Bundeshaushalt 2025: Hauptopfer Bürgergeld

Stefan Katzer, Infomail 1260, 23. Juli 2024

Was Sigmund Freud einst über das Ich sagte, beschreibt in nuce das Agieren der SPD unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Rechtsrucks: Sie benimmt sich wie der Clown im Zirkus, der alles daransetzt, das Publikum glauben zu machen, alles, was passiert, sei sein Werk.

Possenreißer Hubertus Heil

Ähnlich albern verhalten sich SPD-Minister:innen, wenn sie wieder einmal erklären, dass die ihnen vom gesellschaftlichen Rechtsruck aufgezwungenen Asylrechtsverschärfungen und Sozialkürzungen notwendige und vernünftige Reformen darstellten, denen man bedenkenlos zustimmen könne.

Das jüngste Beispiel für diese Art clownesker Selbstdarstellung lieferte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, in welchem er die kürzlich von der Ampelregierung beschlossenen Verschärfungen beim Bürgergeld verteidigte. In vollkommener Verleugnung der Realität behauptete er zunächst, dass es sich bei den beschlossenen Maßnahmen keinesfalls um drastische Verschärfungen handele, sondern lediglich um ein „Nachsteuern“, das darauf abziele, die „Zielgenauigkeit“ der Sozialleistungen zu verbessern. An anderen Stellen des Interviews ließ er dann aber doch erkennen, dass die (angeblich nicht vorhandenen) Verschärfungen beim Bürgergeld durch den Druck der FDP zustande gekommen seien. Dabei wurde er jedoch nicht müde zu betonen, dass es sich hierbei um einen vertretbaren Kompromiss handele, dem auch die SPD zustimmen könne.

Dabei stellt das, was die Ampelkoalition nun beschlossen hat, eindeutig eine Verschärfung und eine massive Verschlechterung der Situation von Erwerbslosen dar. Darin liegt ja gerade der Sinn dieser Maßnahmen. Sie sollen den Druck auf Erwerbslose, die Bürgergeld beziehen, deutlich erhöhen und sie dazu bringen, jeden angebotenen Job anzunehmen.

Symbolpolitik auf Kosten von Erwerbslosen

Die neuesten Verschärfungen beim Bürgergeld im Zuge des vom Bundeskabinett am 17. Juli 2024 verabschiedeten Haushaltsentwurfs für 2025 sehen unter anderem vor, die zumutbare Pendelzeit auf bis zu drei Stunden täglich anzuheben, wenn die Arbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt. Menschen, die eine Stelle angeboten bekommen, auf der sie sechs Stunden oder weniger pro Tag arbeiten sollen, müssen immerhin noch eine Fahrzeit von bis zu 2,5 Stunden in Kauf nehmen. Sollten Erwerbslose ein „zumutbares“ Arbeitsangebot ablehnen, müssen sie von nun an wieder mit erhöhten Leistungskürzungen rechnen. Gleiches gilt für den Fall, dass Bürgergeldbezieher:innen ihrer Meldepflicht nicht nachkommen oder einen Termin versäumen. Wenn das Jobcenter befindet, dass sie dadurch nicht in ausreichendem Maße ihren Mitwirkungspflichten nachkommen, drohen ihnen auch in diesem Fall existenzbedrohende Leistungskürzungen von 30 % bis zu 3 Monaten.  Auch wer sich durch Schwarzarbeit etwas dazuverdient, soll hierfür künftig durch Leistungskürzungen härter bestraft werden. Darüber hinaus müssen arbeitslos gewordene Menschen nun schon nach sechs Monaten ihr angespartes Geld heranziehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Cui bono?

Angesichts dieser Verschärfungen frohlockte FDP-Fraktionschef Christian Dürr, dass Bürgergeldempfänger:innen infolge der geplanten Verschärfungen nun sogar stärker gefordert würden als im früheren Hartz-IV-System. Seine Partei feiert das zu Recht als ihren Erfolg.

Ähnlich sieht es auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, bei dem die Bewertung allerdings etwas anders ausfällt. Nach seiner Einschätzung sei man durch die nun beschlossenen Verschärfungen wieder zurück bei Hartz IV, die von der Ampel zunächst eingeführte Bürgergeldreform sei Geschichte. Die FDP habe sich damit weitgehend durchgesetzt.

Wie bereits dargelegt, dienen die beschlossenen Maßnahmen dazu, den Druck auf Arbeitslose weiter zu erhöhen. Nicht, weil das tatsächlich zur Reduktion der Arbeitslosigkeit etwas Substantielles beitragen würde. Und auch nicht, weil man sich davon tatsächlich eine „Dynamisierung“ des Wirtschaftsgeschehens, gar einen konjunkturellen Aufschwung versprechen dürfte, wie manche Ampelpolitiker:innen behaupten. In Wirklichkeit handelt es sich um eine politische Maßnahme, die in erster Linie dazu dient, Arbeitslose als Sündenböcke zu präsentieren und die Spaltung der Lohnabhängigen weiter voranzutreiben. Die Rechtfertigungen über den angeblichen Nutzen der beschlossenen Verschärfungen und den Beitrag, den diese zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit leisten würden, sind eben genau das – Rationalisierungen, d. h. nachträglich angeführte Argumente, die den eigentlichen Zweck verdecken. In Wirklichkeit dienen diese Maßnahmen in erster Linie dazu, den Unmut vieler Beschäftigter über schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne von den eigentlichen Ursachen ab- und auf die Gruppe der Erwerbslosen umzulenken. Das ist für das Kapital allemal günstiger als eine tatsächliche Verbesserung der Lage der Beschäftigten.

Hubertus Heil verkennt somit die eigentliche Bedeutung dieser Maßnahmen und den Nutzen, den sie für das Kapital haben, wenn er in dem bereits angesprochenen Interview meint, dass es „weder den Arbeitnehmern, noch den Menschen, denen es schlechter geht“, nutze, wenn man sie gegeneinander ausspiele. Das ist zwar richtig, aber eben nur die halbe Wahrheit.

Wenn die FDP dieses „Spiel“ forciert und die Spaltung der Lohnarbeiter:innen weiter vorantreibt, handelt es sich tatsächlich um die konsequente Vertretung ihres Klassenstandpunktes und Interesses ihrer sozialen Basis. Aus ihrer Perspektive ist die Spaltung der Lohnarbeiter:innenschaft durchaus ein sinnvolles politisches Unterfangen. Eine solche lässt sich besser ausbeuten als eine geeinte.

Für die SPD bedeutet die Zustimmung zu diesen Maßnahmen hingegen ein Einknicken vor dem gesellschaftlichen Rechtsruck und einen Verrat an den Interessen der Lohnarbeiter:innen. Wer solche Art „Kompromisse“ feiert und behauptet, sie bildeten die „Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt“ (Heil), muss sich über Stimmenverluste für die SPD und den anhaltenden Rechtsruck nicht wundern.

Die Aufgabe der Gewerkschaften

Während Frank Werneke also durchaus richtig erkannt hat, dass die beschlossenen Maßnahmen „Menschen unter Druck setzen sollen, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren“, und „die Verschärfungen sich negativ auf jeden Beschäftigten auswirken, der seinen Job verliert“, gilt es, aus dieser Erkenntnis auch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Gewerkschaften dürfen sich nicht darauf beschränken, über die schlechte Politik der Regierung zu meckern. Sie müssen ihre Kampfkraft vielmehr dazu nutzen, deren Angriffe auf die Arbeiter:inneklasse abzuwehren. Hierfür ist es jedoch notwendig, den sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs endlich zu beenden und dem Klassenkampf von oben durch einen organisierten von unten zu begegnen. Die Gewerkschaften müssen für die Rücknahme der Verschärfungen kämpfen und ihre Mitglieder hierfür mobilisieren.

  • Weg mit allen Bürgergeldgesetzen und Nein zu Sanktionen!

  • Für die Kontrolle der Arbeitsagenturen durch Gewerkschaften und Erwerbslosenkomitees anstelle von Ämterwillkür!

  • Allgemeines, uneingeschränktes Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung während der Erwerbslosigkeit!

  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften unter Einbeziehung von Ausschüssen der Lohnabhängigen und aller nicht-ausbeutenden Schichten der Bevölkerung!