Wahlen in Frankreich: Die Neue Volksfront rettet Macron

Martin Suchanek, Infomail 1259, 10. Juni 2024

Die europäische und französische Bourgeoisie können zumindest vorerst aufatmen. Die Rassemblement National (RN = Nationale Sammlungsbewegung) Marine Le Pens vermochte ihre relative Mehrheit an Stimmen nicht in eine Mehrheit an Mandaten, geschweige denn eine Regierungsmehrheit umzusetzen.

Die Spitzen der Nouveau Front populaire (NFP = Neue Volksfront) erklärten sich noch am Wahlabend zu Sieger:innen und reklamierten das Recht auf Regierungsbildung für sich. Macron, dessen Partei ihre Verluste im Rahmen halten konnte, präsentierte sich auch als quasi Sieger der „republikanischen Einheit“, die dazu führte, dass in rund 200 Wahlkreisen Kandidat:innen der NFP oder von Macrons Ensemble zugunsten der jeweils besser platzierten aus dem ersten Wahlgang ihre Kandidatur zurückzogen. Solcherart betrachten sich jetzt sowohl die Regierung wie die linken Regierungsgegner:innen als Sieger:innen bzw. als Strateg:innen des Sieges.

Das Ergebnis

Durchaus zu Recht kann sich nur die NFP, ein Bündnis aus reformistischen und kleinbürgerlichen Parteien, PS (Sozialistische Partei), PCF (Kommunistische Partei), La France insoumise (LFI = Unbeugsames Frankreich), den Grünen und einigen kleineren Parteien, als Wahlsiegerin betrachten. Laut Neuer Züricher Zeitung (1), dem wir folgende Zahlen entnehmen, sofern nicht anders vermerkt), erhielt die NFP in beiden Wahlgängen insgesamt 180 Sitze und wird somit die stärkste Fraktion stellen. Gegenüber den letzten Parlamentswahlen stellt das einen Zugewinn von insgesamt 49 Abgeordneten für vier Parteien dar.

War der erste Platz der NFP schon eine gewisse Überraschung, so zieht das Bündnis der bisherigen Regierungsparteien, Ensemble (pour la République; Gemeinsam für die Republik), mit 166 Abgeordneten als zweitstärkste Fraktion ins Parlament. Macrons Parteienbündnis verlor zwar rund ein Drittel seiner Sitze (- 79!), kam aber angesichts des Desasters im ersten Wahlgang noch mit einem blauen Auge davon. Ensemble verfügt zwar selbst gemeinsam mit Les Républicains  (Die Republikaner) über keine Mehrheit, umgekehrt kann aber keine parlamentarische Mehrheit ohne diese Fraktion gebildet werden, so dass Macron allein aus der parlamentarischen Konstellation heraus über ein mächtiges Druckmittel bei jeder zukünftigen Regierungsbildung verfügt. Schließlich erhielt die traditionelle Partei der französischen Bourgeoisie, Les Républicains, zusammen mit verschiedenen anderen Rechten 65 Sitze – 5 mehr als 2022 und zwar trotz des Übergangs eines Teils der Partei zur RN. Sie bildet faktisch eine Reserve des Macronlagers.

Nur drittstärkste Fraktion wurde die rechtsextreme, rechtspopulistische Rassemblement National. Auch wenn es in den Umfragen seit dem ersten Wahlgang schon deutlich wurde, dass es zu einer absoluten Mehrheit nicht reichen würde, so erwarteten doch viele, dass die RN als stärkste Fraktion ins Parlament einziehen würde. Auch dies verfehlte sie mit 143 Sitzen deutlich, auch wenn sie gegenüber 2022 54 hinzugewinnen konnte.

Rechte gestoppt?

Die liberalen und konservativen bürgerlichen Parteien, die Sozialdemokratie, Grüne und die Linksparteien feiern die Wahlen in Frankreich, als wären sie selbst angetreten. „Vielen ist ein Stein vom Herzen gefallen“, freut sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Armin Laschet, ehemaliger CDU-Parteichef, schlussfolgert gar: „Das Gefühl, Frankreich ist eigentlich schon auf dem Weg nach rechts, das ist falsch.“ Und empfiehlt eine ganz breite deutsche Volksfront, um die AfD bei den Landtagswahlen im Osten aus jeder Regierung herauszuhalten.

Solcherart wird das Ergebnis zu einem glänzenden Sieg der Demokratie verklärt, der einen Weg weisen würde, wie der Rechtsruck in Europa erfolgreich gestoppt werden könne. Die „republikanische Einheit“, die breite Volksfront von der NFP bis einschließlich Macrons Ensemble und des „antifaschistischen Flügels“ der gaullistischen Les Républicains, wird als die neue Brandmauer gegen rechts, in Deutschland bekannt als „Einheit der Demokrat:innen“, angepriesen.

In Wirklichkeit wird sich diese „Einheit“ gegensätzlicher Klassenkräfte nicht als Hindernis, sondern als Wegbereiter der Rechten erweisen. Das zeigen selbst die Wahlergebnisse in Frankreich, sobald wir nicht nur die Sitzverteilung im Parlament, sondern die Zahl der absoluten Stimmen betrachten. Dass Le Pen nicht als Fraktionsführerin der stärksten Partei ins Abgeordnetenhaus einzieht, verdankt die „republikanische Einheit“ schließlich nicht nur Absprachen vor dem zweiten Wahlgang, sondern auch einem undemokratischen Mehrheitswahlrecht. So erhielt RN 8,7 Millionen Stimmen im zweiten Wahlgang (2), was 32 % entspricht. Gemeinsam mit ihren Verbündeten, die in die neue Parlamentsfraktion eingehen, beträgt der Prozentsatz sogar 36,18 %! Es folgt die NFP mit 7 Millionen (25,68 %) und Ensemble mit 6,3 (37,1 %) Millionen. Les Républicains erhielten nur 1,47 Millionen Stimmen (5,41 %).

Bei den Europawahlen sowie im ersten und zweiten Wahlgang wählte jeweils ein Drittel der Wähler:innen RN, wobei die Partei in den ländlicheren und kleinstädtisch geprägten Regionen deutlich stärker ist als in vielen großstädtischen Zentren wie Paris. Im zweiten Wahlgang erzielten RN und ihre Verbündeten 37,1 % – verglichen mit 2022 eine Verdoppelung des Stimmenanteils! Von einem Stopp der RN und des Rechtsrucks zu sprechen, ist nicht nur albern, sondern brandgefährlich. Die parlamentarischen Ergebnisse verzerren vielmehr deren Konsolidierung und den realen Rechtsruck, den Frankreich in den letzten Jahren durchmachte.

Zweites stärkte die Einheit des „republikanischen Lagers“, also das Zurückziehen der schlechter platzierten Kandidat:innen zugunsten der stimmenstärksten im ersten Wahlgang, die zentralen Parteien des französischen Kapitals, Ensemble, aber auch Les Républicains. Zwei Drittel der zurückgezogenen Kandidat:innen kamen aus den Reihen der NFP. Während deren Parteien ihre Vertreter:innen zugunsten von Ensemble, also des Regierungslagers, zurückzogen, weigerten sich letztere in etlichen Fällen, dasselbe  zugunsten von LFI zu tun. Vielmehr dämonisieren sie Mélenchon weiter als ebenso gefährlich wie die Rechten.

Das überraschend gute Abschneiden von Ensemble im zweiten Wahlkampf geht daher vor allem auf die Politik der NFP zurück. Das drückt sich auch im prozentualen Zuwachs der Regierungspartei im zweiten gegenüber dem ersten Wahlgang aus (um 3,1 % von 20,04 auf 23,14 %), dem ein gleichzeitiger Verlust der NFP entspricht (um 2,38 % von 28,06 auf 25,68 %).

Ein Vergleich der Stimmenanteile bei den Wahlen mit dem Anteil der Sitze in der Nationalversammlung verdeutlicht, dass Ensemble und Les Républicains extrem überrepräsentiert sind. Gemeinsam stellen sie 229 Sitze und 39,7 % aller Abgeordneten obwohl sie im zweiten Wahlgang nur 28,55 % der Stimmen erhalten.

Diese Stärkung der offen bürgerlichen Parteien gegenüber den reformistischen und kleinbürgerlichen Linken offenbart schon auf der Ebene der Wahlarithmetik die politische Essenz einer Volksfront, also eines klassenübergreifenden Bündnisses zwischen Parteien, die sich auf antagonistische Klassen stützen. Sie führt notwendig zur Unterordnung unter die herrschende Klasse und ihre Parteien – und das umso mehr, als der Kern des Bündnisses letztlich die Bildung einer wie auch immer gearteten Koalitionsregierung zwischen NFP und Macron sein wird.

Die Regierungsfrage, Macron und die NFP

Als Wahlsieger erheben die Spitzen der NFP, Mélenchon von LFI und Glucksmann von der PS, den Anspruch, die nächste Regierung zu stellen. Soweit ihre – vorläufige – Einigkeit. Beide reklamieren als größte Parteien in der NFP den Posten des Premierministers für sich bzw. ihre Partei. Beide verweisen darauf, dass sie für Macron und die Bourgeoisie bei den Wahlen die Kastanien aus dem Feuer geholt hätten und leiten davon ein moralisches Recht auf Regierungsbildung ab. Doch die herrschende Klasse kennt weder Selbstlosigkeit noch Dankbarkeit gegenüber ihren reformistischen und populistischen Retter:innen.

Macron denkt nicht daran, den Sieg ihrer Allianz anzuerkennen und den Weg zur Regierungsbildung frei zu machen. Er wartet lieber ab, belässt derweil den bisherigen Regierungschef Attal im Amt, vorgeblich um die „Stabilität“ für die nächsten Monate zu wahren, und, sollte es, was durchaus möglich ist, keine neue Regierung geben, eine „Expert:innenregierung“ für einen zeitlich nicht genauer definierten „Übergang“ einzusetzen. Anders ausgedrückt. Nach der Wahl, bei der sich Macron zwar schwer verkalkuliert hat, aber dank der Unterstützung der Volksfront mit einem blauen Auge davongekommen ist, kann er auf Zeit spielen. Er kann so der NFP als Ganzer oder einzelnen Parteien die Bedingungen für eine „republikanische Regierung“, also eine Koalition, diktieren.

Und dieses Spiel kann durchaus aufgehen. Erstens verfügt Marcon über eine  parlamentarische Mitte (Ensemble plus im Notfall die Gaullist:innen), auf deren Stimmen die NFP auf parlamentarischer Ebene angewiesen ist. Und schließlich ist Macron Präsident, der auch ohne neue Regierung weiterregiert. Sollte er die NFP nicht auf parlamentarischem Weg gefügig machen können, kann er seine umfassenden Machtbefugnisse nutzen. Der bonapartische und autoritäre Charakter des Amtes wird somit deutlicher hervortreten, sollte über Monate oder gar über mehr als ein Jahr keine neue Regierung gebildet werden können.

Politische Instabilität

Doch ein solches Regime wäre keines der Stärke, sondern vielmehr eines der institutionalisierten Instabilität. Auch wenn Macron verstärkt auf bonapartistische und autoritäre Herrrschaftsinstrumente zurückgreifen wird, so unterscheidet sich sein Regime deutlich vom klassischen Bonapartismus. Louis Bonaparte (und andere „klassische“ bonapartistische Regime) kamen am Ende einer Klassenkampfperiode zur Macht, als sich die Hauptklassen der Gesellschaft im Kampf verausgabt, erschöpft hatten. Auf dieser Grundlage konnte z. B. Napoleon III. die bürgerliche Herrschaft wieder stabilisieren als Allianz aus Finanzoligarchie, Staatsbürokratie und bäuerlichem Kleinbürger:innentum.

Macrons soziale Basis läuft jedoch davon, in Richtung RN und NFP. Das französische Kleinbürger:innentum, die Mittelschichten und die Arbeiter:innenklasse stehen ihm feindlich gegenüber. Das trifft nicht nur auf die Anhänger:innen der RN zu, sondern auch auf die der reformistischen und linkspopulistischen Parteien.

Hinzu kommt, dass Frankreichs Wirtschaft stagniert. Frankreichs Noch-Finanz-und-Wirtschaftsminister Bruno Le Maire warnt angesichts der Forderungen der Linken nach Umverteilung vor „wirtschaftlichem Niedergang“ und einer Finanzkrise. Die EU plant ein Defizitverfahren wegen Überschuldung. Die Europäische Kommission und Ratingagenturen fordern eine Kürzung der Staatsausgaben in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr und warnen gleichzeitig vor den Kosten der Programme der NFP, die sie auf 120 Milliarden veranschlagen. „Frankreich drohen Jahre des Stillstands“, fasst die FAZ zusammen.

Weder die französische noch die europäische Bourgeoisie trauen Macron eine Lösung dieser Probleme zu. Im Grunde ist man froh, wenn er „Schlimmeres“ verhindert und der NFP keine allzu teuren sozialen Zugeständnisse macht.

Logik der Volksfront

Macrons Problem besteht darin, dass er sein Regime letztlich nur durch einen Pakt mit der NFP oder Teilen davon sozial abstützen kann. Unter den Führungen der Linken finden sich zweifellos viele – allen voran Glucksmann und die PS – die nur allzu gern eine „republikanische Regierung“ mit Macron bilden würden, insbesondere wenn die PS den Posten des Premierministers erhielte. Auch Mélenchon wäre ein solches Manöver zuzutrauen, auch wenn er diese im Moment vehement ablehnt, und von Macron fordert, freiwillig den Weg für eine NFP-Alleinregierung zu bereiten. In Wirklichkeit wissen natürlich alle, dass das der Präsident sicher nicht tun wird und dass die Volksfront nur mit seiner Zustimmung eingesetzt werden kann, solange sie im Rahmen des Parlamentarismus verbleibt.

Im Grund liegt es in der Logik der Volksfront und der Strategie ihrer Führungen, ein „republikanisches Bündnis“ zur Verteidigung der Demokratie und „Befriedung“ Frankreichs mittels Sozialreformen zu suchen. Ein solches erscheint ihnen im gemeinsamen Interesse aller Klassen, der gesamten Nation zu liegen, von Kapital, Arbeit und Kleinbürger:innentum.

Dies hängt damit zusammen, dass sie selbst die Ursachen der ökonomischen und sozialen Krisenprozesse in Frankreich nicht begreifen. Ihnen erscheinen sie als Verteilungskrise, als fehlende Nachfrage aufgrund zu geringer Löhne, Einkommen und Staatsausgaben. Daher setzen sie auf ein vergleichsweise ambitioniertes keynesianisches Programm zur Ankurbelung der Kaufkraft und der Wirtschaft, das vor allem über Staatsschulden, zum Teil auch über Besteuerung der Reichen finanziert werden soll. Ein solches Programm, so räsoniert die Volksfront weiter, würde nicht nur den Massen und der Umwelt nützen, sondern auch den Unternehmen, die mehr Waren und Dienstleistungen verkaufen könnten und somit auch mehr Gewinne machen würden.

Mit anderen Worten, die reformistischen, populistischen und kleinbürgerlichen Politiker:innen der Volksfront betrachten den Kapitalismus nur von der Seite der Zirkulation. Wenn man Angebot und Nachfrage mittels Staatsintervention ins Reine bringen, wenn jede Ware Käufer:innen zu „fairen Preisen“ finden würde, wäre allen Klassen gedient.

Diese kleinbürgerliche Vorstellung, den Kapitalismus im Interesse aller regulieren zu können, verkennt sein Wesen wie auch das des bürgerlichen Staates. Der Verkauf von Waren stellt für das Kapital nur ein, wenn auch unumgängliches Mittel zur Aneignung des Mehrwerts und seiner Verwandlung in Profit dar. Der Profit und zwar nicht einfach die Masse, sondern die Rate des Profits, das Verhältnis von investiertem zu erzieltem Kapital ist, was zählt. Auch wenn Mélenchon und Glucksmann finden mögen, dass das französische Kapital reich genug wäre, so zählt für dieses in der Konkurrenz nicht die moralische Einschätzung von Führer:innen der Volksfront, sondern die Profitabilität im Vergleich zu deutschen, US-amerikanischen, britischen oder chinesischen Kapitalen.

Die utopische, kleinbürgerliche Vorstellung vom Kapitalismus erklärt jedoch, warum die Führungen der Volksfront in einem klassenübergreifenden Bündnis mit Macron, in einer „vernünftigen“, scheinbar über den Klassen stehenden Wirtschaftspolitik im Interesse der „gesamten Nation“ keinen Widerspruch, keine Unmöglichkeit erkennen können. Sie bieten sich geradezu verzweifelt als Ärzt:innen oder besser Kurpfuscher:innen am Krankenbett des französischen Kapitalismus an, ja, sie werfen der herrschenden Klasse vor, nicht zu erkennen, dass ihre keynesianische Therapie auch in deren Interesse wäre.

Diese Strategie, dieses Programm wird zwar weder den französischen Kapitalismus noch die Arbeiter:innenklasse retten, es ist aber die Brücke, über die Macron und die französische Bourgeoisie zumindest Teile der NFP sowie der Gewerkschaftsbürokratie integrieren können, gewissermaßen eine formelle oder informelle Große Koalition auf Französisch.

Sollte sich diese auf Ensemble und die gesamte Volksfront und damit indirekt auch auf die Gewerkschaftsbürokratie stützen, müssten auch La France insoumise und die KPF in diese Regierung integriert werden, da LFI allein über 71 Sitze (3) verfügt und die KPF über 9. Ohne diese Stimmen käme keine parlamentarische Mehrheit zustande.

Macron kann aber auch auf die Spaltung der Volksfront setzen. PS und Grüne zu integrieren, wäre sicher leichter als La France insoumise. Doch für eine parlamentarische Mehrheit bräuchte er zusätzlich zu den 61 Abgeordneten von PS, den 33 der Grünen und den 168 von Ensemble auch jene von Les Républicains.

Und die Wähler:innen?

Auch wenn die Führungen der Volksfront vor prinzipienlosen Manövern und faulen Kompromissen zum höheren Wohle der Nation nicht zurückschrecken werden – so haben sie schon im Wahlprogramm Macron in der Außenpolitik weitgehende Zugeständnisse gemacht -, fürchten sie doch umgekehrt, dass sie in einer solchen Regierung ihre eigene Basis verlieren, sollten sie nicht zumindest einige vorzeigbare Reformen präsentieren können.

Genau hier liegt das Problem. Die NFP hat nicht nur die „republikanische Einheit“ gegen die RN forciert, um diese von der Regierung fernzuhalten, sie hat auch einen Bruch mit dem Macronismus versprochen. Das inkludiert die Rücknahme zentraler Verschlechterungen der letzen Jahre, allen voran der Rentenreform, der Kürzungen der Arbeitslosenhilfe und der rassistischen Migrationsgesetze sowie die Erhöhung des Mindestlohns auf 1.600 Euro, die Besteuerung der Reichen und die Deckelung der Energiepreise. Nun soll, wohl oder übel, der Macronismus in Zusammenarbeit mit Macron beseitigt werden, die Quadratur des Kreises würde das eigentliche Programm der NFP an der Regierung bilden.

Eine Koalition von (Teilen der) NFP und Ensemble wäre nur möglich, wenn die NFP auf einen Großteil ihrer Wahlversprechen verzichtet, indem sie diese bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder in endlosen parlamentarischen Kommissionen verschleppt. Doch die Wähler:innen der NFP – Millionen Lohnabhängige, Jugendliche, sozial und rassistisch Unterdrückte – gingen selbst bei den Wahlen nur widerwillig den Weg der „republikanischen Einheit“. Sie wählten die NFP nicht nur, um RN zu verhindern, nicht bloß für eine abstrakte, über den Klassen stehende Demokratie, sondern auch, weil sie eine wirklichen Bruch mit dem Macronismus wollen.

Innerer Widerspruch

Diesen inneren Widerspruch zwischen den reformistischen und kleinbürgerlichen Führungen der NFP und ihrer Basis, der sich auch durch die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zieht, fürchten die Spitzen der Volksfront. Insofern mag es ihnen auch durchaus nicht ungelegen kommen, dass jetzt die Sommerferien und Olympischen Spiele bevorstehen – Zeit, um hinter dem Rücken der eigenen Basis Geheimverhandlungen zu führen, mit Macron und seinen Gefolgsleuten die Lage zu sondieren.

Den inneren Widersprich der NFP müssen alle klassenkämpferischen Kräfte und vor allem alle Organisationen wie NPA-R, LO, PR aufgreifen, die korrekterweise die Beteiligung an der NFP abgelehnt haben. Von den Führungen der Volksfront muss klar gefordert werden: keine Koalition, keine Geheimgespräche mit Macron oder Ensemble!

Dazu gilt es, die zentralen fortschrittlichen, zentralen Versprechungen der NFP wie  z. B. die Rücknahme der Rentenreform aufzugreifen und von PS, LFI, KPF und Gewerkschaften eine Massenmobilisierung für diese einzufordern. In den Betrieben, Gewerkschaften, Stadtteilen sollten Versammlungen organisiert werden, die diskutieren und beschließen, wie diese Forderungen jetzt durchgesetzt werden, und dazu Aktionskomitees und eine nationale Koordination bilden.

Das Ziel der Arbeiter:innenklasse muss es sein, eine Offensive der Arbeiter:innenbewegung gegen jede Regierung vorzubereiten, die gebildet wird.

All dies wird den Klassenkampf verschärfen. Es wird zugleich der RN erschweren, sich sozialdemagogisch und rassistisch als einzige Oppositionskraft hinzustellen. Andererseits können so auch die inneren Widersprüche in der Volksfront zugespitzt werden.

Der Weg vorwärts muss durch ein Aktionsprogramm vorgezeichnet werden, das diese Kämpfe mit dem Kampf um die Macht, für eine Arbeiter:innenregierung, verbindet. Dieses Programm muss die Strategie einer revolutionären Partei bilden, die in den kämpferischsten Teilen der Arbeiter:innen und der Jugend um die Führung ringen muss. Wir appellieren daher an diese Genoss:innen, der NPA-R beizutreten und dafür einzutreten, ihr im Laufe der kommenden Kämpfe ein solches Programm zu geben.

Endnoten

(1) https://www.nzz.ch/international/wahlen-in-frankreich-alle-ergebnisse-in-der-uebersicht-ld.1838535

Die folgende Zahlen entnehmen wir, sofern nicht anders vermerkt, dieser Quelle. Die Fraktionsstärken der verschiedenen Parteien unterscheiden sich in verschiedenen Zeitungen, was auch damit zusammenhängt, dass sich einige „unabhängige“ Kandidat:innen bis zur formellen Fraktionsbildung noch entscheiden, wem sie sich anschließen.

(2) Siehe für die absoluten Zahlen: https://www.resultats-elections.interieur.gouv.fr/legislatives2024/ensemble_geographique/index.html

(3) Zahlen nach NZZ. Le Figaro spricht von insgesamt 184 Abgeordneten der NPF und von 79 von La France insoumise.