Kämpferinnen für die Frauenbefreiung: Clara Josefine Zetkin

Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Zetkin (5. Juli 1857 – 20. Juni 1933) war ausgebildete Volksschullehrerin. Ab 1874 hatte sie durch ihre Arbeit Kontakte zur Frauen- und Arbeiterbewegung. 1878 trat sie in die damalige Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands ein, die zwei Jahre später zur SPD wurde. Aufgrund des Sozialistengesetzes musste sie 1882 in Exil, erst nach Zürich, dann nach Paris. Während des Internationalen Arbeiterkongresses 1889 hatte sie bedeutenden Anteil an der Gründung der 2., Sozialistischen Internationale. 1890 kehrte sie nach Deutschland zurück und arbeitete als Herausgeberin der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“.

In der SPD sprach sie sich zusammen mit Rosa Luxemburg gegen die reformistischen Thesen Bernsteins aus und gehörte zum revolutionären linken Flügel der Partei. 1907 wurde ihr die Leitung des neu gegründeten Frauensekretariats der SPD übertragen. Sie wurde Internationale Sekretärin der „Sozialistischen Fraueninternationale“, welche auf dem „Internationalen Sozialistenkongress“ gegründet wurde.

Auf der 2. Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz initiierte sie, gegen den Willen ihrer männlichen Parteikollegen, gemeinsam mit Käte Duncker den Internationalen Frauentag, der erstmals im folgenden Jahr am 19. März 1911 begangen werden sollte (ab 1921 am 8. März).

Die Burgfriedenspolitik, die die SPD während des 1. Weltkriegs führte, lehnte sie ebenso wie Liebknecht und Luxemburg ab. Neben anderen Aktivitäten organisierte sie 1915 in Bern die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg.

Wegen ihrer Antikriegshaltung wurde Clara Zetkin während des Krieges mehrfach inhaftiert. Nach ihrem Austritt aus der SPD war Zetkin Mitglied des Spartakusbundes. Sie schloss sich gleich nach der Konstituierung 1917 der USPD an. Am 1. Januar 1919 gründete sich die KPD, der Zetkin auch sogleich beitrat. Von 1920 bis 1933 saß sie für die KPD im Reichstag. Außerdem gab sie die Zeitschrift „Die Kommunistin“ heraus. Von 1921 bis zu ihrem Tode war sie Präsidentin der „Internationalen Arbeiterhilfe“. In der KPD war Zetkin bis 1924 und von 1927-29 Mitglied der Zentrale. Die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik lehnte sie mit der Begründung ab, es sei eine „Klassendiktatur der Bourgeoisie“. Mit der Stalinisierung der KPD kam sie zunehmend in Konflikt mit deren Politik. So lehnte sie die fatale Politik des „Sozialfaschismus“ ab, die ein antifaschistisches Kampfbündnis mit den sozialdemokratischen Massen verhindert. Nach der Machtergreifung der Nazis ging sie ins sowjetische Exil, wo sie aber politisch isoliert lebte. Wenig später, am 20. Juni 1933, starb sie mit 75 Jahren.

Werke:

Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands

Kunst und Proletariat

Für die Sowjetmacht: Artikel, Reden und Briefe; 1917-1933

Revolutionäre Bildungspolitik und marxistische Pädagogik. Ausgewählte Reden und Schriften

Erinnerungen an Lenin




Neue anti-kapitalistische Organisation (NAO) – Welche Frauenbewegung wollen wir?

Esther Hufnagel, Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Zum Jahreswechsel 2013/14 gründeten sich in Potsdam und Berlin die ersten Ortsgruppen der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO) auf Grundlage des NaO-Manifests, das im Dezember 2013 erschien. Darin heißt es. „Mit dem Prozess einer gemeinsamen praktischen Arbeit und theoretischen Diskussion wollen wir einen Beitrag leisten, die Zersplitterung der anti-kapitalistischen und revolutionären Kräfte in Deutschland zu überwinden.“

Wir wollen innerhalb der NaO auch eine Frauengruppe aufbauen, die ernsthaft den Kampf gegen Frauenunterdrückung aufnimmt.

Die Erkämpfung wichtiger Rechte von Frauen wie das Wahlrecht oder das Recht auf Bildung liegt schon lange zurück. Gleichwohl sind Frauen von wirklicher sozialer Gleichberechtigung noch weit entfernt, wie allein schon der Umstand zeigt, dass sie heute immer noch ca. 25% weniger verdienen als Männer. Themen wie „Gewalt gegen Frauen“, der Kampf für ein besseres  Abtreibungsrecht oder die Frage der „Geschlechtsidentität“ beschäftigen heute meist intellektuelle Kreise.Viele Gruppen und Netzwerke arbeiten aktiv in einzelnen Bereichen.

Frauenquote

Per „Frauenquote“ sollen mehr Frauen in Chefetagen kommen, denn heute stellen sie gerade 11% der Spitzenpositionen. Erfolgreiche Frauen erklären uns, wie „einfach“ Frau Karriere, Familie und Haushalt unter einen Hut bringen kann. Das Betreuungsgeld begünstigt besser Verdienende, während eine alleinerziehende Mutter ganz schnell in Hartz IV abrutscht.

In fast allen Branchen werden Mini-Jobs hauptsächlich von Frauen ausgeführt, oft mehrere gleichzeitig. Der Dienstleistungssektor (Gesundheit, Erziehung, Gastgewerbe, Arbeit in privaten Haushalten) ist oft immer noch „Frauensache“. Sobald vermehrt Frauen in einer Berufsgruppe auftreten, sinken sogar das Prestige dieser Tätigkeit und damit auch der finanzielle „Wert“ der Arbeit.

Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatisierter Reproduktion ist im Kapitalismus nicht aufzulösen, es stehen kaum Ressourcen für eine Vergesellschaftung von Erziehung, Pflege und Hausarbeit zur Verfügung. Diese Gesellschaft kann nur existieren, wenn die bürgerliche Familie als (kostengünstige) Reproduktionsstruktur weiter besteht. Fast immer sind es  Frauen, die zuhause Kinder und Senioren pflegen und nebenbei den Haushalt schmeißen, da der Mann als Hauptverdiener es sich nicht leisten kann, seine Arbeitszeit zu verkürzen.

Trotz jahrzehntelanger Aufklärung sehen sich Frauen immer noch täglich mit gewaltsamem und chauvinistischem Verhalten von Männern konfrontiert.

Die patriarchale Unterdrückung wird von PolitikerInnen und Kirchen als natürliche Ordnung proklamiert. Die ursprünglich einmal gleichberechtigte Arbeitsteilung in der Urgesellschaft, als Frauen der Mittelpunkt einer Gruppe waren, die bedingt durch die Kinderaufzucht gleichwertigen Anteil an der Reproduktionsarbeit hatten, scheint auf dem vorkapitalistischen Stand geblieben zu sein. Die Frau gilt als Garantin für das Wohlergehen der Familie und die Weitergabe des Vermögens, bei Bedarf zu niedrigem Lohn einsetzbar in der Produktion, in Krisenzeiten auf prekäre Beschäftigung, „Nebenjobs“ und den Haushalt zurückgeworfen, und weit entfernt von einer freien Wahl ihrer Lebensweise auf finanziellem, sozialem oder sexuellem Gebiet.

Wir wollen nicht bei einem Feminismus stehen bleiben, wo Frauen ihre spezifischen Probleme thematisieren, abseits der Männer, die sich den „allgemeinen“ politischen Aufgaben stellen. Nur im gemeinsamen Kampf der Lohnabhängigen auf allen Ebenen werden wir erfolgreich sein.

Vergesellschaftung

Frauenunterdrückung ist ein wichtiger Faktor der kapitalistischen Gesellschaft und kann nur durch den Sturz dieses Systems überwunden werden.

Erst wenn die Löhne unter allen Arbeitenden gerecht verteilt werden, wenn Frauen genauso wie Männer wirklich die freie Wahl haben, welcher Arbeit sie nach ihren Fähigkeiten nachgehen wollen (ohne Verlust gesellschaftlicher Anerkennung). Erst wenn die Last der Reproduktion gerecht verteilt und vergesellschaftet ist, wenn unsere Kinder in einem System aufgefangen werden, das nicht mehr die Hauptverantwortung der Familie zuschiebt und die soziale Herkunft betont, wenn sich Frauen und Männer am Aufbau einer neuen Gesellschaft beteiligen und Solidarität mit allen benachteiligten und bedrohten Personengruppen praktisch geübt wird, werden wir erleben, dass klassische Rollenverteilung ihre Bedeutung verliert, ebenso wie bisherige Hierarchien.

Ob Barbie diese Revolution überlebt, wie sie sich dann kleidet und ob sie dann mit Ken oder Dolly im Dreamhouse wohnt, wird dabei eine untergeordnete Rolle spielen, denn unsere Kinder sollen von einer Gesellschaft geprägt werden, die ihre Entwicklung selbst in die Hand nimmt und bewusst gemäß den menschlichen Bedürfnissen plant.




Kämpferinnen für die Frauenbefreiung: Alexandra Michailowna Kollontai

Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Alexandra Kollontai (31. März 1872 – 9. März 1952) war eine der schillerndsten Frauen der Oktoberrevolution, sie war Revolutionärin, Diplomatin und Schriftstellerin.

Schon im zaristischen Russland entschied sich Kollontai gegen die bürgerliche Familie, verließ mit 26 Jahren Mann und Sohn, um in Zürich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Schon damals thematisierte sie in ihren Schriften v.a. die Situation der Frau und forderte von Anfang an die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Nach ihrer Rückkehr nach Russland agitierte sie gegen die Regierung und wurde deshalb mehrfach verhaftet und verurteilt. 1908 ging sie ins Pariser Exil. Im Februar 1917 verließ sie Frankreich und ging zurück nach Russland, wo sie sich Lenin anschloss. Kollontai argumentierte öffentlich gegen die provisorische Regierung und setzte sich für die Räte ein. 1917 wurde sie in das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets gewählt. Im Jahr darauf, nach dem Sieg der Oktoberrevolution, war sie im Kommissariat für Volkswohlfahrt tätig. Sie gehörte als erste Frau dem revolutionären sowjetischen Kabinett an und war damit die erste Ministerin der Welt. 1920 übernahm sie den Vorsitz der Frauenabteilung im ZK der KPdSU.

Kollontai wurde Volkskommissarin für soziale Fürsorge und setzte in ihrer Tätigkeit durch, dass das Eherecht gelockert wurde. Außerdem erkämpfte sie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und schlug die Einrichtung von Volksküchen und die Förderung kollektiver Kindererziehung vor. Sie setzte sich für kommunale Einrichtungen ein und plädierte für die freie Liebe und Sexualität.

Kollontai war zeitlebens überzeugte Feministin. Bereits 1905 hatte sie sich für autonome Frauenabteilungen innerhalb der Kommunistischen Partei stark gemacht. Sie grenzte sich aber scharf von der bürgerlichen feministischen Bewegung ab, da sie die Auffassung vertrat, dass nur im Sozialismus die Gleichberechtigung von Frau und Mann verwirklicht werden könne.

„Nicht die sexuellen Beziehungen bestimmen das moralische Ansehen der Frau, sondern ihr Wert im Arbeitsleben, bei der gesellschaftlich-nützlichen Arbeit.“

1923 wurde sie Gesandte der Sowjetunion in Norwegen und war somit die erste akkreditierte Diplomatin weltweit.

Eine Würdigung von Kollontais großen Verdiensten in der Entwicklung der kommunistischen  Bewegung und ihrer theoretischen Arbeiten zum Verständnis der Ursachen der Frauenunterdrückung darf auch ihre politischen Schwächen nicht verschweigen. Von 1906-15 war sie Menschewistin, bewegte sich dann aber rasch auf den Bolschewismus zu. Viel schwerer wiegt jedoch ihre politische Kapitulation vor dem Stalinismus.

Kollontai zog sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von allen Ämtern zurück und verabschiedete sich nach Moskau in den Ruhestand, blieb dort aber bis zu ihrem Tod am 9. März 1952 eine wichtige Beraterin des sowjetischen Außenministeriums.

Werke:

Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin

Ich habe viele Leben gelebt

Mein Leben in der Diplomatie. Aufzeichnungen aus den Jahren 1922 bis 1945

Die neue Moral und die Arbeiterklasse

Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung. 14 Vorlesungen

Wassilissa Malygina. Erzählungen über „Wege der Liebe“ im frühen Sowjet-Russland

Frauen zwischen Ehe und Revolution.

Wege der Liebe. Drei Erzählungen

Der weite Weg. Erzählungen, Aufsätze, Kommentare




Frauen in der Oktoberrevolution …denn sie haben so vieles zu gewinnen!

Svenja Spunck, Frauenzeitung Arbeitermacht/Revolution, März 2014

Das Bild, das uns in den Kopf kommt, wenn wir an die Russische Revolution denken, ist sehr männlich geprägt. Das bedeutet aber nicht, dass keine Frauen an der Revolution teilgenommen haben. Im Gegenteil: Zu Kriegsbeginn war rund die Hälfte des russischen Industrieproletariats weiblich und die Arbeiterinnen von Wyborg, einem Stadtteil von Petrograd, waren es, die im Februar 1914 zum Streik aufriefen und sich die Unterstützung der Soldaten versichern ließen, als alle anderen noch zögerten. Trotzdem denken wir zuerst an Lenin und Trotzki, wenn wir von der Führung der Bolschewiki reden. Aber gerade, weil der erste Streik gegen die provisorische Regierung 1917 bei Wäscherei-Arbeiterinnen stattfand und die Frauen am entschlossensten für den 8-Stunden-Tag kämpften, wollen wir uns in einem Artikel den Bolschewistinnen zuwenden, die sonst oft unbeachtet bleiben.

Doch, wie ein Zeitgenosse sagte: „Sind die Frauen erst einmal für die revolutionäre Partei gewonnen, werden sie die tapfersten und militantesten Kämpferinnen sein, da sie so vieles zu gewinnen haben.“

Lage und Bewegung in Russland

Zuerst sollte man Russland im globalen Zusammenhang betrachten. In einem Land, das wirtschaftlich sehr rückschrittlich war und das bis dato von einer Monarchie regiert wurde, war Gleichstellung der Geschlechter selbst in den kühnsten Träumen kein Thema. Nach dem Ausbruch der Revolution kämpften Frauen im Bürgerkrieg Seite an Seite mit den Männern, betrieben politische Agitation und hatten in allen Gremien Mitspracherecht. In anderen Ländern erhofften sich Frauen zu dieser Zeit  noch das bürgerliche Wahlrecht.

Die soziale Struktur innerhalb der weiblichen Bolschewiki unterschied sich jedoch von jener der Männer. Sie kamen hauptsächlich aus mittleren und oberen Schichten, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich anschaut, wie viel Zeit eine Bäuerin gehabt hätte, sich nach getaner Arbeit politisch zu schulen und in einer Organisation aktiv zu werden.

Obwohl von staatlicher Seite immer wieder versucht wurde, gerade Bäuerinnen und Proletarierinnen von der „Männersache“ Politik auszuschließen, schlossen sich zunehmend mehr Frauen unterschiedlichen Organisationen wie den SozialrevolutionärInnen, den Menschewiki und den AnarchistInnen an. Die meisten  gingen jedoch zu Lenins Bolschewiki, wo ihr Beitritt sehr begrüßt wurde. Frauenunterdrückung wurde in allen Klassen wahrgenommen und als Problem angesehen, das immer mehr an Konfliktpotential gewann. Die Frauen waren in jeder Hinsicht an die Männer gebunden, u.a. weil sie sich nicht scheiden lassen durften.

Die politischen Strömungen, die sich daraus entwickeln, sind ähnlich unterschiedlich wie heutzutage, aber in Russland waren sie deutlicher und offensichtlicher voneinander abzugrenzen. Die liberalen FeministInnen forderten Reformen von der Regierung, um sich dem Standard der westlicheren Frauenrechte anzupassen und eine kleine Verbesserung zu ermöglichen. Sie wollten aber nicht den Kapitalismus stürzen und weigerten sich auch, das Problem der Frauenunterdrückung als eine Klassenfrage zu begreifen. Ihre Forderungen richteten sich primär auf Verbesserungen für Frauen aus der Mittelklasse.

BolschewistInnen hingegen erkannten diesen Feminismus als eine bürgerliche Ideologie und argumentierten, dass er das wesentlichste aller Probleme, das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln, nicht beachtet.

Anziehungskraft des Bolschewismus

Um zu verstehen, warum die Bolschewiki so eine große Anziehungskraft auf die Frauen ausübten, muss man ihre politische Positionierung zu dem Thema betrachten, deren Ursprünge bei Marx und Engels und deren Forschungen u.a. zur bürgerlichen Familie liegen. Dem zu Grunde liegt die Feststellung, dass die Familie kein naturgegebenes Phänomen, sondern eine an die Produktionsprozesse angepasste Struktur ist. Für viele Frauen war es eine logische Schlussfolgerung, die Aufteilung und Vergesellschaftung der Hausarbeit zu fordern, und zwar nicht erst nach der Revolution, sondern schon als Vorbedingung, um überhaupt Frauen in die politische Arbeit zur Vorbereitung einer Revolution einbeziehen zu können. Diese Forderung nach Unabhängigkeit der Frauen von Männern sind ist ein zentrales Element des Marxismus.

Alle bekannten Bolschewistinnen schildern ihren Weg in die Organisation in ähnlicher Weise. Nachdem sie erfahren mussten, was Frauenunterdrückung bedeutet, kamen sie zur revolutionären Bewegung, informierten sich und wurden dann Mitglied. Doch Vorsicht: Solche Darstellungen sind auch oft stalinistisch geschönt, denn es war nicht für jede Frau so einfach, den Bolschewiki beizutreten und mit ihnen politisch aktiv zu werden – nicht zuletzt, weil auch in der Partei nicht alle Vorbehalte gegenüber Frauen von vornherein ausgeräumt waren.

Die Phase der wirklichen Gleichberechtigung von Frauen war leider nur sehr kurz. Je größer Stalins Einfluss wurde, desto weniger aktiv waren die Frauen in den Ortsgruppen, da ihnen aufs Neue die Hausarbeit und die Kindererziehung zugeschrieben wurde. Dies geschah jedoch auf subtile Weise, denn nach außen wurde es sehr begrüßt, wenn Frauen auch in Fabriken arbeiten gingen. Aber die finanziellen Mittel für öffentliche Kinderbetreuung wurden fortlaufend gekürzt, so dass die Frau am Ende nur doppelt belastet war. Ebenso wie die Arbeiter auf perverse Weise heroisiert wurden, geschah dasselbe mit den Frauen in ihrer Rolle als Mütter, die für den Nachwuchs der Sowjetunion sorgten. Viele Errungenschaften für Frauen wurden unter Stalin wieder zurückgedreht.

Ungefähr ein Drittel aller Bolschewistinnen wurde durch Verwandte politisch geprägt, Alexandra Kollontai bekam beispielsweise mit, wie ihre Brüder, die in der Opposition waren, schikaniert wurden. Letztendlich nahmen aber die alltäglichen Situationen zu, welche die Frauen politisierten, denn die Schlangen, in denen man auf Brot wartete, wurden länger und die Polizei wurde rabiater, wenn sie Demonstrationen verhindern sollte.

Doch je aktiver eine Frau wurde, desto größer wurde die Gefahr der Repression gegen die eigene Familie, so dass einige Frauen, wie z.B. Vera Karavaikova, den Kontakt komplett abbrachen, bevor sie in den Untergrund gingen, oder ihre Ehemänner verließen, wenn sie nicht politisch mit ihnen übereinstimmten.

Das Leben innerhalb der Organisation entwickelte sich in immer größer werdendem Gegensatz zum Rest der Gesellschaft, in der es keine Selbstverständlichkeit war, dass Männer und Frauen zusammen arbeiteten, die Partei hätte es sich zudem auch nicht leisten können, Mitglieder auf Grund ihres Geschlechts auszuschließen.

Organisierung

Es wurde relativ schnell klar, dass eine reine Negation des Geschlechterverhältnisses keinen Fortschritt bringen würde, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Thema  „Frauenunterdrückung“ tiefgreifender sein muss. So wurden zuerst Treffen nur für Frauen organisiert, bei denen nicht nur über Politik gesprochen wurde, sondern die auch kulturelle Angebote machten. Sie wandten sich an die Textilarbeiterinnen, an alle unorganisierten Proletarierinnen und begannen mit dem Aufbau von Gewerkschaften für Hausangestellte.

Ab 1914 wurde dann die Zeitung „Rabotniza“ (Arbeiterin) veröffentlicht, die sofort großen Anklang fand und von der bolschewistischen Partei finanziert wurde. Eines der ersten Themen war der Internationale Frauentag 1914, jedoch wurden nicht mehr als sieben Ausgaben veröffentlicht, da die Polizei die Redaktionsmitglieder verhaftete.

Das Verbot der Zeitung zeigte, dass offensichtlich von organisierten Frauen mit politischem Bewusstsein und klaren Forderungen eine große Kraft ausgehen kann, die man unterbinden wollte. Es wird daran auch deutlich, dass Schulung und Emanzipierung der Frauen auch in ausschließlich weiblichen Kollektiven gut und notwendig ist, die Revolution insgesamt aber nur erfolgreich sein kann, wenn Männer und Frauen gemeinsam kämpfen. Gebildete Frauen können Anführerinnen in politischen Aktionen sein und die gemeinsamen Kämpfe mit den Männern anleiten. Ignoriert man die Frauen jedoch, verstärkt man damit die Gefahr, den Kampf zu spalten und die Konkurrenz untereinander zu verstärken.

Dass dieses Konzept der gemeinsamen politischen Aktivität funktioniert, lässt sich daran ersehen, dass Frauen in alle Vorbereitungen zur Oktoberrevolution involviert waren.

Die Beschlüsse, die 1918 bezügliche Ehe, Familie und Vormundschaft getroffen wurden, sind vermutlich die fortschrittlichsten, die die Welt je gesehen hat. Die Abtreibung wurde legalisiert, Ehen konnten viel leichter geschlossen und wieder geschieden werden, wobei beide Ehepartner gleichberechtigt waren. Außerdem wurde Adoption stark kritisiert, weil man die Ausnutzung der Kinder als billige Arbeitskräfte befürchtete.

Doch auch die Frauenpolitik blieb nicht von der stalinistischen Bürokratie verschont. Die Umgestaltung der Partei 1924 benachteiligte nicht nur die, die offene Kritik äußern wollten, um Fortschritte zu erzielen, sondern es waren auf einmal auch weniger Frauen, die Posten bekleideten. Man erklärte die Befreiung der Frau für bereits abgeschlossen und sah deshalb keine Notwendigkeit mehr für Einrichtungen, die nur für Frauen bestimmt waren. Es ging sogar soweit, dass es besondere Straftatbestände  gab, die nur Frauen begehen konnten, wie Teil einer Familie zu sein, die „ein Feind des Volkes“ ist. Trotzki meinte daher, dass die Bürokratie es geschafft habe, den reaktionärsten Kern der Klassengesellschaft wieder herzustellen: die bürgerliche Familie.

Das Schicksal der Frauen, die gegen den Stalinismus ankämpften, ähnelte dem ihrer männlichen Genossen. Ewgenia Bosch nahm sich 1925 das Leben, als sie sah, wie sich die Dinge entwickelten. Andere, wie Kollontai, Krupskaja und Stassowa, lernten, sich zu arrangieren.

Die politischen Leistungen der Bolschewistinnen sind heute weniger präsent, als sie es sein sollten. Doch es ist unsere Aufgabe, aus ihrer Geschichte zu lernen, ihre Methoden zu studieren, ihren doppelten Kampf gegen Unterdrückung in der Gesellschaft und manchmal auch durch die Männer in der eigenen Organisation. Aber wir sollten uns auch bewusst sein, dass die Revolution die gemeinsame Sache beider Geschlechter sein muss, während gleichzeitig Frauen immer das Recht auf eigene Treffen ohne Männer haben müssen, um ihnen besondere Möglichkeiten für politische Schulung zu geben und damit den ersten Schritt zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zu gehen. Entscheidend für den wichtigen Beitrag des Bloschewismus – wie des Marxismus überhaupt – im Kampf für die Frauenbefreiung war dabei letztlich nicht die innere Verfasstheit der Organisation. Vielmehr ist es die Tatsache, dass sie einen aktiven, revolutionären Zugang zum Kampf der Frauen wie aller anderen Unterdrückten hatte, dass der Standpunkt, das Handeln einer Organisation überhaupt nur als revolutionär betrachtet werden kann, wenn sie alle Formen der Unterdrückung der Klassengesellschaft bekämpft und in einem System von Übergangsforderungen zusammenfasst, die einen Weg zum Sturz des Kapitalismus weisen.




Alice Schwarzer: Bürgerlicher Feminismus und Prostitution

Madita Engström, Frauenzeitung Arbeitermacht/Revolution, März 2014

“Wir müssen den Verursacher beim Namen nennen: Die Männer. Es gäbe keine Prostitution, wenn Männer keine Mädchen und Frauen kaufen würden.“ Mit diesem Zitat ist auch schon die Aussage von Alice Schwarzers neuestem Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal – Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?“ zusammengefasst. Als Folge dieser Analyse steht die Forderung nach einem Verbot der Prostitution nach schwedischem Modell im Vordergrund. Das bedeutet Kriminalisierung der Freier, wie es dort seit 1999 der Fall ist, und soll Frauen davor schützen, „ihren Körper verkaufen zu müssen“. Eine Studie spricht davon, dass die Prostitution zurückgegangen sei, doch wird gleichzeitig kritisiert, dass durch die Illegalität die Schwierigkeit, das Gewerbe zu erfassen, noch gestiegen und die Organisation der Prostitution sowohl ins Internet als auch ins Ausland abgewandert sei. So liegt die Dunkelziffer wahrscheinlich sehr viel höher, eine Göteborger Prostituiertenorganisation schätzt, dass die Polizei aufgrund der riesigen Menge an Freiern lediglich um die 1% der theoretisch Straftätigen verfolgen kann.

Doch zurück dazu, warum wir, laut Alice Schwarzer und ihren Co-Autor_innen, überhaupt ein Prostitutionsverbot brauchen. In allen Artikeln des Buches wird die Frage, ob Prostitution ein „Beruf wie jeder andere“ sei, kategorisch verneint, da sie für die Frauen immer mit Erniedrigung und somit unerträglicher psychischer Belastung verbunden sei. So ist jede Sexarbeiterin, die nicht unter der Fuchtel eines Zuhälters steht und somit als „freiwillige Prostituierte“ bezeichnet wird, in Wahrheit gar nicht freiwillig in ihrem Beruf, sondern Opfer. Entweder steht sie unter massivem finanziellen Druck, der ihr nur noch den Weg in die Prostitution offen lässt, oder aber sie sei psychisch aufgrund von früheren Vergewaltigungen so gestört, dass sie sich über diese Berufswahl unbewusst selbst Leid zufügen will.

Rechte für Sexarbeiter_innen zu fordern bedeutet für uns in erster Linie, die Frauen nicht als Opfer zu stigmatisieren, sondern sie als Frauen zu sehen, die eine (Lohn)arbeit gewählt haben, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Bedingungen sind in diesem Bereich oft besonders prekär, rechtlos und gesundheitsgefährdend.

Davon abzugrenzen und gesondert zu diskutieren ist Zwangsprostitution, und im Zusammenhang damit auch Frauenhandel. Diese stellen klar Verbrechen und Vergewaltigungen dar und sind oft mit Sklaverei vergleichbar. Zwangsprostitution ist grundsätzlich abzulehnen und zu bekämpfen, dies steht nicht zur Diskussion. Aber nur weil imperialistische Mächte bis ins 19. Jahrhundert Sklaven auf Baumwollplantagen quälten ist es keine logische Schlussfolgerung, die Forderung nach einem Verbot der Arbeit auf Baumwollplantagen aufzustellen.

In welcher Form die Prostitution auftritt – ob als Form der Versklavung, als selbständige Tätigkeit oder als Lohnarbeit – ist für Schwarzer im Grunde irrelevant. Dabei nehmen Sexarbeiter_innen aber durchaus unterschiedlichste Klassenpositionen ein. Als Angestellte in Bordellen stellen sie Lohnabhängige dar und sind stark von Stigmatisierung betroffen. Ein großer Teil der  Sexarbeiter_innen ist auch selbstständig und dem Kleinbürgertum zuzuordnen. Die Einkommen der selbstständigen Sexarbeiter_innen variieren jedoch je nach Klientel und Miete des Zimmers sehr stark. Zu guter Letzt können Sexarbeiter_innen mit Besitz eines Bordells auch die Seite der Bourgeoisie darstellen, da sie mit der Ware Sex und der Beschäftigung von Prostituierten Profit erwirtschaften.

Prostitution unterscheidet sich durchaus von anderen Tätigkeiten. Bei der Prostitution wird immer ein bestimmter sexueller Dienst angeboten, der an einen Freier verkauft wird. Während ansonsten die Warenverkäufer ein Produkt oder einen Dienst an einen Dritten verkaufen, so stellt der Körper der Prostituierten immer auch den Gegenstand dar, den der Freier (Käufer des Ware) zur Befriedigung seines Bedürfnisses für eine bestimmte Zeit kauft. Die Sexarbeit ist wie andere berufliche Tätigkeiten untrennbar mit der Entfremdung und warenförmigen Zurichtung der menschlichen Bedürfnisse verbunden.

Was heißt daher schon „Freiwilligkeit“ im Rahmen der kapitalistischen Lohnarbeit? Der Großteil der arbeitenden Bevölkerung hat seinen Job tatsächlich nicht zum Spaß, sondern weil wirtschaftliche Gegebenheiten die Menschen, die nicht Besitzer_innen von Produktionsmitteln sind, dazu drängen. Doch dass Lohnarbeit immer mit Ausbeutung der Arbeitenden verknüpft ist, da mit ihrer Arbeitskraft Profit für Kapitalist_innen erwirtschaftet wird, ist Alice Schwarzer in ihrer Eigenschaft als bürgerlichste aller bürgerlichen Feminist_innen natürlich nicht klar. In vielen anderen unterbezahlten Berufen, die überdurchschnittlich stark von Frauen ausgeübt werden (Reinigungskräfte, Pflegepersonal), bestehen ähnliche Schwierigkeiten: Probleme mit dem Aufenthaltsstatus und der Arbeitsgenehmigung, Versicherung, Unterbezahlung. Die psychische Belastung von Menschen, die in der Pflege arbeiten und dort z.B. Demenzkranke betreuen, ist mit der eines/r freiwilligen Sexarbeiter_in nicht zu vergleichen, doch das findet bei Schwarzer keine Erwähnung.

Einen weiteren Irrtum Schwarzers stellt die Annahme dar, dass Prostitution verschwinden würde, wenn man sie gesetzlich verbietet. Da sie in ihrer Analyse, und nicht nur da, durch und durch bürgerlich vorgeht, besteht kein Verständnis davon, woher Prostitution eigentlich kommt.

Prostitution und Familie

Die Prostitution ist dem Kapitalismus immanent. Sie stellt das Gegenmodell und gleichzeitig die Ergänzung zur bürgerlichen Ehe dar, welche überwiegend aus Gründen der (wirtschaftlichen) Sicherheit eingegangen wird und die menschlichen Bedürfnisse nach Sexualität nicht ausreichend befriedigt. Solange der Kapitalismus also, und mit ihm die Kleinfamilie als Mittel zur Sicherung des Privateigentums und zur Reproduktion einer bestimmen geschlechtlichen Arbeitsteilung nicht abgeschafft ist, solange die menschliche Sexualität nur in einer von der bürgerlichen Familie, Moral und Warenproduktion geprägten repressiven Form herausgebildet wird, bietet Prostitution den logischen Weg zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gegen Geld, die anderweitig nicht befriedigt werden können.

Wie sehr die Prostitution auch Ergänzung zur bürgerlichen Familie und zum patriarchalen Haushalt darstellt, zeigt sich auch darin, dass die Frau in der Familie dem männlichen Haushaltsvorstand lange Zeit auch rechtlich untergeordnet war und in vielen Ländern bis heute ist. Dort muss sie ihren „ehelichen Pflichten“ nachkommen, hat also im Extremfall eine Stellung vergleichbar einer Zwangsprostituierten.

Natürlich kann die Ausweitung der Prostitution bekämpft werden, indem die Arbeiterklasse für Mindestlöhne, gleiche Löhne für Frauen, Öffnung von sog. „Männerberufen“, Arbeitszeitverkürzung und Aufteilung der Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder kämpft. Sie muss auch für staatlich finanzierte Umschulungs- und Ausbildungsprogramme für Prostituierte eintreten, die einen anderen Beruf ergreifen wollen. Mit diesen Maßnahmen lässt sich aber allenfalls der ökonomische Druck mildern, der v.a. Frauen zur Prostitution drängt.

Da wir aber Prostitution selbst und ihr Gegenstück, die bürgerliche Familie, wie die Lohnarbeit, nicht abschaffen können, ohne dem Kapitalismus ein Ende zu setzen, gilt es heute bessere Bedingungen für die Sexarbeiter_innen zu erwirken, ohne das letztendliche Ziel der sozialistischen Produktion und Reproduktion aus den Augen zu verlieren.

Mit Alice Schwarzer und ihrer Forderung nach einem Verbot der Prostitution geht der bürgerliche Feminismus, wie schon bei mit der Forderung des Kopftuchverbotes, ein Bündnis mit Rechten und Konservativen ein. Auch radikale Feminist_innen, wie die medienwirksame Gruppe Femen, stellen Prostitution grundsätzlich als Frauenunterdrückung dar und nehmen freiwilligen Sexarbeiter_innen so ihre Stimme. Wer wie Alice Schwarzer meint, Sexarbeiter_innen wären nicht dazu in der Lage, ihre Arbeit vom Privatleben zu trennen oder emotional abgestumpft, hängt einer bürgerlichen Idealisierung der „Liebe“ an, die emotionale Nähe und persönliche Bindung eng mit Sex verknüpft.

Auch wenn die Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002 in Schwarzers Buch starke Kritik bekommt, weil diese die Entwicklung Deutschlands zum „Paradies der Frauenhändler“ erst möglich machte, sieht der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ das Gesetz nicht gänzlich negativ. So war von Anfang an klar, dass es nur einen notdürftigen Kompromiss auf das Mindeste darstellt, doch ermöglicht es erstmals die Sexarbeit als rechtskräftige Handlung und ist nicht mehr „sittenwidrig“. Auch gilt seit Inkrafttreten die Schaffung von sauberen, schönen Bordellen nicht mehr als Förderung von Zuhälterei, was vielen Sexarbeiter_innen eine angenehmere, menschenwürdige Arbeitsumgebung ermöglicht. Trotzdem hat sich mit der Reform ein negativer Trend hin zu Sexflatrates und Großbordellen entwickelt, die massiv Sexarbeiter_innen ausbeuten. Besitzer_innen von Laufhäusern betreiben absolut unverhältnismäßige Wucher, verlangen um die 160€ am Tag für ein Zimmer, was Sexarbeiter_innen indirekt zu Praktiken zwingt, die sie ohne diese Zwangslage nicht bereit wären anzubieten.

Dieser sich verstärkenden Ausbeutung in der Sexarbeit ist mit der gewerkschaftlichen Organisierung von Sexarbeiter_innen entgegenzutreten. Allerdings darf bezüglich der Gewerkschaften nicht ein ähnlicher Fehler wie in Großbritannien passieren: dort sind Bordellbesitzer_innen, also die Ausbeuter, in der gleichen Gewerkschaft organisiert wie die Sexarbeiter_innen selbst. Die Gewerkschaft muss für einen, von Gremien der Sexarbeiter_innen festgelegten, Mindestlohn und für die Kontrolle über Arbeitsbedingungen und Bordelle kämpfen.

Forderungen:

  • Volle Anerkennung von Sexarbeit als Dienstleistung!
  • Entstigmatisierung von Sexarbeit! Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Berufsfreiheit statt Opferrolle!
  • Gewerkschaftliche Organisierung von Sexarbeiter_innen und Kontrolle der Bordelle durch diese!
  • Mindestlohn auch für Sexarbeit!
  • Mitspracherecht von Sexarbeiter_innen bei gesetzlichen Belangen, die die Regelung ihrer Arbeit betreffen!
  • Flächendeckende, kostenlose und anonyme gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungsmöglichkeiten!
  • Schaffung von staatlich finanzierten Weiterbildungs- und Umschulungsangeboten für Sexarbeiter_innen!
  • Volles Aufenthaltsrecht und volle bürgerliche Rechte für alle Opfer von Zwangsprostitution!



Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper – AbtreibungsgegnerInnen auf dem Vormarsch?

Esther Hufnagel, Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Ende Januar 2014 demonstrierten erneut tausende Menschen vor dem Obersten Gerichtshof in Washington, um ein Verbot des Rechts auf Abtreibung zu fordern. Es handelt sich dabei um die weltweit größte Anti-Abtreibungs-Veranstaltung, an der auch Schulen, Kirchen und PolitikerInnen teilnehmen. Natürlich begleitete auch der Papst die Demonstration „mit seinen Gebeten“.

Die Bewegung beschränkt sich jedoch nicht nur auf friedliche Demonstrationen – auch Belästigungen, Angriffe, Entführungen, Bombendrohungen, Verleumdungen, Klagen und sogar  Morde an Klinikpersonal gehören zum Programm dieser reaktionären AktivistInnen. Ganz normal ist es in den USA inzwischen auch, dass es vor Beratungsstellen zu Belästigungen von Schwangeren, die einen Abbruch in Erwägung ziehen, kommt.

Internationale Entwicklung

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wurde in den USA zwar allgemein schon vor 40 Jahren eingeführt, doch versuchen einzelne, konservativ regierte Bundesstaaten immer wieder, dieses Recht einzuschränken oder zu umgehen. So geschehen im US-Bundesstaat North Dakota, wo ein Gesetz vorsah, „Abbrüche nach der sechsten Woche, wenn der fetale Herzschlag gehört werden kann“ zu illegalisieren. Zum Glück wurde es aber – vorerst – außer Kraft gesetzt.

Die aktuellen Umfragen zur Abtreibung fallen ähnlich aus wie 1975, als die heutige Regelung eingeführt wurde: 20% lehnen einen Schwangerschaftsabbruch unter allen Umständen ab, 26% befürworten ihn ohne Einschränkung. Trotzdem gibt es seitdem dagegen einen permanenten Kampf der Abtreibungsgegner, der von christlichen Vereinigungen finanziert und in enger Zusammenarbeit mit republikanischen PolitikerInnen geführt wird.

Immer wieder werden Gesetze erlassen, die Frauen zwingen, sich einer Beratung zu unterziehen. Diese sind jedoch oft nicht „ergebnisoffen“, sondern dienen häufig genug einfach der Indoktrinierung der Frauen. Vorgaben für Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, sind oft mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden, so dass diesen die Schließung droht. Bei Minderjährigen wird die Kenntnis oder Erlaubnis der Eltern benötigt, in 8 Bundesstaaten sogar die des Ehemannes. Im Zuge der Gesundheitsreform soll die Rückerstattung von Abtreibungskosten verboten werden. Apotheker können in einigen Regionen unverheirateten Frauen den Verkauf von Kontrazeptiva – trotz Rezept! – verweigern.

Beim Thema „Abtreibung“ gehen die Meinungen auch in Europa weit auseinander. So hat Frankreichs Nationalversammlung in diesen Tagen für eine neue, fortschrittlichere Regelung gestimmt, die Schwangerschaftsabbruch nicht mehr nur in einer „Notlage für die Frau“ erlaubt. Die Frauenrechtsministerin Najat Vallaud-Belkacem betont „das absolute Recht“ auf Abtreibung. Zugleich macht die Rechte gegen jede gesetzliche Verbesserung für die Frauen mobil – so wie sie gegen die Legalisierung der Ehe von Homosexuellen mit allen Mitteln Sturm läuft.

In Spanien liegt andererseits ein Gesetzesentwurf vor, der die bestehende Regelung, welche  Straffreiheit bis zur 14. Woche ohne Angabe von Gründen vorsieht, verschärfen soll. Dann dürfte  eine Schwangerschaft nur noch nach Vergewaltigung beendet werden oder bei Vorlage eines ärztlichen Gutachtens, das bestätigt, dass die seelische oder körperliche Gesundheit der Frau gefährdet ist. Hunderttausende protestierten gegen diesen Entwurf vor dem Parlament in Madrid.

In Italien steigt die Zahl der ÄrztInnen, die eine Abtreibung aus Gewissensgründen nicht mehr ausführen wollen. Für die Frauen, die abtreiben lassen wollen, beginnt eine lange Suche, verbunden mit entwürdigender Behandlung.

Weltweit erleben wir einen Vormarsch reaktionärer (klein)bürgerlicher und klerikaler Kräfte, die erkämpfte Rechte auf Schwangerschaftsabbruch rückgängig machen wollen. In Zeiten, wo sich Kinderarmut ausbreitet, Einkommen von Frauen sinken, soziale Leistungen gestrichen oder verteuert werden, soll die Frau auf ihre Rolle als Gebärerin und Mutter zurechtgestutzt werden. Solche Tendenzen sind typisch für Krisenperioden, die gesellschaftlichen Gegensätze nehmen zu. Die Reproduktionsbedingungen von Kindern und Frauen aus der Arbeiterklasse oder den unteren Schichten des städtischen und ländlichen Kleinbürgertums werden immer prekärer, die angeblich heiligen Institutionen wie Familie und Ehe werden immer mehr zum Anachronismus. Gerade weil ihre Existenz zunehmend fragwürdig wird, will sie die Reaktion mit einem gesellschaftlichen und religiösen Heiligenschein versehen. Wo der Pfaffe nicht mehr ausreicht, um Frauen in ihre Rolle zu drängen, soll das Strafrecht nachhelfen.

Nur SpinnerInnen?

In Deutschland wird es am 20. September in Berlin u.a. Städten wie jedes Jahr wieder einen „Marsch für das Leben“ geben, früher auch „Marsch der tausend Kreuze“ genannt, weil angeblich täglich 1.000 Abtreibungen in Deutschland stattfinden, was aber nach Angaben des statistischen Bundesamtes nicht stimmt.

Auch viele andere „Argumente“ der AbtreibungsgegnerInnen sind an den Haaren herbeigezogen oder schlicht Ausdruck religiöser Dogmatik. Sie alle dienen jedoch dazu, der Frau die Selbstbestimmung über ihren Körper abzusprechen, sie einem patriarchalen System unterzuordnen und ihr die alleinige „Schuld“ an einem Eingriff zuzuschieben. Der Fokus liegt einzig und allein auf dem werdenden Kind, die Belange der Frau werden kaum beachtet. Doch auch die Sorge um das Kind ist oft genug nur scheinheilig, denn ist es erst einmal geboren, ist es mit der Fürsorge und sozialen Unterstützung von Mutter und Kind nicht weit her. Manche Organisationen sind durchaus zahlungskräftig und gewähren eine anfängliche Unterstützung, falls Frau nicht abtreibt. Aber für Verbesserungen für Kinder und Jugendliche im Bereich von Bildung, Beschäftigung und Unterhalt wird oft weder etwas gefordert, geschweige denn praktisch gekämpft. Das Kind soll einfach nur leben – egal wie.

Der stumme „Marsch für das Leben“ hat durchaus eine unheimliche Wirkung. Es werden weiße Holzkreuze und Schilder getragen, viele Bilder von Kindern mit Down-Syndrom, sogar ein Plakat “Angie steht hinter uns“ war zu sehen, obwohl sich sogar die Kanzlerin vom Treiben der AbtreibungsgegnerInnen distanziert hat. Diese Demonstration soll mit ihren Assoziationen zur biblischen Kreuzigung eindeutig aussagen: „Symbolisch tragen wir Eure Schuld, ihr Frauen, die ihr Abtreibung nicht als Mord empfindet.“

Initiiert wird der Marsch vom BVL (Bundesverband Lebensrecht), der sich aus mehreren Organisationen, Arbeitskreisen der CDU, der Partei bibeltreuer Christen und der Partei Arbeit, Umwelt, Familie (AUF) zusammensetzt. Sie bezeichnen Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch generell als „Mord“, jede Organisation, die Schwangere „ergebnisoffen“ berät, wird der Beihilfe zur Kindstötung bezichtigt. Begleitende Grußworte zur Demo kommen von beiden großen christlichen Kirchen und konservativen PolitikerInnen. So betont z.B. der CDU-Frontmann Volker Kauder die „Pflicht, Abtreibungen immer wieder als Tötung zu benennen“.

Es sind keine vereinzelten Spinner, die da demonstrieren. Die „Lebensschützer“ sind auch hier gut organisiert, haben eigene Beratungsstellen, eine Juristenvereinigung und die „Ärzte für das Leben“. Seit Bestehen des Abtreibungsparagraphen 218 haben sie großen Einfluss darauf, dass er immer noch im Gesetzbuch steht. Jede Praxis oder Klinik, die auf ihrer Homepage darauf hinweist, dass auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, wird wegen illegaler Werbung verklagt, die Zahl der Ärzte und Praxen, die diese durchführen, ist auch deshalb in Deutschland rückläufig.

„Human life international“, eine US-amerikanische Organisation, veranstaltet Missionsreisen in alle Länder der Welt – auf der Basis der Lehren der katholischen Kirche. Frauen werden vor Kliniken bedrängt und bedroht, in ihren Beratungen wird ihnen ein schlechtes Gewissen eingeredet, u.a. durch unlautere Maßnahmen wie Filme von Abtreibungen. Sie treten weltweit für ein Verbot von Abtreibung auf. Eine Folge davon ist, dass weltweit fast 50.000 Frauen jährlich an den Folgen eines heimlichen, unsachgemäßen Abbruchs sterben – deren Leben werden nicht geschützt!

In Berlin hat sich in den letzten Jahren ein „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ gegründet. Mitglieder sind u.a. das Frauenzentrum “Balance“, der „Humanistische Verband Deutschlands“ (HVD), „Pro Familia“, „Terre des hommes“, die „Falken“, die Linkspartei u.a. Sie stellen dem Schweigemarsch ein buntes Straßenfest mit Podiumsdiskussionen entgegen, wovon sich die radikalen FundamentalistInnen offensichtlich schon gestört fühlen.

Eine Diskussion zwischen beiden gegnerischen Parteien ist vom Bündnis angeregt, aber nie erreicht worden. Kein Wunder: hinter dem Aufmarsch stehen die sogenannten „Evangelikalen“, die an der Bibel als „Wort Gottes auf Erden“ stur festhalten. Doch über Steinigung nach Ehebruch, körperliche Züchtigung von Frau und Kind und Todesstrafe für homosexuelle Handlungen lässt sich ja auch nicht gut diskutieren. Was da so „christlich“ und „humanistisch“ daherkommt, ist praktisch einfach nur menschenfeindlich.

Kampf für unsere Rechte

Das Verbot oder die Einschränkung der Abtreibung ist eine der krassesten Formen der Unterdrückung von Frauen. Zugleich ist sie aber auch Teil der allgemeinen sozialen Unterdrückung im Kapitalismus, der damit auch zeigt, dass er reaktionäre „Gepflogenheiten“ vorkapitalistischer Gesellschaften durchaus nicht auszumerzen bereit oder in der Lage ist.

So, wie der Kampf gegen jede Form von Unterdrückung – und auch die Ausbeutung von Lohnarbeit gehört dazu – von allen Unterdrückten gemeinsam geführt werden muss, muss auch der Kampf gegen die AbtreibungsgegnerInnen und für das unbeschränkte Recht auf Abtreibung ein Kampf von Männern und Frauen sein.

Er muss verbunden sein mit dem Kampf für kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln, kostenlose und freiwillige Beratung durch Frauen und geschultes medizinisches Personal. Kirchliche oder andere „Beratungsstellen“ von AbtreibungsgegnerInnen und deren staatliche Finanzierung lehnen wir grundsätzlich ab. Abtreibungen müssen unter den besten medizinischen Bedingungen durchgeführt werden und für die Frauen kostenlos sein. Außerdem braucht es ausreichend Schutzräume für Frauen (Frauenhäuser). VertreterInnen der Gewerkschaften und von Frauenorganisationen müssen solche Maßnahmen kontrollieren, um ihr Unterlaufen durch reaktionäre Behörden, Klinikleitungen, Ärzte oder religiöse Eiferer zu verhindern. Vor allem aber darf das Austragen eines Kindes Frauen nicht mehr in eine soziale Notlage bringen.

Nicht reaktionärer und bornierter religiöser Eifer, sondern der Kampf für eine menschenfreundliche Gesellschaft, sexuelle Aufklärung und allgemeine Solidarität können dazu führen, dass Abtreibungen einmal zur Ausnahme werden. Eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung, Unterdrückung und Konkurrenz beruht, kann niemals solche Bedingungen schaffen, diese werden nur in einer sozialistischen, klassenlosen Gesellschaft realisiert werden können.

  • Wir verurteilen alle Übergriffe von AbtreibungsgegnerInnen auf Frauen vor Kliniken und Beratungszentren und auf diese Einrichtungen!
  • Für strikte Trennung von Kirche und Staat! Die Machenschaften dieser FundamentalistInnen müssen geächtet und verhindert werden! Religion hat Privatsache zu sein!
  • Solidarisiert Euch im Kampf gegen sexuelle Unterdrückung und für die Streichung des §218!



Frauen als Flüchtlinge – Mehrfach unterdrückt

Svenja Spunck, Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOlUTION, März 2014

In dieser Welt ein Flüchtling zu sein, ist schon schwer genug, aber eine Gruppe unter ihnen hat es besonders schwer: Frauen.

Etwas mehr als die Hälfte aller Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen und sich auf die gefährliche Reise nach einem besseren Leben begeben, sind weiblich. Obwohl Frauen mit mehr sozialen Problemen zu kämpfen haben als Männer, erscheint das vergleichsweise wenig. Zum einen hängt es damit zusammen, dass ihnen die Flucht aus dem Heimatland seltener ermöglicht wird, beispielsweise durch Verbote der Familie, mangelnde – meist finanzielle – Unterstützung der Dorfgemeinschaft oder durch gesundheitliche Umstände. In die Männer werden größere Hoffnungen gesetzt, dass sie ihr Ziel tatsächlich erreichen, Arbeit finden und die Familie mit Geld unterstützen können.

Unterdrückung nach der Flucht

Doch auch die Frauen und Mädchen, die es tatsächlich nach Europa schaffen, finden nicht die rosigen Zustände an, die sie sich erhofften. In den Flüchtlingslagern, die katastrophale Hygienestandards aufweisen, werden sie oft Opfer sexueller Gewalt und Zwangsprostitution. Geschlechtskrankheiten verbreiten sich schneller, als man „medizinische Versorgung“ aussprechen kann. Teilweise haben Frauen keinerlei Mitbestimmungsrecht, wenn sie keinen männlichen Familienangehörigen bei sich haben.

Ebenso fallen Frauen in diesen Lagern wieder die „typisch weiblichen“ Aufgaben zu, wie die Kindererziehung, die Gesundheitsversorgung und das Kochen. Einkaufen dürfen sie aber nicht, denn das Geld vertrauen ihnen viele männliche Flüchtlinge nicht an.

All das soll aber nicht heißen, wie es nur zu gerne dargestellt wird, dass es „ihre fremde Kultur“ sei, die beispielsweise „den Arabern“ zugeschrieben wird. Denn Frauenunterdrückung gibt es auch außerhalb des Flüchtlingsheimes. Die europäischen Behörden sind selbst Vollstrecker sexistischer Maßnahmen. So bietet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Integrationskurse für Frauen an, in denen sie sich „über Themen unterhalten, die Sie besonders interessieren, zum Beispiel die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder“ oder „erfahren, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen dem Leben der Frauen in Deutschland und in ihren Heimatländern gibt“. Warum gibt es keine Kurse über häusliche Gewalt und warum 40% aller Frauen über 16 Jahren davon betroffen sind? Oder darüber, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer? Stattdessen wird die „deutsche Leitkultur“ als vorbildlich und moralistisch verkauft, während jegliche Verbesserung der Situation für diese Frauen fehlt. Im Gegenteil: ihre Rolle als diskriminierte Gruppe der Gesellschaft wird reproduziert. Die zusätzlichen Probleme, von denen sie als MigrantInnen betroffen sind, werden dann vom deutschen Staat mit der „Andersartigkeit“ ihrer „fremden Kultur“ erklärt.

Um die Situation der Frauen tatsächlich zu verbessern, muss als erstes die geschlechtsspezifische Verfolgung als Fluchtursache von allen Nationen anerkannt werden und die Flüchtlingsheime müssen Schutzräume für Frauen bieten. Auch die  demokratische Verwaltung, regelmäßige Säuberung und eine ausreichende Beleuchtung sind wichtige Schritte für die Verbesserung der Lage weiblicher Flüchtlinge. Außerdem müssen wir uns dafür einsetzen, dass allen Flüchtlingen die Chance auf einen Arbeitsplatz, kostenlose Sprachkurse und Ausbildungsplätze gegeben wird, während gleichzeitig für Kinderbetreuung gesorgt ist.

Die Frauenunterdrückung unter und gegen Flüchtlinge zeigt aber auch, wie wichtig eine linke Frauenbewegung aller arbeitenden und unterdrückten Frauen gegen Sexismus und den Kapitalismus ist, der viele in Armut, Krieg und Flucht stürzt.




Sexismus an der Schule – “Damit Du endlich auch mal Mamas Schönste bist.”

Katherina Singh, Madita Engström, Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Bei uns im Sportunterricht muss man zur Leistungskontrolle antreten. Hand in die Höhe ausstrecken und sein Bestes geben. Und vorher natürlich von sich aus das T-shirt in die Hose, damit man nicht Aussagen, wie „Mach das Hemd rein, damit du endlich mal Muttis Schönste sein kannst“, riskiert. Aber darüber diskutieren kann man nicht. Es gilt: „Ein Mann, ein Wort -eine Frau, tausend unnütze.“ Beides sind übrigens wörtliche Zitate von Lehrern.

Diskriminierung im Alltag ist nichts Neues. Als Jugendliche(r) ist die Schule der Ort, wo man tagtäglich mit Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung konfrontiert wird. Seien es nur kleine Bemerkungen von Mitschüler_innen oder Lehrer_innen, auf die Betroffenen wirken sie prägend.

Leistungsorientierte Strukturen und  mangelnde Förderung der individuellen Entwicklung  bereiten einen mehr oder weniger gut auf das künftige Leben in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem vor. Dass die Probleme im Bildungssektor damit unweigerlich verbunden sind, wird nicht angesprochen. -Genauso, wie eine Ungleichbehandlung von Schüler_innen  gerne totgeschwiegen wird, denn -so will man uns glauben lassen- was zählt, ist nur die Leistung.

Die bestehende Schule als Struktur des Kapitalismus  fördert die Reproduktion des binären Geschlechtersystems, sprich: der einfachen Einteilung in männlich und weiblich. Schon von Anfang an findet eine Trennung zwischen männlichen und weiblichen Schülern statt und Stereotype vom ordentlichen Mädchen und Jungen als Klassenclowns werden teilweise unbewusst gefestigt. Für Schüler_innen, die sich nirgends einordnen können oder sich mit ihrem Rollenbild nicht identifizieren, ist nur selten oder gar kein Platz. Neben der Geschlechtsidentität wird im Biologieunterricht und in anderen Lehrbüchern Heterosexualität als Norm vermittelt, andere sexuelle Identitäten werden ausradiert.

Lehrer_innen, die durch kleine Bemerkungen oder auch mit ihrem gesamten Verhalten das Patriarchat vertreten, indem sie die Leistungen von Mädchen abwerten oder versuchen, sie in eine Rolle zu drängen, hat wohl Jeder schon mal erlebt.  Bemerkungen, wie am Anfang des Artikels geschildert, begleiten einen als Frau in der Schullaufbahn -sind aber nur der Gipfel des Eisberges.

Typisch sind auch dem Rollenbild entsprechende Aufgaben im Matheunterricht, wie „Herr Müller will ein Auto kaufen (…)“, aber „Frau Schmidt geht zum Markt, um Äpfel zu besorgen.“ Auch im Geschichtsunterricht spielen weibliche Persönlichkeiten nach wie vor so gut wie keine Rolle.

Sogar bürgerliche Medien berichten, wenn das Thema Sexismus in der Schule angeschnitten wird, dass eine Ungleichbehandlung vorliegt. Tatsächlich aber kritisiert man dort den kleineren Anteil von männlichen Abiturienten oder die besseren Notenschnitte von weiblichen Schülern. So wird zum Einen fälschlicherweise das Bild erzeugt, dass Sexismus auch „umgedreht“ werden kann. Zum Anderen sind Aussagen, dass Mädchen bevorzugt würden und leichter bessere Noten bekommen nur eine Seite der Medaille, ähnlich wie in der Berichterstattung über die fleißigen Schüler mit asiatischem Migrationshintergrund. Zwar mögen die Noten und Abschlüsse in der Schule besser sein, sieht man sich aber die Besetzung von Führungsposten an, so muss man sich fragen, was aus der angeblichen Bevorzugung der Frauen letztendlich wird.

Dieses Ungleichgewicht in der  Jobverteilung sieht man auch deutlich an Schulen. Während der Anteil  von männlichen Grundschullehrern noch nur bei ca. 15% liegt, sind es an Gymnasien ungefähr gleich viele Männer wie Frauen. In Schulleitungspositionen sieht das ganze sehr anders aus: circa 80% sind männlich.

Im Zusammenhang von Sexismus und Schule spielen auch Vorurteile, wie „Frauen können nunmal kein Mathe, das ist schon okay“ eine Rolle, welche sich negativ auf die Leistungen von Schülerinnen auswirken. Eine Studie vom National Institute of Mental Health beweist, dass Frauen, denen vor einem Mathetest gesagt wird, dass weibliche Befragte in diesem durchschnittlich schlechter abschneiden als Männer, letztendlich tatsächlich schlechter sind als Frauen, die mit diesem Vorurteil nicht konfrontiert wurden. Wenn Mädchen dann zur Überraschung aller doch mal gut in naturwissenschaftlichen Fächern sind, wird das häufig auf Fleiß zurück geführt. Bei Jungen ist es natürlich Begabung.

Nicht nur in direkten sexistischen Äußerungen, sondern auch im unbewussten Verhalten der Lehrer lässt sich ein Ungleichgewicht erkennen.  Eine Studie der Lehrerin Dale Spender kam zu dem Ergebnis, dass Lehrer_innen ihre Aufmerksamkeit zu 85% den männlichen Schülern schenken, selbst, wenn mehr Mädchen in der Klasse sind. Auch unterbrechen Jungen Mädchen häufiger, als es andersherum der Fall ist. Wie auch außerhalb der Schule haben Männer einen sehr viel größeren Anteil an Diskussionen als Frauen. Auch schätzen sie die Verteilung des Gespräches ganz anders ein. Eine australische Studie kam zu dem Ergebnis, dass Männer die Diskussion als ausgeglichen wahrnahmen, wenn Frauen 15% der Zeit redeten. Als von Frauen dominiert sahen sie sie hingegen, wenn der weibliche Anteil an der Diskussion (gemessen sowohl an Wortzahl, als auch an Länge der Beiträge) bei nur 30% lag. In der Schule wird Mädchen so schon früh beigebracht, in Diskussionen lieber zu schweigen und eigene Meinungen nicht zu äußern.

Der Kampf gegen Sexismus an der Schule ist nicht leicht. Konfrontiert man Lehrer_innen mit ihren frauenfeindlichen Äußerungen, wird man schnell als die abgestempelt, die „immer diskutieren will“. Auch riskiert man, schlechtere Noten zu kriegen und im Unterricht ignoriert zu werden, weil der/die Lehrer_in Angst vor kritischen Äußerungen hat. Es ist möglich, gegen den/die Lehrer_in Beschwerde bei der Schulleitung oder dem Schulamt einzureichen, doch hat man in diesem Fall kein Recht, die Stunden des Faches in einem anderen Kurs zu besuchen. Das hat zur Folge, dass man Inhalte verpasst und danach wahrscheinlich nur noch mehr von dem/der betreffenden  Lehrer_in gepiesackt wird.

Es ist notwendig, in Schule Strukturen von Schüler_innen zu schaffen, in denen sie Fälle von sexueller, und auch anderer, Diskriminierung thematisieren können. Außerdem muss die Forderung nach von Schüler_innen und Arbeiter_innen festgelegten Lehrplänen mit geschlechterkritischen Inhalten aufgestellt werden. Wir treten für die Schaffung einer Schüler_innen- und Student_innengewerkschaft ein, die Jugendlichen das effektive Eintreten für ihre Interessen ermöglicht.




Lage der Hausangestellten – Sklavin im fremden Haus

Esther Hochstädter/Hannes Hohn, Neue Internationale 179, Mai 2013

Kürzlich gewann eine ehemalige Hausangestellte aus Indonesien einen Prozess gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber, einen Diplomaten aus Saudi-Arabien, in dessen Berliner Wohnung sie 9 Monate lang praktisch als Sklavin lebte und arbeitete. Ein Vergleich kam erst zustande, nachdem der Diplomat ausgereist und damit seine Immunität aufgehoben war.

Kein Randphänomen!

Dieser Fall ist vielleicht nicht unbedingt typisch für Deutschland, er wirft aber ein Schlaglicht auf die Situation vieler Frauen und Mädchen, die weltweit unter unzumutbaren Bedingungen in den Haushalten der Reichen arbeiten. Weltweit sind ca. 100 Mio. Menschen – zum größten Teil Frauen – als Hausangestellte tätig. Es handelt sich also nicht um eine Randerscheinung, sondern um ein Massenphänomen.

Oft dürfen die Frauen das Haus ihrer Herrschaften nicht verlassen, so dass ihre Lage der Öffentlichkeit weitgehend verborgen bleibt. Sie kochen, putzen, waschen, servieren, betreuen die Kinder oder pflegen ältere Familienmitglieder. Häufig ist ihr Arbeitstag lang, Freizeit oder Urlaub sind selten.

Meist wohnen sie auch an ihrem Arbeitsplatz, in einer Kammer oder im Kinderzimmer auf dem Fußboden. Oder sie nehmen täglich lange Wege in Kauf, um ihren Arbeitsplatz in einem der besseren Wohnviertel zu erreichen. Manchmal treffen sie Kolleginnen an der Haltestelle oder auf dem Markt, meist aber sind sie isoliert und dem Wohlwollen ihrer Arbeitgeber ausgeliefert. Auch wenn sie krank sind, arbeiten sie weiter oder müssen auf ihren Lohn verzichten – von einer Rente ganz zu schweigen. Wird ein Hausmädchen schwanger – vielleicht sogar von ihrem „Chef“ – sind sie ihren Job los.

Viele Hausangestellte sind zudem Migrantinnen, die an ihrem Arbeitsort niemand kennen, keine Freunde und Helfer haben und nicht selten auch die Landessprache nicht gut beherrschen. So sind diese Frauen und Mädchen besonders schutzlos und benachteiligt. Durch die ständige Gefahr, ausgewiesen zu werden, sind sie extrem abhängig. Doch sie benötigen ihren Lohn dringend, um ihre Familien zu Hause zu unterstützen. Oft trauen sie sich nicht aus dem Haus, da sie ja illegal im Land sind.

Prekär

Diese besonders prekären Arbeitsverhältnisse werden v.a. auch dadurch ermöglicht, dass reguläre Arbeitsverträge oft nicht existieren oder nach Dienstantritt vom Arbeitgeber nach Gutdünken „ausgelegt“ werden. So werden z.B. Kost und Logis oft – entgegen dem ursprünglichen Versprechen – auf den Lohn angerechnet. Aufgrund fehlender Arbeitsverträge haben die Frauen oft auch keine rechtliche Handhabe gegen diese Willkür. Die Haushälterinnen sind zudem nicht selten auch sexueller Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt.

Es sind jedoch nicht nur die Haushalte der Oberschicht, die Hausangestellte beschäftigen. Immer mehr Mittelschichtfamilien leisten sich eine Hilfe im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung. Gründe dafür sind einerseits, dass ihnen eine illegale Hausangestellte billiger kommt als eine offiziell gemeldete oder ein Kitaplatz; anderseits, weil auch die Mittelschicht zunehmend sozial unter Druck steht und länger arbeiten muss, um ihren sozialen Standard zu halten.

Die Hausangestellte selbst wiederum lässt oft auch ihre eigene Familie zurück, die dann von anderen Familienmitgliedern betreut wird. So entsteht eine regelrechte internationale „Betreuungskette“.

Auch hierzulande sieht man Frauen immer häufiger in der Betreuungsarbeit, da die Sozialdienste überlastet sind. Welche Möglichkeiten bleiben auch einer Familie, die zu pflegende Angehörige zu Hause wohnen lassen möchte, die aber rund um die Uhr Hilfe benötigt? Daher gibt es Anwerbeprogramme für Arbeitsuchende, meist aus Osteuropa, die hier vorübergehend beschäftigt werden. Dieser spezifische Markt wird weiter wachsen, schon allein dadurch, dass sich bis 2060 die Zahl der über 80jährigen in Deutschland verdreifachen wird.

Schutzmechanismen

2013 soll nun das Abkommen 189 der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO (ILO) in Deutschland ratifiziert werden. Damit wären Hausangestellte anderen Beschäftigten formell gleichstellt.

Die Betonung liegt hier aber auf „formell“, denn damit verbundene Fragen wie Bezahlung, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Sozialversicherung oder der Schutz gegen Misshandlung, Belästigung und Gewalt sind in einem Privathaushalt eben fast nicht zu kontrollieren.

Eine wirkliche, nicht nur formal-rechtliche Verbesserung der Situation von Hausangestellten ist – wie bei allen anderen Lohnabhängigen – letztlich nur möglich, wenn der in diesem Bereich  besonders ausgeprägte private Rahmen der Arbeit überwunden wird. Was heißt das?

Zunächst ist es wichtig, dass es für Hausangestellte eine tarifvertragliche Regelung gibt. Zentralen Stellenwert hat auch – wie bei allen prekär Beschäftigten – ein gesetzlicher Mindestlohn. Dadurch entsteht nicht nur ein Druck auf die Arbeit“geber“, bestimmte Standards einzuhalten, v.a. ist es bei Problemfällen den Beschäftigten möglich, ihre Rechte einzuklagen. Da das nur „Staatsbürgern“ zusteht, muss zugleich das Recht und die Pflicht erzwungen werden, dass ausländische Pflegekräfte während ihres Auslandsaufenthalts volle Staatsbürgerrechte erhalten, v.a. eine Aufenthaltsgenehmigung.

Letzten Endes sind diese Regelungen und umso mehr deren praktische Durchsetzung und das rechtliche Einklagen dieser gesetzlichen Normen nur dann realistisch, wenn die Frauen und Mädchen ihre Vereinzelung und Isolation überwinden. Das bedeutet v.a. eines: Organisierung! Angefangen bei kleineren Formen der Solidarisierung der Hausangestellten über die Bildung von Gruppen und Netzwerken bis hin zu ihrer Einbindung in Gewerkschaften. Das ist wichtig, um dem Gefühl der Machtlosigkeit und Isolation das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse und zu deren Organisationen entgegenzusetzen. Es ist bekannt, ja fast berüchtigt, dass gerade Hausangestellte oft ideell sehr stark an die Familie „ihres“ Arbeitgebers gebunden sind. Der treue Butler im Krimi ist dafür die idealtypische Figur. Auch dieses verbreitete, im Grunde reaktionäre Bewusstsein von Hausangestellten kann nur dadurch gebrochen werden, dass sie sich nicht „ihrer“ Familie, sondern ihrer Klasse verbunden fühlen.

So wie ein gemeinsamer Streik der – von einander isolierten – Hausangestellten nur schwer vorstellbar (und real wohl auch noch nie vorgekommen) ist, so ist es durchaus vorstellbar, dass diese sich im Rahmen von gewerkschaftlichen Kämpfen und mit Unterstützung der Gewerkschaften zur Wehr setzen.

Freilich stößt eine solche Orientierung mindestens auf zwei Probleme – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Gewerkschaften und ihren Apparaten, ja in der Arbeiterklasse selbst: die bürgerliche Ideologie. Für weibliche Hausangestellte, noch dazu für ImmigrantInnen, ist es – sogar, wenn sie es selbst wollten – schwer möglich, die Gewerkschaft für ihre Anliegen zu gewinnen, wenn diese – v.a. deren Führungen – von nationalistischen, rassistischen, patriarchalen und sexistischen Auffassungen beeinflusst sind.

Daraus folgt zwingend, dass diese Einstellungen und die daraus folgenden strukturellen Mängel bekämpft werden müssen. Was heißt das konkret? Es muss in der Arbeiterbewegung eine breite Kampagne gegen die genannten bürgerlichen Ideologien geführt werden. Es muss dafür gekämpft werden, dass allgemein Frauen – und insbesondere auch die prekär beschäftigten – organisiert werden und reale Bedingungen dafür geschaffen werden, dass sie sich organisieren können – und wollen. Dazu gehört z.B. das Recht auf eigene Treffen/Strukturen in den Gewerkschaften (Caucus).

Die Massenbewegung gegen die sexuelle Gewalt gegen Frauen in Indien oder die Proteste gegen den Anschlag der Taliban auf ein Mädchen, das für gleiche Bildung für Frauen eintrat, in Pakistan oder selbst die „Sexismusdebatte“ in Deutschland sind Anzeichen dafür, dass die besondere Unterdrückung von Frauen wieder stärker ins Bewusstsein rückt und sich Widerstand dagegen formiert.

Frauenbewegung

Doch oft ist dieser Widerstand von bürgerlich-feministischen Ideen geprägt, welche die Unterdrückung aller Frauen anprangert, jedoch erstens meist ausblendet, dass Frauen aus dem Proletariat u.a. sozialen „Unterschichten“ besonders unterdrückt sind, und daher zweitens deren Forderungen und umso mehr deren eigenständige Organisierung und deren Klassenkampf abgelehnt oder ignoriert wird.

Gerade die Situation von hausangestellten Frauen und Mädchen zeigt aber, dass sich deren Situation sehr grundlegend von jener der mittelständischen oder reichen Ehefrau ihres „Arbeitgebers“ unterscheidet. Wenngleich auch die bessergestellte Frau diverser Formen von Diskriminierung und Sexismus ausgesetzt ist, so ist sie nicht oder weit weniger der spezifischen Unterdrückung und Diskriminierung einer proletarischen Frau ausgesetzt.

Daher kann der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau – aller Frauen (!) -, letztlich nur erfolgreich geführt werden, wenn es eine proletarische Frauenbewegung als spezifischer Teil der Arbeiterbewegung insgesamt gibt. Und so, wie der Kampf der Frauen mit dem Kampf der Arbeiterklasse insgesamt verbunden werden muss, so muss der Kampf gegen Frauenunterdrückung auch mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verknüpft werden!




Frauen in Ägypten – Eine halbe Revolution bringt keine Befreiung

Svenja Spunck, Frauenzeitung Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014

Eine Umfrage der Thomson Reuters Foundation vom November 2013 setzte Ägypten in einem Ranking zu den Lebensbedingungen von Frauen in der arabischen Welt auf den letzten Platz. Die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, drückt sich auf verschiedene Weise aus: 91% aller Frauen wurden einer Genitalverstümmelung unterzogen, 99,3% erlebten in ihrem Leben sexuelle Belästigung und 37% sind Analphabetinnen und dadurch auf dem Arbeitsmarkt extrem benachteiligt.

Diese Zahlen stammen von der Zeit nach der Revolution und haben sich seit dem Frühjahr 2011 zunehmend verschlechtert. Obwohl die Frauen damals in der ersten Reihe standen und gegen den Diktator kämpften, fürchten sie heute den Tahrir-Platz, auf dem es immer wieder zu Massenvergewaltigungen kommt.

Die ägyptische Kolumnistin Mona Eltahawy sagte, man habe zwar den Mubarak aus dem Präsidentenpalast verjagt, aber gegen den Mubarak in den Köpfen und im Schlafzimmer müsse man noch kämpfen.

Die „tahrirbodyguards“ ist eine Selbstverteidigungsgruppe, die sich mit dem Ziel gegründet hat, Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Das ist ein guter Anfang, die Gesetzeslage begünstigt aber nach wie vor die Täter. Sie müssen nämlich keine Bestrafung befürchten und die Polizei und das Militär wenden ganz ähnliche Methoden an, um Frauen aus der politischen Aktivität zu vertreiben. DemonstrantInnen werden beispielsweise nach der Festnahme einem „Jungfräulichkeitstest“ unterzogen, das heißt ausgezogen und nackt gefilmt.

Was bedeutet das für die ägyptische Revolution und für den arabischen Frühling?

Die Frauenbefreiung ist offensichtlich nicht voran geschritten. Trotzdem sollte man auch davor warnen, die Rechte, die Frauen zu Mubaraks Zeiten hatten, zu loben, denn sie entstanden nicht aus einer proletarischen Frauenbewegung, sondern waren Privilegien, die den reichen, bürgerlichen Frauen durch Suzanne Mubarak, Husni Mubaraks Frau, zugesprochen wurden, wobei sie dies eher als ein Hobby betrachtete.

Für die Masse der Frauen – z.B. die ArbeiterInnen in der Textilindustrie – gab es auch damals keine Gleichberechtigung, keine Möglichkeit zur legalen Teilnahme am politischen Leben und ihre Organisationen, wie z.B. die unabhängigen Gewerkschaften, wurden brutal unterdrückt.

Permanente Revolution

Die Monate der Revolution versetzten das ganze Land in einen Ausnahmezustand und ließen die Einigkeit der Mubarak-Gegner an erste Stelle rücken. Damals war es egal, ob man als Mann oder als Frau kämpfte, Hauptsache man war dabei. Die streikenden TextilarbeiterInnen von Mahalla waren 2008 VorbotInnen und treibende Kräfte der Revolution, doch unter dem Islamisten Mursi bekamen die Frauen keine Möglichkeiten der politischen Organisation und auch ihre soziale Stellung verbesserte sich nicht.

Dass der Übergangspräsident Adli Mahmud Mansur, der schon zu Mubaraks Zeiten stellvertretender Vorsitzender des Gerichts war, an dieser Lage nichts ändert, steht außer Frage.

Die Revolution in Ägypten hat die Frage der Frauenbefreiung auf die Tagesordnung gesetzt. Millionen haben sich politisch beteiligt und wurden aktiv. Wie auf allen anderen Gebieten blieb die Revolution jedoch auf halbem Weg stecken, weil sie im Rahmen bürgerlicher Eigentumsverhältnisse verblieb. Der alte Staatsapparat und die reaktionären Institutionen blieben intakt.

Eine „halbe“ Revolution droht aber in einer ganzen Konterrevolution zu enden und Frauen sind unter den ersten Opfern ihres Fortschreitens.

Nur wenn es gelingt, den Vormarsch der Reaktion auf allen Ebenen zu begegnen und die halbe, „demokratische“ Revolution zu einer sozialistischen zu machen, werden auch die Forderungen nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau erfüllt werden.

Linke und revolutionäre Organisationen sowie die Gewerkschaften müssen daher den Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, für Alphabetisierung, gleiche Bildung und Bezahlung und für die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Der Kampf gegen Sexismus und Benachteiligung der Frauen muss dabei auch in den eigenen Reihen geführt werden, denn nur so kann eine wirkliche Einheit von Männern und Frauen im Kampf für ihre Befreiung erzielt werden. Dazu ist auch ein politisches Instrument notwendig: eine proletarische Frauenbewegung.