Stoppt die Werksschließung von MAHLE Behr Korea!

Gastbeitrag von Peter Vlatten, ursprünglich veröffentlicht auf Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin, Infomail 1250, 2. April 2024

  • Stoppt die Werksschließung von MAHLE Behr Korea!

  • Sichert die Existenzrechte der koreanischen Arbeitsnehmer:innen!

  • Wir lassen uns nicht spalten. Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, sind wir stark!

In den letzten Jahrzehnten ist Korea zu einem Anziehungspunkt für ausländische Investoren geworden. Es können und konnten ordentlich Profite gemacht werden. Ändern sich die Voraussetzungen dafür, können die Kapitaleigner nach Belieben schalten und walten. Ihr Kapital einseitig und unverantwortlich abziehen. Fakriken verkaufen, stilllegen oder verlagern. Zulasten der Belegschaften und betroffenen Regionen. Regulierungen, die ernsthaft in das Eigentumsrecht eingreifen und Unternehmer in die Pflicht nehmen, gibt es so gut wie nicht in Ländern wie Südkorea oder Deutschland. Die Kolleg:innen bei MAHLE Behr Korea müssen das gerade bitter erfahren.

Historie und Standorte

MAHLE Behr, ein deutsches Unternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart, wurde im Jahr 1920 gegründet. Weltweit beschäftigt das Unternehmen über 71.947 Mitarbeiter und betreibt 152 Produktionsstandorte. Zu diesen Standorten zählt auch die Produktionsstätte in Busan, Südkorea, die im Jahr 2007 errichtet wurde. Die Busaner Produktionsstätte ist spezialisiert auf die Herstellung von Autoteilen und beschäftigt 160 Mitarbeiter. Zu den Hauptlieferanten gehören Hyundai-Kia Motors, Honda, Nissan, Mitsubishi-Hyundai und Kia-Nissan.

Ankündigung der Schließung

Am 7. Dezember 2023 wurde die Gewerkschaft “Korean Metal Workers Union” über die Entscheidung des Vorstands von MAHLE Behr informiert, dass das koreanische Werk des Unternehmens bis September 2025 geschlossen werden soll, da der Umsatz zurückginge und weitere Investitionen in das koreanische Werk aufgrund des geringen Investitionswerts nicht sinnvoll seien. Diese einseitig von MAHLE Behr Deutschland getroffene Entscheidung, das koreanische Werk zu schließen, raubt 160 koreanischen Arbeitnehmer:innen und ihren Familien ihre Existenzgrundlage. Im Vorfeld gab es keine Kommunikation und Konsultation mit den koreanischen Beschäftigten, auch nicht mit der koreanischen Unternehmensleitung. Es handelt sich um eine einseitige und gewaltsame Entscheidung von MAHLE Behr Deutschland gegen die Interessen der Arbeiter:innen.

Langfristiges Monopoly auf dem Rücken der Beschäftigten

Es gibt Indizien, dass die Stilllegung von langer Hand geplant war. Das Unternehmen hat den koreanischen Markt nicht aufgegeben, sondern verlagert lediglich seine Produktionsstätten und “schöpft Volumen ab”. MAHLE Behr Deutschland als wirtschaftlicher Eigentümer und Mehrheitsaktionär hat es versäumt, einen nachhaltigen mittel- und langfristigen Entwicklungsplan für das koreanische Werk vorzuschlagen und aktiv in das Werk zu investieren. Gleichzeitig gab es verschiedene Maßnahmen zu Einsparungen und frühzeitigem Belegschaftsabbau. Welche unternehmensstrategischen Pläne dahinterstecken, hält Mahle Behr bewusst intransparent. Vermeintlich gegenläufig hatte der Vizepräsident der Asien-Pazifik-Region Bentele eine Beschäftigungsgarantie ausgesprochen und eine Verpflichtungserklärung zur Unterstützung und Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung des Koreawerkes abgegeben. Das kommt den Kolleg:innen nun wie ein großes Täuschungsmanöver vor. Die Entscheidungen der Unternehmenszentrale setzen sich über alle Vereinbarungen und Versprechungen selbstherrlich hinweg. 2023 fand plötzlich der Verkauf des Thermostatgeschäfts statt. Dann erfolgte letzten Dezember die Ankündigung der Schließung mit den Massenentlassungen.

Die Belegschaft in Busan und ihre Gewerkschaft sind nicht bereit, dieses Vorgehen hinzunehmen. Sie haben protestiert, demonstriert und Verhandlungen mit der Firmenleitung durchgesetzt.

Wir wenden uns an die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland: Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, bleiben wir stark! Wenn wir uns gegenseitig ausspielen lassen, hat die Unternehmenszentrale leichtes Spiel. Das Unternehmen agiert international, das müssen wir auch.

Wir fordern:

  • Nein zur Schließung des Werkes Busan!

  • Verbot der Verlagerung von Produkten und Produktionsmitteln ohne Zustimmung der Gewerkschaft.

  • Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, sind wir stark!

Protestkundgebung am Freitag, 5.4.2024 um 11:30 Uhr, Vor der MAHLE Hauptverwaltung Pragstraße 26-46, 70376 Stuttgart




Mahle Neustadt/Donau: Geht der Kahlschlag bei den Autozulieferern weiter?

Mattis Molde, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Der Personalabbau in der Autoindustrie ist voll im Gange: Von 850.000 Beschäftigten im Jahr 2019 sind noch 760.000 im Jahr 2022 übrig gewesen, also fast 100.000 weniger. Diese Entwicklung spielt sich vor allem in der Zulieferindustrie ab. Kleinere Unternehmen wie GKN, Dura und BCS wurden verkauft oder schlossen Standorte, größere Unternehmen wie Opel, Ford, MAN, Bosch, Conti und Mahle haben Personal in Größenordnungen von tausenden abgebaut und Standorte geschlossen.

Das ist keine Überraschung. Der Verband der Automobilindustrie, VDA, hatte dies schon im Juni 2021 angekündigt: „Die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität kann mehr Arbeitsplätze kosten, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen – und dies schon, ohne die Folgen der überstürzten aktuellen Diskussion um ein neues Klimaschutzgesetz absehen zu können. Bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte betroffen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze – und dies schon auf der Basis der bisherigen Klimaschutzgesetze.“

Auf die Presseerklärung des VDA erfolgte damals keine Reaktion der IG Metall. Jetzt titelt die Juli-Ausgabe der Gewerkschaftszeitung METALL: „Volle Kraft für die Transformation“. Die volle Kraft besteht unter anderem in „Zukunftstarifverträgen“, die die IG Metall für Bosch und Mahle fordert und bei ZF schon abgeschlossen hat: „An allen Standorten sollen Zielbilder entstehen, mit neuen Produkten, Geschäftsmodellen und der nötigen Qualifizierung. Die Beschäftigten sollen die Zielbilder mitgestalten.“

Der Artikel – und der entspricht völlig dem, was auch auf Konferenzen und Versammlungen derzeit von der Führungsebene der IG Metall verbreitet wird – tut so, als ob der Verlust von tausenden Arbeitsplätzen an fehlenden Zielbildern und nicht vorhandenen Zukunftstarifverträgen (ZTV) gelegen habe.

Die gab es jedoch, sie hießen nur anders. Erst nannte man sie Standortsicherungsvereinbarungen, dann wurden die Namen vielfältiger, oft z. B. Zukunftsvereinbarung. Übereinkünfte wurden erzielt bei Restgrößen von Belegschaften, Lohnverzicht oder unbezahlter Arbeitszeitverlängerung, gerne im Namen von Qualifizierung. Zunehmend wurden in diesen Betriebsvereinbarungen auch betriebliche Gesprächskreise für neue Produkte vereinbart. Unterschrieben wurden sie von den (Gesamt)-Betriebsräten und – wenn sie in Tarifverträge eingriffen – auch von der IG Metall. Jetzt sollen die ZTV von der Gewerkschaft verhandelt werden und von dazu gebildeten Tarifkommissionen, in denen wieder die Betriebsratsspitzen sitzen.

Der einzige formale Unterschied wäre: Für Tarifverträge dürfte gestreikt werden – falls die Gerichte das als tariffähig anerkennen. Aber bislang ist in der IG Metall von Streik keine Rede, ja laut METALL sind „Zukunftstarifverträge nicht erzwingbar“. Auch die letzten Tarifrunden wurden nirgends genutzt, um mit Streiks Druck auf für den Erhalt von Arbeitsplätzen aufzubauen.

Aus den neuen Produkten, die unter der Leitung von Werksleitungen und Betriebsräten gesucht wurden, ist selten was geworden. Die Konzerne behielten sich immer die Entscheidung vor, was und wo produziert wird. Es kam vor, dass die gefundenen Produktideen einfach anderswo platziert wurden und das Werk, wo sie entwickelt worden waren, haben sie dichtgemacht.

Die METALL-Zeitung führt zum x-ten Male das Beispiel Bosch in Homburg/Saar an. Dort wurde eine Wasserstoff-Brennstoffzellen-Produktion aufgebaut. „200 Beschäftigte arbeiten bereits daran.“ Als Ersatz für abgebaute 1.000 Arbeitsplätze.

Mahle Neustadt

Betriebsräte und Belegschaft  treffen dort eine etwas realistischere Einschätzung als die Artikel in der METALL. Sie haben erkannt, dass mit schönen Worten nichts von einer Geschäftsführung zu holen ist, die es noch nicht mal für nötig hält, mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Zweimal innerhalb weniger Wochen ging die Belegschaft vors Tor, was der METALL, die auch über Mahle berichtet, keine Erwähnung wert ist.

Erstmal geht es um gut 50 der 420 Arbeitsplätze. Sie sind in Gefahr, weil die Bosse Produktion verlagern. Aber zu Recht sehen die Kolleg:innen, dass das Problem größer ist. Nach dem Auslaufen der jetzigen Aufträge sind noch keine weiteren platziert worden. Es droht, dass die Produktion schlicht ausgetrocknet wird.

Auf der Kundgebung am 23.6. haben sich mehrere hundert Beschäftigte beteiligt, unterstützt von Solidaritätsdelegationen aus anderen Mahle-Werken. Auch Vertreter:innen von SPD und CSU waren anwesend. Es fielen warme Worte. Aber damit kann kein Kampf gegen eine so entschlossene Gegnerin wie die Mahle-Geschäftsführung gewonnen werden.

Die überbetriebliche Mahle-Betriebsgruppe MAHLE-SOLI verteilte einen Flyer, der reißenden Absatz fand. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Flugblatt. Der Widerstand bei Mahle Neustadt braucht die Solidarität aller Lohnabhängigen, vor allem aber von kämpferischen Gewerkschafter:innen in der IG Metall und der VKG. Denn die Erfahrung zeigt: Nur ein entschlossener Abwehrkampf, der sich auf die gesamte Belegschaft stützt, nur Streiks, Mobilisierungen und die Besetzung des Betriebes können letztlich den Druck erzeugen, der nötig ist, Personalabbau und Schließungen zu verhindern. Dazu können wir uns aber nicht auf den IG Metall-Apparat verlassen, dazu müssen die Beschäftigen selbst, ihren Kampf in die Hand nehmen, indem sie auf regelmäßigen Vollversammlungen ein Aktionskomitee zur Leitung zur Koordinierung des Widerstandes wählen, das ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist.

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Anhang: Auszüge aus Mahle Soli

Die IG Metall muss endlich aufhören, die Angriffe der Autokonzerne als Probleme der einzelnen Belegschaften und Betriebsräte zu behandeln!

Wenn die Tarifrunden der IG Metall, in denen Streiks möglich waren, auch genutzt worden wären, um andere Zugeständnisse zu erzwingen, wenn die IG Metall endlich alle bedrohten Belegschaften der Auto- und besonders der Zulieferindustrie zusammenbringen würde, um ein gemeinsames, verbindliches Kampfprogramm zu vereinbaren, anstatt auf Konferenzen „soziale und ökologische Transformation“ zu fordern, während die Konzerne das Gegenteil tun – dann kommen wir alle als Metaller und Metallerinnen wieder auf die Siegerstraße!

Auch Mahle ist groß darin, Arbeitsplätze dorthin zu verlagern, wo die Arbeitskraft billiger ist und der Umweltschutz weniger umgesetzt wird. „Sich seit einigen Jahren verschärfende Umweltauflagen“ hatte z. B. die GF als Gründe für die Verlagerung der Gießerei in Zell angegeben. Diese „Transformation auf Kapitalistenart“ geht auf Kosten der Arbeitenden und der Umwelt, sie ist unsozial und unökologisch.

Kämpfen statt betteln!

Die Autokonzerne haben bisher nichts dazu beigetragen, dass der Verkehr klimagerechter wird. Im Gegenteil, der CO2-Ausstoß beim Verkehr steigt. Sie haben beim Abgasmessen betrogen und ihre Werbung auf „grün“ getrimmt. Dafür haben sie noch Milliarden erhalten. Zurecht empören sich Millionen, vor allem junge Menschen, darüber. Warum kämpfen wir Metaller:innen nicht mit ihnen für eine ökologische Umstellung der Produktion auf klimagerechte Verkehrssysteme? Die Autokonzerne werden mit Milliarden subventioniert (für Forschung, Transformation, Kurzarbeit, nicht eingeforderte Strafen für Abgasbetrug, Verlagerung in andere EU-Länder …). Das Geld wäre besser aufgehoben für die Entwicklung und Produktion klimagerechter Produkte!

Verkehrswende und Arbeitsplatzwende

Die IG Metall-Spitze ist immer noch nur auf eine Antriebswende orientiert. E-Autos sollen die Weltmarktposition der großen deutschen Konzerne sichern, und damit verspricht man sich auch die Sicherung von Arbeitsplätzen in den Konzernen. Die Belegschaften der Zulieferer schauen dabei in die Röhre: E-Autos brauchen weniger Teile und die verbliebenen Teile für Verbrenner verlagern die Konzerne ins Ausland.

Eine Verkehrswende bringt andere Produkte in Spiel: mehr Straßenbahnen, Busse und Eisenbahnen. Die Verkehrswende bringt auch mögliche neue Verbündete ins Spiel. Auch wenn die Klimabewegung bisher ähnlich erfolglos bei den Regierungen war wie die IG Metall beim Durchsetzen ihrer Forderungen gegen die Konzerne, gemeinsam könnte sich eine Kraft entwickeln, die über Appelle an die eine oder andere Seite hinausgeht, die statt Kreuzungen zu blockieren, und gelegentlicher Proteste vorm Werkstor die Betriebe besetzt und die Produktion umgestaltet.




Verhandlungsergebnis Metall- und Elektroindustrie: Ablehnen!

Mattis Molde, Infomail 1205, 19. November 2022

In der Nacht zu Freitag, den 18. November, haben sich die Bezirksleitung der IG Metall in Baden-Württemberg und der Verband Südwestmetall auf ein Ergebnis geeinigt. Auch wenn die Gewerkschaftsspitzen den Abschluss als „spürbare Entlastung“ und damit als Erfolg verkaufen, zeigt ein Blick auf die Eckdaten des Ergebnisses, dass sich die Kapitalseite in vielem durchsetzen konnte.

Die erste Erhöhung der Tarife kommt zum Juni 2023 mit 5,2 %, eine zweite Stufe erfolgt zum Mai 2024 mit 3,3 %. Der Vertrag läuft bis Ende September 2024, also 24 Monate. Januar 2023 und Januar 2024 gibt es Einmalzahlungen von je 1500 Euro, steuer- und abgabenfrei. Die IG Metall war mit einer Forderung von 8 % Tariferhöhung und einer Laufzeit von 12 Monaten gestartet. Das ursprüngliche Angebot der Arbeit„geber“:innenverbände belief sich auf 3000 Euro bei einer Laufzeit von 3 Jahren.

Zu wenig, zu lange

Die Monatsentgelte in der Metall- und Elektroindustrie sind seit 4,5 Jahren nicht erhöht worden. Jetzt kommen noch einmal 8 weitere Monate dazu. Die zweite Stufe, die im Mai 2024 erfolgen soll, kommt dann kurz, bevor der Tarifvertrag ausläuft, was schon jetzt die Bereitschaft zeigt, nicht sofort 2024 eine weitere Erhöhung zu erlauben.

Damit ergibt sich eine lange Periode von Reallohnverlusten, die insbesondere mit der derzeitigen Inflation von über 10 % zu einer dauerhaften Absenkung der Einkommen führt. Die jetzt beschlossenen Erhöhungen gleichen weder die Verluste der Vergangenheit noch die jetzigen aus und binden der Gewerkschaft für 2 Jahre die Hände, weitere Inflationssprünge zu kontern. Sie mildern für 4 Millionen Beschäftigte nur die Auswirkungen der Preissteigerungen ab.

Die Einmalzahlungen von 2 mal 1500 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung. 125 Euro netto im Monat bedeuten auch für Beschäftigte der untersten Lohngruppen – je nach Steuerklasse – nur selten mehr als 8 %.

Der Schein wird weiter dadurch getrübt, dass

  • diese „Erhöhung“ nicht auf die Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, tarifliches Zusatzgeld und Transformationsgeld durchschlägt, die rund 16 % des Jahreseinkommens ausmachen;

  • auch in den vergangenen Jahren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen vereinbart wurden, die jetzigen also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen und keine „Erhöhung“ darstellen;

  • aus diesen Einmalzahlungen keine Rentenbeiträge abgeführt werden. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • die Einmalzahlungen zur Hälfte um bis zu 6 Monate verschoben werden können.

Sozialpartner:innen

Die IG Metall wird von einer Schicht von Bürokrat:innen aus hauptamtlichem Gewerkschaftsapparat und Betriebsratsspitzen beherrscht, die die Interessen der Beschäftigten grundsätzlich dem Wohl der Unternehmen, vor allem der großen Player in der (Auto)-Exportindustrie unterordnen. Mit ihnen wird „Standortsicherung“ gemacht, die Arbeitszeit flexibilisiert, die sog. Transformation einvernehmlich gestaltet, auch wenn es Arbeitsplätze kostet. Mit ihnen wird die Abgaspolitik in Brüssel „mit“gestaltet, das Streikrecht weiter beschränkt, die Leiharbeit gefördert und vieles mehr. Den Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern wird diese Kooperation als letztlich vorteilhaft präsentiert, auch wenn sie Opfer bringt. Die Mehrzahl der Mitglieder hat dies in den letzten Jahren geschluckt, immer mehr Funktionär:innen haben sich dem rechten Kurs angepasst.

In dieser Tarifrunde wurde deutlich, wie diese Partner:innenschaft gegen die Interessen der Beschäftigten und Beschlüsse der Organisation gerichtet ist. Bei der Aufstellung der Forderung wurde alles getan, um bei 8 % den Deckel aufzudrücken. Im Sommer gab es die Gespräche zu den „Entlastungspaketen“ mit der Bundesregierung und den Kapitalvertreter:innen. Das nannte sich „Konzertierte Aktion“ und alles wurde im Konsens beschlossen. Dazu gehörte die Möglichkeit zu Sonderzahlungen von 3000 Euro netto. Es war der IG-Metallspitze völlig klar, dass das in den Tarifverhandlungen die Forderung von 8 % Tariferhöhung für 12 Monate aushebeln musste!

Schon für die chemische Industrie wurde im September ein Abschluss getätigt von je 3,25 % Tariferhöhung in zwei Stufen, 3000 Euro netto in zwei Raten und 20 Monaten Laufzeit. Also das gleiche Strickmuster.

Bundesweit haben 900.000 Metaller:innen gestreikt, alleine in Baden-Württemberg 300.000. Bei der IG BCE in der chemischen Industrie bundesweit 0. Die Ergebnisse unterscheiden sich minimal. Um wirkliche Differenzen festzustellen, müssten die Auszahl-, Erhöhungstermine und Vorgeschichte verglichen werden. Aber die Kampfbereitschaft unterscheidet sich. Die weitaus höhere der Metaller:innen hätte ein anderes Ergebnis möglich machen können, sie hätten es verdient. Eine Ausweitung der Streiks, eine Urabstimmung wäre angestanden. All das wurde vom IG-Metallvorstand verschenkt. Er wollte es nicht.

Empörung

Viele Aktive an der Basis sind wütend. Es gibt Enttäuschung in den Betrieben, unter den Vertrauensleuten und in den sozialen Netzen. Doch um zukünftige Ausverkäufe und Abschlüsse wie den aktuellen zu verhindern, muss aus der Empörung eine organisierte Opposition werden. Eine Opposition, die es den kämpferischen Mitgliedern, die es gibt, die aber überall in der Minderheit sind, erlaubt, sich unabhängig auszutauschen und eine Kraft zu bilden. Ansätze für eine Vernetzung gibt es bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die in dieser Tarifrunde dafür eintrat:

„Die IG Metall hat das Angebot von Gesamtmetall als unzureichend bezeichnet. Das stimmt! Aber es ist ein Problem, dass die Forderungen in aktuellen Stellungnahmen nicht mehr benannt werden. Stattdessen ist nur noch die Rede von „8 % mehr Geld“ nicht von „8 % Tariferhöhung“. Wenn eine tabellenwirksame Tariferhöhung gefordert wird, dann immer ohne Zahl. Die 12 Monate werden gar nicht mehr erwähnt. Heißt das, dass die Spitze der IG Metall offen ist dafür, die 3000 Euro Einmalzahlung in die „8 % mehr Geld“ einzubauen, nachdem sie dies in der konzertierten Aktion mitverhandelt hat?“

Und deshalb hatte sie vorgeschlagen:

„Es wird allerdings notwendig sein, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. Das hat Gesamtmetall mit seinem Nullrundengeschrei und dem unverschämten Angebot deutlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die IG-Metall-Vertrauenskörper jetzt Beschlüsse fassen und den führenden Gremien der IG Metall den klaren Auftrag erteilen, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. ( … )

Wo noch nicht geschehen, sollten betriebliche Arbeitskampfleitungen gewählt werden. Es ist jetzt wichtig, möglichst alle Kolleg*innen in einen Arbeitskampf einzubeziehen und alle Arbeitskampfschritte gemeinsam zu diskutieren und gemeinsam zu beschließen. Außerdem sollte in Streikversammlungen über jedes neue Angebot umfassend informiert, diskutiert und abgestimmt werden. Annahme eines Angebots sollte erst nach Diskussionen und Abstimmungen in Streikversammlungen erfolgen. Es muss endlich wieder ernst gemacht werden: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still!“

Auch die betriebliche Oppositionsgruppe MAHLE-SOLIDARITÄT hatte ihre Kolleg:innen im Betrieb auf das Übel vorbereitet, das in der Konzertierten Aktion ausgeheckt worden ist, und 6 Fragen an Jörg Hofmann gestellt:

„Jörg, erkläre uns:

  • War die IG Metall bei diesem Treffen vertreten, auf dem das beschlossen wurde?
  • Hatten da die Arbeitgeber auch schon so eine aggressive Haltung?
  • Wurde übersehen, dass das gegen unsere Forderung von 8 % Entgelterhöhung für 12 Monate gerichtet war und ist?
  • Wurde übersehen, dass das prima für die Profite ist, weil nicht nur wir, sondern auch die Unternehmen die Beiträge zu Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung sparen. Aber wir es sind, denen die Renten dann fehlen und die die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung zahlen?
  • Was ‚steuerfrei’ angeht: Wir als IG Metall wollen doch auch bei den Steuersätzen keine einmalige Erleichterung, sondern eine Steuerreform, die eine nachhaltige Korrektur gegen die ‚kalte Progression’ bringt?

Jörg, wir wollen kämpfen, warnstreiken und notfalls auch streiken!

Wir stehen zu unserer Forderung! Das erwarten wir von allen Ebenen der IG Metall!

Nein zur 3000 Euro Mogelpackung! Ja zu 8 % Tariferhöhung bei 12 Monaten!“

Nein!

Dieses Tarifergebnis wird kaum zu verhindern sein. Aber jede kritische Stimme, jede ablehnende Resolution in den Vertrauenskörpern, Delegiertenversammlungen und Tarifkommissionen kann eine Ermutigung sein und die Leute stärken, die eine andere Politik in der IG Metall und im Kampf gegen die aktuellen Preissteigerungen, die kommende Rezession und die gesamte sozialpartnerschaftliche Politik eine klassenkämpferische Alternative aufbauen wollen.




8% bei 12 Monaten Laufzeit sind schon das Minimum! Urabstimmung und Vollstreik jetzt!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG, ursprünglich veröffentlicht auf vernetzung.org am 31. Oktober 2022), Infomail 1203, 4. November 2022

Der Gesamtmetallverband hat nach monatelangem Nullrunden-Geschrei in der dritten Verhandlungsrunde ein Scheinangebot vorgelegt: Eine Einmalzahlung oder auch Inflationsbeihilfe/-prämie genannt – von 3000 Euro – steuer- und sozialabgabefrei, plus eine unbezifferte Lohnerhöhung, letzteres aber nur, wenn 30 Monaten Laufzeit vereinbart wird. Außerdem wollen sie eine dauerhafte automatische Differenzierung je nach wirtschaftlicher Situation der Betriebe, also Ausstiegsmöglichkeiten aus tariflichen Erhöhungen. Diese Bedingungen sind eine klare Erpressung – von Leuten, denen es selbst zu gut geht, als dass ihnen steigende Energie- und Lebensmittelpreise auch nur annähernd wehtun würden! Da mussklar gesagt werden: Nicht mit uns!

Das Angebot von 3000 Euro – umgerechnet auf 30 Monate – wären gerademal 100 Euro mehr im Monat. Das ist einfach nur lächerlich und unverschämt, weil damit absolut nichts ausgeglichen werden kann und sich auch nicht in der Tabelle niederschlägt. Nach 4 ½ Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhung ist es mehr als dringend, dass es jeden Monat mehr Geld gibt und nicht schon wieder nur eine Einmalzahlung. Auch die Differenzierungen sind abzulehnen – sie sind ein klarer Angriff auf den Flächentarif. Erkämpfte Errungenschaften bei Entgelt und Arbeitsbedingungen werden ausgehöhlt, die Entsolidarisierung und das Standortdenken befördert.

Nein zu halben Sachen

Nur mit tabellenwirksamen Erhöhungen kann der Lebensstandard erhalten werden. Da sind die im Juni beschlossenen 8 % inzwischen schon eher zu niedrig. So fordert z.B. verdi für den Öffentlichen Dienst 10,5 %, mindestens aber 500 Euro. Eine so bescheidene Forderung von 8 % darf nicht auf eine noch längere Zeit gestreckt werden, sonst ist der Reallohnverlust noch höher. Deshalb sagen wir – maximale Laufzeit von 12 Monaten – die Zeiten sind ungewiss, die Krise wird noch länger dauern. Die Handlungsfähigkeit muss gewahrt bleiben. Die Laufzeit darf nicht zur Verhandlungsmasse werden.

Die IG Metall hat das Angebot von Gesamtmetall als unzureichend bezeichnet. Das stimmt! Aber es ist ein Problem, dass die Forderungen in aktuellen Stellungnahmen nicht mehr benannt werden. Stattdessen ist nur noch die Rede von „8% mehr Geld“ nicht von „8% Tariferhöhung“. Wenn eine tabellenwirksame Tariferhöhung gefordert wird, dann immer ohne Zahl. Die 12 Monate werden gar nicht mehr erwähnt. Heißt das, dass die Spitze der IG Metall offen ist dafür, die 3000€ Einmalzahlung in die „8% mehr Geld“ einzubauen, nachdem sie dies in der konzertierten Aktion mitverhandelt hat? Gegen 3000 Euro ist nichts zu sagen – aber es muss dabei bleiben: es darf keine Kompensation dieser Einmalzahlung mit einem Tarifergebnis geben!

Es darf keine Schönrechnerei geben, wie es beim Chemieabschluss der Fall war. Gäbe es zum Beispiel 4 % ab jetzt und weitere 4% ab Oktober 2023, so bedeutet das bei einer Inflationsrate von aktuell 10% und weiteren 8% im nächsten Jahr deutlichen Reallohnverlust. Dazu kommt, dass der Anstieg bei Energie und Lebensmitteln deutlich über der Inflationsrate liegt. Daher brauchen wir die 3000 Euro abschlagsfreie Einmalzahlung ZUSÄTZLICH zu der Tabellenerhöhung von mindestens 8% auf 12 Monate!

Ernst machen!

Die Verhandlungsführer und Bezirksleiter der IGM betonen die Notwendigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen und die ersten Warnstreiks sind in der Nacht vom 28.10 auf den 29.10. angelaufen. Es wird allerdings notwendig sein, Urabstimmung und Voll-Streik vorzubereiten. Das hat Gesamtmetall mit ihrem Null-Rundengeschrei und dem unverschämten Angebot deutlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die IG-Metall-Vertrauenskörper jetzt Beschlüsse fassen, und den führenden Gremien der IG Metall den klaren Auftrag erteilen, Urabstimmung und Voll-Streik vorzubereiten.

Bei den 24-stündigen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie 2018 mit Beteiligung von hunderttausenden Kolleg*innen wurde im Ansatz deutlich, welche Kraft in den Belegschaften steckt. Eine starke Streikbewegung in der M&E- Industrie ist möglich und nötig! Als Vorbereitung wären große Warnstreiks und ein flächendeckender 24-Stunden-Warnstreik sinnvoll. Innerhalb eines solchen könnten die Belegschaften zu Versammlungen zusammengebracht werden, um über die weitere Strategie für Urabstimmung und Vollstreik zu beraten und anschließend in kämpferischen Demonstrationen Stärke zeigen. Wo noch nicht geschehen, sollten betriebliche Arbeitskampfleitungen gewählt werden. Es ist jetzt wichtig, möglichst alle Kolleg*innen in einen Arbeitskampf einzubeziehen und alle Arbeitskampfschritte gemeinsam zu diskutieren und gemeinsam zu beschließen. Außerdem sollte in Streikversammlungen über jedes neue Angebot umfassend informiert, diskutiert und abgestimmt werden. Annahme eines Angebots sollte erst nach Diskussionen und Abstimmungen in Streikversammlungen erfolgen. Es muss endlich wieder ernst gemacht werden: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still!

Flyer zum Herunterladen und Weiterverbreiten:

https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2022/10/Erklaerung-VKG-TR-IGM-Angebot-Gesamtmetall.pdf




Tarifrunde Metall: Warnstreiks sind nicht genug!

Mattis Molde, Neue Internationale 269, November 2022

Nach zwei Verhandlungen hatten die Arbeit„geber“:innenverbände kein Angebot vorgelegt. Stattdessen malten sie in düsteren Farben die Lage der Metall- und Elektrobranche. Wegen der gestiegenen Energiekosten sei keine Lohnerhöhung möglich. Zur dritten Runde boten sie 3.000 Euro verteilt über 30 Monate an, steuer- und abgabenfrei.

Die IG Metall kündigte entsprechend vor der dritten Runde am 27. und 28. Oktober Warnstreiks an, falls die Gegenseite nicht „die letzte Chance nutzt“ und ein „verhandlungsfähiges Angebot vorlegt“, so Johann Horn, der Bezirksleiter von Bayern.

Signale

Das klang nach einem Affront gegen die andere Seite. Aber es war auch ein Signal an die Bosse. Der Bezirksleiter hatte die Drohung mit Warnstreiks damit verbunden, die Forderung nach 8 % Tariferhöhung durch die nach einem „verhandlungsfähigen“ Angebot zu ersetzen. Eine Kampfansage hätte so gelautet: „Unsere Forderung sind 8 % Tariferhöhung, Laufzeit 1 Jahr, Streikvorbereitungen laufen an, alle weiteren Verhandlungstermine sind vorläufig abgesagt.“

Die Warnstreiks starteten am 29. Oktober ab 0 Uhr. Die Beteiligung war stark, ein guter Auftakt. Es gibt genug Metallerinnen und Metaller, die dringend mehr Einkommen brauchen, deren Unternehmen gerade super verdienen und denen schon die Forderung von 8 % zu niedrig war. Wenn die Ware Arbeitskraft wegen der gestiegenen Energie- und anderer Kosten teurer geworden ist, dann muss ihr Preis auch steigen.

Aber schon mit den ersten Warnstreiks änderte sich die Forderung in den Mündern der IG Metall-Spitzen erneut. Aus den 8 Prozent Tariferhöhung wurden in allen Verlautbarungen „8 % mehr Geld und tabellenwirksame Erhöhungen“. Das ist nicht das Gleiche. Die neue Formel fordert für die Laufzeit des Vertrages 8 % mehr Volumen und davon soll nur ein Teil in die Monatslohntabellen eingehen. Von einer Laufzeit von 12 Monaten war schon Ende Oktober keine Rede mehr.

Auch das war ein Signal an die Bosse, dass die IG Metall die 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als irgendwie gestaltete Auszahlung haben will – aber es muss auch etwas in der Entgelttabelle bleiben. Dieser Neuformulierung aus IG Metall-Vorstandskehlen entspricht übrigens der Abschluss in der chemischen Industrie.

Dort wurde am 18. Oktober vereinbart, dass die Tariftabellen in 2 Schritten um je 3,25 % erhöht und die 3.000 Euro in Tranchen ausgezahlt werden sollen. Laufzeit 20 Monate.

Es muss also kein/e Schelm:in sein, wer Böses bei der geänderten Wortwahl der IGM-Häuptlinge denkt. Vor allem nicht, wenn man sich erinnert, dass die Regelung, dass Sonderzahlungen von bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gezahlt werden können, aus der konzertierten Aktion stammt. Dort saßen Regierung, Kapital und Gewerkschaften einträchtig beieinander und überlegten, wie die Energiekosten und andere Krisenbelastungen für bestimmte Unternehmen, für Bürger:innen und Beschäftigte so gedämpft werden, dass Proteste und zu großer Aufruhr vermieden werden können.

Vergiftet

Es sei daher zu kurz gegriffen, die 3.000 Euro steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie für ein „vergiftetes Angebot der Ampelregierung“ zu halten, von dem die „Gefahr“ ausgeht, „dass die IG Metall-Führung sich darauf einlässt“. So beurteilt die SoL dieses Angebot. Es ist vergiftet, aber die IGM müsste sich nicht darauf einlassen. Das Problem besteht aber darin, dass die IGM-Spitze das „vergiftete Angebot“ mit ausgebrütet hat. Folglich begrüßt sie es und erklärte schon durch Jörg Hofmann in der Metall-Zeitung im Juni: „Mit Tarifpolitik allein werden wir diese im Wesentlichen extern verursachte Teuerungsrate nicht ausgleichen können“.

Das vergiftete Angebot bedeutet, dass Krankenkassen und Arbeitslosenversicherung auf Einnahmen verzichten sollen, die Rentenbeiträge und auch die zukünftigen Renten der Angebotsempfänger:innen niedriger ausfallen, alles, damit die Unternehmensprofite unangetastet bleiben. Die Steuerfreiheit ist Augenwischerei: Eine Steuerreform ist ohnehin geplant und es soll dabei auch darum gehen, die „kalte Progression“ aufzufangen, die durch die Inflation befördert wird. Ohne dass die Reallöhne steigen, rutschen ja alle seit Jahren in immer höhere Steuersätze hinein. Diese sowieso anstehende Steuerreform wird jetzt den Beschäftigten in der Tarifrunde zweimal als Regierungswohltat verkauft.

Für Metaller:innen heißt das, dass alle, die jetzt richtigerweise auf Demos, in Warnstreiks, möglicherweise auch in Eintagesstreiks gehen und andere dafür mobilisieren, wissen müssen, dass ihre Führung schon jetzt bereit ist, diese Kampfkraft zu verschenken und nur Dampf ablassen will.

Das war die Regel in den letzten Jahren. Wieder und wieder waren Hunderttausende in Aktion und am Ende kamen Tarifabschlüsse raus, die sich im Volumen kaum von dem unterschieden, was die IG BCE auch mit keinen oder minimalsten Aktionen vereinbart hatte. Diese rühmt sich auch dieses Jahr dafür, dass ihr „sozialpartnerschaftlicher Stil“ so erfolgreich sei.

Das spricht nicht gegen Aktionen. Im Gegenteil! Aber sie müssen mit der Forderung verbunden werden, dass die Basis über Warn- und Vollstreiks entscheidet, die Kontrolle über den Verlauf von Verhandlungen und das Ergebnis erlangt.

Schon zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels, Anfang November, können wir sagen, dass die IG Metall-Führung erneut die Kampfkraft zu vergeuden und gerade die Aktivsten an der Basis zu frustrieren droht. Es ist zu befürchten, dass sie ein Ergebnis präsentieren wird, das gerade mit Hilfe der 3.000 Euro besonders einfach schönzurechnen ist, weil Prozente und Festgeld, Brutto und Netto munter miteinander verquirlt werden, so dass letztlich für jede/n einzelne/n etwas anderes rauskommt, das man vielleicht nach mehreren Lohnabrechnungen später durchschauen kann. Das ist vom Inhalt die gleiche Sozialpartnerschaft wie bei der IG BCE, aber alle paar Jahre mit markigen Worten garniert!

Deshalb:

  • Die Forderung heißt 8 % Tariferhöhung für 12 Monate!
  • Steuerpolitik soll Steuerpolitik bleiben und hat in den Tarifen nichts verloren! Stattdessen: Erhöhung des steuerfreien Anteils am Jahreseinkommen um 3. 000 Euro für alle und dauerhaft! (Derzeit gut 9.000 Euro)
  • Öffentlich geführte, transparente Tarifverhandlungen!
  • Gewählte Aktions- und Streikkomitees in allen Betrieben, die über alle Aktionen beraten und entscheiden!
  • Urabstimmung jetzt durch breite Debatten vorbereiten – nach der Entscheidung für Streik keine weiteren Verhandlungen vor dessen Beginn!

Aus den kritischen Stimmen an der Basis muss eine Bewegung geformt werden, Wir müssen gemeinsam die Initiative in der IG Metall ergreifen! Schließt Euch der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) an, um gemeinsam für eine andere Tarifpolitik zu kämpfen, für eine IG Metall, die Ernst macht!

Nachsatz

Die Teuerung trifft alle Beschäftigten, Rentner:innen, Arbeitslose, Jugendliche in Ausbildung. Der Kampf dagegen muss ein gemeinsamer sein! Am 22. Oktober fanden in vielen Städten Aktionen unter dem Titel „Solidarischer Herbst“ statt. Viele Metaller:innen waren dabei, aber die IG Metall als Organisation hat sich nirgends beteiligt. Das ist unsolidarisch! Das ist peinlich! Es kommen noch viele soziale Ungerechtigkeiten und Angriffe auf uns zu. Auf uns alle!




Metallindustrie: eine Tarifrunde von Bedeutung

Mattis Molde, Neue Internationale 267, September 2022

Wer für die Krisen zahlt, wird auch in Tarifrunden entschieden. Die Bundesregierung hat ihre Ausgaben für die Pandemie, für die Bekämpfung der aufkommenden wirtschaftlichen Krise, für Aufrüstung und Militärhilfe noch nicht finanziert. Kommen Steuererhöhungen oder Sozialabbau? Die Konzerne legen die Folgen der Sanktions- und Boykottpolitik gegen Russland auf die Bevölkerung um und versuchen, dabei noch Zusatzprofite einzusacken.Damit haben sie die Inflation auf in Deutschland lange nicht mehr gesehene Höhen getrieben. Die Realeinkommen der arbeitenden Bevölkerung hat das drastisch reduziert.

In der Bevölkerung machen sich Unmut und Protest breit. In manchen Branchen reagieren die Gewerkschaften mit Lohnforderungen und Tarifabschlüssen, die deutlich über den gewohnten Zahlen liegen, selbst wenn sie noch weit hinter den Erfordernissen zurückbleiben.

Jahrelange Durststrecke für den Standort Deutschland – magere Forderung heute

Jetzt steht die Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie an, also einer der größten Branchen, mit einem hohen Entgeltniveau und Kampfpotential, das aber seit Jahren nicht mehr wirksam eingesetzt wird.

So gab es seit viereinhalb Jahren keine Erhöhung der Monatseinkommen mehr („tabellenwirksame Erhöhung“). Es wurden lediglich neue Sonderzahlungen vereinbart. Große Teile davon waren in den vergangenen Jahren nicht ausbezahlt worden, weil Ausstiegsklauseln den Unternehmen Verschiebung und Nichtauszahlung ermöglichen oder betriebliche Verzichtsvereinbarungen getroffen worden wurden.

Zugleich wurden über zwanzigtausend Arbeitsplätze vernichtet. Zahlreiche Betriebe werden geschlossen oder verlagert. In keinem Fall war die Gewerkschaftsführung willens, dagegen zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Es blieb bei Protesten, bei „sozialer“, sprich finanzieller Abfederung des Arbeitsplatzverlustes und peinlichen Appellen an das soziale Gewissen der Manager:innen. Die Mitgliederzahlen der IG Metall gehen nach unten. Die Führung will das so. Sie fühlt sich dem Standort Deutschland und seiner Exportindustrie verpflichtet. Sie hat es geschafft, den Glauben an die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kapital so zu verankern, dass dann, wenn dieses sie aufkündigt, ein Umschalten auf effektiven Widerstand schwierig wird. Die Führung will ihn sowieso nicht, die Belegschaften wissen oft nicht mehr, wie das geht. Wenn sie doch den Kampf riskieren wollen, gar streiken, werden sie von der Funktionär:innenriege in den Konzernen und der Gesamtorganisation isoliert und dürfen sich alleine abstrampeln. So wird dann auch allen bewiesen, dass eben nicht geht, was nicht gehen soll. Damit kommt die Bürokrat:innenkaste in der IG Metall durch, solange es den Kolleg:innen, die kämpfen wollen, nicht klar ist, dass sie auch die Bürokratie bekämpfen müssen.

Im Vorlauf dieser Tarifrunde hat die Spitze alle bürokratischen Tricks genutzt, um die Forderungen auf 8 % zu begrenzen. Aber der Druck von unten wurde sichtbar. Hat die Bürokratie den Spielraum, dem Druck etwas nachzugeben, ein halbgares Ergebnis zu erzielen, das dann mit Schönrechnen der Masse der Mitglieder verkauft werden kann? Was will die Kapitalseite?

Nullrunde im Zeichen der Krise?

In einem Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“ hat der Vorsitzende des „Arbeitgeberverbands Gesamtmetall“, Stefan Wolf, für die Metall- und Elektroindustrie eine Nullrunde gefordert. Die „Gasmangellage“ falle zeitlich genau in die Tarifrunde. „Dann wird es nicht möglich sein, die Firmen der Metall- und Elektroindustrie mit Lohnerhöhungen weiter zu belasten.“ Die hohe Inflation müssten die Mitarbeiter:innen ohne Lohnerhöhung kompensieren. Außerdem müsse man eine weitere Steigung durch eine Lohn-Preis-Spirale verhindern. „Die Forderung fällt völlig aus der Zeit und zeugt von einer gewissen Weltfremdheit“, sagte er. Das Lohnniveau in der Metall- und Elektroindustrie sei schon extrem hoch. „Das kann halt nicht immer noch weiter wachsen – schon gar nicht in dieser Lage“, so Wolf.

Dass die Kapitalseite vor jeder anstehenden Lohnrunde aufheult, jammert und zu Verzicht aufruft, ist nicht neu. Das gehört zu ihrem Geschäft und zum Tarifritual. Es erlaubt der IG Metall-Führungsriege, jeden Abschluss als Durchbruch gegen die Blockade der Unternehmen zu feiern.

Aber angesichts der Notwendigkeit, die Arbeiter:innenklasse für Krisen und Krieg zahlen zu lassen, können wir davon ausgehen, dass die mächtigste Fraktion der Herrschenden, das Exportkapital, das vor allem in der Autoindustrie und dem Maschinenbau angelegt ist, nichts zu verschenken hat. Der Krieg in der Ukraine ist eben nicht das Resultat eines durchgeknallten Diktators, sondern Ausdruck der wachsenden Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten und Blöcken. Das deutsche Kapital hat da jetzt schon verloren: Es musste sein Bemühen, sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine super Geschäfte zu tätigen, teilweise aufgeben und sich der Konfliktstrategie Washingtons unterwerfen.

Für Metaller:innen müssen Wolfs Worte aber in den Ohren klingeln. Angesichts von ca. 8 Prozent Inflation und 4 ½ Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhung bedeuten seine Forderungen eine gewaltige Absenkung des Lebensstandards. Das „extrem hohe Lohnniveau“, wie es dieser bezeichnet, wird seit Jahren angefressen.

Was tun?

Ob die Bürokratie in dieser Lage mit ihren üblichen Manövern durchkommt? Ob es reicht, eine lange Laufzeit anzubieten, in der die Kapitalist:innen über die Inflation „ihr“ Geld wieder reinholen? Ob es möglich wird, mit Getöse und Dampf Ablassen, vielleicht einschließlich Tagesstreiks, die kampfbereiten Teile der Gewerkschaft zu erschöpfen?

Das hängt vor allem von Aktivist:innen an der Basis ab! Es reicht nicht, auf den offiziellen Veranstaltungen mit Pfeifen zu trillern. Positionen müssen formuliert werden: Was wir wollen und wie wir es erreichen können. Wir brauchen eine Vernetzung der Aktiven an der Basis, sonst erzählen die Sekretär:innen auch weiterhin, dass leider überall sonst alle mit dem Kurs der Gewerkschaftsbonzen einverstanden wären. Auf den Konferenzen muss wieder freie Debatte durchgesetzt und diese vor allem in den Betrieben unter den Belegschaften offen geführt werden. Die Entscheidungen dürfen nicht länger hinter den Kulissen fallen.

Völlig zu Recht schreibt die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften:

„Wir als VKG hatten uns im Frühjahr für eine Festgeldforderung zwischen 350 und 400 Euro eingesetzt. Die Tarifkommission und der IG Metall-Vorstand beschlossen acht Prozent Lohnerhöhung, auch wenn es einzelne wesentlich höhere Forderungen aus Betrieben gab. Angesichts weiter steigender Preise, der gerade beschlossenen Gasumlage und völlig unzureichender Entlastungsmaßnahmen bleibt diese Forderung unter dem, was nötig wäre. Landet man im Ergebnis unter der Forderung, bedeutet das sicher Reallohnverlust, aber selbst mit den acht Prozent ist eine Reallohnsteigerung nicht gegeben. Daher sollte in der IG Metall darüber diskutiert werden, diese Forderung entsprechend der aktuellen Situation nochmal zu erhöhen. Da wir nicht wissen, wie sich die Inflation entwickelt, müssen nach unserer Ansicht die Gewerkschaften den Kampf für eine automatische Anpassung der Entgelte an die Preissteigerungen (gleitende Lohnskala) aufnehmen.

Außerdem wird deutlich: eine harte Tarifauseinandersetzung kündigt sich an. Es muss diesmal ums Ganze gehen. Das bedeutet, dass Warnstreiks diesmal nicht ausreichen werden. Überall müssen jetzt schon Diskussionen laufen, um sich nach gescheiterten Verhandlungen auf eine Urabstimmung und Vollstreik in der gesamten Metall- und Elektroindustrie vorzubereiten. Zudem ist es nötig, dass die DGB-Gewerkschaften Tarifrunden synchronisieren und zusätzlich DGB-weite Demonstrationen gegen das Abladen der Krise auf die arbeitende Bevölkerung organisieren. Die Metalltarifrunde muss als Teil eines heißen Herbstes kämpferisch geführt werden und die Vorbereitungen dafür müssen jetzt stattfinden.“




Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie: Reallohnverlust droht

Mattis Molde, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Für die Stahlindustrie wurde im Juni ein Ergebnis vereinbart, für die Metall- und Elektroindustrie wird gerade die Forderung aufgestellt. Auf Empfehlung des IG-Metall-Vorstandes fordern die regionalen Tarifkommissionen für die nächste Runde 8 % bei einer Laufzeit von einem Jahr.

Betrachten wir die Tarifabschlüsse der letzten Jahre, so scheint die IG Metall-Führung Reallohnverluste eingepreist zu haben. Keine neue Entwicklung. Umso wichtiger ist es, dass klassenkämpferische Gewerkschafter:innen die zögerliche, auf faule Kompromisse angelegte Politik des Apparates kritisieren und zugleich dafür kämpfen, dass in der Tarifrunde die bestehenden Forderungen nicht weiter verwässert werden, sondern dafür voll mobilisiert wird.

Dazu ist es unerlässlich, Lehren aus den vergangenen Jahren zu ziehen.

Tarifergebnis Stahlindustrie

Die IGM war mit einer Forderung von 8,2 % für 12 Monate in die Tarifrunde gegangen. Der Arbeitgeberverband Stahl (AGV Stahl) hatte zuletzt 4,7 % bei einer Laufzeit von 21 Monaten angeboten. Das Ergebnis: Am 1. August sollen die Löhne und Gehälter um 6,5 Prozent steigen, bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Für Juni und Juli bekommen die Beschäftigten insgesamt 500 Euro als Einmalzahlung, Auszubildende erhalten 200 Euro. Die Gewerkschaftsführung ist zufrieden. „Das Verhandlungsergebnis ist die höchste prozentuale Entgeltsteigerung in der Stahlindustrie seit 30 Jahren“, so Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

Umgerechnet auf 12 Monate sind dies gerade 4,3 % Lohnerhöhung. Bekanntlich liegt die Inflation bei ca. 8 % und ein Rückgang ist keineswegs in Sicht. Das bedeutet für die KollegInnen, dass ihre Reallöhne und damit der Lebensstandard deutlich sinken werden.

Die letzte Tabellenerhöhung hatte es im März 2019 mit 3,7 % gegeben. 2021 gab es nur eine Einmalzahlung von 500 Euro sowie eine neue Jahressonderzahlung neben Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Einmalzahlung erhöhte zwar das Jahreseinkommen leicht, aber eben nicht dauerhaft. Im Vergleich zu 2021 wächst also das Jahreseinkommen nicht um 6,5 %, oder anders gesagt: Es bestand und besteht weiterhin großer Nachholbedarf.

Die Jahressonderzahlung, die es außer bei Stahl auch in der Metall- und Elektroindustrie als „tarifliche Sonderzahlung“ gibt, konnte und kann in freie Tage umgewandelt werden, was vor allem in der Auto- und Zulieferindustrie zur „Beschäftigungssicherung“ zwangsweise geschieht und somit nur selbst bezahlte Kurzarbeit darstellt.

Metallindustrie

Wenn die nächste Tarifrunde im Herbst 2022 beginnen wird, wird die letzte Tabellenerhöhung der Monats- bzw. Stundenlöhne 4 ½ Jahre her sein, also noch länger als in der Stahlbranche. Große Teile der stattdessen vereinbarten Sonderzahlungen wurden in diesen Jahren nicht ausbezahlt, weil Ausstiegsklauseln vereinbart wurden, die den Unternehmen Verschiebung und Nichtauszahlung ermöglichen, was reichlich ausgenutzt wurde. Viele Kolleg:innen waren außerdem in Kurzarbeit oder hatten Arbeitszeitabsenkungen ohne Lohnausgleich. Viele – insbesondere Frauen – haben wegen notwendiger Kinderbetreuung während der Lockdowns ihre Arbeitszeit reduzieren müssen und verfügten dadurch über weniger Einkommen.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen von durch die Decke schießenden Energie- und Lebensmittelpreisen, den hohen Mietsteigerungen sowie 4 ½ Jahren ohne Tabellenerhöhungen wäre dringend eine hohe Lohnforderung nötig, am besten als Festgeldforderung oder Mindestbetrag, da die Steigerungen der Lebenshaltungskosten die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen wesentlich härter treffen. Schließlich geben sie einen großen Teil ihres Einkommens für Miete, Gas, Strom und Lebensmittel aus, also für Waren, deren Preise gerade überdurchschnittlich steigen.

Der Metallertreff Stuttgart, der auch Teil der VKG, der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, ist, hat deshalb schon im April mit tausenden Flyern vor den Metallbetrieben im Raum Stuttgart geworben:

„Eine 5 %-Forderung wie in vergangenen Jahren wird nicht reichen! Eine Forderung in Höhe von ca. 10 % des Facharbeiterecklohns ist notwendig. Das wären als Festgeld rund 350 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Damit könnten Reallohnsenkungen der vergangenen Jahre und die hohe Inflation einigermaßen ausgeglichen werden. Diese Forderung wollen wir zur Diskussion in die Vertrauensleutestrukturen einbringen.“ Bei heutiger Inflationsentwicklung ist selbst dies zu wenig.

Auseinandersetzung in der IGM

Diese oder ähnliche Vorschläge drücken sehr gut den Druck seitens der Basis aus. Auch auf der Delegiertenversammlung der Ortsverwaltung Stuttgart, der zweitgrößten in der Republik, hagelte es harsche Kritik am Vorgehen des IG Metall-Vorstandes. Dieser hatte, besonders nachdem schon die Forderung der Stahlarbeiter:innen von 8,2 % aufgestellt worden war, mit allen Mitteln versucht, die Bewegung von unten einzudämmen. In Abfragen an die Belegschaften in den Betrieben durfte als höchstes der Gefühle der Vorschlag 6 – 8 % angekreuzt werden. Der Vorstand bekräftigte noch einmal mit einer „Empfehlung“, die alle Verantwortlichen sehr wohl als Anweisung verstehen, von 7 – 8 % diese Deckelung bei 8 %.

Alle Redner:innen auf der Delegiertenversammlung Stuttgart bis auf eine Wortmeldung kritisierten den Versuch des Vorstandes, die Diskussion über die Forderungshöhe zu deckeln und zu dämpfen, und legten ihrerseits Vorschläge von meist über 10 % vor, aber auch noch höhere Forderungen. Auch wenn die Vorschläge in Stuttgart vor dem Hintergrund von Daimler und Porsche höher ausfallen mögen als anderswo, müssen sich alle Metaller:innen fragen, warum der Vorstand so bemüht ist, keine Forderung zuzulassen, die einen Abschluss möglich macht, der den Reallohn sichert. Aufgabe einer Gewerkschaftsführung, die sich den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet fühlt, müsste nicht nur das zum Ausgangspunkt ihrer Debatten machen und dann überlegen, wie der nötige Druck aufgebaut werden kann, auch ein entsprechendes Ergebnis zu erzielen. Kern dieser Überlegungen müsste sein, wie die Belegschaften, die mehr und auch kämpfen wollen, zu ermutigen und so die zaudernden Sektoren der Belegschaften mitzuziehen.

Die IGM-Spitze macht das Gegenteil. Die Forderung wird gedämpft. Den kampfstarken Belegschaften der Autoindustrie wird signalisiert, dass sie sich ja zusätzlich eine Jahresprämie holen können – völlig außerhalb tariflicher Normen. So zersetzt man Solidarität und Kampfkraft.

Zeitgleiche Festlegung

Die Tarifkommissionen haben jetzt überall und gleichzeitig der Forderung von 8 % zugestimmt. Die Bürokratie konnte sich durchsetzen. Das ist nicht so schwer, da die Tarifkommissionen nicht demokratisch gewählt sind: Kandidat:innen müssen vom Ortsvorstand vorgeschlagen werden. Wer „falsch“ abstimmt, droht bei der nächsten Wahl rauszufliegen.

Der IGM-Vorstand missachtet bei seinem Vorgehen auch seine eigene gewerkschaftliche Beschlussfassung. Diese lautet seit Jahrzehnten, dass sich eine Forderung nach folgender Formel zusammensetzen müsse: prognostizierte Inflationsrate + Produktivitätssteigerung + Umverteilungskomponente. In „normalen“ Jahren konnte man übrigens daraus mit ziemlicher Sicherheit das Ergebnis vorhersagen, das die IGM-Bürokratie anstrebte und wo sie abschließen würde: die Inflationsrate + ein Bruchteil der Produktivitätssteigerung und nie eine Umverteilung. Jedenfalls nicht zugunsten der Beschäftigten! Der Anteil der Löhne und Gehälter am Umsatz ist in allen Industrien seit Jahrzehnten rückläufig.

Jetzt ist diese Formel, die heilige Kuh der IGM-Tarifpolitik, auch quasi offiziell geopfert worden. Stattdessen fordert der Vorsitzende Hofmann „weitere Entlastungen für die Beschäftigten von der Politik: Darüber hinaus ist es Aufgabe der Politik, dass sie zugleich beim gewaltigen Problem der Preisanstiege steuernd eingreift. Wir können die aktuellen Teuerungsraten nicht allein über Tarifpolitik ausgleichen.“ Mit anderen Worten: Die Führung der größten und kampfstärksten Einzelgewerkschaft akzeptiert schon im Voraus Einkommensverluste.

Dafür soll der Staat einspringen. Hofmann: „Die IG Metall fordert, dass Übergewinne mit einer einmalig erhobenen Steuer abgeschöpft werden. Das würde Einnahmen ermöglichen, die für weitere Entlastungen der Menschen verwendet werden könnten.“ Was tut die IGM dafür? Sie setzt auf sozialdemokratische Held:innen wie Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, der ein Klimageld für geringe und mittlere Einkommensgruppen vorschlägt, die Erhöhung des Mindestlohns auf seine Fahnen schreibt und auch gegen eine einmalige Steuer auf Übergewinne nichts einzuwenden hätte. So wie die Gewerkschaftsbürokratie auf die Profitinteressen der Unternehmen Rücksicht nimmt, findet die Entschlossenheit von Heil ihre Grenzen am Koalitionsfrieden mit Finanzminister Lindner. Die Gewerkschaftsbürokratie setzt auf stumpfe Waffen.

Arbeitskampf und Streik!

Dabei wissen alle, die schärfste Waffe der Beschäftigten ist der Streik. Ohne massive, bundesweite Arbeitsniederlegungen wird selbst die 8 % Entgelterhöhung nicht ansatzweise durchsetzbar sein. Doch Streiks wollen Hofmann und Co. möglichst vermeiden und appellieren stattdessen an „die Politik“, was wohl die Regierung meint, aber selbst hier schwammig bleibt. Die Kapitalist:innen bleiben von einer berechtigten Forderung verschont, obwohl z. B. Daimler nach Aussage des Betriebsratsvorsitzenden im Motorenwerk Stuttgart-Untertürkheim, Michael Häberle, eine Kapitalrendite von 15,4 % im ersten Quartal erwirtschaftet hat. Sie werden auch nicht mit der Frage, wer die Kosten für Krieg und Krise zu zahlen habe, belästigt: Daimleraktionär:innen oder die Daimlerbeschäftigten, Kapital oder Arbeit? Die IG Metall Bürokrat:innen winden sich und schwafeln von „der Politik“.

Dabei wäre eine branchenübergreifende Kampagne zur Sicherung aller unteren und mittleren Einkommensgruppen notwendig. Sie könnte alle Gewerkschaften, alle Branchen und auch andere Teile der Bevölkerung umfassen – Hofmann selbst nennt „etwa Rentnerinnen, Rentner und Studierende“, die unter den Preiserhöhungen leiden. Aber um selbst eine einmalige Sondersteuer oder jede andere Forderung, die in die Tasche der Kapitalist:innen greift, durchzusetzen, braucht eine solche Kampagne eine echte Bewegung: nicht bloß Facebookposts, sondern Massenmobilisierungen auf der Straße und in den Betrieben! Streiks und Warnstreiks in der Metallindustrie müssten Bestandteil einer solchen sein.

Mit einer IG Metall-Führung, die weder eine ernsthafte Kampagne gegen die Teuerung will noch eine Tarifrunde, die das Reallohnniveau sichert, werden wir nur schwer gewinnen können. Metallerinnen und Metaller sowie die Linken in den Gewerkschaften dürfen angesichts dessen nicht die Illusion verbreiten, dass einfach nur durch kämpferische Aktionen und gute Mobilisierungen die Führung dazu gezwungen werden könnte, weiter zu gehen, als sie will.

Dazu ist zugleich nötig, dass sich die Aktiven in den Betrieben bewusst werden, mit wem sie es in ihrer Führung zu tun haben. Dass sie sich darüber klar werden, dass die Bürokratien in den Gewerkschaften – nicht nur der IG Metall – andere Ziele als die Mitglieder verfolgen, nämlich die Gewinne des Kapitals, die „Konkurrenzfähigkeit“ des deutschen Exportkapitals zu sichern, die Stellung der herrschenden Klasse in Deutschland und der Welt zu verteidigen. Diesen politischen Zielen ordnet die Bürokratie die elementaren, gewerkschaftlichen unter und das sollte ein Grund sein für gewerkschaftliche und betriebliche Aktivist:innen, mit diesen Zielen, mit dieser Politik zu befassen und sich selbst zu fragen, ob das auch ihre sind.

Volle Mobilisierung!

Zugleich wird der Wunsch nach einem möglichst hohen Tarifabschluss Hunderttausende auf die Beine bringen. Diese Mobilisierungen müssen alle Metaller:innen, ja alle Lohnabhängigen unterstützen. Sie und letztlich deren höheres Ergebnis sind besser geeignet, um die Politik der Bürokrat:innen zumindest ein Stück weit zu durchbrechen, zu entlarven und die Selbstorganisation und das Bewusstsein der Basis zu erhöhen.

Politische Klärung und Organisierung eines wirklichen Widerstandes gegen das Kapital, so dass die Gewerkschaften ihren Aufgaben gerecht werden, müssen Hand in Hand gehen – nicht nur bei der Verteidigung der Reallöhne. Es geht dabei nicht darum, im kleinen Kreis über die Allmacht und den Verrat der Apparate zu lamentieren, sondern konkrete Vorschläge zu erarbeiten, wie die Mitglieder der Gewerkschaft über die Aktionen entscheiden, über Warnstreiks und Streiks. Es geht darum, die volle Kampfkraft der Gewerkschaft für die 8 % und für eine einjährige Laufzeit zu entfalten, statt auf Verhandlungen im Hinterzimmer zu setzen. Wenn die 8 % durchgesetzt werden sollen, muss möglichst rasch die Urabstimmung eingeleitet werden, um den Weg für unbefristete Streiks freizumachen.

Einen solchen Kurs durchzusetzen, erfordert den Kampf in den existierenden gewerkschaftlichen Strukturen, für die Wiederbelebung von Vertrauensleutekörpern und Betriebsgruppen sowie das Eintreten für regelmäßige Voll- und Abteilungsversammlungen, für die Wahl und jederzeitige Abwählbarkeit von Aktions- und Streikkomitees.

Zugleich müssen all jene, die den sozialpartnerschaftlichen Kurs der sozialdemokratisch dominierten Bürokratie ablehnen, eine eigene, vom Apparat unabhängig organisierte Opposition auf die Beine stellen, eine klassenkämpferische Basisbewegung. Den besten Ansatz in diese Richtung bildet zur Zeit die VKG, die am 8. und 9. Oktober nach Frankfurt/Main zu einer bundesweiten Konferenz einlädt (vernetzung.org). Wir unterstützen diese und fordern alle klassenkämpferischen Kräfte, die bisher der VKG fern blieben, auf, sich zu beteiligen. Die Konferenz der VKG kann schließlich einen wichtigen Schritt zum Aufbau einer Basisopposition und eines gemeinsames Kampfes gegen Krieg und Krise darstellen.

Anhang: Hohe Profite trotz Pandemie

Mercedes-Benz Group: Gewinn 2021: über 14 Mrd. Euro – eine Verdoppelung zu 2020. Umsatzrendite: 12,7 %. Dividende: 5 Euro pro Aktie, fast das 4fache wie für 2020 (1,35 Euro).

Porsche: Gewinn 2021: 5,3 Mrd. Euro, eine Steigerung um 27 %, Umsatzsteigerung: 15 %. Dividende: 2,56 Euro je Aktie. Porsche-Chef Oliver Blume bezeichnete das vergangene Jahr als „das erfolgreichste in der Geschichte von Porsche“.

Bosch: Gewinn 2021: 3,2 Mrd. Euro, 60 % mehr als 2020, Umsatz: 78,8 Mrd. Euro – 10 % mehr als 2020.




Ford Saarlouis, Vallourec Düsseldorf: Das Kapital transformiert zu Industrieruinen

Mattis Molde, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Der Stahlröhrenhersteller Vallourec will seine Standorte in Deutschland mit 2.400 Beschäftigten bis 2023 schließen und das Geschäft mit nahtlosen Rohren für Öl- und Gasfelder nach Brasilien verlagern. Gründe seien sinkende Margen und Überkapazitäten in der Branche sowie der Krieg in der Ukraine und die Covid-19-Pandemie, die durch gestiegene Energie- und Materialpreise die Lage verschärft hätten. Die Werke wurden einst unter dem Namen Mannesmann gebaut und sind Zeugen der historischen Bedeutung der Schwerindustrie im Ruhrgebiet.

Im Fordwerk in Saarlouis wird der Focus gebaut. 2025 läuft die Produktion aus. Dann gibt es für 4.600 Beschäftigte dort und rund 2.000, die auf dem Werksgelände bei Zulieferern angestellt sind, keine Arbeit mehr, denn E-Autos sollen nicht dort, sondern in Almussafes/Valencia in Spanien gebaut werden. Damit ist die Schließung vorprogrammiert.

Sozialpartnerschaftslatein am Ende

Beide Entscheidungen wurde im letzten Monat von den Konzernzentralen gefällt. Beides sind Tiefschläge für Tausende Beschäftigte und ihre Familien, für die betroffenen Städte und Regionen.

Beide verkörpern aber auch Hochburgen der IG Metall. Sie zählt tausende Mitglieder, beherrscht die Betriebsräte, verfügt über beste Kontakte zur „Politik“. Sie lebt nicht im Konflikt mit den Management, sondern kooperiert auf allen Ebenen aufs Engste und hat hunderte Vereinbarungen mit diesem geschlossen.

Der Widerstand der Betriebsräte sah dementsprechend aus. Monatelang wurde in Hinterzimmern verhandelt, Verzicht angeboten und nach Staatsknete gesucht, um den Konzernen den Verbleib zu versüßen und ihre Profite zu erhöhen.

Die Beschäftigten kamen nur am Rande vor und blieben von den Verhandlungen ausgeschlossen. Aktionen hatten nie das Ziel, das Management zu etwas zu zwingen, sondern sollten Dampf ablassen. „Verhandlungsbegleitende Aktionen“ heißt das im Gewerkschaftsjargon.

Jetzt ist die IG Metall mit ihrem Sozialpartnerschaftslatein am Ende. Bei Vallourec fiel dem Betriebsrat zum Schluss noch ein, eine/n neue/n Käufer:in zu suchen. Dann wurde die Schließung hingenommen und mit einem „Sozialtarifvertrag“, den die Beschäftigten mit der IG Metall „erkämpfen“ sollen, dürfen sie ihre Entlassung mitgestalten.

Im Falle von Saarlouis wirft IG-Metall-Chef Jörg Hofmann dem US-Autokonzern „unsoziales Verhalten“ vor. „Ford hat die Standorte Saarlouis und Valencia eiskalt in einen Dumpingwettbewerb gezwungen.“ Man fragt sich, ob Ford bisher sozial war oder andere multinationale Konzerne dies sind. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum die IG Metall sich in diesen Dumpingwettbewerb hat zwingen lassen und das über 3 Jahre hinweg. In diesem behandelte sie die Kolleg:innen in Valencia und ihre Gewerkschaften faktisch wie Gegner:innen.

Im Übrigen musste Ford die IG Metall nicht zwingen, solche Verhandlungen zu führen. Hofmann und seine Leute machen das immer und überall, nennen es „Standortsicherung“ von einzelnen Werken oder gar des ganzen „Standorts Deutschland“. Dabei wird jede Solidarität zwischen den Belegschaften untergraben und international erst recht.

Klassenkampf und Arbeiter:innendemokratie

Die beiden großen Tiefschläge in zwei ihrer starken Bastionen zeigen, dass die IG Metall kein Konzept besitzt, um Arbeitsplätze gegen die Entscheidungen der Kapitalist:innen zu verteidigen. Dazu wäre es nötig, die Kampfkraft der Belegschaft durch Information statt Geheimverhandlungen der Betriebsräte zu organisieren; durch Vertrauensleute, die die Diskussion in den Unternehmen vorantreiben, statt Postbot:innen des Betriebsrats zu spielen; durch Belegschaftsversammlungen, die Entscheidungen über Forderungen und Aktionen demokratisch fällen; durch Konferenzen der Vertrauensleute in Konzernen oder Branchen, wo Arbeitsplätze bedroht sind, um gemeinsame Kampfplänen zu erstellen – und das nicht nur auf Deutschland beschränkt. Denn alle wissen, dass Großkonzerne die Belegschaften international gegeneinander ausspielen.

Mit dieser Kraft kann man mehr als Proteste organisieren. Man kann streiken oder Betriebe besetzen. Man kann in den Betrieben fordern, dass die Belegschaft und ihre Vertreter:innen die Offenlegung aller Daten und Zahlen durchsetzen, diese überprüfen und ein Vetorecht gegen die Entscheidungen des Managements erkämpfen.

Dann kann auch entschieden werden, was in den Betrieben produziert wird und was nicht (mehr). Dann können Betriebe wirklich „transformiert“ und nicht in Ruinen verwandelt werden.

Das ist mit Betriebsratsfürst:innen und dem IGM-Vorstand nicht zu machen. Ihnen ist über mehrere Jahre, in denen sich die Bedrohungsszenarien in den beiden Großbetrieben entwickelt haben, nichts anderes eingefallen, als zu betteln und Errungenschaften zum Verzicht anzubieten. Es gibt aus der IG Metall-Zentrale bis heute noch nicht mal eine inhaltliche Position zum Thema E-Auto, zu alternativen Verkehrssystemen – die z. B. in Saarlouis produziert werden könnten, geschweige, dass über die Alternative zur Schließung, die entschädigungslose Enteignung des Betriebes und Fortführung unter Arbeiter:innenkontrolle, diskutiert wird.

Solidarität mit den Beschäftigten bei Vallourec und Ford heißt nicht nur, sie bei ihren jetzt aufgeflammten Protesten zu unterstützen, sondern auch aufzuzeigen, wie sie von der Führung in Betriebsrat und IG Metall in diese Situation getrieben worden sin. Beide Betriebe sind noch nicht stillgelegt. Widerstand ist weiter möglich, aber er muss unter Kontrolle der Beschäftigten gebracht werden – genauso wie die IG Metall unter Kontrolle ihrer Mitglieder! Metallerinnen und Metaller müssen verstehen, wie und warum die Bürokratie der Gewerkschaft Errungenschaften und Arbeitsplätze verkauft. Kontrolle durch die Basis ist kein Zubrot für einen erfolgreichen Kampf, sondern in Zeiten wie diesen notwendig, um siegen zu können.




Tarifkampf, Bürokratie und Inflation

Mattis Molde, Neue Internationale 265, Juni 2022

Die Inflation ist da und die Gewerkschaften müssten sie eigentlich so beantworten, dass die Arbeiter:innenklasse keinen Reallohnverlust erfährt. Problem: So wie die Gewerkschaften in der BRD aussehen, ist unser Abwehrkampf gegen die Preisexplosion nicht möglich.

Die Tarifabschlüsse der letzten zwei Jahre bedeuteten allesamt Reallohnlohnverlust. Aus ökonomischer Sicht gab es nur und ausschließlich Niederlagen. Nur in wenigen Fällen, wie bei der GDL und dem Berliner Krankenhausstreik, konnte man von Teilerfolgen reden, weil jeweils  eine politische Blockade durchbrochen wurde: bei der GDL der Versuch, das Antistreikgesetz zur Tarifeinheit praktisch umsetzen, und in Berlin, die Tarifierung der Personalbemessung zu verhindern.

Die Abschlüsse zu Lohn und Gehalt waren alle ein Erfolg des Kapitals und seiner Regierungen, die Kosten der beginnenden Krise und der Pandemie auf die Arbeiter:innenklasse abzuwälzen. Seit zwei Monaten hat sich die beginnende Inflation so verschärft, dass eigentlich alle Tarifverträge Makulatur sind. Sie wurden auf der Basis der alten, überholten Prognosen der Wirtschaftsinstitute zur Inflation abgeschlossen, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben.

Krisenkosten

Diese Inflation hat ihre Ursachen in der Krise, der Geldpolitik der Zentralbanken, im Ukrainekrieg und vor allem in den Sanktionen der NATO-Staaten, die Teil dieses Krieges sind. Die Arbeiter:innenklasse ist daran in keiner Weise schuld, auch wenn jetzt das Märchen von der Lohn-Preis-Spirale wieder ausgepackt  wird.

Die wirklich richtige Reaktion auf diesen massiven Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen wäre ein allgemeiner Streik für massive Lohnerhöhungen. Die Verteuerung hat nichts mit den wirtschaftlichen Bedingungen einzelner Branchen zu tun. Deshalb müsste ein solcher Kampf übergreifend geführt werden und auch die Sektoren der Klasse erfassen, die schlecht organisiert sind. Gerade dort sind die Beschäftigten am härtesten betroffen.

Da niemand sicher weiß, wie sich die Inflation entwickelt, reicht es nicht für, eine Prozentzahl oder eine Summe zu kämpfen, auf den Tisch muss die Forderung nach  automatischer Kopplung der Lohnerhöhung an die Steigerung der Verbraucherpreise, so wie der Warenkorb für Lebensmittel und Grundbedürfnisse sich entwickelt.

Aber es sind nicht nur die politischen Maßnahmen und die aktuelle Krise des Kapitalismus, die verantwortlich sind für die Inflation. Es gibt auch die Händler:innen und Produzent:innen, die die Verknappungen auf den Märkten nutzen, um Preiserhöhungen durchzusetzen. So ist die Produktion von Energie in keiner Weise derart teurer geworden, wie die Preise in diesem Bereich explodieren. Gegen diese Spekulant:innen helfen Preiskontrollkomitees der Arbeiter:innenklasse, die die Vorlage der Unternehmenskalkulationen (Offenlegung der Geschäftskonten und -bilanzen) verlangen und gegebenenfalls Zwangsmaßnahmen wie Beschlagnahmungen durchführen.

Es wäre zuallererst die Aufgabe von Gewerkschaften, derartige Schritte zu organisieren und natürlich auch andere Schichten der Bevölkerung, Rentner:innen, Erwerbslose, ja auch kleine Selbstständige einzubeziehen. Aber sie tun nichts dergleichen, sie diskutieren bisher nicht mal darüber. Ihre Führungen erweisen sich erneut als unfähig, die Interessen der Klasse zu vertreten.

Bürokratischer Zwangsapparat

Stattdessen halten sie an alten Riten wie dem geliebten Tarifritual fest. Das hat was mit der Rolle der Bürokratie in den Gewerkschaften zu tun. Die Funktionär:innen der Gewerkschaften wie auch die Masse der Betriebsratsmitglieder stehen zum kapitalistischen System, zu den Interessen der herrschenden Klasse, insbesondere zu der ihres eigenen Landes und „ihrem“ Kapital, das sie ausbeutet, in keinem grundsätzlichen Widerspruch. Nur in diesem Rahmen versuchen sie, „das Beste für die Beschäftigten rauszuholen“.

In „guten Zeiten“ führt dieser Verrat dazu, dass in Tarifrunden „nicht alles das rausgeholt“ wird, was die tatsächliche oder mögliche Mobilisierung der Kräfte erlaubt hätte. In schlechten Zeiten führt es dazu, dass die Bürokratie das Diktat des Kapitals akzeptiert, dass die Arbeitenden für die Kosten der Krise (oder des Krieges) zu zahlen haben, und den Reallohnverlust organisiert. Servil hat sie genau das die letzten 2 Jahre in Deutschland exerziert –  und wird es weiter tun. Es geht ihnen gut damit, sich willig den Forderungen der Bosse zu beugen.

In guten Zeiten gibt es über die Abschlüsse dann Unmut bei der Basis, gerade bei jenen, die bei Tarifkämpfen am aktivsten waren und spüren, dass sie verkauft worden sind. In schlechten Zeiten, wenn es für mehr Leute um die Existenz geht, kann es für die Bürokrat:innen schwerer werden, ihre Märchen von „erfolgreichen Tarifrunden“ weiter zu erzählen. Dann gibt‘s Repression, dann werden renitente Mitglieder ausgeschlossen, Betriebsratsmitglieder in freundlicher Zusammenarbeit mit der Personalleitung entlassen. Ja, es wird manchmal sogar versucht, die Verteilung von Flugblättern vor dem Werkstor zu verhindern. Die Bürokratien sind längst zum ersten Hindernis für erfolgreiche gewerkschaftliche Kämpfe geworden. Lange bevor man mit den Bossen oder gar den Bullen konfrontiert ist, stellen sich Gewerkschaftsapparatschiks und Betriebsratfürst:innen in den Weg.

Auch wenn zeitweise von und mit der Basis die Bürokratie zu Zugeständnissen gezwungen werden, einzelne Posten mit neuen Leuten besetzt werden können, ist es eine Illusion zu glauben, dass diese dauerhaft gehalten werden können, ohne dass die Aktivist:innen verstehen, wie Kapitalismus funktioniert und warum die reformistische Ideologie, der Glaube an die schrittweise Verbesserung des Wolfssystems genau selbiges am Laufen hält. Für alle Linken und kämpferischen Gewerkschafter:innen ist es essenziell zu verstehen: Es ist nicht möglich, einfach die bestehenden Gewerkschaftsstrukturen zu übernehmen und besetzen. Für Aktivist:innen, die dies versuchen, ergeben sich drei Wege: Isolation als linkes Feigenblatt, Einbindung in den Apparat bei Aufgabe der eigenen Politik, ihr Ausschluss. Der Apparat ist ideologisch und strukturell so gestrickt, dass er nicht einfach klassenkämpferisch übertüncht werden kann. Eine kämpferische Antwort auf die Inflation ist ganz unmöglich mit ihm. Nur eine organisierte, koordinierte oppositionelle Bewegung, die sich explizit als antibürokratisch versteht, kann ihn herausfordern und perspektivisch die Gewerkschaften basisdemokratisch reorganisieren.

Was ist nötig dafür? Es braucht keine einzelnen Superheld:innen. Wo spontaner Unmut Bahn bricht, müssen Linke in den Gewerkschaften alles tun, ihn zu fördern. Nötig ist, den immer wieder aufflammenden Widerstand gegen die kapitalistische Krise und reformistische Bürokratie zu politisieren und organisieren. Dazu bieten auch die anstehenden Tarifrunden gute Ansätze.

Das Beispiel Stahl

Im Jahr 2021 gab es nur eine Einmalzahlung (Corona-Prämie) von 500 und ein „tarifliches Zusatzentgelt“ von 2 mal 250 Euro, das zwar auch zukünftig gezahlt werden soll, aber auch zur „Beschäftigungssicherung“ eingesetzt werden kann – eine schöne Umschreibung für selbst bezahlte Kurzarbeit. Das Kapital hat‘s gefreut. Schon wenige Monate nach dem Abschluss verkündete z. B. die Salzgitter Flachstahl AG den besten Unternehmensabschluss seit 2008.

Dieses Jahr haben die Tarifkommissionen der IG Metall der nordwestdeutschen und der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie 8,2 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von 12 Monaten gefordert. Das ist das Doppelte der letztjährigen Tarifrunde. Offensichtlich wächst der Druck aus den Betrieben, nicht wieder ein derart blamables Ergebnis zu vereinbaren. In einem Stahlwerk soll nach Berichten aus der Gewerkschaft eine Forderung von 13 % beschlossen worden sein. Der Vorstand hat die 8,2% genehmigt und innerhalb der Gewerkschaft wird über Warnstreiks geredet.

So begrüßenswert der Druck seitens der Basis ist, der offensichtlich bis in die Tarifkommissionen und den Vorstand hineinwirkt, die Forderung wird nicht reichen, die Verluste der letzten Jahre und die derzeitige Inflation auszugleichen. So manche Bürokrat:innen in der IGM kritisieren sie bereits: Sie schüre Unruhe und fördere falsche Erwartungen in der Gesamtgewerkschaft. Ruhe! Das ist der Bürokratie natürlich wichtiger als ein gutes Ergebnis, denn auf den Klassenfrieden gründen sich ihre Einkommen, ihre Karriere, ihre ganze Selbstgefälligkeit und der unbedingte Glaube an die Sozialpartner:innenschaft. Sie wird diese Ruhe verteidigen.

Tarifkommissionen und Vorstand üben die undemokratische Kontrolle über die 8,2-Prozent-Forderung aus. Sie muss voll durchgesetzt werden, nicht nur, weil sie eine richtige Antwort auf die Inflation beinhaltet. Ein erfolgreicher Streik in der Stahlindustrie für ein Ergebnis deutlich oberhalb der Abschlüsse der letzten beiden Jahre wäre ein gutes Signal für GewerkschafterInnen aller Branchen. Angesichts des „Angebots“ der Konzerne einer Einmalzahlung von 2100 Euro werden auch Warnstreiks nicht reichen, ein Vollstreik muss vorbereitet werden. Dabei dürfen sich die Belegschaften nicht auf die Bürokrat:innen der IGM oder die Betriebsratsspitzen verlassen, sondern müssen die Aktionen unter ihre eigene Kontrolle bekommen und Streikkomitees aus ihren eigenen Reihen wählen, die den Streik Realität werden lassen, auch wenn die Bürokrat:innen krakeelen und heulen: „Das gefährdet die Ruhe!“

Es ist Zeitenwende, es ist Sturm auf der Welt und es ist Zeit, ihrer Ruhe ein Ende zu bereiten. Von Ruhe wird unser Geldbeutel schmal. Der Kampf gegen die Inflation bedeutet Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie, bedeutet Klassenkampf gegen das Kapital.




Autokrise am Beispiel Boschs: Transformation ins Aus

Mattis Molde, Neue Internationale 260, November 2021

Überall werden Jobs in der Autoindustrie abgebaut. Laut einer Studie des Verbandes der Automobilindustrie, VDA, erwartet dieser den Wegfall von mindestens 178.000 Arbeitsplätzen bis 2025. Das müsse aus Sicht dieser ArbeitsplatzvernichterInnen auch so sein, weil „die unter den aktuellen Bedingungen nicht neu geschaffen werden können.“ Denn, so heißt es in einer Presseerklärung: „Bedingt durch hohe Steuern und Abgaben, hohe Energiekosten und mangelnde Investitionen in Bildung fällt Deutschland im internationalen Standortwettbewerb immer weiter zurück.“ Mit anderen Worten, die Autokonzerne wollen weniger Steuern zahlen, weniger Löhne, dafür Subventionen erhalten und neue Werke auf grüne Wiesen oder anderswo hinsetzen.

Der Angriff auf die Arbeitsplätze in der Autoindustrie beginnt nicht erst heute. In den letzten 3 Jahren wurden bereits zehntausende vernichtet, deren Höchststand der letzten Jahre rund 850.000 betrug. Wie lief das ab? Was haben wir in Zukunft zu erwarten und was können die Betroffenen tun?

Bei den Großbetrieben der Endhersteller geschieht der Personalabbau selten durch Entlassungen. Es gibt großzügige Abfindungen und jede Menge Altersteilzeit. Die MalocherInnen in der Produktion werden einfach heimgeschickt. Dort arbeiten schon seit Jahren LeiharbeiterInnen oder WerkvertraglerInnen in einem Ausmaß, welches einen Abbau von 20 – 30 % komplett geräuschlos ermöglicht. Auch die Praxis, ganze Produktionsbereiche als „Vertragslogistik“ zu beschreiben und an andere Firmen fremdzuvergeben, ermöglicht dann eine spätere Arbeitsplatzzerstörung ohne Sozialplan, ohne Verhandlungen und meist ohne Proteste.

Anders sieht es bei den Zulieferern aus. Auch wenn Bosch, ZF, Conti und Mahle globale Konzerne sind, sind ihre Werke überwiegend kleiner und dafür zahlreicher. So hat Bosch nach eigenen Angaben über 100 Werke in Deutschland, von denen allerdings nicht alle zum größten Geschäftsbereich Kfz-Technik („Mobility-Solutions“) gehören.

Das Beispiel Bosch

Der Stand des Kahlschlags dort sieht derzeit so aus – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • In den großen Werken Stuttgart-Feuerbach und Schwieberdingen wurden schon etwa 1.600 Stellen abgebaut, rund 500 in den Reutlinger Werken.
  • In Schwäbisch Gmünd wurde schon 2017 mit dem Betriebsrat vereinbart, bis 2019 760 von rund 5.000 Stellen abzubauen. 2019 wurden von der Konzernleitung noch mal 1.000 mehr gestrichen, die bis 2023 abgebaut werden sollen.
  • In den Werken Bühl und Bühlertal sollen in den nächsten 2 Jahren 700 Vollzeitstellen wegfallen. Die IG Metall rechnet mit weiteren 400 Teilzeit- und Leiharbeitsstellen. Derzeit sind dort 3.700 Menschen beschäftigt, 400 wurden schon abgebaut.
  • In München steht ein ganzes Werk vor dem Aus, die Produktion soll ins Ausland verlagert werden.
  • Gleiches gilt für Bietigheim-Bissingen, wo noch 290 Menschen arbeiten.
  • Auch drei Gießereien sollen dichtgemacht oder verkauft werden. Das Werk in Göttingen wurde schon veräußert.

Welche Antwort gaben IG Metall, die Betriebsräte und die Belegschaften auf diesen Kahlschlag?

In Bühl oder Gmünd versuchten die Betriebsräte, den Abbau sozialverträglich zu gestalten, und auch bei den Beschäftigten überwiegt die Hoffnung, nicht betroffen zu sein. Die IG Metall spielt dieselbe Flöte. So bezeichnet der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Offenburg, Ahmet Karademir, die Ansage beim Abbau in Bühl als „Märchen“: „Das Märchen vom Vermeiden betriebsbedingter Kündigungen glaube ich nicht.“ Das heißt aber nicht, dass dagegen Widerstand organisiert werden soll, sondern Kollege Karademir will nur, dass dieses Märchen von der entlassungsfreien Entsorgung wahr wird. Und das reicht ihm wie dem Großteil der BürokratInnen in der IGM denn auch.

Ähnlich ist es in Stuttgart gelaufen. Es gab Anfang 2019 eine Protestkundgebung, dann wurde der Abbau gestaltet. In den großen Werken ist offensichtlich der Spielraum für eine „sozialverträgliche“ Lösung zwar nicht so groß wie bei Mercedes, aber groß genug, dass sich Betriebsräte und eine Mehrheit der Belegschaft damit arrangieren. Anders sieht es für kleinere Werke wie Bietigheim und München aus. Eine komplette Werksschließung lässt keinen Spielraum für das, was gerne „Sozialverträglichkeit“ genannt wird. Das Einzige, was im Bosch-Konzern hier geboten wird, ist die Möglichkeit, sich in anderen Werken zu bewerben. Das muss aber zu Konditionen des aufnehmenden Werkes geschehen, ist also eigentlich immer mit Lohnverlust und längeren Fahrtzeiten verbunden.

Belegschaften wie in München und Bietigheim müssen also kämpfen, wenn sie sich nicht abschlachten lassen wollen. München hat da aus dem Stand heraus einiges Neues ins Rollen gebracht. Bietigheim hat eine jahrzehntelange Tradition.

Kampfbetrieb Bietigheim

Die Belegschaft und ihr Betriebsrat haben die Kampfansage der Konzernführung im September 2020, also vor gut einem Jahr, mit einer Protestkundgebung beantwortet. Alle standen draußen, Delegationen von Mann+Hummel, Mahle Mühlacker, Bosch Waiblingen, LEAR Corporation, Elring Klinger, Porsche Zuffenhausen, Valeo und anderen zeigten ihre Solidarität. Der Erste Bevollmächtigte, Matthias Fuchs, forderte eine Zukunft für den Produktionsstandort, der lokale SPD-Vorsitzende auch und Bernd Riexinger von der LINKEN ein Vetorecht der Belegschaften gegen Verlagerungen und stellte fest: „Die angedrohte Schließung hat nicht mit Corona und sehr wenig mit Transformation zu tun.“ Überall Plakate der IG Metall: Solidarität gewinnt!

Schon in der folgenden Woche beteiligten sich die BoschlerInnen an einem ähnlichen Protest bei Mahle Mühlacker. Sie wurden fast ein Jahr nicht müde, ein Netz der Solidarität zu knüpfen mit allen bedrohten Betrieben. In der Stadt Bietigheim wurden 60 Plakate aufgehängt, die den Kampf öffentlich machten.

Auch die Tarifrunde im Frühjahr 2021 wurde zur Mobilisierung genutzt. Aber schon brechen andere Betriebe weg: Bei Mann+Hummel wie im Mahle-Konzern wurde der Personalabbau samt Werksschließungen von den (Gesamt)-Betriebsräten und der IG Metall akzeptiert. Die Chance, im Tarifkampf Streiks organisieren zu können, wurde von der IG Metall-Führung nicht genutzt, ja noch nicht einmal in den Strukturen diskutiert.

Die Konzernführung von Bosch aber ließ nicht locker. In den Verhandlungen am 9. Oktober 2020 erklärte sie, eine Einigungsstelle anrufen zu wollen, obwohl reguläre Verhandlungstermine bis einschließlich Ende November vereinbart waren. Das empörte die IG Metall: „Mit dieser Vorgehensweise und seiner Presseerklärung vom 9. Oktober 2020 manifestiert der Arbeitgeber den Bruch des laufenden Sozialtarifvertrages“. Der Betriebsrat kommentierte: „Es ging dem Arbeitgeber nur darum, eine Zustimmung zur Werksschließung zu erhalten.“

In dieser Situation schlug der IG Metall- Bevollmächtigte vor, für einen Zukunftstarifvertrag zu kämpfen. Bei einer Umfrage stimmten 93 % der IG Metallmitglieder dafür und 81,5 % erklärten sich bereit, dafür auch in den Streik zu gehen.

Der Streit um eine Einigungsstelle kam vor das Landesarbeitsgericht und dort eine dreitägige Mediation als Kompromiss heraus. Die IG Metall hatte den Vorschlag gemacht. Die Mediation scheiterte und so ging es im April zu Einigungsstelle. Unter dem Vorsitz eines Richters wurde verhandelt. Die Schließung als solche konnte damit nicht mehr in Frage gestellt, sondern es durfte nur über die Bedingungen dieser verhandelt werden.

Die Beschäftigten und der Betriebsrat fühlten sich verschaukelt. Einige erwarteten, dass die IG Metall ja immer noch die rote Karte „Streik“ ziehen könnte. Aber der Bezirksleiter Zitzelsberger winkte ab: „Wozu noch für einen Sozialtarifvertrag streiken, ihr habt doch einen super Sozialplan ausgehandelt?!“

Warum die Niederlage?

Viele im Werk einschließlich vieler Betriebsräte wollen sich noch immer nicht damit abfinden. Die Belegschaft und der Betriebsrat haben alles getan, was für sie im Bereich des Möglichen war:

  • Den Widerstand im Betrieb organisiert, und zwar rechtzeitig;
  • Streikfähigkeit hergestellt;
  • die Solidarität in der Region organisiert, mit Unterstützung der IG Metall, aber ausgehend von ihrer eigenen Initiative;
  • andere Belegschaften, Parteien und Organisationen eingebunden;
  • die Tarifrunde genutzt, um erneut den Schulterschluss mit anderen Belegschaften und Hunderttausenden anderen Metallerinnen und Metallern zu suchen.

Die Frage geht also an die IG Metall, die Bezirksleitung Stuttgart und den Vorstand in Frankfurt: Warum wollte die IG Metall keinen Streik? Dieser wäre im Rahmen der Tarifrunde rechtlich unangreifbar gewesen, wenn er im ganzen Tarifgebiet ausgerufen worden wäre. Die Frage der Arbeitsplätze war übrigens von der IGM selbst schon zum Thema der Tarifrunde gemacht worden.

Auch die Möglichkeit eines Streiks um einen Sozialtarifvertrag wurde von der IG Metall einfach fallengelassen. Der Sozialtarifvertrag ist eine zweischneidige Sache: Offiziell geht es um die Abwicklung des Betriebes, aber mit Streik kann natürlich mehr Druck entfaltet werden. Die Streikenden kämpfen eigentlich für ihre Arbeitsplätze und die Zusagen der IG Metall-Zuständigen, dass man dort noch mal den Erhalt des Werkes fordern könne, werden in den Verhandlungen dann immer schnell fallen gelassen und die Streikenden fühlen sich genauso verkauft wie jetzt die Bietigheimer BoschlerInnen. Bei Voith in Sonthofen wurde das 2019 beispielhaft durchgespielt. Um den Streik um einen Sozialtarifvertrag wirklich als Kampf zur Verteidigung eines Werkes zu führen, muss er also mit anderen Maßnahmen und Forderungen verbunden werden.

Es muss ernst gemacht werden mit der Verteidigung des Werkes. Am besten durch eine Besetzung, verbunden mit einem Streik oder gegebenenfalls mit der Fortführung der Produktion unter Kontrolle der Arbeitenden – insbesondere, wenn die produzierten Güter ein Druckmittel darstellen. Natürlich muss der besetzte Betrieb rund um die Uhr geschützt werden. Ein wichtiges Faustpfand ist auch die Bereitschaft anderer Belegschaften des Konzerns oder der Region, sofort Solidaritätsstreiks zu organisieren, wenn die Firma eine Räumung anstrebt.

So eine Besetzung ist auch ein guter Schritt, in Richtung für die entschädigungslose Enteignung des Betriebes zu kämpfen, den die KapitalistInnen stilllegen wollen. Statt Milliarden an die Unternehmen für eine angebliche „Transformation“ zu zahlen und es diesen völlig unkontrolliert zu überlassen, was sie damit anstellen, könnten diese Beträge an die Belegschaft des Werkes gehen, zur Entwicklung und Produktion der Verkehrsmittel, die für eine Verkehrswende nötig sind. Das Geld wäre unter Kontrolle der Belegschaft, in die Entscheidungen über Entwicklung und Produktion kann diese mit der Klimabewegung, aber auch anderen verstaatlichten Betrieben kooperieren.

Was will der IG Metall-Vorstand?

Warum ist der gemeinsame Kampf in der Auto- und Zulieferindustrie kein Thema für die IG Metall? Warum gibt es keine Branchenkonferenz der Betriebe, die bedroht sind? Warum keine Konferenz aller Bosch-Belegschaften, die mit Abbau konfrontiert sind? Warum noch nicht mal eine Übersicht über die Angriffe auf die Arbeitsplätze auf den Webseiten der IG Metall?

Wozu gibt es eigentlich Gesamtbetriebsräte bei Bosch und was koordinieren die, wenn sie die Verteidigung der Arbeitsplätze NICHT koordinieren? Was tut die IG Metall eigentlich im Aufsichtsrat, mit Jörg Hofmann an der Spitze? Stimmen die solchem Abbau und den Werksschließungen zu?

Wenn das eine Strategie sein soll, nach der der IGM-Vorstand sein Vorgehen bestimmt, dann kann diese Mischung aus Widerstand zulassen, aber nicht fördern und notfalls ins Leere laufen lassen nur bedeuten, dass die ganze Umstrukturierung, die hier die Konzerne vorantreiben, mit der unausgesprochenen Zustimmung des Vorstandes geschieht. Das würde bedeuten, dass er die Ziele der Unternehmen teilt: Gewinne hoch, Arbeitsplätze streichen oder verlagern, Kosten reduzieren. VDA-Chefin Müller sagt das so: „Unsere Unternehmen treiben die Transformation – mit Überzeugung und mit Kreativität.“ Und die IG Metall lässt sie treiben.

Das ist nur so zu erklären, dass sich die oberste Spitze der IG Metall-Bürokratie so sehr dazu verpflichtet sieht, die deutschen Autokonzerne im Kampf um den Weltmarkt mit allen Mitteln zu unterstützen, dass sie bereit ist, die Arbeitsplätze von Hunderttausenden, vor allem auch in der Zulieferindustrie, zu opfern. Dass dies keineswegs abwegig ist, belegt die Tatsache, dass diese IGM-Spitze auch bereit war, die Leiharbeit in der Autoindustrie zu akzeptieren – in der Spitze arbeiteten bis zu 100.000 Leute in Leiharbeit in den Autofirmen –, den Abgasbetrug zu decken wie auch die unsinnigen Abgasvorschriften in Brüssel durchzusetzen, dass sie den Angriff auf das Streikrecht mit der „Tarifeinheit“ durchsetzte.

Dieses Vorgehen von Hofmann und Co ist verheerend. Statt in einzelnen Betrieben mit guten Voraussetzungen zu Siegen zu kommen und mit diesen Leuchttürmen die IG Metall wieder voranzubringen, werden diese geschleift.

Wie Solidarität siegen kann

Aus der Aufzählung oben, was die IG Metall alles hätte tun können, bei Bosch, in der Region und in der Branche, wird klar, wofür alle die kämpfen müssen, die die Talfahrt der Gewerkschaft aufhalten, Arbeitsplätze Löhne verteidigen wollen.

Es gibt aber noch darüber hinaus die Chance der Transformation: Es werden ja Transportmittel gebraucht! Und zwar solche mit geringerem Energieverbrauch, mit nachhaltiger Energie betrieben, mit weniger Platzverbrauch für die Städte und Anschlussfähigkeit zwischen Stand und Land. Neue Lösungen sind nötig, neue Entwicklungen und kombinierte Mobilität!

Hier rächt sich, dass die IG Metall 2 Jahrzehnte keine Debatte über Klima und neue Technologien geführt hat, bis sie vor 3 – 4 Jahren unvorbereitet dem Kommando der Autokonzerne, alles auf das (batteriegetriebene) E-Auto zu werfen, gefolgt ist. Eigene Kompetenz der IG Metall wurde nicht entwickelt, eigene Ideen gibt es nicht. Es wird brav hinter den Konzernen und der Politik hergetrottet, der man dann immer noch die Schuld am Arbeitsplatzabbau zuschieben kann.

Bosch München

Die Belegschaft von Bosch in München hat gemeinsam mit AktivistInnen aus der Klimabewegung und linken GewerkschafterInnen den Ball selbst auf das Spielfeld geworfen. Sie fordern:

„Es gibt eine große Palette an Produkten, die hier im Werk hergestellt werden könnten und die für eine klimafreundliche Zukunft nützlich wären. In den letzten Jahren haben wir immer wieder Vorschläge für eine Transformation der Produktion hin zu klimafreundlichen Produkten unterbreitet. Diese wurden von Seiten der Geschäftsführung stets abgeblockt. Wir fordern hiermit den Erhalt des Werkes und eine Umstellung der Produktion hin zu klimafreundlichen Produkten. Durch den jahrelangen Verzicht auf Teile unseres Gehaltes und die oft jahrzehntelange Arbeit im Betrieb haben wir ein Anrecht auf dieses Werk erhalten. Wir fordern hiermit Bosch auf, das Werk zu erhalten und uns die Möglichkeit zu geben, die Produktion umzustellen.“

Auch diese Initiative von unten zeigt, was möglich ist: Anstatt die Klimakrise oder gar die Klimabewegung zu Sündenböcken für den Verlust des Arbeitsplatzes zu machen – was auch der VDA gerne tut – sehen die InitiatorInnen, dass die Geschäftsführung die Schuldigen sind und KlimaaktivistInnen Verbündete werden können. Gerade auch weil die massenhaft stattfindende Verlagerung von Produktion diese mitnichten sauberer macht.

Und: Die Klimabewegung ist derzeit die stärkste und mobilisierungsfähigste in Deutschland – eine ideale Bündnispartnerin für eine Gewerkschaft, wenn sie denn Verbündete gegen die Kapitalinteressen suchte.

Eine Gewerkschaft wie die IG Metall könnte in ein solches Bündnis noch Kraft einbringen, die die Klimabewegung nicht so einfach mobilisieren kann: die Kraft, das Kapital genau dort zu treffen, wo es ihm wehtut – in der Produktion bzw. derem Stopp durch Streik! Sie könnte die Betriebe, die Bosch schließen will, auch besetzen. In der IGM-Satzung steht die Forderung nach der Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Wann, wenn nicht heute, hat diese Forderung überhaupt einen Zweck?

Ihre Umsetzung müsste natürlich diskutiert werden: Was heißt „Gemeineigentum“

eigentlich heute? Nachdem sowohl mit BRD- wie mit DDR-Staatsbetrieben nicht die besten Erfahrungen gemacht worden sind? Aber Betriebe, die ein Konzern schließen will, könnten enteignet werden. Die Regierungsmilliarden für Transformation der Autoindustrie könnten genau dort eingesetzt werden. Die Entwicklung und Produktion in einem Verbund solcher Werke soll von Beschäftigten demokratisch organisiert und kontrolliert werden in Verbindungen mit ExpertInnen für Klima und Mobilität aus der Bewegung. Das Management wird eingespart: „ArbeiterInnenkontrolle“ in Zeiten der Klimakatastrophe!

Was tun?

Vieles! Einerseits muss eine solche Diskussion in Gewerkschaften und Klimabewegung, welche ja ihrerseits sehr gegenüber der IndustriearbeiterInnenschaft fremdelt, eingebracht werden.

Andererseits können wir nicht zusehen, wie eine (Kampf)-Belegschaft nach der anderen liquidiert wird und die KapitalistInnen ihr Ziel der Vernichtung von 178.000 Jobs bis in 4 Jahren erreichen.

Wir müssen da, wo wir können, selbst den Widerstand organisieren! Zum Beispiel eine Kundgebung vor Bosch in Stuttgart Feuerbach aus allen Werken – auch ohne IG Metall, wenn diese sich weigert. Auch eine kleinere Aktion dieser Art könnte ein Zeichen setzen, anderen Belegschaften Hoffnung machen und die Diskussion in der IG Metall, in der Branche, aber auch in der Klimabewegung beflügeln.

Ein guter Ansatzpunkt in diesem Sinne war die Aktion am 19.10.2021 vor Mahle-Behr in Feuerbach.

Wir könnten ein bundesweites „Solidaritätsnetz Auto“ bilden, das alle Kämpfe unterstützt und Belegschaften berät, bevor sie im Stich gelassen werden. Von den bitteren Erfahrungen von Bosch-Bietigheim sollten wenigstens andere profitieren.