Aktionen in Dresden: PEGIDA wird älter – noch rechter

Martin Eickhoff, Infomail 1027, 30. Oktober 2018

Am Sonntag, dem 21. Oktober, wollte PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) großspurig ihren 4. Geburtstag mit Zehntausenden feiern, um ein Zeichen gegen „Merkel“ und den „Islam“ zu setzen. Gekommen sind nicht mal 4000 Alt- und Neurechte auf den Dresdener Neumarkt, um dem Hetzer Michael Stürzenberger, gegen den nach der Kundgebung ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet wurde, und dem fast kultisch verehrten „Lügen-Lutz“ zuzuhören. Auch der Deutschlandfunk stellte fest, dass die Ansammlung überwiegend aus älteren Männern über 50 bestand.

Auch wenn die Zahl der TeilnehmerInnen rückläufig war – die Thesen von PEGIDA werden immer extremer und auch die AfD unterstützt diese immer offensiver. So nahmen Bundestagsabgeordnete an der Kundgebung teil. Ebenso zeigen sich Neonaziparteien, wie z. B. der „Dritte Weg“, dort immer offensiver.

Gegenmobilisierung

Schön zu sehen war, dass erstmalig deutlich mehr Menschen auf den Straßen und Plätzen gegen PEGIDA unterwegs waren, darunter die Jugendorganisation Revolution und die Gruppe ArbeiterInnenmacht. Insgesamt nahmen gut 13.000 Menschen an den Demonstrationen und Kundgebungen von „Dresden Respekt“, „Hass statt Hetze“ und Tolerave (einem linken Rave-Projekt) teil, darunter die Linkspartei, aber auch VertreterInnen von CDU und SPD sowie der Dresdener FDP-Oberbürgermeister. Ein Demonstrationszug startete am Dresdener Hauptbahnhof, die anderen am Bahnhof Neustadt. Beide endeten mit einer gemeinsamen Abschlusskundgebung.

So positiv es war, dass dieses Jahr weit mehr Menschen an den Gegendemonstrationen teilnahmen als an der PEGIDA-Kundgebung, so politisch harmlos zeigten sich die „Proteste“. Versuche, PEGIDA selbst zu blockieren oder auch nur zu stören, unterblieben praktisch. Dafür bot die Kundgebung allen „DemokratInnen“ eine Bühne.

Angesichts der kommenden Landtagswahlen reihte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diesmal in die Demonstration ein, erhielt wie andere bürgerliche PolitikerInnen Rederecht und schloss eine CDU-AfDKoalition nach den im Herbst 2019 stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen aus. Hierfür erhielt er von einem Beamten der Staatsregierung einen „Offenen Brief“, indem er dafür kritisiert wurde, dass er sich mit angeblichen „Linksextremisten“ verbünden würde. All das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Teile der CDU weiter munter die Möglichkeit einer Koalition mit der AfD erwägen. Von einer „Wendung zu den Linksextremen“ kann erst recht keine Rede sein. Kretschmer wandte sich „natürlich“ gegen „jeden Extremismus“, steht unter anderem für eine rassistische Abschiebepolitik, Ausweitung der Polizeibefugnisse und behauptet weiter, dass es in Chemnitz keine Hetzjagd auf Geflüchtete gegeben habe.

In Wirklichkeit haben sich die OrganisatorInnen der Proteste von Kretschmer und der Landesregierung den Takt und die Inhalte der Kundgebung vorgeben lassen. So konnte der Ministerpräsident die Plattform nicht nur zu Selbstdarstellung nutzen – er sorgte auch gleich dafür, dass die Kundgebung politisch harmlos blieb und weitab von der von PEGIDA selbst stattfand. In dieser Hinsicht war die Veranstaltung ein Musterbeispiel für eine verfehlte Bündnispolitik, die vor allem der CDU und der Landesregierung hilft, sich politisch reinzuwaschen.

Im Kampf gegen Rassismus und Faschismus kann letztlich nur die Aktionseinheit der arbeitenden Bevölkerung und die Verbindung mit dem Kampf gegen den Kapitalismus zum Erfolg führen. Leere Worthülsen eines Ministerpräsidenten, der am nächsten Tag mehr Abschiebungen, mehr Repression, mehr staatlichen Rassismus auf den Weg bringt, tragen dazu nicht nur nichts bei, sie machen den Kampf selbst unglaubwürdig – zumal wenn so auch gleich die Aktionsformen brav im Rahmen sächsischer Polizeianordnungen bleiben.

Widerstand gegen rechte HetzpredigerInnen ist notwendig. Dazu reicht es aber nicht, einmal im Jahr auf die Straße zu gehen. Antifaschismus und Antirassismus sind vielmehr Fragen des Klassenkampfes. Es geht ebenso darum, im Alltag, im Betrieb, an Schulen gegen rechte Parolen Stellung zu beziehen, rechtsextreme Thesen zu entlarven und für den Aufbau antirassistischer und antifaschistischer Aktionsbündnisse der Gewerkschaften, aller Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, der rassistisch Unterdrückten und der Linken einzutreten.

REVOLUTION-Redebeitrag

Während Kretschmer wie selbstverständlich reden durfte, sollte der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION ein Redebeitrag bei der Demonstration „Für ein solidarisches Dresden ohne Rassismus“ trotz gegenteiliger Absprache verweigert werden. Hinterrücks versuchten einige Akteure aus der hiesigen linken Szene einzelne OrganisatorInnen der Demo unter Druck zu setzen, uns nicht reden zu lassen. Wir konnten diesen Beitrag zwar gegen undemokratische Vorstöße anti-deutscher Gruppierungen durchsetzen – es zeigte sich aber auch, dass der Opportunismus gegenüber der Landesregierung mit Sektierertum gegen RevolutionärInnen und Anti-ImperialistInnen einhergeht.

Die Rede einer GenossIn konnte schließlich durchgesetzt und gehalten werden – und erhielt sehr großen Beifall. Das verdeutlicht, dass Jugendliche auch in Dresden offen für eine klassenkämpferische, internationalistische und revolutionäre Politik gewinnbar sind. Diese Jugendlichen und die ArbeiterInnenklasse gilt es zu organisieren – massenhaft und militant, damit Rassismus und Faschismus dort landen, wo sie hingehören: auf dem Müllhaufen der Geschichte.




Gegen das Berliner Wohnungsmonopoly!

Jürgen Roth/Christine Schneider, Neue Internationale Sondernummer gegen Wohnungsnot, September 2018

Die erste Stufe in Richtung des geplanten Volksbegehrens mit dem Ziel, der Berliner Senat möge ein Gesetz zur Enteignung der Deutsche Wohnen AG beschließen, ist eingeleitet.

Volksentscheid

Im Jahr 2015 scheiterte die „Initiative für soziales Wohnen“ mit einem Berliner Mietenvolksentscheid über einen von ihr ausgearbeiteten Entwurf eines Wohnraumversorgungsgesetzes. Dieses hätte zeitgleich mit den Landtagswahlen im September 2016 zur Abstimmung stehen sollen, wurde jedoch juristisch gekippt. Der neue rot-rot-grüne Senat sah sich jedoch gezwungen, ein paar Brosamen aus dem gescheiterten Gesetzesentwurf aufzunehmen.

Der Wohnraumversorgungsgesetzentwurf sah vor:

  • eine Umwandlung der Landeswohnungsunternehmen von bestehenden privaten Rechtsformen (AG, GmbH) in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR); – Senkung der Mieten in den öffentlich geförderten Wohnungsbeständen mittels Richtsatzmieten;
  • Förderung von Wohnungsneubau, Wohnungsmodernisierung und Wohnungsankauf durch einen staatlichen Fonds zur Zweckbindung und Kontinuität im sozialen Wohnungsbau (Finanzierung der landeseigenen Gesellschaften, Mietkappungen in geförderten Wohnungen).

An der realen Verschärfung und Verschlechterung der Lage in Berlin haben einige halbherzige Initiativen des Senats nichts zu verändern vermocht. Im Gegenteil: Die Mieten steigen in der Bundeshauptstadt im Rekordtempo. Die „sozialen Maßnahmen“ der Landesregierung bleiben demgegenüber Makulatur.

Weder die Maßnahmen zur Mietbelastung in bestehenden Sozialwohnungen noch die Einrichtung eines Wohnraumförderfonds eignen sich, das fortlaufende Abschmelzen des Sozialwohnungsbestands aufzufangen. Pro Jahr sollen 5000 gebaut werden, davon 3000 von 6000 Neubauwohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Jährlich entfallen aber 8000 aus der Sozialbindung. Die Erhöhung der Mietzahlungsfähigkeit durch Subjektförderung von SozialmieterInnen sichert zugleich unverändert die Renditen der Immobilienwirtschaft, anstatt sie zu beschränken. Die ab 2018 in Kraft tretende Richtsatzmiete für geförderte Wohnungen ist noch nicht festgelegt.

Deutsche Wohnen & Co. enteignen!

Das Berliner mietenpolitische Bündnis hat sich die Enteignung der „Deutsche Wohnen“ (im Folgenden nur noch DW genannt) zum Ziel gesetzt und fordert dazu einen Volksentscheid. Das Bündnis setzt sich bisher aus Einzelpersonen, betroffenen MieterInnen sowie Mitgliedern linker Gruppierungen zusammen. Eine Erweiterung des Bündnisses wird angestrebt.

Im Unterschied zu 2015 soll kein eigener Gesetzesentwurf zur Abstimmung gestellt werden, sondern der Senat wird aufgefordert, die bundes- wie landesverfassungsrechtlichen Mittel dazu auszuschöpfen. Laut Grundgesetz und Landesverfassung ist eine entschädigungslose Enteignung aber ausgeschlossen. Diese soll jedoch möglichst gering ausfallen. Das Bündnis sah sich aber gezwungen, in diesen sauren Apfel zu beißen, um die Möglichkeiten eines Volksentscheides überhaupt zur Mobilisierung nutzen zu können.

Warum die DW?

Der Konzern ist der größte private Vermieter mit rund 110.000 Wohnungen in Berlin und der zweitgrößte in der BRD. Die DW AG erzielte im Jahr 2017 einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Zu den größten Investoren zählen das BlackRock Asset Management und der staatliche norwegische Staatspensionsfonds.

Die Summe alleine verrät schon, dass dieser große Gewinn und der Druck der AktionärInnen auf dem Rücken der MieterInnen ausgetragen werden. Eine der besten Methoden zur Profitmaximierung heißt „energetische Modernisierung“ nach § 559 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser Paragraf besagt, dass 11 % der Modernisierungskosten jährlich auf die Miete draufgeschlagen werden können. Nach 9 Jahren wäre die Modernisierung vom/von der MieterIn abbezahlt, aber die höhere Miete bleibt und das Unternehmen macht mit der Modernisierung zusätzlichen Gewinn.

Ziel der ganzen Modernisierung soll angeblich sein, dass MieterInnen die Mieterhöhung durch geringere Energiekosten wieder einsparen – was sich in der Praxis nicht beweisen lässt. In vielen Fällen erweist sich die Sanierung gar als schädlich für die Bausubtanz, da sie durch die außen angebrachten Dämmplatten nicht mehr richtig atmen kann. Der ganze Spaß wird von der Bundesregierung durch die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) noch gefördert.

In der Praxis der DW sieht das so aus, dass oft jahrelang notwendige Reparaturen und Sanierungen nicht durchgeführt werden, für die eigentlich der/die VermieterIn aufkommen müsste. Beschwerden von MieterInnen werden ignoriert, auf lange Warteschlagen im Callcenter abgewälzt oder es wird gar die Schuld an den Reparaturen auf die MieterInnen geschoben. Die notwendigen Reparaturen werden dann im Zuge der „energetischen Modernisierung“ mitgemacht und zu 100 % auf die MieterInnen abgewälzt. Eine weitere Methode der Profitmaximierung besteht darin, den Berliner Mietspiegel juristisch anzugreifen und somit die eigene Vorstellung von zulässigen Mietgrenzen per Gericht durchzusetzen. Ähnliche Machenschaften finden auch bei den nächstgrößten Konzernen am Berliner Wohnungsmarkt, Vonovia und Akelius, statt.

Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, einen Volksentscheid zur Enteignung der DW durchzuführen und diese in kommunales Eigentum in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts überzuleiten, die ohne Gewinnabsichten und mit besonderem Mieterschutz betrieben werden soll. Diese Enteignung soll über die §§ 14 und 15 des Grundgesetzes und die §§ 23 und 24 der Berliner Landesverfassung erfolgen. Diese beinhalten eine Entschädigungszahlung nach Verfahrenswert. Die Idee des Bündnisses ist es nun, die Entschädigung über den Sachwert laufen zu lassen. Der Beschluss des Volksentscheides soll kein Gesetzesentwurf sein, sondern eine Handlungsanweisung mit Verpflichtungsklausel für den Senat. Neben der Enteignung soll sie Berlin verpflichten, dass es keine privaten WohnungseigentümerInnen mit mehr als 3.000 Wohnungen mehr geben darf.

Volksentscheid: Realistisch? Illusorisch?

Wie sind die Erfolgsaussichten eines solchen Volksentscheids? Schwer zu sagen. Eine Erfolgsgarantie gibt es natürlich nicht. Die Gegner sind ökonomisch mächtig und politisch einflussreich. Und es wird mit allen Mitteln gearbeitet werden: Einschüchterungen, Verleumdungen, Lächerlichmachung, Spaltungsversuche, Lockangebote, juristische Tricksereien usw. werden an der Tagesordnung sein, und die bürgerlichen Medien werden sicherlich „auf Linie“ gebracht werden.

Schließlich warnen wir wie bei jedem Volksentscheid vor Illusionen in den bürgerlichen Staat. Ergebnisse von Volksentscheiden verpflichten die Regierung und den Staat zu nichts.

Aber dem steht ein gemeinsames Interesse hundertausender Berliner MieterInnen gegenüber: Wohnraum darf keine Ware sein.

Bei allen grundsätzlichen Grenzen und Schwächen von Volksentscheiden hat die Initiative das Potenzial, eine Massenbewegung zu einem der entscheidenden politischen Themen in Berlin und zahlreichen anderen Städten zu entfachen, die außerdem die Wohnungsfrage mit der Eigentumsfrage direkt verknüpft. Wir unterstützen daher die Initiative und werden uns nach Kräften an ihr beteiligen.

Insbesondere ist es wichtig, die Gewerkschaften mit ins Boot zu holen; schließlich hat die Miethöhe unmittelbaren Einfluss darauf, was einem vom Lohn bleibt und damit auch auf den Verlauf von Tarifkämpfen.

Sollte die MieterInnenbewegung sich zu einer organisierten Massenbewegung entwickeln, ergäben sich daraus auch die Mittel zur Kontrolle der Durchsetzung der Volksentscheidsforderung im Falle seiner Annahme. Im Falle seiner Ablehnung hätten wir noch eine Rechnung offen und sollten dann für deren Begleichung sorgen.

Mit Differenzen leben

Nur wenn wir die Kampagne in unserem Selbstverständnis als ein Aktionsbündnis führen, können wir auch mit inneren politischen Differenzen leben. Solche Differenzen sollen nicht unter den Teppich gekehrt werden, aber sie brauchen das gemeinsame Aktionsziel nicht zu gefährden. Wir, und sicherlich auch andere, lehnen z. B. eine Entschädigung der enteigneten Immobilienkonzerne ab, sehen das aber nicht als Hindernis, die Kampagne mitzutragen.

Auch über die politische Reichweite des Mietenkampfes gibt es sicherlich unterschiedliche Sichtweisen. Während für die einen (z. B. für uns) der Kampf gegen Wohnraum als Ware langfristig nur erfolgreich sein kann, wenn er ausgeweitet wird auf die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sehen andere ihr Ziel mit der Enteignung der Immobilienkonzerne erreicht. Darüber darf und muss gestritten werden, wenn wir unser gemeinsames Aktionsziel dabei nicht aus den Augen verlieren: „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.

 

Anhang: Nichts als Zahlen??

  • Wohnungslose: 2008: 200 000; 2016: 860 000; 2018: 1,2 Mio.
  • 1995-2010: eine Million öffentliche Wohnungen privatisiert
  • Mitte der 1980er Jahre gab es 4 Millionen Sozialwohnungen; 2016 1,24 Mio.
  • Jährlich fallen 100 000 bis 130 000 günstige Mietwohnungen weg
  • Privatisierung öffentlicher Wohnungen zwischen 2003 und 2013: 630 000 Wohnungen
  • Bei fast 19 % der Haushalte in Großstädten frisst die Miete mehr als 40 % des Einkommens
  • Zwischen 2010 und 2017 stieg bei Neuvermietung die durchschnittliche Angebotsmiete von 7,50 Euro pro qm auf 10,50 Euro
  • 2014 waren unter den gebauten 250 000 Wohnungen nur 50 000 Mietwohnungen, davon nur 12 500 gefördert für günstige Mieten
  • Zwischen 1980 und 2014 flossen 98 Mrd. Euro in den Wohnungsbau, davon 80 % für die Bildung von Wohnungseigentum
  • Bei 40 % bis 90 % (je nach „Marktlage“) der Neuvermietungen wird die zulässige Miete überschritten

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  • In Berlin wurden zwischen 1995 und 2006 über 200 000 kommunale Wohnungen privatisiert (z. T. unter einem rot-roten Senat !!)
  • In Berlin haben über 50 % der Haushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur 13 % des Mietwohnungsbestandes sind miet- und belegungsgebundene Sozialwohnungen
  • In Berlin stieg die Angebotsmiete zwischen 2008 und 2015 im Durchschnitt um 60 %, in manchen Ortslagen in Neukölln und Kreuzberg um fast 100 %



Massenhaft und organisiert gegen Rassismus!

Rede der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION auf der antirassistischen Demonstration „Für ein solidarisches Dresden ohne Rassismus“ gegen den vierten Jahrestag von PEGIDA, ArbeiterInnenmacht Infomail 1026, 22. Oktober 2018

Der Rechtsruck schreitet immer weiter voran und äußert sich auch in der Zunahme faschistischer Angriffe. Auf offener Straße werden Menschen mit Migrationshintergrund und Linke von Nazis gejagt, während die Polizei tatenlos dabei zuschaut. Anschläge auf Flüchtlingsheime oder beispielsweise türkische Imbisse sind mittlerweile zum Alltag geworden.

Selbst ein faschistischer Schlägertrupp, der mit Eisenstangen bewaffnet am 1. September in Chemnitz in ein jüdisches Restaurant stürmt und „Hau ab aus Deutschland, du Judensau!“ ruft, sorgt nur noch bei zu wenigen für die eigentlich nötige Empörung.

Doch dass der Rassismus so alltäglich geworden ist, dass die Gesellschaft schweigt, wenn auf den Straßen FaschistInnen Menschen jagen, ist nicht nur ein sächsisches Problem. Nein! Der Rechtsruck macht sich europa- und weltweit bemerkbar. Egal ob Front National in Frankreich, Trump in den USA, die Wahl eines halb-faschistischen Präsidenten in Brasilien oder die AfD in Deutschland. Sie alle erstarken und werden auch immer stärker, wenn wir nichts dagegen tun, wenn wir nicht geeint als linke Kräfte auf die Straße gehen und den Rechten massenhaft und organisiert entgegentreten.

Die Ursache für den gesellschaftlichen Rechtsruck liegt im Kapitalismus und in seinen immer wieder aufkommenden Krisen. Die Weltwirtschaftskrise 2007/08 zog neben sogenannten Sparmaßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales auch massive Entlassungen von Arbeitskräften in ganz Europa nach sich.

Löhne wurden gekürzt und Leih- und Teilzeitarbeit immens ausgeweitet, um die Profite der Konzerne zu sichern.

Vor allem dadurch ist das neoliberale Projekt EU in den letzten Jahren immer weiter zerbröckelt. Die herrschenden Regime haben die Krise auf den Rücken der ArbeiterInnenklasse und der Jugend abgewälzt, vor allem in den Ländern Südeuropas. Diese Politik hat die Menschen zu Recht wütend gemacht und von der EU und den bürgerlichen Parteien abgestoßen. Die Verelendung oder die Angst vor dem Abstieg und die offensichtliche Krise der kapitalistischen Europäischen Union haben aber gleichzeitig den Nährboden für rechte Parteien und ihren Nationalismus und Rassismus geschaffen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU, der sogenannte Brexit, hat den Vormarsch nationalistischer Kräfte noch einmal in ganz Europa befeuert.

Die Auswirkungen dieser Politik haben auch in Deutschland dazu geführt, dass Menschen nach Lösungen für ihre miese Lage abseits der etablierten Parteien gesucht haben, und teilweise glauben sie, diese im Nationalismus und Rassismus gefunden zu haben.

Die pro-kapitalistischen Parteien reagierten auf das Aufkommen der AfD nicht mit Widerstand, sondern im Gegenteil, mit einer Anpassung an die rechte Rhetorik, aus der Angst heraus, WählerInnen zu verlieren. Mit mehreren drastischen Einschränkungen des Asylrechts wurden Forderungen der AfD von CDU/CSU und auch SPD aufgegriffen und umgesetzt. Selbst aus der Linkspartei wurden Stimmen nach einer Obergrenze für Geflüchtete laut. Der Rechtsruck vollzog sich also in allen Parteien und bestätigte die SympathisantInnen der AfD weiter.

Solange wir als linke Kräfte den zu Recht von den etablierten Parteien entfremdeten Menschen keine soziale, antikapitalistische Perspektive bieten und nicht geeint und entschlossen gegen den Rechtsruck aufstehen, werden diese Menschen weiterhin den plumpen Parolen der Rechten auf den Leim gehen.

Weder die Linkspartei noch die Gewerkschaften haben größere, bundesweite Mobilisierungskampagnen gegen rechts durchgeführt oder Bündnisstrukturen aufgebaut, die in der Lage gewesen wären, dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Vor allem aber haben sie sich nicht deutlich genug als antikapitalistisch kämpfende Kräfte von der bürgerlichen Politik abgegrenzt. Die AfD konnte sich deshalb als einzige ernsthafte Opposition inszenieren.

Was wir aber brauchen, um den Nährboden der Rechten für immer auszutrocknen, ist eine sozialistische Antwort auf die Krise des Kapitalismus. Wir treten für soziale Forderungen wie höhere Löhne und bessere Renten ein, bessere Bildung und einen wirksameren Kündigungsschutz – und zwar für alle Menschen.

Der Kampf gegen die Rechten und für Verbesserungen muss aber unbedingt immer mit dem Kampf gegen das kapitalistische System an sich verbunden werden. Statt ihn nur sozialer zu gestalten, müssen wir den Kapitalismus letztlich gemeinsam zerschlagen – in Deutschland, Europa und der ganzen Welt!

Vor allem die Jugend hat daran ein besonderes Interesse. Wir als Jugendliche bilden die dynamischste und oftmals auch die entschlossenste Kraft in der Gesellschaft. Uns ist es nicht egal, wer für unsere Zukunft die Macht in den Händen hält.

Wir lassen nicht zu, dass unsere FreundInnen auf der Straße angespuckt, beleidigt und angegriffen werden. Wir lassen nicht zu, dass Menschen zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken und in Kriegs- und Krisengebiete abgeschoben werden. Und wir lassen nicht zu, dass rechte Parteien wie die AfD uns durch ihre noch neoliberalere Politik unsere Zukunft verbauen!

Darum müssen wir uns massenhaft organisieren. Es ist schön, dass so viele Menschen zur Demonstration gekommen sind, aber nur mit lauter Musik und ein paar Reden können wir die Rechten nicht stoppen.

Was wir brauchen, ist eine breite Bewegung, welche sich entschlossen PEGIDA und Co. entgegenstellt – hier auf der Straße, in den Schulen und Betrieben.

Lasst uns auch über den heutigen Tag hinaus gemeinsam gegen den Rechtsruck kämpfen! Werdet aktiv, organisiert euch, gründet antifaschistische und antirassistische Komitees an den Orten, wo ihr arbeitet, lernt und lebt! Lasst uns eine Bewegung aufbauen, die eine echte Alternative zur bestehenden kapitalistischen Ordnung aufzeigt und dieses System aus den Angeln heben!

Erst dann, wenn wir die Logik der Profitmaximierung zugunsten einer an den Bedürfnissen aller Menschen orientierten Produktion überwunden haben, können wir tatsächlich eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus erreichen.

Kampf dem Rassismus bedeutet Kampf dem Kapital!

One Solution: Revolution!




Nach der Bayern-Wahl: Organisierung und Widerstand auf die Straße bringen!

Rede der Gruppe ArbeiterInnenmacht/München auf der „Demo zur Landtagswahl – den Rechtsruck zurückschlagen!“ am 14. Oktober in München, Infomail 1024, 15. Oktober 2018

Die Wahl ist gelaufen. Ihr Ergebnis ist keine Überraschung. Für viele ist es eine Genugtuung, dass die CSU für ihre rassistische Hetze und Law-and-Order-Politik abgestraft wurde – tschüss, Alleinregierung! Es geht bei dieser Wahl aber nicht darum, Parteien zu bestrafen. VerliererInnen sind nicht Söder und Seehofer, auch nicht die SPD und die Linkspartei. VerliererInnen sind wir alle, die Lohnabhängigen, die StudentInnen, Azubis, RentnerInnen, Refugees. Der neue Landtag wird vermutlich zu 90 % aus offen bürgerlichen, teils rechten Parteien bestehen. Eine wirklich linke Opposition sucht man vergeblich.

Auch mit der neuen Staatsregierung, egal ob CSU und Freie Wähler oder CSU und Grüne, wird es weiterhin rassistische Hetze geben, auf der Straße, in den Medien, im Parlament, in das die AfD mit über 10 % einziehen wird. Auch mit der neuen Staatsregierung werden Abschiebungen ins Kriegsland Afghanistan stattfinden. Auch mit der neuen Staatsregierung werden die Mieten in München weiter steigen. Das zeigt uns, dass eine Wahl eben nicht der einzige Moment ist, der politisches Handeln erfordert. Es reicht nicht, dass wir alle paar Jahre unsere Stimme abgeben. Lasst uns unsere Stimmen, so oft es geht, erheben und für unsere Forderungen eintreten – im Parlament wird dies keiner tun!

Umso wichtiger sind unsere Organisierung und unser Widerstand – auf der Straße, in den Betrieben, an Unis und Schulen. Für höhere Löhne, bezahlbare Mieten, mehr Pflegepersonal, eine sozialistische Gesellschaft, in der genug für alle da ist und wir eben nicht nur als WählerInnen mitbestimmen dürfen, sondern selbst Politik gestalten und selbst entscheiden, wie wir leben, wie wir lernen, wie wir wohnen und vor allem, was und wie wir produzieren und konsumieren.

The Workers United Will Never Be Defeated!




30.000 demonstrieren gegen Rassismus: Welcome United!

Bruno Tesch, Infomail 1022, 30. September 2018

Die Demonstration am 29. September 2018 übertraf von Umfang und Ausstrahlung selbst die Erwartungen der VeranstalterInnen. Aufgerufen hatte das Bündnis „Welcome United“ aus politischen und parteinahen Organisationen (Linkspartei, Grüne) sowie NGOs und einer Anzahl migrantischer Initiativen mit dem Wortspiel „We’ll come united“. Der Aufruf richtete sich gegen Rassismus und Rechtsrutsch in BRD und EU. Unterschrieben hatten 450 Organisationen. Viele davon waren auch bei dem Umzug präsent, etliche sogar mit eigenen Wagen (über 30).

Allein diese Vielzahl gab der Demonstration ein eigenartiges Gepräge, das eine Mischung aus schaustellerischer Parade mit karnevalistischem Anstrich und politischer Kundgebung darstellte. In diesem Mix lagen Schwäche und Stärke der Veranstaltung zugleich. Zwar stieg die Anziehungskraft durch fantasievolle Vielfalt und teilweise satirische Originalität (ein Schild trug z. B. die Aufschrift: „Volksfahrräder – Pegida ist für grüne Mobilität“, geziert mit der schwarzrotgoldenen Fischerhütchen- Karikatur des sächsischen ‚Hutbürgers‘ und Pöbelmackers Maik‘) und erzeugte größtenteils das Wohlwollen auch der am Straßenrand stehenden ZuschauerInnen und erklärt den zahlenmäßigen Erfolg der rund 30.000 TeilnehmerInnen.

Andererseits überwucherte dieses Spektakel mit seinen Showeffekten politisch klare Aussagen und umkurvte die Frage, wie der Kampf gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft eigentlich und dauerhaft zu führen ist. Genau diese müsste aber thematisiert werden – sei es auf Demonstrationen wie am 29. September oder bei der „unteilbar“-Demonstration am 13. Oktober in Berlin. Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz gegen die rechte Gefahr, gegen den Rassismus von Regierung, RechtspopulistInnen und FaschistInnen vor.




Keine Unterstützung für den Kriegstreiber Netanjahu!

Flugblatt der  Gruppe ArbeiterInnenmacht/Berlin, Infomail 1005, 2. Juni 2018

Kundgebung gegen den Staatsbesuch, Montag, 4. Juni, 14 – 16 Uhr

Konrad-Adenauer-Straße (Vor dem Paul-Löbe-Haus, U-Bahn Station Bundestag)

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird Anfang kommender Woche Angela Merkel einen Besuch in Berlin abstatten. Anlass für seine Reise, die vermutlich auch Stopps in Paris und London beinhaltet, ist der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Netanjahu, die nationalistische Likud-Partei und ihre ultra-rechten Koalitionspartner traten von Beginn an gegen das Atomabkommen mit dem Iran ein. Sie warben nicht nur für härtere wirtschaftliche Sanktionen, sondern für einen Militärschlag gegen das Land und sein Atomprogramm.

Netanjahus Besuche in Berlin, Paris und London dienen dazu, die Kriegstrommel gegen den Iran zu rühren. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich die deutscher oder französischer Regierung offen gegen das Atomabkommen stellen werden, denn deutsche und französische Imperialismus setzen auf eine andere Strategie als Israel und die USA. Es ist eine Strategie der Einbindung des iranischen Regimes und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Netanjahu wiederum geht es darum, die Einbindung seines eigenen Regimes als bevorzugten wirtschaftlichen und politischen Partner der deutschen Regierung im Nahen Osten zu sichern. Denn auch wenn die deutsche Regierung eine andere Strategie gegenüber dem Iran als die israelische Regierung verfolgt, unterstützt sie doch grundlegend den israelischen Staat und seine Verbrechen.

Dieses zynische Spiel konnte auch in den vergangenen Wochen während des Great March of Return verfolgt werden. Zum 70. Jahrestag der Nakba, der Vertreibung der PalästinenserInnen aus ihrem Land, protestierten zehntausende Menschen in Gaza. Ihr legitimer Protest und ihre Forderung nach dem Recht auf Rückkehr wurden von der israelischen Armee (IDF) mit scharfer Munition, Artilleriebeschuss und Luftangriffen beantwortet. Als Folge verloren mehr als 160 PalästinenserInnen ihr Leben, rund 13.000 wurden verletzt. Auf israelischer Seite gaben nicht einen einzigen Verletzten zu beklagen. Dennoch schaffte es die deutsche Regierung, alle Seiten zur „Besonnenheit“ aufzurufen. Sowohl die IDF als auch die PalästinenserInnen „sollten sich mäßigen“. Bei der Abstimmung über eine UN Resolution, die die israelischen Verbrechen verurteilte, enthielt sich der deutsche Vertreter.

Der deutschen Regierung wäre es lieber, die PalästinenserInnen würden die Besatzung Palästinas, die Blockade Gazas, die Unterdrückung und die wirtschaftliche Not, die sich daraus ergibt, mit Besonnenheit und Mäßigung ertragen. Es wäre ihr lieber, die israelische Regierung würde besonnener und weniger brutal die PalästinenserInnen unterdrücken. Aber wenn es doch anders kommt, gibt sich die Regierung aus CDU, CSU und SPD „neutral“. Das bedeutet, dass sie die größten Verbrechen des israelischen Staates offiziell nicht gutheißt, sie aber auch nicht offen benennt. Währenddessen hilft sie dem israelischen Staat und seiner rechten Regierung aber praktisch. Einerseits indem er mit modernsten Waffen ausgestattet wird. So besitzt Israel mittlerweile sechs U-Boote aus deutscher Rüstungsschmiede zu subventionierten Preisen, die vermutlich mit Atomraketen bestückt sind. Die Politiker der Regierungsparteien versuchen, Bewegungen wie BDS zu kriminalisieren. Protesten gegen den israelischen Staat wird mittlerweile unterschoben, generell antisemitisch zu sein. Damit sollen sie im Voraus delegitimiert und soll von der tatsächlichen Unterdrückung der PalästinenserInnen abgelenkt werden. Wenn Netanjahu am Montag nach Berlin kommt, ist sein unmittelbares Ziel, sich auch eine Form der „Neutralität“ im Konflikt mit dem Iran zu sichern, wie sie seine Regierung bereits bei der Unterdrückung der PalästinenserInnen zugtoe kommt.

Wir rufen dazu auf, am Montag gegen die Kriegspolitik Netanjahus und die Unterdrückung der PalästinenserInnen durch den israelischen Staat zu protestieren. Es gilt aber auch Widerstand, gegen die Politik der deutschen Regierung zu organisieren, sie zu kritisieren und ihr das demokratische Mäntelchen herunterzureißen, hinter dem sich die widerliche Fratze imperialistischer Weltpolitik verbirgt.

  • Nein zu Sanktionen, dem Säbelrasseln und einem möglichen Krieg gegen den Iran! Freiheit für das iranische Volk können nur die Proteste der iranischen Jugend und ArbeiterInnen bringen.
  • Für einen sofortigen Stopp aller Rüstungslieferungen und militärischen Kooperation Deutschlands mit Israel.
  • Schluss mit jedweder Subvention des israelischen Staates und seiner Wirtschaft. Schluss mit der diplomatischen Rückendeckung der rechten Regierung Netanjahus, die sich als „neutral“ verkleidet.
  • Für die sofortige Aufhebung der Blockade Gazas, die Einstellung des Siedlungsbaus, die Aufhebung aller Checkpoints und das Recht auf Rückkehr der PalästinenserInnen.

Wir sind der Auffassung, dass ein dauerhafter Frieden und ein Leben in Wohlstand nur auf der Grundlage der Anerkennung der Rechte der PalästinenserInnen und der Errichtung eines gemeinsamen Staates aller unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion möglich ist. Wir stehen auf der Seite der PalästinenserInnen im Kampf gegen Unterdrückung und kämpfen darum, dass auch die jüdische ArbeiterInnenklasse in Israel mit dem Zionismus bricht. Unser Ziel ist ein sozialistisches, säkulares und befreites Palästina!




Opel Bochum: Ende 2014?

Peter Lenz, Neue Internationale 179, Mai 2013

Die Gewerkschaftsmitglieder des Bochumer Opelwerks haben Anfang März den „Sanierungsplan“ für die deutschen Opelstandorte mit absoluter Mehrheit abgelehnt. Opel droht mit dem Ende der Autoproduktion bereits Ende 2014. Aufsichtsratschef Girsky kündigte an, die Fertigung in Bochum zum 1. Januar 2015 komplett einzustellen, falls dem Tarifvertrag nicht zugestimmt werde. In diesem Vertrag steht, dass nach 2016 in Bochum nur eine Teilefertigung und ein Ersatzteillager mit zusammen 1.200 Arbeitsplätzen bestehen bleiben soll.

Die IGM-Mitglieder stimmten nun mit 76,1 Prozent der Stimmen gegen diesen Tarifvertrag, die Wahlbeteiligung lag bei 69,3 Prozent.

Die Auswirkungen einer Einstellung der Produktion wären drastisch für Bochum. Derzeit arbeiten rund 3.200 Menschen direkt im Unternehmen, etwa 1.000 weitere bei Partner- und Fremdfirmen.

Klatsche für die NRW-IGM und Huber

Die Ablehnung des Tarifvertrags ist eine Klatsche für die IG Metall in Nordrhein-Westfalen und ihren Chef Knut Giesler sowie die gesamte IGM-Führung um den Vorsitzenden Berthold Huber. 2012 schrieben wir dazu in der Infomail 661: „Unter seinem langjährigen Vorsitzenden Franz wurde gerade die Bochumer Belegschaft in organisierten Abbau und Verzicht gezwungen, ihre Aktionen wurden nicht unterstützt. Dieser Kurs, der immer wieder eine Sicherung des Standorts bei Arbeitsplatzabbau und Verzicht auf Kampf versprach, ist endgültig gescheitert.“

Jetzt werden die Bochumer Belegschaft und ihr Betriebsrat als „unvernünftig“ und „sich selbst schadend“ hingestellt. Die Bochumer haben „Nein“ zu diesem Sanierungstarifvertrag gesagt – obwohl er von den IGM-Spitzen über den grünen Klee gelobt wird. Tatsächlich führt er aber nur zur Schließung des Werkes und enthält viele wolkige Versprechungen. So stellen auch Betriebsrat und Vertrauensleute auf einer Website fest: „Von Opel und in einigen Medien wird berichtet, dass mit dem Tarifvertrag die Bochumer Belegschaft viele zusätzliche Arbeitsplätze erhalten hätte und eine Absicherung bis mindestens 2018 vorlag. Gleichzeitig sollte es hohe Abfindungsprämien geben. Dies wurde auch den Beschäftigten in anderen Opel-Standorten erzählt.

Die Wahrheit ist: Davon ist nichts im Tarifvertrag geregelt. Verbindlich geregelt ist nur die ‚moderate Abwicklung‘ (Zitat eines Unternehmenssprechers) des Bochumer Werkes und betriebsbedingte Kündigungen bereits ab 2015. Alles andere ist sind unverbindliche, nicht einklagbare Zusagen. Die Vermutung liegt nahe, dass Journalisten und Beschäftigte in anderen Standorten bewusst falsch informiert wurden. Oder gibt es zwei unterschiedliche Tarifverträge für die Standorte? Fakt ist, nur in Bochum lag der Belegschaft der vollständige Tarifvertrag vor. Den Beschäftigten der anderen Standorte und Journalisten hat Opel nur ein kleines Faltblatt zur Verfügung gestellt.“ (Berichte von Betriebsrat und Vertrauensleute bei Opel in Bochum, 21.4.2013, auf http://www.wir-gemeinsam.eu)

Knut Giesler, Bezirksleiter der NRW-IG Metall, zeigte Wirkung und sieht das Ergebnis “als klares Misstrauensvotum gegenüber dem Management von Opel. (…) Zu viele Fehler, zu viele falsche Versprechungen seit über acht Jahren – das sitzt tief“. Er könne gut verstehen, „dass sich die Opelaner mit einem Auslaufen der Autoproduktion und betriebsbedingten Kündigungen nicht abfinden wollen.“ (Ruhr-Nachrichten, 21.3.13) Die IG Metall von NRW werde jetzt den Tarifvertrag nicht unterschreiben.

Der Bochumer Betriebsratsvorsitzende, Rainer Einenkel, kritisierte die IGM, sie habe über die Köpfe der Belegschaft hinweg verhandelt: „Es wurde so gut wie nie mit uns geredet.“ Es seien nur fertige Ergebnisse präsentiert worden. Er beklagt einen Mangel an Solidarität.

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, Wolfgang Schäfer-Klug, wirft Einenkel seinerseits vor, den Sanierungstarifvertrag mit „öffentlichen Medienauftritten und Verschwörungstheorien“ torpediert zu haben. Berthold Huber meinte: „Die wirtschaftliche Lage bei Opel ist äußerst schwierig. Das macht Verhandlungen natürlich nicht einfacher. Der Tarifvertrag ist ein Gesamtpaket und die bestmögliche Lösung unter den gegebenen Bedingungen.“ In der IGM-Pressemitteilung Nr. 15/2013 vom 27.3.13) wird zudem noch ein Patentrezept empfohlen: Opel müsse nun „das Thema `Automobile der Zukunft` an den deutschen Standorten anpacken und endlich wieder mehr Autos verkaufen – in Europa und auf anderen Exportmärkten.“ Als ob Opel das nicht auch wollen würde und es die riesigen Überkapazitäten im Automobilsektor nicht geben würde.

Kampfperspektive

In der Bochumer Belegschaft gibt es Diskussionen über den weiteren Widerstand. Viele setzen ihre Hoffnungen auf neue Verhandlungen, andere sind für Aktionen. Wir schrieben dazu bereits 2012:

„Die richtige Antwort ist ein Streik mit Besetzung der Tore wie 2004. Das wird ein Zeichen setzen und der Totalausfall der Zafira-Produktion werden dem Opel- und GM-Management weh tun, auch wenn in Deutschland vom Januar bis September 2012 nur noch 163.000 Opel-Fahrzeuge verkauft wurden.

Aber eine wirkliche Perspektive kann diese Aktion nur bekommen, wenn sie zum Ausgangspunkt dafür wird, die Kämpfe in Europa zu vereinen und zu verbreitern. Gemeinsam mit Ford in Genk, Peugeot in Paris und allen Auto- und Zulieferern, die in Kurzarbeit sind, von Schließung oder Entlassungen bedroht sind, muss der Widerstand organisiert werden! Darüber müssen die Belegschaften selbst entscheiden! Wir schlagen die nachfolgenden Forderungen vor:

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Das betrifft nicht nur die „regulär“ Beschäftigten, sondern auch die LeiharbeiterInnen. Überführung der Leiharbeitsjobs in reguläre, tariflich gesicherte Arbeitsverhältnisse!
  • Reduktion der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Nein zu jedem Lohnverzicht! Die ArbeiterInnen haben die Krise nicht verschuldet, sie sollen auch nicht dafür zahlen!

Die bedrohten Betriebe müssen entschädigungslos enteignet, unter Arbeiterkontrolle verstaatlicht und besetzt werden, um sie gegen Schließungen zu verteidigen. Es muss ein Plan erarbeitet werden, wie die Unternehmen unter Kontrolle der ArbeiterInnen weiter geführt werden können. Dazu wollen wir nicht getrickste Zahlen sehen, sondern die Wahrheit. Deshalb fordern wir die Öffnung der Geschäftsbücher, Konten, Finanzpläne für Arbeiterinspektionen!

Natürlich berührt das auch die gesamte Verkehrsindustrie und die Verkehrspolitik. Der Kapitalismus in seiner Krise bringt Not und Arbeitslosigkeit für die einen und verschwendet zugleich Milliarden: Fabriken, die geschlossen werden, Bahnhöfe wie in Stuttgart, wo Milliarden sinnlos verpulvert werden.




GEW Berlin: LehrerInnen streiken weiter

Martin Suchanek, Neue Internationale 179, Mai 2013

Berlins LehrerInnen streiken weiter. Am 23. April legten rund 3.000 Beschäftigte die Arbeit nieder. 2.000 von ihnen demonstrierten vom Berliner Innensenat zum Roten Rathaus, dem Sitz der Landesregierung, 1.000 beteiligten sich an einem Fahrradkorso.

Die Berliner “Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft” (GEW) hatte dazu aufrufen. Nachdem die Gewerkschaften den Gehaltstarifvertrag der Länder abgeschlossen haben, war eine der Hauptforderungen der angestellten LehrerInnen – die nach Eingruppierung der angestellten Lehrkräfte – außen vor geblieben.

Doch die Mobilisierung zur Tarifrunde hat in Berlin u.a. Ost-Bundesländern mit einem vergleichsweise hohen und ständig wachsenden Anteil an Angestellten unter den LehrerInnen auch zu einem Stimmungsumschwung an der Basis geführt.

Sie wollen nicht weiter warten. Sie haben nun den Kampf aufgenommen für eine „tarifliche Eingruppierung“ und „altersgerechte Arbeitsbedingungen“ – so der Fachjargon. Weil es zur Eingruppierung keine tarifliche Regelung gibt, besteht hier auch keine Friedenspflicht.

Senatsmärchen

Das musste selbst der Berliner SPD/CDU-Senat einsehen, der noch am 22. April den Arbeitskampf per Gericht für rechtswidrig erklären lassen wollte. Doch damit hatte er  vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Um die Streikfront zu schwächen, arbeitet der Senat außerdem auch mit einer Mischung aus medialer Hetze, Demagogie und kleinen Zugeständnissen. „Natürlich“ wäre er „gesprächsbereit“, nachdem jahrelang Schulen geschlossen wurden, die Lehrkräfte und ErzieherInnen weit weniger als in anderen Bundesländern verdienen und obendrein die Arbeit weiter verdichtet wurde.

„Natürlich“ ist der Senat auch ein Freund der SchülerInnen und Eltern, die zum „Opfer“ des LehrerInnenstreiks würden, könnten sie doch ihre Prüfungen nicht unter Aufsicht ihrer vertrauten LehrerInnen durchführen. Wer hätte gedacht, dass sich der Senat so ums Wohl von Kindern und Jugendlichen sorgt, für die es noch längst nicht genügend Ausbildungsplätze (erst recht nicht tariflich bezahlte) gibt und deren berufliche Perspektiven mau sind. Mag der Senat zwar bei Jugendfreizeiteinrichtungen sparen, so soll es wenigstens am Aufsichtspersonal nicht mangeln. Schließlich ist der Senat auch ein Freund der LehrerInnen selbst. Für ältere Lehrkräfte will er gar Mittel locker machen, um ihnen etwas vom Leistungsdruck zu nehmen, den er selbst erhöht hat.

Wozu, so fragt da der Bildungssenator, braucht es da noch einen Tarifvertrag?! Brosamen könne er doch schließlich auch auf dem Verordnungsweg verteilen.

Tarifvertrag – keine Brosamen!

Genau das wollen die Beschäftigten aber nicht. Sie wollen keine „großzügigen“ Zuwendungen von neoliberalen Koalitionären, welche die Schulen in jeder Hinsicht zum permanenten Reparaturbetrieb gemodelt haben, wo jede Flickschusterei zur „Reform“ erklärt wird.

Sie wollen schlicht und einfach bessere Arbeitsbedingungen, höhere Entgelte, kürzere Arbeitszeiten und ausreichende Finanzierung der Schulen. Und sie wollen Verbesserungen nicht als Gnadenakte einer unnützen und inkompetenten Bildungsbürokratie, sondern als tarifliche Rechte.

Daher wird der Kampf sicher auch in die nächste Runde gehen. Vom 13.-17. Mai ist eine Aktionswoche geplant, um den Druck zu erhöhen. Hier sollen manche Schulen über mehrere Tage bestreikt, andere an Schwerpunkttagen die Arbeit niederlegen.

Zweifellos kann und muss der Streik dazu genutzt werden, auch die Organisierung der Beschäftigten zu erhöhen. An allen Schulen sollten GEW-Mitglieder geworben und -Gruppen gebildet werden. Für die Aktionen sollten Versammlungen über die weitere Kampfperspektive diskutieren, die Tarifrunde muss demokratisch von unten kontrolliert werden.

In diesem Kampf brauchen die LehrerInnen und die Berliner GEW unsere Solidarität. Das betrifft zuerst die SchülerInnen und Eltern. So haben auf der Demonstration SchülerInnen um die Jugendgruppen REVOLUTION und Red Brain einen kleinen Block in Solidarität mit den LehrerInnen organisiert.

Das Beispiel sollte Schule machen – an möglichst vielen Schulen, so dass die SchülerInnen die nächsten Streiks und Demos ebenso wie ihre Eltern massenhaft unterstützen.

Anhang: Nein zu allen Einschränkungen des Streikrechts!

Die Posse um den gerichtlichen Streit zeigt trotz des Urteils, das den Streik für rechtens erklärte, auch, dass die Möglichkeiten der Lehrkräfte, offen und klar für ihre Interessen zu kämpfen, massiv eingeschränkt werden.

Zum ersten trifft das auf den reaktionären Beamtenstatus zu, welcher der Mehrheit der Lehrkräfte überhaupt verbietet zu streiken. Zum anderen ist aber auch das Tarifrecht selbst eine Einschränkung des Kampfes. Jede/r weiß, dass hinter der Forderung nach einer anderen Eingruppierung natürlich das Interesse steht, höher eingruppiert zu werden, also mehr zu verdienen. Offen darf das aber so nicht gesagt werden, weil es ja einen Gehaltstarifvertrag gibt. Es wird daher, um einen legalen Streik zu ermöglichen, immer eine bizarre Sprache verwendet, die juristischen Überprüfungen standhalten soll, aber  vielen Außenstehenden, ja selbst vielen Beschäftigten unklar bleibt.

Diese Einschränkungen des Streikrechts sind auch aus anderen Bereichen bekannt. Hier ist deshalb die gesamte Gewerkschaftsbewegung gefordert. Wir brauchen eine Kampagne gegen alle rechtlichen Beschränkungen des Streikrechts!




Berliner S-Bahn: bald privat und desolat?

Hannes Hohn, Neue Internationale 177, März 2013

Manchmal scheint der Film der Geschichte rückwärts zu laufen. War es im frühen Kapitalismus noch so, dass sich ein einheitliches staatliches Eisenbahnsystem gegen die Kleinstaaterei in Deutschland entwickelte, so geht der Trend im Spätkapitalismus eher dahin, das einheitliche Bahnsystem in private Einzelteile zu zerlegen.

Gewisse ‚Experten‘ – die selbst eher im dicken Daimler unterwegs sind – glauben, dass die Struktur der S-Bahn unbedingt komplett geändert werden muss.Trotzdem das Chaos in Britannien nach der Privatisierung und Aufspaltung der Eisenbahn für genug negative Schlagzeilen gesorgt hat, soll nun die Berliner S-Bahn denselben Kurs nehmen. Es ist geradezu bizarr: obwohl die Berliner S-Bahn in den 80er und 90er Jahren noch pünktlich und zuverlässig war, glauben gewisse „Experten“ – die selbst eher im dicken Daimler unterwegs sind -, dass die Struktur der S-Bahn unbedingt komplett geändert werden muss.

Dabei haben gerade diese neoliberalen Finanz-Genies in den Führungsgremien der Bahn AG und ihres (noch) staatlichen Eigentümers, dafür gesorgt, dass S-Bahn-Fahren in Berlin zum Abenteuerurlaub wurde. Sie schafften das, indem sie die Mittel für den Fahrdienst, die Instandhaltung und die Anschaffung neuer Züge radikal kürzten, was die Gewinne in die Höhe trieb (man will ja mit einer profitablen Bahn an die Börse!) – und die Zeit, die die BerlinerInnen brauchten, um von A nach B zu kommen. Nachdem das Desaster erfolgreich organisiert war, ruft man nun nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ lauthals nach der Privatisierung und Aufspaltung der S-Bahn.

Da jede(r) EisenbahnerIn weiß, dass das kompletter Unfug ist, stellt sich die Frage, warum Bahn, Bund und Berliner Senat dieses unsinnige Projekt trotzdem durchziehen wollen? Die Antwort ist einfach. Mit der Privatisierung sollen geltende Arbeits- und Lohnstandards ausgehebelt werden, d.h. die ganze Sache geht auf Kosten der Beschäftigten, die bei Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen Abstriche machen sollen. Eventuell werden dann auch Strecken, die nicht so viel „abwerfen“, eingestellt – die Leidtragenden sind dann also auch die NutzerInnen der Bahn, v.a. die Lohnabhängigen, die auf sie angewiesen sind. Und wer sind die Gewinner? Die Aktionäre und Börsengewinnler oder – wie Lenin sie nannte – die Kuponschneider.

Widerstand

Gegen diese Pläne hat sich schon früh Widerstand geregt, wie auch schon gegen die Privatisierung von Wohnraum oder Wasser.

Zuerst entstand die Initiative „S-Bahn-Tisch“. Sie richtete sich gegen die Privatisierung und initiierte dazu einen Volksentscheid. Spätestens nach den Erfahrungen von Stuttgart 21, wo es ebenfalls einen Volksentscheid gab, ist jedoch klar, dass ein Volksentscheid allein nicht ausreicht, um ein solch kapitales Projekt zu stoppen – schon allein deshalb, weil die Art und Weise, wie der Volksentscheid genau aussieht, von Staatsmacht und bürgerlichen Parlamenten immer leicht so manipuliert werden kann, dass genau das Votum erfolgt, das Bahn und Senat wollen.

Die Berliner S-Bahn ist nur ein Beispiel von vielen, wie Staat und Kapital auf die Krise reagieren, um ihre Profite zu sichern oder gar zu erhöhen.“Davon abgesehen gab es aber auch deshalb zunehmend Kritik am „S-Bahn-Tisch“, weil diese Initiative immer offenkundiger zur Spielwiese von Parteien und Gewerkschaftsbürokratie wurde. Das drückte sich – was Wunder – vor allem darin aus, dass es überhaupt keine Orientierung auf reale Kampfaktionen wie Proteste oder gar einen Streik gab. Auch die Ausschreibung zur Privatisierung soll nur „begleitet“ werden. Das stank v.a. den Beschäftigten der S-Bahn, die nun schon jahrelang Hohn und Spott dafür ernten müssen, dass S-Bahn-Fahren immer mehr zur Lotterie wird, obwohl sie selbst gar nichts dafür können, sondern die „Sanierer“ in ihrer Chefetage.

Erfreulicherweise hat der Unmut über die bisherige Passivität ihrer Gewerkschaft und der Mehrheit des Betriebsrates aber dazu geführt, dass sich die Belegschaft und ein Kern von AktivitInnen eine alternative Struktur geschaffen haben: Ende 2011 gründete sich so die Initiative „100% S-Bahn“.

Nach den Aussagen ihrer AktivistInnen steht die große Mehrheit der S-BahnerInnen hinter dieser Initiative. Ihr zentrales Anliegen ist natürlich, die S-Bahn als Gesamtunternehmen zu erhalten und deren Zerlegung durch (Teil)privatisierungen zu verhindern. Natürlich sollen auch alle Verschlechterungen für die Beschäftigten wie für die NutzerInnen abgewehrt werden.

Um das zu erreichen, setzt man richtigerweise weniger auf ein Volksbegehren, als auf die Mobilisierung der Basis – auch durch Streik. Um dahin zu kommen, wird eine Betriebsversammlung der gesamten Belegschaft gefordert, um die Situation zu diskutieren und Gegenmaßnahmen festzulegen. Eine solche Gesamt-Versammlung ist gerade in einem Unternehmen mit permanenter Schicht- und Wochenendarbeit wichtig, um die Belegschaft zu einen und ein aussagekräftiges Votum zu bekommen. Bisher trifft diese Forderung jedoch auf die erbitterte Ablehnung von Betriebratsmehrheit und Gewerkschaftsapparat.

Die Berliner S-Bahn ist nur ein Beispiel von vielen, wie Staat und Kapital auf die Krise reagieren, um ihre Profite zu sichern oder gar zu erhöhen. Doch von Berlin könnte nach Stuttgart ein erneutes Signal dafür ausgehen, dass Widerstand gegen die kapitalistischen Krisenmanager in Wirtschaft und Politik notwendig und möglich ist. Daher sollte „100% S-Bahn“ unsere ganze Unterstützung und Solidarität erhalten, wenn sie den Abwehrkampf vorbereitet und führt.

Natürlich ist es korrekt und notwendig, die Gewerkschaften und die LINKE aufzufordern, aktiv jeden Widerstand gegen die Privatisierung zu unterstützen, und von der SPD zu verlangen, ihre Unterstützung des Projekts zu beenden. Verlassen sollte sich darauf jedoch niemand.

Da es bei der S-Bahn strukturell besonders schwer ist, die gesamte Belegschaft zu mobilisieren (she. oben), ist es umso wichtiger, dass auch andere Gewerkschaften Unterstützung leisten und eine breite Bewegung in der Bevölkerung, v.a. unter den Fahrgästen, entsteht.

Daher braucht es den Aufbau von Aktionskomitees an den Dienststellen, aber auch in den Bezirken, um alle aktiv einbeziehen zu können, die gegen die S-Bahn-Privatisierung angehen wollen. Und schließlich braucht es einen Aktionsfahrplan hin zu einem politischen Streik gegen die Privatisierung, der auch auf spektakuläre, öffentliche Massenaktionen wie Demonstrationen und Besetzung setzt, ähnlich der Bewegung gegen Stuttgart 21. Also: Alles einsteigen bitte!




Bau-Skandale: Masters of desasters

Hannes Hohn, Neue Internationale 176, Februar 2013

Der Skandal um den Berlin/Brandenburgischen Groß-Flughafens BER ist die Spitze eines Eisberges von Milliarden-Projekten, die in letzter Zeit in die Schlagzeilen geraten sind: S21 in Stuttgart, die Elbphilharmonie in Hamburg und nun eben die Bruchlandebahn BER.

Diese prestigeträchtigen Mega-Bauten verschlingen nicht nur viele Milliarden mehr als ursprünglich veranschlagt und machen regelmäßig alle Fertigstellungstermine zu Makulatur. So stiegen die Kosten von S21 von ursprünglich geplanten ca. 2,5 Mrd. Euro auf zuletzt geschätzte ca. 6 Milliarden!

In Berlin/Brandenburg und Stuttgart gab es zudem auch Massenproteste gegen die Projekte; beim Flughafen BER richteten sie sich v.a. gegen geplante Nachtflüge bzw. gegen Flugrouten über dicht besiedelten Gebieten, bei S21 gab es Proteste gegen die geheime Klüngelei von Politik, Bau-Investoren und Bahn AG sowie gegen das Projekt insgesamt, weil es für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur nicht taugt und zahlreiche bautechnische und Umweltrisiken birgt.

All diese Projekte verbindet, dass sie mit mehr oder weniger öffentlichen Geldern finanziert werden und die „öffentliche Hand“ in den verantwortlichen Gremien vertreten ist, bei BER z.B. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Platzeck und sein Berliner Parteigenosse Wowereit. Diese Umstände lassen vermuten, dass Projekte, die (auch) öffentlich finanziert und gemanagt werden, schlechter funktionieren als rein private. Doch das ist eine oberflächliche Sicht. Investitionen von privaten Firmen – und umso mehr von Konzernen – werden heute fast immer direkt oder indirekt vom Staat unterstützt: steuerlich, durch Aufweichung von Genehmigungen oder mit Zuschüssen. In Zeiten der allgemeinen Krise und stärkerer Konkurrenz ist der Zwang zu einer solch engen Kooperation zwischen Kapital und Staat sogar noch höher als früher.

Dass Milliarden-Investitionen in den Sand gesetzt oder durch Pleiten entwertet werden, ist jedoch durchaus ein Merkmal kapitalistischen Wirtschaftens an sich, denken wir nur an NOKIA in Bochum o.a. Schließungen, wo oft Millionen teure Anlagen und Ausrüstungen brach liegen oder verramscht werden. Von den Entlassenen, den „Kollateralschäden“ der kapitalistischen Konkurrenz, ganz abgesehen.

Gigantismus

Warum lassen sich der bekanntlich stets klamme Staat oder hochverschuldete Länder und Kommunen trotzdem auf solche Mega-Projekte ein?

Dafür gibt es durchaus handfeste Gründe. Die Standortkonkurrenz erzwingt geradezu Investitionen, um die eigene Stadt oder Region attraktiv zu machen, also weitere Investoren, Firmenansiedlungen und Touristen anzuziehen. Gerade in der Krise bescheren solche Großinvestitionen – und der Zufluss öffentlicher Mittel – dem Kapital sichere Aufträge und Profite. Die erlahmende Dynamik des Kapitalismus kann durch Prestige-Projekte punktuell genauso „geschönt“ werden wie das Image der verantwortlichen PolitikerInnen.

Natürlich hat niemand der an den Projekten Beteiligten ein Interesse daran, dass statt eines vorzeigbaren Bauwerkes ein Skandal oder gar eine Investmentruine entstehen. Nicht zuletzt kann nur ein intaktes Opernhaus oder ein benutzbarer Flughafen Geld einspielen oder Arbeitsplätze sichern usw. usf.

Warum gibt es aber trotzdem so viele Pannen? Handelt es sich dabei um ein spezifisches Problem einzelner Länder? Wohl nicht.

Baustoff Filz

Sicher sind die politischen Strukturen etwa in China oder in den arabischen Öl-Staaten anders als hier. In den dort herrschenden Diktaturen wird eher „durchregiert“, auf die öffentliche Meinung oder die politische Opposition muss weniger Rücksicht genommen werden. Unter Bedingungen der bürgerlichen Demokratie gehören zwar Korruption und Klüngelei ebenfalls zum täglichen Geschäft, aber es muss zumindest der Schein gewahrt und ein gewisser Ausgleich zwischen den Interessen  verschiedener Sektoren von Politik und Wirtschaft hergestellt werden.

Letztlich beruht dieser Filz aus politischen Entscheidungen, Gutachtern, Projektträgern, Banken und Investoren darauf, dass es eine transparente, einer strengen unabhängigen Aufsicht unterliegende, Planung und Durchführung nicht gibt. Schon die Projekterstellung wird durch die verschiedenen Klientel-Gruppen beeinflusst, die dafür sorgen, dass sie nicht zu kurz kommen.

Es ist natürlich klar, dass die „Geschäftsgeheimnisse“ privater Firmen im Kapitalismus nicht Gegenstand öffentlicher Kontrolle sind. Hier findet die Demokratie ihre Grenze am Privateigentum. Auch die „unabhängigen“ Gutachter sind oft genug dem einen oder anderen Investor mehr zugeneigt als der Wahrheit.

Beispiel Stuttgart 21

Das Bahnprojekt S21 offenbart recht gut, wie ein solches Vorhaben funktioniert. Der geplante Börsengang der Bahn erfordert durchaus Prestige-Projekte, welche das Image und die Aktien-Kurse verbessern. Um die kommunalen und Landtagsabgeordneten zur Zustimmung zu bewegen, wurden sie bewusst über die Kosten und Risiken getäuscht und unter Zeitdruck gesetzt; die Mandatsträger von CDU und FDP brauchte man ohnehin nicht lange zu bitten, da diese sowieso besonders eng mit der Immobilien- und Baubranche verbunden sind. So erklärt sich auch, dass in einer reichen Stadt wie Stuttgart zwar Kita-Plätze fehlen, aber das Geld trotzdem in ein überflüssiges Bahnhofsprojekt fließt.

Dabei geht es bei S21 nur am Rande um die Verbesserung der Verkehrssituation, sondern darum, Stuttgart zu einem internationalen Bahn- und Luft-Verkehrskreuz in Konkurrenz zu Frankfurt und München (Bahn und Flughafen) auszubauen.

Letztlich zeigte sich in Stuttgart auch überdeutlich, auf wessen Seite die bürgerlichen Parteien und der Staat stehen, als sie mit brutaler Gewalt gegen friedliche DemonstrantInnen der S21-Bewegung vorgingen.

Alternative

Was ist also nötig, um Fehlplanungen, Missmanagement und Korruption zu verhindern oder wenigstens zu minimieren? Es ist eine permanente Kontrolle durch jene nötig, die kein Interesse an „krummen“ Geschäften haben, weil letztlich sie diejenigen sind, die am Ende draufzahlen müssen:  die Lohnabhängigen. Sie müssen von Anfang an direkt die Kontrolle über alles haben, was mit einem Projekt zusammenhängt. Das, was in Stuttgart erst durch die Massenproteste erzwungen wurde – eine öffentliche Diskussion und tw. die Offenlegung relevanter Daten – muss natürlich schon zu Beginn der Projektplanung erfolgen.

Was im „Großen“ für Schlagzeilen sorgt, findet jedoch ganz unspektakulär auch alltäglich im „Kleinen“ statt. Schon die gängige Praxis der Ausschreibung kommunaler Aufträge bedeutet, dass die Unternehmen sich gegenseitig unterbieten müssen, um den Auftrag zu erhalten. Dazu werden Löhne, tarifliche und Arbeitszeitregelungen gedrückt, um einen Kostenvorteil zu haben. So fährt also dann die Installationsfirma Müller aus Schwerin nach Berlin zur Arbeit und die Berliner Firma Meier fährt den umgedrehten Weg für die gleiche Arbeit. Das ist der alltägliche Wahnsinn des Kapitalismus.

Eine effektive Kontrolle kann natürlich – wie S21 in Ansätzen gezeigt hat – nur durch Kampf erreicht werden, die „normale“ bürgerliche Demokratie hat dafür keine oder nur ungenügende Mechanismen. Das ist kein Zufall: denn diese Demokratie besteht gerade darin, dass die wesentlichen Entscheidungen und der Staatsapparat eben nicht kontrollierbar, wählbar, geschweige denn abwählbar sind.

Wer ernsthaft will, dass die unsinnige Vergeudung von Milliarden öffentlicher Gelder (oder deren Umleitung auf die Konten der Reichen) aufhört, der bzw. die muss die Normalität des Kapitalismus in Frage stellen!

Unter dem Druck von Gewinnstreben und Konkurrenz wird es immer so sein, dass die Jagd nach Profit über den Lebensinteressen der Masse der Bevölkerung steht. Solange keine gesamtgesellschaftliche Planung unter der direkten Kontrolle von ProduzentInnen (wohlgemerkt; hier sind die ArbeiterInnen gemeint, nicht „die Firmen“) und KonsumentInnen Investitionen und die gesamte Wirtschaftstätigkeit lenkt, werden die mehr oder weniger bornierten Interessen bestimmter Kapitalgruppen oder politischer Gruppierungen bestimmen. Nicht die Verbesserung der Infrastruktur, der Bildung, des Sozialwesens oder des Verkehrswesens im Sinne der gesamten Gesellschaft sind das Ziel, sondern konkurrierende Einzelinteressen. Nicht die optimale Lösung wird gesucht, sondern die, welche den meisten Profit abwirft und die eigenen Position in der Konkurrenz verbessert.

Widerstand

Es ist kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren Empörung und Widerstand gegen   desaströse Mega-Projekte verstärkt haben. Das erklärt sich allein schon aus der sich verschlechternden Finanzlage der Kommunen und der Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung.

Stuttgart oder Berlin sind nicht die einzigen Städte, wo Milliarden verbrannt und Zehntausende mobilisiert wurden. Deshalb müssen die richtigen Lehren aus den dortigen Protestbewegungen gezogen werden.

Doch gerade die Stuttgarter Erfahrung zeigt auch, was eine große, Monate andauernde Massenbewegung vermochte. Einerseits erzwang sie eine öffentliche Debatte, den „Stress-Test“ und eine Volksabstimmung, ja sie führte sogar zur Abwahl von Schwarz/Gelb. Doch andererseits war sie nicht imstande, das Milliardengrab S21 zu stoppen. Warum?

Dafür gab es drei Hauptgründe:

• Die Führung der Bewegung lag in den Händen der Grünen und politisch ähnlichen Gruppierungen. Sie orientierten auf einen Kompromiss (Schlichtung), blockierten die Bildung von verbindlichen und demokratischen Aktionsstrukturen und wandten sich gegen wirksame Aktionen wie z.B. Blockaden oder Besetzungen, v.a. aber gegen eine Ausrichtung auf die Arbeiterbewegung.

• Die Bewegung wurde umgekehrt von den Gewerkschaften – auf Betreib ihrer Führungen – nicht oder nur halbherzig unterstützt. So fehlten ihr wichtige politische Unterstützung und wirklicher ökonomischer Druck, den nur Streiks ausüben können. Der politische Streik wäre ein entscheidendes Mittel gewesen, um ein Projekt wie S21 tatsächlich zu Fall zu bringen.

• Die S21-Bewegung wurde nicht oder kaum zu einer bundesweiten Bewegung und verband sich nicht mit anderen Bewegungen und Kämpfen. Der Kampf gegen S21 wurde nicht mit zentralen Forderungen der Beschäftigten bei der Bahn, dem Kampf gegen Privatisierung und für einen kostenlosen Nahverkehr – alles zentrale Fragen für die große Masse der Lohnabhängigen –  verbunden. Die Hauptverantwortung für dieses Dilemma tragen auch hier die reformistischen Gewerkschaftsapparate und die Linkspartei.