menschen aus der Geschichte und
verwandelt den Kapitalismus in ein Reich der Herrschaft von Sachen, abstrakter
Arbeit. Sie sitzt damit selbst dem von ihr falsch kritisierten Wertfetischismus
als Motor der Produktionsweise auf. Die Produktionsweise verwandelt sich in ein
Perpetuum mobile von Sachzwängen, das von der ArbeiterInnenklasse nicht mehr
angehalten werden kann.

Der ohnehin schon falschen Vorstellung der WertkritikerInnen, wonach sich „die gesellschaftliche Totalität in der Moderne aus der fetischistischen Selbstbewegung des Geldes und der ‚abstrakten Arbeit‘ als tautologischem Selbstzweck konstituiert“ (S. 19), fügt Scholz die Vorstellung einer
„geschlechtsspezifischen Abspaltung“ hinzu. Diesen Begriff zieht sie in der
Folge heran, um die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Unterdrückung auf
das kapitalistische „Basisprinzip“ der Wert-Abspaltung zurückzuführen. Alles,
was nicht in der Wertform „aufgehe“, werde von dieser abgespalten und
gesellschaftlich abgewertet. Die Idee dabei ist, dass der Wert die Gleichsetzung
der verschiedenen (konkreten) Arbeiten zur Voraussetzung habe. Alles, was sich
dieser Gleichsetzung nicht füge, darin „nicht aufgehe“, werde abgespalten.
Dieses „Formprinzip“ strukturiere die gesamte gesellschaftliche Ordnung und
reproduziere sich auch auf symbolischer und sozialpsychologischer Ebene – unter
anderem in der Abwertung des „Weiblichen“, des „Anderen“ und allem damit
Assoziierten. Nachdem sich Scholz eine solche, über allen konkreten
gesellschaftlichen Verhältnissen schwebende „Metalogik“ konstruiert hat, geht
es ihr in der Auseinandersetzung mit anderen TheoretikerInnen nur noch darum,
die Bestimmtheit der vielfältigen Diskriminierungs- und
Unterdrückungserscheinungen durch dieses „Basisprinzip“ zu behaupten.
Solchermaßen bastelt sich Scholz eine scheinbar umfassende Theorie der
kapitalistischen Totalität, indem sie das übergreifende Moment auf eine von den
materiellen Verhältnissen und dem Handeln der Subjekte scheinbar unabhängige
und sich selbst begründende „Metastruktur“ zurückführt.

Da Ausbeutung
für Scholz nur eine sekundäre Erscheinungsform darstellt und es den
KapitalistInnen gar nicht um die „subjektiv-private Aneignung von etwas
Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (sprich: Ausbeutung)
gehe, kann sie sich scheinbar auch nicht vorstellen, dass Sexismus und andere
Formen der Unterdrückung durchaus eine gesellschaftliche Funktion im Interesse
einer Klasse erfüllen – und etwa dazu dienen, die Reproduktionskosten der Ware
Arbeitskraft, den Wert der weiblichen Ware Arbeitskraft und dadurch auch das
Lohnniveau im Allgemeinen zu senken – Stichwort: sexistisch delegierte und ins
Private abgedrängte Hausarbeit.

Zur Bewertung der Hausarbeit durch die Wert-Abspaltungstheorie

Während
MarxistInnen argumentieren, Hausarbeit im Kapitalismus sei keine produktive,
aber gesellschaftlich notwendige, Gebrauchswert bildende Arbeit, möchte Scholz
mit Bezug auf Haushaltstätigkeiten wie Kinder erziehen und Pflegetätigkeiten
ausführen überhaupt nicht von „Arbeit“ sprechen (vgl. Scholz 2005, S. 19f.). Da
diese Tätigkeiten „nicht der politökonomischen Rationalität gehorchen wie die
‚abstrakte Arbeit‘“ (ebd.), könnten „die weiblichen Reproduktionstätigkeiten
auch nicht mit der Arbeitskategorie belegt werden.“ (S. 20) Die im Haushalt
ausgeführten „Tätigkeiten“ stellten vielmehr die Kehrseite der sich im Wert
ausdrückenden „abstrakten Arbeit“ dar. Ebendeshalb sei auch dem Versuch zu
widerstehen, diese Tätigkeiten „auch noch in Arbeit umzudefinieren“ (Scholz
1992), da die (abstrakte) Arbeit ja „gewissermaßen selbst die ,Wurzel allen
Übels‘“ (ebd.) sei. Deshalb müsse „ein dritter Begriff gesucht werden, mit dem
die traditionelle Tätigkeit der Frau im Reproduktionsbereich genauer
theoretisch bestimmt werden kann, da auch der Terminus ,Tätigkeit‘ zu diffus
ist und einen zu großen Allgemeinheitscharakter besitzt […]. Diese – keineswegs
irrelevante – Problematik kann hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.
Solange eine derartige Klärung nicht erfolgt ist, bediene ich mich deshalb
weiterhin des unbefriedigenden Begriffs ,Tätigkeit‘, wenn von der ,Arbeit‘ im
Reproduktionsbereich die Rede ist.“ (ebd.)

Es bleibt die
Frage, von welchem höheren Wesen sich Scholz diese Klärung verspricht, wenn sie
auch nach mehr als zehn Jahren noch immer den zuvor von ihr selbst als zu
diffus bezeichneten Begriff der „Tätigkeit“ verwendet. Hier präsentiert sie
scheinbar ungewollt die Grenze ihrer eignen Theorie – als „Unmöglichkeit“,
diese „Problematik hier weiter zu verfolgen“ und einen präzisen Begriff der
Hausarbeit zu entwickeln. Es scheint sich bei diesem Problem – das Scholz in
späteren Texten schon gar nicht mehr als solches benennt, wo sie ohne weitere
Kommentare den Begriff der („Haushalts‘- bzw. „Reproduktions“-) Tätigkeiten verwendet (Scholz 2005, S.
20; Scholz 2017a und b) –, um ein theorieimmanent-begriffliches Problem zu
behandeln, welches bedingt ist durch die „fundamentale“ und „radikale“
Verwirrung der Wert-Abspaltungskritik bezüglich der Kategorien der Kritik der
politischen Ökonomie.

Da das
Proletariat als potentielles revolutionäres Subjekt bei den WertkritikerInnen
nicht mehr vorkommt, bleibt ihre gesamte politische Strategie notwendigerweise
diffus und abstrakt.

So soll sich die
„praktische Gesellschaftskritik“ ganz direkt gegen die „Grundform der Wert-Abspaltung
als solche“ (Scholz 2005, S. 265) richten. Dieses Basisprinzip gelte es „in
Frage zu stellen“ und zu „überwinden“ (ebd.). Gegenüber der Notwendigkeit,
Bündnisse mit nicht näher definierten anderen Gruppen einzugehen, beharrt die
Wertkritik zugleich darauf, „dass heute ein radikal kritischer Neubezug auf ein
gesellschaftliches (fragmentarisches) Ganzes, auf ein negatives Wesen
stattfinden muss; gerade auch in der unmittelbar praktischen
gesellschaftskritischen Aktion“. (S. 12) Was immer man sich unter einem „Bezug
auf ein negatives Wesen“ vorzustellen hat – es klingt jedenfalls mehr nach
Okkultismus als nach revolutionärer politischer Praxis.  Da dieses „negative Wesen“ als
„abstrakte Metalogik“ zugleich nirgendwo zu fassen ist, bezieht sich Scholz dann
auch unvermittelt auf den „inhaltlich-spezifischen Kontext vor Ort“, auf
„vortheoretisch erfahrene Lebens- und Gesellschaftsprobleme“ (ebd.) als
Bezugspunkte politischer Praxis.

Politische Perspektiven

Aufgrund ihres
falschen Verständnisses des Kapitalverhältnisses entsorgen Scholz und die
„Wertkritik“ nicht nur die ArbeiterInnenklasse als Subjekt gesellschaftlicher
Veränderung, sondern natürlich auch die organisierte proletarische
Frauenbewegung. Zum Schluss möchten wir noch kurz auf die politischen Perspektiven
zu sprechen kommen, die sich aus der Analyse des Kapitalismus ergeben.

Das Proletariat,
auf welches sich der revolutionäre Marxismus nach wie vor bezieht, wird von
diesem nicht (nur) als eine gegebene Objektivität begriffen, sondern muss „vom
Endpunkt seiner revolutionären Klassenbildung her, von den weltgeschichtlichen
Perspektiven der proletarischen Bewegung, gefasst werden“ (Lehner 2010, S. 13).
Es ist diejenige ProduzentInnenklasse, die alle gesellschaftlich notwendigen
Arbeiten auf entfremdete Weise in sich zusammenfasst und deshalb als einzige
objektiv dazu in der Lage ist, die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen
–  die rationale Aneignung der
totalen gesellschaftlichen Produktion, (von welcher die derzeit ins „Private“
abgeschobene Hausarbeit einen Teil darstellt) –, bewusst gesellschaftlich
vorzunehmen. Um den Prozess der Herausbildung des Proletariats zum
revolutionären Subjekt aktiv zu befördern, sind deshalb sowohl die Ausarbeitung
einer revolutionären Klassentheorie, der Aufbau einer revolutionären
Organisation nötig wie auch der Kampf um besondere Formen der Organisierung der
Unterdrückten, darunter der für eine proletarische Frauenbewegung.

Dies soll der
Tatsache Rechnung tragen, dass Lohnarbeit und Kapital als Widerspruchsverhältnis
nicht nur die Negation der beiden Seiten umfasst, sondern zu seiner
Reproduktion auch das Moment der Identität. Diese stellt selbst eine materielle
Grundlage für reformistisches Bewusstsein in der ArbeiterInnenklasse dar und
bedeutet auch, dass revolutionäres Bewusstsein nicht spontan entstehen kann. Es
bedarf hierfür einer revolutionär-kommunistischen
Organisation, die um dieses Bewusstsein in der gesamten Klasse kämpft. Der
Bezug auf den Begriff des Proletariats entspricht dabei nicht nur der tatsächlich
vor sich gehenden Vereinheitlichung der besonderen Arbeits- und
Lebensbedingungen, die durch den kapitalistischen Akkumulationsprozess selbst
zunehmend dem allgemeinen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital subsumiert
werden, sondern erfüllt auch eine wichtige Funktion im revolutionären Kampf
gegen die alte Ordnung, indem es das Lager der objektiv Lohnabhängigen über all
seine Streitungen hinweg ausgehend von der Basis einer differenzierten,
realistischen Klassenanalyse funktional polarisiert.

Literatur

Aufruf Frauenstreik 2019: < https://frauenstreik.org/aufruf/>

Dalla Costa, Mariarosa/ James, Selma: Die Macht der Frauen
und der Umsturz der Gesellschaft, (Internationale Marxistische Diskussion, Heft
36), Berlin/W. 1973, Merve-Verlag

Lehner, Markus (2003): Die „Kritik der Arbeit“ und das
Rätsel der Systemüberwindung, in: Revolutionärer Marxismus 33, Berlin 2003,
global red, S. 89–122

Ders. (2008): Finanzkapital, Imperialismus und die
langfristigen Tendenzen der Kapitalakkumulation, in: Revolutionärer Marxismus
39, Berlin 2008, global red, S. 129–208

Ders.
(2010): Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum
marxistischen Klassenbegriff, in: Revolutionärer Marxismus 42, Berlin 2010,
global red, S. 7–99

Marx, Karl: Das Kapital. Erster Band, Berlin/O. 1971

Postone, Moishe: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche
Herrschaft, eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx,
Freiburg/Breisgau 2003, ça ira Verlag

Scholz,
Roswitha (1992): Der Wert ist der
Mann.
Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis, in:
Krisis. Kritik der Warengesellschaft, Erlangen 1992, Selbstverlag; https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=25&backtext1=text1.php

Dies. (2005): Differenzen der Krise – Krise der
Differenzen. Die neue Gesellschaftskritik im globalen Zeitalter und der
Zusammenhang von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und postmoderner
Individualisierung,
Unkel 2005, Horlemann B.

Dies. (2017
a): FEMINISMUS – KAPITALISMUS – ÖKONOMIE – KRISE. Wert-Abspaltungs-kritische
Einwände gegenüber einigen Ansätzen feministischer Ökonomiekritik heute, 2017.
Online (07.02.2019): https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=517&backtext1=text1.php

Dies.
(2017 b): Wert-Abspaltung, Geschlecht und Krise des Kapitalismus. Interview von
Clara Navarro Ruiz mit Roswitha Scholz (Constelaciones. Revista de Teoria
Critica, 2017), 18.12.2017:
http://www.palim-psao.fr/2017/12/wert-abspaltung-geschlecht-und-krise-des-kapitalismus.interview-von-clara-navarro-ruiz-mit-roswitha-scholz.html




Frauen in LGBTQ+-Zusammenhängen

Flora, REVOLUTION Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7,
März 2019

Innerhalb einer Gesellschaft, die von Unterdrückung und Ausbeutung
profitiert, erfahren Frauen viel Sexismus, von Alltagsdiskriminierung bis hin
zu gewalttätigen schweren frauenfeindlichen Übergriffen. Aber auch innerhalb verschiedener Gemeinschaften, die
sich der Diversität verschrieben haben wie z. B. der LGBTQ+-Community,
hören Sexismus und die Unterrepräsentation von Frauen nicht einfach auf. Auf
diese Problematik wird in diesem Artikel eingegangen.

Warum werden
Mitglieder der LGBTQ+-Community unterdrückt?

Im Kapitalismus wird das Idealbild der bürgerlichen
Kleinfamilie propagiert. Diese ist in Büchern, Filmen oder Werbung stets
präsent und auf gesetzlicher Ebene bevorteilt. Dies liegt daran, dass diese
Form der Familie mehrere Funktionen erfüllt. Während sie für die herrschende
Klasse die Weitergabe von Besitz durch Vererbung klärt, dient sie für die
Arbeiter*Innenklasse als Ort zur Reproduktion. Das ist für die Kapitalist*Innen
sehr günstig – denn sie müssen die Kosten für die Arbeit der Essenszubereitung,
beim Wäsche Waschen, der Kindererziehung oder auch der emotionalen Arbeit nicht
bezahlen. Die Rolle der Frau ist dabei sehr klar, sie kümmert sich um den
Nachwuchs und verrichtet unbezahlte Hausarbeit. Immer noch ist der Großteil der
in Teilzeit Beschäftigten Frauen und sie können somit nicht in finanzieller
Unabhängigkeit leben. Gerade durch diese Doppelbelastung ist es ihnen erschwert,
sich zu organisieren und Räume für sich einzunehmen. Angehörige der LGBTQ+-Community
werden deswegen abgelehnt, da sie dieses Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie objektiv
infrage stellen. Sie produzieren entweder keinen Nachwuchs und tragen so nicht
zur Systemerhaltung bei oder stellen durch ihr Zusammenleben die klassische geschlechtliche
Arbeitsteilung in Frage.

Doch wie
äußert sich diese Unterrepräsentierung?

In der Gesellschaft allgemein wird die weibliche Sexualität so
dargestellt, dass sie zur Befriedigung der männlichen Lust dient. Das führt
beispielsweise dazu, dass lesbische Orientierung nicht ernst genommen, nur als „Phase“ abgetan wird, während man
Bisexualität als „Plus“ für Männer darstellt. Darüber hinaus wird nicht wenigen jungen Mitgliedern der LGBTQ+-Community
abgesprochen, dass sie in jungen Jahren bereits über ihre Geschlechtsidentität
und zu wem sie sich hingezogen fühlen, Bescheid wissen können. Frauen hören
zudem nicht selten Aussagen wie, sie hätten ja nur noch nie richtig guten Sex
mit einem Mann gehabt, oder werden auf andere Arten sexualisiert. So ist es kein Wunder, dass es wenige Darstellungen
von homo- oder bisexuellen Frauen gibt. Beispielsweise zeigt die 2017
veröffentlichte Studie „Media, Diversity & Social Change Initiative“ der
USC Annenberg School for Communication and Journalism (Los Angeles), dass von
den 100 populärsten Filmen Hollywoods 2016, in denen 4.544 Charaktere
ausgewertet wurden, nur 51 (1,1 %) LGBTQ+- Charaktere waren. Von diesen
waren 36 schwule Männer, 9 Lesben und 6 bisexuell. Keine Transgenderperson kam
in diesen Filmen vor. Auch zu erwähnen ist, dass 79,1 % weißer Hautfarbe
waren und nur 20,9 % unterrepräsentierten Gruppen angehörten. Dies könnte
mitunter daher kommen, dass in dem Zeitraum von 9 Jahren, in denen die Studie geführt wurde, nur 4,1 % der
Produktionen von Regisseurinnen geleitet wurden. Das ist ein Grund warum immer
nur der männliche Blickwinkel auf die verschiedensten Themen gezeigt wird.
Daneben haben Produktion und Filmförderung kein Interesse daran, eine
authentische Repräsentation von diskriminierten Gruppen zu zeigen, weil sie
keinen profitablen Absatzmarkt darin sehen. Dies sind nur einige Zahlen aus der westlichen Filmindustrie. Ähnliche
Zahlen gibt es auch in der Kunst- und Musikszene. Besonders treffen diese mangelnden Darstellungen Transfrauen und Women of Colour. Ihnen wird der
Zugang zum Gesundheitssystem erschwert, teilweise sogar verwehrt. Auch in
vielen anderen Lebensbereichen werden sie diskriminiert und die Lebenserwartung
von zum Beispiel Transwomen of Colour in den USA wird auf 35 Jahre geschätzt.

Warum ist
das so?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind in unserer
Gesellschaft weiße, heterosexuelle Cismänner (also Menschen, die männlich
geboren wurden und sich auch so fühlen) privilegiert. Zwar erfahren Männer aus
der Arbeiter*Innenklasse Unterdrückung, da sie ihre Arbeitskraft verkaufen
müssen. Gleichzeitig haben sie es in vielen Punkten einfacher, da sie nicht von
anderen Diskriminierungen betroffen sind. So ist es kein Wunder, dass homo-
oder bisexuelle Männer in der LGBTQ+-Community ebenfalls präsenter sind, da
Unterdrückungsmechanismen nicht einfach verschwinden, nur weil man sich in
einer politischen Organisation oder einer Community befindet.

Wie mehr Gehör zu verschaffen?

Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass man in Organisationen
Strukturen und Mechanismen schaffen muss, die mit existierender Unterdrückung
umgehen. So ist das Caucusrecht eine Möglichkeit für gesellschaftlich
Unterdrückte, sich gesondert von der Organisation zu treffen, um Probleme und
politische Ideen in einem geschützteren Rahmen diskutieren zu können. In diesen
können auch LGBTQ*-spezifische Themen besprochen und ausgearbeitet werden.
Daneben bedarf es aber auch anderer Mittel wie quotierter Redner*Innenlisten
oder gezielter Förderung von Frauen durch Entlastung von technischen Aufgaben. Aber auch die Auseinandersetzung mit männlicher
Sozialisierung, tradierten Rollenbildern und einer kritischen Reflexion der
heteronormativen Zweierbeziehung gehört dazu. Aber nachdem sich die
Unterdrückung von Frauen auf den Kapitalismus und die historisch gewachsene
Rolle der Frau in der Familie zurückführen lässt, kann auch die
Unterrepräsentation von queeren Frauen nicht aus dem Kontext genommen und erst
recht nicht gelöst werden, ohne etwas an den Herrschaftsverhältnissen zu
ändern. Für die Befreiung der Frau ist die Zerschlagung der Vorherrschaft des
Mannes über Frauen, diese wird von patriarchalen Strukturen gestützt,
unabdingbar. Dies kann nur durch eine Revolution durch das Proletariat erreicht
werden, in der die Frauen in vorderster Reihe kämpfen. Denn letztlich kann nur
durch die Zerschlagung des kapitalistischen Systems und die Errichtung einer
klassenlosen Gesellschaft die komplette Befreiung aller unterdrückten Menschen
erreicht werden.

  • Für rechtliche und sonstige Gleichstellung sowie Freiheit der Ausübung aller Formen der Sexualität! Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung!
  • Zurückdrängung aller Formen von Rollenklischees, Diskriminierung und Ausgrenzung in der Jugend und innerhalb der Arbeiter_innenklasse! Für Caucusrechte von Unterdrückten und angemessene Aufklärung über LGBTQ+-Orientierung an Schulen, Unis und Betrieben!

LGBTQ+: Steht für Lesbian, Gay, Bisexuell, Trans und Queer. Das Plus symbolisiert alle Menschen, die sich mit keinem der genannten Begriffe identifizieren können, aber ein/e Teiler*In der Community sind, zum Beispiel Non-Binary oder Asexual.




Abtreibungsparagraphen wegstreiken!

Svea Hualidu, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Kaum ein Thema sorgt für mehr Diskussionsstoff als dieses. Gerade
Abtreibungsgegner_Innen instrumentalisieren dieses Thema emotional, während
Befürworter_Innen versuchen, die Thematik rational zu betrachten. In der
Debatte steht dabei immer die Frage der Legalisierung im Vordergrund. Denn in
vielen Ländern sind Abtreibungen, geschweige denn die Aufklärung darüber, noch
verboten. In Ländern wie Chile, Malta oder der Dominikanischen Republik dürfen
unter keinen Umständen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Deshalb
sind viele Frauen dazu gezwungen, kilometerweit in andere Städte oder sogar
Länder zu fahren, um dort abzutreiben.

Insgesamt finden schätzungsweise jährlich 56 Millionen statt. Knapp die
Hälfte davon ist aufgrund von Gesetzeslage oder finanzieller Situation illegal.

Deutschland

Selbst in Deutschland, welches immer als das Paradebeispiel für legale
Abtreibungen hingestellt wird, haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bis
Frauen wirklich ohne jegliche Hürden selbst über ihren Körper entscheiden
können.

Denn ob eine Frau sich hier gegen ein Kind entscheidet, muss bis zur 12.
Schwangerschaftswoche feststehen – danach ist eine Abtreibung illegal (sog.
Fristenlösung).

Direkt mit der Empfängnis geht der eigentliche Stress für die Frau jedoch bereits los, da laut Paragraph 219a Ärzt_Innen keine „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche machen dürfen. Werbung bedeutet jedoch schon, dass sie auf ihrer Homepage nicht angeben dürfen, selbst Abtreibungen durchzuführen, wie sich im Fall Kristina Hänel zeigte. Die Gießener Ärztin tat nämlich genau das und wurde dafür zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro (noch nicht rechtskräftig) verurteilt. In Bayern werden beispielsweise von der Landesregierung öffentliche Beratungsstellen darauf hingewiesen, keine Adressen von Abtreibungsärzt_Innen weiterzugeben. Im Medizinstudium wird der praktische Abbruchprozess gar nicht erst behandelt. Wieviele Ärzt_Innen in Deutschland Abtreibungen genau ermöglichen, ist aufgrund der Gesetzeslage nicht ermittelbar. Aber eines lässt sich konstatieren: Die Zahl ist sehr gering. Gerade in ländlichen Regionen müssen Frauen rund 100 km fahren, um zu einem/r entspr. Arzt/Ärztin zu kommen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen bieten viele kirchliche Kliniken Abtreibungen nicht an, zum anderen sinkt aufgrund von Privatisierungen die Zahl der Kliniken allgemein. Ein häufiges Argument ist dann, dass sich Abtreibungen häufen würden, wenn der Zugang dazu zu leicht ist. Die Niederlande beweisen jedoch das Gegenteil: Dort kommen Frauen leicht an Informationen, dürfen legal abtreiben und haben einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Wem bring das Verbot was?

Wie immer im Kapitalismus müssen wir uns fragen: Wozu das alles, wer hat
etwas von diesen Verboten?

Die Behinderung des Rechtes auf Abtreibung bedeutet die Einschränkung
des Selbstbestimmungsrechts über den weiblichen Körper. Diese nutzt in erster
Linie der herrschenden, besitzenden Klasse. Denn die bürgerliche Familie, die
Monogamie und geschlechtliche Arbeitsteilung mit sich bringt, hat für sie die
Aufgabe, Eigentum zu vererben. Dass sich Frauen dieser Aufgabe verweigern, soll
unterbunden werden. Das hat aber auch Auswirkungen auf die
Arbeiter_Innenklasse. In der Regel haben diese wenig zu vererben, aber
gleichzeitig haben die Kapitalist_Innen Interesse an immer mehr
Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten. Nicht zufällig stammt der
Artikel 219a aus dem Jahr 1933. Vor allem aber geht es darum, dass die auf
geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierende Unterdrückung der Frau in der
Familie durch  repressive
Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen
Körper, Fixierung der weiblichen Sexualität auf das Gebären von Kindern usw.,
kurz gesagt, die repressiven, frauenfeindlichen Strukturen auch in der
ArbeiterInnenklasse reproduziert werden.

Es gibt einen weiteren Klassenunterschied in der Abtreibungsfrage:
Während Frauen der herrschenden Klasse es sich leisten können, in andere Länder
zu fahren, um den Eingriff durchführen zu lassen, müssen die Arbeiter_Innen
diesen in der Illegalität über sich ergehen lassen. Besonders hart trifft die
repressive Abtreibungsgesetzgebung jugendliche und junge Frauen, da diese nicht
nur ökonomisch und sozial abhängig, sondern als Jugendliche auch noch rechtlich
benachteiligt sind.

Gegenwehr

Doch es gibt auch Gegenwind. Im September gingen mehr als 5.000 Menschen
in der Republik Irland zum sogenannten „March of Choice“ für die Aufhebung des
Artikels 40.3.3 (8. Zusatzartikel zur Verfassung) auf die Straße. Dieser
besagt, dass das Leben eines ungeborenen Kindes genauso viel wert ist wie das
der Mutter. Das irische Parlament sah sich nach einem Volksentscheid am
25.5.2018 gezwungen, am 13.12.2018 ein Gesetz zu verabschieden, welches
Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche und bei bestimmten medizinischen
Gründen darüber hinaus erlaubt.

In Spanien wurde das Land am 8. März 2018 durch Frauenstreiks
lahmgelegt. Knapp 6 Millionen demonstrierten für ihre Rechte, denn auch dort
gibt es immer wieder Gesetzesvorlagen für Verschärfungen des Abtreibungsrechts.

Im Februar 2018 wurden im Bundestag 3 Gesetzesentwürfe zur ersatzlosen
Streichung bzw. Abschwächung vorgestellt – auch auf Druck aus der Gesellschaft.
Aber dieses Gesetz wurde von der Großen Koalition blockiert. Die SPD wollte mit
dem Koalitionspartner CDU/CSU keinen weiteren Konflikt riskieren – und stimmte
daher trotz gegenteiliger Versprechungen gegen Millionen Frauen.

Somit zeigt sich mal wieder, dass wir uns auch in dieser Frage nicht auf
bürgerliche Vertreter_Innen oder reformistische Parliamentarier_Innen verlassen
können, sondern selbst Proteste organisieren müssen.

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung organisiert zwar wichtige
Kampagnen und stellt in dieser Hinsicht einen Schritt in die richtige Richtung
dar. Wir müssen hierbei jedoch kritisch sehen, dass es ihm mehr um das
„Überzeugen“ der Herrschenden denn um eine Mobilisierung auf der Straße und in
den Betrieben geht. Aber wir als Arbeiter_Innen müssen uns selbst Strukturen
schaffen, die über die Zusammenhänge zwischen Abtreibungsverboten und dem
kapitalistischen System aufklären, und dafür kämpfen, dass auch ArbeiterInnen
und Armen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen und ohne
Zwangsberatung möglich sind.

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung der Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern! Adoptionsvorrang für Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



Sexismus und Rap

Leonie Schmid, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Dass Rap sexistische Prägungen hat, ist wohl jedem/r klar.
Seien es Musikvideos, in denen sich Frauen halbnackt räkeln und nur zur
Objekten degradiert werden, oder ein Gzuz von 187 Straßenbande, der
Vergewaltigungsfantasien in seinen Texten ausdrückt („Baller der Alten die Drogen ins Glas Hauptsache, Joe hat sein’n
Spaß“ – Gzuz & Bonez MC im Song „Lebenslauf“) oder auch die völlig fehlende
Repräsentation von Frauen oder LGTBIA-Personen: das Patriarchat
schwingt immer mit. Das ist natürlich logisch, denn unsere gesamte Gesellschaft
ist ja vom Patriarchat durchzogen. Dennoch stellt sich die Frage: wie umgehen
mit diesem Sexismus?

Rap – Genre des Widerstands und der Befreiung der
Arbeiter_Innenklasse?

Rap ist eigentlich ein Genre, das vor allem von People of Colour (PoC), also Nichtweißen aufgebaut wurde, Anfänge sind in der afroamerikanischen Kirche, der Bürgerrechtsbewegung und bei den Black Panthers zu finden. Diese Art von Sprechgesang wurde hauptsächlich genutzt, um politische Parolen zu verbreiten. Anfang der 1970er begann man, diese Aussagen immer mehr mit Slang zu rappen, da man davon ausging, dass Rap so den Jugendlichen nähergebracht werden könnte. Auch im 20. Jahrhundert waren hauptsächlich PoC Rapper, die Rap und Hip Hop weltweit bekannt machten. Aber spätestens seit dem Erfolg von Eminem in den USA oder Sido in Deutschland ist das Genre zum Mainstreammedium geworden. Wenngleich in vielen Rapsongs die politischen Parolen untergingen, so bleibt Rap doch ein Musikstil, der häufig die Lebensrealität von Leuten aus dem Prekariat thematisiert und oftmals von ihnen gehört wird. Dementsprechend, so argumentieren manche, ist es auch okay, wenn Rapper_Innen sexistische Wörter benutzen oder sexistische Elemente in ihre Musikvideos einbauen. Leider sind Rapper_Innen aber keine unbeteiligten Straßenreporter_Innen und viele von ihnen leben diesen Lifestyle auch wirklich, von dem sie reden. Auch wenn dem nicht so ist, ist es wichtig, die Sachen die die Arbeiter_Innenklasse erlebt, nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu analysieren und eine Perspektive aufzuzeigen. Und auch das ist möglich, ohne schwierige Wörter oder Theorien zu verwenden, die angeblich niemand verstehen würde.

Sexismus gegen Rechts? – Das Beispiel K.I.Z

K.I.Z haben ein Album, welches „Sexismus gegen Rechts“ heißt, herausgegeben und so klingen auch vieler ihrer Songs. Wörter wie Fotze, Hure, Schlampe usw. werden verwendet und es finden sich viele Gewaltfantasien gegenüber Frauen. Vieles davon, so sagen sie, ist ironisch gemeint. Den aufmerksamen Hörer_Innen wird das vielleicht auch auffallen, aber es gibt ja trotzdem genug Jugendliche, die diese Texte nicht reflektieren und diese oft sehr beklemmenden Szenarien, wie zum Beispiel auch in den Liedern „Ariane“ oder „Ehrenlos“ vom Album „Hurra die Welt geht unter“, feiern. Maxim von K.I.Z meint, dass Sexismus in der Gesellschaft existiert und dass niemand von seinen Texten Sexist_in wird. Auch hier eine tendenziell richtige Analyse (zumindest was den Sexismus in der Gesellschaft angeht), nur leider manifestieren und reproduzieren sich sexistische Aussagen trotzdem und Sexist_Innen, die diese Lieder hören, können sich auch nicht reflektieren. Auch die Behauptung, Jugendliche und Kinder würden beim Hören dieser Lieder keine neuen Wörter oder Szenearien lernen, ist rein pädagogisch und psychologisch eine blanke Lüge. Alles, was wir wahrnehmen, beeinflusst uns irgendwie („Das gesellschaftliche Sein bestimmt  das Bewusstsein“ – Marx). Und gerade im jungen Alter, wo wir nicht selektieren können, kann das verheerende Ausmaße annehmen. Auch Rapper_Innen wie MC Bomber, der sich gerne mal MC Vergewaltiger in seinen Songs nennt, meinen, mit Ironie spielen zu können und zu dürfen. Aber meist sind diese Witze weder innovativ noch lustig. Des Weiteren kann so eine Linie Menschen, die schon einmal Opfer einer Vergewaltigung wurden, unheimlich stark triggern.

Zusammengefasst: Rap ist ein Sprachrohr und
der Charakter des jeweiligen Songs hängt von den jeweiligen Inhalten ab. Wenn
viele Texte davon handeln, dass es geil ist, mit einem BMW zugekokst durch sein
Viertel zu fahren, während man dann irgendeine Frau fickt, ist das Ausdruck von
einem Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins. Für Rapper_Innen, die sich als
links identifizieren, sollte aber klar sein, dass es ihre Aufgabe ist,
revolutionäre Ideen in ihren Texten zu verarbeiten, ohne dabei Diskriminierung
zu verwenden. Denn sonst bleibt man auf dem aktuellen Stand der bürgerlichen
Gesellschaft stehen und reproduziert Spaltungsmechanismen sowie Unterdrückung
statt Solidarität und fortschrittliche Positionen.

Und nun – darf ich keinen Rap mehr hören, weil er sexistisch
ist?

Nein, darum geht es nicht. Wir leben in einer bürgerlichen Gesellschaft, in der es im Hier und Jetzt kein befreites Leben von den Zwängen des Kapitalismus geben kann. Aber das heißt nicht, dass man alles, was problematisch ist, kritiklos abfeiern soll. Es geht also darum, Sexismus im Rap überall, wo er auftritt, zu kritisieren und anzuprangern und Frauen und LGTBIA+-Menschen zu supporten. Es geht darum, sich mit den Inhalten, den Texten, die man hört auseinanderzusetzen. Das heißt auch, dass man linke, politische Rapper_Innen für ihren noch in Texten vorhandenen Sexismus kritisieren muss und bei einem politischen Social nicht gedankenlos K.I.Z. abspielt. Das gilt auch für „revolutionäre“ Rapper_Innen wie Vizzion, der beim Sturm auf die Regierung davon singt, dies mit „seinen Jungs“ (ja auch Frauen machen Politik und können in der ersten Reihe stehen, lieber Vizzion!) zu tun („0x6“ – offizielles YouTube-Video von Vizzion), oder Vergewaltigunsgmacker_Innen verteidigt.  Und einzelne Lines wie „meine Mädels werfen Steine auf Streifenwagen“ („Macht und Gewalt“ – YouTube-Video von Taktikka) sind zwar ganz cool, heben aber trotzdem kein Mackertum auf und beziehen keine klare Position gegen Sexismus. Das sind nur ein paar Gründe, die es notwendig machen, Frauen zu pushen bspw. Thawra, Tice oder Presslufthanna und Genoss_Innen zu supporten, auch mal das Mikrophon in die Hand zu nehmen. Aber auch im amerikanischen bzw. britischen Rap gibt es Frauen, die es zu unterstützen gilt: zum Beispiel Miss Eaves, Cupkakke, Lady Leshurrr, Lizzo, Stefflon Don, Nadia Rose, Princess Nokia, Angel Haze. Positiv erwähnt seien auch die französische Kenny Arkana und die Palästinenserin Shadia Mansour.

Wir brauchen aber auch neue, unabhängige Rapperinnen, die sich gegen Rassismus, Sexismus und Kapitalismus stellen und den Weg zum Kommunismus aufzeigen und keine sexistischen und keine, die problematische Featuregäste wie SXTN zusammen mit Capital Bra sowie Schwesta Ewa und AON-Chef Xatar haben oder selbst sexistische Scheiße verbreiten. So kann die Jugend erreicht werden und so können sich auch junge Frauen besser mit Kommunismus und der revolutionären Jugend identifizieren!




1 Jahr Schwarz-Blau: Der Kampf geht weiter! Erfolgreich?

Michael Märzen, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Vor einem Jahr, am 15. Dezember 2017, wurde die aktuelle ÖVP-FPÖ-Regierung angelobt. Kanzler und Vizekanzler nahmen das und ihre bisherigen Reformen vor kurzem zum Anlass für einträchtiges Eigenlob. Doch Reformen sind nicht immer gut – immer und überall lautet die Frage: „Wem nützt das?“

Dass die schwarz-blaue Politik zugunsten der Reichen und KapitalistInnen und auf Kosten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und sozial Schwächeren betrieben wird, haben wir in unseren Analysen zum Regierungsprogramm ausreichend dargelegt (zuletzt in der jüngsten Ausgabe unseres Theoriejournals „Revolutionärer Marxismus“ Nr. 50).

So ist das zentrale Vorhaben der Senkung der Abgabenquote in letzter Konsequenz eine große Umverteilung von unten nach oben, wie eines der wichtigsten Projekte, der Familienbonus, zeigt. Das wird natürlich begleitet von Einsparungen, die vor allem jene treffen, die sich schlechterdagegen wehren können: die Arbeitslosen (AMS-Budgets), die Frauen (Förderungvon Frauenvereinen), die Geflüchteten („Integrationsmaßnahmen”, Mindestsicherung), die Lehrlinge (Ausbildungsbeihilfe), etc. Zusätzliche Maßnahmen zur „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ treffen direkt die Kernschichten der ArbeiterInnenklasse, hier besonders die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf täglich 12/wöchentlich 60 Stunden. Auch muss man festhalten, dass diese Politik unter kontinuierlichen rassistischen Vorstößen gegen Geflüchtete betrieben wird und die Möglichkeiten staatlicher Repression, insbesondere der Überwachung, ausgebaut werden.

Weitere Angriffe

„Der rot-weiß-rote Reformzug wird 2019 mit demselben Tempo unterwegs sein“, verkündet Sebastian Kurz feierlich. Dabei rückter natürlich vor allem eines seiner „Prestigeprojekte“ in den Vordergrund – die Steuerreform. Dazu soll es Mitte Jänner eine Regierungsklausur geben, im April ein passender Budgetrahmen geschaffen und im Oktober das entsprechende Doppelbudget beschlossen werden. Diese Steuerreform, geplant für 2020, muss als wesentlicher Teil der Abgabenquotensenkung verstanden werden. Auch wenn Kurz hier die Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen ankündigt, sollte man sich keine Illusionen darüber machen, wem diese Reform tatsächlich nützen soll. Vermutlich wird sich innerhalb eines Gesamtpakets die schon angekündigte Halbierung der Körperschaftssteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) auf nicht entnommene Gewinne finden. Nicht unwahrscheinlich wäre auch eine Senkung des Höchststeuersatzes oder eine Reduktion der Steuerprogression.

Auf eine endgültige Umsetzung wartet auch das „Arbeitslosengeldneu“, das die Arbeitslosenversicherung auf ein Hartz-IV-Modell umstellen soll. Dispute zwischen ÖVP und FPÖ über das Ausmaß des Angriffs haben das Projekt bisher verzögert. Wird die Notstandshilfe tatsächlich abgeschafft, um Arbeitslose nach einiger Zeit, wenn ihr „Vermögen“ aufgebraucht ist, in die Mindestsicherung zu schicken, dann wäre das ein bedeutender Angriff nicht nur auf die Arbeitslosen, sondern auch auf die ArbeiterInnenklasse, auf die dadurch ein stärkerer Druck zur Hinnahme schlechterer Arbeitsbedingungen ausgeübt würde.

Politische Konfrontationen

Es stehen also durchaus noch bedeutende politische Auseinandersetzungen bevor und weitere sind zu erwarten. Immerhin stellt sich die Frage, wie die Regierung ihr Ziel eines anhaltenden Nulldefizitsgarantieren möchte. Für das Budget 2018/19 war es vor allem die gute Konjunktur, die trotz Einsparungen mehr Einnahmen brachte. Aber die Spielräume für 2020/21 werden sich deutlich verengen. In ihrer gesamtwirtschaftlichen Prognose 2018 hatte die Österreichische Nationalbank schon ein Abflauen des Wachstums von +3,1 % (2018) auf +2,1 % (2019) und +1,7 % (2020) konstatiert. Nun wurde aufgrund einiger Revisionen innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung jenes für 2018 auf +2,8 % korrigiert. Im kommenden Doppelbudget wird die Regierung also wohl auch zu zusätzlichen relevanten Sparmaßnahmengreifen, noch dazu, da für Ende 2019 eine Pflegereform zur langfristigen Finanzierung angekündigt wurde – und die wird vermutlich nicht billig. Womöglich wird deshalb, obwohl noch nicht angekündigt, das Pensionssystem zur neuen Zielscheibe erklärt.

Kräfteverhältnis

Trotz der offen unsozialen, neoliberalen, rassistischen und autoritären Regierungspolitik scheint das politische Kräfteverhältnis in Österreich seit Anfang der Legislaturperiode zwar nicht gänzlich unverändert, aber auf jeden Fall unerschüttert. In den regelmäßigen Wahlumfragen zeigt sich, dass die Stimmenverhältnisse von ÖVP, SPÖ und FPÖ seit den Wahlen ungefähr gleichgeblieben sind, der rechtskonservative Block also durchaus in der Lage ist, einen großen Anteil der österreichischen Bevölkerung ideologisch für seine politische Agenda zu gewinnen.

Das bedeutet auch, dass der Widerstand einen langen Atem haben muss. Vor allem braucht er aber ein politisches Programm, mit dessen Hilfe der Charakter dieser Regierung entlarvt werden, das die Spaltungsmechanismen unter den Arbeitenden überwinden kann und das eine Alternative zum scheinbar alternativlosen Kapitalismus aufzeigt. Von entscheidender Bedeutung wird es dabei sein, die Gewerkschaftsmitglieder und die sozialdemokratischen ArbeiterInnen zu mobilisieren und im Kampf der politischen Kontrolle durch die Bürokratie zu entreißen. Daher müssen die kämpferischen Elemente der ArbeiterInnenklasse und die Linke gegenüber ÖGB und SPÖ Kritik und Aufforderung zur Aktion verbinden. Nur durch ein solches entschlossenes Handeln können wir den gesellschaftlichen Rechtsruck an seinen Wurzeln bekämpfen!




Intersektionalität: Richtige Fragen, falsche Antworten

Katharina Wagner, Neue Internationale 228, Mai 2018

Intersektionalität gewinnt vor allem in der feministischen Bewegung und vielen linken Strömungen immer mehr an Bedeutung. Auch Wirtschaft und Werbebranche haben sie mittlerweile für sich entdeckt, um Produkte besser bewerben und verkaufen zu können. Doch was ist darunter eigentlich zu verstehen?

Was bedeutet Intersektionalität?

Laut Wikipedia beschreibt Intersektionalität das Überschneiden verschiedener Diskriminierungen, wie beispielweise nach Geschlecht, sexueller Ausrichtung oder „Rasse“, in einer Person. Diese addieren sich aber nicht einfach, sondern führen zu völlig neuen individuellen Unterdrückungsverhältnissen [1]. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, vergleichen wir die Situation einer schwarzen heterosexuellen mit der einer weißen homosexuellen Frau. Beide werden aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Unterdrückung. Allerdings ist die jeweilige individuelle Situation der beiden Betroffenen eben nicht dieselbe, auch wenn beide in zweifacher Hinsicht (bezogen auf die oben erwähnten Diskriminierungskategorien) unterdrückt werden.

Die Intersektionalität beansprucht also, ein Werkzeug zu liefern, mit dessen Hilfe der Fokus auf das jeweilige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten gelegt wird und gleichzeitig die Wechselwirkungen der einzelnen sozialen Kategorien analysiert werden können [2].

Diese Methode knüpft in mancher Hinsicht an die Triple-Oppression-Theorie (Dreifach-, Race-Class-Gender-Unterdrückung) an, welche in den 80er/90er Jahren entwickelt wurde. Diese geht von drei Unterdrückungsverhältnissen (Rassismus, Sexismus und Ausbeutung) aus, die, miteinander verwoben, die Gesellschaft prägen.

Innerhalb des Konzepts Intersektionalität existiert eine Vielzahl von Diskriminierungskategorien. Zu den wichtigsten und unstrittigsten gehören dabei, wie bereits erwähnt, „Rasse“, Geschlecht und Klasse. Des Weiteren werden, je nach dem/r jeweiligen TheoretikerIn, zusätzliche Kategorien wie beispielsweise Alter, Körper (darunter wird vor allem Gesundheit und Attraktivität verstanden), Religion, Nationalität sowie gesellschaftlicher Entwicklungsstand hinzugefügt, sodass man auf über 14 verschiedene Kategorien kommt. Doch damit nicht genug, wird auch an dieser Zahl noch Kritik geübt. Um auch ja keine Kategorie auszuschließen, wird häufig am Ende noch ein „etc.“ angehängt. Judith Butler schreibt in Ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“, dass aus ihrer Sicht die Kategorisierungen eines Subjekts nie vollständig sein können [3]. Zudem stellt sich die Frage, ob alle Kategorien gleich gewichtet sein sollten und wer überhaupt entscheidet, welche Bedeutung Unterdrückungsverhältnissen beigemessen und welche unberücksichtigt werden dürfen/sollten [4].

Ursprung der Intersektionalität

Um zu ihren Anfängen zu gelangen, müssen wir bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Bereits 1851 stellte die amerikanische Frauenrechtlerin Sojourner Truth die Frage „And ain´t I a woman?“ und kritisierte das damals noch fehlende Stimmrecht für Frauen ebenso wie Rassismus und Klassenprivilegien innerhalb der damaligen Frauenbewegung. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts formierte sich in den USA eine feministische Bewegung schwarzer Frauen, die die sog. „re-visionist feminist theory“ schuf, welche allerdings aufgrund starker Diskriminierung in der Gesellschaft kaum wahrgenommen wurde. Im Jahre 1974 kam es schließlich zur Gründung des „Combahee River Collective“ in Boston, initiiert von schwarzen, lesbischen und sozialistischen Feministinnen. 1977 wurde von ihnen die Erklärung „A Black Feminist Statement“ veröffentlicht, um deutlich zu machen, dass sie sich von der damaligen feministischen Bewegung nicht repräsentiert fühlten, welche von heterosexuellen Frauen der Mittelschicht dominiert wurde.

Die bekanntesten Wegbereiterinnen der nordamerikanischen Intersektionalitätsbewegung sind sicher die Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young und die Rechtswissenschaftlerin Martha Minow. Sie gehen davon aus, dass anhand gruppenbezogener Identitätspolitiken wichtige Impulse zur Überwindung gesellschaftlicher Diskriminierungen geschaffen werden können. Werden die jeweiligen Differenzen dagegen ausgeklammert und nicht beachtet, führt dieser Umstand langfristig zu einseitiger Diskriminierung innerhalb von verschiedensten Bewegungen. Sehr deutliche Beispiele für diese These liefern zum einen die „Black Consciousness“-Bewegung, einseitig dominiert von schwarzen Männern, und zum anderen die damalige Frauenbewegung, welche, wie bereits erwähnt, von weißen Frauen des (klein)bürgerlichen Spektrums gelenkt wurde.

Auch in Deutschland entwickelte sich in den 1880er Jahren erste Kritik an der Eindimensionalität der feministischen Bewegung, vorgebracht von Clara Zetkin. Sie verwies auf den grundlegenden Zusammenhang zwischen Geschlecht und Klasse und kritisierte gleichzeitig, dass einzig die Interessen der bürgerlichen Frauen im Zentrum der damaligen Frauenbewegung standen. Als in den 1970er/80er Jahren der Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen §218 StGB geführt wurde, waren Frauen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen in der damaligen feministischen Bewegung nicht repräsentiert. Tatsächlich wurde die besondere Diskriminierungssituation dieser Frauen nicht berücksichtigt, ging es ihnen doch in erster Linie nicht um den Kampf für legalisierte Abtreibung, sondern darum, ihr Kind behalten zu können/dürfen, denn schließlich waren bis in die 1990er Jahre Zwangssterilisationen ohne Einwilligung der Betroffenen erlaubt.

Wegbereiterinnen der Intersektionalitätsbewegung in Deutschland waren hauptsächlich Migrantinnen, Frauen mit Beeinträchtigungen sowie schwarze deutsche und jüdische Frauen. Sie verwiesen immer wieder auf spezifische Probleme, welche von der feministischen Bewegung marginalisiert wurden. Dazu zählten zum einen Anerkennung weiblicher Asylgründe wie sexistische Verfolgung und Vergewaltigungen, aber auch die Übernahme von Reproduktionsarbeiten in deutschen Haushalten. Für Frauen mit Beeinträchtigungen ging es zusätzlich um den Kampf für Barrierefreiheit und für gleichwertige Strafen bei sexuellen Übergriffen.

Tatsächlich benutzt wurde der Begriff Intersektionalität schließlich erstmals im Jahre 1989 von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw, welche dieses Konzept aufgrund juristischer Fallanalysen entwickelte. Sie bediente sich hierbei der Metapher „Straßenkreuzung“, um deutlich zu machen, dass Diskriminierungen aus verschiedenen Richtungen erfolgen und sich dabei überschneiden können. Allerdings sollte hierbei die Theorie nicht auf die Metapher reduziert werden, ist sie doch um einiges vielfältiger. Vor allem sollte nicht der Trugschluss erfolgen, dass die einzelnen Diskriminierungen außerhalb der Straßenkreuzung getrennt voneinander existieren, geht es doch in der Intersektionalität in erster Linie darum, eindimensionale Sichtweisen auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu überwinden.

Kritik an der Intersektionalität

Kritik an diesem theoretischen Werkzeug gibt es viel und aus verschiedenen Richtungen. Zum einen kommt Kritik aus der soziologischen Wissenschaft selbst. Diese bezieht sich zumeist auf die Anzahl der Kategorien und die Möglichkeit, in deren Folge regelrechte Diskriminierungshierarchien aufzustellen. Eine Kritik speziell im deutschsprachigen Raum richtet sich direkt gegen die Gender-Studies, welche die Theorie lediglich auf die oben beschriebene Metapher „Straßenkreuzung“ reduzieren. D. h. sie gehen davon aus, dass die einzelnen Diskriminierungskategorien getrennt voneinander und somit isoliert existieren.

Auch gibt es zusätzlich Kritik seitens der Betroffenen selbst. So kritisieren z. B. MigrantInnen die nicht ausreichende Berücksichtigung des Kolonialismus oder des gegenwärtig stärker werdenden Eurozentrismus, welcher internationale Arbeitsteilung und Ausbeutung vernachlässigt. Zudem wird die Intersektionalitätsforschung zunehmend von weißen AkademikerInnen betrieben. Theoretische Impulse von Personen mit Migrations-, Exil- oder Diasporahintergrund werden meist abgewertet oder schlicht verleugnet.

Aber auch wir als MarxistInnen müssen die Intersektionalität kritisch hinterfragen und auf Schwachstellen und kritische Punkte deutlich hinweisen. Denn zunächst erscheint die Intersektionalität als ein progressiver Ansatz zur Befreiung der Unterdrückten, gibt sie ihnen doch eine Stimme innerhalb der Gesellschaft. Allerdings wird die Klassenfrage in allen Befreiungskämpfen schlicht verdeckt und verschleiert. Klasse wird innerhalb der Intersektionalität lediglich als eine unter vielen Diskriminierungskategorien angesehen.

Kapitalismus und Unterdrückung

Tatsächlich wird Kapitalismus nicht als eine spezifische Gesellschaftsform und Produktionsweise analysiert, von welcher Diskriminierungen ein unlösbarer Bestandteil sind, sondern einzig und allein als ökonomisches Unterdrückungsinstrument der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Dies bedeutet im Klartext, dass innerhalb dieser Theorie keinerlei Anerkennung dafür besteht, dass Kapitalismus Unterdrückungsformen und Diskriminierungen erst schafft bzw. vorhandene stets weiter reproduziert, umformt und für sich nutzt.

MarxistInnen sehen Klassenherrschaft als das bestimmende geschichtliche Moment seit Ende der Urgesellschaft an, somit als letztlich ausschlaggebend für die Auswirkungen in Bezug auf Diskriminierung und Unterdrückung. Die Überwindung der einzelnen Unterdrückungsverhältnisse ist folglich erst nach der vollständigen Abschaffung der Klassenherrschaft möglich. Die essentielle Kraft für eine Revolution, also den kompletten Sturz des Kapitalismus, geht von der ArbeiterInnenklasse als Ganzer aus. Doch genau hier liegt ein weiteres Problem der Intersektionalität. Diese Ideologie ist entstanden, um Erfahrungen von Menschen, die von mehreren Diskriminierungen betroffen sind, angemessen zu berücksichtigen und geht dieses Problem auf zwei unterschiedliche Arten an. Zum einen wird die jeweilige Basis der vorgeschlagenen Organisationsformen immer enger definiert, was zu einem kaleidoskopischen Trenneffekt nach den einzelnen „intersektionalen Identitäten“ führt, und zum anderen werden wichtige Punkte zu Fragen einzelner Individuen innerhalb einer breiten Bewegung reduziert. Dies bedeutet in der Praxis, dass man sich immer weiter weg vom Kollektiv und hin zu individuellen Identitäten bewegt, was eine Vereinigung der gesamten ArbeiterInnenklasse erschwert.

Alternative

Daher sollten MarxistInnen diese Theorie nicht unterstützen, sondern ihre eigenen Methoden einsetzen, um Sexismus, Rassismus, Homophobie und weitere Unterdrückungsformen zu bekämpfen, welche auch in linken Organisationen, Gewerkschaften oder sozialen Bewegungen auftreten können. Wir treten daher für gesonderte Treffen, sog. Caucuses, ein, um unterdrückten Gruppen die Möglichkeit zu geben, Fragestellungen im Zusammenhang mit ihrer spezifischen Unterdrückungssituation zu erörtern, kollektive Lösungen zum Kampf gegen Unterdrückung zu finden und dementsprechende Maßnahmen direkt der jeweiligen Mitgliedschaft bzw. der Führung vorzulegen. Denn wenn die politischen Forderungen einer Organisation zu diesen Fragen nur von denjenigen aufgegriffen werden, die unter den bestimmten Unterdrückungssituationen leiden, bricht dies nicht mit der „Hierarchie der Unterdrückung“, sondern manifestiert diese. [5]

Wie beim Eintreten für das nationale Selbstbestimmungsrecht muss die Arbeiterinnenklasse in ihrer Gesamtheit den Kampf gegen alle Unterdrückungsformen führen, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die den Blick auf den grundlegenden Klassenantagonismus erschweren und damit das Kampfpotenzial als gesamte Klasse durch deren Spaltung schwächen. Dies ist ein gänzlich entgegengesetztes Herangehen als das der TheoretikerInnen des Feminismus, der Triple Oppression und des Intersektionalismus, die eine letztlich willkürliche unterschiedliche Benotung der Auswirkungen einzelner Unterdrückungsformen auf das jeweilige Individuum vornehmen.

Endnoten

[1] Wikipedia, Intersektionalität

[2] Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität – eine Einführung; http://portal-intersektionalitaet.de/ theoriebildung/ueberblickstexte/walgenbach-einfuehrung/

[3] Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M.

[4] Degele, Nina/Winker, Gabriele (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse; http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/degelewinker/

[5] http://www.workerspower.co.uk/2013/ 11/intersectionality-not-the-basis-for-the-liberation-struggle/