Hochwasser und kein Ende? Klimawandelfolgen und Regierungsversagen

Leo Drais, Neue Internationale 284, Juli/August 2024

Dauerregen und Hochwasser bestimmten 2024 den Frühling in Mitteleuropa. Mitte Mai traf es das Saarland, kurz darauf gab es starke Überschwemmungen an der Wupper. Im Juni folgte Süddeutschland. Schäden in Millionenhöhe, mindestens vier Menschen starben allein in Bayern. Neben den Großkatastrophen gab es im ganzen Land immer wieder lokale Unwetterereignisse, die allenfalls in Lokalblättern auf der Titelseite landeten.

Erinnerungen an die Ahrtalkatastrophe wurden geweckt, aber dieser Vergleich hinkt. Im Ahrtal starben mindestens 135 Menschen, von Häusern und Infrastruktur blieben am Flusslauf großteils nur Schutt und Schlamm übrig. Die Bundesregierung bilanzierte einen Schaden von 40 Milliarden Euro. 2024 ist also keine Wiederholung von 2021.

Der Grund dafür liegt jedoch sicher nicht darin, dass in den vergangenen drei Jahren 100 Milliarden Euro in Hochwasser- und Katastrophenschutz geflossen wären. Zur Erinnerung: Die Bundeswehr hat sie bekommen. Gut aufgerüstet dürfen die Soldat:innen jetzt Sandsäcke befüllen …

Nein, allein topographische Bedingungen sorgen dafür, dass es bisher kein erneutes Ahrtal gab. Die Täler der Donau und ihrer Zuflüsse wie auch das Tal der Saar lassen eine bessere Ausbreitung des Wassers zu und nehmen ihm damit die reißende Kraft.

Indes ist wenigstens die Kommunikation und Evakuierung besser gelaufen – das Mindeste. Bezüglich der fahrlässigen Nichtkommunikation im Ahrtal wurden jüngst die Ermittlungen gegen einen Landrat eingestellt. Obwohl damals Tage zuvor die zu erwartenden Wassermassen vorhergesagt wurden, der Ort Schuld schon wegschwamm, wurde am Unterlauf der Ahr nicht evakuiert. Was man sich nicht vorstellen kann, das findet trotzdem statt.

Nun wurde in einigen Landkreisen bereits vor Eintreffen des Hochwassers der Katastrophenalarm gegeben, zudem scheint die Warnung via Smartphone gut funktioniert zu haben.

Aber das war es dann auch. Der Katastrophenschutz im reichen Land Bundesrepublik ist nach wie vor weitestgehend ein Ehrenamtsgeschäft von Technischem Hilfswerk, Freiwilliger Feuerwehr und Notfallseelsorge.

Und während einmal mehr das große Aufräumen beginnt, diskutiert die Politik die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden …

Alles nur Vorspiel

Zwar gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Veränderungen durch den von der Menschheit verursachten, rasanten Klimawandels und meteorologischen Lokalereignissen, aber es ist evident, dass im Zuge der klimatischen Veränderungen Extremwettereignisse wie Starkregen und Dürren zunehmen. Es ist prognostiziert worden und tritt ein. Warme Luft speichert Wasser besser – der Regen wird seltener, aber heftiger. Der Temperaturunterschied zwischen polarer und tropischer Zone wird geringer, da sich die Polkappen schneller als durchschnittlich erwärmen. Das Wetter wird dadurch statischer. Hochdruck- und Tiefdruckgebiete verharren länger am gleichen Fleck.

Natürlich gab es auch in vorindustriellen Zeiten Hochwasser. Aber die Veränderung zu diesen ist eben eine doppelte: Einerseits ist da der Klimawandel, andererseits wurden Flussläufe begradigt und dicht besiedelt. Kommt es zum Hochwasser, so breitet es sich immer direkt in Dörfer und Städte aus. Deiche und Polder sollen diese schützen, doch die vorhandenen reichen oft nicht aus, sind zu alt, zu klein oder gar nicht vorhanden.

Globaler Vergleich

Dabei ist das, was wir in Deutschland in den letzten Jahren erleben, weder wirklich extrem, wenn wir es global vergleichen, noch ist es das, womit wir in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen haben. Es ist die halbkoloniale Welt, die am stärksten an den Folgen der Klimakatastrophe leidet. Die Überschwemmungen in Pakistan vor zwei Jahren oder dieses Jahr in Brasilien vertrieben Zehntausende. Und auch das ist nichts im Vergleich zu dem, was kommen wird, heute noch unvorstellbar ist. Drei Grad global bedeuten 6 – 9 Grad über der Landoberfläche. Drei Grad global bedeuten, dass bis zu zwei Milliarden Menschen ihre Heimat als zeitweise nicht mehr bewohnbar vorfinden werden, vielleicht schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts! Wohin werden diese Menschen wohl fliehen?

Berichtet wird in Deutschland indes kaum von den Verheerungen im globalen Süden. Was man mit verursacht, ist zum Glück weit weg. Und auch generell ist es so, dass sich alle deutschen Medien anscheinend herzlich wenig um die Klimakatastrophe scheren, wenn es nicht gerade Waldbrände oder Hochwasser gibt. Dabei müsste sie, wenn man es von der Relevanz für die bestehende Zivilisation her betrachtet, jeden Tag wenigstens auf Platz zwei oder drei in der Tagesschau schaffen. Aber Ursache und Wirkung liegen hier weit auseinander, das macht die gesellschaftlich perpetuierte Verdrängung einfach. Wenn nicht darüber berichtet wird, dann kann es ja nicht so schlimm sein, oder man ist längst so abgestumpft, dass man sich an die Berichte im Fernsehen gewöhnt hat. Was jucken einen Gaza, die Ukraine oder der Klimawandel, solange der eigene Arsch nicht aus dem Fernsehsessel geschwemmt wird? Lieber wieder zur EM rüberschalten.

Die politisch Verantwortlichen folgen diesem Muster. Tritt der Katastrophenfall ein, dann tauchen die üblichen zu betroffenen Mienen verzogenen Hackfressen von Kameras begleitet vor Ort auf. Kanzler und Ministerpräsident:innen versprechen Hilfe, und dann geht es wieder zurück nach München, Stuttgart und Berlin, wo man sich im bequemen, vom Volk bezahlten Stuhl wieder der Verschärfung der Klimakrise widmen kann.

Denn das bedeutet es, wenn man den Verbrenner vor dem Aus bewahrt, 100 Milliarden ins Militär ballert (die USA sorgten einst dafür, dass dieses beim sowieso wertlosen Pariser Klimaabkommen ganz und gar außen vor blieb). Wenn man Autobahnen durch das Land treibt und der Schiene das Geld streicht, sich mit aller Gewalt gegen ein Tempolimit sperrt und die einzelnen Bundesministerien – vor allem Bauen und Verkehr – von ihren nicht eingehaltenen Ressortzielen befreit, anstatt zu den eigentlich vorgesehenen Notmaßnahmen zu greifen. Und wenn man nichts, aber auch gar nichts Ausreichendes unternimmt, um die Folgen der Klimakatastrophe – deren Hauptakt noch nicht mal begonnen hat – zu mindern, nachdem man fleißig geholfen hat, ungebremst und ungestraft im Porsche mit 200 km/h durch das 1,5-Grad-Ziel zu krachen; wir haben Lützerath nicht vergessen.

Konkurrenz, Gleichgültigkeit, Fatalismus

Nach der Europawahl und 5 Jahre nach den Anfängen von Fridays for Future ist das Ganze sinnbildlich – eigentlich für die gesamte imperialistische Welt. So recht glaubt niemand mehr daran, die Klimakatastrophe noch abwenden zu können. Eine Krise jagt die nächste und überlagert das Thema: Corona, Ukraine, Gaza. Die beiden letzteren Kriege bedeuten ihrerseits neben allem menschlichen Leid auch enorme zusätzliche Treibhausgase.

Zudem geht das Thema im verschärften Konkurrenzkampf der Großmächte unter. Was juckt der Zustand der Welt in 50 Jahren, wenn es jetzt um Absatzmärkte, Ressourcen und Profite geht? Längst hat sich der sowieso noch nie adäquate Green New Deal als völlig unglaubwürdig erwiesen. Abgewählt wurde er, genauso wie die Parteien, die ihn vertreten. Die Europawahlen brachten einen Wahlsieg der Rechten, der Klimawandelleugner:innen und Klimakillerparteien – damit alles bleibt, wie es ist.

Jedoch, die Physik ist unerbittlich. „Das wird schon alles nicht so kommen!“, „Das ist Panikmache!“ lässt sich solange sagen, bis das Haus wegschwimmt, der Wald verbrennt, die Ernte ersäuft oder vertrocknet, das Wasser nicht mehr reicht, die Hitze zum Tod Tausender führt. „Dafür ist der Mensch nicht verantwortlich“ lässt sich im Kontext der Klimakrise zwar auch dann noch sagen, die Folgen dessen muss man trotzdem tragen. „Das kleine Deutschland kann das alleine eh nicht ändern!“ ist je nach Mund schon richtiger. Die Lohnabhängigen können als Individuen weitgehend tatsächlich nichts an der Klimakrise ändern, auch nicht mit dem bewusstesten und nachhaltigsten Konsum. Im Gegenteil hält, auch durch die Inflation, die Mehrheit der deutschen Arbeiter:innenklasse die Klimaziele ein. Aber was bringt das schon, wenn der CO2-Fußabdruck der Herrschenden immer größer und größer wird? Kommt der Satz „Daran kann man alleine eh nichts ändern“ aus ihrem Mund, ist das nichts anderes als eine chauvinistische Schuldabwehr und drückt die Absicht aus, so weitermachen zu können wie bisher. Es zeigt aber auch in aller Konsequenz, dass die Aufteilung der Welt in konkurrierende Mächte selbst nicht nur Haupttreiberin der Katastrophe ist, sondern auch das größte Hindernis dafür, sie zu bekämpfen. Die Klimakrise fällt auf die kapitalistische zurück und verschärft sie.

Bald schon wird sie dafür sorgen, dass das, was heute eigentlich in den Kampf gegen sie und ihre Folgen gesteckt werden müsste, in die Abwicklung ihrer Schäden – Fluten, Brände, Dürren – investiert werden muss. Pessimistische Annahmen gehen davon aus, dass die Klimakatastrophe das Welt-BIP um 37 % schrumpfen lassen wird. Zugleich werden immer größer werdende Ausgaben benötigt werden, um mit den Auswirkungen klarzukommen.

Schuld und Rechenschaft

Damit kommen wir zurück zu den Hochwassern der Gegenwart. Boris Rhein, seines Zeichens Hessischer Ministerpräsident (CDU), hätte gerne die Pflichtversicherung für Elementarschäden. Die Regierenden in Bund, Ländern und Kommunen fürchten sich also bereits vor den Kosten künftiger Katastrophen. Da wäre es doch praktisch, diese auf die Bevölkerung abzuwälzen – versichert euch mal lieber selbst! Klarer Weise wird sich die Versicherung eher die/der leisten können, die/der auch viel zu versichern hat. Wer einen Porsche in der Garage seiner Villa parkt, besitzt auch noch das Geld, beide gegen die Fluten zu versichern.

Aber was es eigentlich bräuchte, wäre ein riesiges Umbauprogramm. Städte müssten zu Schwammflächen werden, was allein in Berlin bis zu 10 Milliarden Euro kosten könnte. Hochwassergebiete müssen geschützt oder umgesiedelt und den Flüssen zurückgegeben werden. Doch im Ahrtal z. B. wird fast alles so aufgebaut, wie es vorher war. Das Eigentum an Grund und Boden ist zum Hindernis für die geworden, die es verlassen wollen oder besser sollten.

Wälder müssen repariert und naturnah aufgeforstet werden, einerseits als natürliche Klimaanlage und Regenmacher bei Hitze, andererseits als Wasserspeicher. Der Katastrophenschutz braucht einen großen Kader hauptamtlicher Kräfte. Infrastruktur muss resilienter werden. Dazu kommt alles das, was eigentlich nötig wäre, um die Klimaerwärmung möglichst gut noch abzudämpfen – Stichwort Energie-, Verkehrs-, Bauwende …

Die Kosten dafür sind so hoch, dass sie von sich aus eigentlich schon alles infrage stellen, wofür die Regierung heute Geld ausgibt und womit aktuell Profit gemacht wird. Denn es sind nicht „die Menschen“, die Schuld an der Klimakrise tragen. Es ist der Kapitalismus und die, deren Profite und Herrschaft daran hängen. Sie haben Namen. Die Linke täte gut daran, sie nicht zu vergessen. Scholz, Habeck, Lindner, Wissing, Merz, Söder, Weidel, Höcke, Piech, Quandt, Springer und Co. müssen zur Rechenschaft gezogen werden, bei jeder Flut, jeder Dürre, von jeder und jedem Einzelnen, die/der vor der Klimakatastrophe fliehen muss, am Hitzeschlag stirbt, im Hochwasser ertrinkt. Die Versäumnisse und Verschleppung der notwendigen und auch schnell machbaren Maßnahmen und ihre Verbindung zu den Konzerninteressen müssen offengelegt werden.

Sie müssen zum Zahlen gebracht werden. Und zwar nicht, indem die Fahne des Reformismus hilflos im Sturm der Krise flattert, sondern durch die Wiederentdeckung des Klassenkampfes und eines wirklich glaubwürdigen Programms gegen die Klimakrise.

Das erfordert Milliarden, die den großen Kapitalen und Reichen entrissen werden müssen – und nicht in Form von Massensteuern oder Pflichtversicherungen den Lohnabhängigen aufgehalst werden. Das erfordert einen Notplan zur Reorganisation von Produktion, Verkehr, Wohnungsbau, Energiewirtschaft, Agrarsektor, ja im Grund der gesamten Gesellschaft im Interesse der Masse der (lohnabhängigen) Bevölkerung und ökologischer Nachhaltigkeit. Und dieser kann nur funktionieren, wenn die großen Konzerne entschädigungslos enteignet werden und ein Notplan unter Kontrolle der Beschäftigten und lohnabhängigen Konsument:innen umgesetzt wird. Kurz: Es erfordert den globalen Kampf für eine sozialistische Umwälzung, um die drohende – nicht nur ökologische – Barbarei abzuwenden.