5 Gründe, warum wir als Marxist:innen gegen das nordische Modell sind

Leonie Schmidt, Neue Internationale 274, Juni 2023

Nach wie vor ist es eine relevante Diskussion in der feministischen und linken Bubble, wie zum Sexkauf und zu Sexarbeit gestanden wird und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dominierend sind hierbei einerseits ein Spektrum, was Sexarbeit als Arbeit wie jede andere hinstellt und von selbstbestimmten Dienstleister:innen ausgeht, welche größtenteils keine Gewalterfahrungen während ihrer Tätigkeit erleben, wohingegen auf der anderen Seite Stimmen laut werden, die alle Sexarbeiter:innen zu Opfern stigmatisieren, die wenn sie nicht direkt oder indirekt (bspw. durch Armut oder Drogensucht) gezwungen sein sollten, lediglich versuchen würden, ihre Traumata zu verarbeiten. Diese Argumentation basiert u. a. auf diversen Studien von Melissa Farley, welche den Anschein haben, dass alle Personen in der Prostitution Gewalterfahrungen sowie psychische Probleme erleben. Jedoch ist die Stichprobe von Farley höchst umstritten, da sie ihre Interviewpartner:innen teilweise aus Aussteigerprogrammen bezieht (u. a. Farley 2004). Dass die Personen, die sowieso aufhören wollen, von den schrecklichen Zuständen berichten, die ihnen wiederfahren sind, ist logisch, lässt aber keinen Allgemeinschluss zu. Die Personen, die dennoch Farleys Argumentation folgen, repräsentieren oft radikalfeministische und bzw. oder kleinbürgerliche Tendenzen und fordern auch in Deutschland eine Regelung nach dem „nordischen Modell“.

Einige grundlegende Annahmen

Bevor wir uns dies näher anschauen, wollen wir einige Sachen kurz darstellen, die für die Auseinandersetzung mit diesem relevant sind. Wir wollen in diesem Text differenzieren zwischen Prostitution und Zwangsprostitution, da das für uns nicht dasselbe ist. Prostitution verstehen wir als den einvernehmlichen Verkauf direkter, zwischenmenschlicher sexueller Dienstleistungen, während das für Zwangsprostitution nicht gilt, denn diese ist nicht einvernehmlich. Diese klare Trennung kann aber nicht in jedem Fall getroffen werden, da Zwangsverhältnisse nicht nur durch physischen Zwang, sondern auch durch ökonomische Abhängigkeiten und Armut entstehen können.

Demnach verstehen wir Sexarbeit in einem ökonomischen Sinne jedoch als Arbeit, in jenem Sinne, dass nicht der Körper, sondern eine Ware in Form einer Dienstleistung „produziert“ wird, wofür die Ware Arbeitskraft notwendig ist, wenn die Dienstleistung in einem Lohnarbeitsverhältnis stattfindet. Dies passiert in einem abgesteckten Rahmen, in welchem eine zeitliche Begrenzung und eine der Praktiken festgelegt wird. Voraussetzung dafür, dass eine sexuelle Dienstleistung verkauft wird, ist also Konsens, mit anderen Worten: Konsens kann nicht gekauft werden. Wenngleich die Optik der Sexarbeiter:innen eine Rolle in ihrer Tätigkeit spielt, so gilt das ebenso für andere Dienstleistungsberufe wie bpsw. Models oder Schauspieler:innen, doch auch diese verkaufen nicht ihren Körper, wenngleich dieser ein Teil der Produktion der Dienstleistung ist. Sind die Sexarbeitenden angestellt oder scheinselbstständig, streicht sich ein/e Kapitalist:in bspw. als Bordellbetreiber:in oder Zuhälter den Mehrwert ihrer Arbeit ein, besitzt die Produktionsmittel (bspw. Räumlichkeiten, Verhütungsmittel etc.) und bestimmt die Arbeitsbedingungen. Insofern kann Sexarbeit als Lohnarbeit angesehen werden. Das soll nicht verharmlosen, dass es während dieser Tätigkeiten nicht selten zu Gewalt und Übergriffen kommt und das auch in einer patriarchalen Klassengesellschaft keine Seltenheit ist, sondern betonen, dass Konsens lediglich die Möglichkeit eröffnet, dass Sexarbeitende selbstbestimmt für ihre Arbeitsrechte eintreten können, insofern sie sich in keinem Zwangsverhältnis befinden und sich genau gegen diese Gewalt und schlechten Arbeitsbedingungen organisieren können. Das bedeutet außerdem, dass Sexarbeit nicht der Grund für die Unterdrückung von Frauen und queeren Personen ist, sondern die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion im Kapitalismus sowie das daraus resultierende Ideal der bürgerlichen Familie und der damit einhergehenden Geschlechterrollen.

Natürlich dürfen nicht die Augen davor verschlossen werden, dass es auch bessergestellte Sexarbeitende gibt, welche ohne Zuhälter:in selbstständig agieren und mehr Freiheiten bzgl. der Arbeitsbedingungen und Gestaltung der Dienstleistung genießen. Diese sind auch oft im öffentlichen Diskurs zu finden und propagieren Sexarbeit als etwas per se Ermächtigendes. Sie machen allerdings nur einen sehr geringen Teil der Sexarbeitenden aus und somit kann man von deren Sichtweisen und Erfahrungen nicht auf die Gesamtheit schließen.

Genauso gibt es auch Personen, die sich in Zwangsverhältnissen befinden. Wie stark sie vertreten sind, ist schwer auszumachen, denn sie befinden sich unter dem Radar. Zwangsprostitution und Menschenhandel stellen klar Verbrechen und Vergewaltigungen dar und sind oft mit Sklaverei vergleichbar. Zwangsprostitution ist grundsätzlich abzulehnen und zu bekämpfen, dies steht nicht zur Diskussion. Aber nur weil imperialistische Mächte bis ins 19. Jahrhundert Sklav:innen auf Baumwollplantagen quälten, ist es keine logische Schlussfolgerung, die Forderung nach einem Verbot der Arbeit auf Baumwollplantagen aufzustellen.

Was ist überhaupt das „nordische Modell“?

Das „nordische Modell“ wurde erstmals in Schweden in den 1990er Jahren eingeführt und besteht grob gesagt aus 3 Säulen, welche aber von Land zu Land variieren können: Entkriminalisierung der Sexarbeitenden, Kriminalisierung der Sexkäufer und Zuhälter, Förderung und Finanzierung von Ausstiegshilfen. Aktiv sind verschiedene Formen des „nordischen Modells“ neben Schweden unter anderem auch in Norwegen, Frankreich, Irland, Island, Israel und Kanada. Eingeführt werden diese Gesetze auf Basis einer feministisch-humanistischen Grundlage, die davon ausgeht, dass die Nachfrage sinken wird, sobald der Sexkauf selbst unter Strafe steht, und somit die Sexarbeiter:innen von alleine nach anderen Berufen suchen, dass das gesellschaftliche Stigma rund um Sexkauf förderlich ist, um Freier abzuschrecken und Männer umzuerziehen, und Sexkauf in jedem Fall Gewalt bzw. eine Vergewaltigung darstellt. Außerdem soll so Menschenhandel in den Griff bekommen werden. Dadurch, dass das „nordische Modell“ bereits in Kraft getreten ist, gibt es eine Datengrundlage, um dieses auszuwerten. Allerdings lassen diese Daten viel Raum für Interpretation und werden ganz unterschiedlich ausgelegt, von Befürworter:innen des „nordischen Modells“ anders als von Leuten, die dieses ablehnen.

1. Das Sexkaufverbot reduziert nicht die Anzahl der Sexarbeiter:innen

Ein erklärtes Ziel durch die Kriminalisierung der Sexkäufer ist, durch eine gesunkenen Nachfrage auch das Angebot zu senken. Und so scheint es auch in mehren Fällen zu funktionieren: In Schweden und Nordirland sank die Anzahl der Straßenprostituierten nach der Einführung eines Sexkaufverbots. Allerdings sank nicht die Gesamtanzahl der Prostituierten, sondern es gab eher eine Verschiebung: in Nordirland bspw. in den Onlinebereich (Ellison et al. 2019) und in Schweden kam es nach einem kurzen Abfall auch wieder zu einem Anstieg in der Straßenprostitution und diese dürfte mindestens wieder auf demselben Niveau erfolgen wie vor der Installation des Gesetzes (Global Network of Sex Work Projects 2015). Zudem macht in Schweden die Straßenprostitution sowieso nur einen sehr geringen Teil der Branche aus (ebenda).

Die Idee, Dinge würden durch Verbote verschwinden, ist aber so oder so von vorne bis hinten ein Fehlschluss, wie man bspw. auch beim Verbot von Drogen oder Alkohol sehen kann, denn konsumiert wird trotzdem, nur eben viel unsicherer als vorher. Denn durch ein Sexkaufverbot werden eben nicht die Strukturen, die zur Prostitution führen, ausgehebelt. Das sind zum einen die ökonomischen Verhältnisse des Kapitalismus, die dafür sorgen, dass ein Lebensunterhalt erworben werden muss, und zum anderen das Patriachat, welches überhaupt erst für die gesellschaftliche Nachfrage nach Prostitution sorgt, verankern. Schon Friedrich Engels bezog die Prostitution in seine Betrachtungen der Entwicklung des Patriachats mit ein. Hier wird klar, dass dieses genau wie die bürgerliche Familie untrennbar mit dem Kapitalismus verwoben ist und sich über alle Klassengesellschaften hin zur heutigen Form entwickelt hat. Laut Engels bilden bürgerliche Familie und Prostitution zwei Seiten der gleichen Medaille, da es bei Ersterer v. a. um unbezahlte Reproduktionsarbeit bzw. Vererbung der Produktionsmittel, bei Zweiterer um sexuelle Befriedigung der Freier geht. Diese Teilung zwischen klassengesellschaftlichem Nutzen und sexueller Befriedigung existierte schon in vorkapitalistischen Klassengesellschaften. Bspw. im antiken Griechenland wurde es besonders deutlich mit der Dreiteilung zwischen Ehefrau, welche für Geburten und Familie zuständig war und das Haus quasi nicht verlassen durfte, der Hetäre für die sexuelle Befriedigung und der Geliebten, die die Romantik ins Spiel brachte.

Diese Teilung sehen wir auch im Kapitalismus, jedoch ist es eben nur noch eine zweifache. Die weiterhin auferlegte Monogamie, insbesondere für die Frau, trägt also auch ihren Teil dazu bei, dass gesellschaftliche Nachfrage nach Prostitution besteht. Das manifestiert sich auch in der widersprüchlichen bürgerlichen Sexualmoral und dem Madonna-Whore-Komplex, in welchem eine reine Ehefrau für das öffentliche Ansehen  einer perversen und zügellosen Prostituierten für das Ausleben der gesellschaftlich geächteten Fantasie gegenüberstehen. Solange also Kapitalismus und Patriachat bestehen bleiben, wird es auch eine Nachfrage nach Sexkauf geben.

2. Das Sexkaufverbot ist nicht hilfreich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel

Eigentlich soll das Sexkaufverbot gegen Zwang, Gewalt und Menschenhandel vorgehen, aber wie die Beispiele Irland und Island zeigen, könnte eher das Gegenteil der Fall sein. Irland war vor der Einführung des Sexkaufverbots auf der bestmöglichen Stufe hinsichtlich Bekämpfung gegen Menschenhandel nach Einordnung des US-Außenministeriums, fiel aber um zwei Stufen zurück ebenso wie Island nach der Einführung des Sexkaufverbots (United States Department of State 2017 und United States Department of State 2020). Eigentlich liegt es auf der Hand: durch die Kriminalisierung wird Sexarbeit in den Untergrund gedrängt, wo zwielichtige Gestalten das Sagen haben und Zwangsverhältnisse an der Tagesordnung sind, was ebenso Menschenhandel fördern dürfte.

Wenn wir uns die Praxis anschauen, ist noch deutlicher, wie wenig hilfreich das „nordische Modell“ beim Kampf gegen Menschenhandel ist. Natürlich sind so die Hürden für Sexkäufer größer, Missstände zu melden, da sie eine Bestrafung fürchten (Global Network of Sex Work Projects 2015), wohingegen in einem entkriminalisierten oder legalisierten Rahmen wie in Italien auch Freier vermutete Zwangsprostitution melden (Krause-Schöne 2014). Interessanterweise wird in Italien auch aus allen politischen Richtungen gefordert, das Verbot von Bordellen wieder aufzuheben, um gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution besser vorgehen zu können (Migge 2018).

Auch die Polizei selber sagt, dass ihre Ressourcen so unnötig gebunden werden, denn wenn es keinen Fokus auf Zwangsprostituierte gibt, werden alle überprüft und es ist eben nicht so leicht nachzuvollziehen, wer das auf Basis von Konsens tut und wer nicht (Krause-Schöne 2014).

An dieser Stelle wollen wir uns natürlich nicht auf die Argumentation der Polizei verlassen genauso wenig, wie wir uns im Kampf gegen sexuelle Gewalt auf sie verlassen können. Denn die Zahlen sprechen Bände: Selbst in den für viele alltäglichen sexistischen gesellschaftlichen Verhältnissen führen Anzeigen sexueller und im allgemeinen patriarchaler Gewalt nicht zu sonderlich hohen Verurteilungen, im Gegenteil: Die Verturteilungsraten in Deutschland sinken sogar (Schwarz 2020). Das mag an der Definition davon liegen, wo diese Strafttatbestände beginnen, aber es liegt ebenso an den Beamt:innen, die die Ermittlungen schleifen lassen oder Betroffene retraumatisieren. Weswegen also sollten wir uns nun drauf verlassen, dass die Polizei auf einmal ihre vermeintliche Rolle als Freund und Helfer ernst nehmen sollte?! Aus unserer Sicht besteht ihre Rolle in bürgerlichen Demokratien darin, die herrschenden Verhältnisse zu schützen. Dazu zählen die kapitalistischen Besitzverhältnisse genauso wie das Patriachat und die Ausbeutung von Arbeiter:innen. Es gibt also keinen Grund zur Annahme, dass sie in dieser Hinsicht einmal auf der richtigen Seite stehen könnte.

3. Das Sexkaufverbot schützt Sexarbeiter:innen nicht gegen Gewalt durch Polizei und Freier und verschlechtert die Arbeitsbedingungen

Polizeigewalt gegen Prostituierte ist somit auch in Ländern, wo Sexkauf verboten ist, keine Seltenheit. Vorkommen können bspw. sexualisierte oder physische Gewalt, willkürliche Arreste, Bestechung, Abnahme von Kondomen, keine Hilfe bei Anzeigenaufnahme, nicht konsensuelle HIV-Tests (Platt et al. 2018). Das führt dazu, dass die Arbeitsumgebung der Sexarbeitenden massiv unsicher wird und sie isoliert werden, weil gemeinschaftliche Unterstützung und Sicherheitsmaßnahmen durch andere Sexarbeitende (das gemeinsame Anmieten einer Wohnung zum Beispiel) oder sogar romantische Beziehungen als Zuhälterei gewertet werden könnten. Des Weiteren gaben 70 % der befragten Sexarbeiter:innen in einer Studie in Frankreich, wo auch ein Sexkaufverbot gilt, an, dass sich ihr Verhältnis zur Polizei entweder verschlechtert habe oder es keine Verbesserung zu vorher gab (Le Bail et al. 2019). Ebenso können 38 % der Sexarbeitenden die Verwendung von Kondomen schlechter durchsetzen (ebenda), was zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, sich HIV oder andere sexuell übertragbare Krankheiten einzufangen, führen kann (Platt et al. 2018).

Des Weiteren wird das Screening der potentiellen Sexkäufer durch das „nordische Modell“ massiv erschwert (Global Networkt of Sex Work Projects 2015), was dazu führt, dass zwielichtige Kunden nicht einfach so aussortiert werden können. Gleichfalls sanken die Preise und Sexarbeitende sehen sich gezwungen, Kunden zu bedienen, die sie unangenehm finden, und Praktiken außerhalb ihrer Grenzen durchzuführen aufgrund der erhöhten Konkurrenzsituation (ebenda). Wir können also sehen: Selbst wenn offiziell die Sexarbeitenden nicht Opfer des „nordischen Modells“ sein sollen, so sind sie es doch am Ende, auf deren Rücken bürgerliche Moralvorstellungen verhandelt werden und deren Leben zusätzlich erschwert wird. Deswegen setzen wir uns für eine gewerkschaftliche Organisierung der Sexarbeiter:innen ein, wie es auch mancherorts in der Gewerkschaft ver.di der Fall ist. So kann ein selbstbestimmter Kampf für bessere Arbeitsbedingungen (gegen Lohndumping durch festgeschriebene, angemessene Entlohnung der Arbeit, bestimmt durch die Arbeiter:innen selbst) inklusive Schutzmaßnahmen (bspw. in Form von Selbstverteidigungskomitees) geführt werden.

4. Die Ausstiegsangebote richten sich nicht nach den realen Bedürfnissen der Sexarbeiter:innen

Eine Sache, die immer wieder von Befürworter:innen betont wird, ist, wie toll doch die Ausstiegsangebote als eine der Säulen des „nordischen Modells“ sind. Doch schaut man sich diese genauer an, wird man schnell feststellen, dass diese alles andere als wirksam sind. So sind Zugänge zu den Angeboten in Schweden einerseits dadurch erschwert, dass an ihnen nur teilnehmen kann, wer sofort mit der Prostitution aufhört. Das ist offensichtlich unrealistisch, weil es für viele aus finanziellen Gründen nicht unmittelbar möglich ist. Außerdem gilt die Möglichkeit in Schweden lediglich nur für Staatsbürger:innen, wohingegen Personen mit Migrationshintergrund statt Hilfsangeboten eben mal die Abschiebung droht (Vuolajärvi 2019). Das führt sogar zu einer Praxis, in welcher Polizeibeamt:innen mit Absicht nach nicht-schwedischen Personen suchen, um diese leichter abschieben zu können (ebenda). Das „nordische Modell“ wird an dieser Stelle also völlig zweckentfremdet und offenbart auch hier wieder die eigentlichen Interessen von Polizei und herrschender Klasse. Auch in Frankreich sind die Ausstiegsangebote alles andere als beliebt: Teilweise nahmen weniger als 100 Personen an den Programmen teil (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen 2021).

5. Das Sexkaufverbot verschiebt das Problem

Wie bereits dargestellt, verschiebt das Sexkaufverbot die Tätigkeit in die Illegalität und liefert somit die Sexarbeitenden dubiosen Freiern und Zuhältern schutzlos aus und erschwert den Zusammenschluss von Sexarbeitenden, um kollektiv für ihre Rechte einzutreten, massiv. Aber das Problem wird nicht nur innerhalb der Länder verschoben, sondern das „nordische Modell“ fördert auch Sextourismus in zumeist halbkoloniale Länder, wo die Arbeitsbedingungen viel eher sklavenartig sind und es fast ausschließlich Zwangsprostitution gibt. Denn die Freier verlieren nicht auf einmal ihre Nachfrage nach gekauftem Sex, nur weil er auf einmal verboten ist, und fahren lieber in den Urlaub, um dort ihren Bedürfnissen nachzugehen.

Das „nordische Modell“ ist letztlich ein Weg in die Sackgasse, weil es die Verhältnisse, die es zu bekämpfen vorgibt, nur illegalisiert und verlagert. Es stellt ironischer Weise an ein patriarchales System die Aufgabe, eine Tätigkeit abzuschaffen, von welcher es insbesondere auch profitiert. Außerdem ist es realitätsfern zu glauben, dass der bürgerliche Staat wirklich das Interesse verfolgt, Sexarbeit abzuschaffen, ohne Sexarbeitende zu kriminalisieren, und es überhaupt möglich ist, diese Arbeit, genauso wie ganz grundsätzlich die Lohnarbeit, innerhalb des Kapitalismus abzuschaffen.

Fazit: Vier Ansatzpunkte

Was aber ist nun die Lösung? Grundsätzlich müssen wir als Marxist:innen an vier Punkten ansetzen. Erstens müssen wir Seite an Seite mit Sexarbeiter:innen für die komplette Entkriminalisierung und gegen jegliche Repression von staatlicher Seite kämpfen sowie für bessere Arbeitsbedingungen und Selbstorganisierung (natürlich auch in Form von Selbstverteidigungsstrukturen) eintreten, denn nur wenn die Sexarbeit ohne Zuhälterei und Kriminalisierung organisiert ist, kann überhaupt erst eine Kontrolle über die Verkaufs- und Arbeitsbedingungen durch die Sexarbeiter:innen selbst durchgesetzt werden. Das inkludiert natürlich nicht nur die Selbstorganisierung am Arbeitsplatz, sondern schließt auch eine gewerkschaftliche Organisierung mit ein (wie es sie zeitweise bei ver.di in Hamburg gab), um größeren Druck im Kampf gegen Diskriminierung und für Arbeiter:innenrechte auszuüben, der Vereinzelung der Sexarbeitenden und der Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch notwendig, den Personen, welche unter dem ökonomischen Zwang und den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen leiden, eine Möglichkeit zu bieten, ohne größere Probleme auszusteigen. Dahingehend müssen wir uns für kostenfreie und seriöse Beratungsstellen und bezahlte Umschulungen, Aus- und Weiterbildungen für berufliche Alternativen einsetzen. Nur wenn der ökonomische Zwang und die Illegalisierung entfallen, können Ausstieg und Umschulung eine attraktive reale Option werden. Ansonsten bleiben sie eine schöne, aber letztlich leere Versprechung.

Egal, wofür sich die individuelle Person entscheidet, es gilt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und sie sollte in ihrer Entscheidung unterstützt werden, natürlich ohne einerseits die Sexarbeit zu stigmatisieren oder andererseits sie zu romantisieren.

Um Zwangsprostitution insbesondere in Kombination mit Menschenhandel entgegenzuwirken, müssen wir uns neben ihrem Verbot auch für offenen Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle einsetzen, denn nur so kann den Versprechungen eines besseren Lebens in einem fremden Land unter Kontrolle von Mafiastrukturen entgegengewirkt werden.

Langfristig muss das Ziel von Marxist:innen darin bestehen, die materielle gesellschaftliche Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigen, sexuellen Dienstleistungen aufgrund von Gewalt oder Not nachzugehen. Es wäre allerdings verkürzt und nicht hilfreich, ein Verbot zu fordern, da sich Prostitution, wie bereits beschrieben, nicht einfach abschaffen lässt, zumal nicht innerhalb einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, die diese erst hervorgebracht hat. Dementsprechend ist es natürlich auch nötig, eine Massenbewegung aufzubauen, in welcher Sexarbeiter:innen Seite an Seite mit allen Unterdrückten gemeinsam für das Ende von Kapitalismus und Patriarchat kämpfen können, ohne stigmatisiert zu werden.

Literaturverzeichnis

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. (2021): Stellungnahme zum Antrag „Nein! Zum Sexkaufverbot des Nordischen Modells“ der Fraktionen der CDU und FDP in NRW. https://berufsverbandsexarbeit.de/wp-content/uploads/2021/01/210114_Stellungnahme-desBesD-zu-No-Nordic-Model-NRW.pdf; https://doi.org/10.1007/s13178-018-0338-9 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Ellison, G., Ní Dhónaill, C., & Early, E. (2019): A Review of the Criminalisation of the Payment for Sexual Services in Northern Ireland; http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3456633 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Farley, M. (2004): Prostitution and trafficking in nine countries: Update on violence and posttraumatic stress disorder; Journal of Trauma Practice, 2(3-4), 33-74

Global Network of Sex Work Projects (2015): The Real Impact of the Swedish Model on Sex Workers; https://www.nswp.org/sites/nswp.org/files/Swedish%20Model%20Advocacy%20Toolkit%20Community%20Guide%2C%20NSWP%20-%20November%202015.pdf (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Krause-Schön, E. (2014): Das sind häufig sehr junge Mädchen; TAZ, 17.6.2014, S. 5; https://taz.de/Das-sind-haeufig-sehr-junge-Maedchen/!338223/? (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Le Bail, H., Giametta, C., & Rassouw, N. (2019): What do sex workers think about the French Prostitution Act? A Study on the Impact of the Law from 13 April 2016 Against the „Prostitution System“ in France [Research Report]; Médecins du Monde, pp. 96;  http://hal.archives-ouvertes.fr/hal-02115877f (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Migge, T. (2018): Prostitution in Italien: Katholiken für Bordelle; Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/prostitution-in-italien-katholiken-fuer-bordelle-100.html#:~:text=Seit%2060%20Jahren%20gibt%20es,ausgenutzt%20werden%2C%20etwa%20durch%20Zuh%C3%A4lter. (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Platt, L., Grenfell, P., Meiksin, R., Elmes, J., Sherman, S. G., Sanders, T., Mwangi, P., Crago, A. L. (2018): Associations between sex work laws and sex workers’ health: A systematic review and meta-analysis of quantitative and qualitative studies; PLOS Medicine, 15(12), e1002680; https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1002680 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Schwarz, C. (2020): Sexualisierte Gewalt in Deutschland: Kaum Verurteilungen von Tätern; TAZ;  https://taz.de/Sexualisierte-Gewalt-in-Deutschland/!5727344/ (zuletzt aufgerufen 31.5.23)

United States Department of State. (2017): Trafficking in Persons Report; https://www.state.gov/reports/2017-trafficking-in-persons-report/ (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

United States Department of State. (2020): Trafficking in Persons Report;  https://www.state.gov/reports/2020-trafficking-in-persons-report/ (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Vuolajärvi, N. (2019): Governing in the Name of Caring—the Nordic Model of Prostitution and its Punitive Consequences for Migrants Who Sell Sex; Sexuality Research & Social Policy Journal of NSRC, 16(2), 151-165; https://doi.org/10.1007/s13178-018-0338-9 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)




OnlyFans – Sexarbeit ohne Zwänge?

Meret Martowa, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 11, März 2023

Ein paar Bilder hochladen und schnell reich werden? So stellen sich viele die Arbeit von Sexarbeiter:innen auf OnlyFans vor. Doch ist es wirklich so einfach? Und bringt OnlyFans eine Demokratisierung der Pornobranche mit sich? Das wollen wir im Folgenden klären.

Was ist OnlyFans?

OnlyFans existiert seit 2016 und ist eine Internetseite, auf der vor allem erotische und pornografische Bilder und Videos von einzelnen Creator:innen hochgeladen werden. Theoretisch kann aber auch jeder Inhalt draufgestellt werden. Der starke Fokus auf sexualisierte Inhalte kam durch den Einstieg vom Haupteigentümer der Website MyFreeCams.com, Leonid Radvinsky, der 2018 rund 75 % von OnlyFans aufkaufte und damit die Ausrichtung der Seite nachhaltig veränderte. Die Inhalte werden zum Beispiel auf der Instagramseite der darstellenden Personen beworben und dann kostenpflichtig in Form eines Monatsabos, auf „Pay per view“-Basis oder in privaten Chats auf OnlyFans bereitgestellt. Dabei tummeln sich auf der Plattform neben Stars der Pornobranche auch Influencer:innen und viele, die es  werden wollen. Sie stellt quasi einen niedrigschwelligen Eintritt in die Sexarbeit dar. Während der Coronapandemie erlebte OnlyFans einen enormen Zuwachs, den sie trotz aufkommender und bestehender Konkurrenz wie BestFans, Patreon oder auch Pornhub noch ausbauen konnte.

Wachstumsspritze Pandemie

Waren es vor dem weltweiten Beginn der Coronapandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen und anderen sozialen Einschränkungen im März 2020 noch etwa 62 Millionen Besuche auf der Website, verdoppelte sich die Zahl im April 2020 bereits auf ca. 117 Millionen Besucher:innen. Die Konsument:innen sind dabei überwiegend Männer (Schätzung similarweb.com: 79,77 % männlich) aus den „westlichen“ imperialistischen Zentren im Alter von 18 bis 34 Jahren. Inzwischen halten sich die Besucher:innenzahlen recht konstant bei über 300 Millionen pro Monat (similarweb.com: Jan 2023, 346 Millionen Visits) und damit ist OnlyFans unter den Top 50 der meist besuchtesten Websites der Welt. So ist auch möglich, dass der Eigentümer von OnlyFans monatlich eine Dividende (= Gewinnbeteiligung der Aktionär:innen) von 45 Millionen US-Dollar auszahlen lassen soll. Doch wie kann ein Typ so viel Geld auszahlen?

Das geht hier durch die Ausbeutung von rund 1,5 Millionen Creator:innen der Plattform. Denn das Geld, welches die Konsument:innen bezahlen, geht dabei nicht allein an diese. 20 % der Einnahmen beansprucht OnlyFans für sich. Bisher gibt es keine einsehbaren Statistiken über die Demographie der Creator:innen. Sie können individuelle Sexarbeiter:innen sein, die quasi selbstständig sind und sich selbst um Vermarktung, Produktion, Auswahl der Konsument:innen und anderes  kümmern. Es kann sich aber auch um Agenturen und Pornohersteller:innen handeln, bei denen es u. a. auch durch Zwangsprostitution zur Erstellung der pornographischen Inhalte kommt.

Konkurrenz zum traditionellen Angebot?

Es zeichnet sich aber nicht ab, dass OnlyFans anderen Pornoseiten wie Pornhub den Rang abläuft. XVideos und Pornhub liegen mit ihren kostenfreien pornographischen Inhalten weit vorne in der Kategorie der „Erwachsenen“-Websites und kommen von aller besuchten Seiten sogar unter die ersten 15 im Ranking. So hatte etwa XVideos weltweit ca. 3 Milliarden Besucher:innen allein im Januar 2023! Was man schon mal festhalten kann, OnlyFans ist dennoch enorm etabliert und erwirtschaftet viel Kohle auf Kosten von oft jungen Sexarbeiter:innen, egal ob durch eigene Entscheidung, ökonomischen Zwang oder sogar Zwangsprostitution.  Das führt uns zur Frage: Hilft OnlyFans, den Pornographiemarkt zu demokratisieren?

Bessere Bedingungen?

OnlyFans hat seine Beliebtheit bei eigenständigen Sexarbeiter:innen dadurch erlangt, dass es zum einen überhaupt möglich gewesen ist, pornografische Inhalte hochzuladen, und zum anderen die zu zahlende Provision relativ gering ist. Ebenso bietet die „eigene Vermarktung“ die Möglichkeit, klarer eigene Vorlieben und Interessen in den Vordergrund zu stellen. Das ist auch einer der Gründe, warum OF teilweise einen feministischen Anstrich hat. Dabei muss klar gesagt werden: Creator:innen, die bereits berühmt sind oder zumindest über eine andere Plattform wie Instagram eine gewisse Anzahl von Follower:innen besitzen, haben es wesentlich leichter. Denn das eine ist es, die Inhalte für OnlyFans zu generieren. Das andere ist es, Nutzer:innen zu finden, die beständig zahlen. Es ist also entgegen der Vorstellung vieler nicht einfach, schnell „ein paar Bilder hochladen“, sondern bedeutet auch, regelmäßig auf anderen Kanälen aktiv zu sein und sich eine Community aufzubauen. In dem Sinne es nicht groß anders als andere Influencertätigkeiten.

Gleichzeitig sind die Chancen für Erfolg – oder ein stetiges Nebeneinkommen –  davon abhängig, wie man sich vermarktet – und damit eben auch abhängig vom existierenden gesellschaftlichen Bewusstsein. Klar, kann sich jede/r so geben, wie er/sie will und Sexarbeiter:innen, die bestimmte Nischen abdecken, haben es leichter, sich zu vermarkten und Abnehmer:innen zu finden, vor allem, da man sich weltweit vermarkten kann. Leichter werden es dennoch jene haben, die in das vorherrschende, weiße Schönheitsideal passen und OnlyFans wird dies nicht ändern.

Die Darsteller:innen, die nicht anderweitig angestellt sind, werden letzten Endes zu Scheinselbstständigen – und abhängig von der Plattform selbst. Diese ist jedoch gar nicht so frei, wie sie sich gerne gibt. So gab es im August 2022 kurzzeitig die Meldung, dass die Plattform alle pornographischen Inhalte bannen wollen würde, da Mastercard & Co die weitere Zusammenarbeit aufkündigen wollten. Darüber hinaus gibt es eine Liste mit ca. 150 Wörtern, die weder in Beschreibungstexten noch privaten Nachrichten benutzt werden dürfen. Eingeführt wurde diese Maßnahme, um sicherzustellen, dass die Richtlinien der Seite eingehalten werden und bspw. Kinderpornographie verhindert wird. Deswegen sind Wörter wie Kind, minderjährig oder „meet“ (eng. „sich treffen) nicht verfügbar. Aber eben auch „AdmireMe“, eine alternative Bezahlseite für sexuelle Dienstleistungen, oder Worte wie „menstruieren“ oder „Cervix“. Sieht man sich die ganze Liste an, so erscheint es als plumper Versuch, mittels künstlicher Intelligenz Grenzüberschreitungen zu verhindern. Diese kann einfach umgangen werden durch Synonyme oder alternative Schreibweisen, während es gleichzeitig eine Einschränkung gibt, wie über Sexualität geredet wird.

Zusammengefasst heißt das: Ja, insbesondere für bessergestellte Schichten von Sexarbeiter:innen stellt OnlyFans eine Verbesserung dar und hat es geschafft, während der Pandemie ein Angebot zu schaffen, der Arbeit trotzdem nachzugehen. Man sollte die Plattform jedoch nicht zur Selbstbefreiungsmöglichkeit erklären. Denn letzten Endes ist sie eine sehr stark individualisierte Lösung, die die prekären Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter:innen weiter manifestiert. Denn was passiert im Krankheitsfall oder bei Übergriffen? Wer kontrolliert das, was gezeigt und gesagt wird?

Was braucht es also?

Statt dass Eigentümer und Aktionär:innen von OnlyFans massiv Kohle  auf dem Rücken der Creator:innen scheffeln, braucht es die Enteignung von OnlyFans unter Kontrolle der Beschäftigten. Um dies umzusetzen – nicht nur für OnlyFans, sondern auch für die gesamte Erotikbranche – braucht es eine Gewerkschaft, die deren Interessen in der Branche vertritt sowie eine politische Vertretung darüber hinaus. So können die Probleme in der Branche effektiv angegangen werden:

1. Die effektivsten Maßnahmen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel sind nicht etwa das Verbot von Sexarbeit, Prostitution oder Pornographie. Es sind offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, sowie ein Mindesteinkommen gekoppelt an die Inflation.

2. Gegen Übergriffe seitens sexistischer Freier (die auch im digitalen Raum stattfinden können) oder den Druck von Zuhältern braucht es Meldestellen unabhängig von der Polizei sowie demokratisch organisierte Selbstverteidigungsstrukturen von Sexarbeiter:innen und der Arbeiter:innenbewegung.

3. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Berufsfreiheit statt Opferrolle! Statt Stigmatisierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung seitens des Staates werden flächendeckende, kostenlose und anonyme gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen sowie kostenlose psychologische Angebote benötigt!

4. Statt Flatratebordellen und Preisdumping bedarf es der Kontrolle der Beschäftigten selber:  Mindestlohn ist das Minimum. Darüber hinaus sollte es Preiskontrollkomitees durch die Beschäftigten geben. Ebenso bedarf es Komitees, bei denen Unterdrückte durch Rassismus, Sexismus oder LGBTIA+-Diskriminierung miteinbezogen werden, um einen Umgang mit diskriminierenden Darstellungen zu finden!

Doch wie gehen wir als MarxistInnen mit Sexarbeit generell um?

Einige Teile des liberalen Feminismus werfen die These in den Raum, dass Sexarbeit grundsätzlich „empowernd“, selbstermächtigend sei, während Teile des Radikalfeminismus die Ansicht vertreten, dass jede Sexarbeit Zwangsprostitution wäre, das Patriarchat direkt unterstützen würde und somit zu unterbinden sei. Beide Annahmen ignorieren die Realität von Sexarbeitenden. Denn natürlich ist sie nicht grundsätzlich empowernd, nur weil sich die Person freiwillig dazu entscheidet und der ökonomische Zwang ignoriert wird. Grundsätzlich sind im Kapitalismus überhaupt keine Lohnarbeit und Form der Ausbeutung selbstermächtigend. Auf der anderen Seite ist auch nicht jede Form der Sexarbeit Zwangsprostitution, nur weil ökonomischer Druck herrscht, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Denn das trifft im Kapitalismus auf alle zu, die der Arbeiter:innenklasse angehören, und ist etwas, das sie auszeichnet. Das nennt man auch den „doppelt freien Charakter der Ware Arbeitskraft“. Man ist frei, seine Arbeitskraft zu verkaufen – oder eben auch frei zu verhungern.

Als Marxist:innen muss uns bewusst sein, dass es unterschiedliche Formen der Tätigkeiten innerhalb der Branche gibt, die – wie sonst in der Gesellschaft auch – von Klassen geprägt sind. Dabei muss klar gesagt werden, dass nur kleiner Teil der in dem Bereich Arbeitenden sich die Beschäftigung ausgesucht hat. Meist haben sie auch andere Berufsabschlüsse, theoretisch die Möglichkeit, Freier abzulehnen, und einen kleinbürgerlichen Hintergrund.

Weltweit gesehen kommt der Großteil hingegen durch Zwangsverhältnisse in die Branche. Doch wie bereits oben aufgeführt, wird sich ihre Stellung nicht dadurch ändern, indem man Verbote ausspricht.  Es ist notwendig, den Personen, welche unter dem ökonomischen Zwang und den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen leiden, eine Möglichkeit zu bieten, ohne größere Probleme auszusteigen. Dahingehend müssen wir uns für kostenfreie und seriöse Beratungsstellen und bezahlte Umschulungen, für Aus- und Weiterbildungen sowie für berufliche Alternativen einsetzen. Nur wenn der ökonomische Zwang und die Illegalisierung entfallen, können Ausstieg und Umschulung eine attraktive reale Option werden. Ansonsten bleiben sie eine schöne, aber letztlich leere Versprechung.

Langfristig muss das Ziel von Marxist:innen darin bestehen, die materielle gesellschaftliche Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigen, sexuellen Dienstleistungen aufgrund von Gewalt oder Not nachzugehen. Da Prostitution und Sexarbeit Ergebnis der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft sind, lassen sie sich auch nicht so ohne weiteres abschaffen. Der Kampf gegen Zwangsprostitution muss deswegen über die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gehen.  Dementsprechend ist es natürlich auch nötig, eine Massenbewegung aufzubauen, in welcher Sexarbeiter:innen Seite an Seite mit allen Unterdrückten gemeinsam für das Ende von Kapitalismus und Patriarchat kämpfen können, ohne stigmatisiert zu werden.




Sexarbeit und Prostitution im Kapitalismus

Leonie Schmidt, Neue Internationale 257, Juli/August 2021

Aktuell ist es wieder eine heiße Debatte in linken und auch explizit in marxistischen Kreisen: Sollte man als Linke/r, insbesondere als KommunistIn, für ein Verbot von Prostitution kämpfen? Schnell wird mit Vorwürfen des Liberalfeminismus oder der SexarbeiterInnenfeindlichkeit argumentiert. Aber wie sieht eine marxistische Betrachtung der Thematik aus?

In diesem Artikel werden Wörter in der folgenden Bedeutung verwendet: 1. Sexarbeit: Damit sind alle konsensuellen sexuellen Dienstleistungen gemeint. Das bedeutet natürlich zum einen Sex, aber auch bspw. Erstellung von pornographischen Inhalten oder Cam- und Chat-Tätigkeiten; 2. Prostitution: Hierbei handelt es sich um den konsensuellen Kauf von Sex; und 3. Zwangsprostitution: Es geht dabei um den zwanghaften Verkauf von Sex, der in den meisten Fällen nicht konsensuell ist, also eine Vergewaltigung darstellt. Diese Definitionen zeichnen natürlich nur einen groben Unterschied und es ist nicht in jedem Fall einfach, eine klare Trennung zu ziehen.

Situation in Deutschland

Fakt ist, es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Personen, insbesondere Frauen, sich in Deutschland prostituieren und Sexarbeit ausüben und wie viele es davon nicht freiwillig machen. Es gibt zwar Studien, in welchen aufgeführt wird, dass 90 % oder mehr der Prostituierten in Deutschland aussteigen wollen und ihre Arbeit nicht als freiwillig ansehen. Jedoch wurden diese vornehmlich bei Frauen unternommen, welche bereits in Aussteigerprogrammen standen.

Die Zahlen sind jedoch definitiv schwer zu erfassen, da es auch in Deutschland genügend Frauen in der illegalen Zwangsprostitution gibt. Außerdem ist es laut Prostituiertenschutzgesetz für SexarbeiterInnen nötig, sich beim Amt zu melden. Jedoch dürfte klar sein, dass die Dunkelziffer aufgrund von Zwangsprostitution enorm ist. Ende 2019 waren 40.400 Personen gemeldet. Manche Schätzungen gehen von 400.000 SexarbeiterInnen inkl. Zwangsprostituierten in Deutschland aus.

Viele der Letzteren kommen aus Osteuropa  in der Hoffnung, der Armut zu entfliehen und in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Oftmals sind sie direkt oder indirekt von Menschenhandel betroffen und können sich nur sehr schwer dagegen wehren aufgrund von Armut, keiner anderen Möglichkeit, an Geld zu kommen, sprachlicher Barrieren, oder weil ihnen von den Zuhältern und Menschenhändlern die Pässe abgenommen werden. Zusätzlich sind sie auch noch von Rassismus betroffen und aufgrund der Illegalität ihres Aufenthaltes von Abschiebungen und staatlicher Verfolgung bedroht.

Auch gibt es viele Armutsprostituierte, welche keine andere Möglichkeit in diesem System sehen zu überleben. Diese sind meistens auch obdachlos und drogenabhängig. Allerdings gibt es auch Prostituierte und SexarbeiterInnen, welche ihren Job gerne und freiwillig ausüben. Das soll aber keineswegs verschleiern, dass diese Tätigkeit mit enorm viel Gewalt bis hin zu sklavenartigen Verhältnissen und Unterdrückung verbunden ist und viele Traumata und posttraumatische Belastungsstörungen auslöst, allerdings nicht immer und bei jeder Person.

Rechtliche Lage

Die rechtliche Lage in Deutschland erlaubt Prostitution grundsätzlich. Allerdings müssen sich die Prostituierten, wie bereits oben erwähnt, beim Amt melden. Diese Regelung gilt seit 2017 und wurde von Betroffenen bereits damals kritisiert, da es sich um ein Zwangsouting für ein zentrales Register handelt, was insbesondere bei einem weiterhin stigmatisierten Beruf wie Prostitution problematisch ist. Außerdem war es ein erklärtes Ziel des Prostituiertenschutzgesetzes, Frauen vor Zwangsprostitution zu schützen. Doch bleibt es eine utopische Annahme, dass sich Menschenhändler und Zuhälter von so einem Gesetz etwas vorschreiben lassen, da sie es bereits gewohnt sind, die Frauen zu bedrohen und einzuschüchtern und Letztere somit gar nicht ohne Druck bspw. Anzeige erstatten könnten. Des Weiteren müssen sich insbesondere Prostituierte aus Osteuropa Sorgen machen, dass sie nach einem Verfahren abgeschoben werden könnten. Strukturelle Unterdrückung kann eben nicht einfach durch Gesetz abgeschafft werden.

Sexarbeit ist Arbeit – oder?

Ist sie Lohnarbeit oder eine andere Form der Ausbeutung? Das hängt natürlich vom Arbeitsverhältnis ab. Die meisten Personen in der Prostitution arbeiten für einen Zuhälter. Hier können wir grundsätzlich ökonomisch von einem Ausbeutungsverhältnis sprechen, jedoch in der Regel nicht von freier Lohnarbeit, weil sie oft genug auch mit einem direkten, persönlichen Zwangs- und Gewaltverhältnis verbunden ist. Der Zuhälter eignet sich allerdings einen Teil des Erlöses für die Dienstleistung der Prostituierten an, die der Kunde zahlt. Es findet eine Form der Ausbeutung statt.

Das Verhältnis, das der Lohnarbeit am nächsten kommt, ist, wenn die Prostituierte z. B. für ein Bordell arbeitet. Selbst wenn sie dort formal als Selbstständige registriert sein mag, so lässt sich dies mit der Scheinselbstständigkeit eigentlicher LohnarbeiterInnen in anderen Berufen vergleichen.

Die EigentümerInnen des Bordells kassieren praktisch einen Mehrwert aus der Beschäftigung der Prostituierten und deren sexuellen Dienstleistungen. Sie besitzen außerdem die Produktionsmittel, bspw. das Bordell als Ort der Tätigkeit, und auch das nötige Zubehör wie bspw. Kondome oder Gleitgel. Natürlich darf bei dieser Betrachtung nicht vernachlässigt werden, warum die meisten Prostituierten überhaupt beginnen, in diesem Gewerbe tätig zu werden: Es ist oftmals ökonomischer Zwang. Dieser herrscht natürlich auch bei anderen Arbeitsverhältnissen, allerdings nicht in solch einer Form in Kombination mit psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt.

Allerdings ist die Aussage, SexarbeiterInnen, insbesondere Prostituierte, würden ihren Körper verkaufen, falsch, denn er wird nicht zur Ware selbst und existiert hinterher immer noch. Richtig ist hingegen, dass es sich um eine Dienstleistung handelt und der Körper für eine bestimmte Zeit als Arbeitsmittel fungiert (als Mittel zur Befriedigung eines bestimmten sexuellen Bedürfnisses). Oftmals ist ein Argument dafür, dass der Körper doch verkauft werden würde, dass er für eine bestimmte Zeit für jegliche sexuelle Befriedigung gemietet wird. Jedoch trifft das nicht für alle Fälle und unvermeidlich zu. Es gibt Tarife für bestimmte Tätigkeiten oder Zeiten und auch Grenzen für das, was angeboten wird. Nicht zu bestreiten ist, dass es jedoch Freier gibt, die diese übertreten.

Es gibt aber auch SexarbeiterInnen, die quasi selbstständig sind. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht auch ökonomischen Zwängen oder anderen Unterdrückungsformen unterworfen sind. Einerseits gibt es die Prostituierten, welche direkt auf der Straße ohne Bordell und Zuhälter arbeiten. Oft sind gerade diese besonders gefährdet durch sexualisierte Gewalt, da sie ohne Schutz sind (wenngleich die Zuhälterei oftmals auch keinen sonderlich großen bietet und ihrerseits ein Gewaltverhältnis darstellt) und oftmals auch völlig unterbezahlt werden.

Andere selbstständige SexarbeiterInnen sind teilweise in der Lage, sich ihre KundInnen auszusuchen oder produzieren von Zuhause aus pornografische Inhalte. Diese kann man durchaus eher zum KleinbürgerInnentum zählen, denn sie arbeiten nicht für andere. Sie verkaufen nicht ihre Arbeitskraft, sondern ein Produkt. Allerdings ist zu beachten, wie das Material vertrieben wird, denn wenn es Websites wie OnlyFans (OF) hochladen, welche daraus Profit schlagen und einen Teil der Zahlungen einbehalten (bei OF sind es 20 %), so ist doch wieder ein Ausbeutungsverhältnis vorhanden, wobei auch hier die Frage bestehen bleibt, ob es sich um eine Haupttätigkeit handelt oder ob es weiteren Besitz an Produktionsmitteln etc. gibt.

Gerade bei OF sind nämlich auch viele Prominente tätig, die nicht auf die Zahlungen angewiesen sind. Grundsätzlich ist aber OF eine Plattform, wo untersucht werden muss, wie viel ökonomischer Zwang hinter Sexarbeit stecken kann. Da sie leicht zugänglich ist und es offizielle Statistiken gibt, kann erkannt werden, wie groß der Zuwachs an KreatorInnen und NutzerInnen während der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Krise (inkl. Jobverlusten und Arbeitslosigkeit) ausfiel: Alleine im März 2020 stiegen die Nutzerzahlen um 75 % an.

Historische Betrachtung

Schon Friedrich Engels bezog die Prostitution in seine Betrachtungen der Entwicklung der Frauenunterdrückung mit ein. Hier wird klar, dass diese, genau wie die bürgerliche Familie, untrennbar mit dem Kapitalismus verwoben ist und sich über alle Klassengesellschaften hin zur heutigen Form entwickelt hat. Laut Engels sind die bürgerliche Familie und die Prostitution zwei Seiten der gleichen Medaille, da es bei Ersterer v. a. um unbezahlte Reproduktionsarbeit bzw.  Vererbung der Produktionsmittel, bei Zweiterer um sexuelle Befriedigung der Freier geht.

Diese Teilung zwischen klassengesellschaftlichem Nutzen und sexueller Befriedigung existierte schon in vorkapitalistischen Klassengesellschaften. Bspw. im antiken Griechenland wurde es besonders deutlich mit der Dreiteilung zwischen Ehefrau, welche für Gebären  und Familie zuständig war und das Haus quasi nicht verlassen durfte, der Hetäre für die sexuelle Befriedigung und der Geliebten, die die Romantik ins Spiel brachte.

Diese Teilung sehen wir auch im Kapitalismus, jedoch ist es eben nur noch eine zweifache. Die weiterhin auferlegte Monogamie, insbesondere für die Frau, trägt also auch ihren Teil dazu bei, dass gesellschaftliche Nachfrage nach Prostitution besteht.

Natürlich ist es für MarxistInnen notwendig, gesellschaftliche Zusammenhänge zu kritisieren. Das sollte allerdings niemals auf Basis der Moral offiziöser, aber heuchlerischer bürgerlicher Prüderie geschehen, sondern vielmehr auf der einer dialektisch-materialistischen Kritik. Hier wäre anzumerken, dass es natürlich schon fatal ist, dass Sexualität zu einer Ware verkommt, nicht nur in Form von Sexarbeit, sondern auch Schönheitsindustrie und den damit verbundenen Instrumenten, Werbung sowie Dating Apps etc.

Dementsprechend können wir auf die Frage, ob es im Sozialismus Sexarbeit geben wird, antworten: Nicht so, wie sie heutzutage funktioniert. Genauso, wie es auch keine Lohnarbeit und kein Geld in dieser Form mehr geben wird. Allerdings kann es durchaus vorkommen, dass sexuelle Dienstleistungen, natürlich frei von ökonomischen und sonstigen Zwängen, angeboten werden könnten, je nachdem, ob sich dafür Menschen finden, die dies tun wollen. Die Frage der Notwendigkeit kann aus heutiger Sicht natürlich nicht komplett beantwortet werden. Fakt ist aber, dass diese durchaus mit dem endgültigen Absterben der bürgerlichen Familie und der Monogamie verschwinden könnte.

Feministisches „Empowerment“?

Einige Teile des liberalen Feminismus werfen die These in den Raum, dass Sexarbeit grundsätzlich  „empowernd“, selbstermächtigend sei, während Teile des Radikalfeminismus die Ansicht vertreten, dass jede Sexarbeit Zwangsprostitution wäre, das Patriarchat direkt unterstützen würde und somit zu unterbinden ist. Beide Annahmen ignorieren die Realität von Sexarbeitenden, denn natürlich ist Sexarbeit nicht grundsätzlich empowernd, nur weil sich die Person freiwillig dazu entscheidet und der ökonomische Zwang ignoriert wird. Grundsätzlich ist im Kapitalismus überhaupt keine Lohnarbeit und keine Form der Ausbeutung selbstermächtigend.

Allerdings können insbesondere eine Verbesserung des Arbeitsumfeldes und ein offener Umgang mit der Tätigkeit und der Kampf für die eigenen (Arbeits-)Rechte durchaus eine positive und fortschrittliche Wirkung zeitigen sowie grundsätzlich auch eine Möglichkeit bieten, offen mit seiner Sexualität und seinem Körper umzugehen (allerdings besteht diese Möglichkeit nur außerhalb von Armutsprostitution und ist eher selten anzutreffen). Insbesondere zu beachten ist hier auch, dass es viele Sexarbeitende gibt, die sich in keine Opferrolle drängen lassen, sondern selbstbestimmt für ihre Rechte, gegen Gewalt und gegen Stigmatisierung eintreten möchten.

Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine falsche These zu behaupten, alle, die sich bewusst für Sexarbeit entschieden, wären ganz einfach privilegiert und Sklavinnen des Patriarchats. Man kann sich natürlich auch bewusst für diese Form der Lohnarbeit entscheiden und trotzdem einen ökonomischen Zwang verspüren. Dem Kampf gegen das Patriarchat wäre auch nicht geholfen, wenn diese Einzelpersonen sich für einen anderen Job im Niedriglohnsektor entscheiden würden. Allerdings darf Sexarbeit natürlich auch nicht romantisiert und als der „Girlboss-Move“ schlechthin dargestellt werden, denn leider denken viele, insbesondere junge Frauen mit der ansteigenden Popularität von OF, dass dies schnelles und leicht verdientes Geld wäre. Diese Einstellung wird allerdings besonders durch RadikalfeministInnen den offen auftretenden SexarbeiterInnen in die Schuhe geschoben, was keineswegs auf alle zutrifft und nur einen sehr marginalen und vermutlich besser gestellten Teil der SexarbeiterInnengemeinde betrifft.

Verbot von Sexarbeit – die Lösung?

Viele Linke schlagen als Lösung ein Verbot vor, indem Zuhälterei und Freierschaft bestraft werden und nicht die Sexarbeitenden selber. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll klingen, allerdings hat das sogenannte „Nordische Modell“ viele Tücken, über die auch SexarbeiterInnen aufklären. Aktuell wird dieses Modell auch schon u. a. in Schweden praktiziert. Daher ist es möglich, die Folgen zu analysieren. Dadurch, dass nicht das Gesellschaftssystem, der Kapitalismus, welches Sexarbeit notwendig macht, abgeschafft werden soll, besteht die Nachfrage der Kundschaft natürlich weiterhin. Durch dieses Verbot wird die Sexarbeit aber in die Illegalität gedrängt, wodurch es vermehrt zu Übergriffen und schlechten Arbeitsbedingungen kommt, und die Möglichkeit, bspw. eine Anzeige aufgrund sexualisierter Gewalt zu erstatten, wird ebenfalls stark eingeschränkt.

Gleichzeitig wird mit einer Illegalisierung auch die Stigmatisierung der Sexarbeitenden befestigt und sie werden ihrer aktuellen ökonomischen Grundlage beraubt, ohne aktive Unterstützung und Berufsalternativen. Des Weiteren fördert es auch Sextourismus. Wenn es nicht möglich ist, in der Heimat an diese Dienstleistungen zu kommen, fliegt man eben für wenig Geld in den Urlaub und lässt sich da bedienen, wo die meisten Personen wirklich Zwangsprostituierte und die Arbeitsbedingungen viel schlimmer sind. Das Nordische Modell ist letztlich ein Weg in die Sackgasse, weil es die Verhältnisse, die es zu bekämpfen vorgibt, nur illegalisiert und verlagert. Es stellt ironischer Weise an ein patriarchales System die Aufgabe, eine Tätigkeit abzuschaffen, von welcher es insbesondere auch profitiert. Außerdem ist es realitätsfern zu glauben, dass der bürgerliche Staat wirklich das Interesse verfolgt, Sexarbeit abzuschaffen, ohne Sexarbeitende zu kriminalisieren, und es überhaupt möglich ist, diese Arbeit, genauso wie ganz grundsätzlich die Lohnarbeit, innerhalb des Kapitalismus abzuschaffen.

Vier Ansatzpunkte

Was aber ist nun die Lösung? Grundsätzlich müssen wir als MarxistInnen an vier Punkten ansetzen. Erstens müssen wir Seite an Seite mit SexarbeiterInnen für die komplette Entkriminalisierung und gegen jegliche Repression von staatlicher Seite kämpfen sowie für bessere Arbeitsbedingungen und Selbstorganisierung  (natürlich auch in Form von Selbstverteidigungsstrukturen) eintreten, denn nur wenn die Sexarbeit ohne Zuhälterei und Kriminalisierung organisiert ist, kann überhaupt erst eine Kontrolle über die Verkaufs- und Arbeitsbedingungen durch die SexarbeiterInnen selbst durchgesetzt werden. Das inkludiert natürlich nicht nur die Selbstorganisierung am Arbeitsplatz, sondern schließt auch eine gewerkschaftliche Organisierung mit ein (wie es sie zeitweise bei ver.di in Hamburg gab), um größeren Druck im Kampf gegen Diskriminierung und für ArbeiterInnenrechte auszuüben, der Vereinzelung der Sexarbeitenden und der Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch notwendig, den Personen, welche unter dem ökonomischen Zwang und den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen leiden, eine Möglichkeit zu bieten, ohne größere Probleme auszusteigen. Dahingehend müssen wir uns für kostenfreie und seriöse Beratungsstellen und bezahlte Umschulungen, Aus- und Weiterbildungen für berufliche Alternativen einsetzen. Nur wenn der ökonomische Zwang und die Illegalisierung entfallen, können Ausstieg und Umschulung eine attraktive reale Option werden. Ansonsten bleiben sie eine schöne, aber letztlich leere Versprechung.

Egal, wofür sich die individuelle Person entscheidet, es gilt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und die Person sollte in ihrer Entscheidung unterstützt werden, natürlich ohne einerseits die Sexarbeit zu stigmatisieren oder andererseits sie zu romantisieren.

Um Zwangsprostitution insbesondere in Kombination mit Menschenhandel entgegenzuwirken, müssen wir uns neben ihrem Verbot auch für offenen Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle einsetzen, denn nur so kann den Versprechungen eines besseren Lebens in einem fremden Land unter Kontrolle von Mafiastrukturen entgegengewirkt werden.

Langfristig muss das Ziel von MarxistInnen darin bestehen, die materielle gesellschaftliche Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigen, sexuellen Dienstleistungen aufgrund von Gewalt oder Not nachzugehen. Es wäre allerdings verkürzt und nicht hilfreich, ein Verbot zu fordern, da sich Prostitution, wie bereits beschrieben, nicht einfach abschaffen lässt, zumal nicht innerhalb einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, die diese erst hervorgebracht hat. Dementsprechend ist es natürlich auch nötig, eine Massenbewegung aufzubauen, in welcher SexarbeiterInnen Seite an Seite mit allen Unterdrückten gemeinsam für das Ende von Kapitalismus und Patriarchat kämpfen können, ohne stigmatisiert zu werden.




Prostitution: Kein Randphänomen

Maria Berghoff, Neue Internationale 138, April 2009

Allein in Deutschland sind nach Schätzungen rund 400.000 Menschen als Prostituierte tätig (einschließlich der „Gelegenheitsprostituierten“). Die überwiegende Mehrheit davon – rund 95 Prozent – sind Frauen.

Prostitution kann verschiedene Formen haben. Die nach wie vor häufigste Form ist die Zwangsprostitution. Sie trifft v.a. Migrantinnen. Rund die Hälfe aller Frauen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten bzw. dazu gezwungen sind, stammen lt. Prostituiertenvertretungen wie Hydra aus Osteuropa, Ostasien oder Schwarzafrika.

Die Prostituierten sind hier durch Zwang, Täuschung etc. und wurden unter Ausnutzung ihrer ökonomischen Zwangslage in ein imperialistisches Land „importiert“ und verrichten hier ihren Dienst am Freier unter Bedingungen der Illegalität oder Halblegalität, die von sklavenartigen Bedingungen bis zur „traditionellen“ Zuhälterei reichen.

Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Formen: von der „selbstständigen“ Tätigkeit, über der Lohnarbeit ähnliche Verhältnisse bis zur „Edelprostitutierten“.

So ist auch die Prostitution in sich noch einmal klassenmäßig differenziert – wie auch die (meist männlichen) Klienten.

Sklavenartige oder „illegale“ Formen der Prostitution sind global gesehen noch weit verbreiteter als in einem imperialistischen Land wie Deutschland.

Sex und Ökonomie

Ohne Zweifel sind die entscheidenden Gründe, die Frauen in die Prostitution treiben bzw. zwingen, ökonomischer Art und immer mit einem Gewalt- und Ausbeutungsverhältnis verbunden.

Prostitution ist eine regelrechte Industrie mit großen Gewinnen für kriminelle Organisationen – vom Schlepperring über maffiöse Strukturen bis zum Zuhälter. Wie jede Ware muss auch die Prostitution ein wirkliches oder imaginiertes Bedürfnis der Käufer bedienen. Schon Engels bemerkte, dass die Prostitution in der bürgerlichen Gesellschaft das notwendige und unvermeidliche Gegenstück zur Familie darstellt, dass die Unterdrückung der Frau im privaten Haushalt, dass die stigmatisierte Rolle der Hausfrau und Mutter ihre Ergänzung in der Hure findet.

Trotz gewisser Liberalisierungen und der weitgehend rechtlichen Gleichstellung der Frau gilt die monogame Beziehung nach wie vor als Norm für die Frau. Während beim Mann die „Untreue“ als Kavaliersdelikt, ja dieser gar als besonders „toller Hecht“ gilt, so wird die Frau schnell als „Schlampe“, „Luder“ oder „Hure“ stigmatisiert, wenn sie ihre sexuellen Bedürfnisse ausserhalb der Ehe befriedigt.

Die Prostituierte ist für den Mann eben eine bezahlte Form der „Geliebten“, die neben „seiner“ Frau ihm seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen soll.

Es ist daher also alles anders als zufällig, dass die Prostitution von Männern nach wie vor eine Randerscheinung ist und in einer Gesellschaft, deren integraler Bestandteil die Unterdrückung der Frau ist, auch bleiben muss.

Hinzu kommt, dass die bürgerliche Gesellschaft systematisch auch eine Unterdrückung und Deformierung der Sexualität selbst beinhaltet. „Freie“ Sexualität muss in einer Gesellschaft, die auf Unfreiheit und Unterdrückung basiert, letztlich eine Fiktion bleiben. Doch solange die Sexualunterdrückung der bürgerlichen Gesellschaft existiert, wird sie – ob wir das wollen oder nicht – damit einhergehen, dass sich v.a. Männer als Freier bei der Prostituierten die Erfüllung sexueller Wünsche erhoffen, die die Frau in der Partnerschaft oder als „Geliebte“ nicht zu geben scheint.

Nein zur Kriminalisierung!

Ein Verbot von Prostitution würde jedoch nur zur weiteren Kriminalisierung und Diskriminierung der Frauen in der Prostitution führen. Sie würde die Lage der verschleppten, illegalisierten, den schlimmsten, erniedrigensten und sklavenähnlichen Formen von Unterdrückung nur verallgemeinern, wie es schon jetzt in vielen Ländern der Fall ist. Sie würde diese Frauen noch stärker der Gewalt von Polizei, Staat und Zuhältern ausliefern und sie immer weiter in die Illegalität drücken.

Eine Illegalisierung der Freier – wie z.B. in Schweden von bürgerlichen und reformistischen Feministinnen gefordert – ist ebenso untauglich. Es führt nur dazu, dass die Freier sich andere,  illegale Formen wie den „Sextourismus“ suchen.

Auch wenn wir die Prostitution nicht als „Arbeit wie jede andere“ betrachten, müssen wir die Stigmatisierung dieser Tätigkeit – dass sie schmutzig, abartig usw. ist; dass sie das Letzte wäre, was sich Frau antun würde – bekämpfen. Viele Prostituierte leiden unter dieser Stigmatisierung: sie schämen sich. Diese Scham macht es auch sehr schwer, sich öffentlich zu bekennen, Rechte und Respekt einzufordern.

Wir müssen Forderungen aufstellen, dass diese Frauen in der Gesellschaft anerkannt und nicht als Menschen zweiter Klasse angesehen werden. Wir treten für die Entkriminalisierung der Prostitution und für die uneingeschränkte Anerkennung des Aufenthalts- und Arbeitsrechts sowie aller anderen demokratischen Rechte für „Illegale“ ein.

Wir kämpfen dafür, dass der Beruf anerkannt wird, verbunden mit der Gewährung aller sozialen Absicherungen – nicht nur im Bereich der „Edelhuren“ und „Escortservices“, sondern auch beim Straßenstrich und „normalen“ Bordellen. Diese Rechte würden Prostituierten helfen, ohne die Gewalt der Zuhälter zu arbeiten.

Prostituierte könnten sich vor Übergriffen gewaltsamer Freier oder Zuhälter schützen, indem sie Selbstverteidigungskurse besuchen und sich gegenseitig schützen. Es sollte Häuser für Sexualarbeit geben, in welche Kunden nur reinkommen, wenn sie sich ausweisen. Dies würde anonymer Gewalt vorbeugen. Bei Weigerung würde Hausverbot erteilt.

Wir müssen Prostituierte dazu ermutigen, sich gewerkschaftlich zu organisieren; wir müssen zugleich die Gewerkschaften dazu bringen, Prostituierte aufzunehmen.

Davon sind Gewerkschaften wie ver.di heute noch weit entfernt. Im Moment diskutiert ver.di das Pro und Contra der Aufnahme von Prostituierten.

Perspektive

All diese Forderungen sollen dazu dienen, Prostituierte aus ihrer Entrechtung und Abhängigkeit zu bringen. Viele davon sind auch von Vereinigungen von Prostituierten in den letzten Jahren selbst erhoben worden.

Aber es ist wichtig festzuhalten, dass das Ziel von KommunistInnen in der Abschaffung der Prostitution besteht, sprich des Zwangs, den eigenen Körper als sexuelle Dienstleistung zu verkaufen.

Anders als bürgerliche Heuchler oder auch Teile der feministischen Bewegung hängen wir nicht der Illusion nach, dass die Prostitution einfach „abgeschafft“ werden könne, wenn zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen weiter bestehen, die sie hervorgebracht haben und im Kapitalismus immer wieder hervorbringen werden. Von zentraler Bedeutung ist natürlich, dafür einzutreten, dass Prostituierte reale Möglichkeiten erhalten, aus der Prostitution auszusteigen, also in ein gesichertes, tariflich bezahltes Arbeitsverhältnis zu wechseln oder dazu umgeschult zu werden.

Der Kampf für die Abschaffung des ökonomischen und sozialen Zwangs, der Frauen in die Prostitution zwingt, und der von Mafia, Schleppern und Zuhältern gewaltsam verstärkt wird, kann als letztlich nur erfolgreich geführt werden als Kampf gegen die Entrechtung der Frauen, gegen Überausbeutung und patriarchale Familienstrukturen. Nur eine Programm, das die volle Integration der Frauen in die gesellschaftlich Produktion und die Überwindung des privaten Charakters der Hausarbeit ermöglicht, das also die Wurzeln der Frauenunterdrückung angreift – und damit auch den Kapitalismus -, kann zu einer Beendigung der Frauenunterdrückung allgemein und der Prostitution als einer besonderen, zugespitzten Form führen.