Evangelikales Christentum – Die Stoßtruppen der Rechten

Kayla Molodoy, Workers Power USA, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Jahrzehntelang hat die christliche Rechte in den USA den
Widerstand gegen die Abtreibung in den Mittelpunkt ihrer politischen Mission
gestellt, indem sie sexuelle und reproduktive Fragen zur Mobilisierung einer
breiten Anhängerschaft zur Waffe gemacht hat. Seit ihrer kollektiven Hinwendung
zu politischem Aktivismus während Reagans triumphalem Präsidentschaftswahlkampf
1980 ist der Evangelikalismus das Rückgrat der Republikanischen Partei in den
USA und wird in Lateinamerika, insbesondere im Brasilien von Bolsonaro,
zunehmend politisiert.

Während die unheilige Allianz zwischen religiösen
ExtremistInnen und imperialistischen ProfitmacherInnen ihre Kontrolle über den
Staat festigt, laufen die Frauenrechte Gefahr, zum Opferlamm auf dem Altar des
anhaltenden Wahlerfolgs der Rechten zu werden.

Das Wachstum des politischen Evangelikalismus in den USA

Der Evangelikalismus nahm in Amerika erstmals im 18.
Jahrhundert erkennbare Gestalt an und entwickelte sich bis Mitte des 19.
Jahrhunderts zum „Evangelikalen Reich“, einer einflussreichen Bewegung, die
sich zunächst mit liberalen Themen wie der Abschaffung der Sklaverei und der
Strafrechtsreform beschäftigte, bevor sie sich über Darwins Evolutionstheorie
und eine fundamentalistische Bibelauslegung zersplitterte.

Der moderne Evangelikalismus geht auf das Ende des Zweiten
Weltkriegs zurück, als die aufeinander folgenden amerikanischen Regierungen
daran arbeiteten, das Christentum mit „amerikanischen Werten“ gleichzusetzen
und die christliche Gemeinschaft als Verteidigungslinie im Kalten Krieg zu
mobilisieren. Der Widerstand gegen die Aufhebung der Rassentrennung, die
Gegenkulturbewegungen der späten 1960er Jahre und die Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs, Abtreibung zu einem verfassungsmäßig geschützten Recht zu machen,
im Urteil Roe gegen Wade von 1973, waren Katalysatoren für den Aufstieg der
Christlichen Rechten, der in den späten 1960er Jahren begann und bis heute
anhält.

Die republikanische Kandidatur Ronald Reagans im Jahr 1980
markierte einen Wendepunkt in der Politisierung der evangelikalen Gemeinschaft.
Im Vorfeld der Wahl begann die zuvor tolerantere und überparteiliche Haltung
der amerikanischen evangelikalen ChristInnen ihren Wandel hin zu starrer
Intoleranz, die stark durch das allgegenwärtige christliche Medienimperium
beeinflusst wurde, das vor allem von Jerry Falwell Sr. geschaffen wurde.

Falwell stand an der Spitze der christlich rechten
politischen Organisation, der Moralischen Mehrheit, und spielte eine wichtige
Rolle bei der gegenseitigen Umwerbung zwischen der Republikanischen Partei und
den Evangelikalen. Unter diesem Einfluss billigte der Republikanische
Nationalkonvent die sozial konservativste Plattform der RepublikanerInnen,
(GOP, Grand Old Party; Große Alte Partei) die es je gab, und kehrte damit seine
historische Unterstützung für die Gleichberechtigungsänderung um, wobei er als
Antwort auf den Fall Roe gegen Wade den Schutz der Rechte der Zygoten, d. h.
der befruchteten Eier, über die Rechte der Frauen stellte:

„Wir bekräftigen unsere Unterstützung für eine
Verfassungsänderung zur Wiederherstellung des Schutzes des Rechts auf Leben für
ungeborene Kinder. Wir unterstützen auch die Bemühungen des Kongresses, die
Verwendung von Steuergeldern für die Abtreibung einzuschränken.“

Erfolgreicher Aktivismus an der Basis und ein
außergewöhnliches Maß an Einsatz zur Förderung bevorzugter Themen führten zu
einer hohen Wahlbeteiligung, die Reagan mit zwei Dritteln der evangelikalen
Stimmen belohnte und bei seiner Wiederwahl auf 78 % stieg. Dieser Pakt
schuf eine für beide Seiten vorteilhafte Symbiose zwischen der politischen
Rechten und den Evangelikalen und hing fast ausschließlich von der Zustimmung
der Partei zur Übernahme der evangelikalen Linie in sozialen Fragen,
einschließlich der Abtreibung, ab.

Das Bündnis zwischen den Evangelikalen und der
Republikanischen Partei besteht bis heute, wobei es für die KandidatInnen
erforderlich ist, mit der christlichen Rechten in ihrem Sozialprogramm  übereinzustimmen, um ihre Stimmen zu
ernten und eine glühende Bekehrung zur Unterstützung des amerikanischen
Imperialismus zu garantieren.

Lateinamerika

Für Evangelikale in den USA wird nun erwartet, sich hinter
PolitikerInnen wie Trump zu versammeln – dessen persönliche Eigenschaften ihn
zu einem völlig unglaubwürdigen Vehikel für evangelikale Bestrebungen machen –,
und dies ist fast eine Selbstverständlichkeit. Aber das Wachstum der
evangelikalen Bewegung in Lateinamerika und die Verbindungen zwischen dem
brasilianischen und amerikanischen Evangelikalismus verleihen der Christlichen
Rechten eine neue internationale Dynamik.

Die ersten protestantischen Evangelikalen landeten im 19.
Jahrhundert in Brasilien, eine zweite Welle kam in den 1940er Jahren mit dem
Aufkommen der Foursquare Church (International Church of the Foursquare Gospel)
aus Kalifornien, komplett mit zirkusähnlichen Zelt„erweckungen“ à la Billy
Graham, die eine große Anziehungskraft hatten. Eine dritte Welle in den 1970er
Jahren brachte eine „neupfingstliche“ Bewegung, die von der brasilianischen
Universalkirche des Königreichs Gottes (UCKG) angeführt wurde. Gegründet von
Edir Macedo, einem gegen Schwarze heftig hetzenden  und möglicherweise reichsten religiösen Führer der Welt, ist
ihr Einfluss auf die brasilianische Politik extrem geworden, wobei er über eine
enorme institutionelle Vertretung verfügt.

Die Wahl von Jair Bolsonaro wurde mit Hilfe des
evangelikalen Establishments Brasiliens , dominiert von der UCKG, erreicht.
Bolsonaro ist, wie Trump, ein frauenfeindlicher, rassistischer homophober
Politiker, der eine aktive rechtsextreme Unterstützungsbasis antreibt. Er
sympathisiert auch mit der Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 in Brasilien
an der Macht war, wobei seine einzige Kritik darin besteht, dass „die Situation
des Landes heute besser wäre, wenn die Diktatur mehr Menschen getötet hätte“.

Das wichtigste politische Handicap, mit dem sich die rechten
Parteien in Lateinamerika konfrontiert sehen, ist die anhaltende Wahlschwäche
aufgrund ihrer fehlenden Verbindungen zu Nicht-Eliten. Bolsonaro und
seinesgleichen bieten bereitwillig Verbindungen zur obersten Spitze an und
bringen eine Vielzahl evangelikaler WählerInnen ein, vor allem aber die untere
Mittelschicht.

Dies ist wichtig, weil sich der Anteil der evangelikalen
ChristInnen in Brasilien von 9 Prozent im Jahr 1990 auf 22 Prozent mehr als
verdoppelt hat und derzeit auf 31 Prozent geschätzt wird. Es wird erwartet,
dass sie bis 2032 die Zahl der KatholikInnen übertreffen werden – und die
Rechte will ihr Wahlbündnis mit ihnen festigen.

Wir sehen eine ähnliche Dynamik bei den jüngsten Ereignissen
in Bolivien mit der Amtsenthebung von Evo Morales durch Luis Fernando Camacho,
einen fundamentalistischen und evangelikalen christlichen Multimillionär, der
geschworen hat, den linkspopulistischen Einfluss der von Morales vertretenen
und beschützten indigenen Mehrheitsbevölkerung zu beseitigen.

Die bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez erklärte
am Tag des Staatsstreichs: „Die Bibel ist in den Palast zurückgekehrt“. Obwohl
die bolivianischen Evangelikalen einen weitaus geringeren Anteil der
Bevölkerung als in Brasilien ausmachen, ist ihre Basis in der weißen Führungs-
und Mittelschicht wegen deren angeblichen Heidentums, das durch die Anerkennung
der Erdgottheit Pachamama symbolisiert wird, in einen Rausch gegen die indigene
Mehrheit geraten.

Ein Demonstrant gegen den Putsch hat diese „Befreiung“
ironisch bedauerlich auf den Punkt gebracht : „Es ist dasselbe wie vor 500
Jahren, als die Spanier kamen und das erste, was sie den Einheimischen zeigten,
die Bibel war.“

Der wirtschaftliche Druck auf das KleinbürgerInnentum der
USA und Brasiliens und erst gar ihre Deklassierung hat sie empfänglicher für
die reaktionären Ideologien und die populistische Rhetorik von Politikern wie
Trump und Bolsonaro gemacht.

In Bolivien und Brasilien ist es ihnen gelungen, die
Unterstützung wichtiger Teile der herrschenden Klasse zu gewinnen. Diese
fürchten sich vor den milden Reformen sozialdemokratischer oder
linkspopulistischer Regierungen und ihren Versuchen, Lateinamerika aus der
Abhängigkeit vom US-Imperialismus (durch die es sich, historisch gesehen, sehr
gut geschlagen hat) herauszuholen. Der Evangelikalismus ist aufgrund seiner
historischen Wurzeln in den US-Kirchen und ihres wirtschaftlichen und
politischen Gewichts in der Bewegung ideal für diesen Zweck. Kurz gesagt, er
ist ein Werkzeug des US-Imperialismus.

Die Kulturkriege

Die evangelikale Bewegung manipuliert gekonnt angebliche
Bedrohungen der Religion, um angesichts dessen, was sie als das Schwinden des
Rangs Amerikas als „christliche Nation“ wahrnimmt, Einheit und Enthusiasmus
anzuregen.

In den USA behaupten große Nachrichtenorganisationen wie Fox
News und christliche Radio- und Fernsehstationen mit Massenpublikum regelmäßig,
dass die Fähigkeit der ChristInnen, ihre Religion auszuüben, bedroht ist. Die
Verwendung schlagwortartiger Propaganda-Phrasen wie „Krieg gegen Weihnachten“
und „Angriff auf die Werte der Familie“ verstärkt diesen Verfolgungskomplex
unter den hingebungsvollen AnhängerInnen des fundamentalen Christentums.

Doch während sie den bevorstehenden Untergang des
Christentums und die Unterdrückung der wahren Gläubigen beklagen, behalten die
Evangelikalen in Wirklichkeit einen übergroßen Einfluss auf Politik und
Regieren. Dieser „Verfolgungskomplex“als Reaktion, der das Ende des
christlichen Glaubens und einer „gottlosen Gesellschaft“ katastrophenartig
vorhersagt, ist das Kraftwerk für die Verbreitung des Evangelikalismus und das
seit Jahrzehnten.

In dieser Hinsicht ist der Aufstieg des christlichen
Zionismus innerhalb der evangelikalen Bewegung interessant. Er verbindet
unmittelbar die „Opferrolle“ des protestantischen Christentums mit dem realen
Holocaust des jüdischen Volkes und verleiht der Unterstützung Amerikas für den
Staat Israel einen religiösen Eifer.

Bei der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem sagten zwei
evangelikale Pastoren aus Texas, die zum offiziellen Staatsbesuch der USA
mitgebracht wurden, dass die Gründung Israels „die Prophezeiungen der Propheten
von vor Tausenden von Jahren erfüllt hat“ und dass „der Messias [nach
Jerusalem] kommen und ein Königreich errichten wird, das niemals enden wird“.

Diese „Wir-gegen-die-Mentalität“ passt perfekt zu dem für
die evangelikale Botschaft so wichtigen Thema der Opferschaft und des Leidens.
Entfremdung und Not, die durch den Kapitalismus erneuert und als
(vermeintliche) religiöse Verfolgung getarnt wurden, wurden zu einem mächtigen
Instrument, mit dem eine große Zahl von Menschen angezogen wurde, und wurden zu
einem integralen Bestandteil der evangelikalen Identität. Wahrgenommene
Bedrohungen wie Feminismus, legalisierte Abtreibung, gleichgeschlechtliche
Heirat und die Rechte von Schwulen und Transgendern haben zu einer Botschaft
des ressentimentgeladenen Untergangs-Populismus geführt und jede Art von
Klassenbewusstsein verhindert.

Die konservativen FührerInnen aller Richtungen haben ihre
Lektion gut gelernt: Wiederhole die und identifiziere Dich mit der Gefahr des
Opferns von ChristInnen, 
versprich, ihren Glauben zu schützen, und Du wirst gewinnen! Mit den
Worten von Donald Trump, der die Stimmen von über 80 Prozent der Evangelikalen
erhielt, die etwa ein Drittel der WählerInnenschaft ausmachen: „Wir werden das
Christentum in den Vereinigten Staaten schützen.“

In Brasilien mobilisierten evangelikale FührerInnen zur
Unterstützung von Bolsenaro und seinen „traditionellen Familien“-Werten gegen
eine PT (ArbeiterInnenpartei)-Regierung, die während ihrer 13-jährigen
Regierungszeit einige Rechte für Minderheiten eingeführt, eine Debatte über die
Entkriminalisierung der Abtreibung in das Unterhaus gebracht hatte und Pläne
erwog, die Geschlechtervielfalt in den Unterrichtsplan aufzunehmen.

Innerhalb von 40 Jahren hat sich die brasilianische
Bevölkerung von neunzig Prozent KatholikInnen auf ein Drittel Evangelikale
verschoben. Die evangelikalen Kirchen betreiben heute über 600 Fernseh- und
Radiokanäle, darunter auch die zweitgrößte Fernsehgesellschaft des Landes, Rede
Record, die dem UCKG-Gründer Edir Macedo gehört.

Bolsonaro lehnte Fernsehdebatten mit anderen KandidatInnen
ab, gab Rede Record jedoch ein exklusives sowie sein erstes Interview nach dem
Gewinn des Präsidentenamtes. In diesem Interview beschrieb er die „ethische und
moralische Krise“ Brasiliens und drohte, die AnhängerInnen der PT ins Exil zu
schicken.

Politischer Evangelikalismus und seine Auswirkungen auf
Frauen

Im letzten halben Jahrhundert hat die Ehe zwischen rechter
Politik und dieser unterdrückenden christlichen Sekte die Ungerechtigkeit unter
den Armen und Minderheiten der Welt – insbesondere den Frauen – eskaliert,
indem sie die biblische Rechtfertigung der Überlegenheit des Mannes über die
Frauen benutzt hat, um das kapitalistische Patriarchat aufrechtzuerhalten.
Religionsgemeinschaften bringen die Stimme der Hälfte der Bevölkerung zum
Schweigen und lenken den berechtigten Zorn auf Verarmung und Ungleichheit
(finanziell wie sozial) in Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität um.

Diese Überzeugungen werden  zur Waffe für die Unterordnung von Frauen gemacht und setzen
strenge Geschlechterrollen durch, wodurch Frauen als „andere“ entmenschlicht
werden und die Notwendigkeit männlicher Autorität in einer typisch
rechtspopulistischen Strategie geschaffen wird. Die starre biblische
Machthierarchie des Autoritarismus schafft und fordert bedingungslosen
Gehorsam.

Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind nach diesen
Prinzipien geordnet: Ehefrauen unterwerfen sich den Ehemännern, Kinder den
Eltern, Gemeinden der Kirchenleitung, BürgerInnen dem Staat und alle Gott –
wobei Gott in der Regel der Kirchenleitung gleichgestellt wird.
Gleichberechtigung – und Klassen – gibt es in dieser Struktur nicht.

Mit Frauen am unteren Ende der Gesellschaft ist ihr geringes
Selbstwertgefühl garantiert. Da sie aufgrund ihrer angeborenen Unwürdigkeit
ständig auf Errettung angewiesen sind, lauert immer Scham und Schande.
Unverheiratet zu sein; kein Kind empfangen zu können; Sex außerhalb der Ehe zu
haben; eine Schwangerschaft abzubrechen; vergewaltigt zu werden; nicht so klug,
so fähig, so fleißig wie ein Mann zu sein, basiert auf dem Gefühl der Scham,
einer Schande, die durch den Willen Gottes erzwungen wird.

Sogar die Mehrheit der nicht-evangelikalen Frauen, die sich
nicht schämen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wissen, dass Stigma und
Geheimhaltung sie bedecken; sie wissen nie, wem sie es sicher sagen können. Das
ist der Einfluss, den diese Bewegung auf Teile der Gesellschaft ausübt und der
uns alle zu beherrschen versucht und bedroht.

Schlussfolgerungen

Der Aufstieg des christlichen politischen Evangelikalismus
ist im Grunde eine reaktionäre Bewegung in allen Definitionen des Wortes. Er
ist eine Reaktion der KapitalistInnenklasse auf den zunehmenden Kampf gegen die
immer strengeren Sparmaßnahmen, die notwendig sind, um das System am Laufen und
profitabel zu halten.

Für Teile der ArbeiterInnenklasse ist es eine Reaktion auf
die anhaltende Stagnation des senilen Kapitalismus, der die nicht zur herrschenden
Klasse gehörenden Menschen, vor allem die Frauen, wirtschaftlich, politisch und
sozial an Boden verlieren lässt. Das Fehlen einer revolutionären
sozialistischen Alternative zur Verbesserung dieser realen Bedingungen macht
die Religion noch attraktiver.

Sie spielt mit der Angst vor dem Tod und dem Mangel an
Lebenschancen. Wenn man nämlich keine Möglichkeit sieht, seine Stellung in
diesem Leben zu verbessern, kann man genauso gut auf das Leben nach dem Tod
setzen. Gleichzeitig bietet sie eine wirkungsvolle Alternative zur
einschmeichelnden geistigen Nahrung des Katholizismus und des
Mainstream-Protestantismus, die beide weder wirkliche Möglichkeiten zur
Veränderung des heutigen Status noch die emotionale Befriedigung eines
glühenden Glaubens an ein Paradies jenseits des Todes bieten.

Und obwohl alle Teile der ArbeiterInnenklasse für dieses
kapitalistische Gift bezahlen werden, sogar die Evangelikalen, werden die
Frauen am meisten blechen. Rechte werden beschnitten, der politische Einfluss
in der Gesellschaft wird eingeschränkt, das Selbstwertgefühl wird zerstört, und
die Vorbilder für Frauen werden auf Schmarotzerinnen wie JeanineÁñez, die
derzeitige Interimspräsidentin Boliviens, reduziert.

Viele der schlimmsten Gräueltaten der Geschichte wurden unter
dem Einfluss der Religion begangen. Eine bessere Welt ist möglich, aber sie
wird für Frauen und Männer nicht unter dem Deckmantel von Religion jeglicher
Art gefunden werden.

Das bedeutet nicht, dass wir als KommunistInnen die
Unterdrückung der Religion fordern; im Gegenteil, wir fordern die Freiheit der
Religionsausübung für alle – solange eine solche Praxis nicht die Freiheit der
anderen beeinträchtigt, weder innerhalb noch außerhalb der Sekte. Man braucht
nur die verzweifelte Notlage der UigurInnen in China oder der Minderheiten in
islamistischen Regimen zu betrachten, um zu sehen, dass religiöse Verfolgung
tatsächlich existiert – und in beide Richtungen zuschlägt.

Aber während die Religion auch
unterm Kapitalismus notwendiges Opium bleibt und einen Zufluchtsort für
Milliarden in einer feindlichen und grausamen Welt bietet, predigt sie die
Unterwerfung unter die bestehende Ordnung und lenkt die Sehnsucht nach einer
besseren Welt in ihr Gegenteil, die Unterstützung von Ausbeutung und
Unterdrückung, um. Wann und wo immer religiöse Institutionen in die irdische
Welt eingreifen, widersetzen wir uns mit Händen und Füßen.

Wir brauchen eine weltweite Einheit des Kampfes auf der
Grundlage der ArbeiterInnenklasse, um diese wachsende Bedrohung auf der ganzen
Welt zu bekämpfen, mit Frauen an der Frontlinie im Kampf gegen die besondere
Unterdrückung, der sie durch die evangelikale christliche Reaktion ausgesetzt sind
und sein werden.




Die Lage von Trans- und Inter-Personen

Nina Awarie, REVOLUTION Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den vergangenen Jahrzehnten wurden weltweit viele
juristische und gesellschaftliche Zugeständnisse seitens der Herrschenden
gemacht oder seitens der LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit
2017 beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile
Ehe zu schließen. Auch in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder
Südafrika können gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen
bürgerlichen Rechte wie Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene
formelle Akzeptanz nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von
Homosexualität im Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in
mehr als 70 Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen
eine Gefängnis- oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der
öffentlichen Wahrnehmung die rechtliche und soziale Lage von Inter- und
Trans-Menschen zu kurz.

Situation von Transgendern …

Der Begriff Transgender wurde vor allem von John F. Oliven
von der Columbia University in seiner Arbeit „Sexual Hygiene and Pathology“ aus
dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter gefasst als der der Transsexualität
und gleichzeitig auch zutreffender, denn bei Gender (sozialem/psychologischem
Geschlecht) handelt es sich natürlich um die Geschlechterrolle und nicht um das
biologische Geschlecht. Der Begriff Transgender schließt aber auch all
diejenigen mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich
noch eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 %
der Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies
hat vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch
teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die
erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in
Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender
einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen
Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles
Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu
nehmen.

Wenn man nun die rechtliche Situation von Trans-Personen
allein in Deutschland betrachtet, stößt man zunächst auf einen riesigen, kaum
zu durchblickenden Paragraphendschungel. Das liegt einerseits an dem großen
bürokratischen Aufwand im Falle einer Geschlechtsangleichung, andererseits an
den vielen juristischen Schwächen des Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat
1980 in Kraft, wurde aber im Laufe der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte
auf Beschwerden von Betroffenen hin vom Bundesverfassungsgericht für
verfassungswidrig erklärt wurden. Beispielsweise durften Personen unter 25
Jahren im ersten Entwurf des TSG weder eine Vornamensänderung („kleine Lösung“)
noch eine Personenstandsänderung („große Lösung“) durchführen. Auch ging das
TSG ursprünglich davon aus, dass alle Trans-Personen heterosexuell seien.
Folglich konnte die „kleine Lösung“, also die Vornamensänderung, vom
Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden, wenn die Person eine andere des
gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb von 300 Tagen nach der
Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten Forderungen des TSG an die
betroffenen Personen war aber der erforderliche Nachweis einer Sterilisation,
um den Personenstand ändern lassen zu können. Noch bis 2011 wurde das TSG auf
diese Weise umgesetzt und bis heute kann der Personenstand nicht rückwirkend,
also auch auf der Geburtsurkunde, geändert werden. Neben dem
Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ein
Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme verpflichtet.
Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen,
variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für
eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach
mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben“, der sie sich „zugehörig“
fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit“ von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor
dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht
angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern.
Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man deren Erlaubnis
und ist somit ihrer Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den
eigenen Körper wird also in allen Fällen massiv beschnitten.

… und Inter-Personen

Intersexuell sind Menschen, die weder dem biologisch
männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können.
Das kann genetische, anatomische und hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise
kommt jedes tausendste Kind intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum
heutigen Tag zwangsweise hormonell behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert
und für eine binäre Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem
Alter, in dem es unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw.
sich entwickeln würde.

Diese brutale Praxis geht auf die These des Psychologen John
Money aus den 1950er Jahren zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“
behauptete er, dass man Kinder zu Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn
man nur die körperlichen Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der
beiden Geschlechter angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die
Geschlechtsidentität von den körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und
viele der zwangsoperierten, intersexuellen Menschen lebenslang unter
Depressionen, körperlichen Schmerzen und Traumata zu leiden haben, hält sich
diese These in der Medizin teilweise noch heute. So heißt es in einem laut
Amnesty International erst 2013 neu aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen:
„Die operative Korrektur soll so früh durchgeführt werden, dass die Mädchen
sich später ihrer Intersexualität nicht erinnern, also im Säuglingsalter,
spätestens im zweiten bis dritten Lebensjahr.“

In Deutschland gab es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des
Personenstandsgesetzes. Diese beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem
weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine
solche Angabe in das Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale
Teile des Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von
einer „kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der
Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war
die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein
Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird
und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot
von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
gibt es bis heute nicht.

Zusammenhänge

Ob nun durch konservative Politiker_Innen, religiöse
Institutionen, Medien oder Werbung: Die Gesellschaft reproduziert tagtäglich
ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen Familie sind die Rollen klar
verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau
bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den
Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine
Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So
werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftverhältnisse der
Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse
unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis-
und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen
Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen
sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass
Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur
heterosexuelle Paare Kinder bekommen.

Auch wenn schon einige Errungenschaften erkämpft worden sind
und die gesellschaftliche Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten
Jahren leicht gestiegen ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen.
Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist
auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische
Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck
im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften
der LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz
der bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft
verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man
muss diesen reaktionären Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den
Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus
verbinden.

Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der
alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts
gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

  • Intersex vollständig legalisieren! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



Frauen in LGBTQ+-Zusammenhängen

Flora, REVOLUTION Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7,
März 2019

Innerhalb einer Gesellschaft, die von Unterdrückung und Ausbeutung
profitiert, erfahren Frauen viel Sexismus, von Alltagsdiskriminierung bis hin
zu gewalttätigen schweren frauenfeindlichen Übergriffen. Aber auch innerhalb verschiedener Gemeinschaften, die
sich der Diversität verschrieben haben wie z. B. der LGBTQ+-Community,
hören Sexismus und die Unterrepräsentation von Frauen nicht einfach auf. Auf
diese Problematik wird in diesem Artikel eingegangen.

Warum werden
Mitglieder der LGBTQ+-Community unterdrückt?

Im Kapitalismus wird das Idealbild der bürgerlichen
Kleinfamilie propagiert. Diese ist in Büchern, Filmen oder Werbung stets
präsent und auf gesetzlicher Ebene bevorteilt. Dies liegt daran, dass diese
Form der Familie mehrere Funktionen erfüllt. Während sie für die herrschende
Klasse die Weitergabe von Besitz durch Vererbung klärt, dient sie für die
Arbeiter*Innenklasse als Ort zur Reproduktion. Das ist für die Kapitalist*Innen
sehr günstig – denn sie müssen die Kosten für die Arbeit der Essenszubereitung,
beim Wäsche Waschen, der Kindererziehung oder auch der emotionalen Arbeit nicht
bezahlen. Die Rolle der Frau ist dabei sehr klar, sie kümmert sich um den
Nachwuchs und verrichtet unbezahlte Hausarbeit. Immer noch ist der Großteil der
in Teilzeit Beschäftigten Frauen und sie können somit nicht in finanzieller
Unabhängigkeit leben. Gerade durch diese Doppelbelastung ist es ihnen erschwert,
sich zu organisieren und Räume für sich einzunehmen. Angehörige der LGBTQ+-Community
werden deswegen abgelehnt, da sie dieses Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie objektiv
infrage stellen. Sie produzieren entweder keinen Nachwuchs und tragen so nicht
zur Systemerhaltung bei oder stellen durch ihr Zusammenleben die klassische geschlechtliche
Arbeitsteilung in Frage.

Doch wie
äußert sich diese Unterrepräsentierung?

In der Gesellschaft allgemein wird die weibliche Sexualität so
dargestellt, dass sie zur Befriedigung der männlichen Lust dient. Das führt
beispielsweise dazu, dass lesbische Orientierung nicht ernst genommen, nur als „Phase“ abgetan wird, während man
Bisexualität als „Plus“ für Männer darstellt. Darüber hinaus wird nicht wenigen jungen Mitgliedern der LGBTQ+-Community
abgesprochen, dass sie in jungen Jahren bereits über ihre Geschlechtsidentität
und zu wem sie sich hingezogen fühlen, Bescheid wissen können. Frauen hören
zudem nicht selten Aussagen wie, sie hätten ja nur noch nie richtig guten Sex
mit einem Mann gehabt, oder werden auf andere Arten sexualisiert. So ist es kein Wunder, dass es wenige Darstellungen
von homo- oder bisexuellen Frauen gibt. Beispielsweise zeigt die 2017
veröffentlichte Studie „Media, Diversity & Social Change Initiative“ der
USC Annenberg School for Communication and Journalism (Los Angeles), dass von
den 100 populärsten Filmen Hollywoods 2016, in denen 4.544 Charaktere
ausgewertet wurden, nur 51 (1,1 %) LGBTQ+- Charaktere waren. Von diesen
waren 36 schwule Männer, 9 Lesben und 6 bisexuell. Keine Transgenderperson kam
in diesen Filmen vor. Auch zu erwähnen ist, dass 79,1 % weißer Hautfarbe
waren und nur 20,9 % unterrepräsentierten Gruppen angehörten. Dies könnte
mitunter daher kommen, dass in dem Zeitraum von 9 Jahren, in denen die Studie geführt wurde, nur 4,1 % der
Produktionen von Regisseurinnen geleitet wurden. Das ist ein Grund warum immer
nur der männliche Blickwinkel auf die verschiedensten Themen gezeigt wird.
Daneben haben Produktion und Filmförderung kein Interesse daran, eine
authentische Repräsentation von diskriminierten Gruppen zu zeigen, weil sie
keinen profitablen Absatzmarkt darin sehen. Dies sind nur einige Zahlen aus der westlichen Filmindustrie. Ähnliche
Zahlen gibt es auch in der Kunst- und Musikszene. Besonders treffen diese mangelnden Darstellungen Transfrauen und Women of Colour. Ihnen wird der
Zugang zum Gesundheitssystem erschwert, teilweise sogar verwehrt. Auch in
vielen anderen Lebensbereichen werden sie diskriminiert und die Lebenserwartung
von zum Beispiel Transwomen of Colour in den USA wird auf 35 Jahre geschätzt.

Warum ist
das so?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind in unserer
Gesellschaft weiße, heterosexuelle Cismänner (also Menschen, die männlich
geboren wurden und sich auch so fühlen) privilegiert. Zwar erfahren Männer aus
der Arbeiter*Innenklasse Unterdrückung, da sie ihre Arbeitskraft verkaufen
müssen. Gleichzeitig haben sie es in vielen Punkten einfacher, da sie nicht von
anderen Diskriminierungen betroffen sind. So ist es kein Wunder, dass homo-
oder bisexuelle Männer in der LGBTQ+-Community ebenfalls präsenter sind, da
Unterdrückungsmechanismen nicht einfach verschwinden, nur weil man sich in
einer politischen Organisation oder einer Community befindet.

Wie mehr Gehör zu verschaffen?

Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass man in Organisationen
Strukturen und Mechanismen schaffen muss, die mit existierender Unterdrückung
umgehen. So ist das Caucusrecht eine Möglichkeit für gesellschaftlich
Unterdrückte, sich gesondert von der Organisation zu treffen, um Probleme und
politische Ideen in einem geschützteren Rahmen diskutieren zu können. In diesen
können auch LGBTQ*-spezifische Themen besprochen und ausgearbeitet werden.
Daneben bedarf es aber auch anderer Mittel wie quotierter Redner*Innenlisten
oder gezielter Förderung von Frauen durch Entlastung von technischen Aufgaben. Aber auch die Auseinandersetzung mit männlicher
Sozialisierung, tradierten Rollenbildern und einer kritischen Reflexion der
heteronormativen Zweierbeziehung gehört dazu. Aber nachdem sich die
Unterdrückung von Frauen auf den Kapitalismus und die historisch gewachsene
Rolle der Frau in der Familie zurückführen lässt, kann auch die
Unterrepräsentation von queeren Frauen nicht aus dem Kontext genommen und erst
recht nicht gelöst werden, ohne etwas an den Herrschaftsverhältnissen zu
ändern. Für die Befreiung der Frau ist die Zerschlagung der Vorherrschaft des
Mannes über Frauen, diese wird von patriarchalen Strukturen gestützt,
unabdingbar. Dies kann nur durch eine Revolution durch das Proletariat erreicht
werden, in der die Frauen in vorderster Reihe kämpfen. Denn letztlich kann nur
durch die Zerschlagung des kapitalistischen Systems und die Errichtung einer
klassenlosen Gesellschaft die komplette Befreiung aller unterdrückten Menschen
erreicht werden.

  • Für rechtliche und sonstige Gleichstellung sowie Freiheit der Ausübung aller Formen der Sexualität! Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung!
  • Zurückdrängung aller Formen von Rollenklischees, Diskriminierung und Ausgrenzung in der Jugend und innerhalb der Arbeiter_innenklasse! Für Caucusrechte von Unterdrückten und angemessene Aufklärung über LGBTQ+-Orientierung an Schulen, Unis und Betrieben!

LGBTQ+: Steht für Lesbian, Gay, Bisexuell, Trans und Queer. Das Plus symbolisiert alle Menschen, die sich mit keinem der genannten Begriffe identifizieren können, aber ein/e Teiler*In der Community sind, zum Beispiel Non-Binary oder Asexual.




Abseits bürgerlicher Geschlechternormen: Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

In den vergangenen Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70 Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis- oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation von Transgendern …

Der Begriff Transgender wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit „Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn bei Gender (sozialem / psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um Identität und nicht um Sexualität. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu nehmen.

Wenn man nun die rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel. Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden. Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder eine Vornamensänderung („kleine Lösung”) noch eine Personenstandsänderung („große Lösung”) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung”, also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden, wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können. Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen, variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben”, der sie sich „zugehörig” fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit” von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern. Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man die deren Erlaubnis und ist somit deren Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wird also -in allen Fällen, massiv beschnitten.

… und Inter-Personen

Intersexuell sind Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln würde.

Diese brutale Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten, intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten Lebensjahr.“

In Deutschland gab es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer „kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern gibt es bis heute nicht.

Was hat das Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie, die für den Kapitalismus besonders praktikabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen.

Auch wenn schon einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man muss diesen reaktionäre Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbinden.

Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

– Intersex ist eine Identität! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!

– Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!

– Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!

– Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!




Body Positivity: Webfeminismus oder revolutionäre Frauenbewegung?

Leonie Schmid, Revolution-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Der Druck auf Frauen, immer gut auszusehen, ist in unserer Gesellschaft wirklich sehr hoch: immer glänzende frisch gewaschene (am besten lange) Haare zu haben, möglichst keine Hautunreinheiten, am besten schlank, aber mit Rundungen und sportlich. Das Schönheitsideal dürfte jedem/r klar sein, der/die sich in sozialen Netzwerken, Geschäften oder auch Schulen herumtreibt. Das führt vor allem bei jungen Mädchen zu massiver Unsicherheit. „Wer schön sein will, muss leiden“, wird hier wörtlich genommen: ob es sich nun darum handelt, bei -10 °C in Minirock und Feinstrumpfhosen in die Schule zu gehen oder um Mitternacht Sit-ups zu machen, um den perfekten Bauch zu bekommen, sich schmerzhaft die Beine zu enthaaren oder nicht ungeschminkt das Haus verlassen zu können. Sich stetig unsicher in seinem Körper zu fühlen, immer hübsch aussehen zu wollen, ist Standard. Was mit Verunsicherung anfängt, kann in mitunter tödlichen Essstörungen enden.

Was ist Body Positivity überhaupt?

Eine Antwort des neueren Feminismus darauf ist Body Positivity. Es handelt sich hierbei um eine Bewegung, die vor allem im Internet sehr erfolgreich ist und Frauen dazu auffordert, sich radikal selbst zu lieben mit all ihren vermeintlichen Makeln und gegen die westlichen Schönheitsideale anzukämpfen. Viele posten Bilder, schreiben Texte und unterstützen sich gegenseitig. In erster Linie ist das eine gute Sache. Sich nicht für seinen Körper zu schämen und dem ständigen Druck, gut aussehen zu müssen, den Kampf anzusagen, ist wichtig.

Leider gibt es ein Problem: Es entsteht ein bisschen das Gefühl, dass jede/r für sich selbst verantwortlich ist und zuallererst selbstbewusst sein muss, bevor der Rest der Gesellschaft einen akzeptiert. Dabei ist der gefühlte Zwang zum Schönheitsideal nichts, was in den eigenen 4 Wänden geklärt werden und simpel wegkonstruiert kann, sondern die Frage muss gesamtgesellschaftlich geregelt werden. Schließlich wird uns Tag für Tag so eingeredet und subtil vermittelt, wie unser Körper eigentlich aussehen soll. Natürlich ist es nett, wenn sich einige Stars auch mal ungeschminkt oder mit Cellulite („Orangenhaut“) zeigen, gar unretuschiert veröffentlicht werden oder Werbekampagnen immer diverser ausfallen. Aber wenn man sich anschaut, wem Fitness und Beautywahn zugutekommen, weiß man, dass ein bisschen Öffentlichkeit, ein paar Likes und Beiträge auch nicht so schnell dazu führen werden, dass die Schönheitsstandards werden verschwinden können. Denn der Profit, der mit Diätpillen, Rasierapparaten, Make-up und Frauenmagazinen, die dazu raten, gemacht wird, lässt sich längst nicht aufwiegen mit diverser, nicht-sexistischer Werbung, die auch trotzdem nur dem Kapital nützt.

Sich selbst zu lieben reicht nicht

Wir unterstützen das Konzept von Body Positivity. Es sollte allen Frauen ermöglichen, ihren Körper bedingungslos zu lieben und nur, wenn sie es von sich aus wollen, ihn zu verändern, auf welche Weise auch immer. Es ist auch wichtig, eine Plattform zu schaffen, zu sehen, dass man nicht alleine mit seinen Zweifeln ist und dem Rest der Welt, der weiterhin unrealistische Beautystandards vertritt, klarzumachen, dass man sich das nicht gefallen lassen muss und soll. Denn gerade für jüngere Mädchen ist es wichtig, Vorbilder zu haben, die nicht die unerreichbare Perfektion des weiblichen, schlanken, weißen Körpers darstellen, sondern einfach „normal“ aussehen. Doch die Gründe für Body Shaming sind trotzdem nicht verschwunden, nur weil man plötzlich selbstbewusster geworden ist. Die gesellschaftlichen Schönheitsideale, der Anspruch an Frauen, immer gut auszusehen und am besten jedem/r zu gefallen, sind Produkte von Frauenunterdrückung, die mit dem Kapitalismus verwoben ist. Kurz gesagt, die Objektifizierung von Frauen liegt in seinen Gesellschafts-, v. a. aber Eigentumsverhältnissen begründet. Sie ist eine Methode, um Frauen zu unterdrücken, sie klein zu halten und auszubeuten. Dahinter steckt die Idee, dass es die Aufgabe der Frau ist, schön zu sein und dem Mann zu gefallen. Dies festigt die Rollenbilder und letzten Endes auch die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb der bürgerlichen Familie. Diese hat im Kapitalismus die Aufgabe für die herrschende Klasse, ihr Eigentum weiterzuvererben, für die Arbeiter_Innklasse hingegen ist sie Fessel und Ruheort zugleich. Denn im Kapitalismus ist sie der einzige Ort, wo ihre Arbeitskraft reproduziert wird, was zwar positiv ist, aber zu einer Doppelbelastung gerade von Frauen führt. Zusätzlich wird in dieser Familie ebenso das patriarchale, christliche Rollenbild weiter gelebt, die Unterwerfung der Frau. In allen Klassengesellschaften waren Frauen unterdrückt. Es kann sich nur etwas grundlegend an Sexismus und sexueller Unterdrückung ändern, wenn es eine klassenlose Gesellschaft gibt!

Was ist zu tun?

Statt also das Problem nur auf das Selbstwertgefühl einzelner Frauen zu reduzieren, muss das Problem von einer organisierten Arbeiter_innen und Frauenbewegung angepackt werden! Zwar kann Frauenunterdrückung erst vollständig in einer befreiten Gesellschaft abgeschafft werden, dennoch heißt das nicht , dass es bis dahin keine Möglichkeit geben kann, gegen Sexismus vorzugehen. Body Positivity ist begrüßenswert, aber damit sich für alle etwas verändert, müssen wir auch dafür kämpfen, die großen Medienhäuser zu enteignen, um Werbung & Co. unter Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen. Daneben bedarf es der Caucusrechte (auf geschlossene Treffen, ungestört unter sich bleiben zu dürfen) in den Organisationen der Arbeiter_Innenklasse wie den Gewerkschaften, wo Frauen sich treffen können, um ihre Erfahrungen mit Sexismus zu thematisieren. Ergänzend dazu bedarf es auch antisexistischer Strukturen, die Männer dazu verpflichten, ihr Verhalten zu hinterfragen und sich mit den Rollenbildern auseinanderzusetzen. Dabei dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Der Kampf gegen sexistische Rollenbilder ist auch ein Kampf gegen sexuelle Gewalt, ungleiche Bezahlung und muss auch mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden!

– Gegen unterdrückerische Schönheitsideale in Werbung und Medien! Enteignet die großen Medienhäuser und die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen,..)! Für organisierte Medienarbeit durch Räte aus Zuschauer_Innen, Arbeiter_Innen und Kreative ohne die Reproduktion von Unterdrückung!

– Für einen selbstbestimmten, offenen Umgang mit dem eigenen Körper: Der weibliche Körper darf nicht einerseits tabuisiert und andererseits sexualisiert werden!




Verhütungsmittel – Gutes Geschäft zu Lasten der Gesundheit

Leonie Schmidt, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Als die Antibabypille im letzten Jahrhundert entwickelt wurde, galt sie manchen als Zeichen der (damaligen) sog. sexuellen Revolution und der Emanzipation der Frauen. Endlich waren sie in der Lage, selbstbestimmt zu entscheiden, ob und wann sie schwanger werden möchten. Und nach wie vor handelt es sich bei der Antibabypille um das sicherste Verhütungsmittel, lediglich 1-9 von 1000 Frauen werden ungewollt schwanger. Auch der mittlerweile freie Zugang zur „Pille danach“ ermöglicht Frauen mehr Selbstbestimmung. Allerdings sind solche Präparate recht teuer und oft fehlen die finanziellen Möglichkeiten zu ihrem Erwerb. Zudem wurde mit der Zeit klar, dass es nicht ungefährlich ist, in den Hormonhaushalt einzugreifen und diesen maßgeblich zu beeinflussen. Auch die Risiken wie z. B. die Thrombosegefahr und die Gefahr für Lungenembolien oder Schlaganfall wurden bekannt, nachdem weiter an den Antibabypillen geforscht wurde. Diese Erkrankungen können Frauen das Leben kosten oder erschweren und stark verkürzen z. B. durch Lähmungen oder Lungenbeschwerden und andauernde Schmerzen. Ebenso können Depressionen auftreten oder Störungen des Wasserhaushalts, da Hormonpräparate auch diesen stark beeinflussen.

Die Antibabypille – mittlerweile ein Lifestyleprodukt

Mittlerweile ist bei den Pillen der 3. und 4. Generation, also den „neuen Pillen“, die ca. seit den 2000ern auf dem Markt sind, die Thrombosegefahr im Vergleich zu „älteren“ Antibabypillen der 1. und 2. Generation um das Zweifache erhöht und die Gefahr, an einer Lungenembolie zu erkranken, um das Doppelte angestiegen. Das liegt unter anderem an einem neuwertigen Inhaltsstoff, dem Gestagen Drospirenon. Dieser soll nicht nur zur Verhütung beitragen, sondern auch das Hautbild verbessern, die Haare zum Glänzen bringen und vor erhöhter Gewichtszunahme schützen. Ein Lifestyleprodukt also, welches auch als solches vermarktet wird. Dieser Marketingansatz ist typisch für die Pharmaindustrie, die stetig versucht, neue Anwendungsmöglichkeiten für Medikamente zu finden. Um besonders junge Frauen als Zielgruppe anzusprechen, werden die jeweiligen Packungen gerne mit Blümchen versehen oder ein Schlüsselanhänger beigelegt. Es soll vermittelt werden, dass die Pille „dein guter Freund“ sei, der neben der Verhütung auch noch ein besseres Aussehen verspricht. Daher kommt es mittlerweile auch schon dazu, dass die Antibabypille jungen Mädchen verschrieben wird, und zwar nicht etwa aufgrund der Verhütung, sondern weil sie unter starker Akne leiden. Auch zur Behandlung/Vorbeugung von sehr starken Regelschmerzen werden diese Präparate gerne von Frauenärzt_Innen empfohlen.

Wissenschaftler_Innen aber sagen, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Wirkstoff wirklich zur Behandlung der o. g. „Schönheitsprobleme“ geeignet ist. Er wurde nämlich nicht als solcher entwickelt, sondern erst von den Marketingfirmen der Pharmawelt zum neuen Wundermittel jeglicher weiblicher „Schönheitsprobleme“ erklärt.

Das Problem liegt nicht nur bei den hohen Risiken und der Vermarktung, sondern auch darin, dass auf jegliche gute Aufklärung fast vollständig verzichtet wird. Weder Frauenärzt_Innen noch Pharmakonzerne klären ausreichend über die risikoreichen Pillen auf.

Oder, wie im Fall Bayer, deren Antibabypillen Yaz, Yasminelle und Yasmin mittlerweile ca. 190 Frauen das Leben gekostet haben, werden Studien, die die Risiken und Gefahren gezielt nachweisen können, ignoriert, dementiert oder gegebenenfalls werden eigene erstellt, die die erhöhte Thrombosegefahr nur in Zusammenhang mit sportlicher (In-)Aktivität, Rauchen und Übergewicht darstellen. In den Beipackzetteln war eine erhöhte Thrombosegefahr zwar erwähnt, aber es wurden keine Vergleichswerte bezüglich des Risikos gegenüber anderen Pillenpräparaten angegeben. Dies wurde erst im Jahre 2010 von Bayer ergänzt.

Betroffene haben aber den Kampf gegen Bayer angekündigt. Der Konzern soll nun auch in Deutschland verklagt werden. In den USA, wo das Konzept der Sammelklage durchgesetzt wurde, hat Bayer bereits außergerichtlich 1,9 Milliarden Dollar an betroffene Frauen oder Verwandte der Verstorbenen gezahlt. Die Fälle wurden außergerichtlich geklärt, da Bayer andernfalls die gesamten Dokumente hinsichtlich Studien der drospirenonhaltigen Antibabypille für die Gerichte und die Weltbevölkerung öffentlich machen müsste. Das könnte auch ein Hinweis sein, dass dem Konzern sehr wohl bewusst ist, wie gefährlich die kleinen runden Tabletten sind. Auch ein Verbot wäre für Bayer mehr als ungünstig: Der Jahresumsatz für diese Antibabypillen liegt bei ca. 770 Millionen Euro!

Warum gibt es eigentlich keine Pille für den Mann?

Es gibt zwar mittlerweile Präparate, die Männer einnehmen könnten bzw. ihnen injiziert werden, um die Spermienproduktion vorübergehend einzustellen und die mit 96 % Wahrscheinlichkeit verhüten, jedoch wurde die Forschung an rund 300 Männern eingestellt, da 20 von ihnen die Studie vorzeitig abbrachen. Die Gründe waren Depressionen, Akne, Gewichtszunahme, verringerte Libido und Muskelschmerzen. Aber ähnliche Symptome erleiden auch viele Frauen weltweit, wenn sie hormonelle Verhütungsmittel nutzen, dazu kommen die bereits erwähnten Krankheitsrisiken, die bei Männern bis jetzt nicht beobachtet wurden. Ein Komitee entschied nach der Entdeckung der Nebenwirkungen aber, dass die Effekte zu schwerwiegend seien. Und das, obwohl 75 % der Männer trotzdem weiter mit diesem Präparat verhüten wollten.

Ein wichtiges Ziel der damaligen feministischen Bewegung war Verhütung als Mittel zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dies könnte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die Pille nur an Frauen getestet und keine weitere Forschung für Männer als notwendig empfunden wurde. Aber anscheinend hat sich das nicht wirklich geändert. Es ist immer noch so, dass viele Frauen die Antibabypille einnehmen und die gesundheitlichen Risiken tragen, nur damit ihr Partner sich keine Gedanken über die ungewollte Schwangerschaft mit (und ohne) Kondom machen muss. Verhütung sollte aber die Aufgabe von beiden, also von Mann und Frau, sein. Dies bedeutet demnach auch, dass beide Partner für die Sicherstellung der Verhütung sorgen müssen.

Wie weiter?

Es ist untragbar, dass Konzerne wie Bayer aufgrund von Profitgier gefährliche Medikamente verkaufen! Das Ziel sollte aber nicht sein, die Antibabypille abzuschaffen, sondern über Nutzen und Risiken kostenlos und ohne Verkaufsdruck vollständig aufzuklären und neue, sichere und unschädlichere Verhütungsalternativen zu entwickeln. Dafür müssen aber auch Pharmaunternehmen enteignet und die Produktion der Verhütungsmittel unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden.

Es darf weder eine profitorientierte Forschung von Arzneimitteln geben noch eine Vermarktung von Medikamenten mit schweren und vielfältigen Nebenwirkungen als Lifestyleprodukt.

Ebenso fordern wir eine verstärkte Forschung nach alternativen Präparaten für Regelbeschwerden und -schmerzen.

Des Weiteren muss auch die Alternative der hormonellen Verhütung für den Mann weiter untersucht und getestet werden. Verhütung sollte auf keinen Fall die alleinige Aufgabe der Frau sein.

Eine weitere wichtige Forderung muss auch sein, die Verhütung stärker auch auf nichthormonelle Methoden für beide auszurichten.

Kostenloser Zugang für Verhütungsmittel und „Pille danach“ für beide Partner!

Gegen jeden Sexismus und sexuelle Unterdrückung in Gesellschaft, Medizin und Partnerschaft!

Gegen profitorientierte Forschung! Schluss mit den Geschäften zu Lasten unserer Gesundheit! Für eine Verstaatlichung der Pharmaindustrie und Forschung nach den Bedürfnissen aller!




Kinder, Küche, Kirche – plus Karriere

Veronika Schulz,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Die Position der AfD zur Rolle der Frau in der Gesellschaft hat nicht nur Ähnlichkeit mit den Programmen anderer konservativer Kräfte, sondern weist darüber hinaus unverkennbare Parallelen zur Haltung der Nationalsozialisten auf. Insbesondere seit der Spaltung der Partei 2015 treten sowohl ihre reaktionären wie auch rassistischen Positionen deutlicher hervor.

Reaktionäre Politik zur Festigung von Unterdrückung

Besonders entschieden spricht sich die AfD gegen das sogenannte „Gender Mainstreaming“ aus, welches zum Ziel hat, bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen zu berücksichtigen, um auf diese Weise die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. Die AfD erhebt den Vorwurf, dass dieses Vorgehen auf eine nicht erwünschte „Aufhebung der Geschlechteridentitäten zielt“ (1). Die Kritik richtet sich dabei vornehmlich gegen SPD und Grüne, die während ihrer Regierungszeit eine „ideologisch gesteuerte Verzerrung der Geschlechterrollen“ betrieben und damit ihre Kompetenzen deutlich überschritten hätten, da staatliche Eingriffe in diesen Bereichen zu unterlassen seien. Die Ablehnung der als bedrohlich eingestuften „Gender-Ideologie“ beweist, dass es der AfD mit ihrer angestrebten Politik keineswegs um eine tatsächliche Gleichberechtigung aller Menschen geht, weder von Mann und Frau geschweige denn von Personen, die sich nicht in diese Dichotomie einordnen können oder wollen. Ganz im Gegenteil vertritt die AfD eine Auffassung, wonach Frauen eine „natürliche Rolle“ ihrem „Wesen“ gemäß zugeschrieben werden kann. Frauen haben demnach andersartige Fähigkeiten als Männer. Diese Gemeinsamkeit mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten formuliert die Partei in ihrem Programm wie folgt: „Die AfD strebt die Gleichberechtigung der Geschlechter unter Anerkennung ihrer unterschiedlichen Identitäten, sozialen Rollen und Lebenssituationen an.“ (2) Dieses reaktionäre Frauenbild reproduziert die vermeintlich „unterschiedlichen Identitäten“ der Geschlechter und weist emanzipatorische Bestrebungen der Frau in ihre „natürlichen“ Schranken. Väter, die sich an Haushaltsführung oder Kindererziehung beteiligen, und das vielleicht sogar gerne, kommen in der gartenzwerg-behüteten AfD-Welt nicht vor. Das einzig „progressive“ Element der Frauenversteher in der AfD ist das Zugeständnis, dass Frauen nicht mehr ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter reduziert werden, gibt es doch mittlerweile auch viele bewusst Kinderlose. Daher beschränkt sich der weibliche Wirkungskreis nicht auf „Kinder, Küche, Kirche“. Mindestens genauso wichtig ist nun die Vereinbarkeit dieser „genuinen Pflichten“ einer Frau mit ihrer Rolle in der Arbeitswelt – die „Karriere“ kommt also noch hinzu. Die Frau dient somit als Stütze sowohl ihres Mannes als auch der Gesellschaft, da sie in der Familie unbezahlte und in der Arbeitswelt häufig prekäre und schlecht bezahlte Tätigkeiten verrichtet, die den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft aufrechterhalten. Auch hier findet sich eine weitere Parallele zur Politik der Nationalsozialisten, war diesen doch jede Frau recht, wenn es um lohngünstige Kriegsproduktion ging und männliche Arbeiter rar wurden.

Ginge es nach den familienpolitischen „Vordenkern“ der AfD, sollte jede – wohlgemerkt deutsche und gut ausgebildete – Frau (mindestens) drei Kinder haben. Dieses Ideal der „Drei-Kinder-Familie“ klammert wie selbstverständlich homosexuelle Paare aus und erhebt die heterosexuelle Ehe zum Leitbild. Als Begründung für diesen Appell an den Fortpflanzungswillen deutscher Frauen führt die AfD in ihrer Argumentation die leeren Sozialkassen ins Feld, die auf diese Weise stabilisiert werden sollen. Der in die Jahre gekommene Begriff des „Generationenvertrages“ wird dabei von der Partei bemüht, um ihre Fokussierung auf die Zukunftsgestaltung Deutschlands und somit eine Politik zu legitimieren, die scheinbar an langfristigen Zielen orientiert ist. Dies drückt sich auch in der Forderung nach stärkerer Berücksichtigung von Kindern bei der Rentenberechnung aus (3). Gleichzeitig lehnt die AfD, wie mittlerweile durchaus auch von konservativ-wirtschaftsnahen Kreisen der Unionsparteien gefordert, Zuwanderung zum Zweck der Stabilisierung der „sozialen Sicherungssysteme“ entschieden ab.

Exklusion von LGBTIA-Menschen

Auch im Hinblick auf die Rechte von LGBTIA-Menschen ist das Programm der AfD von einer Politik der Exklusion gekennzeichnet. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2014. LGBTIA-Menschen kommen wenn, dann nur in stereotypisierter und negativer Weise im Programm der AfD vor und sind als Minderheiten den Angriffen der Partei ausgesetzt. Der Themenbereich Sexualität wird ideologisch sowie moralisch aufgeladen, während die AfD gleichsam vor „ideologischer Umerziehung“ von Kindern warnt. Verschwörungstheoretisch tritt sie dabei dem sogenannten Bildungsplan in Baden-Württemberg entgegen: „In dem Falle wird davon ausgegangen, dass ein systematisches ,Umerziehungsprogramm‘ ins Werk gesetzt worden sei, wo es in Wirklichkeit um die weithin akzeptierte Selbstverständlichkeit geht, vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten Akzeptanz zu verschaffen.“ (4) Die Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung verdeutlicht, dass die Diskriminierung von LGBTIA-Menschen aus Sicht der AfD legitim ist, da für diese Gruppe(n) Rechte abgeleitet würden, die das Grundgesetz lediglich für Ehe und Familie vorsieht (5). Auch einer „Sexualisierung der Gesellschaft“ (6) soll Einhalt geboten werden, wobei man sich bei allgegenwärtiger sexistischer Werbung durchaus die Frage stellt, inwiefern diese nicht bereits an der Tagesordnung ist.

Rassenideologie/Bildungsrassismus

Auch gegen AusländerInnen und Geflüchtete geht die Partei seit ihrer Abspaltung von den „Euro-Skeptikern“ 2015, wie bereits erwähnt, offensiver vor. Passenderweise wünscht sich die AfD deshalb eine Vermehrung des (deutschen) Volkes, geht jedoch sogar einen Schritt weiter als die nationalsozialistische Rassenideologie. Vorrangig gut ausgebildete Frauen bzw. Paare sollen für den deutschen Nachwuchs sorgen, wohingegen eine „unkontrollierte Vermehrung“ von Arbeitslosen oder MigrantInnen abgelehnt wird. Familien der bürgerlichen Elite und akademischen Mittelschicht sollen Kinder bekommen, da die AfD von einer „natürlichen Begabung“ der Menschen ausgeht, die sich von den gebildeten Eltern auf ihre Kinder überträgt, im Falle der „nichtsnutzigen Schmarotzer“ eben nicht. Diese Haltung ist Bildungsrassismus in widerwärtigster Form, der die bestehende Chancenungleichheit nicht nur leugnet, sondern zugunsten einer vermeintlich evolutionären Vorbestimmung sogar begrüßt.

Abtreibung

Eine ebenso konservative wie moralisierende Auffassung lässt sich in der Position der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) zum Thema Abtreibung finden. Die JA spricht sich für den Schutz ungeborenen Lebens aus und behauptet, die aktuelle Rechtslage berücksichtige ausschließlich den Willen der Mutter. Dies ist zum einen nicht korrekt, da in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche weiterhin illegal, wenn auch nach verpflichtender Beratung straffrei, bleiben. Zum anderen zäumt die AfD-Jugend mit der Forderung nach „Abtreibung nur bei triftigen Gründen“ (7) das Pferd von hinten auf: Eine kindgerechte und familienfreundlichere Gesellschaft kann keinesfalls durch staatliche Verbote und Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit von Frauen geschaffen werden. Im Gegenteil, erst die Abschaffung bestehender Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Systems und bürgerlichen Staates sind, eröffnet Frauen (und auch Männern) die Möglichkeit einer Familienplanung frei von materiellen Abwägungen. Die fehlerhafte Denkweise der JA äußert sich auch in folgender Forderung: „In jedem Fall muss der Staat das materielle und seelische Wohlbefinden von Schwangeren, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch droht, sicherstellen und dazu ermuntern, die Schwangerschaft fortzusetzen.“ (8) Dadurch wird die Doppelmoral konservativer Argumentation, die auf Moral und Menschenwürde basiert, offenkundig: Während einer Schwangerschaft gilt das ungeborene Leben als ultimativ schützenswert und wird über die Belange der Mutter gestellt, nach Geburt des Kindes ist die Frau jedoch auf sich allein gestellt und kann sehen, wo sie und das Kind bleiben. Das herangewachsene Kind darf später dann den „Schutz des Lebens“ in Kriegen des deutschen Imperialismus an der Front am eigenen Leib erfahren. Passend dazu stellt die AfD „Elternverantwortung für den Werdegang ihrer Kinder“ (9) in den Vordergrund ihrer Familienpolitik. Die Forderung danach, dass „jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (10) haben soll, ändert noch lange nichts an der Realität und ist verkürzt auf rein materielle Hilfeleistungen. Genau an dieser Stelle wird die familienpolitische Position der AfD zur Klassenfrage: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist aktuell insbesondere für prekär Beschäftigte nicht gegeben, während sich gut situierte „Idealfamilien“ aus (zumeist) männlichem Alleinverdiener und liebender Hausfrau und Mutter darüber weniger Gedanken machen müssen. Und auch für Paare mit mittleren Einkommen sind die vorhandenen Betreuungsangebote durch – wenn auch unzureichende – finanzielle Unterstützung des Staates zumindest erschwinglich. Doch allein durch weiteren Kita-Ausbau oder finanzielle Anreize lässt sich keine Geschlechtergleichheit erzeugen. Insofern bringt es die Programmatik der AfD auf den Punkt, wenn sie zugesteht: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“(11) Da es elterliche Pflicht ist und bleiben soll, sich um die eigenen Kinder zu kümmern, wird das propagierte Idealbild einer intakten Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kindern gestärkt und reproduziert.

Keimzelle

Eine solche Darstellung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei der Union zuhauf. Die dargestellte Haltung der JA zum Thema Abtreibung offenbart allerdings, worum es der Partei und ihrer Jugend in Wirklichkeit geht: die Familie als Ort unbezahlter Reproduktionsarbeit, in Form von Kindererziehung und Altenpflege. Diese Sichtweise versperrt sich gegen den gesamtgesellschaftlichen Auftrag, sich um derartige Arbeiten zu kümmern. Aus einer fortschrittlichen sozialistischen Perspektive kann also nur die Vergesellschaftung dieser unbezahlten Erziehungs- und Pflegearbeit die Antwort sein. Dies bezieht explizit die Männer bzw. Väter sowie die Gesellschaft als Ganzes mit ein, da es sich bei Erziehung, Pflege und sonstiger Reproduktionsarbeit wie Kochen und Waschen um gemeinschaftliche Aufgaben handelt. Ausgerechnet die Einbettung dieser Arbeiten in die private Sphäre kann zu Isolation und Konflikten führen. Die Kernfamilie, die auch die AfD nicht müde wird als Ideal zu verklären, ist somit nicht automatisch ein Hort von Liebe und Glückseligkeit. Im Gegenteil, in dieser gewissermaßen sakrosankten Institution ist die Unterdrückung der Schwächeren um ein Vielfaches erleichtert. Körperliche, psychische und sexuelle Gewalt werden innerhalb der Familie abgeschottet von der gesellschaftlichen Wahrnehmung ermöglicht. Durch materielle Abhängigkeit beispielsweise der Frau von ihrem Mann ist ein Durchbrechen dieses Mechanismus nicht ohne weiteres möglich, dazu kommen Scham und Tabuisierung. Die idealisierte Familie wird auf diese Weise häufig zur „Keimzelle“ von Gewalt und Unterdrückung.

Refugee-Thematik

Die moralische Heuchelei der AfD im Hinblick auf eine kinder- und elternfreundliche Gesellschaft tritt auch bei der Refugee-Thematik offen zutage. Die jüngste Debatte offenbart auf erschreckende Weise die menschenverachtende Position der AfD-Parteiführung. Petry und von Storch, zentrale Führungsfiguren der Partei, stehen ihren männlichen Kollegen in nichts nach, wenn sie nach mehr „Law and Order“ rufen und sich für die Option eines Schießbefehls an deutschen Grenzen aussprechen. Hier wird auf zynische Art überdeutlich, dass es der AfD nicht um „Frauen“ und „Kinder“ im Allgemeinen oder ein „kinderfreundliches Deutschland“ im Speziellen geht, sondern bei allen Forderungen der AfD deutsche Frauen und deutsche Kinder gemeint sind. Trotz mehrfacher, hilfloser Distanzierungsversuche kann diese Position der AfD-Führung als stellvertretend für die gesamte Politik der Partei betrachtet werden. Die Standortsicherung Deutschlands als Wirtschaftswunderland innerhalb der EU und damit verbundene neoliberale Reformen stehen an vorderster Stelle, während soziale Programme, wenn überhaupt, nur für BürgerInnen mit deutschem Pass Verbesserungen bringen sollen. Alle anderen, die sich nicht auf deutsche Abstammung oder wirtschaftlich verwertbare Ausbildung berufen können, sollen doch bitte woanders als im gelobten Deutschland ihr Glück suchen, geht es nach der AfD.

Neoliberale Politik

Insofern wird mehr als deutlich, dass die AfD eine neoliberale Politik für das gehobene Kleinbürgertum vertritt, die jedoch den Interessen der Mehrzahl der Lohnabhängigen zuwiderläuft. Das damit verbundene Heilsversprechen zur Stabilisierung der Sozialsysteme wird sich ebenso als Illusion erweisen wie die Prognose, wonach durch die Programmatik der AfD prekäre Beschäftigung für AkademikerInnen wegfallen wird, im Gegenteil. Auch bei der Politik, für die die AfD steht, erfolgt weiterhin ungebremst eine Umverteilung von unten nach oben.

Die Idee, wonach Deutschland durch gesetzgeberische Maßnahmen „kinder- und familienfreundlicher“ (12) werden könne, muss aus marxistischer Sicht ebenso abgelehnt werden wie das ausschließliche Vertrauen auf das bereits beschriebene „Gender Mainstreaming“. Es ist nichts anderes als eine Illusion, Geschlechterrollen und Gleichstellung von Frauen und Männern auf bürokratische Weise herstellen zu wollen. Der bürgerliche Staatsapparat greift auf gesetzliche Regelungen und Verordnungen zurück, wodurch er die Frauenfrage allerdings nicht lösen wird, solange kein wirklicher Abbau von sexueller Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung geschieht. Daher ist eine materielle Einebnung von Geschlechtsunterschieden notwendig. Ebenso kann aus marxistischer Perspektive nur durch Vergesellschaftung häuslicher Tätigkeiten zu einer offenen, kinderfreundlichen Gemeinschaft beigetragen werden.

Die Antwort auf die geschilderten Hirngespinste reaktionärer Kräfte, die durchaus alles andere sind als ein Haufen verirrter Spinner, liegt nicht in individuellen, „emanzipierten Lebensentwürfen“, die einer solchen Politik entgegengehalten werden. Vielmehr bedarf es einer proletarischen Frauenbewegung, die organisiert und entschieden für Frauenbefreiung, für die Überwindung der patriarchalen bürgerlichen Gesellschaft und gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem eintritt. Nur durch die Befreiung der Frauen kann die ArbeiterInnenklasse als Ganze ihre Interessen verwirklichen, nur durch den Sozialismus können Gleichberechtigung von Frauen und LGBTIA-Menschen erreicht und Unterdrückung überwunden werden!

Endnoten

(1)  Alternative für Deutschland (AfD): Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/fragen-und-antworten/bildung-und-gleichstellung/

(2)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(3)  AfD: Programmatik & Leitlinien (2013), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/programmatik/

(4)  Korsch, Felix/Wölk, Volkmar: Nationalkonservativ und marktradikal. Eine politische Einordnung der „Alternative für Deutschland“, 2. aktual. u. erw. Aufl. 2014. Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, S. 8

(5)  Vgl. Korsch, Felix/Wölk, Volkmar (2014): S. 3

(6)  Junge Alternative für Deutschland (JA): Programmatik (2014), online unter https://www.jungealternative.com/info/programmatik/

(7) JA: Programmatik (2014).

(8)  JA: Programmatik (2014).

(9)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(10) JA: Programmatik (2014).

(11) JA: Programmatik (2014).

(12) AfD: Programmatik & Leitlinien (2013).




Homophobie, gibt’s das überhaupt noch hier?

Jaqueline Katherina Singh,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Alltag wird „schwul“ mal schnell als Synonym für „Scheiße“ genutzt oder gerne als Beleidigung geäußert, wenn sich ein Mann nicht seinem Stereotyp entsprechend verhält. Das „Coming Out“ Vieler wird belächelt und als Phase abgetan. Oder schlimmer: Freunde wenden sich ab, Mitschüler_innen wollen nicht, dass man sich im Sportunterricht in der gleichen Umkleidekabine umzieht und Eltern fangen an zu weinen, wenn man ihnen davon erzählt, und versuchen, es vor den Verwandten zu vertuschen. Auch Kolleg_innen, die gegen das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren wettern oder der Trans-Frau aus der anderen Abteilung abwertende Blicke zuwerfen, während sie hinterrücks abfällige Kommentare von sich geben, sind keine bloßen Einzelfälle. Es sind Beispiele, die den Alltag vieler Menschen beschreiben.

„Warum müssen die sich so zur Schau stellen? Niemand hat was gegen Schwule und Lesben“, tönt es von den Stammtischen. Dass dem nicht so ist, zeigt das Projekt Maneo. Die Berliner Initiative erfasst Gewalttaten gegen LGBTIA im Berliner Raum. Im Jahr 2014 hat sie 500 Fälle registriert, die in Zusammenhang mit Homophobie stehen. Die Dunkelziffer ist aber höher, denn ähnlich wie bei rassistischen und sexistischen Übergriffen werden die meisten Beleidigungen oder Übergriffe nicht gemeldet. Wenn doch, werden sie meistens nicht von der Polizei anerkannt und als solche registriert.

Auch die sogenannten „Demo für Alle“-Proteste zeigen auf, dass das Abweichen von der Heterosexualität noch lange nicht zur großen Selbstverständlichkeit geworden ist. Als man in Baden-Württemberg 2014 Homo- und Transsexualität  in den Lehrplan des Biologieunterrichtes  integrieren wollte, sind  „besorgte Eltern“ unter dem fadenscheinigen Titel „Demo für Alle! Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ auf die Straße gegangen – natürlich nur, um ihre Kinder zu schützen.

Sicher ist, dass Homo- und Bisexualität akzeptierter sind als vor einigen Jahrzehnten, während man von Trans-, Inter- und Asexualität (oder sogenannten „Randgruppen“) lieber nicht spricht. Festhalten kann man allerdings auch, dass Aufklärungsprogramme an einzelnen Schulen oder Kampagnen nicht gereicht haben, um LGBTIA-Feindlichkeit vollkommen aus der Gesellschaft zu löschen. Ablehnung und Gewalt sind keine Einzelerfahrungen. Woran liegt das?

Angriff auf die bürgerliche Familie

Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Die sexuelle Unterdrückung manifestiert sich in der bürgerlichen Familie und ist eng mit Frauenunterdrückung verbunden.

Die Familie hat im Verlauf der Jahrhunderte eine Entwicklung durchgemacht. Es ist falsch anzunehmen, dass schon immer Männer arbeiten gegangen sind, während die Frau treuergeben sich zu Hause um die Kinder gekümmert hat. Angefangen hat dies seit der Entstehung von Klassengesellschaften. Vorher existierten Clans und lose Verwandtschaftsgruppen.

Im Übergang zu den ersten Klassengesellschaften entwickelte sich die Ackerbaugemeinde mit patriarchalischer Großfamilie (Hausgenossenschaft). Die alten Sippenverbände lösten sich auf. Der Begriff Familie stammt aus dem Lateinischen famulus: der Sklave. Kriegsgefangene wurden zu Haussklaven, für Frauen musste ein Brautpreis bezahlt werden, dessen Vorschuss heranwachsende Männer beim Oberhaupt der Familie abarbeiten mussten. So entstanden sklavenähnliche Abhängigkeiten auch innerhalb der Familie, bei den Frauen und den Jungen. Die Familie ist somit auch Keimzelle der Ausbeutergesellschaften („primitive“ Haussklaverei), nicht nur Hort sozialer und sexueller Unterdrückung von Jugendlichen und Frauen.

Diese patriarchale Großfamilie, der Grund und Boden gehörte bzw. diesen von der (patriarchalen) Dorfgemeinde zugewiesen bekam, war die ursprüngliche Produktionseinheit, die Zelle der ersten Klassengesellschaft. Das heißt, alle Mitglieder dieser Großfamilie waren in den Produktionsprozess integriert.

Mit dem Beginn der kapitalistischen industriellen Revolution hat sich dies ebenfalls gewandelt. Zwar wurden anfangs alle Mitglieder des Familienverbandes in die Produktion miteinbezogen, aber man produzierte nicht mehr für sich selber, sondern arbeitete nur noch in kapitalistischen Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben. Die Familie blieb erhalten, um die Arbeitskraft zu reproduzieren. Frauen mussten zuvor neben der Reproduktionsarbeit dezentral organisierte Heimarbeiten (Weben, Nähen etc.) verrichten. Im Zuge der Entwicklung und Rationalisierung der Produktivkräfte wurden sie Schritt für Schritt in den Produktionsprozess integriert. Die Einführung von Maschinen in der Industrieproduktion erlaubte es allen Teilen der Arbeiter_innenklasse – egal welchen Geschlechts oder Alters -, im Produktionsprozess nützlich zu sein. Zum einen, um die Löhne der Arbeiter zu drücken, da der Kapitalismus es schon damals als selbstverständlich ansah, Frauen schlechter zu bezahlen und zum anderen, um dem wachsenden Maß an gesellschaftlicher Arbeit gerecht zu werden. Zum Dritten verteilte sich der Wert der Arbeitskraft auf alle arbeitsfähigen Familienmitglieder.

Nicht endende Arbeitstage, sowie Kinder- und Frauenarbeit sorgten dafür, dass die Arbeiter_innen sich nicht reproduzieren konnten. In Zuge von Reformen wurden dann Arbeitsschutzgesetze erlassen, die die Einschränkung der Arbeitszeit und -tätigkeit – besonders für Frauen und Kinder – mit sich brachten. Dies bedeutete, dass die bereits existierende Trennung zwischen Hausarbeit und gesellschaftlicher Produktion verschärft und die Unterdrückung der Frauen dadurch verstärkt wurde

Im Zuge der Entwicklung der Arbeiter_innenaristokratie wurde das Ideal der bürgerlichen Familie in die Arbeiter_innenklasse getragen. Die Arbeiter_innenaristokratie, also der Teil der Klasse, der durch Lohnkämpfe zu mehr Wohlstand gelangte, konnten sich durch eben diesen Wohlstand es leisten, dass die Frauen nicht arbeiten gehen mussten, sondern zu Hause den Haushalt machen „durften“.  So wurde die bürgerliche Familie ebenfalls ein Ideal der Arbeiter_innenklasse, da der Reformismus auf der Arbeiter_innenaristokratie fußte und ihren Konservativismus verstärkte, statt ihn zu bekämpfen.

Was hat die Familie mit Homophobie zu tun?

Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich,  unermüdlich Hausarbeit verrichtet sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Überall wo man hinschaut, sieht man in der Werbung und in Filmen stets das Bild der zufriedenen Eltern und glücklicher Kinder. Sexuelle Gewalt, Missbrauch und Frauen- sowie Jugendunterdrückung werden dabei gerne totgeschwiegen. Und das obwohl die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ aus dem Jahr 2009 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgezeigt hat, dass etwa jede fünfte bis siebte Frau, die zum Befragungszeitpunkt in einer Paarbeziehung lebte (13 – 20 Prozent), in relevantem Maße Formen psychisch-verbaler Gewalt, Kontrolle und Dominanz durch den aktuellen Partner ausgesetzt war.

Wie wir schon festgestellt haben, ist die Familie ein Stützpfeiler des Kapitalismus. Sie regelt die Erbschaftsverhältnisse für die herrschende Klasse, während sie für die Arbeiter_innen als Reproduktionsort dient. Aber nicht nur das, sie dient in der Gesellschaft auch dazu, vorherrschende Werte und Normen zu reproduzieren, die dem Kapitalismus nutzen. Homosexualität passt da nicht rein, da es das Bestehen der Familie im klassischen Sinne angreift. Zum einen durch die Tatsache, dass Geschlechterstereotypen direkt damit angegriffen werden. Wer kümmert sich um die Kinder? Wer geht arbeiten? All das sind Fragen, die dadurch aufgeworfen werden. Auch den Ursprung der Transphobie kann man hier finden. Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die sich nicht dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeordnet worden ist, einfach „fügen“, ist für viele Konservative ein Graus aus genau dem Grund. Zum anderen greift Homosexualität die bürgerliche Familie an, weil sie Sex nicht nur zum Kinder Bekommen darstellt, sondern aufzeigt, dass man diesen auch zum Spaß und Vergnügen haben kann. Das stellt indirekt die Monogamie in Frage, die zentral für die Erbschaftslinien innerhalb des Kapitalismus ist.

Viele Lesende werden sich vielleicht fragen: Das ist ja alles gut und schön, aber ist es nicht gerade so, dass es die „typische“ Familie eigentlich nicht mehr wirklich gibt? Ja, das stimmt zum Teil. Aufgrund von unterschiedlichen Faktoren kann man sagen, dass es eine gewisse Auflösungstendenz der Familie innerhalb des Kapitalismus gibt. Konkret in Deutschland kann man das mit der angestiegenen Zahl alleinerziehender Mütter oder der Zunahme von sogenannten Singlehaushalten belegen.

Das hängt allerdings nicht damit zusammen, dass es progressive Schritte zur Auflösung der Familie gibt. Vielmehr schwindet die materielle Sicherheit, die die Basis für die Familie legt. Viele junge Leute arbeiten in prekären Verhältnissen und haben unsichere Zukunftsperspektiven. Leih- und Zeitarbeit, Praktika und schlecht bezahlte Ausbildungen laden nämlich die wenigsten dazu ein, sich über die Finanzierung eines Eigenheims oder von Kindern Gedanken zu machen. Dennoch ist das propagierte Ideal in den Medien die vierköpfige Familie.

Zwar gibt es Auflösungstendenzen der Familie im Kapitalismus und einen gewissen Spielraum für die Anerkennung der Rechte von LGBTIAs – die sind aber nicht von großer Dauer. In Krisenzeiten werden Kosten auf die Arbeiter_innen abgewälzt. Rechtspopulist_innen wie die AfD treten für die Stärkung der Familie ein – aus dem Grund, dass sie um ihre Erschütterung als Grundpfeiler des Kapitalismus wie aller vorhergehenden Klassengesellschaften fürchten. Das bezieht sich auf ihre Rolle als Reproduktionsort der Arbeitskraft bei den Lohnabhängigen, als Erbinstanz des Reichtums bei herrschenden und mittleren Klassen wie auch ihre Vermittlungsrolle für monogame, heterosexuelle  Sexualmoral. Die Familie ist im Kapitalismus wie die Ware eine Keimzelle der Gesellschaftsordnung, Stabilisatorin des Systems der Herrschenden!

Was heißt das konkret? Die Ablehnung von LGBTIA ist genauso wenig wie Sexismus oder Rassismus bloßes Resultat von Ideen in Köpfen von Menschen, die man einfach nur so durch genug Gespräche oder Aufklärungskampagnen wegkonstruieren kann. Sie besitzen eine materielle, sich stets reproduzierende Grundlage und sind Teil des Kapitalismus: die bürgerliche Familie, die die Trennung von Produktion und Reproduktion manifestiert. Doch was stellt man dieser entgegen?

Kämpfe verbinden!

An Schulen und Universitäten fordern wir die Aufnahme von LGBTIA-relevanten Themen in den Lehrplan durch Lehrende und Lernende. Beispielsweise müssen im Aufklärungsunterricht auch Sexualitäten neben der Heterosexualität erklärt werden – ohne negative Äußerungen. Außerdem treten wir für die Gründung einer Schüler_innen- und Studierendengewerkschaft ein, die nicht nur die Interessen der Lernenden vertritt, sondern sich auch aktiv gegen Diskriminierung einsetzt und diese thematisiert. Im Betrieb kämpfen wir für Betriebsgruppen, die sich gegen Sexismus, Rassismus und LGBTIA-Feindlichkeit positionieren und durch Veranstaltungen oder Betriebsversammlungen über die Diskriminierung aufklären. Wir treten zusätzlich für ein Caucusrecht auch für LGBTIAs in Gewerkschaften und anderen Organen der Arbeiter_innenklasse ein. Die Caucuses (Recht auf gesonderte Treffen von sozial Unterdrückten) sind wichtig, um von Diskriminierung Betroffenen den Raum zu geben, konkret über ihre Erfahrungen zu sprechen sowie mögliche Diskriminierung innerhalb der Organisationen äußern und für deren Abschaffung eintreten zu können. Sie stärken somit das Selbstbewusstsein, die Lernfähigkeit und Kampfkraft der Unterdrückten (Empowerment).

Am zentralsten für Revolutionär_innen ist aber die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit. Diese greift die Trennung von Reproduktion und Produktion offen an – und somit die Wurzel der sexuellen Unterdrückung, die bürgerliche Familie. Erst die Sozialisierung der Reproduktionsarbeit erleichtert insbesondere das Los der proletarischen Frauen. Sie ermöglicht erst die vollständige und gleiche Verteilung aller Arbeiten auf alle Geschlechter und Menschen verschiedener sexueller Orientierung. Alle betreuen Alte und Kinder, unabhängig davon, ob es sich um eigene Verwandte handelt oder nicht. Alle lernen und praktizieren Berufe und Tätigkeiten, die ehemals getrennt nach Geschlechtern ausgeübt wurden. Sozialismus heißt eben auch: vollständige Sozialisierung der notwendigen Arbeiten!

Kampf gegen LGBTIA-Diskriminierung heißt auch: Kampf dem Sexismus, Kampf dem Rassismus! Wenn es darum geht, für die Rechte von Geflüchteten einzutreten, darf man explizite Schutzmaßnahmen für LGBTIAs nicht außen vorlassen, genausowenig wie für Frauen. Diskriminierung und Verfolgung in anderen Ländern sind legitime Fluchtgründe und LGBTIA-Feindlichkeit und Sexismus dürfen nicht für rassistische Hetze instrumentalisiert werden. Deswegen stehen wir für eine multiethnische, internationale Gesamtarbeiter_innenbewegung und insbesondere eine solche proletarische Frauenbewegung ein, die diese Kämpfe zusammenführt!




Widersprüche des Queerfeminismus

Larissa Kaché, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Der Queerfeminismus begründet sich durch die Queer-Theorie, welche eine in den 90er Jahren entstandene Kulturtheorie aus den USA ist. Diese zeigt die Zusammenhänge von sexuellem Begehren, sozialem (gender) und biologischem Geschlecht (sex) auf und hinterfragt diese kritisch. Dazu bedient sie sich dreierlei Methoden: der Dekonstruktion, dem Poststrukturalismus und den Gender Studies.

Dekonstruktion

Einordnung und Definition von sozialen Zusammenhängen, nicht einseitig, sondern  umgekehrt betrachtet, um dem Schwerpunkt entgegenzuwirken. Das bedeutet, dass das Augenmerk den außerhalb der Normen Angesiedelten gilt, denn diese beweisen, dass soziale Gegebenheiten nicht generalisierbar sind.

Poststrukturalismus

Sprache wird als formende Kategorie angesehen, sie gibt also nicht die Realität wieder, sondern formt diese selber. Dementsprechend werden soziale Normen nicht mehr als selbstverständlich wahrgenommen, sondern als durch die Sprache geformt.

Gender Studies

Die Geschlechterforschung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschlecht zu Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft. Dabei legt sie ihr Hauptaugenmerk darauf, wie sich Geschlecht und Gemeinschaft gegenseitig bedingen. Es wird die Differenzierung in die Geschlechterrollen männlich und weiblich als Stereotypen kritisch hinterfragt sowie die damit einhergehenden Hierarchien.

Die Anwendung dieser Methoden sind die Queer Studies. Das Ziel des Queerfeminismus ist es, die sexuellen Identitäten, Machtformen und Normen zu analysieren und entsprechend ihrer Analyse zu dekonstruieren.

Die neueren Ideen der Queer-Theorie heben sich insofern von den vorigen ab, dass sie nicht nur auf die Aufhebung des Rollenbildes der Heterosexualität aus sind, sondern allgemein den Bezug von Kultur auf Geschlechter und die damit verbundenen Ausbeutungsverhältnisse in Rechnung stellen. Denn indem das Individuum in eine bestimmte Rolle gedrängt wird, entsteht bereits eine Ungleichheit. Deshalb ist es eine notwendige Voraussetzung, dass sich das Wort queer als ein radikal offenes definiert. Das bedeutet, dass jeglicher Mensch oder Gruppe von Menschen den Begriff auf sein Geschlechtsempfinden oder sexuelle Orientierung anwenden könne, um sich so zu inkludieren. Damit wird die Queer-Theorie immer weiterentwickelt und bleibt endlos.

Geschichte

Die ersten Vordenker_innen der Queer Theorie versuchten die naturgemäße Zweigeschlechtlichkeit zu widerlegen und einen Beweis dafür zu finden, dass Geschlechter rein gesellschaftlich anerzogen seien.

Die tatsächliche Bewegung hat ihre Ursprünge in den Kämpfen der 60er Jahre um die Bar Stonewall Inn/Christopher Street/New York. Hier trafen sich diejenigen, die auch in den angesehenen Schwulen- und Lesbenbars nicht willkommen waren, besonders Menschen anderer Hautfarbe, Jugendliche, Obdachlose und Trans-Personen. Sie waren es, die die Kämpfe mit der Polizei ausfochten, denn sie hatten nichts mehr zu verlieren, allerdings brachte dies ihnen auch nicht die Rechte, die sie sich wünschten. Es war die erste Bewegung dieser Form, die sich in tagelangen Straßenkämpfen gegen die Willkür der Polizei zur Wehr setzte. Daraus ist die Tradition des Christopher Street Days (CSD) geworden, der in vielen Städten international auch unter dem Namen Gay Pride, als Parade für Menschen, die für ihre Sexualität und auch andere Faktoren, wie Herkunft, Behinderung oder soziale Stellung, diskriminiert werden, zelebriert wird. Dennoch kam es auch in dieser Bewegung zu unterdrückerischen Mustern, denn sie merkten bald, dass sie als einheitliche Masse auftreten mussten, um Schlagkraft zu besitzen. Dafür schlossen sie diejenigen aus, die nicht eindeutig als einem Geschlecht zugehörig definiert werden konnten. Dennoch versammelten sich hier die Vorläufer der Queer-Bewegung, diejenigen, die vom lesbischen und schwulen Mainstream ausgeschlossen waren.

Die Bewegung stellte einige zentrale Forderungen auf. Dazu gehörte unter anderem die Selbstdefinition, die auch auf den Konstruktivismus Bezug nahm. Diese besagt, dass die einzige gültige Identitätsklärung durch die Definition des eigenen Selbst geschehen könne. Als sie begannen, ihre Ideen konstruktivistisch zu begründen, also nach der Auffassung, dass jedes Individuum sich durch alle seine Sinneseindrücke/Erfahrungen seine eigene Weltanschauung zusammenschustert und damit kein Mensch dem anderen gleicht, mussten sie sich eingestehen, dass es auch nicht die Lesbe oder den Schwulen gibt, sondern auch in Geschlechtszugehörigkeit und sexueller Orientierung jede/jeder unterschiedlich ist. Dies kam infolge eines gesellschaftlichen Wandels, der eine sehr viel tolerantere Einstellung gegenüber sexuell anders Orientierten mit sich brachte. Jetzt traten andere diskriminierende Faktoren wie Ethnie, Klasse oder Religion in den Vordergrund.

Die Bewegung wurde einerseits für bis dahin Ausgeschlossene geöffnet, andererseits wurde sie dadurch auch gespalten, denn es wurde möglich, von innen offen Kritik an der Bewegung zu äußern. Mehrfach Diskriminierte, insbesondere schwarze, homosexuelle Frauen, kritisierten die bestehenden Hierarchien in den Gruppen, wonach meist weiße homosexuelle Männer die Leitung übernahmen. Diese Vormachtstellung wurde scharf kritisiert, denn wie sollten sich Frauen befreien, wenn sie weiterhin unter der Fuchtel des Mannes standen, während dieser ihre Unterdrückung nicht einmal nachvollziehen konnte. Daraus entstand wiederum die Idee der Intersektionalität, die versucht, alle Unterdrückungsmuster zu analysieren und ihre Verknüpfungen aufzuzeigen, anstatt den Ursprung derer zu suchen.

Diese neue Situation, in der die Bewegung nicht mehr als eine homogene Masse betrachtet werden konnte, machte auch einen neuen Denkanstoß notwendig.

Judith Butler

Judith Butler eröffnet eine ganz neue Diskussion, indem sie die Dualität der Begriffe sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) anzweifelt. Ihr Ziel ist es zu zeigen, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, sondern dieses wie das soziale Geschlecht nur eine Konstruktion ist, es also eigentlich nur den gender gibt, welcher gesellschaftlich anerzogen sei. Durch die Differenzierung der Begriffe zeigt sie, dass die geschlechtliche Rollenzuschreibung nicht gottgegeben ist. Sie knüpft damit an die Aussage von Simone de Beauvoir an: Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. Die geschlechtliche Rollenzuschreibung soll damit aufgezeigt werden, besonders für Frauen. Denn gemäß ihrem feministischen Denken hat sich die Philosophie nie mit den Differenzen der Geschlechter auseinandergesetzt, sondern diese vorausgesetzt. Damit hätten die Philosophen jedoch den Menschen mit dem Mann gleichgesetzt. Es würde überhaupt nicht auf das Verhältnis von Mann zu Frau eingegangen. Der Mann sei sozusagen Mensch, ohne sich mit anderen Menschen vergleichen zu müssen. Die Frau hingegen definiere sich ausschließlich über ihre Unterschiede zum Mann.

Butler stellt hierzu die Theorie der performativen Geschlechtsidentität auf. Diese besagt, dass das Geschlecht, mit dem sich ein Individuum identifiziert, allein Produkt von Handlungen, Sprache und körperlichem Verhalten sei. Wir bekommen unser Geschlecht von Anfang an beigebracht, dies beginnt mit der Aussage direkt nach der Geburt: „Es ist ein Mädchen/Junge“. Am Körper sei eigentlich kein Geschlecht festzumachen. Wenn die Eltern also davon ausgehen, dass ihr Kind männlich ist, erziehen sie es entsprechend der gesellschaftlichen Normen, die dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Die Fremddarstellung bewirkt die resultierende Selbstdarstellung. Auch die entsprechenden Aktivitäten, die für Mädchen und Jungen bereitgestellt würden, sorgen für die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale.

Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Geschlechtszuweisung irrelevant sei, sondern ganz im Gegenteil, dass daraus eine klare Machtstruktur resultieren würde. Denn die Unterscheidung in Frau und Mann sowie die Heterosexualität sorgen für den Erhalt der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, einer absolut männerdominierten Gesellschaftsform. Die Zwangsheterosexualität begründet die Unterscheidung zwischen Frau und Mann, deshalb müssen die Geschlechterrollen mit dieser in Zusammenhang gesetzt werden. Nur durch diese kann der Mann wiederum seine privilegierte Stellung wahren. Um diese Stellung zu sichern, muss eine Kategorisierung in verständliche und unverständliche Geschlechter vorgenommen werden. Alle, die klar einem Mann oder einer Frau zugeordnet werden können, sind verständlich, alle, die aus dieser Norm herausfallen, sind unverständlich. Butler legt ihr Augenmerk deshalb absichtlich auf die Menschen, die nicht klar geschlechtlich zuzuordnen sind. Diejenigen, die kein heterosexuelles Begehren verspüren, die körperlich nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können und/oder die nicht mit dem Geschlecht, das ihnen gesellschaftlich zugeordnet wird, leben wollen. Dadurch verschiebt sich auch die Zuordnung von Macht der Männer über Frauen auf diejenigen, die nicht der Einordnung in die zwei definierten Geschlechter folgen, also den eben genannten. Dann muss davon ausgegangen werden, dass der kulturelle Status der Geschlechter, also männlich überlegen und weiblich unterlegen, komplett unabhängig von dem Körper ist und demnach männliche Rollenzuweisungen genauso gut Frauen zugeschrieben werden können wie weibliche Männern. Die Geschlechtsidentität ist Resultat von Äußerungen und den darauf folgenden Handlungen, die anhand von gesellschaftlichen Normen getätigt werden.

Die Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen äußert sich oft in sowohl körperlicher als auch in sprachlicher Gewalt, welche sie als genauso körperlich verletzend definiert. Dabei stellt sich Butler gegen die Zensur von Pornografie oder alltäglichen sexistischen und homophoben Äußerungen. Es gilt diese radikal öffentlich aufzuzeigen, um sie zu isolieren und eine Stellungnahme zu erzwingen. Denn sie sagt, dass nicht das Zeigen sexueller Erniedrigung die eigentliche Gewalt sei, sondern dass die gesellschaftliche sexuelle Praxis Machtverhältnisse demonstriert, deren verletzender Charakter in ihrer unausgesprochenen Zustimmung liege.

Die genannten Verhältnisse sind zwar ungerecht, aber vor allem sorgen die lebenslänglich zugewiesenen gesellschaftlichen Rollen und entsprechenden Körper für eine Unfreiheit,  durch die Identitäten sich nicht frei entfalten können. Deshalb gilt es, diese dekonstruktiv zu unterwandern.

Diese Normen stellen ein unerreichbares Ideal dar, das sich durch die unendliche Vielfalt von Variationen  wiederlegt. In der Geschlechtsparodie, dem Cross-Dressing (das Tragen der typischen Kleidung des anderen Geschlechts) und der Travestie (dem Verkleiden als das jeweils andere Geschlecht) äußern sich die Variationen. Wenn jedoch die Geschlechtsidentitäten nur gesellschaftliche Fiktion sind, um das etablierte System aufrechtzuerhalten und durch Bestrafung durchgesetzt werden, dann können die Träger_innen durch das Unglaubwürdigmachen diesem Widerstand leisten. Es geht dabei nicht um die Imitation von echten Frauen- oder Männerbildern, sondern um das Aufzeigen, dass diese nur eine Konstruktion sind, die es gilt, als solche zu enttarnen.

Butler sagt von sich selbst deshalb, dass es ihr nicht darum geht, als Frau zu kämpfen, sondern immer wieder aufzuzeigen, dass Frau-Sein nur Konstruktion ist!

Butlers Theorie kann die Begrenzungen des Postmodernismus nicht überwinden. Einerseits erkennt sie das poststrukturalistische Theorem Foucaults an, dass strukturelle Macht eine anthropologische Konstante (Matrix) sei, also auch in klassenlosen Gesellschaften vorkomme und durch Verhalten und Sprache zwangsläufig weitergegeben werde. Andererseits begründet sich ihre Gegenstrategie aus dem Dekonstruktivismus entlehnten idealistischen Elementen. Dieser leugnet, dass Menschen die objektive Realität erkennen können (Agnostizismus). Seine Anhänger_innen gehen davon aus, dass Wahrheit letztlich nur diskursiv (und damit subjektiv) im Rahmen von Machtverhältnissen existiert, dass ebenfalls nicht gesagt werden kann, ob es ein Ding an sich gibt, weil wir nie wissen können, ob wir es erkennen. Alle Theorien sind unwahr, nur Narrative (subjektiv gefärbte Erzählungen). Es gehe bestenfalls darum, diese Narrative anzugreifen, sie zu zerstören, zu dekonstruieren, weil sie nur subjektive Meinungen widerspiegeln. Somit stehen die DekonstruktivistInnen dem Idealismus eines Kant oder Fichte nahe.

Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus sind reaktionäre, also rückschrittliche Ideologien, die erste eine idealistische, die zweite eine mechanisch-materialistische. Der Dekonstruktivismus ist eine Art Sophismus (Leugnen des Absoluten, der Objektivität von Erkenntnis), nur das Relative ist für ihn absolut. In Bezug auf seine Wirksamkeit für Gesellschaftsveränderung steht er den Junghegelianern kaum nach, mit denen Marx und Engels sich bereits in ihren Frühschriften auseinandergesetzt haben.

Im Unterschied zu den Postmodernist_innen geht es diesen „kritischen Kritikern“ (wie z.B. der Gruppe „Gegenstandpunkt“) aber darum, dass „revolutionäre Tätigkeit“ darin besteht, die Wirklichkeit und die Vorstellungen über sie richtig zu kritisieren und auf den Punkt zu bringen. Insofern ist der kritischste Kritiker als einziger im Besitz der Wahrheit – bis ein noch kritischererdaherkommt. Sind die „falschen Vorstellungen“ richtig kritisiert und denken alle die Wirklichkeit richtig, steht der Veränderung der Gesellschaft nichts mehr im Wege.

Demgegenüber steht der Poststrukturalismus Foucaults in der Tradition des mechanischen Materialismus‘ Feuerbachs, zu dessen Gattungswesen Mensch unabänderlich die Religion gehört. Bei Foucault sind es die Macht und ihre unausweichliche Vermittlung durch Sprache und Verhalten.

Mechanischer und historischer Materialismus sowie der absolute Idealismus Hegels und der „kritischen Kritiker_innen“ erkennen im Gegensatz zu Kant, Fichte und der postmodernen Philosophie die Existenz und Erkennbarkeit einer objektiven Welt außer uns also an.

Der marxistische historische Materialismus überwindet diese Dichotomie (unvermeidliches Auseinanderfallen in zwei Bestandteile) zwischen subjektiv-gedanklicher Konstruktion der Wirklichkeit einer- (Dekonstruktivismus) und schicksalhafter Unveränderlichkeit der objektiven Realität andererseits (Foucault) dialektisch durch die Entdeckung des geschichts- und erkenntnisstiftenden Elements in der gesellschaftlichen Arbeit und ihren Wandlungen. Sein Materialismus ist ein tätiger, kein bloß anschauender, sein Gattungswesen die steter Veränderung unterworfene menschliche Gesellschaft. In Klassengesellschaften muss er folglich den Schlüssel auch zum Verständnis der Entstehung geschichtsstiftender Ideen im Klassenkampf wie ihrer Wirksamkeit in der praktisch-revolutionären Umwälzung der Gesellschaftszustände suchen. Welch Unterschied zu Butlers „Austanzen der Matrix“, einer unfreiwillig komischen Parodie auf Gesellschaftsveränderung!

Kritik an der Queer-Theorie

Oft werden als Kritik an der Queer-Theorie die wissenschaftlichen Erkenntnisse genannt. Dabei wird sich bevorzugt auf die Zweigeschlechtlichkeit bezogen, also dass die Geschlechter eindeutig in zwei Pole, Frau und Mann, zu unterscheiden seien. Queertheoretiker_innen argumentieren dagegen, dass auch naturwissenschaftliche/biologische Erkenntnisse gesellschaftlichen Ursprungs seien. Erst in einem gesellschaftlichen Kontext würde die Kategorisierung schließlich eine Bedeutung erhalten, sie sei also nicht vorgesellschaftlich und damit auch nicht von der Natur vorgegeben. Zusätzlich wird auf einer biologischen Ebene gegenargumentiert. Zur Ausprägung eines biologischen Geschlechts seien viele verschiedene Faktoren nötig. Dazu gehören 19 verschiedene Gene auf mehreren Chromosomen, nicht nur auf X und Y. Auch die Sexualhormone Östrogen und Testosteron kämen bei männlichen und weiblichen Individuen in verschiedenen Konzentrationen vor. Manche vertreten deshalb die Auffassung, wenn ab der Geburt für Mädchen und Jungen gleiche Möglichkeiten des Körperaufbaus (Sport, Ernährung, etc.) gegeben wären, würden sich auch die Körper gleichen. Allerdings ist nicht klar, ob dabei von einer künstlichen Hormonzugabe ausgegangen wird.

Kapitalismuskritische Gruppen warfen Vertreter_innen des Queerfeminismus auch immer wieder vor, sich nicht ausreichend mit ihren Theorien auseinanderzusetzen. Dem steht die Kritik von queeren Zusammenhängen gegenüber, kommunistische Organisationen seien hierarchisch aufgebaut und meistens von weißen Männern dominiert und angeleitet. Queerfeminist_innen befassen sich hingegen mit den Theorien der Triple-Oppression (dreifache Unterdrückung nach Klasse, Geschlecht und Hautfarbe) und der Intersektionalität (Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person). Dementsprechend wird der Kapitalismus nicht als der Ursprung aller unterdrückerischen Faktoren betrachtet, sondern als einer von vielen. Zudem lehnen sie die Vorstellung des Materialismus ab, denn dieser würde als universell vorausgesetzt und dabei Ausnahmen missachten. Doch gerade mit diesen Ausnahmen identifizieren sich queer Denkende.

Tatsächlich schließt die biologische Bipolarität der Geschlechter aber keine dazwischen liegenden aus, sondern besagt, dass es eine Polarisierung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht zum Zweck der Fortpflanzung der Gattung geben muss. Es gilt also nicht diese Polarisierung zu leugnen, sondern aufzuzeigen, wodurch die Diskriminierung aller anderen entsteht. Diese liegt aber nicht in der Biologie der sexuellen Vermehrung und der dazu erforderlichen beiden Geschlechter begründet, die fortschrittliche Menschen deshalb auch gar nicht zu leugnen gezwungen sind, sondern in der Art und Weise der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen eingehen. Folglich können diese auch andere Verhältnisse gestalten, die jegliche Unterdrückung des Menschen durch den Menschen aufheben (Kommunismus).

Meistens wird aber der Ursprung dieser Diskriminierung nicht kritisiert, sondern nur ihr Überbau, die Ideen in den Köpfen von Menschen, die sich in sexistischen und homophoben Äußerungen und gesellschaftlichen Werten und Gesetzen zeigen. Es wird eine Ersatzavantgarde in Form von Kleingruppen, die in mehrfacher Form unterdrückt sind, gebildet, anstatt eine Einheit der Kämpfe anzustreben. So verlieren sich Gruppen in Diskussionen über die Deutungshoheit und die Definitionsmacht beziehungsweise geben sich mit diesen Verbesserungen zufrieden.

In der Radikalen Linken sind die Ideen des Queerfeminismus heute recht weit verbreitet. Sie werden insofern umgesetzt, als dass es auf Partys oft Awareness-Teams gibt. Es besteht also ein Bewusstsein dafür, dass auch in den eigenen Kreisen Sexismus und Homophobie noch vorhanden sind und  die Notwendigkeit besteht, an sich zu arbeiten. Meistens äußern sich solche Probleme schlichtweg in Mackerverhalten und der Tatsache, dass Gruppen männerdominiert sind. Jedoch wird dabei nicht nach der Ursache gesucht, sondern es werden nur Symptome bekämpft, in Form von idealistischen Vorstellungen wie, die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten allein durch Sprache und das Ändern der eigenen Verhaltensweise aufheben zu können. Es werden nicht die ökonomischen Gesellschaftsverhältnisse analysiert, um die Basis ändern zu können, sondern es werden nur dem gegenüberstehende gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen kritisiert. Diese Herangehensweise hat sich in vielen Gruppen festgesetzt, wodurch sie in dem Feld handlungsunfähig werden und nicht mehr progressiv sind.

Unsere Perspektive und Forderungen

Wir sehen den Ursprung aller diskriminierenden Faktoren, und darunter auch der Frauenunterdrückung sowie der Homophobie in dem System der Klassengesellschaft. Im Kapitalismus manifestieren sich diese im besonderen Maße in der bürgerlichen Familie. Hierzu kann man mehr in dem Artikel zum Ursprung sexueller Unterdrückung in dieser Ausgabe lesen.

Der Kapitalismus ist auf das Konstrukt der bürgerlichen Familie angewiesen. Hier wird für die Reproduktion der Arbeitskräfte gesorgt und Erziehung sowie Hausarbeit werden komplett unentgeltlich und widerspruchslos getätigt. Dementsprechend wäre es kontraproduktiv, würde es gestattet, gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzugehen, denn diese würden keine neuen Arbeitskräfte zeugen. Genauso ist er auf eine patriarchale Gesellschaftsstruktur angewiesen, durch die klare Machtverhältnisse gegeben sind und bedingungslos Hausarbeit und Erziehung übernommen werden.

Daher fordern wir eine marxistische Analyse der Gesellschaft und dementsprechend eine Verbindung mit der Arbeiter_innenbewegung. Denn wir sehen die Befreiung der Frau nur im Zuge der Befreiung der Gesellschaft als möglich an, genauso wie die Befreiung der Gesellschaft nur möglich ist im Zuge der Befreiung der Frau.




Frauenkampf in Westkurdistan: Gegen Repression, Patriarchat und Krieg

Nina Berger, Frauenzeitung Nr. 3, Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2015

Nach Jahren der Gleichgültigkeit oder auch der Paralyse insbesondere linker Bewegungen und Parteien gegenüber dem revolutionären Aufbruch in Syrien gibt es seit Sommer 2014 eine erstaunliche Wendung. Sie gilt der Aufmerksamkeit für den Kampf des kurdischen Volkes in Rojava, Westkurdistan.

Die internationale kurdische Gemeinschaft initiiert eine breite Solidaritätsbewegung und der Widerstand der Kämpferinnen und Kämpfer in der westkurdischen Stadt Kobanê ist auf einmal weltweit das Symbol für Selbstbestimmung und Frauenrechte. Wie kam es dazu, was wurde erreicht und welche Perspektive bietet sich? Für die Beantwortung der Fragen werden wir eine Analyse der aktuellen Situation versuchen und dazu einige Spezifika des Lebens der kurdischen Frauen in einer historischen Dimension, in Verbindung mit der kurdischen Befreiungsbewegung und der dahinterstehenden Ideologie darlegen.

Errungenschaften

Fest steht, dass der Befreiungskampf in Rojava schon jetzt zu enormen Errungenschaften für die Frauen geführt hat, die im Nahen und Mittleren Osten ihresgleichen suchen: So hat die Regierung des autonomen Kantons Cizîrê am 5. November 2014 mit dem Dekret Nr. 22 die Gleichheit von Frauen und Männern in Bezug auf Löhne, die berufliche Stellung, auf Erbrecht und auch auf Zeugenaussagen vor Gericht verkündet. Das Dekret verbietet gleichfalls die Verheiratung junger Frauen ohne deren Zustimmung und die Polygamie. Dieses Dekret und die Ausweitung sozialer und demokratischer Rechte können dazu beitragen, die gesellschaftliche Transformation in Rojava zu festigen und auf den Mittleren Osten ausstrahlen zu lassen.

Ohne die aktive Beteiligung tausender Frauen in den Selbstverteidigungskräften, in der YPJ, ohne die Bildung von Frauenräten und die Vertretung von Frauen auf allen Ebenen der politischen Gremien und des öffentlichen Lebens wäre diese Entwicklung unmöglich.

Hergang

Inmitten des syrischen Bürgerkrieges etablierten die KurdInnen in Rojava, Westkurdistan, im Sommer 2012 von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt ihr eigenes System. Sie übernahmen die Kontrolle über die Städte und Dörfer im kurdischen Norden Syriens entlang der Grenze zu den kurdischen Gebieten der Türkei in drei voneinander abgetrennten Kantonen (Verwaltungsbezirken), nämlich Efrin, Kobanê und Cizîrê.

Der syrische Bürgerkrieg, dem bis dahin schon Hunderttausende zum Opfer gefallen waren und der in den anderen Landesteilen tobte, blieb dem kurdischen Teil Syriens bis zum Sommer 2013 weitgehend fern. Dass es eine Art Übereinkunft mit dem Assad-Regime gab, wird von kurdischer Seite aus bestritten. Die offene Unterstützung der syrischen Revolution und der gegen Assad kämpfenden Freien Syrischen Armee (FSA) unterblieb. In Rojava sollte ein so genannter „Dritter Weg“ etabliert werden. Dieser beinhaltete auch, dass sich die kurdischen Verbände der Unterstützung des Kampfes demokratischer und fortschrittlicher Kräfte gegen das Assad-Regime enthielten. Dies war nicht nur gegenüber der syrischen Revolution höchst problematisch, sondern bleibt es auch für die Zukunft Rojavas. Sobald eine reaktionäre Kraft im syrischen Bürgerkrieg die Oberhand gewinnen wird – sei es das Assad-Regime oder der Islamische Staat – wird der Sieger seine Ansprüche auf das Gebiet geltend machen, ohne dass es inner-syrische Verbündete für die kurdische Sache gibt.

Die KurdInnen bauten in Rojava ab Juli 2012 eine Selbstverwaltung auf. Sie begannen kurdisch-sprachige Schulen, in der Türkei immer noch von den türkischen Behörden mit massivem Polizeieinsatz verhindert, eine Universität, eine eigene Gerichtsbarkeit und vor allem Rätestrukturen aufzubauen, die als lokale und regionale Selbstverwaltungsorgane fungieren. Und das ist erst einmal absolut erstaunlich in Anbetracht eines kompletten Jahrhunderts der Unterdrückung und Verleugnung der kurdischen Identität durch alle Besatzungsmächte auf kurdischen Gebieten, sowohl in der Türkei, dem Iran, Irak als auch in Syrien und der Tatsache, dass dieser Landstrich von 2,5 Millionen KurdInnen, AraberInnen, TurkmenInnen, ArmenierInnen und TschetschenInnen bevölkert wird, die hier zusammen leben und nebenbei auch noch komplett unterschiedliche Glaubensrichtungen haben: Aramäer- und AssyrerInnen, ChaldäerInnen, EzidInnen und Muslime.

Die KurdInnen organisierten sich, schlossen sich in 16 kurdischen Parteien zusammen und gründeten den „Hohen Kurdischen Rat“ als Dachorganisation. Sie schafften es, 1,2 Millionen Menschen aus den umkämpften syrischen Städten wie Aleppo oder Damaskus und EzidInnen aus dem Irak, die in die sicheren kurdischen Kantone flohen, aufzunehmen und diese Flüchtlinge trotz der Embargopolitik seitens des türkischen Staates und der „Autonomen Republik Kurdistan“ (Irakisch-Kurdistan) an der Ostseite, in die Gesellschaft in Rojava auch politisch zu integrieren. Eine Leistung, die ihresgleichen sucht.

Selbstorganisation als Schlüssel

Die Frauen übernahmen dabei ähnlich den Frauen im arabischen Frühling eine Vorreiterinnenrolle der Revolution. In den kurdischen Gebieten und auch bei anderen nationalen Minderheiten wurden Räte organisiert, die jedoch nur bedingt die arabische Bevölkerung umfassten, die generell ökonomisch besser gestellt ist. Von den Kommunen als Stadtviertelräte bis hin zum Volksrat von Westkurdistan existieren diese Strukturen. Viele Berufsgruppen, Frauen- und Jugendverbände sowie ethnische und religiöse Minderheiten entsenden eigene Vertreter.

Es entstanden parallel dazu eigene Frauenräte. Die kurdischen Frauen zeigen, dass Selbstorganisierung nicht nur gegen die zunehmenden äußeren Angriffe schützt, sondern zugleich auch ein Mittel ist, sich gegen die patriarchalen Strukturen innerhalb der eigenen Gesellschaft zu wehren. In ihren Versammlungen werden alle Arten von Frauenunterdrückung thematisiert und in die Gesellschaft zurückgetragen. Das Private wird politisch und der größte Teil der kurdischen Bevölkerung unterstützt dieses System.

Die politische Organisierung hatte zur Grundlage, dass die Thematik Frauenbefreiung für die politisch bewussten Frauen nie eine Angelegenheit war, die sich auf die Zeit nach der Revolution verschieben ließ. Die Frauenunterdrückung wird als Hauptwiderspruch und Haupthindernis für Demokratie in den politischen Programmen der PKK und ihrer Schwesterpartei, der PYD, verankert. Die Errungenschaften der Frauen in Rojava sind also nicht zu trennen vom politischen Kampf der kurdischen Frauen. „Die Revolution in Rojava ist zuallererst die Revolution der Frau“ steht in den programmatischen Ausführungen Öcalans.

Diese Errungenschaften sind bei allen kritischen Momenten, auf die wir später zurückkommen, schwer zu überschätzen. In einer permanenten Kriegssituation ist es für jede Partei, für jedes Volk unumgänglich, einen großen Teil der eigenen Ressourcen zur Verteidigung zu verwenden – geschätzt bis zu 70 Prozent in Rojava. Dies bedeutet aber auch, dass die reale quasi-staatliche Gewalt in den Kantonen bei den führenden politischen Kräften, v.a. der PYD und den Selbstverteidigungskräften, und eben nicht einfach bei „Räten“ und der „Basis“ liegt. Das ist ein Stück weit auch unvermeidbar. Wir stellen den Notwendigkeiten der militärischen Verteidigung Rojavas kein abstraktes „Demokratiemodell“ gegenüber. Aber es ist auch klar, dass der Programmatik der PYD/PKK als führender politischer Kraft eine zentrale Bedeutung für die weitere Entwicklung, den Fortgang, aber auch für mögliche Grenzen der Frauenbefreiung und des Verständnisses der Revolution zukommt. Bevor wir uns damit beschäftigten, werden wir aber auch auf die Lage der Frauen, nicht nur die politischen Strukturen, sondern auch die tradierte gesellschaftliche Arbeitsteilung in Kurdistan, eingehen.

Frauenunterdrückung

Ebenso wie die Situation der Kurdinnen in den durch die Türkei kontrollierten Gebieten sind die syrischen Kurdinnen einer vielfachen Unterdrückung ausgesetzt. Umso stärker ist ihr Engagement und ihre aktive Rolle in der Organisierung der Strukturen zu bewerten. Sie kämpfen an der Front, in Kommandopositionen und nehmen an der Produktion teil. Es gibt de facto keinen Ort in Rojava, an dem keine Frauen zu sehen sind.

Frauen haben die gesellschaftlichen Aufbrüche des Mittleren Ostens von Anfang an mitgetragen. Doch während die Frauen in den übrigen Ländern nach der Machtübernahme durch radikalislamische oder reaktionäre bürgerliche Kräfte in eine noch viel prekärere Situation gerieten, konnten sich die Frauen in Rojava, abgesehen von den im Spätsommer 2014 erfolgten IS-Angriffen auf Kobanê, die den Großteil der Stadtbevölkerung zur Flucht in die Lager oder Elendsgebiete auf türkischer Seite zwangen, bisher davor schützen. Auch Frauen in Rojava, also Westkurdistan, den übrigen Siedlungsgebieten und den syrischen Städten waren bisher analog zu den Kurdinnen in der Türkei und den anderen besetzten kurdischen Siedlungsgebieten massiver Unterdrückung ausgesetzt. Diese erfolgte über den repressiven rassistischen Staat, der ihnen als KurdInnen die elementarsten Grundrechte, die eigene Muttersprache zu sprechen oder auch die Staatsbürgerschaft, verweigerte. KurdInnen waren und sind zudem gegenüber der arabischen Bevölkerung ökonomisch stark benachteiligt. Unabhängigkeitsbestrebungen wurden, nachdem sich das Assad-Regime nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dem Westen zuwandte, mit aller Härte bekämpft. Dazu kommt aber auch noch die patriarchale Unterdrückung, von der sich die Kurdinnen unter den vorherrschenden Bedingungen nicht befreien konnten.

Zu den Spezifika der Situation der kurdischen Frauen gehören die noch aus vorkapitalistischen Zeiten, die in den PKK-Schriften als feudale Gesellschaften bezeichnet werden, die aber eher – wie das osmanische Reich auch –  eine Form der „asiatischen Produktionsweise“ darstellen, stammenden Familienstrukturen in einer politisch und ökonomisch unterentwickelten Region. Das Elend und die Machtlosigkeit in den kurdischen Gebieten waren der Aufrechterhaltung der vorherrschenden Strukturen enorm zuträglich. Dennoch waren und sind die Lebenssituationen der kurdischen Frauen sehr unterschiedlich und wie immer entscheidend von der Herkunft und der sozialen Schicht innerhalb der kurdischen Gesellschaften abhängig. Ob Stadt, ob Land, Kleinbäuerin oder Großgrundbesitzerin, generell die Klassenzugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zur Gruppe der Binnenflüchtigen macht hinsichtlich der Arbeitsbelastung, der materiellen und finanziellen Bedingungen den entscheidenden Unterschied.

Zugleich sind nationale, rassistische, sexistische und politische Unterdrückung seitens der Besatzerstaaten für alle Kurdinnen ein Tatbestand. Dies verdichtet sich mit patriarchalen Verhältnissen zu einer teilweise grauenvollen Szenerie. Allgemein gilt sowohl in der kurdischen als auch in der arabischen Gesellschaft die strikte Trennung der Frauen- und Männerwelten. Dabei ist die Frau für die Haus-, Versorgungs- und Pflegearbeit zuständig, wohingegen der Mann sich um die Lohnarbeit, öffentliche Angelegenheiten und Kontakte nach außen kümmert. Dass dabei nicht von einer gerechten Trennung im Hinblick auf die Arbeitsbelastung ausgegangen werden kann, braucht nicht gesondert erläutert zu werden. Insbesondere in den landwirtschaftlichen Gebieten, in Abhängigkeit von Subsistenzwirtschaft, in Mangel und Armut haben vor allem Frauen die Hauptlasten zu tragen, sind oftmals völlig rechtlos und ohne eigene soziale Absicherung. Dabei wird überdeutlich, dass die vorherrschenden Strukturen eben nicht der körperlichen Konstitution der Frauen,  sondern ganz klar patriarchalen Mustern geschuldet sind.

Traditierte Wertvorstellung

Es hält sich hartnäckig das Muster, das Ansehen der Frau an der Anzahl ihrer Kinder festzumachen, was in Verbindung mit schlechter Gesundheitsvorsorge ein enormes Risiko birgt. Doch Frauen haben billig zu arbeiten und Kinder zu bekommen und auf jegliches Selbstbestimmungsrecht zu verzichten. Wie in allen Teilen Kurdistans und des Mittleren und Nahen Ostens werden Frauen traditionell sehr jung verheiratet, auch als Zweit- oder Drittfrau an einen viel älteren Mann. Die „Ehre“ des Mannes und der Familie manifestiert sich traditionell über die „Jungfräulichkeit und Reinheit“ der Frau. Darin drücken sich vorkapitalistische Strukturen der Frauenunterdrückung aus, worin diese nicht als freie Warenbesitzerin, sondern als Unfreie auftritt – was sich auch darin zeigt, dass sie einen Preis hat: den Brautpreis.

Mädchen wurden gehindert, die Schule zu besuchen oder einen Beruf zu erlernen; einzig die Heirat war die Perspektive. Zwangs- und arrangierte Ehen sind an der Tagesordnung, ebenso Gewalt. Und diese insbesondere in der Familie durch Väter und Männer. Die ökonomische und politische Unterdrückung der KurdInnen wurde nicht selten durch die Männer an die eigene Familie, an die Frauen und Kinder weitergegeben, statt sich gegen die Unterdrücker zur Wehr zu setzen. Die übrige Gesellschaft unterstützt in großen Teilen immer noch obendrein die Annahme, dass die Familienehre  hauptsächlich von der Kontrolle über Frau und Kinder abhinge.

Dieses Phänomen ist nicht nur in der islamischen Welt weit verbreitet, sondern hat seinen Hintergrund in den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, den Strukturen und den daraus erwachsenden Abhängigkeiten. Es auf die Religion zurückzuführen, blendet in der Regel die dahinterliegenden Faktoren aus und führt nicht selten zu antimuslimischen Ressentiments. Den Frauen einer traditionellen kurdischen Familie ist es verboten, Beziehungen mit einem anderen Mann als ihrem Ehemann einzugehen. Verstößt eine Frau gegen diese Regel, verletzt sie damit die Ehre ihrer Familie und diese gilt als befleckt. Dabei hat es keinerlei Bedeutung, ob die Frau mit dem z.B. sexuellen Kontakt einverstanden ist oder ob eine Vergewaltigung erfolgte – was bekanntermaßen gerade in der Türkei nach sexueller Gewalt durch den türkischen Staat an kurdischen Frauen zu katastrophalen Situationen geführt hat, welche die kurdischen Frauen erst nach langen Kämpfen sichtbar machen und sich dagegen wehren konnten. Es kann indes immer noch dazu führen, dass männliche Familienmitglieder, um die Ehre wieder herzustellen und den eigenen sozialen Tod zu verhindern, die Frau töten, wogegen auch verschärfte Gesetze wenig ausrichten konnten.

In Anbetracht dieser Bedingungen ist es erstaunlich, dass Frauen aus diesem schweren Schatten heraustraten und den mutigen Schritt hin zur Selbstorganisation bis hin zur Etablierung von Frauenräten vollziehen konnten. In Gesellschaften, in denen der Ehrbegriff wesentlich stärker über die Existenz wegen des Rückhaltes in den traditionellen Strukturen entscheidet, kann diese Entscheidung nur aufgrund der Entwicklung einer politischen, gesellschaftlichen Kraft gesehen werden, die die Frauen als Kämpferinnen organisiert und ihr politisches Selbstbewusstsein stärkt. Die PKK und die PYD boten den Frauen nicht nur eine gegen das Patriarchat gerichtete Ideologie an, sondern auch eine Alternative zur Existenz als Unterdrückte im Haushalt.

Die Entscheidung, dass die Frauen im öffentlichen Raum agieren, setzt zumindest voraus, dass die ursprüngliche Zwangsbestimmung der Frau für Heim und Küche an irgendeinem Punkt aufgebrochen wurde. In den kurdischen Gebieten in der Türkei manifestierte sich dies in den Ergebnissen des Kampfes gegen das türkische Militär, das viele Frauen aufgrund von Verhaftung oder Tod des Ehemanns zur Alleinversorgerin machte und eine außerhäusliche Arbeit und öffentliches Leben erzwang. Ebenfalls brachte der politische Kampf in der kurdischen Befreiungsbewegung die Frage der Frauenbefreiung zentral auf die Tagesordnung.

Es ist zu folgern, dass ähnliche Bedingungen auch für die Kurdinnen in den syrischen Gebieten vorherrschen mussten. Die Unterdrückung durch das Assad-Regime hatte zwar einen anderen Hintergrund als die Angriffe der türkischen Regierung auf Nordkurdistan, dennoch fürchtete auch Assad die Unabhängigkeitsbestrebungen der KurdInnen und überzog sie mit massiver Repression. Allein die Tausende von Frauen, die sich auch aus Westkurdistan der PKK-Guerilla angeschlossen haben, zeugen von Familienstrukturen, vor denen massenhaft in die Guerilla geflüchtet wurde, aber insbesondere nach politischen Kämpfen wie dem Serhildan oder dem Südkrieg von mehr und mehr politischem Kampfeswillen der Frauen.

Ideologie

In der PKK wurde zwar von Beginn an die Frage der nationalen Befreiung mit der Frauenbefreiung verknüpft. In den ersten Jahren wurde sie jedoch wie jede andere politische oder soziale Frage vollständig dem „Hauptwiderspruch“, der Lösung der nationalen Frage, untergeordnet.

Später löste die Frauenfrage die nationale Unterdrückung als Hauptwiderspruch ab. Dafür wurde eine Ideologie entworfen und weiterentwickelt, die nicht allein aus der Feder Öcalans, sondern auch von den Guerillakommandantinnen stammt und die eine absolut frauenspezifische Legitimation in Rahmen des Befreiungskampfes des kurdischen Volkes darstellt, dessen Ziel nicht nur die Integration der Frauen in den Kampf war, sondern klar definiert, dass ohne die Frau der Kampf gar nicht möglich ist.

Dazu wurde eine die Existenz eines Matriarchats im antiken Mesopotamien, also auf kurdischem Gebiet, konstatiert (1), das durch die Herausbildung eines gesellschaftlichen Mehrproduktes und dessen privatisierter Aneignung durch die Männer, also die Entstehung des Patriarchats, entmachtet wurde. Die Versklavung der Frau und alle negativen Eigenschaften wie Egoismus, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unfreiheit werden auf die Entstehung des Patriarchats zurückgeführt und sind wie auch die Entstehung von Staaten und der Charakter des Kapitalismus durchweg männlich negativ konnotiert.

Weibliche Werte?

Der Frau werden in dieser Sichtweise die klassischen weiblichen Werte attestiert und soziale Kompetenzen daraus abgeleitet. Frauen seien demzufolge aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit für konstruktive Harmonie, Frieden, Freiheit und Demokratie. Sie wären aufgrund ihrer herausragenden Rolle in der matriarchalen Vergangenheit die natürlichen Trägerinnen des „Sozialismus“. Die Machtübernahme durch das Patriarchat führte zur Unterdrückung der Frauen, ja letztlich des gesamten kurdischen Volkes.

Die vorherige Periode der Frauengesellschaft wird als das goldene Zeitalter dargestellt, das die Schlüsselrolle bei einer Wiedererweckung der kurdischen Nation spielen soll. Die „neolithische Dorfrevolution“ sei die Ursache der heutigen Sehnsucht der Menschheit nach einem natürlichen und freien Leben. Dieser Mythos, der sich organisch mit dem Wesen der Frauen verbinde, die aufgrund ihrer Gebärfähigkeit und der damit einhergehenden Verbundenheit mit der Natur über die Geheimnisse des Lebens verfügen, wird zur zentralen Figur in zahlreichen Texten Öcalans und der kurdischen Frauenbewegung.

Die Diskussionüber Matriarchat und Frauen wird stark biologisiert geführt. Quasi naturgegebene Eigenschaften werden sowohl Männern als auch Frauen attestiert. Darin liegt auch die besondere Verantwortung der Frauen für die Kinder, die die Männer erst noch erlernen müssen. Frauen wird Pazifismus unterstellt, während der Mann als kriegerisch kategorisiert wird. Ebenso verfügen Frauen über bessere Konfliktlösungsstrategien und das nicht, weil sie diese gegebenenfalls unter Druck der vorherrschenden Verhältnisse besser trainiert haben, sondern via biologischer Eigenschaft.

Da die kurdische Gesellschaft, so Öcalan, insgesamt zu den Wurzeln des alten Mesopotamien, also zum Matriarchat zurückkehren möchte, ist die Rolle der Frauen im Kampf auch so zentral. Die Unterdrückung des kurdischen Volkes und der kurdischen Frau kann also nur durch eine Befreiungsperspektive überwunden werden, in der beide Faktoren gegenseitig voneinander abhängig sind. Ohne das Erwachen der Frau keine Befreiung Kurdistans. Damit wird die bisher völlig erniedrigte Rolle der kurdischen Frau über alle Maßen erhöht und ihre Vorreiterinnenrolle maßgeblich begründet.

Der radikale Bruch mit dem bisher rassistisch, durch die Besatzungsstaaten in Verbindung mit Clanstrukturen und einer die Unterdrückungsverhältnisse rechtfertigenden und stabilisierenden Religion konstruierten Bild der kurdischen Frau und ihre nun erfolgte extreme Erhöhung führt aber zu einem tief sitzenden inneren Widerspruch, der weitreichende Folgen für die Frauenbewegung hat. Einerseits ist er eng mit einer enormen Bereitschaft zur Organisierung verbunden – andererseits bindet er die Frauen ungewollt an ihre traditionelle Rolle.

Aus kritischer Perspektive ist der mythische Bezug natürlich nicht zu teilen. Weiter ist herauszustellen, dass, so wichtig die maßgebliche Rolle der Frauen für den Kampf um die Befreiung ist, diese Zuschreibungen ihnen enorme Lasten aufbürden. Nicht nur eine weitere Fixierung und Festlegung auf ein Frauenbild ist kritikwürdig. Z.B. könnte ein etwaiges Versagen im Befreiungskampf bzw. die Zuspitzung äußerer Faktoren durch übermächtige Gegner einer mangelnden patriotischen Bereitschaft der Frauen zugeschrieben werden. Andere objektive Faktoren, die bei der Demokratisierung der Gesellschaft – von Sozialismus ist im Frauenbefreiungskampf der PKK/PYD keine Rede mehr – eine Rolle spielen könnten, werden nicht erwähnt.

Fehlende Klassenanalyse

Es findet sich weder eine Analyse der kurdischen Gesellschaften noch die Einordnung ihres Kampfes in den bestehenden Staaten in die weltpolitische Lage. Gerade aber die syrische Revolution war die Wegbereiterin und Katalysatorin für das Projekt Rojava. Und jede Veränderung in der politischen Gemengelage wird sich auf die Situation Rojavas auswirken. Und es fragt sich obendrein, warum der Sozialismus, wenn er schon der Frau innewohnend konstatiert wird (2), nicht auf der politischen Agenda im Sinne der Frauenbefreiung ganz oben steht. Hier zeigt sich eine enorme und, falls sie nicht überwunden wird, fatale Schwäche des Programm der PKK/PYD. Ihr Verständnis von Sozialismus ist letztlich der „Vision“ eines „Dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus entnommen, wobei im „Sozialismus“ der PKK die Genossenschaften und nicht wie im traditionellen sozialdemokratischen Reformismus die Staatsintervention und Verstaatlichung die Schlüsselrolle spielen. Eine Gesellschaft jenseits der Marktwirtschaft oder gar eine demokratische Planwirtschaft taucht in der Programmatik nicht auf, ja, wird oberflächlich mit der Kritik am Stalinismus (Staatssozialismus) gleich mit entsorgt.

Die Zuschreibung sozialer Eigenschaften legt Frauen weiterhin auf ihre Rolle als Mutter fest. Sie ist die Erzieherin und Persönlichkeitsbildnerin der Kinder, die Übermittlerin von Kultur durch die Weitergabe von Sprache, Musik, Essgewohnheiten, von Moral und Werten. Trotz der Unterdrückung des kurdischen Lebens ist die zugeschriebene Bindung der Frau an die Tradition zweischneidig. Wenn die Weitergabe der Kultur gefordert wird, ist es aktuell die patriarchale Kultur, in der die Frau die Sklavinnenrolle und die damit verbundene Mentalität weitergibt. Kann sie sich dieser einzig durch die Übernahme einer neuen Ideologie entledigen?

Kultur und Nation

Neben der wissenschaftlich nicht begründeten Zuschreibung von biologischen Charaktereigenschaften ist die Aufgabenzuteilung an die Frauen eine weitere Festlegung, die zwar ihre Begründung in dem Erhalt der kurdischen Kultur gegenüber den Unterdrückerstaaten hat, doch gerade die Zuweisung der Verantwortung an die Frauen, die zuerst die Unterordnung unter den Mann abtrainieren müssen, ohne bisher dafür vielfach eine ausreichende ökonomische Grundlage zu besitzen, ist das eine Festlegung auf tradierte Rollen. Eine ausschließlich ideologische Transformation wird nicht stattfinden bzw. wird, wenn sie nicht ökonomisch auf der Unabhängigkeit der Frauen fußt, von jeder Reaktion wieder einkassiert. Aber die Ideologie der PKK/PYD hat sich neben dem Stalinismus auch vielfach der marxistischen Analyse entledigt und erscheint bei unserer bisherigen Untersuchung als ein über weite Strecken doch recht idealistisches Konstrukt mit Versatzstücken unterschiedlicher Weltanschauungen plus einer gehörigen Portion Mystizismus, das Stringenz oftmals vermissen lässt.

Ähnliches Verständnis gilt für die Familie, die sowohl als „hauptsächliche und standhafteste Festung des Mannes“ (3), als „kleinste Zelle in der gesellschaftlichen Herrschaftsstruktur“ und als das „Grab der Frau“, „Schacht ohne Boden“ (4) erfrischend scharf kritisiert, aber eben gleichermaßen auch als Hort kurdischer, bewahrenswerter Kultur definiert wird. Die Rolle der heutigen Familienstrukturen wird nicht grundlegend in ihrer Funktion zur Aufrechterhaltung patriarchaler und kapitalistischer Verhältnisse und als Ort der privaten, unentgeltlichen, meist weiblichen Hausarbeit analysiert. Die Rolle der Familie für ein neues Kurdistan wird vielmehr neu interpretiert und soll Reformen erfahren, wird im Kern aber nicht infrage gestellt, geschweige denn eine darüber hinausweisende Perspektive entwickelt.

Familie und Lohnarbeit

Also keine Fragestellung danach, was Frauen und auch Männer real benötigen, um die verkrusteten unterdrückenden Familienstrukturen hinter sich lassen zu können. Auch nicht danach, welche ökonomischen Grundlagen und welche Übernahmen „hausfraulicher“ Tätigkeiten gesellschaftlich neu organisiert werden müssen. Es finden sich weder konkrete Vorstellungen von neuen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens noch ein Hinweis auf die ökonomische Basis, die das freie Zusammenleben aller mit allen ermöglicht. Die Befreiung und Überwindung der bisherigen Geschlechterrollen kann nicht diktatorisch erfolgen, wenn dies nicht mit Perspektiven, Forderungen und Übergangsszenarien verbunden wird. Bleibt man bei den mit dem Kapitalismus verbundenen Lebensverhältnissen stehen, zieht auf jeden Fall bekanntermaßen die Frau wieder den Kürzeren. Frauenunterdrückung würde nicht aufgehoben, sondern den Erfordernissen angepasst.

Öcalan, die PKK und die PYD haben offensichtlich auch kein Konzept für die Befreiung der Lohnarbeiterinnen, dem Herzstück der marxistischen Theorie der Befreiung der Frau. Obwohl die „Hausfrauisierung“ durch den Kapitalismus als die brutalste Methode des Ausschlusses der Frauen aus der Wirtschaft angeprangert wird, fehlt ein Szenario, ein Programm oder auch nur Forderungen, wie sich die kurdische Arbeiterin aus ihrem Dilemma befreien kann. Denn Beteiligung am öffentlichen Leben, allen voran die Teilnahme am Produktionsprozess ist neben der Aufhebung der Familie die „zweite Säule“ weiblichen selbstbestimmten Lebens.

Trotz der fehlenden Analyse und Programmatik entwickeln sich in Rojava viele Frauenkooperativen, die sich das Ziel, die Frauen effektiv in die Wirtschaft einzubinden, so dass sie sich auch finanziell emanzipieren können, gesteckt haben. Kooperativen in Wirtschaftsbereichen wie Mehl-, Milch-, Käse- oder Textilproduktion und landwirtschaftlichen Erzeugnissen vergrößern sich. Private Großbetriebe gibt es fast keine, private Unternehmen haben nicht mehr als 15 – 20 Lohnabhängige. Die wenigen Großunternehmen wanderten ab oder sind mit dem syrischen Bürgerkrieg geflohen. Dazu ist zu erwähnen, dass die Großgrundbesitzer in Rojava ca. 20 % des Landes kontrollieren, es viele Kleinbauern und Dörfer gibt und die kurdische Oligarchie kein ausschlaggebender Faktor in der politischen Landschaft zu sein scheint. Mehrere tausende Hektar zuvor staatlichen Landes wurden an Besitzlose kostenlos vergeben. Die notwendigen Geräte und Maschinen wurden gratis bereit gestellt. Viele dieser neuen LandbesitzerInnen bearbeiten ihr Land als Kooperativen.

Die Tatsache, dass die Entwicklung in Rojava nur im Rahmen der syrischen Revolution und in den anderen, angrenzenden Ländern eine Perspektive hat, verdeutlicht aber auch, dass die relative Schwäche von Großgrundbesitzern und Kapitalisten nur eine Momentaufnahme ist, die sich bei einem Fortschreiten der Konterrevolution oder einer „demokratischen“ Befriedung von oben rasch ändern kann.

Strategische Ausrichtung

Grundsätzlich kann die Kooperative oder GenossInnenschaft zwar ein Mittel sein, Frauen stärker und dauerhaft in die Produktion zu integrieren wie auch die Bevölkerung im Land für eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft zu gewinnen. Aber das ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Die Kooperative, der selbstverwaltete Betrieb ist noch immer eine Form des Privateigentum an Produktionsmitteln, die für einen Markt produziert. Zu einer Form des Übergangs zu einer anderen Gesellschaft kann sie nur werden, wenn sie in eine Strategie der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung eingebettet ist, wenn die demokratische Revolution, als die die arabische Revolution wie die Entwicklung in Rojava begonnen hat, permanent gemacht, konsequent durchgeführt und mit den Aufgaben einer sozialistischen Umwälzung verbunden wird. Nur im Rahmen einer solchen Strategie und Programmatik ist letztlich auch die Befreiung der Frauen möglich.

Insgesamt haben das Projekt Rojava und vor allem die Verbesserungen für die Frauen einen revolutionären, vorbildlichen Charakter, auch wenn sie bisher zuerst auf die Ebene demokratischer Reformen und Institutionen bezogen sind, die ökonomische Emanzipation hinterherzieht und die Eigentumsfrage womöglich auch aufgrund der Embargo- und Kriegslage hintenan gestellt wird. Die ideologischen Begründungen, die hinter dem Projekt Rojava und damit der Frauenfrage stehen, sind aber trotzdem für uns sehr  widersprüchlich und müssen auch einer marxistischen Kritik unterzogen werden. Das trifft nicht nur auf die Herleitung der Frauenunterdrückung zu, sondern auch auf die widersprüchliche Kritik der Familie. Vor allem betrifft es, dass jedes Programm einer sozialen Befreiung der Arbeiterin, jedes Programm einer Vergesellschaftung der Hausarbeit und damit einer wirklichen Unterminierung der Familie als „Grab der Frau“ fehlt.

Trotzdem hat die Entwicklung in Rojava eine enorme Stärkung der Frau gebracht. Die Geschlechterfrage ist aufgrund der sehr guten Organisationsstrukturen der Frauen allgegenwärtig, was sich auch in den Selbstverteidigungsorganisationen und Frauenkooperativen ausdrückt. Damit ist eine Grundlage geschaffen, die patriarchalen Strukturen kompromisslos zu bekämpfen.

Das weitere Schicksal der Frauenbefreiung in Rojava wird insbesondere davon abhängen, ob die errungene Selbstverwaltung gegen den Islamischen Staat und das Assad-Regime behauptet werden kann, also letztlich vom Schicksal der syrischen Revolution. Sie wird zweitens davon abhängen, ob die demokratischen Fortschritte mit einer grundlegenden sozialen Umwälzung in Rojava, in den anderen kurdischen Gebieten und im ganzen Nahen Osten verbunden werden, um so auch die gesellschaftlichen Wurzeln der Frauenunterdrückung zu beseitigen. Dafür braucht es die weitere unbedingte solidarische Unterstützung des Frauenkampfes, des Projektes Rojava und der syrischen Revolution.

Endnoten

(1) Vgl. PJA (Partiya Jina Azad), Partei der Freien Frau, Programm, S. 66 f.

(2) Ebd., S. 14

(3) Ebd., S. 30

(4) Ebd., S. 71