Signa und das System René Benko

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 280, Februar 2024

Das System Benko und mit ihm die Signa-Gruppe stehen vor dem vorläufigen Aus. Die Signa Holding und viele ihrer rund 200 Tochtergesellschaften haben Insolvenz angemeldet. Aber nicht nur der Konzern, sondern letztendlich die gesamte Immobilienwirtschaft ist durch steigende Zinsen und Baukosten ins Stocken geraten. Zugleich drohen die Absicherungen durch überbewertete Immobilien, infrage gestellt zu werden. Doch die Insolvenz kann weit über die Immobilienwirtschaft und den Handel Auswirkungen haben. Denn sie steht sinnbildlich für eine Spekulationsblase des Kapitals, für kurzfristig höhere Renditeerwartungen. Auch wenn die Pleite von Signa nicht vergleichbar ist mit der von Lehman Brothers 2008, so zeigt sie doch die Krisenhaftigkeit der Weltwirtschaft und deren Einfluss in den DACH-Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz) auf.

Eine kleine Geschichte René Benkos

2021 wurde Benko zum drittreichsten Österreicher mit einem geschätzten Kapitalvolumen von 5,6 Milliaren US-Dollar gekürt. Auch wenn heute weite Teile seiner Unternehmen sich in Insolvenz befinden, so ist nicht davon auszugehen, dass er am Hungertuch nagen wird. Er ist Sinnbild der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Weltwirtschaftskrise von 2007/08, Ausdruck der Finanzialisierung des Immobiliensektors weit über Signa hinaus. Um die Entwicklung nachzuvollziehen, soll kurz ein Blick auf den beruflichen Werdegang geworfen werden. Die Geschichte zeigt, dass es sich beim Kapital nicht um abstrakte Kategorien, sondern wirkliche Entitäten handelt.

Benko stieg Mitte der 1990er Jahre in die Selbstständigkeit ein. Damals plante er Projekte zum Ausbau von Dachböden in hochpreisigen Penthouses gemeinsam mit dem Bauunternehmer Johann Zittera. 2001 gründete er die Firma Immofina Holding, wofür er eine Anschubfinanzierung von 25 Millionen Euro vom ehemaligen Tankstellenbesitzer Karl Kovarik erhielt und ihn beteiligte. Benko selbst kam aus relativ einfachen Verhältnissen. Die Mutter war Erzieherin, der Vater Beamter der Gemeinde. Er wuchs in einer 60 m² Wohnung in Innsbruck auf. Sein Unternehmenskonzept basiert damals wie heute auf zwei grundlegenden Herangehensweisen. Er zielte auf Immobilien mit „Entwicklungspotential“ ab und versuchte, für diese Projekte Fremdkapital einzuwerben oder in vorherigen entwickelte Sicherheiten einzusetzen, um bessere Kreditbedingungen zu erhalten.

Zwischen 2004 und 2010 hatte er dann sein erstes Großprojekt mit der Neuerrichtung des Kaufhaus Tyrol. Bereits im Zuge dessen wurden in verschiedenen Metropolregionen Österreichs und Deutschlands Immobilien erworben und das Unternehmen in Signa Holding (2006) umbenannt.

Bekannt in Deutschland sind sicherlich sein Erwerb der Karstadt Group 2012 – 2013. Hier versprach Benko die Rettung des seit 2009 insolventen Handelskonzerns. Bereits damals machte er deutlich, dass er auch Galeria Kaufhof kaufen wolle. Mit dem Erwerb Karstadts ergänzte Signa neben den Immobilien seine Handelssparte. Gemeinsam mit der Benny Steinmetz Group kaufte er Teile des Karstadt-Eigentums. Das Verhältnis wurde bald wieder aufgelöst, wobei Steinmetz in der Zeit für seinen Korruptions- und Erpressungsskandal bekannt wurde aufgrund des Erwerbs von Erzschürfrechten im Südosten Guineas. 2014 wurden auch Benko und sein Steuerberater zu 12 Monaten auf Bewährung verurteilt („bedingte Haftstrafe“). Denn Letztere hatte 2009 dem ehemaligen kroatischen Premier Sanader 150.000 Euro angeboten, damit dieser ein Gerichtsverfahren in Italien in Benkos Sinne beeinflusst.

Auch die Schweizer Warenhauskette Globus (2020) und das österreichische Möbelhaus Leiner & kika (heute: kikaLeiner) erwarb Signa. 2018 kaufte die Holding dann die Mehrheitsanteile an Galeria Kaufhof und führte 2019 Galeria Karstadt Kaufhof zum zweitgrößten europäischen Warenhauskonzern zusammen. Benko wurde damit zum größten europäischen Warenhausmogul. Auch im Onlinehandel war er aktiv. Mit der Signa Prime und Development wird der Immobiliensektor abgedeckt und aufgeteilt in teure und zu entwickelnde Immobilien. Die Warenhaussparte mietete zumeist bei anderen Signa-Tochterunternehmen die jeweiligen Immobilien.

2019 stieg die Konzerngruppe auch in die Medienbranche ein, als sie die Anteile der Funke Mediengruppe an den österreichischen Zeitungen Krone und Kurier kaufte. Zu Spitzenzeiten beschäftigte Signa etwa 46.000 Angestellte in Österreich, Italien, der Schweiz und Deutschland.

Doch Benko und seine Signa haben sich hier schlussendlich verspekuliert. Die Handelssparte konnte nicht genug Profit abwerfen, um sich zu halten, während die Inflation die Bauvorhaben ins Stocken brachte. Die massive Überbewertung Signas erforderte eine stetige Ausweitung des Portfolios. In diesem Sinne ist die Signa Holding eine eigene „kleine“ Spekulationsblase für Kapitalist:innen primär in der DACH-Region.

Finanzialisierung des Immobiliensektors

Mit Finanzialisierung wird die Entwicklung seitens des Finanzkapitals zur Fokussierung auf Immobilien als Anlage und Absicherung weiterer Kaufoptionen mittels Bewertung der auf Kredit gekauften Immobilien verstanden. Diese müssen dafür eine gesteigerte Rendite abwerfen.

Gerade angesichts der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken wurden solche Entwicklungen befeuert. Der Prozess war widersprüchlicher Weise auch Konsequenz gesunkener Immobilienpreise nach Platzen der Blase des aufgeblähten US-Immobilienmarktes und ihrer weitreichenden Abwertung zu dieser Zeit. Die zusätzlichen Kapitalströme, die seither in den deutschen Wohnungsmarkt fließen, sind u. a. das Ergebnis mangelnder Renditesteigerungsmöglichkeiten durch Investitionen im produzierenden Sektor infolge der Überakkumulation des Kapitals. Angesichts stagnierender Profitraten in Industrie und Gewerbe wird auf sichere Verzinsung und Rentengewinne gesetzt, auf „Betongold“, also Immobilien als „sichere“ Investitionsmöglichkeit. Während die Big Four (Vonovia SE, Deutsche Wohnen SE, TAG Immobilien AG oder LEG Immobilien SE) jahrelang in Deutschland den Wohnbereich dominierten, war Signa im Schatten deren aktiv und konzentrierte sich auf Gewerbegebäude.

Wer investiert in Signa?

Weiterhin ist unklar, welche Anteile Benko an der Benko Familienstiftung und ihrer Signa Holding hält. In der Reportage „Der wundersame Erfolg des René Benko“ von Inside Austria wird deutlich behauptet, dass außerhalb der Person René Benko vermutlich niemand weiß, wie viele Unternehmen und welche Besitzanteile zur Signa-Gruppe gehören. Signa als Holdinggesellschaft versuchte, nicht nur günstige Kredite für ihre Vorhaben bei Banken zu erhalten, sondern stellte für Teile der Bourgeoisie eine hoffnungsvolle Renditeerwartung dar. Nicht alle Investor:innen sind an die Öffentlichkeit gelangt, einige erst im Zuge der Panama Papers. Denn die Holdinggesellschaft besteht aus knapp 200 Subfirmen, strukturiert nach Treuhänder:innen, Investor:innen, teilweise aber auch nach Immobilien, Wirtschaftssektoren oder Staaten. Zugleich hat die Signa Holding zwar die Börse gekauft (das Unternehmen besitzt die Immobilie), ist jedoch nie eine Aktiengesellschaft geworden. Dementsprechend hat der Konzern wenig Verpflichtung zur Transparenz. Diese Undurchsichtigkeit ermöglicht es sowohl Investor:innen, teilweise weniger erkennbar zu sein, als auch die Überbewertung des Unternehmens.

Trotzdem gibt es einige bekannte Investor:innen wie den STRABAG-Chef Klemens Haselsteiner, die Peugeot-Familienholding, Ernst Tanner von Lindt & Sprüngli, der Fressnapf-Gründer Torsten Toeller oder der Logistikmilliardär Kühne. Ex-Porschevorstandschef Wendelin Wiedeking zog sich beispielsweise aus Signa zurück und sprach sich öffentlich gegen Investitionen aus wegen intransparenter Unternehmensführung. Ähnlich wie im Wohnungssektor hat Signa also als Gewerbeflächeninvestorin bereitgestanden und Anlagegewinne weit über den durchschnittlichen Kapitalrenditen versprochen. Von der Firmenpleite sind also bedeutend mehr betroffen, als wir aktuell wissen.

Das heißt nicht, dass René Benko unbedingt gegenüber seinen Investor:innen als Blender aufgetreten ist. Hier gab es auch verschiedene Buyouts und Verkäufe in den letzten Jahren, wie Wiedeking und in Teilen Tanner. Medienberichten zufolge gibt es aktuell 94 Gläubiger:innen, die der Signa-Gruppe Geld geliehen haben in einem Volumen von 14 Milliarden Euro – darunter 74 Banken, 8 Versicherungsunternehmen und 12 Fondgesellschaften.

In seiner Handelssparte kann man das schon eher annehmen, denn für abertausende Beschäftigte hat die in kürzester Zeit zum größten europäischen Handelskonzern augestiegene Signa drohende Arbeitslosigkeit und Lohnverzicht bedeutet. Die Beschäftigten im Einzelhandel und das Argument der angeblich aussterbenden Innenstädte dienten ihm auch als Türöffner:innen, um Einfluss auf die Lokalpolitik zu nehmen.

Einflussnahme auf die Politik

Der Signa-Aufsichtsratsvorsitzende Benko ist auch für sein umfassendes Netzwerk bekannt. Er tritt als politisch überparteilich auf, pflegt Kontakte zu verschiedensten Parteien, Ministerien und Staatssekretär:innen. 2017, als Sebastian Kurz österreichischer Kanzler wurde, unterstützte er alle drei Parteien, die Kanzlerkandidat:innen stellten, also FPÖ, ÖVP und SPÖ. Kurz und seine Amigos spielten ihm damals beim Kauf von des kikaLeiner-Flagshipstores in der Wiener Mariahilfer Straße in die Hände, scheinbar, weil sie Interesse am Aufbau des österreichischen Kapitalisten hatten. Kurz nahm ihn auch zu verschiedenen Staatsbesuchen mit.

Auch auf kommunaler und städtischer Ebene war Benko immer wieder aktiv. In verschiedenen Verhandlungen soll er für den Erhalt von Kaufhäusern gegen etwaige Bauvorschriften die Rechte zum Umbau oder Abriss erhalten haben, teilweise auch trotz Denkmalschutzes. Das Argument Rettung der Innenstädte und Arbeitsplätze ist hier gerade für kommunale Politik äußerst wirkmächtig und das auch ganz ohne offene Korruption. In Berlin beispielsweise, wo eine Reihe von Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen existiert, kam es zu regelrechten Kuhhandeln. Sowohl nahm Signa hunderte von Millionen an staatlichen Subventionen an, wie sie im Gegenzug auch den Erhalt eines Teils der Arbeitsplätze für Baugenehmigungen „garantierte“. Zugleich haftet Signa nicht für Teilinsolvenzen, wodurch die meisten Versprechen fromme Hoffnungen blieben.

Enteignet Benko!

René Benko kommt durch sein Unternehmenskonzept weitgehend unbeschadet aus der Pleite heraus, während sein Geschäft auf dem Auspressen von Immobilien, dem Hochtreiben von Immobilienpreisen in europäischen Innenstädten, aber auch Massenentlassungen von Beschäftigten der Handelsunternehmen basierte. Zahlen müssen also hier die einfachen Mieter:innen, kleinen Ladenbesitzer:innen und Arbeiter:innen.

Diese Kosten müssen jedoch vom Kapital getragen werden, weshalb es eine Reihe von Maßnahmen braucht wie die Öffnung der Geschäftsbücher und das Einfrieren der Kapitalanlagen in und um Signa. Die Immobilien müssen verstaatlicht, ihre Verwendung muss durch die Beschäftigten, die Gewerkschaften und die Mieter:innenbewegung kontrolliert und geplant werden. Dabei darf nicht vor dem Privatvermögen Benkos und seiner Nutznießer:innen haltgemacht werden. Zugleich braucht es einen Plan für die Zukunft des in der Krise befindlichen Einzelhandels und eine eventuelle Überführung der Stellen in andere gesellschaftlich notwendige Arbeiten. Denn die Rettung des städtischen Lebens kann nicht die künstliche Aufrechterhaltung der Konsumpaläste bedeuten.




Claus Weselsky – ein Gewerkschaftsbürokrat wie andere auch

Leo Drais / Martin Suchanek, Infomail 1243, 28. Januar 2024

Der Bahn-Streik wird vorzeigt abgebrochen, verkündete GDL-Chef Weselsky zur Überraschung der Öffentlichkeit am 27. Januar. Die Bahn AG sei bei den Verhandlungen zum Verhandeln bereit, frohlockt der große Vorsitzende in der Presserklärung der Gewerkschaft: „Insbesondere die Verhandlungsbereitschaft der DB zur Arbeitszeitabsenkung für Schichtarbeiter ist zentral bedeutsam. Die Bereitschaft, auch über einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln, ist nunmehr vorhanden. Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe.“

Ist damit die Umsetzung der Forderungen der GDL gewährleistet? Wohl nicht. Ein mehr oder minder fauler Kompromiss – orientiert an den Abschlüssen bei privaten Verkehrsunternehmen und nicht an den Forderungen, für die die Mitglieder im Streik angetreten sind – zeichnet sich schon jetzt am Ende der Verhandlungen ab. Diese beginnen am 5. Februar beginnen und sollen bis zum 3. März dauern – Verlängerung möglich.

Offenkundig reicht die bloße Erklärung der Verhandlungsbereitschaft zu „allen Themen“ durch die Bahn AG – und der gestern noch als unbelehrbar, selbstherrlich, geldgierig und beratungsresistent denunzierte Bahnvorstand mutiert zum vertrauenswürdigen Sozialpartner nach Weselskys Geschmack.

Der GDL-Löwe erweist sich als zahmes Kätzchen. Für die Dauer der Verhandlungen wurde eine Friedenspflicht vereinbart, ein bisschen vom DB-Vorstand am Bauch gekrault, ein kleiner sozialpartnerschaftlicher Finger zum reinbeißen, und schon miaut der große Claus zufrieden. Die Gewerkschaft verzichtet freiwillig auf jedes gewerkschaftliche Druckmittel.

Vor allem liegt die Vermutung nahe, dass es am Ende mal wieder um die Konkurrenz der EVG geht. Deren Tarifverträge gelten dank des reaktionären Tarifeinheitsgesetzes im Zuckerstück schlechthin des deutschen Eisenbahnuniversums – der DB InfraGO (ehemals Netz) als Infrastrukturbetreiber. Hier einen Fuß in die Tür zu kriegen, allein schon das bloße Versprechen des DB – Vorstandes darüber zu sprechen, hat gereicht, um den Streik vorzeitig zu beenden. Claus Weselsky ist wieder das, was er eigentlich sein will – ein anerkannter Sozialpartner am Verhandlungstisch anstatt ein Kampfpartner der Eisenbahner:innen.  

In kleinen Kreis soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit und „natürlich“ auch der GDL-Mitglieder verhandelt werden. „Alle Inhalte, Zwischenstand, Zwischenergebnisse etc. unterliegen der strengen Vertraulichkeit und werden nicht nach außen getragen,“ heißt es auf der Homepage der GDL.

Über jeden Winkelzug der Verhandlungen, über das Ergebnis, über das Ende des Streiks entscheidet in Gutsherrenmanier der große Vorsitzende der GDL, Herr Weselsky, samt Stab. In strenger Vertraulichkeit mit den Kapitalvertreter:innen fährt der letzte Rest von Gewerkschaftsdemokratie an die Wand. Die Mitglieder werden nach gelungener Mauschelei allenfalls von ihrem „Erfolg“ informiert.

Die GDL-Spitze agiert in dieser Tarifrunde ähnlich der Konkurrenzgewerkschaft EVG, bloß dass diese sich auch noch zur Schlichtung hinreißen ließ. Der Abschluss der GDL wird – allein, um ihn gegenüber der eigenen Mitgliedschaft besser zu verkaufen – voraussichtlich etwas besser als jener der EVG-Konkurrenz werden. Faktisch verzichtet der GDL-Vorstand mit den Geheimverhandlungen auf den Kampf um die volle Durchsetzung der Forderungen und wird sich im Rahmen der meisten anderen Abschlüsse der letzten Jahre bewegen. 

Es reicht ein bisschen besser zu sein als die EVG-Konkurrenz. Die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts bei den Privatbahnen wurde erkauft mit einer Aufgabe des Wahlmodels 12 Tage mehr Urlaub. Und doch ist Claus Weselsky nicht komplett wie andere Gewerkschaftsbürokrat:innen – er spricht und bandelt auch offen mit der AfD, die nicht nur rassistisch, queerfeindlich und sexistisch und daher schon feindlich gegen vielen Eisenbahner:innen gegenüber ist, sondern als Autopartei schlechthin auch absolut eisenbahnfeindlich ist! Aber solange der große Claus mitreden darf, ist ihm das alles egal. Er hat Autodeutschland längst akzeptiert, ein Eisenbahndeutschland will er nicht – sonst würde er die Cargoverkleinerung bekämpfen, sonst wäre er nicht für die weitere Zerschlagung der DB. 

Die Mitglieder der GDL, die in den letzten Tagen ihre Entschlossenheit beim Streik eindrucksvoll bewiesen haben bleibt nur, den sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs Weselskys nicht mitzumachen. Bei Mitgliederversammlungen und in den Ortsgruppen sollten sie den neuen Kurs nicht nur besprechen, sondern ablehnen. Sie sollten einen Entscheid der GDL-Mitgliedschaft über das Abkommen mit der Bahn AG fordern, die Geheimverhandlungen und die Friedenspflicht ablehnen und die Durchführung eines Streiks zur Durchsetzung aller Forderungen verlangen. Sie müssen dafür eintreten, dass die Streikführung und die Verhandlungskommission unter Kontrolle der Mitglieder gestellt werden, dass diese von ihnen gewählt und abwählbar sein müssen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Arbeitskampf nicht in der üblichen, üblen bürokratischen Manier abgebrochen wird, dass die Streikenden nicht am Katzentisch der Sozialpartner:innenschaft abgespeist werden statt bei voller Entfaltung ihrer Kampfkraft einen wirklichen Durchbruch zu erzielen.




Erklärung der VKG zur Bilanz der großen Tarifrunden

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 19. Januar 2024, Neue Internationale 280, Februar 2024

Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung – Die Lehren für kämpferische Gewerkschafter:innen

Die Tarifergebnisse seit Herbst 22 sind für alle großen Branchen sehr ähnlich. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns fragen, ob das Zufall ist. Wir müssen den Blick über den Tellerrand unserer Branche heben. Wir müssen uns fragen, ob die gewohnte Beurteilung von Tarifergebnissen so noch taugt.

Tarifforderungen orientieren sich immer hauptsächlich an der Inflation, in den Industriegewerkschaften auch an der Produktivitätssteigerung. Das Ergebnis wird daran gemessen, wie viele der Forderungen erfüllt worden sind. Innerhalb der jeweiligen Gewerkschaften geht es immer darum, ob mehr drin gewesen wäre. Von Seiten der kämpferischen Belegschaften und Mitglieder, genauso von der Gewerkschaftslinken gibt es seit Jahrzehnten die wiederkehrende Kritik, dass mehr hätte erreichen werden können, dass die Kampfkraft nicht ausgeschöpft worden sei.

Die übliche Argumentation der Tarifverantwortlichen und der Sekretär:innen war stets, dass nicht genug gekämpft worden sei, entweder von den Kritiker:innen oder von anderen Teilen der Mitgliedschaft oder auch von anderen Teilen des Gewerkschaftsapparates, der nicht so toll ist wie man selber. Letztlich gingen die Debatten immer darum, ob die fehlende Kampfkraft Schuld des Apparats oder der Kolleg:innen war.

Diese Art der Ergebnisdiskussion, die von allen Seiten die Frage der Kampfkraft ins Zentrum stellt, ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen, ja sie war im Grunde ein Teil des Tarifrituals geworden. Nach den letzten Tarifrunden müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir als kämpferische Kolleg:innen oder als Gewerkschaftslinke darüber hinausgehen müssen, denn diese Tarifrunden waren einfach etwas anders.

Keine Diskussion der Forderungen …

Es gibt seit Jahren eine Entwicklung in den DGB-Gewerkschaften, dass die Basis aus dem Prozess der Forderungsdiskussion und -aufstellung herausgedrückt wird. Bei der IGM durften zum Beispiel  nur vorgegebene  Forderungsniveaus angekreuzt werden, wobei 8 % das Höchstmögliche war – zu dieser Zeit war das gerade die aktuelle Inflationsrate. Die Zeiten, als einfach jeder Vertrauensleutekörper seine Forderungen auf einer örtlichen Funktionärskonferenz präsentieren und diskutieren konnte, sind lange vorbei.

Beim TV-L wurde diesmal eine neue Qualität erreicht. In GEW und ver.di wurden Diskussionen über die Forderungen zugunsten einer „Befragung“ abgesagt/verhindert (??).  Die dann von der Führung aufgestellte Forderung wurde in dieser Befragung nicht erwähnt, dann aber als „deren Ergebnis“ verkündet.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei. Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. [i]

Ergebnis abseits der Forderungen …

In den meisten anderen Branchen war das anders. Trotz aller Bemühungen der Führung, die Forderungen niedrig zu halten, hatte es bei Metall und Elektro, bei der Post, der Bahn oder dem TVöD eine lebhafte Debatte gegeben, angeheizt von der Inflation, den fetten Gewinnen in vielen Bereichen und den miesen Abschlüssen in den Jahren davor. Teilweise wurden die Forderungen sogar höher gedrückt. Aber im Rückblick war das vergeblich, denn offensichtlich waren für die Ergebnisse diese Forderungen nicht maßgebend.

Branche Gewerkschaft Laufzeit gefor-dert Laufzeit verein-bart 1. Tab.-Erhöh. nach x Monaten Einmal-zahlungen steuer- +abgabenfrei Tab.-Erhöhung Warnstreik, Streik , usw
Chemische Industrie IG BCE   27 14 1.500+1.500 3,25 %+3,25 % Fehlanzeige
Metall- und Elektroind. IG Metall 12 24 8 1.500+1.500 5,2 %+3 3 % Ca. 900.000 in Warnstreiks
Post Ver.di 12 24 14 In Summe 3.000 4,7 % 85,9 % für Streik in Urabstimmung, kein Streik
TVöD Ver.di 12 24 14 1.240+8*220 200+5,5 %(min 340 Euro) Starke Warnstreiks
Bahn EVG 12 25 9 2.850 200+210 2 halbe Tage Warnstreik Schlichtung 48 % gegen Schlichterspruch
TV-Länder Ver.di, GEW,.. 12 25 12 1.800+10*120 200+5,5 % Durchschnittlich 3 Tage Warnstreiks
Stahlindustrie IG Metall 12 22 14 1.500+10*150 5,5 % 18.000 in Warnstreiks, 30.000 in Tagesstreiks

Es ist nichts Neues, dass die Ergebnisse immer weniger mit den jeweiligen Forderungen vergleichbar sind. Andere Laufzeiten, die Vermengung von Festbeträgen, prozentualer Steigerung, Einmalzahlungen, Besserstellung einzelner Beschäftigtengruppen oder neue Sonderzahlungen wie bei der IGM haben einer Diskussion in der Mitgliedschaft schon die Grundlage weitgehend entzogen, die Ergebnisse mit den Forderungen wirklich zu vergleichen.

Die steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen („Inflationsausgleichsprämie“) als bestimmendes Element für das jeweils erste Jahr der Tariflaufzeit bringen noch eine neue Qualität hinzu: Sie wirken sich für jede/n individuell unterschiedlich aus.

Die Tatsache, dass aber in keiner Tarifrunde diese Einmalzahlungen gefordert oder bei der Forderungsaufstellung diskutiert wurden, obwohl gerade bei den Beschäftigten der Länder ja mit der Übernahme der Forderung von Bund+Kommunen klar war, dass die Übernahme des Ergebnisses angestrebt wird, zeigt noch mal mehr die tiefsitzende Verachtung der Gewerkschaftsführung für innergewerkschaftliche Demokratie.

Kampfkraft spielt offensichtlich keine Rolle

Aber nicht nur die Forderungsaufstellung hatte wenig Einfluss auf die Ergebnisse, auch der Verlauf der jeweiligen Tarifrunde. Ein Überblick über die großen Tarifrunden zeigt, dass sich die Ergebnisse sehr ähnlich sind, der Verlauf der Tarifrunden aber extrem unterschiedlich. Zum Zweiten enthalten alle steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, meist in Summe von 3.000 Euro, etwas, was in keiner einzigen Tarifforderung auch nur ansatzweise aufgetaucht war. Drittens haben alle mit erheblich längerer Laufzeit als gefordert abgeschlossen.

Die Tarifkämpfe, in denen, für sich betrachtet, die gezeigte und entwickelbare Kampfkraft am wenigsten genutzt wurde, um einen Reallohnverlust zu verhindern, waren Metall- und Elektroindustrie, Post, TVöD, Bahn(EVG) und Stahlindustrie.

Die Tarifrunde TV-L, die erst im Herbst 2023 abgewickelt wurde, war also nicht diejenige, in der die Mobilisierung der Beschäftigten am krassesten einem schlechten Ergebnis gegenüberstand. Der TV-Länder leidet nach wie vor daran, dass die Belegschaften in den Flächenländern schlecht organisiert bzw. verbeamtet sind, im Unterschied zu den Stadtstaaten. Aber aus ihrem ganzen Verlauf wurde klar, dass sie nach dem Willen der Gewerkschaftsführung genau zu diesem Ergebnis führen sollte, das abgeschlossen wurde: Auf die Unterdrückung der Forderungsdiskussion folgte die diktierte Übernahme der Forderung für den TVöD, dann die Übernahme desselben Ergebnisses, bis auf 25 statt 24 Monate Laufzeit.

Mehr Kampfkraft alleine hätte also dieses Ergebnis nicht verbessert, sondern nur schneller erreicht; Mit weniger Kampfkraft wäre vielleicht noch eine Runde Warnstreiks mehr nötig gewesen. Es reicht also nicht, wenn wir weiter über Kampfkraft und ihre Entwicklung reden, ohne zu verstehen, warum und wie dieser offensichtliche Zielkorridor für die Tarifergebnisse zustande kam und welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.

Konzertierte Aktion

Die Erklärung für den besonderen Verlauf der Tarifrunden finden wir in der Konzertierten Aktion, einem Treffen von Regierung, Arbeit„geber“:innen-Verbänden und Gewerkschaftsspitzen. Von 1967 bis 1977 fanden auf der Basis des „Stabilitätsgesetzes“ regelmäßig entsprechende Treffen statt. Im Sommer 2022 wurde das Modell wieder aus dem Hut gezaubert. Eigentlich hatten diese Treffen keine Regeln, sie sind freiwillig. Aber wer hingeht und selbst Vorschläge macht, macht dann auch beim Gesamtpaket mit. In mehreren Paketen wurden im Sommer und Herbst alle möglichen Entlastungen für die verschiedensten Teile der Bevölkerung vereinbart, die dann z. B. von der Regierung umgesetzt wurden. Was die Kapitalvertreter:innen forderten, kann man sich leicht vorstellen – das, was sie eh ständig und laut für sich reklamieren. Ob sie sich zu irgendwas verpflichteten, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekamen sie etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, jedem/r Beschäftigten 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als Inflationsausgleich zu zahlen – statt diesen die dringend nötigen und von diesen stark eingeforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen zuzugestehen.

Die Gewerkschaftsspitzen haben das nicht nur zugelassen, sondern pro-aktiv unterstützt. Es gibt sogar Gerüchte aus der IG BCE, dass diese Idee von Seiten der IG Metall und IG BCE eingebracht worden sei. Auf jeden Fall war das erklärte Ziel der Konzertierten Aktion (K. A.), die „Inflation zu bekämpfen“, was für Kapital und Regierung nie heißt, die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Schon gar nicht 2021 – 2022, wo in kurzer Zeit die Preise, vor allem die Verbraucherpreise hochschnellten und das, nachdem die Gewerkschaften schon in der Coronakrise praktisch keine Lohnerhöhungen hatten durchsetzen können.

Dennoch haben sich die Gewerkschaftsspitzen dieser Logik der K. A. unterworfen. Für ein angebliches Gesamtinteresse des Landes wurden ganz offensichtlich durchgehend flächendeckende Reallohnverluste vereinbart. Das ist eine Verschärfung der üblichen Sozialpartner:innenschaft, die sich vor allem in Unterordnung unter bestimmte Branchenbedingungen, unter konjunkturelle Erscheinungen oder unter die Krisen einzelner Betriebe zeigt. Das ist mehr als die gewohnte Zurückhaltung im Kampf, das war die geplante Akzeptanz und Umsetzung eines nationalen Krisenprogramms, das voll zugunsten der herrschenden Klasse geht:

  • Ökonomisch, denn sie konnten ihre Gewinne sichern, z. T. beispielsweise in der Autoindustrie auf neue Rekordhöhen steigern;

  • politisch, weil es eine notwendige Antwort der Klasse auf die verbundenen Angriffe auf sie verhinderte: eine Bewegung gegen die Inflation, die Sozialkürzungen und gegen die Aufrüstung.

Dieses Ausbleiben einer solchen Bewegung ist letztlich der Grund für die massive Rechtswende in der Gesellschaft und auch in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Statt Konzertierter Aktion hätte es eine von den Gewerkschaften angeführte Bewegung für „Brot, Heizung, Frieden“ geben müssen, um den Namen eines kleinen Versuches in diese Richtung zu benutzen.

Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass es für Regierung und Kapital bei der K. A. nicht nur um die Inflation ging, sondern darum, die Gewerkschaften in das Programm einzubinden, Deutschland in der globalen Konkurrenz mit den anderen Großmächten USA, Russland, China usw. neu und aggressiver aufzustellen, aufzurüsten und Kriege vorzubereiten. Ob sie das wollten oder nicht, die Gewerkschaften sind da mit reingezogen worden.

Die Mogelpackung

Das Instrument für dieses Manöver war die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hat legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten mindert, die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft und von Menschen, die in der Folge Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld beziehen, zu 60 bzw 66 % zurückgezahlt wird.

Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt.

Unter den halbkritischen Funktionär:innen gibt es schon ein paar kritische Bemerkungen dazu, die aber mit der Aussage, dass diese Zahlung „obendrauf“, also zusätzlich zu einer Tabellenerhöhung okay gewesen wäre, relativiert wurden. Diese Ansicht ist eine bewusste oder unbewusste Verschleierung der Realität. Diese Zahlung war nur für eine bestimmte Zeit zulässig und nur für einen bestimmten politischen Zweck gedacht. Niemand konnte bislang in irgendeiner Tarifrunde herkommen und vollen Ausgleich der Inflation in den Tabellen und dann noch steuerfreie Sonderzahlungen „obendrauf“ verlangen und niemand wird es zukünftig tun können. Die Gewerkschaften konnten auch nicht bei diesen Tarifrunden „obendrauf“ vereinbaren, weil sie dem Gesamtpaket zur Eindämmung der Inflation zugestimmt haben. Die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung ist nicht irgendein materieller/ökonomischer optionaler Baustein, sondern war das Schmierfett für eine politische Weichenstellung für eine noch engere Form der Sozialpartner:innenschaft, der direkten Unterwerfung unter das Kriegs- und Krisenprogramm der deutschen Bourgeoisie.

Unsere Antwort

Wir haben als VKG die Konzertierte Aktion kritisiert, aber wir haben ihre politische Bedeutung unterschätzt. Spätestens in der Metalltarifrunde war klar, wie das Strickmuster aussehen würde, und in dieser Runde haben wir das auch thematisiert. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir eine Kampagne über alle Branchen gebraucht unter dem Slogan: Tabelle statt Mogelpackung Einmalzahlung! Absage an die Konzertierte Aktion und ihre Ergebnisse! Verbunden mit einer breiten Aufklärungskampagne über die finanziellen Auswirkungen und Anträgen, Unterschriftensammlungen etc. gegen die Mogelpackung und für die Aufkündigung der Konzertierten Aktion. Wir hätten klarmachen müssen, dass eine erfolgreiche Tarifrunde nur möglich wird, wenn der Rahmen der K. A. durchbrochen wird. Sozialpartner:innenschaft hat einen sehr konkreten Inhalt gehabt und sehr konkrete Form angenommen. Sie war nicht ganz die Dimension der Zustimmung zur Agenda 2010, die uns einen massiven Niedriglohnsektor, Hartz IV/Bürgergeld und eine endlose Zersplitterung der Tariflandschaft beschert hat, aber eine deutliche Steigerung über das übliche Niveau der Konfliktvermeidung und Klassenkollaboration. Wir hätten sie viel konkreter bekämpfen können und müssen.

Das wäre zugleich eine gute Gelegenheit für uns als VKG gewesen, diese Vermittlung der Erfahrungen aus der Chemie- und Metallindustrie für die anderen Branchen zu leisten. Auch wenn das manche Kolleg:innen anfangs schockiert hätte, hätten wir mit der Voraussage, auf welcher Schiene die Niederlagen organisiert werden würden, uns viel Vertrauen einbringen können.

Auch in Zukunft müssen wir uns mit einer Tarifpolitik auseinandersetzen, die nicht nach den Strickmustern des überholten Tarifrituals – mehr Mobi bringt mehr Ergebnis – funktioniert, sondern politisch determiniert wird. Das kann andere konkrete Schritte gehen, aber die Fragen der innergewerkschaftlichen Demokratie und die konkreten Abläufe werden auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Wir müssen schon zu Beginn die Erfahrungen aufnehmen und klarstellen:

  • Forderungsaufstellung ohne Vorgaben von oben durch demokratische Debatte unter Kontrolle der Mitglieder, Vertrauensleute und Betriebsgruppen.

  • Demokratische Wahl der Tarifkommissionen. Stimmberechtigung nur für diejenigen, die dem Tarifvertrag unterworfen sind – also nicht für Hauptamtliche.

  • Keine Verschwiegenheits-, sondern Rechenschaftspflicht. Jederzeitige Abwahl durch die Gewerkschaftsmitglieder des entsprechenden Bereiches.

  • Öffentliche Verhandlungen.

  • Beim Auftauchen von Themen, die nicht Bestandteil der beschlossenen Forderungspakete waren, erneute Diskussion von unten nach oben, ob das als Thema überhaupt zugelassen wird.

  • Demokratische Wahl von Aktions- und Streikkomitees.

  • Vollständige Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse vor der Beratung und Urabstimmung.

  • Ersatzlose Kündigung von Schlichtungsvereinbarungen, so vorhanden.

Diese Forderungen zur Demokratisierung der Tarifbewegungen sind nicht alle neu, aber das verschärft undemokratische Vorgehen der Gewerkschaftsführungen rückt sie für die Zukunft mehr ins Zentrum.

Aber entscheidend für den Erfolg in zukünftigen Tarifrunden wird sein, dass die politischen Ziele ge- und erklärt werden müssen. Wir werden niemandem/r Ultimaten stellen und verlangen, dass man gegen den Krieg sein müsse, um in der Tarifrunde richtig kämpfen zu können. Aber wir müssen mit aller Deutlichkeit erklären, dass wir diese Tarifrunden verlieren sollen, damit die Steuerentlastungen und Subventionen für das Kapital und die Aufrüstung der Bundeswehr finanziert werden können.

Wir wenden uns mit dieser Bilanz an alle, die sich mit Ergebnissen und Abläufen der letzten Tarifrunden und dem Geld, der Kampfkraft und der Motivation, die dabei geopfert wurden, nicht zufriedengeben wollen. Diskutiert mit uns, macht mit beim Aufbau einer Vernetzung von kämpferischen Kolleginnen und Kollegen! Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde, wir müssen sie vorbereitet angehen!

Anmerkung

[i] Diese rigide Politik bezüglich der Aufstellung der Forderung und der Durchsetzung des Ergebnisses steht bei ver.di durchaus einer offeneren Gestaltung der Tarifrunden gegenüber: Die Einrichtung von „Tarifbotschafter:innen“ und „Arbeitsstreiks“ erlaubt der Basis mehr Gestaltung bei der Durchführung von Aktionen. Das ist an sich positiv und wird auch von vielen Aktivist:innen so wahrgenommen. Aber gerade der krass undemokratische Gesamtrahmen zeigt, dass die Führung hier offensichtlich nur eine Spielwiese für Aktivist:innen und linke Gewerkschaftssekretär:innen aufmachen wollte oder auf Druck von unten aufmachen musste.




Sieg dem GDL-Streik!

Martin Suchanek, Infomail 1243, 24. Januar 2024

Nichts oder jedenfalls fast nichts geht mehr. Der GDL-Streik steht und mit ihm der Bahnverkehr in ganz Deutschland. Sechs Tag wird der Ausstand dauern, der seit dem 22. Januar den Güterverkehr von DB Cargo und seit dem 23. Januar Personennah- und -fernverkehr lahmlegen wird.

Die Streikfront steht. Und zwar nicht, weil sich Claus Weselsky ein „Denkmal“ als besonders harter Gewerkschafter und Erzfeind des Bahnvorstandes setzen will. Wir wollen dabei keineswegs in Abrede stellen, dass er zum Abschied seiner Vorsitzendenlaufbahn noch einmal zeigen will, wo der Hammer hängt, persönliche Motive mit dem Kampf verbindet. Doch was wäre schon so schlimm daran, wenn auch alle anderen Gewerkschaftsvorsitzenden ihre Karriere mit einem harten Streik statt wachsweichem Verhandlungsgedöns ausklingen ließen.

Dass die GDL-Mitglieder Weselsky und ihrer Gewerkschaft folgen, hat schließlich vor allem leicht nachvollziehbare rationale Gründe – und diese kennen alle, die bei der Bahn arbeiten: Personalmangel, schlechte Arbeitsbedingungen, Schichtdienste, Überstunden. Hinzu kommt die Inflation angesichts von Gehältern, die auch bei der Bahn nicht üppig ausfallen, wenn man nicht gerade im Vorstand sitzt. Und schließlich müssen die Beschäftigten alle Mängel des wegen jahrzehntelanger Einsparungen ausgedünnten, ausgezehrten Systems Bahn auch noch ausbaden – sei es durch Überstunden und Stress, sei es, indem sie den berechtigten Unmut der Kund:innen stellvertretend für jene entgegennehmen müssen, die für die Misere der Bahn verantwortlich sind.

Am Scheideweg?

Die Verschärfung des Arbeitskampfes stellt zweifellos die richtige Antwort auf die Hinhaltetaktik des Bahnvorstandes dar. Die „großzügigen Verhandlungsangebote“ der Deutschen Bahn sollen vor allem in der Öffentlichkeit Entgegenkommen signalisieren. Von einer 35-Stunde-Woche und Verhandlungen für weitere Beschäftigtengruppen will sie partout nichts wissen – und ihre Ignoranz wird sie im Zweifel wahrscheinlich versuchen, vor Gerichten mit Verweis auf das Gesetz zur Tarifeinheit durchzusetzen.

Um selbst nicht als „stur“ dazustehen, hat die GDL ihrerseits noch am 22. Januar einen Kompromissvorschlag vorgelegt, den die Bahn jedoch als „Maximalforderung“ abgetan hat. Dabei geht es der GDL-Führung allem Verbalradikalismus Weselskys zum Trotz durchaus um einen Kompromiss, der sich an den Abschlüssen bei Netinera Deutschland (u. a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead orientiert.

Ab 2028 kommen dort die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit, eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten, eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro, Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die Laufzeit der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Das zeigt, dass die GDL durchaus kompromissbereit wäre, und der Wegfall des Wahlmodells für zusätzlichen Urlaub wird sich für viele Kolleg:innen noch als echter Rückschlag entpuppen. Bei der Bahn wird der Kampf freilich heiß, weil die GDL auch in ihrem Wirkungsbereich durch das Tarifeinheitsgesetz eingeschränkt blieben soll. Während sie bei den Privatbahnen längst als „verlässliche“ und auf Geheimverhandlungen setzende Sozialpartnerin anerkannt ist, ist die EVG bei der Bahn Sozialpartnerin Nr. 1. Die GDL muss sich dort kämpferischer und militanter geben, als ihre Führung es letztlich sein will.

Doch genau deshalb birgt der Kampf Konfliktpotential, das ihn weiter treiben kann, als es beiden Seiten – Bahnvorstand und GDL-Führung – lieb ist. Nachdem beide Seiten der anderen Unversöhnlichkeit vorwerfen, lässt sich schwer vermitteln, wenn sie doch über die „Provokation“ der anderen Seite verhandeln. Ein Abschluss, den beide als „Sieg“ verkaufen können, rückt damit in die Ferne, auch wenn natürlich beide für solche „Wendungen“ jederzeit gut sind, beispielsweise durch eine „neutrale Vermittlung“, die „alles“ zum Gesprächsgegenstand erklärt.

Daher stellt sich für die GDL-Mitglieder und Streikenden, aber in Wirklichkeit für alle Beschäftigten bei der Bahn (und letztlich auch weit darüber hinaus), die Frage, wie es nach dem Streik weitergehen soll.

Die Taktik der GDL auf, wenn auch mehrtätige, so doch befristete Streiks zu setzen, wird früher oder später an eine Grenze stoßen. Ob der Bahnvorstand das ausreizen will, ist zwar ungewiss, aber nicht unmöglich. Hinzu kommt, dass sich die Führung der EVG bei der Bahn einmal mehr gegenüber den streikenden GDLer:innen extrem unsolidarisch verhält, diese bei den Kolleg:innen anschwärzt, und EVGler:innen, die sich mit dem GDL-Streik offen solidarisieren, wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt, madig macht.

Der EVG-Vorstand wiederholt die Politik der GDL-Führung, die auch jede Solidarisierung ablehnte mit den EVG-Warnstreiks ablehnte und diese trotz Streikverbots als „Schmierentheater“ denunzierte. Hinsichtlich der Spaltung der Belegschaft kann sich der DB-Vorstand jedenfalls auf „seine“ Gewerkschaftsführer:innen verlassen.

Volle Kampfkraft für die Forderungen!

Für die Streikenden der GDL stellt sich als die Frage, wie sichergestellt wird, dass die volle Kampfkraft für sämtliche Forderungen – 35 Stunden Woche, 555 Euro monatlich, 3.000 Euro Einmalzahlung bei einer Laufzeit von 12 Monaten – eingesetzt werden kann. Das erfordert einen unbefristeten Streik. Und es erfordert die Kontrolle der Streikenden über den Arbeitskampf und etwaige Verhandlungen – also regelmäßige Vollversammlungen, Wahl, Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Streikleitungen und vor allem auch der Verhandlungskommission. Schließlich müssen die Beschäftigen entscheiden, ob sie ihre Forderungen erstreiken wollen oder sich zu einem Kompromiss wie bei den Privatbahnen gezwungen sehen. In jeden Fall darf das nicht von der Verhandlungskommission oder Weselsky im Alleingang entschieden werden.

Für die Beschäftigen der Bahn und vor allem für die EVG-Mitglieder muss die Parole lauten: Solidarität mit dem GDL-Streik! EVG-Mitglieder können und sollen sich auch beteiligen, sie dürfen sich in keinem Fall als Streikbrecher:innen missbrauchen lassen. Kämpferische und solidarische Gewerkschafter:innen sollten in ihren Betriebsgruppen ähnliche Beschlüsse fassen wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt und den EVG-Vorstand mit der Forderung bombardieren, sich mit der GDL zu solidarisieren. Das gilt natürlich auch für sämtliche anderen DGB-Gewerkschaften.

Bei der Bahn ist das aber besonders wichtig, weil ein GDL-Erzwingungsstreik auch die Solidarität aller Beschäftigen, aller Gewerkschafter:innen brauchen wird. In der EVG und unter den Bahnbeschäftigten braucht es Versammlungen von Abteilungen und Betriebsgruppen, um nicht nur die Solidarität mit der GDL zu erklären, sondern auch die Forderung zu erheben, selbst den Kampf um eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich für den gesamten Konzerne aufzunehmen, so also den Kampf und die Streikfront direkt auszuweiten – und letztlich auch gemeinsame, gewerkschaftsübergreifende Streikkomitees zu bilden.

Tarifauseinandersetzung zu gesellschaftlichem Kampf machen!

Eine solche Solidarisierung ist auch aus einem anderen Grund unerlässlich. Gegen den 6-tägigen Streik machen mittlerweile fast alle bürgerlichen Medien, die Vertreter:innen der Ampel wie die bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien Stimmung. Täglich „erfahren“ wir, dass der Streik nicht nur „die Wirtschaft“ maßlos schädige, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung finde, dass das alles jetzt „zu weit ginge“.

Verkehrsminister Wissing macht sich für eine Schlichtung stark, so dass endlich verhandelt werden könne. Die Tagesschau fordert in einem Kommentar, „der Gesetzgeber sollte dem Treiben langsam Grenzen setzen, damit Millionen Bahnkunden nicht länger die Leidtragenden sind.“ Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, macht die GDL nicht nur als eindeutig Schuldige aus, sondern fordert auch gleich eine Einschränkung des Streikrechts durch verpflichtende Schlichtung bei kritischer Infrastruktur.

Diese Forderungen und Drohungen sind nur der Vorgeschmack darauf, was kommt, wenn die GDL einen unbefristeten Streik ausrufen würde. Diesem Druck können die GDL-Mitglieder und Streikenden letztlich nur standhalten, wenn sich die Bahnbeschäftigten, aber auch alle anderen Gewerkschaften mit ihnen solidarisieren und Solidaritätskomitees aufbauen, die gegen die Stimmungsmache der Herrschenden Gegenöffentlichkeit schaffen, die Pendler:innen, Kund:innen, letztlich die gesamte Bevölkerung durch Kundgebungen, Demonstrationen, Flugblätter, Arbeit in sozialen Medien aufklären.

Das würde aber erfordern, dass der Arbeitskampf nicht nur als reiner Tarifkampf betrieben wird, sondern als gesellschaftliche Auseinandersetzung, die auch jeder Privatisierung und weiteren kapitalistischen „Bahnreform“ den Kampf ansagt, für massive Investitionen in den Betrieb und in Personal sowie kostenlosen öffentlichen Nahverkehr eintritt, finanziert aus der Besteuerung der Reichen und Gewinne der privaten Großkonzerne!




GDL-Streik: Volle Durchsetzung der Forderungen, oder?

Leo Drais, Neue Internationale 280, Februar 2023

Seit dem 10. Januar legten die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront stand fest, fast nichts ging mehr bei der Bahn. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden Streik und Kampf der Gewerkschafter:innen verdienen die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt.

Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nach dem Weihnachtsfrieden wurde gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung zu entscheiden. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer.

Bis zum 20. Januar hat die GDL weitere ähnliche Tarifverträge mit Abellio Rail und anderen privaten Unternehmen abgeschlossen. Während Weselsky durchaus zu Recht über den Bahnvorstand herzieht, überhäuft er die privaten Bahnunternehmen mit Lob. „Alle Unternehmen haben lösungsorientiert gehandelt und so die Abschlüsse ermöglicht“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 19. Januar. Kurzum, wird die GDL als echte Sozialpartnerin anerkannt, braucht es auch keine Streiks. Dann reicht in guter deutscher Manier ein Verhandlungsmarathon.

Nach den Warnstreiks vom Januar hat die Bahn AG ein neues Verhandlungsangebot vorgelegt, auf das bei Drucklegung noch keine Reaktion der GDL vorliegt. Deutlich ist jedoch eines: Der GDL geht es nicht um die Durchsetzung der vollen Forderungen bei der Bahn, sondern darum, dass diese die Abschlüsse der privatisierten Konkurrenz übernimmt.

Linke sollten also keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint Letztere als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen), solange diese mit ihr Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortsgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was, bedingt durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse, stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine großen Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus, dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




GDL-Streik: Für Fünf für Fünf – oder was?

Leo Drais, Infomail 1241, 11. Januar 2024

Seit dem 10. Januar legen die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront steht. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden und Personalmangel schier unerträglich. Der Streik und der Kampf der Gewerkschafter:innen verdient die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt. Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nun ist der Weihnachtsfrieden vorbei und es wird gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innen-Anteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung abzustimmen. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer. Linke sollten hier keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf in der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint sie als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU, solange diese mit iht Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine große Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus (https://www.youtube.com/watch?v=b4DaFhOzaL0), dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




Tarifvertrag Länder: Ausverkauf neu aufgelegt

Mattis Molde, Infomail 1238, 12. Dezember 2023

Das Ergebnis der Tarifverhandlungen ist nicht wirklich eine Überraschung. Nachdem in ver.di und der GEW die gleiche Forderung wie beim TVÖD, dem Tarifvertrag für die Beschäftigten beim Bund und bei Kommunen, aufgestellt worden war, war klar, dass die Gewerkschaftsführung dieses Ergebnis auch für die Beschäftigten bei den Ländern anstrebt.

„Mit diesem Ergebnis knüpfen die Beschäftigten der Länder an die Tarifentwicklung bei Bund und Kommunen an.“, sagt der Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Werneke. Mehr sollten sie wohl auch nicht bekommen:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro in Teilzahlungen. 1800 Euro davon sollen bereits in diesem Dezember fließen, weitere 120 Euro dann jeweils in den Monaten von Januar bis Oktober 2024.

  • Für Auszubildende, Dualstudierende und Praktikant:innen gäbe es dementsprechend 1000 Euro im Dezember 2023 und sie erhalten von Januar bis Oktober 2024 jeweils 50 Euro pro Monat.

  • Zum 1. November 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll im Februar 2025 der dann erhöhte Betrag noch einmal um 5,5 Prozent steigen. Die gesamte Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen (was nur für ganz wenige in der Entgeltstufe 1 zutrifft ).

  • Die Laufzeit soll sich auf 25 Monate (bis 30.10.2025). erstrecken, also einen Monat länger als beim TVÖD.

Im März hatte Werneke den damaligen Abschluss so gelobt: „Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“.

Das ist damals wie heute eine Lüge. Der Abschluss bedeutet einen heftigen Reallohnverlust. Die prozentuale Steigerung auf 12 Monate bezogen, liegt zwischen 4,2 und 8,1 Prozent, für die Mehrheit der Beschäftigten bei 5-6 Prozent. Das liegt unter der Inflation der letzten 2 Jahre und vermutlich auch der kommenden Zeit. Zur Erinnerung: Für die vergangenen 24 Monate hatte es gerade mal 2,8 Prozent gegeben und eine steuerfreie Prämie von 1300 Euro.

Einmalzahlungen

Die Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung:

  • Dieser Betrag geht wieder nicht in die Tabelle ein. Das Gesamteinkommen über die Laufzeit des Tarifvertrages fällt also nach dessen Ende automatisch. Die erreichten Preiserhöhungen werden mit Sicherheit nicht wieder entfallen.

  • Er geht auch nicht in Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld ein und in alle Zulagen, die sich prozentual auf das Grundgehalt beziehen.

  • Auch in den vergangenen Jahren waren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen von insgesamt 1300 Euro vereinbart worden, die jetzigen sind also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen. Eine „Entwicklung“(Werneke) stellen nur weniger als 1700 Euro dar, die, bezogen auf 25 Monate, knapp 70 Euro „Inflationsausgleich“ monatlich darstellen.

  • Aus diesen Einmalzahlungen werden keine Rentenbeiträge abgeführt. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • Weil diese Prämie kein „regelmäßiges Einkommen“ darstellt, wird sie auch nicht bei „Transferleistungen“ berücksichtigt, z.B. Elterngeld, Arbeitslosengeld oder Krankengeld. Wer z.B. am 1.11. 2024 in Elternzeit geht, erhält 150 Euro weniger Elterngeld im Monat als wenn sie/er eine Gehaltserhöhung von 3000 Euro netto während des ersten Jahres der Tarifvertrags- Laufzeit bekommen hätte. Der Staat holt sich als einiges davon zurück, so bei Eltern, Leuten, die länger krank sind oder arbeitslos werden.

Diese Inflationsausgleichprämie war als gesetzliche Möglichkeit bei der „Konzertierten Aktion“ (also einvernehmlich zwischen Regierung, Gewerkschaften und den KapitalvertreterInnen) im Herbst 2022 ausgehandelt worden, und sie fließt seitdem in alle Tarifverträge ein, ohne von Gewerkschaftsseite je in den Forderungen aufgetaucht zu sein. Genauso sind die Folgen dieser Prämie in keiner Gewerkschaft wirklich dargestellt und diskutiert worden. Einzige Ausnahme ist die NGG, bei der einige Tarifverträge auf die volle Ausschöpfung der 3000 Euro verzichten und stattdessen höhere Tabellenerhöhungen angestrebt wurden.

Weitere Ergebnisse

Weitere Aspekte sind Zulagen für Psychiatrien, den Justiz- und Maßregelvollzug, die Sozial- und Erziehungsdienste sowie den Straßenbetriebsdienst. Pflegekräfte im Gesundheitsbereich sind etwas „besser“ gestellt worden, indem sie dynamisierte Zulagen erhalten. Aber auch diese sind weit weg von einem Inflationsausgleich oder Anreiz im Beruf zu bleiben oder um neue Kräfte zu gewinnen. Darüber hinaus wird in Berlin die Hauptstadtzulage des TV-ÖD übernommen, die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben warme Worte erhalten: eine Gesprächszusage für Mitte 2025.

Es wurde kein TV-Stud, der angestrebte Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, auf Bundesebene durchgesetzt. Dieser TV ist auf den Sankt Nimmerleinstag abgeschoben worden. Hier werden ein paar popelige Lohnerhöhung ab dem Sommersemester 2024 auf 13,25 Euro/Stunde und ab dem Sommersemester 2025 auf 13,98 Euro in Aussicht gestellt. Auch einige kleine Änderungen bei Befristungen gibt es. Zum Vergleich, die GEW hatte ursprünglich 22 Euro gefordert. Was der „erste wichtige Schritt hin zu einem zukünftigen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte“, von dem Werneke spricht, sein soll, hat er wohl aus gutem Grund nicht ausgeführt.

Auf die Beamt:innen soll dieser Vertrag wertgleich übertragen werden. Die vielen Beschäftigten, die nicht direkt dem TV-L unterliegen, aber für die selbiger angewendet wird, („Anwender:innen“) werden bisher überhaupt nicht erwähnt, ihnen drohen weitere Abstriche je nach Arbeit“geber:in“.

Warum diese Niederlage?

Das Ergebnis kann nicht ohne den Ablauf der Tarifrunde bewertet werden. Am Anfang wurden bei GEW und ver.di alle Diskussionen über die Forderungen unterdrückt und gegebenenfalls abgewürgt. Stattdessen wurde eine „Befragung“ organisiert, bei der keine eigenen Vorschläge gemacht werden konnten.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. Diese hätte auch die soziale Lage, die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog (an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft), und den Abschluss einbezogen.

Es wären also die Kritik gekommen, die jetzt nach dem erneut vollzogenen Reallohnverlust kommt, und den Spielraum für Manöver eingeschränkt. Es hätte im Übrigen auch Raum für ein Kritik an der Ampel von links, von den Gewerkschaften her, geschaffen, stattdessen wird diese Kritik völlig den Rechten überlassen, die Gesellschaft und Ampel in eine wüste rassistische Debatte hineintreiben.

Was bedeutete dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung schon während der laufenden Tarifrunde hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzten 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch unverbindliche „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen. Die Zustimmung der Bundestarifkommission zu diesem Ergebnis, die erneute Durchführung eines „Votums“ statt Vollversammlungen in den Ämtern, Behörden und Betrieben, ja, die Weigerung der GEW selbst eine solche „Befragung“ durchzuführen, bestätigt diesen Durchgriff von oben!

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Jetzt wurde bei dem angeblich so schlecht organisiertem Öffentlichen Dienst der Länder an  wenigen, zersplitterten Streiktagen das gleiche Ergebnis erzielt, wie bei Bund und Kommunen mit 29 Streiktagen! Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Die Tatsache, dass offensichtlich die ver.di-Spitze ein abgekartetes Spiel spielt, darf keinesfalls bedeuten, auf Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gern auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam. Letztlich macht das auch der „linke“ Flügel des Apparates, der zwar auf mehr Dynamik und organisierte Mobilisierung setzt, aber nicht minder energisch auf die Kontrolle der Tarifbewegung und des Ergebnisses pocht. Zum Des Weiteren würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Alle, die unzufrieden sind und ein anderes Ergebnis wollen, müssen sich zum Sprachrohr der teilweise großartigen Mobilisierung machen, die in den Stadtstaaten, aber auch in den Unikliniken der Länder und anderen Hotspots, z. B. Sozialwesen, deutlich stärker war als in früheren Runden. Woche für Woche beteiligten sich zehntausende Landesbeschäftigte – Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele mehr – an den Warnstreiks.

In vielen Städten und Regionen widerlegten sie so eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen. Aber letztlich waren sie im Kalkül der Führung nur Statist:innen für einen Abschluss, den sie immer schon anvisierte.

Vom Unmut über den Abschluss zum Kampf gegen die Bürokratie

Die Taktik der Bürokrat:innen nach einem solchen Abschluss ist es stets, die Diskussion in ein Klein-Klein zu zerreden, den heftigsten Kritiker:nnen einzelne kleine Fehler zuzugestehen und darauf zu vertrauen, dass die Masse der Unzufriedenen murrt, aber passiv bleibt.

Es gilt also einerseits klar zu machen, dass die Gewerkschaftsspitzen dieses und kein anderes Ergebnis wollten. Für sie sind die Interessen des Staates bzw. des Kapitals unantastbar, bestimmte Grenzen dürfen nicht überschritten werden: Die Firmen müssen weiterhin genügend Profit abwerfen und im Konkurrenzkampf bestehen, die Entscheidungen des Staates, z. B. zur Aufrüstung, für Waffenlieferungen oder Unternehmenssubventionen werden nicht in Frage gestellt. Dem ordnen sie die elementaren Lebensinteressen der Arbeitenden unter. Die Gewerkschaftsbürokratie hat eine andere Interessenslage als die Mitglieder.

Das zeigt sich in Tarifkämpfen und in diesem besonders deutlich. Aber was können wir tun? Eine große Kampfbereitschaft von Seiten der Basis ist zwar nötig, aber nicht ausreichend, wenn es darum geht, faule Kompromisse und Ausverkauf auf dem Rücken der Beschäftigten zu verhindern. Wir müssen gerade jetzt klare Forderung formulieren, die den Bürokrat:innen ihre Tricks und Manöver unterbinden. Unmittelbar heißt das:

Nein zum Abschluss!

  • Stimmt mit Nein bei der ver.di-Mitgliederbefragung! Fordert verbindliche Abstimmungen über das Ergebnis ein!

  • In allen Betrieben, Abteilungen, Schulen und Kitas müssen Mitgliederversammlungen und Treffen der Betriebsgruppen einberufen werden, die das Ergebnis nicht nur diskutieren und bewerten, sondern auch Beschlüsse fassen, die es klar ablehnen.

Alle, die mit Nein stimmen, sollten miteinander in Kontakt treten und diskutieren, wie wir weiter vorgehen. Auch wenn wir das Ergebnis kaum noch kippen können, so müssen wir uns für die weiteren Auseinandersetzungen koordinieren und nicht bis zur nächsten Tarifrunde warten.

Klassenkämpferische Alternative ist nötig!

Aber es braucht auch eine Perspektive und Lehren über die unmittelbare Ablehnung des Abschlusses hinaus. In den kommenden Jahren und Monaten stehen nicht nur Tarifrunden an. Die Haushaltkrise wird auch in Form von Kürzungen die Beschäftigten treffen. Wir können daher keine zwei Jahre warten, bis die nächsten Tarifverhandlungen ins Haus stehen, sondern müssen auch dazu mobilisieren. Wir müssen darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet. Sie soll entscheiden, ob und wann Arbeitsstreiks, Warnstreiks oder ein Flächenstreik stattfinden. Schluss mit der Zersplitterung bei Aktionen. Gemeinsamer Kampf der Beschäftigten bei Ländern, Bund und Kommunen u. a. durch Zusammenlegung der Tarifrunden TV-L und TVÖD! Kündigung der Schlichtungsabkommen!

Bei Tarifrunden darf es keinen Abschluss ohne Zustimmung der Basis geben. Alle Gewerkschaften sollen ihre Kämpfe und Streiks koordinieren, z. B. einen Schulterschluss mit der GDL und dem Handel herstellen und Solidaritätsaktionen in anderen Branchen bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften organisieren.

Die Entscheidungen müssen transparent und demokratisch sein! Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig und durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Forderungen müssen von den Mitgliedern diskutiert und entschieden, nicht von oben diktiert werden! Die Tarifkommissionen müssen gewählt werden. Stimmrecht nur für Delegierte, die dem jeweiligen Tarifvertrag unterliegen, also kein Stimmrecht für die Angestellten der Gewerkschaften! Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Kommissionsmitglieder! Schluss mit der Schweigepflicht!

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition, z. B. im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Stadtverwaltung Stuttgart: Der Streik ist legal!

Interview mit einer Beschäftigten der Stadtverwaltung, Infomail 1238, 11. Dezember 2023

Die Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung kämpfen seit Wochen für Einkommensverbesserungen. Am 4. Dezember streikten sie für Einkommensverbesserungen im Rahmen der Altersteilzeit und eine Ballungsraumzulage. Das folgende Interview führten wir mit einer Streikenden.

Arbeiter:innenmacht (AM): Hallo, warum habt Ihr am 4. Dezember gestreikt? Der Tarifvertrag TVöD läuft doch noch?

Antwort: Das stimmt. Aber bei der letzten Tarifrunde zum TVöD wurde nicht über das Thema Altersteilzeit entschieden, da ein Abschluss dazu damit verbunden gewesen wäre, eine spätere Tabellenerhöhung zu bekommen. Dies wurde von der Tarifkommission damals abgelehnt.

Dadurch ist man rechtlich beim Thema Altersteilzeit außerhalb der Friedenspflicht und darf dafür streiken. Neben den Beschäftigten in Stuttgart machen auch die in Köln davon Gebrauch. Die Stadt Stuttgart ist gegen den ersten Streikaufruf rechtlich vorgegangen und hat vor Gericht verloren, was schon mal ein wichtiger Erfolg für uns Beschäftigte war.

AM: Es geht also um eine Regelung zur Altersteilzeit?

Antwort: Ja, und um eine Stuttgartzulage: Bei uns in der Betriebsgruppe (BG) ist das Thema Ballungsraumzulage schon länger präsent und es war klar, dass wir es nach der Tarifrunde angehen wollten. Die Stadt München hat ja schon jahrelang eine tarifierte Zulage. In der BG war uns deshalb immer klar, die Zulage wollen wir nur tarifiert. Die Höhe haben wir in der BG diskutiert und haben uns an der Zulage, welche sich die Bürgermeister:innen im März selbst gegeben haben, orientiert: 472,52 Euro im Monat für alle Beschäftigten mehr.

Nachdem wir ja für die Zulage nicht streiken dürfen, haben wir das Streikrecht für die Altersteilzeit genutzt, um das Thema Zulage zu platzieren. Seit Juli haben wir für eine Stuttgartzulage über 7.300 Unterschriften von 11.000 Beschäftigten gesammelt.

AM: Und dann habt ihr losgelegt?

Antwort: Im November war dann der erste Streiktag. Hier wurde der Tag der ersten Lesungen für die Haushaltsberatungen gewählt, da dort der Gemeinderat über das Thema diskutieren und beschließen sollte. Doch der Tagesordnungspunkt wurde verschoben auf den 4. Dezember, also haben wir gestern diesbezüglich nochmal gestreikt. Kurzerhand haben Sie das Thema auf den nächsten Tag, also heute, 5. Dezember, verschoben, was uns alle sehr aufgeregt hat, und wir fanden es auch sehr feige, weil man offensichtlich den Streikenden aus den Weg gehen wollte. Der Streik hat direkt vorm Rathaus und Sitzungssaal stattgefunden.

Doch ver.di hat dann direkt beschlossen, dass wir spontan am Dienstag auch streiken. Das haben wir heute auch getan und der Gemeinderat hat beschlossen, dass es eine Zulage in Höhe von 150 Euro ab 01.07.24 geben solle, aber nicht tarifiert, sondern im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse. Das ist eine Klatsche ins Gesicht, da der OB schon vor einigen Monaten angekündigt hat, dass er sich höchstens eine untarifierte Zulage in Höhe von 150 Euro vorstellen kann. Das heißt, unser Streik hat hier an seinem Vorschlag nichts geändert. Ein Gewinn ist nur, dass im nächsten Jahr nochmal über die Tarifierung entschieden werden soll. Anscheinend kann über die Tarifierung nur alle 6 Monate entschieden werden, daher momentan nicht. Was jetzt bzgl. Altersteilzeit beschlossen wurde, weiß ich gar nicht. Ich glaube, über das Thema wurde heute gar nicht gesprochen.

AM: Wie geht es weiter?

Antwort: Die meisten Beschäftigten sind wütend auf den OB. Aufgrund des Ergebnisses treffen wir uns nächsten Montag, den 11.12., wieder in der Betriebsgruppe und diskutieren, wie es weitergeht und ob wir nochmal streiken und wann. Vielleicht im nächsten Jahr erst.

Frage: Kannst du noch was zum Ablauf des Streik sagen?

Antwort: Am Streiktag vom 4.12. gab es eine große Streikversammlung mit offenem Mikro. Das war super, das gab es so während der Tarifrunde TVöD nicht in dieser Form. Die Stimmung war auch sehr gut. Die Beschäftigten im Erziehungs-/Pflegebereich sind einfach komplett am Ende und verzweifelt wegen Überlastung. Die Beschäftigten der Gärtnerei sind komplett unterbezahlt und versuchen, sich mit Nebenjobs über Wasser zu halten. Sie fanden die 470 Euro Zulage im Monat zu wenig – verständlich!

Sonst kamen kaum politische Statements, obwohl bei dieser Versammlung auch politische Gruppen anwesend waren mit ein paar Plakaten oder Flyern.

AM: Was denkst du, wie der Konflikt erfolgreich gewonnen werden kann?

Antwort: Ich finde es schwierig, dieses Thema zuzuspitzen und weiterführende Forderungen zu finden. Es braucht mehr Geld, völlig klar, und ich denke, man könnte in dem Rahmen auch einfach mal Vorschläge machen, woher das Geld kommen soll. Cuno Burne-Hägele, Geschäftsführer von ver.di (Bezirk Stuttgar), ist z. B. auf Stuttgart 21 eingegangen, was ich auch ein gutes Beispiel finde, um zu zeigen, dass Geld da ist.

Wir müssen das auch in der Betriebsgruppe nächsten Montag diskutieren. Die Forderung einer Ballungsraumzulage spielt ja auch bei der Tarifrunde der Länder eine Rolle. Das Teuere in der Stadt sind ja v. a. die Mieten, die dazu führen, dass eine Zulage notwendig wird. Die Forderung, dass der/die Arbeit„geber“:in für die teueren Mieten aufkommen soll, finde ich nicht schlecht, aber eine solche Zulage schließt Personen in anderen Städten aus oder die Leute, die in Stuttgart leben, aber woanders arbeiten. Es braucht ja eigentlich auch eine Zulage wegen Inflation, aber das sollte eigentlich die Tarifrunde ausgleichen,was sie ja nicht getan hat.

Jetzt stellt sich mir die Frage, ob man mit der Forderung einer Zulage einfach dem schlechten Tarifergebnis aus dem Weg geht und versucht, anders an Lohnerhöhungen zu kommen, weil ver.di es in der Tarifrunde verkackt hat, die Reallöhne zu sichern.

AM: Danke Dir, Du hast da wichtige Fragen angeschnitten, die ja auch anderswo gestellt werden. Es braucht wohl noch einige Debatten dazu in ver.di und darüber hinaus. Für Euren Kampf viel Erfolg!




Enteignet Signa!

Stefan Katzer, Infomail 1238, 9. Dezember 2023

Das Weihnachtsgeschäft wird noch einmal ordentlich Geld in die Kassen spülen, doch wie es mit den Kaufhäusern von Galeria Karstadt Kaufhof und den dort Beschäftigten danach weitergehen wird, ist derzeit ungewiss. Nachdem die derzeitige Eigentümerin, die Signa-Holding GmbH, einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gestellt hat, müssen die Beschäftigten erneut um ihre Jobs bangen. Erst 2019 wurden dutzende Filialen geschlossen, haben hunderte Mitarbeiter:innen ihre Jobs verloren. Dabei hatten sie zuvor noch versucht, durch Lohnverzicht ihre Arbeitsplätze zu erhalten – es hat nichts genützt. Und nun also die Nachricht von der Signa-Pleite,  und die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof müssen erneut um ihre Jobs bangen.

Das Geschäftsmodell Signa

Dass die Signa-Holding GmbH jetzt insolvent ist, ist keinesfalls die Schuld der Beschäftigten. Es hängt vielmehr mit der ökonomischen Großwetterlage zusammen, mit steigenden Zinsen und hohen Baukosten. Solange die Zinsen niedrig waren, hat sich das Bauen für die Immobilienhaie noch gelohnt. Darauf war und ist das Geschäft der Signa-Holding GmbH ausgerichtet. Sie ist im Kern kein Handelsunternehmen, sondern verdient ihr Geld vor allem durch ihr Geschäft mit Immobilien. Die Signa-Holding GmbH ist die Dachgesellschaft eines unübersichtlichen Konglomerats unterschiedlichster Unternehmen – darunter auch die Tochter Galeria Karstadt Kaufhof – und  laut Insolvenzantrag an 53 Gesellschaften direkt und an mehreren Hundert Gesellschaften indirekt beteiligt.

Dabei profitierte die Holding in den letzten Jahren vor allem von den stetig steigenden Mieten sowie dem Umstand, dass sich diese positiv auf  die Bewertung von Immobilien und damit auf die Gewinne in einer Unternehmensbilanz auswirken. Aus diesem Grund war es für die Signa-Holding attraktiv, etwa nach der Übernahme von Galeria Karstadt Kaufhof die Mieten für diese neue Tochter deutlich zu erhöhen, ja zu verdoppeln, denn damit stieg zugleich das berechnete Vermögen bzw. der Gewinn der Eigentümer:innen. Dadurch wiederum kamen sie leichter an Kredite, mit deren Hilfe sie ihr Geschäft ausweiteten und neue Immobilien bauen konnten, um noch mehr Mieten zu kassieren, die sie gerne weiter erhöhten, da dadurch ihre Gewinne weiter stiegen, was dazu führte, dass … – das Prinzip sollte nun klar sein.

Dieses Treiben ging recht lange gut aus. Einige Zeit konnte der Unternehmer René Benko, der die Signa-Holding aufgebaut und zwischen 2014 und 2018 auch die heutige Kette Galeria Karstadt Kaufhof übernommen hatte, sich davon ein luxuriöses Leben finanzieren, gerne auch auf Kosten des eigenen Unternehmens. Er ging jagen mit Politiker:innen, flog mit einem eigenen Privatjet durch die Welt und kaufte schöne Villen an schönen Seen. Er zog prestigeträchtige Aufträge an Land, wie etwa den Bau des Elbtowers in Hamburg, und ließ sich gerne mit Politiker:innen ablichten – und diese mit ihm. Geld für seine Geschäfte bekam er dabei auch von zahlreichen Landesbanken, darunter die Hessen-Thüringens, die LBBW in Baden-Württemberg und die Bayern-LB. Wie schon vor der letzten Finanzkrise hofften sie, vom großen Reibach der Immobilienkonzerne selbst profitieren zu können. Es ging mal wieder nach hinten los.

Nach der Pleite von Signa steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Landesbanken einen Teil der von ihnen vergebenen Kredite abschreiben müssen, ihr Geld bzw. das der Steuerzahler:innen somit nicht wiedersehen werden. Denn das Geschäft von Benko und der Signa-Holding lief nur gut, solange die Zinsen niedrig waren. Das hat sich durch Corona, den Ukrainekrieg und die steigende Inflation nun aber geändert. Die Zinsen stiegen rasant an, die Baukosten schossen in die Höhe und auf dem  Immobilienmarkt ging es plötzlich nicht mehr nur aufwärts, sondern sogar etwas bergab. Das alles führte dazu, dass die Signa-Holding einen Teil ihrer Kredite nicht mehr zurückzahlen konnte. Deshalb nun der Insolvenzantrag in Eigenverwaltung. Die Signa-Holding soll neu strukturiert werden, damit sie ihren Geldgeber:innen möglichst bald wieder Gewinne einbringt.

Enteignet Signa! Entschädigungslos und unter Kontrolle der Beschäftigten!

Die Gewerkschaften und die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof, die zuletzt noch eine Eckpunktevereinbarung hin zu einem neuen Tarifvertrag inklusive Mini-Inflationsausgleichspauschale ausgehandelt hatten, müssen sich nun unverzüglich auf den Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze vorbereiten. Dazu ist es dringend erforderlich, dass die Gewerkschaften endlich damit aufhören, verzweifelte Appelle an die Eigentümer:innen und das Management zu richten, die Interessen der Beschäftigten bei diesem Großreinemachen auch zum eigenen Nutzen der Kapitaleigner:innen bitte zu berücksichtigen. Stattdessen müssen sie selbst einen Kampfplan schmieden, der als letzte Konsequenz auch die Forderung nach einer entschädigungslosen Enteignung beinhaltet. Es muss sichergestellt sein, dass niemand der Beschäftigten bei Galeria Karstadt Kaufhof oder einer sonstigen Tochter der Sigma seine Arbeit verliert, Einkommenseinbußen erleidet oder unter schlechteren Bedingungen weiter arbeiten muss. Wenn dies nur durch Verstaatlichung möglich ist, muss diese Forderung auf den Tisch und unter Kontrolle der Beschäftigten vollzogen werden. Sie müssen es sein, die darüber entscheiden, wie es für sie weitergeht, und nicht diejenigen, deren einziges Interesse darin besteht, aus Geld mehr Geld zu machen. Deren Vermögen sollte stattdessen für die Sanierung konfisziert werden.

Die Tarifrunden im Groß- und Einzelhandel sowie im öffentlichen Dienst müssen mit Protestaktionen bis hin zu Besetzungen und Streiks der Beschäftigten bei Signa verbunden werden. Auf Belegschaftsversammlungen bei Karstadt-Kaufhof und in allen anderen Betrieben der Holding müssen die nächsten Kampfschritte beschlossen werden, um so die Gewerkschaften zum Handeln zu zwingen.




TV-Länder: Wo bleibt Plan B?

Martin Suchanek, Infomail 1238, 29. November 2023

Woche für Woche beteiligen sich zehntausende Landesbeschäftigte im Rahmen der Tarifrunde öffentlicher Dienst an den Warnstreiks. Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele andere gingen in den letzen Wochen auf die Straße.

In vielen Städten und Regionen widerlegen sie eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass ein Vollstreik im öffentlichen Dienst nicht auch vor reale Probleme der Mobilisierung gestellt würde, weil in vielen Ländern die gewerkschaftlichen Strukturen schwächer geworden sind. Aber es zeigt auch, dass Zehntausende Beschäftige mobilisierbar sind und es möglich ist, eine über Warnstreiks und Verhandlungen hinausgehende Mobilisierung vorzubereiten, aufzubauen und durchzuziehen. Zumal dann, wenn ver.di, die GEW und die IG BAU auch eine echte Verbindung mit anderen Beschäftigtengruppen und Gewerkschaften suchen würden.

So läge es auf der Hand, wenn ver.di die Warnstreiks und Demonstrationen der Tarifrunden im Handel mit jener der Landesbeschäftigen koordinieren und so schlagkräftiger machen würde. So läge es auf der Hand, den Schulterschluss mit der GDL zu suchen, die derzeit die Urabstimmung durchführt. So läge es auf der Hand, bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften die Mitglieder zu Solidaritätsaktionen und -streiks mit den Beschäftigten aufzurufen. Und so läge es auch auf der Hand, die Mobilisierung in einem gemeinsamen, bundesweiten Warnstreik kulminieren zu lassen, um so allen Beschäftigten ein Gefühl gebündelter Stärke zu vermitteln und deutlich zu machen, dass ein bundesweiter Streik möglich ist.

Und die Gewerkschaftsführungen?

Doch das passt offenkundig nicht zur Streiktaktik der Verhandlungsführung und der Gewerkschaftsspitzen. Diese werden zwar nicht müde zu betonen, dass die Länder bis heute kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben. Doch was folgt daraus? Bereiten sie eine Eskalation vor? Was tun sie, wenn die Verhandlungen nicht einmal zu einem „vorzeigbaren Kompromiss“ führen, also zu einem faktischen Ausverkauf, der wie das Ergebnis des TVöD allenfalls schöngeredet werden kann? Und was tun, wenn es angesichts des offenkundigen Fehlens eines Plans B – also von Urabstimmung und Streik – nicht einmal dazu reicht? Warum sollen die sog. Arbeitergeber:innen im öffentlichen Dienst überhaupt Zugeständnisse machen, wenn die Gewerkschaften mit der Urabstimmung nicht einmal drohen?

Bis zum 7. Dezember, der dritten Verhandlungsrunde, werden die Länder wahrscheinlich noch etwas vorlegen. Man muss aber kein/e Prophet:in sein, um vorherzusehen, dass das hinten und vorne nicht reichen wird. Schließlich werden die Verhandlungsführer:innen der Länder nicht müde, das Lied von den leeren Kassen zu singen. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise werden sie auch noch darauf verweisen, dass sie ohnedies „sparen“ müssen, also weitere Kürzungen vornehmen, jeder Cent Lohnerhöhung zu weniger Personal führen würde.

Dann reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften darauf verweisen, dass bei den Reichen genug Geld da wäre, die Milliardengewinne der Kapitalist:innen nur abgeschöpft werden müssten. Schließlich geht es bei der Tarifrunde nicht um „bessere Argumente“, ein imaginäres, über allen Klassen stehendes „Gemeinwohl“, sondern um gegensätzliche Klasseninteressen. Daher entscheidet nicht der Appell ans „Verständnis“ der Gegenseite, an deren „Vernunft“, sondern die Kampf- und Durchsetzungskraft.

U wie Urabstimmung, S wie Streik

Damit die Forderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – 10,5 % Entgelterhöhung, mindestens aber 500 Euro, 200 Euro und Übernahme für die Azubis und das alles bei einer Laufzeit von einem Jahr – durchgesetzt werden können, braucht es einen Plan B der Gewerkschaften, genauer einen Plan U wie Urabstimmung und einen Plan S wie Streik. Die GDL, an der es sicher auch viel zu kritisieren gibt, macht zur Zeit vor, wie sich eine Gewerkschaft verhalten sollte, auf deren Forderungen die Gegenseite nicht eingeht. Sie sollte die ganzen Verhandlungsrituale bleiben lassen und den Streik vorbereiten. Und diese Mobilisierung sollte nach einer Urabstimmung auch durchgezogen und nicht wie bei der TVöD-Runde im Rahmen einer Schlichtung geopfert werden.

Daher sollten alle Gewerkschafter:innen bei ver.di, GEW und IG BAU von ihren Funktionär:innen die Durchführung von Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einfordern, wo offen über die weitere Mobilisierung, über die Kampfstrategie, Urabstimmung und Vollstreiks diskutiert und beschlossen wird.

Der Arbeitskampf muss demokratisiert werden. Zur Zeit wird er vollständig von den Gewerkschaftsapparaten und hier an erster Stelle vom ver.di-Apparat kontrolliert. Diese bestimmen die Kampftaktik, die Verhandlungsführung und letztlich auch, welcher Abschluss annehmbar sei.

Wenn wir uns darauf verlassen, wird bei der Tarifrunde allenfalls ein Ergebnis wie beim TVöD rauskommen. Und das ist einfach zu wenig, deckt es doch längst nicht die Preissteigerungen und Einkommensverluste der letzten Jahre und wahrscheinlich auch nicht die Kosten der kommenden. Hinzu droht im öffentlichen Dienst angesichts der Budgetkrise eine weitere Welle von Kürzungen, Personalabbau und Privatisierungen. Auch die müsste jetzt in der Tarifrunde thematisiert und zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Doch vor dieser Politisierung scheuen die Gewerkschaftsführungen zurück, weil sie eine direkte Konfrontation mit der Regierung, dem Parlament, Verfassungsgericht und anderen „heiligen“ Kühen fürchten.

Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig, durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Zur Zeit stehen die Beschäftigten der Länder in einer wichtigen Auseinandersetzung. Im Grunde ziehen die Gewerkschaftsspitzen bei dieser Tarifrunde aber nur einmal mehr durch, was sie seit der Pandemie und dem Beginn des Ukrainekrieges immer wieder tun. Sie betreiben Tarifpolitik im Rahmen der Konzertierten Aktion, mittels  sozialpartnerschaftlicher Abkommen zwischen Kapital, Arbeit und Regierung. Die Mobilisierungen verkommen dabei zur Begleitmusik für faule Kompromisse, die vor allem die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und den Burgfrieden im Rahmen der globalen Konfrontation mit Russland, China und anderen wirtschaftlichen und geostrategischen Rival:innen sichern sollen. Eine solche Politik kann nur auf Kosten der Beschäftigten gehen.

Zur Durchsetzung einer klassenkämpferischen Tarifpolitik braucht es eine Demokratisierung der Gewerkschaften. Diese muss aber Hand in Hand gehen mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen politischen Alternative zum bürokratischen,  reformistischen Apparat. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften stellt dafür einen Ansatz dar. Lasst sie uns gemeinsam aufbauen!