Pakistan – Frauen und Islam

Elise Hufnagel, Neue Internationale 215, Dez. 16/Jan. 17

In islamisch geprägten Ländern wie Pakistan stehen Frauen einer vielfachen Unterdrückung gegenüber, geprägt von religiösem Fundamentalismus, vor-islamischen Formen des Patriarchats, männlichem Chauvinismus, wirtschaftlichen Notlagen und perfiden Kriegstaktiken.

Die tief sitzenden Traditionen systematischer Frauenunterdrückung werden dabei durch andere Formen der Spaltung entlang nationaler Linien, religiöser Herkunft und auch durch das offiziell verbotene Kastenwesen verstärkt.

Nach der Gründung Pakistans wurde das Land zur „islamischen Republik“. Die gesellschaftlichen Strukturen der Frauenunterdrückung existierten schon während seiner gesamten Geschichte, unter der Diktatur Zia-ul-Haqs (1977-1988) verschärften sie sich jedoch dramatisch. Nach einem Putsch wurden die Linke, die ArbeiterInnenbewegung, zahlreiche Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen brutal unterdrückt. Für die Frauen bedeutete sein Regime eine Katastrophe. Die ausgeweiteten Befugnisse islamischer Rechtsinstitutionen verschlechterten die Stellung von Frauen.

Besonders krass trat das 1979 hinsichtlich der Stellung der Frau bei Vergewaltigungen zutage. Die Vergewaltigung in der Ehe gilt seither nicht mehr als Verbrechen. Bei Vergewaltigungen außerhalb der Ehe gilt die Aussage des Mannes mehr als jene der Frau. Will eine Frau einen Vergewaltigungsvorwurf beweisen, muss sie vier männliche Zeugen (!) aufbringen.

Diese Gesetze und andere Verschlechterungen wurden nach Zia unter den folgenden Regierungen – darunter auch jener der „linken“ Benazir Bhutto – trotz anderslautender Versprechen kaum angetastet.

Der Grund dafür ist einfach. In einem zunehmend instabilen, von sozialen und politischen Gegensätzen zerrissenen Land wollte sich keine Regierung mit den klerikalen, oft erzreaktionären „Würden“trägern anlegen, sondern vielmehr diese auf ihre Seite ziehen.

Die rechtliche Stellung der Frauen ist also extrem schlecht. Hinzu kommt, dass die ständigen Zugeständnisse an reaktionäre religiöse Kräfte auch dazu geführt haben, dass in manchen Provinzen und in ländlichen Gebieten formal illegale Praktiken (Kinderheirat unter 16, verschiedenen Formen arrangierter Ehen, …) bis heute weit verbreitet sind.

Verschiedene Klassenlagen

Die Lage der Frauen in Pakistan kann nicht als „homogen“ bezeichnet werden, sie ist von Spaltungen zwischen Klassen, Nationen und Kasten durchzogen. In der herrschenden Klasse gibt es in mancher Hinsicht eine relative Gleichberechtigung der Geschlechter. Diese Frauen können fast als einzige umfassende Bildung erlangen.

Am heftigsten wirkt sich die Stärkung islamischer und islamistischer Ideologie für viele Frauen des  Kleinbürgertums und der Mittelschichten aus. Diese können – anders als jene der ArbeiterInnenklasse und der armen und mittleren Bauernschaft – auch real aus der beruflichen Tätigkeit gezogen werden. Hier kann die „islamische Familie“ auch einigermaßen „verwirklicht“ werden.

Für die meisten Frauen der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft hingegen gibt es keinen Zugang zur schulischen Bildung. Insgesamt liegt die Analphabetenrate von Männern bei 30 Prozent, von Frauen bei 60 Prozent.

Unter den zirka 65 Millionen LohnarbeiterInnen sind rund 20 Prozent Frauen. Von diesen arbeiten die meisten unter „prekären“ Verhältnissen in der Form der „Kontraktarbeit“ (ohne minimalen Kündigungsschutz, Arbeitssicherheit, Krankengeld oder Rente). Ihr Lohn liegt weit unter dem offiziellen Mindestlohn (ca. 110 Euro/Monat), LandarbeiterInnen verdienen gerade knapp die Hälfte davon. Unter der Bauernschaft ist der Anteil der arbeitenden Frauen am höchsten mit rund 75 Prozent, wobei viele als „Mithelfende“ zählen. Zu diesen Zahlen kommen Millionen „Gelegenheitsarbeiterinnen“.

Trotz zunehmenden Zwangs zur Erwerbsarbeit ist es vor allem auf dem Land den Frauen oft nicht gestattet, allein das Haus zu verlassen. Das bedeutet für schulpflichtige Mädchen täglich Begleitung durch männliche Verwandte und meist das Aus für weiterführende Schulbildung, für die sie in die Stadt fahren müssten.

Für ArbeiterInnen ist das Verlassen des Hauses, um einer Lohnarbeit nachzugehen, vor allem bei Dunkelheit ein Spießrutenlauf zwischen Anfeindung und Übergriffen. Auch daher blüht der Sektor Heimarbeit, in dem hauptsächlich Frauen unter ausbeuterischen Bedingungen ihre Arbeitskraft verkaufen, meist die Produktionsmittel selbst stellen und Kredite zu horrenden Zinsen von ihren Mittelsmännern aufnehmen müssen.

Die Ehe ist für sie meist die einzige Sicherheit und zugleich auch ihr Gefängnis.

Häufig dürfen sie ihren Ehepartner nicht selbst wählen, Ehen werden arrangiert.

Diese dramatische Situation bedeutet jedoch nicht, dass Frauen in Pakistan oder anderen islamischen Ländern nur als Opfer betrachtet werden dürfen. In den letzten Jahren gab es auch eine Reihe beeindruckender Widerstandsaktionen, z. B. von Krankenschwestern und -pflegerinnen, oder Versuche von Beschäftigten in der Hausindustrie, eigene Gewerkschaften aufzubauen.

Diese sozialen Kämpfe sind ein wichtiger Ansatzpunkt für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung. Diese muss aber vor allem auch eine politische sein, sich gegen die gesellschaftliche Unterdrückung, reaktionäre islamistische, islamische sowie staatliche, wenden und für die vollständige rechtliche Gleichstellung der Frauen eintreten, um so das Kampfterrain für alle ArbeiterInnen und Unterdrückten zu verbessern.




USA – „Women’s March“ als Sammelpunkt für „Anti-Trump-Proteste“

Christian Gebhardt, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Der Präsident, der eigentlich nicht sein sollte – Donald Trump, der nicht nur mit sexistischen Äußerungen im Wahlkampf auf Stimmenfang ging, wurde am 20. Januar als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Während viele Menschen dachten, als Präsident werde er sich ändern müssen, machte er in seiner Antrittsrede klar, wohin der Weg gehen soll. Seine Versprechen sollen umgesetzt werden, ohne Wenn und Aber.

Dies führte dazu, dass am Tag nach der Vereidigung, am 21. Januar, die größten Demonstrationen weltweit seit den Protesten gegen den Irakkrieg 2001 stattfanden. Der „Women’s March“ (Frauenmarsch) markierte bisher den Höhepunkt der Anti-Trump-Bewegung. Aber nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt gingen bei über 650 Demonstrationen schätzungsweise rund 5 Millionen Menschen auf die Straße.

Die größten fanden in Los Angeles (750.000), Washington, D.C. (500.000), Chicago (500.000), New York (200.000) und Boston (175.000) statt. Aber nicht nur in den Metropolen der „liberalen Küsten“ gingen die Menschen an diesem Tag auf die Straße. Auch in den konservativeren Regionen regte sich sichtbarer Widerstand: 60.000 in Austin (Texas), 15.000 in Nashville (Tennessee) und 60.000 in St. Paul (Minnesota).

Diese Zahlen zeigen, dass es eine große Masse Menschen in den USA gibt, die Präsident Trump schon am zweiten Tag seiner Präsidentschaft entgegentreten und ihren Unmut über ihn kundtun wollten. Aber nicht nur in den USA, auch weltweit trieb die Angst vor den Auswirkungen seiner Präsidentschaft die Menschen auf die Straße. Dass dies nicht zu Unrecht geschah, bewiesen u. a. die kurz darauf folgenden Dekrete zum „Einreisestopp“ für Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern und zum „Mauerbau“ an der Grenze zu Mexiko.

Klassencharakter der Proteste

Was als „Marsch der Frauen“ begann, weitete sich schnell zu einer größeren „Anti-Trump“-Demonstration aus. Nicht nur die sexistischen Äußerungen Trumps sollten angeprangert und die Furcht der US-amerikanischen Frauen vor Rückschritten in der Frauenpolitik artikuliert werden. Auch etliche andere Themen darüber hinaus sollten zur Sprache kommen. Es waren Slogans und Schilder zu sehen zu den Themen Frauenrechten, Rechte für People of Color (Black Lives Matter), Rechte für Muslimas, ImmigrantInnen, LGBTQ-Menschen und auch zu ökologischen Fragen. Aber bei den Schildern blieb es auch. Die Organisation der Proteste blieb stark in den Händen der bürgerlichen Frauenbewegung und der Demokratischen Partei.

Dennoch kam es zu einer interessanten Entwicklung. Rund um die Frage des „Rechts auf Abtreibung“ mussten die OrganisatorInnen einen prinzipiellen Standpunkt einnehmen und luden Organisationen, die sich offen gegen das Recht auf Abtreibung aussprechen, nicht zur Teilnahme am Marsch der Frauen ein. Ihnen wurde die persönliche Teilnahme zwar offen gehalten, öffentlich durften sie jedoch nicht als unterstützende Organisationen auftreten.

Auch wenn hier viele positive Entwicklungen stattfanden, wie diese klare Abgrenzung zu AbtreibungsgegnerInnen bzw. die progressive Ausweitung und Verbindung mit anderen Protestbewegungen, muss auch darauf hingewiesen werden, dass noch viele Schritte hin zu einer effektiven Bekämpfung des Präsidenten Trump vonnöten sind. Einer davon ist die Überwindung der starken Kontrolle der Proteste durch die Demokratische Partei sowie die bürgerlichen Feministinnen. Der Marsch der Frauen (wie auch die daran anschließenden Proteste gegen den Einreisestopp) wurde stark von diesen organisiert sowie kontrolliert. Die ihnen nahestehenden Medien bewarben den Marsch über Wochen hinweg, was auch zu der großen und tiefgreifenden Teilnahme geführt hat.

Die meisten offiziellen Redebeiträge fokussierten sich darauf, dass mit einer Wahl Clintons zwar alles besser gewesen wäre, Mensch sich nun aber auf das Wesentliche konzentrieren müsste. Dies sei nun die Verteidigung der Demokratie, die allen Menschen und „AmerikanerInnen“ dienen solle. Gewährleistet wird dies durch das geschlossene Auftreten aller als „AmerikanerInnen“ und „PatriotInnen“. Durch gutes Zureden und unter Druck setzen könne Trump schon zur Einsicht gelangen und sich den notwendigen demokratischen Prozessen anpassen.

Sollte es Trump trotz dieser Proteste nicht vollbringen seine Ansichten zu ändern, wird auf die kommenden Wahlen 2020 verwiesen. In diesen soll die Demokratische Partei mit Hilfe aller „wahren AmerikanerInnen“ den Republikanern ihre absolute Mehrheit streitig machen. Wer eine Perspektive abseits des Wahlkalenders für die Bewegung suchte, hatte bei der Demokratischen Partei und den bürgerlichen Feministinnen kein großes Glück. Menschen, die durch die bis 2020 geplanten Maßnahmen betroffen sein werden (u. a. durch die Rücknahme der Gesundheitsreform), wird dies nicht viel weiterhelfen. Aber welche Perspektive kann es geben?

Proletarische Frauenbewegung als Weg zu einer ArbeiterInnenpartei

Auch wenn der geplante Fokus des „Women’s March“ durch die große Beteiligung etwas verloren ging, hat er dennoch gezeigt, dass Frauen ein großer Bestandteil der Anti-Trump-Bewegung darstellen und auch eine Mobilisierungsfähigkeit aufweisen. Jedoch wurde unmissverständlich klar, dass die Kontrolle der Proteste fest in den Händen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte liegt. Dies wird schlussendlich aber nur dazu genutzt werden, um die Unterstützung der derzeitigen Anti-Trump-Proteste in Richtung Demokratische Partei zu kanalisieren, welche aber keine klare Alternative für die Bewegung darstellen kann.

Die jetzigen Proteste und Streiktage im Rahmen der Kampagne „DayWithoutUs“ sind Schritte in die richtige Richtung. Innerhalb der bestehenden Bewegung müssen Revolutionärinnen offen für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung eintreten und den Bruch mit den bürgerlichen Kräften suchen. Der Schritt, die Abtreibungsgegnerinnen von den Protesten auszuschließen, ist hier ein erster, wenn auch kleiner, der unbedingt verteidigt und ausgebaut werden muss. Daneben muss der Kampf gegen Sexismus ebenso wie gegen Rassismus innerhalb der gesamten ArbeiterInnenklasse unbedingt betont werden. Die Situation von Women of Color, die wesentlich weniger verdienen als weiße Männer und Frauen, statistisch unter mehr sexuellen Übergriffen zu leiden haben und zudem gegen den in den USA verankerten staatlichen Rassismus kämpfen müssen, macht es notwendig, dass ihre Forderungen von einer proletarischen Frauenbewegung integriert werden, um eine erfolgreiche Bewegung zu gewährleisten.

Eine solche proletarische Frauenbewegung kann davon ausgehend nicht nur ein Bestandteil und Ausgangspunkt für überwältigende Demonstrationen sein, sondern auch eine wichtige Komponente im Aufbau einer dringend notwendigen ArbeiterInnenpartei in den USA spielen. Nur durch sie kann die ArbeiterInnenklasse als Ganze ihre Macht entfalten und die auf den Demonstrationen aufgeworfene Forderung nach der Absetzung Trumps wirklich erreichen: „Hehe, hoho, president Trump has got to go!“




Afghanistan: Keine Befreiung in Sicht

Elise Hufnagel, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Herbst 2001 begann der US-geführte Militäreinsatz in Afghanistan (Operation Enduring Freedom), unterstützt von der ISAF, der International Security Assistance Force, an der sich die Bundeswehr beteiligt. Ging es zunächst um den „Kampf gegen den Terror“, wurden die Ziele des Angriffs schnell auf die Errichtung der Demokratie nach westlichem Vorbild und die Stärkung der Rechte der Frauen erweitert, um einen längeren Einsatz zu rechtfertigen.

Islamismus und Besatzung: Todfeinde für Frauenrechte

Dabei ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, dass Afghanistan schon für die Briten im 19. Jahrhundert als attraktiver Standort im nahen Osten und als wichtiges Pfand gegenüber Russland galt. Und auch heute wäre es für die USA wieder wertvoll, dieses Land mit seiner geostrategischen Lage im mittleren Osten – Nähe zu China, Iran, Pakistan, Indien und den südlichen ehemaligen UdSSR-Republiken – „in den Griff zu bekommen“. In den letzten Jahren stellte sich auch heraus, dass Afghanistan nicht geringe Vorkommen an Kupfer und Eisenerzen zu bieten hat, ebenso wie Lithium, ein begehrter Rohstoff für die Computerbranche. Zwei große Konzerne aus China und Indien haben auch schon Ausbeutungsrechte erworben. Jedoch, aufgrund der unsicheren Lage im Land, läuft der Abbau bisher nicht wie geplant.

Heute ist weder die anhaltende Freiheit noch die Sicherheit in dem bürgerkriegsgebeutelten Land gewährt – und schon gar nicht für Frauen. Die Taliban gewinnen wieder mehr Boden im Land, die Warlords der Nordallianz teilen die Gebiete unter sich auf, der Drogenhandel ist immer noch die lukrativste Einnahmequelle und ein Drittel der Bevölkerung lebt weiterhin in bitterer Armut.

80 Prozent der afghanischen Frauen sind Analphabetinnen und nur weniger als ein Drittel gehen einer geregelten Lohnarbeit nach.

Die „First Lady“, Rula Ghani, äußerte auf einer Ausschuss-Sitzung im Bundestag letztes Jahr, die Dominanz der Männer in ihrem Land habe zugenommen, empfahl aber den Geberländern, die Betonung doch bitte nicht so sehr auf die Rechte der Frauen zu legen, sondern die Bedeutung von Familie und gegenseitigem Respekt zu unterstützen.

Die Wirklichkeit in Afghanistan: barbarische Frauenunterdrückung

Aber ist die Befreiung der Frauen in Afghanistan wirklich so leicht: alle sind einfach ein bisschen netter und die Grundstrukturen der Unterdrückung bleiben erhalten?

Wie sieht die strukturelle Unterdrückung der Frauen aus und wodurch wird sie am Leben erhalten? Sind die Afghanen einfach nicht „lernfähig“, ist allein die islamische Religion Schuld an der Misere der Frauen und warum sind sie nach 14 Jahren „stetiger Bemühung“ der westlichen Allianz immer noch nicht befreit und demokratisiert? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden.

Ab und an erreichen uns Horrormeldungen über misshandelte Frauen in Afghanistan. So wurde im März letzten Jahres eine Studentin in Kabul von einem Mob aufgebrachter Männer öffentlich totgeschlagen und verbrannt, nachdem sie angeblich den Koran angezündet habe. Nebenbei wurde erwähnt, dass sie vorher einen Streit mit einem Geistlichen gehabt habe, der dann, wohl nicht mehr Herr der Lage, das Gerücht der Gotteslästerung lautstark verbreitete, worauf die Lynchjustiz begann und von der Polizei nicht aufgehalten wurde. Diese Tat löste Massenproteste in der Hauptstadt aus.

Im November letzten Jahres ging ein Video über eine Steinigung durch die Medien. Eine junge Frau hatte ihren weitaus älteren Ehemann betrogen. Sie wurde in einem Erdloch zu Tode gesteinigt, ihr Liebhaber kam offensichtlich davon. Die Gouverneurin der Provinz, eine von nur zwei Frauen in dieser Stellung im Land, warnte vor weiteren derartigen Übergriffen und machte die Taliban und verantwortungslose Kriegsherren für die Tat verantwortlich.

Als die Taliban im September 2015 kurzfristig Kundus eroberten, konnten sie zahlreiche Daten von Regierungs- und NGO-Einrichtungen erbeuten. Es folgten massive Angriffe unter anderem auf Frauenrechtlerinnen und auch auf Kliniken. Frauen wurden vergewaltigt und getötet, Häuser niedergebrannt und auch nach dem Rückzug wurden viele Aktivistinnen über Handy weiter bedroht, alles um „Recht und Scharia“ wiederherzustellen. Und das in einer Stadt, in der Frauen gerade mühsam angefangen hatten, sich wieder auf die Straße zu trauen.

RAWA: fortschrittlichste Frauenorganisation Afghanistans

RAWA, die „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“, hat eine Liste erstellt, die die Vorstellungen der Islamisten über Frauen dokumentiert:

  • Verbot für Frauen, außerhalb des Hauses zu arbeiten (Ausnahme: wenige Medizinerinnen und Krankenschwestern in Krankenhäusern)
  • Verbot sämtlicher Aktivitäten außerhalb des Hauses ohne männliche Begleitung
  • Forderung an Frauen, die Burka (Ganzkörperschleier) zu tragen
  • Steinigung für Frauen, die außerehelichen Sex hatten
  • Verbot für Frauen, Sport zu treiben oder in einen Sportclub zu gehen
  • Verbot, Kosmetik aufzutragen
  • Verbot für Frauen, laut zu lachen
  • Verbot für Frauen, sich zu Erholungszwecken zu treffen und vieles mehr.

Die Gruppe ist seit den 1970er Jahren im Widerstand, sowohl gegen die SU-gestützte DVPA-Regierung als auch gegen die spätere Taliban-Regierung sowie gegen die heutige Regierung und die internationalen Invasoren. RAWA tritt nach eigenen Angaben für Frauen-, soziale und Freiheitsrechte ein. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Dokumentation der Verbrechen an Frauen und der Einrichtung von Bildungsstätten für Frauen und Mädchen, viele davon in Flüchtlingsgebieten wie Pakistan (siehe auch unseren Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni77/afghanistan.htm).

Sie wird verfolgt von Extremisten und Warlords, zählt zu ihren Feinden auch Leute in höchsten Regierungskreisen, wie auch den „Vizepräsidenten“ (der in diesem Fall „Hauptgeschäftsführer“heißt) Abdullah Abdullah.

Die DVPA- Regierung der 1970er und 80er Jahre hält sie für keine sozialistische, allenfalls eine Marionetten-Regierung der damals bereits degenerierten Sowjetunion. Sie beklagt, dass in dieser Regierungszeit mehr Linke, Intellektuelle und Demokraten ermordet wurden als die Taliban je geschafft haben.

Die Taliban sind für sie systematisch seit dem kalten Krieg von den USA, Saudi-Arabien und auch Pakistan aufgebaut worden und haben keine wirkliche Verankerung in der Bevölkerung.

Sie geht davon aus, dass ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nie schlechter waren als heute nach 14 Jahren westlicher Besatzung. Den Druck von den Taliban auf der einen und dschihadistischen Warlords auf der anderen Seite, deren kriminellste Elemente wieder an die Macht gekommen seien, sieht sie als Ursache der heutigen Probleme Afghanistans: Drogenhandel, Korruption und eine schlechtere Lage der Frauen denn je. Ihre Aussage ist: Alle Anschläge, alles was im Zuge der Rückeroberung von Kundus durch die Taliban passierte, komme den USA nur entgegen als Rechtfertigung für eine Verlängerung der militärischen Besatzung. Ihrer Meinung nach könnte die US-Armee innerhalb eines Monats die schlecht ausgerüsteten Taliban zerschlagen, wenn sie das wirklich wollte.

Veränderung kann nach ihrer Meinung nur aus dem afghanischen Volk und den fortschrittlichen Bewegungen, welche auch immer das sind, kommen; 14 Jahre Besatzung hätten gezeigt, dass Frieden und Wohlstand nicht unter militärischer Besatzung entstehen können.

Leider mangelt es der Frauenbewegung an Verankerung unter der Landbevölkerung, und sie haben auch kein wirkliches Programm, wie die Befreiung vorankommen soll. Die Forderung allein: „Alle Besatzer sollen das Land verlassen, dann läuft es auch mit der Demokratie, wir brauchen eben noch ein paar Jahrzehnte“ zeigt keine Perspektive, wie beispielsweise die Frauen kämpfen sollen, gegen patriarchale Gewalt, Korruption und letztlich auch gegen eine Regierung, die nur einen Kompromiss auf  internationalen Druck hin verkörpert. In der sogenannten Einheitsregierung sind die beiden „Chefs“, Ghani und Abdullah, hauptsächlich damit beschäftigt, sich nicht vom jeweils anderen übervorteilen zu lassen und die eigenen Leute in Machtpositionen zu hieven. Die Wahl stand unter massiven Betrugsvorwürfen gegen beide Kontrahenten, und die Regierung hat bis jetzt nur gezeigt, wie handlungsunfähig sie ist. Dabei ist für den Westen natürlich eine starke Zentralregierung als Verhandlungspartner entscheidend, allein das Volk Afghanistans identifiziert sich nicht mit ihr, was sich beispielsweise in der Weigerung, Steuern zu zahlen, zeigt.

Afghanische Vorzeigefrauen

Natürlich gibt es in Afghanistan auch berühmte „starke“ Frauen wie die Ärztin und ehemalige Frauenministerin Sima Samar, die Menschenrechtlerin, die durch gemäßigten Auftritt versucht, ihre Gegner zu überzeugen. Letztendlich wurden ihre Versuche, die Gesundheit der Frauen zu verbessern, unter der Taliban-Regierung beschränkt und ihre Untersuchungen über die Verbrechen der Warlords vom damaligen Präsidenten Hamid Karzai unterbunden, der seine Verbindung zu den Kriegsherren gestört sah.

Oder die jüngste Abgeordnete Malalai Joya (Dschoja) (siehe auch www.arbeitermacht.de/ni/ni153/ buchbesprechung.htm), die ihre Kritik sowohl an den Machenschaften der Warlords als auch an der amerikanischen Besatzung öffentlich äußerte, dafür  3 Jahre lang von Kabinettssitzungen ausgeschlossen wurde und danach nicht mehr zu Wahlen antrat.

Faktisch ist es Frauen in Afghanistan nicht möglich, öffentliche Ämter auszuüben ohne männliche Schirmherrschaft, nach deren Meinung sie sich dann im Ernstfall auch richten müssen.

Afghanische soziale Realität: die Schranke für bürgerliche Frauenrechtlerei

Warum stagniert also der „Kampf für die Rechte der Frauen“?

Fragt man Frauenrechtlerinnen in Afghanistan, so stellen sie meist die Forderung nach Bildung als Voraussetzung für die Befreiung der Frauen in den Vordergrund. Einer umfassenden Ausbildung stehen aber viele Faktoren entgegen: mangelnde Ausbildung von LehrerInnen, fehlendes Lehrmaterial ebenso wie die Armut der Familie. Noch immer ist für viele Mädchen die Schulzeit nach der Grundschule beendet und nicht wenige werden viel zu früh verheiratet. Für eine Familie auf dem Land ist der „Verkauf“ einer Tochter gegen Land oder Nutztiere immer noch die einzige Alternative zum Verhungern. Viele wagen nicht, ihre Töchter in Mädchen-Schulen zu schicken, da diese häufig Angriffsziele extremistischer Fanatiker sind, und oft wird die Mitarbeit der Töchter zuhause dringend zum Broterwerb benötigt.

Die Schulen wurden gebaut als Vorzeigeobjekte, aber nicht selten stehen auf dem Land sogenannte „Geisterschulen“, in die niemand geht, und die Machthaber im Dorf kassieren immer noch die Lehrergehälter.

Entscheidend ist auch die Akzeptanz einer Schule in einer Gemeinde. Tatsächlich verringert sich das Risiko für Angriffe auf eine Schule, wenn sie von der Region selbst gewünscht wurde und statt von den internationalen Gebern selber verwaltet und bewacht wird.

Viele Gewalttaten gegen Frauen passieren im familiären Zusammenhang, oft als Ergebnis von Zwangsheirat mit erheblich älteren Männern. Frauen, die sich dagegen auflehnen oder gar flüchten, landen im Gefängnis oder werden von den Familien gleich selbst bestraft. Anzeigen gegen Gewaltakte werden zwar vermehrt aufgegeben, jedoch kommt es in einem System von Korruption und extrem schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten „Ordnungskräften“ selten zu Verurteilungen der Männer. Viele NGOs versuchen, Frauen zu unterstützen, aber prinzipiell herrscht kein Vertrauen in die Regierung und Frauen geraten in einem Land, in dem ständiger Druck von Islamisten und Dschihadisten aufgebaut wird, zuerst ins Hintertreffen. Dies soll weder häusliche Gewalt noch öffentliche Angriffe auf Frauen rechtfertigen. Wir verurteilen alle Übergriffe auf Frauen, sei es aus religiösen oder persönlichen Gründen. Derartige Ausbrüche und Gewaltexzesse sind nur ein Ausdruck der tiefen Spaltung der ArbeiterInnen- und der Ba(e)uerInnenklasse, die zumindest auf dem Land fernab von allen Regierungsgeschäften lebt, zwischen rivalisierenden Gruppen hin- und hergeschoben wird, auf den Zusammenhalt der „Familie“, wie reaktionär sie auch sein mag, angewiesen ist und an der die Erfahrungen des „Arabischen Frühlings” vorbeigezogen sind.

In der neuen Verfassung ist theoretisch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankert, doch fürchten schon jetzt viele mit den Erfolgen der Taliban ein weiteres Rollback für jede Verbesserung der Lage von Frauen.

Heuchelei der imperialistischen Besatzungsmächte oder: warum funktioniert die „Demokratisierung“ von außen nicht wie angekündigt?

Der „Krieg gegen den Terror“ sollte nach dem Modell „Clear – Hold – Build“ ablaufen, also Vertreibung  oder Vernichtung der Taliban, Halten der Stellung durch Ausbildung nationaler Streit- und Polizeikräfte und danach Aufbau der Infrastruktur, damit alle merken, woher der „Wohlstand“ kommt und die Taliban nicht mehr unterstützen.

Zunächst lief die Vertreibung der Taliban recht gut, wenn auch mit einigen „Kollateralschäden“ unter ZivilistInnen und oft vorbei an jedwedem Menschenrecht. Dass sich dadurch der Widerstand auch der Taliban erhöhte, „berechtigte“ dann wieder zu Einsätzen amerikanischer Spezialkommandos zur Terrorbekämpfung, die die Bevölkerung tyrannisierten.

Die Ausbildung der einheimischen Streitkräfte war jedoch nie wirklich erfolgreich, und wie sich jetzt zeigt, sind sie schlechter ausgerüstet als die Taliban und und desertieren schon teilweise.

Ein Drittel der Bevölkerung lebt immer noch unter der Armutsgrenze, der Wohlstand, der sich „wie ein Ölteppich“ auf das Land ausbreiten sollte, ist ausgeblieben: zum einen, weil viele Fördergelder gleich zu Anfang bei der afghanischen Elite versickert sind, zum anderen auch, weil die größten Posten heute in die Sicherheit der eigenen Truppen fließen, und zum Dritten mit dem (teilweisen) Abzug der Truppen zugleich der größte Auftraggeber der lokalen Wirtschaft verschwindet. Wir wollen ganz schweigen von den vielen Jobs für die urbane Mittelschicht, die eine anhaltende Militärpräsenz erforderlich machen, wie zum Beispiel Dolmetscher, deren Existenz jetzt auf dem Spiel steht, nicht nur finanziell, sondern auch, weil zum Beispiel die Bundesrepublik nicht für ihre Sicherheit garantiert und sie der Rache der Extremisten ausgesetzt sein können.

„Nicht selbsttragend“ nennt sogar die Bundesregierung das vorangegangene Wirtschaftswachstum. Die Terrorbekämpfung stand an erster Stelle, ein Wiederaufbau des Landes war nie ernsthaft angedacht. Die Verbündeten der NATO-Truppen sind zum Teil die gleichen Warlords, die in den neunziger Jahren das Land tyrannisiert haben.

Zeitgleich mit der Ankündigung des Truppenabzugs, die dann ja wieder relativiert wurde, stieg die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan. In Erinnerung an das Taliban-Regime ist das verständlich, denn sie wissen, dass die extremistische Gefahr nicht gebannt ist, zumal jetzt auch der IS mit Taliban-Gruppen kooperiert und versucht, eine Dominanz in Afghanistan zu bekommen.

Da erscheint die Kampagne des auswärtigen Amts mehr als makaber, mit der es versucht, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Auf großen Plakaten steht: „Sie wollen Afghanistan verlassen? Haben Sie sich das gut überlegt?“ Und „unser“ Innenminister setzt noch einen drauf, indem er äußert, deutsche Soldaten würden Afghanistan sicherer machen, große Summen von Entwicklungshilfe seien in das Land geflossen: „Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“

Dass die meisten Flüchtlinge in Pakistan landen, um nach einer Beruhigung der Lage wieder nach Hause zurückkehren zu können oder weil sie sich einen weiteren Weg gar nicht leisten können, hat er dabei wohl übersehen.

Für den Abzug der Besatzungstruppen und Selbstverteidigung der werktätigen Frauen!

Oft wird geäußert, dass der Fortschritt in Afghanistan ohne die Frauen nicht zu erreichen ist.

Wenn sich die ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen zusammenschließen, können sie ihre Häuser und Schulen selbst gegen die Fundamentalisten verteidigen, vorausgesetzt, sie erkennen, dass auch ihre ethnischen Konflikte nur den Zielen der Besatzer dienen, um sie zu spalten.

Die Massen in Pakistan, das heute als Auffangort für Flüchtlinge und Nachschubquelle für die Islamisten dient, können genauso zum Verbündeten werden, wenn sich ihre unterdrückten Schichten und Klassen organisieren, um ihre „alten Herren“, religiöse Fanatiker und gierige Warlords, zu verjagen.

In Rojava in Syrien sehen wir, wie Selbstverwaltung und -verteidigung Hand in Hand mit Frauenbefreiung geht. Diese Frauen, die gemeinsam mit den Männern in den Krieg gezogen sind und ihr Land aufbauen, lassen sich nicht mehr zwangsverheiraten oder ans Haus fesseln.

Der Aufbau von außen durch OEF und ISAF hat nicht funktioniert, und der Terror ist nicht beendet, sondern wieder auf dem Vormarsch.

Wir sagen: Zieht Eure Truppen restlos ab und sorgt dafür, dass Eure Hilfsgelder ausschließlich da landen, wo sie Fortschritt bringen: in der Erziehung und Bildung, in der Produktion, die den Afghanen nützt und nicht dem westlichen Kapital!

Es reicht nicht aus, zu fordern, dass „die Männer“ umdenken müssen, die Arbeit der wenigen NGOs für die Bildung und Förderung von Frauen muss in einer demokratischen Regierung ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Frauen im ganzen Land müssen lernen, sich gegen Patriarchat und religiösen Fundamentalismus zu verteidigen. Allerdings sind dabei Maßnahmen wie das Burka-Verbot der Besatzer wenig hilfreich (und waren wohl eher als subtile Terrorbekämpfung denn als Befreiung der Frauen gedacht). Die freie Ausübung der Religion muss gewährleistet sein; wenn sich Frauen aus religiöser Überzeugung und als Schutz vor Übergriffen verschleiern möchten, dann muss ihnen das gestattet werden.

Es gibt durchaus weltliche Schulen bzw. solche, die einen friedlichen Islam lehren, diese müssen ebenso geschützt werden.

Schutzräume für Frauen, die verfolgt werden, weil sie aus der Familie ausbrechen, müssen ausgebaut werden, damit sie nicht mehr Folter und Selbstjustiz ausgesetzt sind.

Statt mangelhafter Versorgung und Ausbildung einer Schein-Armee unter imperialistischer Aufsicht braucht Afghanistan eigene Milizen der ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen, die den Kampf für ihre eigene Freiheit auch führen können.

Hört auf, ihnen Marionetten-Regierungen vor die Nase zu setzen, die sie nicht akzeptieren werden! Lasst sie den demokratischen Aufbau selbst gestalten!

Dann wird sich zeigen, wie revolutionär die linken Parteien und Gruppen Afghanistans sind, ob sie den gemeinsamen Kampf als Frauen und Männer führen können.

Schlüssel zur Frauenbefreiung: ein Programm der permanenten Revolution

Die Befreiung der Frau geht Hand in Hand mit ihrer Befreiung vom Los der Reproduktionsarbeit, praktisch heißt das auf dem Land immer noch Heimarbeit, Subsistenzwirtschaft, keine freie Wahl des Ehepartners und keine Zeit für Bildung. Das stellt die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit einerseits und auch nach Verteilung von Land und Besitz auf. Voraussetzung dafür ist die Enteignung der Großgrundbesitzer und Wucherer, die Abschaffung aller vorkapitalistischen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse in verschiedenen Formen der Grundrente (Geld- und Naturalpacht, Zwangsdienste auf dem Land und im Haushalt, Tagelöhnerei und Kontraktlohn). Revolutionäre KommunistInnen treten dafür ein, dass einerseits die Lohnabhängigen und Landlosen im Dorf auf großen Staatsgütern beschäftigt werden, andererseits Anreize für die freiwillige Kollektivierung der Parzellenba(e)uerInnen geschaffen werden, die von der Aufteilung eines Großteils des enteigneten Großgrundbesitzes profitiert haben. Sie müssen energisch für ein Infrastruktur- und Agrarentwicklungsprogramm  kämpfen, das den Hunger und ökologische Schäden beseitigt, mittels Bewässerung, Aufforstung, Saatgutkultivierung und Bodenamelioration die nutzbare Ackerfläche vergrößert und durch sinnvolle Fruchtfolge die Bodenqualität für Mensch, Tier und Pflanzen erhält. Heute ist die Opiumgewinnung wieder landwirtschaftliche Haupteinkunftsquelle. Die Taliban hatten den Anbau untersagt, nachdem sie selber geraume Zeit daraus Profit geschlagen hatten. Das spricht Bände für den „Fortschritt“ innerhalb der Dorfwirtschaft. Wir sind dafür, dass Ba(e)uerInnen Pflanzen, die zur Drogengewinnung und für die Herstellung von Arzneimitteln dienen, legal anbauen dürfen. Wir verlangen aber den staatlichen Ankauf und Vertrieb solcher Produkte im Rahmen eines Behandlungsprogramms von Drogensüchtigen zu Preisen, die von Preiskomitees der ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen festgelegt werden! Das oben skizzierte Agrarbeschäftigungs- und -anbauprogramm muss jedoch Anreize für den Ausstieg aus der Opiumerzeugung zugunsten der Stillung der dringendsten Bedürfnisse (Lebensmittel, Kleidung, Wohnung) schaffen.

Ferner treten wir für vollständige Demokratie ein: Wahlrecht für Männer und Frauen! Trennung von Kirche und Staat! Freiheit für alle religiösen und weltlichen Überzeugungen! Für eine souveräne konstituierende Versammlung, in der KommunistInnen ihr Programm der permanenten Revolution für Afghanistan vorschlagen! Überwachung ihres Wahlvorgangs durch Komitees aus ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen! Für die Vertreibung der imperialistischen Besatzungsarmeen, den Sturz ihrer Kompradorenregierungen und die Niederlage der bewaffneten islamistischen Reaktion! Für völliges nationales Selbstbestimmungsrecht einschließlich des Rechts auf Austritt aus Afghanistan und Bildung einer selbstständigen Republik oder Anschluss an einen anderen Staat!

Für die Abschaffung von Zwangsehen und Brautpreis, Legalisierung der Abtreibung und Scheidung auf Wunsch der Frauen! Für ein kommunales Gesundheits-, Bildungs- und Haushaltsversorgungssystem, das die private Hausarbeit ablösen kann! Für ein staatliches Rentensystem, das die Abhängigkeit von der Familie und Verwandtschaft aufhebt!

Die völlige Lösung aller demokratischen Aufgaben, demokratische Republik wie Agrarbefreiung und nationale Selbstbestimmung, kann nur durch eine Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Ba(e)uer_innenschaft, durch eine ArbeiterInnen- und Ba(e)uerInnenregierung erfolgen, die bei demokratischen Maßnahmen nicht stehen bleibt, sondern von Beginn an zu sozialistischen (progressive Besteuerung; Enteignung des Großkapitals; Entwaffnung seiner paramilitärischen Verbände, Warlords, Taliban oder anderer reaktionärer, z.B. islamistischer, Kräfte sowie der bewaffneten Staatsmacht in Armee, Polizei und Geheimdienst; Ersetzung der ungewählten BeamtInnen- und RichterInnenschaft durch gewählte, jederzeit abrufbare und zum Durchschnittslohn bezahlte RepräsentantInnen) übergeht. Diese muss vom Tag 1 ihrer Herrschaft an auch die Revolution nach außen tragen, in der Errichtung einer sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens gipfelnd.

Der Unterschied zu RAWA und zum bürgerlichen Programm

Dieses Programm unterscheidet sich deutlich von dem der RAWA. Dies ist zwar für afghanische Verhältnisse progressiv, doch verbleibt es im bürgerlichen, linksliberalen Rahmen. Statt auf Propaganda und Agitation unter den Volksmassen setzt es auf die „gebildete“ städtische Elite, auf wohlwollendes Entgegenkommen der Regierung und Besatzer, kurz auf die Vertreter der herrschenden Klassen Afghanistans und der Imperialisten. Es verkörpert ein Modell westlicher Zivilisation und Entwicklungshilfe. Doch leider ist dieses seit Beginn der imperialistischen Epoche für die überwältigende Mehrheit der Menschheit, die in halbkolonialen Ländern wie Afghanistan lebt, vollständig reaktionär. Es leistet nicht nur keinen Beitrag zu deren Befreiung, sondern verfestigt deren Abhängigkeit, nutzt ausschließlich den imperialistischen Plünderern und Räubern. Mit einem Wort: das bürgerliche (Frauen-)Befreiungsprogramm hat seine revolutionäre Rolle wie die Bourgeoisie selbst längst ausgespielt. Die weltweit herrschenden bürgerlichen Klassen verkörpern nur noch die Reaktion auf der ganzen Linie!




Kinder, Küche, Kirche – plus Karriere

Veronika Schulz,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Die Position der AfD zur Rolle der Frau in der Gesellschaft hat nicht nur Ähnlichkeit mit den Programmen anderer konservativer Kräfte, sondern weist darüber hinaus unverkennbare Parallelen zur Haltung der Nationalsozialisten auf. Insbesondere seit der Spaltung der Partei 2015 treten sowohl ihre reaktionären wie auch rassistischen Positionen deutlicher hervor.

Reaktionäre Politik zur Festigung von Unterdrückung

Besonders entschieden spricht sich die AfD gegen das sogenannte „Gender Mainstreaming“ aus, welches zum Ziel hat, bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen zu berücksichtigen, um auf diese Weise die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. Die AfD erhebt den Vorwurf, dass dieses Vorgehen auf eine nicht erwünschte „Aufhebung der Geschlechteridentitäten zielt“ (1). Die Kritik richtet sich dabei vornehmlich gegen SPD und Grüne, die während ihrer Regierungszeit eine „ideologisch gesteuerte Verzerrung der Geschlechterrollen“ betrieben und damit ihre Kompetenzen deutlich überschritten hätten, da staatliche Eingriffe in diesen Bereichen zu unterlassen seien. Die Ablehnung der als bedrohlich eingestuften „Gender-Ideologie“ beweist, dass es der AfD mit ihrer angestrebten Politik keineswegs um eine tatsächliche Gleichberechtigung aller Menschen geht, weder von Mann und Frau geschweige denn von Personen, die sich nicht in diese Dichotomie einordnen können oder wollen. Ganz im Gegenteil vertritt die AfD eine Auffassung, wonach Frauen eine „natürliche Rolle“ ihrem „Wesen“ gemäß zugeschrieben werden kann. Frauen haben demnach andersartige Fähigkeiten als Männer. Diese Gemeinsamkeit mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten formuliert die Partei in ihrem Programm wie folgt: „Die AfD strebt die Gleichberechtigung der Geschlechter unter Anerkennung ihrer unterschiedlichen Identitäten, sozialen Rollen und Lebenssituationen an.“ (2) Dieses reaktionäre Frauenbild reproduziert die vermeintlich „unterschiedlichen Identitäten“ der Geschlechter und weist emanzipatorische Bestrebungen der Frau in ihre „natürlichen“ Schranken. Väter, die sich an Haushaltsführung oder Kindererziehung beteiligen, und das vielleicht sogar gerne, kommen in der gartenzwerg-behüteten AfD-Welt nicht vor. Das einzig „progressive“ Element der Frauenversteher in der AfD ist das Zugeständnis, dass Frauen nicht mehr ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter reduziert werden, gibt es doch mittlerweile auch viele bewusst Kinderlose. Daher beschränkt sich der weibliche Wirkungskreis nicht auf „Kinder, Küche, Kirche“. Mindestens genauso wichtig ist nun die Vereinbarkeit dieser „genuinen Pflichten“ einer Frau mit ihrer Rolle in der Arbeitswelt – die „Karriere“ kommt also noch hinzu. Die Frau dient somit als Stütze sowohl ihres Mannes als auch der Gesellschaft, da sie in der Familie unbezahlte und in der Arbeitswelt häufig prekäre und schlecht bezahlte Tätigkeiten verrichtet, die den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft aufrechterhalten. Auch hier findet sich eine weitere Parallele zur Politik der Nationalsozialisten, war diesen doch jede Frau recht, wenn es um lohngünstige Kriegsproduktion ging und männliche Arbeiter rar wurden.

Ginge es nach den familienpolitischen „Vordenkern“ der AfD, sollte jede – wohlgemerkt deutsche und gut ausgebildete – Frau (mindestens) drei Kinder haben. Dieses Ideal der „Drei-Kinder-Familie“ klammert wie selbstverständlich homosexuelle Paare aus und erhebt die heterosexuelle Ehe zum Leitbild. Als Begründung für diesen Appell an den Fortpflanzungswillen deutscher Frauen führt die AfD in ihrer Argumentation die leeren Sozialkassen ins Feld, die auf diese Weise stabilisiert werden sollen. Der in die Jahre gekommene Begriff des „Generationenvertrages“ wird dabei von der Partei bemüht, um ihre Fokussierung auf die Zukunftsgestaltung Deutschlands und somit eine Politik zu legitimieren, die scheinbar an langfristigen Zielen orientiert ist. Dies drückt sich auch in der Forderung nach stärkerer Berücksichtigung von Kindern bei der Rentenberechnung aus (3). Gleichzeitig lehnt die AfD, wie mittlerweile durchaus auch von konservativ-wirtschaftsnahen Kreisen der Unionsparteien gefordert, Zuwanderung zum Zweck der Stabilisierung der „sozialen Sicherungssysteme“ entschieden ab.

Exklusion von LGBTIA-Menschen

Auch im Hinblick auf die Rechte von LGBTIA-Menschen ist das Programm der AfD von einer Politik der Exklusion gekennzeichnet. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2014. LGBTIA-Menschen kommen wenn, dann nur in stereotypisierter und negativer Weise im Programm der AfD vor und sind als Minderheiten den Angriffen der Partei ausgesetzt. Der Themenbereich Sexualität wird ideologisch sowie moralisch aufgeladen, während die AfD gleichsam vor „ideologischer Umerziehung“ von Kindern warnt. Verschwörungstheoretisch tritt sie dabei dem sogenannten Bildungsplan in Baden-Württemberg entgegen: „In dem Falle wird davon ausgegangen, dass ein systematisches ,Umerziehungsprogramm‘ ins Werk gesetzt worden sei, wo es in Wirklichkeit um die weithin akzeptierte Selbstverständlichkeit geht, vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten Akzeptanz zu verschaffen.“ (4) Die Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung verdeutlicht, dass die Diskriminierung von LGBTIA-Menschen aus Sicht der AfD legitim ist, da für diese Gruppe(n) Rechte abgeleitet würden, die das Grundgesetz lediglich für Ehe und Familie vorsieht (5). Auch einer „Sexualisierung der Gesellschaft“ (6) soll Einhalt geboten werden, wobei man sich bei allgegenwärtiger sexistischer Werbung durchaus die Frage stellt, inwiefern diese nicht bereits an der Tagesordnung ist.

Rassenideologie/Bildungsrassismus

Auch gegen AusländerInnen und Geflüchtete geht die Partei seit ihrer Abspaltung von den „Euro-Skeptikern“ 2015, wie bereits erwähnt, offensiver vor. Passenderweise wünscht sich die AfD deshalb eine Vermehrung des (deutschen) Volkes, geht jedoch sogar einen Schritt weiter als die nationalsozialistische Rassenideologie. Vorrangig gut ausgebildete Frauen bzw. Paare sollen für den deutschen Nachwuchs sorgen, wohingegen eine „unkontrollierte Vermehrung“ von Arbeitslosen oder MigrantInnen abgelehnt wird. Familien der bürgerlichen Elite und akademischen Mittelschicht sollen Kinder bekommen, da die AfD von einer „natürlichen Begabung“ der Menschen ausgeht, die sich von den gebildeten Eltern auf ihre Kinder überträgt, im Falle der „nichtsnutzigen Schmarotzer“ eben nicht. Diese Haltung ist Bildungsrassismus in widerwärtigster Form, der die bestehende Chancenungleichheit nicht nur leugnet, sondern zugunsten einer vermeintlich evolutionären Vorbestimmung sogar begrüßt.

Abtreibung

Eine ebenso konservative wie moralisierende Auffassung lässt sich in der Position der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) zum Thema Abtreibung finden. Die JA spricht sich für den Schutz ungeborenen Lebens aus und behauptet, die aktuelle Rechtslage berücksichtige ausschließlich den Willen der Mutter. Dies ist zum einen nicht korrekt, da in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche weiterhin illegal, wenn auch nach verpflichtender Beratung straffrei, bleiben. Zum anderen zäumt die AfD-Jugend mit der Forderung nach „Abtreibung nur bei triftigen Gründen“ (7) das Pferd von hinten auf: Eine kindgerechte und familienfreundlichere Gesellschaft kann keinesfalls durch staatliche Verbote und Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit von Frauen geschaffen werden. Im Gegenteil, erst die Abschaffung bestehender Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Systems und bürgerlichen Staates sind, eröffnet Frauen (und auch Männern) die Möglichkeit einer Familienplanung frei von materiellen Abwägungen. Die fehlerhafte Denkweise der JA äußert sich auch in folgender Forderung: „In jedem Fall muss der Staat das materielle und seelische Wohlbefinden von Schwangeren, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch droht, sicherstellen und dazu ermuntern, die Schwangerschaft fortzusetzen.“ (8) Dadurch wird die Doppelmoral konservativer Argumentation, die auf Moral und Menschenwürde basiert, offenkundig: Während einer Schwangerschaft gilt das ungeborene Leben als ultimativ schützenswert und wird über die Belange der Mutter gestellt, nach Geburt des Kindes ist die Frau jedoch auf sich allein gestellt und kann sehen, wo sie und das Kind bleiben. Das herangewachsene Kind darf später dann den „Schutz des Lebens“ in Kriegen des deutschen Imperialismus an der Front am eigenen Leib erfahren. Passend dazu stellt die AfD „Elternverantwortung für den Werdegang ihrer Kinder“ (9) in den Vordergrund ihrer Familienpolitik. Die Forderung danach, dass „jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (10) haben soll, ändert noch lange nichts an der Realität und ist verkürzt auf rein materielle Hilfeleistungen. Genau an dieser Stelle wird die familienpolitische Position der AfD zur Klassenfrage: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist aktuell insbesondere für prekär Beschäftigte nicht gegeben, während sich gut situierte „Idealfamilien“ aus (zumeist) männlichem Alleinverdiener und liebender Hausfrau und Mutter darüber weniger Gedanken machen müssen. Und auch für Paare mit mittleren Einkommen sind die vorhandenen Betreuungsangebote durch – wenn auch unzureichende – finanzielle Unterstützung des Staates zumindest erschwinglich. Doch allein durch weiteren Kita-Ausbau oder finanzielle Anreize lässt sich keine Geschlechtergleichheit erzeugen. Insofern bringt es die Programmatik der AfD auf den Punkt, wenn sie zugesteht: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“(11) Da es elterliche Pflicht ist und bleiben soll, sich um die eigenen Kinder zu kümmern, wird das propagierte Idealbild einer intakten Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kindern gestärkt und reproduziert.

Keimzelle

Eine solche Darstellung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei der Union zuhauf. Die dargestellte Haltung der JA zum Thema Abtreibung offenbart allerdings, worum es der Partei und ihrer Jugend in Wirklichkeit geht: die Familie als Ort unbezahlter Reproduktionsarbeit, in Form von Kindererziehung und Altenpflege. Diese Sichtweise versperrt sich gegen den gesamtgesellschaftlichen Auftrag, sich um derartige Arbeiten zu kümmern. Aus einer fortschrittlichen sozialistischen Perspektive kann also nur die Vergesellschaftung dieser unbezahlten Erziehungs- und Pflegearbeit die Antwort sein. Dies bezieht explizit die Männer bzw. Väter sowie die Gesellschaft als Ganzes mit ein, da es sich bei Erziehung, Pflege und sonstiger Reproduktionsarbeit wie Kochen und Waschen um gemeinschaftliche Aufgaben handelt. Ausgerechnet die Einbettung dieser Arbeiten in die private Sphäre kann zu Isolation und Konflikten führen. Die Kernfamilie, die auch die AfD nicht müde wird als Ideal zu verklären, ist somit nicht automatisch ein Hort von Liebe und Glückseligkeit. Im Gegenteil, in dieser gewissermaßen sakrosankten Institution ist die Unterdrückung der Schwächeren um ein Vielfaches erleichtert. Körperliche, psychische und sexuelle Gewalt werden innerhalb der Familie abgeschottet von der gesellschaftlichen Wahrnehmung ermöglicht. Durch materielle Abhängigkeit beispielsweise der Frau von ihrem Mann ist ein Durchbrechen dieses Mechanismus nicht ohne weiteres möglich, dazu kommen Scham und Tabuisierung. Die idealisierte Familie wird auf diese Weise häufig zur „Keimzelle“ von Gewalt und Unterdrückung.

Refugee-Thematik

Die moralische Heuchelei der AfD im Hinblick auf eine kinder- und elternfreundliche Gesellschaft tritt auch bei der Refugee-Thematik offen zutage. Die jüngste Debatte offenbart auf erschreckende Weise die menschenverachtende Position der AfD-Parteiführung. Petry und von Storch, zentrale Führungsfiguren der Partei, stehen ihren männlichen Kollegen in nichts nach, wenn sie nach mehr „Law and Order“ rufen und sich für die Option eines Schießbefehls an deutschen Grenzen aussprechen. Hier wird auf zynische Art überdeutlich, dass es der AfD nicht um „Frauen“ und „Kinder“ im Allgemeinen oder ein „kinderfreundliches Deutschland“ im Speziellen geht, sondern bei allen Forderungen der AfD deutsche Frauen und deutsche Kinder gemeint sind. Trotz mehrfacher, hilfloser Distanzierungsversuche kann diese Position der AfD-Führung als stellvertretend für die gesamte Politik der Partei betrachtet werden. Die Standortsicherung Deutschlands als Wirtschaftswunderland innerhalb der EU und damit verbundene neoliberale Reformen stehen an vorderster Stelle, während soziale Programme, wenn überhaupt, nur für BürgerInnen mit deutschem Pass Verbesserungen bringen sollen. Alle anderen, die sich nicht auf deutsche Abstammung oder wirtschaftlich verwertbare Ausbildung berufen können, sollen doch bitte woanders als im gelobten Deutschland ihr Glück suchen, geht es nach der AfD.

Neoliberale Politik

Insofern wird mehr als deutlich, dass die AfD eine neoliberale Politik für das gehobene Kleinbürgertum vertritt, die jedoch den Interessen der Mehrzahl der Lohnabhängigen zuwiderläuft. Das damit verbundene Heilsversprechen zur Stabilisierung der Sozialsysteme wird sich ebenso als Illusion erweisen wie die Prognose, wonach durch die Programmatik der AfD prekäre Beschäftigung für AkademikerInnen wegfallen wird, im Gegenteil. Auch bei der Politik, für die die AfD steht, erfolgt weiterhin ungebremst eine Umverteilung von unten nach oben.

Die Idee, wonach Deutschland durch gesetzgeberische Maßnahmen „kinder- und familienfreundlicher“ (12) werden könne, muss aus marxistischer Sicht ebenso abgelehnt werden wie das ausschließliche Vertrauen auf das bereits beschriebene „Gender Mainstreaming“. Es ist nichts anderes als eine Illusion, Geschlechterrollen und Gleichstellung von Frauen und Männern auf bürokratische Weise herstellen zu wollen. Der bürgerliche Staatsapparat greift auf gesetzliche Regelungen und Verordnungen zurück, wodurch er die Frauenfrage allerdings nicht lösen wird, solange kein wirklicher Abbau von sexueller Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung geschieht. Daher ist eine materielle Einebnung von Geschlechtsunterschieden notwendig. Ebenso kann aus marxistischer Perspektive nur durch Vergesellschaftung häuslicher Tätigkeiten zu einer offenen, kinderfreundlichen Gemeinschaft beigetragen werden.

Die Antwort auf die geschilderten Hirngespinste reaktionärer Kräfte, die durchaus alles andere sind als ein Haufen verirrter Spinner, liegt nicht in individuellen, „emanzipierten Lebensentwürfen“, die einer solchen Politik entgegengehalten werden. Vielmehr bedarf es einer proletarischen Frauenbewegung, die organisiert und entschieden für Frauenbefreiung, für die Überwindung der patriarchalen bürgerlichen Gesellschaft und gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem eintritt. Nur durch die Befreiung der Frauen kann die ArbeiterInnenklasse als Ganze ihre Interessen verwirklichen, nur durch den Sozialismus können Gleichberechtigung von Frauen und LGBTIA-Menschen erreicht und Unterdrückung überwunden werden!

Endnoten

(1)  Alternative für Deutschland (AfD): Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/fragen-und-antworten/bildung-und-gleichstellung/

(2)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(3)  AfD: Programmatik & Leitlinien (2013), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/programmatik/

(4)  Korsch, Felix/Wölk, Volkmar: Nationalkonservativ und marktradikal. Eine politische Einordnung der „Alternative für Deutschland“, 2. aktual. u. erw. Aufl. 2014. Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, S. 8

(5)  Vgl. Korsch, Felix/Wölk, Volkmar (2014): S. 3

(6)  Junge Alternative für Deutschland (JA): Programmatik (2014), online unter https://www.jungealternative.com/info/programmatik/

(7) JA: Programmatik (2014).

(8)  JA: Programmatik (2014).

(9)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(10) JA: Programmatik (2014).

(11) JA: Programmatik (2014).

(12) AfD: Programmatik & Leitlinien (2013).




Frauen in der Hausindustrie

Shazia Shehzad/Martin Suchanek, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Arbeiterinnen sind von den Auswirkungen des Neoliberalismus und der Krise besonders  betroffen. Das betrifft besonders Länder der „Dritten Welt“, also Halbkolonien, die von imperialistischer Ausbeutung geprägt sind.

Die ökonomische „Entwicklung“ dort zeigt sich als ein Nebeneinander einerseits der Einbindung in den modernen globalen Kapitalismus und andererseits der Ausbreitung „alter“ Formen der extremen Ausbeutung wie z.B. der Heimindustrie. Rund 73 Prozent aller LohnarbeiterInnen in Pakistan – immerhin rund 60 Millionen – sind im „informellen“ oder „prekären“ Sektor beschäftigt, der im letzten Jahrzehnt weiter deutlich gewachsen ist.

Diese Beschäftigungsverhältnisse sind keine Relikte einer vorkapitalistischen Vergangenheit (wie z.B. die tradierte handwerkliche Produktion). Ihre Ausdehnung geht vielmehr Hand in Hand mit dem Einfluss des Großkapitals, mit der Produktion für Textil- und Handelsketten, die auf nationalen und internationalen Märkten tätig sind.

So macht der Textilexport in Pakistan mehr als 50 Prozent des Gesamtexports aus. Wie auch in Indien, Bangladesh oder Sri Lanka ist er v.a. auf den EU-Markt ausgerichtet – ob  die Produktion in großen Fabriken, in kleinen Unternehmen oder in Heimarbeit erfolgt.

Letztere ist ist eine besondere Form „ungleichzeitiger und kombinierter Entwicklung“, wo rückständige Formen der Produktion wie die Hausindustrie, die Marx im „Kapital“ ausführlich beschreibt, in ein System der Profitmacherei für riesige kapitalistische Unternehmen eingebunden sind.

System von Subunternehmen

In die „Hausindustrie“ lagern die Unternehmen einen Großteil ihrer Aufträge auf Subunternehmen (oder eine ganze Kette von Subunternehmen) über lokale „Mittelsmänner“ aus. Der größte Teil der Produktion wird durch diese in Auftrag gegeben und die Hausarbeiterinnen (der Anteil von Männern unter ihnen ist sehr gering) treten nur diesen als „Vertragspartnerinnen“ gegenüber.

Die neoliberale Methode, die heute vorherrscht, besteht darin, dass die ArbeiterInnen im informellen Sektor generell nur kurz befristete Verträge haben (oft nur für einen Tag) und auch nur tageweise bezahlt werden. Es gibt keine soziale Absicherung gegen Krankheit, keine Alters- oder Gesundheitsvorsorge. Diese Form der Billigarbeit ist eine übliche Form in der „Dritten Welt“ geworden.

Die Hausindustrie macht in Ländern wie Pakistan einen wichtigen Teil der Produktion aus, wenn auch verlässliche Zahlen wegen des informellen (und tw. auch illegalen) Charakters der Arbeit kaum zu erhalten sind. Neben fehlender sozialer Absicherung gibt es auch keine Mindestlöhne oder irgendeinen Arbeitsschutz. Die ArbeiterInnen werden nicht stundenweise, sondern nach Stücklohn bezahlt. Produkte, die der Mittelsmann für zu schlecht befindet, werden nicht abgenommen und auch nicht bezahlt. Die Frauen arbeiten 12-14 Stunden täglich und erhalten in Pakistan sehr geringe Löhne, oft sogar weniger als 100 Rupien (ca. 84 Cent) pro Tag.

Produziert werden Textilien aller Art. Vom Teppich bis zum Reitkleid werden alle möglichen Produkte geknüpft oder genäht und abgepackt. Oft werden auch vorgefertigte Produkte zusammengenäht. In der Regel wissen die Frauen nicht, unter welchem Label die Produkte verkauft werden, da diese oft erst später aufgenäht werden, wobei derselbe Mittelsmann oder höhere Subunternehmen auch Produkte derselben Arbeiterinnen an unterschiedliche Marken verkaufen können.

In der Hausindustrie arbeiten fast ausschließlich Frauen und zwar zuhause oder in kleinen Betrieben in unmittelbarer Nachbarschaft. Dort sind 10 oder 20 Frauen quasi eingepfercht in kleinsten „Sweat Shops“. Ihr Lohn ist so gering, dass sie davon allein nicht überleben könnten, er ist vielmehr Bestandteil des „Familienlohns“ der proletarischen Familien.

Dabei sind die Frauen den „Mittelsmännern“, ihren Auftraggebern, nicht nur als vereinzelte Vertragspartnerinnen extrem ausgeliefert und unterliegen einer enormen Ausbeutung. Oft sind sie bei den „Mittelsmännern“ auch verschuldet, weil sie z.B. in der Zeit von Hochzeit, Schwangerschaft, Unfällen oder Krankheit nicht produzieren können. Sie nehmen dann Kredite bei ihren Vertragspartner auf, die bei extremen Zinsen in Zukunft abgearbeitet werden müssen.

Patriarchale Unterdrückung

Die patriarchale Unterdrückung der Frau in der pakistanischen Gesellschaft sichert dieses System der Ausbeutung ab. Eine Form der Unterdrückung der Frau besteht dabei darin, dass sie nicht allein im öffentlichen Leben in Erscheinung treten darf oder es dafür großen Mutes bedarf. Die Mobilität der Frauen ist daher extrem eingeschränkt. Frauen, die einer Lohnarbeit außer Haus nachgehen, setzen sich dabei nicht nur gesellschaftlicher Anfeindung aus, sondern auch enormen Risiken bis zu sexuellen und physischen Übergriffen. Daher ist für viele Frauen die Hausarbeit die einzige Form, ihre Arbeitskraft verkaufen und so zum Auskommen der Familie beitragen zu können, ohne Beleidigungen oder Übergriffen auf dem Weg zur Arbeit oder am Arbeitsplatz ausgesetzt zu sein. Das führt auch dazu, dass Frauen und deren Familien oft die Heimarbeit der Fabrikarbeit vorziehen.

Hinzu kommt, dass in Pakistan Lohnabhängige, v.a. deren untere Schichten, auch nicht als kreditwürdig (oft überhaupt nicht als geschäftsfähig) gelten und bei normalen Banken keine Vorschüsse erhalten, ja oft noch nicht einmal ein Konto eröffnen dürfen. Für Frauen gilt das umso mehr. Daher bleibt ihnen (wie auch großen Teilen der männlichen Arbeiter) nur der Mittelsmann oder der private Geldverleiher, wenn sie finanziell in Bedrängnis kommen.

Diese Situation kommt einer Falle für die Frauen gleich, die sie zum Objekt extremer Ausbeutung und Abhängigkeit macht, dessen ursächliche Faktoren sich wechselseitig verstärken.

Der Ausschluss der Frauen vom öffentlichen Leben aufgrund von Patriarchat, Religion und reaktionärer kultureller Traditionen festigt also auch das System der extremen Überausbeutung in der Heimindustrie.

Die Kapitalisten haben davon viele Vorteile. Sie können die einzelnen Frauen ebenso leicht einstellen wie feuern. Konjunkturelle Einbrüche treffen diese ganz unmittelbar. Die einzelnen Frauen haben fast keine Verhandlungsmacht und müssen daher Löhne unter ihren Reproduktionskosten akzeptieren. Bei Krankheit, Unfall, Alter usw. tragen sie bzw. ihre Familien die Kosten. Außerdem müssen sie nicht nur den Arbeitsraum stellen (ihre Wohnung), sondern in der Regel auch Arbeitsmittel, Werkzeuge, Ausstattung usw. bezahlen, mitunter sogar die Kosten für die Rohstoffe tragen. Die Frauen werden so formell in den Status individueller Kleinproduzentinnen gedrängt, die an den Mittelsmann nur ein Produkt zu dessen „Stückkosten“ verkaufen. Es erscheint so, als wären sie keine Lohnarbeiterinnen, sondern verarmte Kleinproduzentinnen. In Wirklichkeit ist das freilich nur ein oberflächlicher Schein, wie auch in der „Hausindustrie“ oder im „Verlagssystem“ im Frühkapitalismus Europas (oder auch in „neueren“ Formen prekärer Beschäftigung).

Organisierung

Die Hausarbeit verschärft die doppelte Belastung der Frauen in der Familie (wie auch die Tendenz zur Kinderarbeit). In Pakistan haben zwar soziale Bewegungen versucht, die Probleme der Frauen in der Hausindustrie aufzugreifen, aber die (wenigen) gesetzlichen Einschränkungen der Ausbeutung existieren meist nur auf dem Papier.

Die pakistanische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale um die Zeitschrift „Revolutionary Socialist“ arbeitet aktiv am Aufbau einer „Gewerkschaft der Arbeiterinnen in der Heimindustrie und der Hausarbeiterinnen“ (Home based and domestic workers union) mit, welche von Arbeiterinnen in Lahore initiiert wurde. Gemeinsam mit hunderten Arbeiterinnen kämpfen wir für die rechtliche Anerkennung dieser Gewerkschaft.

Angesichts der enormen Bedeutung der Textilindustrie, ihrer großen Zersplitterung in zahlreiche Subunternehmen, der unterschiedlichen Form der Ausbeutung (Fabrik, Manufaktur, Hausindustrie) braucht es in allen diesen Bereichen Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung und die Überwindung der Zersplitterung durch die Schaffung einer Massengewerkschaft für die gesamte Branche.

Forderungen

Eine zentrale unmittelbare Forderung ist der Kampf gegen das System des Stücklohns und der kurzzeitigen Verträge. Wir treten dafür ein, dass es Arbeitsverträge gibt, die die Lebenshaltungskosten der Frauen decken sowie eine Kranken- und Unfallsversicherung, die Rentenvorsorge und Urlaub ermöglichen. Wir treten für monatliche Löhne statt  Stücklohn und Tagelöhnerei ein.

Zweitens braucht es eine Kampagne gegen das System der Subunternehmen und Mittelsmänner – nicht nur wegen der Ausbeutung, sondern auch wegen der Zinsknechtschaft und zahlreicher Fälle physischer und sexueller Übergriffe.

Bislang gelang es uns, in einzelnen Bezirken in Lahore Arbeiterinnen zu organisieren, ihre Ausbeutung öffentlich zu machen, Frauen (und auch ihre Männer) für deren Rechte zu mobilisieren. In einzelnen Bereichen konnten wir auch Verbesserungen durchsetzen.

Es geht uns aber v.a. darum, diesen Kampf mit jenem der sehr schwachen pakistanischen Gewerkschafts- und ArbeiterInnenbewegung zu verbinden. Um die Lage im riesigen informellen Sektor zu ändern und das System der Hausarbeit abzuschaffen, reichen einzelne, branchenweise Versuche, tarifliche Regelungen durchzusetzen, nicht aus. Wir treten daher für eine Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn ein, die von allen Gewerkschaften, linken und ArbeiterInnenorganisationen geführt werden muss. Dieser  Kampf muss zudem mit dem Engagement gegen die gesellschaftliche und rechtliche Unterdrückung der Frau verbunden werden. Dabei müssen Frauen wie jene, die sich in der „Home based and domestic workers union“ zu organisieren beginnen, eine Schlüsselrolle spielen, so dass sie von einem Objekt kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung zu einem Subjekt im Kampf um die Befreiung der gesamten ArbeiterInnenklasse werden.




Frauenkampf in Westkurdistan: Gegen Repression, Patriarchat und Krieg

Nina Berger, Frauenzeitung Nr. 3, Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2015

Nach Jahren der Gleichgültigkeit oder auch der Paralyse insbesondere linker Bewegungen und Parteien gegenüber dem revolutionären Aufbruch in Syrien gibt es seit Sommer 2014 eine erstaunliche Wendung. Sie gilt der Aufmerksamkeit für den Kampf des kurdischen Volkes in Rojava, Westkurdistan.

Die internationale kurdische Gemeinschaft initiiert eine breite Solidaritätsbewegung und der Widerstand der Kämpferinnen und Kämpfer in der westkurdischen Stadt Kobanê ist auf einmal weltweit das Symbol für Selbstbestimmung und Frauenrechte. Wie kam es dazu, was wurde erreicht und welche Perspektive bietet sich? Für die Beantwortung der Fragen werden wir eine Analyse der aktuellen Situation versuchen und dazu einige Spezifika des Lebens der kurdischen Frauen in einer historischen Dimension, in Verbindung mit der kurdischen Befreiungsbewegung und der dahinterstehenden Ideologie darlegen.

Errungenschaften

Fest steht, dass der Befreiungskampf in Rojava schon jetzt zu enormen Errungenschaften für die Frauen geführt hat, die im Nahen und Mittleren Osten ihresgleichen suchen: So hat die Regierung des autonomen Kantons Cizîrê am 5. November 2014 mit dem Dekret Nr. 22 die Gleichheit von Frauen und Männern in Bezug auf Löhne, die berufliche Stellung, auf Erbrecht und auch auf Zeugenaussagen vor Gericht verkündet. Das Dekret verbietet gleichfalls die Verheiratung junger Frauen ohne deren Zustimmung und die Polygamie. Dieses Dekret und die Ausweitung sozialer und demokratischer Rechte können dazu beitragen, die gesellschaftliche Transformation in Rojava zu festigen und auf den Mittleren Osten ausstrahlen zu lassen.

Ohne die aktive Beteiligung tausender Frauen in den Selbstverteidigungskräften, in der YPJ, ohne die Bildung von Frauenräten und die Vertretung von Frauen auf allen Ebenen der politischen Gremien und des öffentlichen Lebens wäre diese Entwicklung unmöglich.

Hergang

Inmitten des syrischen Bürgerkrieges etablierten die KurdInnen in Rojava, Westkurdistan, im Sommer 2012 von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt ihr eigenes System. Sie übernahmen die Kontrolle über die Städte und Dörfer im kurdischen Norden Syriens entlang der Grenze zu den kurdischen Gebieten der Türkei in drei voneinander abgetrennten Kantonen (Verwaltungsbezirken), nämlich Efrin, Kobanê und Cizîrê.

Der syrische Bürgerkrieg, dem bis dahin schon Hunderttausende zum Opfer gefallen waren und der in den anderen Landesteilen tobte, blieb dem kurdischen Teil Syriens bis zum Sommer 2013 weitgehend fern. Dass es eine Art Übereinkunft mit dem Assad-Regime gab, wird von kurdischer Seite aus bestritten. Die offene Unterstützung der syrischen Revolution und der gegen Assad kämpfenden Freien Syrischen Armee (FSA) unterblieb. In Rojava sollte ein so genannter „Dritter Weg“ etabliert werden. Dieser beinhaltete auch, dass sich die kurdischen Verbände der Unterstützung des Kampfes demokratischer und fortschrittlicher Kräfte gegen das Assad-Regime enthielten. Dies war nicht nur gegenüber der syrischen Revolution höchst problematisch, sondern bleibt es auch für die Zukunft Rojavas. Sobald eine reaktionäre Kraft im syrischen Bürgerkrieg die Oberhand gewinnen wird – sei es das Assad-Regime oder der Islamische Staat – wird der Sieger seine Ansprüche auf das Gebiet geltend machen, ohne dass es inner-syrische Verbündete für die kurdische Sache gibt.

Die KurdInnen bauten in Rojava ab Juli 2012 eine Selbstverwaltung auf. Sie begannen kurdisch-sprachige Schulen, in der Türkei immer noch von den türkischen Behörden mit massivem Polizeieinsatz verhindert, eine Universität, eine eigene Gerichtsbarkeit und vor allem Rätestrukturen aufzubauen, die als lokale und regionale Selbstverwaltungsorgane fungieren. Und das ist erst einmal absolut erstaunlich in Anbetracht eines kompletten Jahrhunderts der Unterdrückung und Verleugnung der kurdischen Identität durch alle Besatzungsmächte auf kurdischen Gebieten, sowohl in der Türkei, dem Iran, Irak als auch in Syrien und der Tatsache, dass dieser Landstrich von 2,5 Millionen KurdInnen, AraberInnen, TurkmenInnen, ArmenierInnen und TschetschenInnen bevölkert wird, die hier zusammen leben und nebenbei auch noch komplett unterschiedliche Glaubensrichtungen haben: Aramäer- und AssyrerInnen, ChaldäerInnen, EzidInnen und Muslime.

Die KurdInnen organisierten sich, schlossen sich in 16 kurdischen Parteien zusammen und gründeten den „Hohen Kurdischen Rat“ als Dachorganisation. Sie schafften es, 1,2 Millionen Menschen aus den umkämpften syrischen Städten wie Aleppo oder Damaskus und EzidInnen aus dem Irak, die in die sicheren kurdischen Kantone flohen, aufzunehmen und diese Flüchtlinge trotz der Embargopolitik seitens des türkischen Staates und der „Autonomen Republik Kurdistan“ (Irakisch-Kurdistan) an der Ostseite, in die Gesellschaft in Rojava auch politisch zu integrieren. Eine Leistung, die ihresgleichen sucht.

Selbstorganisation als Schlüssel

Die Frauen übernahmen dabei ähnlich den Frauen im arabischen Frühling eine Vorreiterinnenrolle der Revolution. In den kurdischen Gebieten und auch bei anderen nationalen Minderheiten wurden Räte organisiert, die jedoch nur bedingt die arabische Bevölkerung umfassten, die generell ökonomisch besser gestellt ist. Von den Kommunen als Stadtviertelräte bis hin zum Volksrat von Westkurdistan existieren diese Strukturen. Viele Berufsgruppen, Frauen- und Jugendverbände sowie ethnische und religiöse Minderheiten entsenden eigene Vertreter.

Es entstanden parallel dazu eigene Frauenräte. Die kurdischen Frauen zeigen, dass Selbstorganisierung nicht nur gegen die zunehmenden äußeren Angriffe schützt, sondern zugleich auch ein Mittel ist, sich gegen die patriarchalen Strukturen innerhalb der eigenen Gesellschaft zu wehren. In ihren Versammlungen werden alle Arten von Frauenunterdrückung thematisiert und in die Gesellschaft zurückgetragen. Das Private wird politisch und der größte Teil der kurdischen Bevölkerung unterstützt dieses System.

Die politische Organisierung hatte zur Grundlage, dass die Thematik Frauenbefreiung für die politisch bewussten Frauen nie eine Angelegenheit war, die sich auf die Zeit nach der Revolution verschieben ließ. Die Frauenunterdrückung wird als Hauptwiderspruch und Haupthindernis für Demokratie in den politischen Programmen der PKK und ihrer Schwesterpartei, der PYD, verankert. Die Errungenschaften der Frauen in Rojava sind also nicht zu trennen vom politischen Kampf der kurdischen Frauen. „Die Revolution in Rojava ist zuallererst die Revolution der Frau“ steht in den programmatischen Ausführungen Öcalans.

Diese Errungenschaften sind bei allen kritischen Momenten, auf die wir später zurückkommen, schwer zu überschätzen. In einer permanenten Kriegssituation ist es für jede Partei, für jedes Volk unumgänglich, einen großen Teil der eigenen Ressourcen zur Verteidigung zu verwenden – geschätzt bis zu 70 Prozent in Rojava. Dies bedeutet aber auch, dass die reale quasi-staatliche Gewalt in den Kantonen bei den führenden politischen Kräften, v.a. der PYD und den Selbstverteidigungskräften, und eben nicht einfach bei „Räten“ und der „Basis“ liegt. Das ist ein Stück weit auch unvermeidbar. Wir stellen den Notwendigkeiten der militärischen Verteidigung Rojavas kein abstraktes „Demokratiemodell“ gegenüber. Aber es ist auch klar, dass der Programmatik der PYD/PKK als führender politischer Kraft eine zentrale Bedeutung für die weitere Entwicklung, den Fortgang, aber auch für mögliche Grenzen der Frauenbefreiung und des Verständnisses der Revolution zukommt. Bevor wir uns damit beschäftigten, werden wir aber auch auf die Lage der Frauen, nicht nur die politischen Strukturen, sondern auch die tradierte gesellschaftliche Arbeitsteilung in Kurdistan, eingehen.

Frauenunterdrückung

Ebenso wie die Situation der Kurdinnen in den durch die Türkei kontrollierten Gebieten sind die syrischen Kurdinnen einer vielfachen Unterdrückung ausgesetzt. Umso stärker ist ihr Engagement und ihre aktive Rolle in der Organisierung der Strukturen zu bewerten. Sie kämpfen an der Front, in Kommandopositionen und nehmen an der Produktion teil. Es gibt de facto keinen Ort in Rojava, an dem keine Frauen zu sehen sind.

Frauen haben die gesellschaftlichen Aufbrüche des Mittleren Ostens von Anfang an mitgetragen. Doch während die Frauen in den übrigen Ländern nach der Machtübernahme durch radikalislamische oder reaktionäre bürgerliche Kräfte in eine noch viel prekärere Situation gerieten, konnten sich die Frauen in Rojava, abgesehen von den im Spätsommer 2014 erfolgten IS-Angriffen auf Kobanê, die den Großteil der Stadtbevölkerung zur Flucht in die Lager oder Elendsgebiete auf türkischer Seite zwangen, bisher davor schützen. Auch Frauen in Rojava, also Westkurdistan, den übrigen Siedlungsgebieten und den syrischen Städten waren bisher analog zu den Kurdinnen in der Türkei und den anderen besetzten kurdischen Siedlungsgebieten massiver Unterdrückung ausgesetzt. Diese erfolgte über den repressiven rassistischen Staat, der ihnen als KurdInnen die elementarsten Grundrechte, die eigene Muttersprache zu sprechen oder auch die Staatsbürgerschaft, verweigerte. KurdInnen waren und sind zudem gegenüber der arabischen Bevölkerung ökonomisch stark benachteiligt. Unabhängigkeitsbestrebungen wurden, nachdem sich das Assad-Regime nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dem Westen zuwandte, mit aller Härte bekämpft. Dazu kommt aber auch noch die patriarchale Unterdrückung, von der sich die Kurdinnen unter den vorherrschenden Bedingungen nicht befreien konnten.

Zu den Spezifika der Situation der kurdischen Frauen gehören die noch aus vorkapitalistischen Zeiten, die in den PKK-Schriften als feudale Gesellschaften bezeichnet werden, die aber eher – wie das osmanische Reich auch –  eine Form der „asiatischen Produktionsweise“ darstellen, stammenden Familienstrukturen in einer politisch und ökonomisch unterentwickelten Region. Das Elend und die Machtlosigkeit in den kurdischen Gebieten waren der Aufrechterhaltung der vorherrschenden Strukturen enorm zuträglich. Dennoch waren und sind die Lebenssituationen der kurdischen Frauen sehr unterschiedlich und wie immer entscheidend von der Herkunft und der sozialen Schicht innerhalb der kurdischen Gesellschaften abhängig. Ob Stadt, ob Land, Kleinbäuerin oder Großgrundbesitzerin, generell die Klassenzugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zur Gruppe der Binnenflüchtigen macht hinsichtlich der Arbeitsbelastung, der materiellen und finanziellen Bedingungen den entscheidenden Unterschied.

Zugleich sind nationale, rassistische, sexistische und politische Unterdrückung seitens der Besatzerstaaten für alle Kurdinnen ein Tatbestand. Dies verdichtet sich mit patriarchalen Verhältnissen zu einer teilweise grauenvollen Szenerie. Allgemein gilt sowohl in der kurdischen als auch in der arabischen Gesellschaft die strikte Trennung der Frauen- und Männerwelten. Dabei ist die Frau für die Haus-, Versorgungs- und Pflegearbeit zuständig, wohingegen der Mann sich um die Lohnarbeit, öffentliche Angelegenheiten und Kontakte nach außen kümmert. Dass dabei nicht von einer gerechten Trennung im Hinblick auf die Arbeitsbelastung ausgegangen werden kann, braucht nicht gesondert erläutert zu werden. Insbesondere in den landwirtschaftlichen Gebieten, in Abhängigkeit von Subsistenzwirtschaft, in Mangel und Armut haben vor allem Frauen die Hauptlasten zu tragen, sind oftmals völlig rechtlos und ohne eigene soziale Absicherung. Dabei wird überdeutlich, dass die vorherrschenden Strukturen eben nicht der körperlichen Konstitution der Frauen,  sondern ganz klar patriarchalen Mustern geschuldet sind.

Traditierte Wertvorstellung

Es hält sich hartnäckig das Muster, das Ansehen der Frau an der Anzahl ihrer Kinder festzumachen, was in Verbindung mit schlechter Gesundheitsvorsorge ein enormes Risiko birgt. Doch Frauen haben billig zu arbeiten und Kinder zu bekommen und auf jegliches Selbstbestimmungsrecht zu verzichten. Wie in allen Teilen Kurdistans und des Mittleren und Nahen Ostens werden Frauen traditionell sehr jung verheiratet, auch als Zweit- oder Drittfrau an einen viel älteren Mann. Die „Ehre“ des Mannes und der Familie manifestiert sich traditionell über die „Jungfräulichkeit und Reinheit“ der Frau. Darin drücken sich vorkapitalistische Strukturen der Frauenunterdrückung aus, worin diese nicht als freie Warenbesitzerin, sondern als Unfreie auftritt – was sich auch darin zeigt, dass sie einen Preis hat: den Brautpreis.

Mädchen wurden gehindert, die Schule zu besuchen oder einen Beruf zu erlernen; einzig die Heirat war die Perspektive. Zwangs- und arrangierte Ehen sind an der Tagesordnung, ebenso Gewalt. Und diese insbesondere in der Familie durch Väter und Männer. Die ökonomische und politische Unterdrückung der KurdInnen wurde nicht selten durch die Männer an die eigene Familie, an die Frauen und Kinder weitergegeben, statt sich gegen die Unterdrücker zur Wehr zu setzen. Die übrige Gesellschaft unterstützt in großen Teilen immer noch obendrein die Annahme, dass die Familienehre  hauptsächlich von der Kontrolle über Frau und Kinder abhinge.

Dieses Phänomen ist nicht nur in der islamischen Welt weit verbreitet, sondern hat seinen Hintergrund in den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, den Strukturen und den daraus erwachsenden Abhängigkeiten. Es auf die Religion zurückzuführen, blendet in der Regel die dahinterliegenden Faktoren aus und führt nicht selten zu antimuslimischen Ressentiments. Den Frauen einer traditionellen kurdischen Familie ist es verboten, Beziehungen mit einem anderen Mann als ihrem Ehemann einzugehen. Verstößt eine Frau gegen diese Regel, verletzt sie damit die Ehre ihrer Familie und diese gilt als befleckt. Dabei hat es keinerlei Bedeutung, ob die Frau mit dem z.B. sexuellen Kontakt einverstanden ist oder ob eine Vergewaltigung erfolgte – was bekanntermaßen gerade in der Türkei nach sexueller Gewalt durch den türkischen Staat an kurdischen Frauen zu katastrophalen Situationen geführt hat, welche die kurdischen Frauen erst nach langen Kämpfen sichtbar machen und sich dagegen wehren konnten. Es kann indes immer noch dazu führen, dass männliche Familienmitglieder, um die Ehre wieder herzustellen und den eigenen sozialen Tod zu verhindern, die Frau töten, wogegen auch verschärfte Gesetze wenig ausrichten konnten.

In Anbetracht dieser Bedingungen ist es erstaunlich, dass Frauen aus diesem schweren Schatten heraustraten und den mutigen Schritt hin zur Selbstorganisation bis hin zur Etablierung von Frauenräten vollziehen konnten. In Gesellschaften, in denen der Ehrbegriff wesentlich stärker über die Existenz wegen des Rückhaltes in den traditionellen Strukturen entscheidet, kann diese Entscheidung nur aufgrund der Entwicklung einer politischen, gesellschaftlichen Kraft gesehen werden, die die Frauen als Kämpferinnen organisiert und ihr politisches Selbstbewusstsein stärkt. Die PKK und die PYD boten den Frauen nicht nur eine gegen das Patriarchat gerichtete Ideologie an, sondern auch eine Alternative zur Existenz als Unterdrückte im Haushalt.

Die Entscheidung, dass die Frauen im öffentlichen Raum agieren, setzt zumindest voraus, dass die ursprüngliche Zwangsbestimmung der Frau für Heim und Küche an irgendeinem Punkt aufgebrochen wurde. In den kurdischen Gebieten in der Türkei manifestierte sich dies in den Ergebnissen des Kampfes gegen das türkische Militär, das viele Frauen aufgrund von Verhaftung oder Tod des Ehemanns zur Alleinversorgerin machte und eine außerhäusliche Arbeit und öffentliches Leben erzwang. Ebenfalls brachte der politische Kampf in der kurdischen Befreiungsbewegung die Frage der Frauenbefreiung zentral auf die Tagesordnung.

Es ist zu folgern, dass ähnliche Bedingungen auch für die Kurdinnen in den syrischen Gebieten vorherrschen mussten. Die Unterdrückung durch das Assad-Regime hatte zwar einen anderen Hintergrund als die Angriffe der türkischen Regierung auf Nordkurdistan, dennoch fürchtete auch Assad die Unabhängigkeitsbestrebungen der KurdInnen und überzog sie mit massiver Repression. Allein die Tausende von Frauen, die sich auch aus Westkurdistan der PKK-Guerilla angeschlossen haben, zeugen von Familienstrukturen, vor denen massenhaft in die Guerilla geflüchtet wurde, aber insbesondere nach politischen Kämpfen wie dem Serhildan oder dem Südkrieg von mehr und mehr politischem Kampfeswillen der Frauen.

Ideologie

In der PKK wurde zwar von Beginn an die Frage der nationalen Befreiung mit der Frauenbefreiung verknüpft. In den ersten Jahren wurde sie jedoch wie jede andere politische oder soziale Frage vollständig dem „Hauptwiderspruch“, der Lösung der nationalen Frage, untergeordnet.

Später löste die Frauenfrage die nationale Unterdrückung als Hauptwiderspruch ab. Dafür wurde eine Ideologie entworfen und weiterentwickelt, die nicht allein aus der Feder Öcalans, sondern auch von den Guerillakommandantinnen stammt und die eine absolut frauenspezifische Legitimation in Rahmen des Befreiungskampfes des kurdischen Volkes darstellt, dessen Ziel nicht nur die Integration der Frauen in den Kampf war, sondern klar definiert, dass ohne die Frau der Kampf gar nicht möglich ist.

Dazu wurde eine die Existenz eines Matriarchats im antiken Mesopotamien, also auf kurdischem Gebiet, konstatiert (1), das durch die Herausbildung eines gesellschaftlichen Mehrproduktes und dessen privatisierter Aneignung durch die Männer, also die Entstehung des Patriarchats, entmachtet wurde. Die Versklavung der Frau und alle negativen Eigenschaften wie Egoismus, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unfreiheit werden auf die Entstehung des Patriarchats zurückgeführt und sind wie auch die Entstehung von Staaten und der Charakter des Kapitalismus durchweg männlich negativ konnotiert.

Weibliche Werte?

Der Frau werden in dieser Sichtweise die klassischen weiblichen Werte attestiert und soziale Kompetenzen daraus abgeleitet. Frauen seien demzufolge aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit für konstruktive Harmonie, Frieden, Freiheit und Demokratie. Sie wären aufgrund ihrer herausragenden Rolle in der matriarchalen Vergangenheit die natürlichen Trägerinnen des „Sozialismus“. Die Machtübernahme durch das Patriarchat führte zur Unterdrückung der Frauen, ja letztlich des gesamten kurdischen Volkes.

Die vorherige Periode der Frauengesellschaft wird als das goldene Zeitalter dargestellt, das die Schlüsselrolle bei einer Wiedererweckung der kurdischen Nation spielen soll. Die „neolithische Dorfrevolution“ sei die Ursache der heutigen Sehnsucht der Menschheit nach einem natürlichen und freien Leben. Dieser Mythos, der sich organisch mit dem Wesen der Frauen verbinde, die aufgrund ihrer Gebärfähigkeit und der damit einhergehenden Verbundenheit mit der Natur über die Geheimnisse des Lebens verfügen, wird zur zentralen Figur in zahlreichen Texten Öcalans und der kurdischen Frauenbewegung.

Die Diskussionüber Matriarchat und Frauen wird stark biologisiert geführt. Quasi naturgegebene Eigenschaften werden sowohl Männern als auch Frauen attestiert. Darin liegt auch die besondere Verantwortung der Frauen für die Kinder, die die Männer erst noch erlernen müssen. Frauen wird Pazifismus unterstellt, während der Mann als kriegerisch kategorisiert wird. Ebenso verfügen Frauen über bessere Konfliktlösungsstrategien und das nicht, weil sie diese gegebenenfalls unter Druck der vorherrschenden Verhältnisse besser trainiert haben, sondern via biologischer Eigenschaft.

Da die kurdische Gesellschaft, so Öcalan, insgesamt zu den Wurzeln des alten Mesopotamien, also zum Matriarchat zurückkehren möchte, ist die Rolle der Frauen im Kampf auch so zentral. Die Unterdrückung des kurdischen Volkes und der kurdischen Frau kann also nur durch eine Befreiungsperspektive überwunden werden, in der beide Faktoren gegenseitig voneinander abhängig sind. Ohne das Erwachen der Frau keine Befreiung Kurdistans. Damit wird die bisher völlig erniedrigte Rolle der kurdischen Frau über alle Maßen erhöht und ihre Vorreiterinnenrolle maßgeblich begründet.

Der radikale Bruch mit dem bisher rassistisch, durch die Besatzungsstaaten in Verbindung mit Clanstrukturen und einer die Unterdrückungsverhältnisse rechtfertigenden und stabilisierenden Religion konstruierten Bild der kurdischen Frau und ihre nun erfolgte extreme Erhöhung führt aber zu einem tief sitzenden inneren Widerspruch, der weitreichende Folgen für die Frauenbewegung hat. Einerseits ist er eng mit einer enormen Bereitschaft zur Organisierung verbunden – andererseits bindet er die Frauen ungewollt an ihre traditionelle Rolle.

Aus kritischer Perspektive ist der mythische Bezug natürlich nicht zu teilen. Weiter ist herauszustellen, dass, so wichtig die maßgebliche Rolle der Frauen für den Kampf um die Befreiung ist, diese Zuschreibungen ihnen enorme Lasten aufbürden. Nicht nur eine weitere Fixierung und Festlegung auf ein Frauenbild ist kritikwürdig. Z.B. könnte ein etwaiges Versagen im Befreiungskampf bzw. die Zuspitzung äußerer Faktoren durch übermächtige Gegner einer mangelnden patriotischen Bereitschaft der Frauen zugeschrieben werden. Andere objektive Faktoren, die bei der Demokratisierung der Gesellschaft – von Sozialismus ist im Frauenbefreiungskampf der PKK/PYD keine Rede mehr – eine Rolle spielen könnten, werden nicht erwähnt.

Fehlende Klassenanalyse

Es findet sich weder eine Analyse der kurdischen Gesellschaften noch die Einordnung ihres Kampfes in den bestehenden Staaten in die weltpolitische Lage. Gerade aber die syrische Revolution war die Wegbereiterin und Katalysatorin für das Projekt Rojava. Und jede Veränderung in der politischen Gemengelage wird sich auf die Situation Rojavas auswirken. Und es fragt sich obendrein, warum der Sozialismus, wenn er schon der Frau innewohnend konstatiert wird (2), nicht auf der politischen Agenda im Sinne der Frauenbefreiung ganz oben steht. Hier zeigt sich eine enorme und, falls sie nicht überwunden wird, fatale Schwäche des Programm der PKK/PYD. Ihr Verständnis von Sozialismus ist letztlich der „Vision“ eines „Dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus entnommen, wobei im „Sozialismus“ der PKK die Genossenschaften und nicht wie im traditionellen sozialdemokratischen Reformismus die Staatsintervention und Verstaatlichung die Schlüsselrolle spielen. Eine Gesellschaft jenseits der Marktwirtschaft oder gar eine demokratische Planwirtschaft taucht in der Programmatik nicht auf, ja, wird oberflächlich mit der Kritik am Stalinismus (Staatssozialismus) gleich mit entsorgt.

Die Zuschreibung sozialer Eigenschaften legt Frauen weiterhin auf ihre Rolle als Mutter fest. Sie ist die Erzieherin und Persönlichkeitsbildnerin der Kinder, die Übermittlerin von Kultur durch die Weitergabe von Sprache, Musik, Essgewohnheiten, von Moral und Werten. Trotz der Unterdrückung des kurdischen Lebens ist die zugeschriebene Bindung der Frau an die Tradition zweischneidig. Wenn die Weitergabe der Kultur gefordert wird, ist es aktuell die patriarchale Kultur, in der die Frau die Sklavinnenrolle und die damit verbundene Mentalität weitergibt. Kann sie sich dieser einzig durch die Übernahme einer neuen Ideologie entledigen?

Kultur und Nation

Neben der wissenschaftlich nicht begründeten Zuschreibung von biologischen Charaktereigenschaften ist die Aufgabenzuteilung an die Frauen eine weitere Festlegung, die zwar ihre Begründung in dem Erhalt der kurdischen Kultur gegenüber den Unterdrückerstaaten hat, doch gerade die Zuweisung der Verantwortung an die Frauen, die zuerst die Unterordnung unter den Mann abtrainieren müssen, ohne bisher dafür vielfach eine ausreichende ökonomische Grundlage zu besitzen, ist das eine Festlegung auf tradierte Rollen. Eine ausschließlich ideologische Transformation wird nicht stattfinden bzw. wird, wenn sie nicht ökonomisch auf der Unabhängigkeit der Frauen fußt, von jeder Reaktion wieder einkassiert. Aber die Ideologie der PKK/PYD hat sich neben dem Stalinismus auch vielfach der marxistischen Analyse entledigt und erscheint bei unserer bisherigen Untersuchung als ein über weite Strecken doch recht idealistisches Konstrukt mit Versatzstücken unterschiedlicher Weltanschauungen plus einer gehörigen Portion Mystizismus, das Stringenz oftmals vermissen lässt.

Ähnliches Verständnis gilt für die Familie, die sowohl als „hauptsächliche und standhafteste Festung des Mannes“ (3), als „kleinste Zelle in der gesellschaftlichen Herrschaftsstruktur“ und als das „Grab der Frau“, „Schacht ohne Boden“ (4) erfrischend scharf kritisiert, aber eben gleichermaßen auch als Hort kurdischer, bewahrenswerter Kultur definiert wird. Die Rolle der heutigen Familienstrukturen wird nicht grundlegend in ihrer Funktion zur Aufrechterhaltung patriarchaler und kapitalistischer Verhältnisse und als Ort der privaten, unentgeltlichen, meist weiblichen Hausarbeit analysiert. Die Rolle der Familie für ein neues Kurdistan wird vielmehr neu interpretiert und soll Reformen erfahren, wird im Kern aber nicht infrage gestellt, geschweige denn eine darüber hinausweisende Perspektive entwickelt.

Familie und Lohnarbeit

Also keine Fragestellung danach, was Frauen und auch Männer real benötigen, um die verkrusteten unterdrückenden Familienstrukturen hinter sich lassen zu können. Auch nicht danach, welche ökonomischen Grundlagen und welche Übernahmen „hausfraulicher“ Tätigkeiten gesellschaftlich neu organisiert werden müssen. Es finden sich weder konkrete Vorstellungen von neuen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens noch ein Hinweis auf die ökonomische Basis, die das freie Zusammenleben aller mit allen ermöglicht. Die Befreiung und Überwindung der bisherigen Geschlechterrollen kann nicht diktatorisch erfolgen, wenn dies nicht mit Perspektiven, Forderungen und Übergangsszenarien verbunden wird. Bleibt man bei den mit dem Kapitalismus verbundenen Lebensverhältnissen stehen, zieht auf jeden Fall bekanntermaßen die Frau wieder den Kürzeren. Frauenunterdrückung würde nicht aufgehoben, sondern den Erfordernissen angepasst.

Öcalan, die PKK und die PYD haben offensichtlich auch kein Konzept für die Befreiung der Lohnarbeiterinnen, dem Herzstück der marxistischen Theorie der Befreiung der Frau. Obwohl die „Hausfrauisierung“ durch den Kapitalismus als die brutalste Methode des Ausschlusses der Frauen aus der Wirtschaft angeprangert wird, fehlt ein Szenario, ein Programm oder auch nur Forderungen, wie sich die kurdische Arbeiterin aus ihrem Dilemma befreien kann. Denn Beteiligung am öffentlichen Leben, allen voran die Teilnahme am Produktionsprozess ist neben der Aufhebung der Familie die „zweite Säule“ weiblichen selbstbestimmten Lebens.

Trotz der fehlenden Analyse und Programmatik entwickeln sich in Rojava viele Frauenkooperativen, die sich das Ziel, die Frauen effektiv in die Wirtschaft einzubinden, so dass sie sich auch finanziell emanzipieren können, gesteckt haben. Kooperativen in Wirtschaftsbereichen wie Mehl-, Milch-, Käse- oder Textilproduktion und landwirtschaftlichen Erzeugnissen vergrößern sich. Private Großbetriebe gibt es fast keine, private Unternehmen haben nicht mehr als 15 – 20 Lohnabhängige. Die wenigen Großunternehmen wanderten ab oder sind mit dem syrischen Bürgerkrieg geflohen. Dazu ist zu erwähnen, dass die Großgrundbesitzer in Rojava ca. 20 % des Landes kontrollieren, es viele Kleinbauern und Dörfer gibt und die kurdische Oligarchie kein ausschlaggebender Faktor in der politischen Landschaft zu sein scheint. Mehrere tausende Hektar zuvor staatlichen Landes wurden an Besitzlose kostenlos vergeben. Die notwendigen Geräte und Maschinen wurden gratis bereit gestellt. Viele dieser neuen LandbesitzerInnen bearbeiten ihr Land als Kooperativen.

Die Tatsache, dass die Entwicklung in Rojava nur im Rahmen der syrischen Revolution und in den anderen, angrenzenden Ländern eine Perspektive hat, verdeutlicht aber auch, dass die relative Schwäche von Großgrundbesitzern und Kapitalisten nur eine Momentaufnahme ist, die sich bei einem Fortschreiten der Konterrevolution oder einer „demokratischen“ Befriedung von oben rasch ändern kann.

Strategische Ausrichtung

Grundsätzlich kann die Kooperative oder GenossInnenschaft zwar ein Mittel sein, Frauen stärker und dauerhaft in die Produktion zu integrieren wie auch die Bevölkerung im Land für eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft zu gewinnen. Aber das ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Die Kooperative, der selbstverwaltete Betrieb ist noch immer eine Form des Privateigentum an Produktionsmitteln, die für einen Markt produziert. Zu einer Form des Übergangs zu einer anderen Gesellschaft kann sie nur werden, wenn sie in eine Strategie der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung eingebettet ist, wenn die demokratische Revolution, als die die arabische Revolution wie die Entwicklung in Rojava begonnen hat, permanent gemacht, konsequent durchgeführt und mit den Aufgaben einer sozialistischen Umwälzung verbunden wird. Nur im Rahmen einer solchen Strategie und Programmatik ist letztlich auch die Befreiung der Frauen möglich.

Insgesamt haben das Projekt Rojava und vor allem die Verbesserungen für die Frauen einen revolutionären, vorbildlichen Charakter, auch wenn sie bisher zuerst auf die Ebene demokratischer Reformen und Institutionen bezogen sind, die ökonomische Emanzipation hinterherzieht und die Eigentumsfrage womöglich auch aufgrund der Embargo- und Kriegslage hintenan gestellt wird. Die ideologischen Begründungen, die hinter dem Projekt Rojava und damit der Frauenfrage stehen, sind aber trotzdem für uns sehr  widersprüchlich und müssen auch einer marxistischen Kritik unterzogen werden. Das trifft nicht nur auf die Herleitung der Frauenunterdrückung zu, sondern auch auf die widersprüchliche Kritik der Familie. Vor allem betrifft es, dass jedes Programm einer sozialen Befreiung der Arbeiterin, jedes Programm einer Vergesellschaftung der Hausarbeit und damit einer wirklichen Unterminierung der Familie als „Grab der Frau“ fehlt.

Trotzdem hat die Entwicklung in Rojava eine enorme Stärkung der Frau gebracht. Die Geschlechterfrage ist aufgrund der sehr guten Organisationsstrukturen der Frauen allgegenwärtig, was sich auch in den Selbstverteidigungsorganisationen und Frauenkooperativen ausdrückt. Damit ist eine Grundlage geschaffen, die patriarchalen Strukturen kompromisslos zu bekämpfen.

Das weitere Schicksal der Frauenbefreiung in Rojava wird insbesondere davon abhängen, ob die errungene Selbstverwaltung gegen den Islamischen Staat und das Assad-Regime behauptet werden kann, also letztlich vom Schicksal der syrischen Revolution. Sie wird zweitens davon abhängen, ob die demokratischen Fortschritte mit einer grundlegenden sozialen Umwälzung in Rojava, in den anderen kurdischen Gebieten und im ganzen Nahen Osten verbunden werden, um so auch die gesellschaftlichen Wurzeln der Frauenunterdrückung zu beseitigen. Dafür braucht es die weitere unbedingte solidarische Unterstützung des Frauenkampfes, des Projektes Rojava und der syrischen Revolution.

Endnoten

(1) Vgl. PJA (Partiya Jina Azad), Partei der Freien Frau, Programm, S. 66 f.

(2) Ebd., S. 14

(3) Ebd., S. 30

(4) Ebd., S. 71




Gleichberechtigung: Noch lange nicht erreicht!

Manuela Haug/Christine Schneider, Neue Internationale Frauenzeitung, März 2013

In den meisten kapitalistischen Staaten sind Frauen und Männer auf dem Papier gleichberechtigt. Frauen dürfen wählen, sich einen Beruf aussuchen, unter bestimmten Bedingungen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen.

Es wurde viel erreicht, aber eine wirkliche Frauenbefreiung fand bisher nicht statt.

Im Jahr 1900 wurde im bürgerlichen Gesetzbuch das Ehe- und Familienrecht folgendermaßen erläutert: „Der Hauptberuf der Ehefrau bezieht sich auf das Innere des Hauses und wird in den wohlhabenden Klassen der Bevölkerung sich regelmäßig darauf beschränken.“

Das bedeutete konkret Abhängigkeit, Unterdrückung für Frauen und deren Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Nur für Frauen aus Bürgertum und Mittelschichten gab es einen gewissen sozialen Spielraum. Für Frauen aus der Arbeiterklasse bedeutete Familie, sich zwischen Lohnarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit aufzureiben.

Erst 1977 wurde das deutsche Familien-Gesetz in ein paritätisches Ehemodell reformiert. Dort heißt es: „Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.“

Dennoch hält sich in Deutschland das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie mit dem Familienernährer. Der Mann soll von seinem Lohn Frau und Kinder ernähren, die Frau darf das Familieneinkommen durch Zuverdienst aufbessern. Ihre Hauptaufgabe ist und bleibt die Reproduktionsarbeit, die Hausarbeit und Versorgung von Mann, Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen.

Allerdings wird dieses klassische Rollenbild langsam von der Realität überholt, denn schon jetzt erarbeiten in fast 20 Prozent der deutschen Haushalte Frauen einen Großteil oder sogar das gesamte Familieneinkommen.

Die Reform des Familiengesetzes war ein später Fortschritt für die Unabhängigkeit von Frauen. Zusammen mit der Reform des Scheidungsrechts konnten sich Frauen zumindest rechtlich aus der Unterdrückung in Ehe und Familie befreien. Materiell heißt das aber bis heute für viele Frauen der Arbeiterklasse, den Preis für diese Freiheit mit materieller Armut zu erkaufen.

Ungleichheit bleibt

Denn in Deutschland beträgt die Lohnspanne zwischen Frau und Mann in gleicher Anstellung 22% im Jahr 2012. Frauen müssten über das Jahresende hinaus bis zum 21. März – also fast ein viertel Jahr länger! – arbeiten, um auf das Jahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen.

Doch selbst das zeigt noch lange nicht das volle Ausmaß der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. 87% der Frauen im Einzelhandel sind z.B. in prekären Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Der Anteil im Gesundheitssektor, besonders in der Pflege, ist ebenfalls extrem hoch. Stundenlöhne von 4,87 Euro sind keine Seltenheit. 78% aller erwachsenen Frauen in der BRD können ihre Existenz nicht durch ihre Erwerbsarbeit sichern.

Wie schon erwähnt, „investieren“ Frauen einen Großteil ihrer Arbeitsleistung – entweder unbezahlt oder extrem unterbezahlt – in die Erziehung, Pflege und Betreuung von Kindern und erwachsenen Bedürftigen. Dafür werden sie noch abgestraft, denn sie tragen ein überproportionales Existenzrisiko bei Armut oder im Alter, weil sie nur über die Hälfte des Vermögens verfügen, das Männer besitzen. Aufgrund der schlechteren Lohn- und Einkommenssituation entgehen Frauen (auf die Lebenszeit berechnet) so durchschnittlich 160.000 Euro!

Dabei sind die unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit der Familie, die Führung des Haushalts und die Erziehung der Kinder noch nicht einmal berücksichtigt.

Alleinerziehende Frauen stehen besonders schlecht da. Sie sind in besonderem Maße auf staatliche Hilfe angewiesen und überdurchschnittlich stark von Armut bedroht. Auf dem Weg ins Berufsleben haben sie es besonders schwer und können oft erst sehr spät wieder von der eigenen Arbeit leben. Bei der Vermittlung in den Personal-Service-Agenturen werden sie zusätzlich benachteiligt. Während nur 11% der hilfesuchenden Frauen eine Vollzeitstelle angeboten wurde, erhielten 26% der Männer einen gleichartigen Vermittlungsvorschlag.

Frauen im Kapitalismus

Grundsätzlich ist die Stellung der Frau im Kapitalismus von Widersprüchen geprägt. Die Benachteiligung von Frauen im kapitalistischen Lohnarbeitssystem hat verschiedene Facetten. Grundsätzlich wird die Frage, wie viele Frauen zu welchen Bedingungen in den Arbeitsprozess integriert sind, vom krisenhaften Auf und Ab der Wirtschaft beeinflusst.

Einerseits wurden Frauen im letzten Jahrhundert vermehrt zu Lohnarbeiterinnen, andererseits aber phasenweise auch wieder aus dem Produktionsprozess verdrängt. Immer jedoch waren sie systematisch schlechter gestellt als Männer, was sich in schlechteren Arbeitsverhältnissen und geringeren Löhnen und Gehältern ausdrückt.

Zur Rolle der Frau im Kapitalismus schrieb schon Friedrich Engels in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“: „Hier zeigt sich schon, dass die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt.“

Dazu muss freilich angemerkt werden, dass der Marxismus natürlich nicht nur die Eingliederung der Frauen in die moderne Produktion als eine notwendige Bedingung ihrer Befreiung ansah, sondern auch die radikale Umgestaltung der Arbeitswelt, d.h. der Änderung der Eigentumsverhältnisse, ja der gesamten Produktionsweise im Gefolge der sozialen Revolution erst als hinreichende Bedingung dafür ansah.

Für eine proletarische Frauenbewegung!

Deshalb kämpfen wir für eine proletarische Frauenbewegung, die sich nicht mit Reformen abspeisen lässt, sondern für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft kämpft. Wir dürfen uns nicht länger auf die Bürokraten in Gewerkschaft und Parteien verlassen, die sich mit kleinen Reförmchen für die Gleichberechtigung schmücken – bestenfalls.

Wir treten aus zwei Gründen für eine solche proletarische Frauenbewegung ein: Erstens kann die Befreiung der Frauen nicht einfach das Werk „aufgeklärter“ Männer sein. Nur, wenn sich Frauen selbst organisieren und engagieren, können sie ihre Erfahrungen und Interessen artikulieren. Nur so können sie den auch in der Arbeiterklasse vorhandenen patriarchalischen und sexistischen Einstellungen entgegenwirken.

Zweitens ist es notwendig, dass die proletarischen Frauen, also die Mehrheit der Frauen, in den Kampf eingreift. Der Feminismus als stark bürgerlich geprägte Bewegung und Ideologie war und ist erheblich davon entfernt, die Stellung und die Interessen von Frauen aus der Arbeiterklasse zu verstehen und zu vertreten.

Eine proletarische Frauenbewegung aufzubauen fängt z.B. schon damit an, Frauen, die in prekären Sektoren arbeiten, gewerkschaftlich zu organisieren. Dazu ist es z.B. notwendig, die Gewerkschaften, ihre Strukturen und ihre Arbeitsweise den besonderen Bedingungen und Bedürfnissen von Frauen anzupassen. Bei betrieblichen Konflikten muss die Frage aufgeworfen werden wie Frauen in den Kampf einbezogen werden können und welche konkreten Probleme sie im Betrieb haben.

Im Gegensatz zur heuchlerischen Debatte um Frauenquoten in DAX-Unternehmen, brauchen wir für die Frauen Forderungen, welche die Einheit der Klasse betonen und die Befreiung der Frau mit der Befreiung der gesamten ArbeiterInnenklasse verbinden können.

  • Kampf gegen alle Entlassungen – auch der Leiharbeiterinnen oder prekär Beschäftigten -, die oft v.a. Frauen treffen! Umwandlung von Billigjobs und Leiharbeit zu unbefristeten, tariflich geregelten Arbeitsplätzen!
  • Weg mit den Hartz-Gesetzen! Stattdessen Mindestlohn von 11 Euro/Std. netto und steuerfrei, Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für Rentnerinnen, Studierende, Schülerinnen ab 16 von 1.600 Euro/monatlich!
  • Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – kontrolliert durch Kontrollausschüsse der arbeitenden Frauen!
  • Keine Privatisierung von sozialen Leistungen, Kitas, der Gesundheitsvorsorge und Renten!
  • Kostenlose Kitas und Ganztagsschulen, so dass eine Kinderbetreuung rund um die Uhr gesichert ist, deren Qualität von den Eltern, v.a. den proletarischen Frauen kontrolliert wird! Freier und kostenloser Zugang zu allen Bildungseinrichtungen!
  • Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper! Freier und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln! Für das Recht auf Abtreibung auf Krankenschein!
  • Legalisierung aller „illegalen“ Arbeits- und Lebensverhältnisse von Flüchtlingen, Migrantinnen oder verschleppten Frauen (z.B. Zwangsprostituierten)! Besondere Förderungsmaßnahmen zur Integration der Frauen in die Arbeitswelt! Abschaffung aller Aufenthaltsbeschränkungen für MigrantInnen und volle Staatsbürgerrechte für sie!

Viele dieser ökonomischen, sozialen und politischen Forderungen im Kampf gegen Frauenunterdrückung und Krise sind nicht zufällig gleichlautend mit jenen der männlichen Arbeiter. Sie zeigen, dass ein gemeinsamer politischer und gewerkschaftlicher Kampf nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist.

So kann die Grundlage gelegt werden zum gemeinsamen Kampf für die Beseitigung nicht nur der Wurzel der Frauenunterdrückung – der privaten Hausarbeit – durch den Kampf gegen den Kapitalismus selbst.

Denn die Vergesellschaftung der Hausarbeit ist letztlich erst möglich, wenn wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Arbeitskraft aufhört, eine Ware zu sein, in der Produktion und Reproduktion nicht gemäß dem Profitinteresse der herrschenden Klasse, sondern gemäß den Bedürfnissen der Arbeitenden, ob Mann oder Frau, organisiert sind.