Die Asylgesetzgebung der Ampel – eine Chronologie der Niedertracht

Lukas Pfaff, Neue Internationale 284, Juli/August 2024

„Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Mit dieser Aussage hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober letzten Jahres die Titelseite des „Spiegel“ gesichert. Es war ein gern gegebenes Zugeständnis an den gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck, der zum bestimmenden Faktor der Politik der Ampelregierung geworden ist. Von der angespannten Weltlage international unter Druck gesetzt und von AfD und CDU im Innern vor sich hergetrieben, präsentiert sie sich als ausnahmsweise mal funktionierende Koalition der Willigen, wenn es darum geht, Geflüchteten das Leben zur Hölle zu machen. Im Rahmen der Abschiebeoffensive jagt seit Oktober ein Vorstoß den nächsten.

Eine unvollständige Chronologie der Niedertracht

Oktober 2023: Um unerlaubte Einreisen zu verhindern, führt Innenministerin Nancy Faeser vorübergehende Grenzkontrollen an deutschen Außengrenzen ein, die bis heute schrittweise verlängert wurden. Die FDP fordert derweil die Verlängerung um ein weiteres Jahr. Die Polizei dokumentiert eine auffällig niedrige Zahl von Asylgesuchen bei den aufgegriffenen Personen – der Verdacht auf illegale Zurückweisungen in tausenden Fällen ist berechtigt.

November 2023: Die Ministerpräsident:innen und Bundeskanzler Scholz schwören sich auf den gemeinsamen Kurs ein. Das erklärte Ziel: Deutschland so unattraktiv für Geflüchtete machen wie nur möglich. Hier erfolgt auch die Grundsteinlegung für das Rückführungsverbesserungsgesetz, das im Januar 2024 kommen wird.

Januar 2024: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) legt ohne Rechtsgrundlage die Asylverfahren palästinensischer Geflüchteter auf Eis. Dabei wäre die Entscheidungsgrundlage eigentlich vollkommen klar, da Palästinenser:innen, die aus Gaza fliehen, unter den subsidiären Schutz fallen – als akut von Verletzung und Tod bedrohte Kriegsflüchtlinge, die im eigenen Land nirgends sonst wohin flüchten können. Das Ziel ist wohl, ein Ende der Kampfhandlungen abzuwarten, um dann wieder ausweisen zu können.

Januar 2024: Der Bundestag beschließt die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Sie ergänzt das bestehende Gesetz um eine explizite Klausel über das Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel. Mit dem neuen Gesetz kann die deutsche Staatsangehörigkeit bei einem Verstoß gegen dieses mit einer Frist von zehn Jahren wieder aberkannt werden.

Januar 2024: Die Bundesregierung beschließt das Rückführungsverbesserungsgesetz, seit Februar ist es in Kraft. Es weitet die Anwendungsmöglichkeiten und Maximaldauer von Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft massiv aus. Es beschneidet das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung in Sammelunterkünften, da Polizist:innen sich auf der Suche nach abzuschiebenden Personen nun Zugang zu den Zimmern unbeteiligter Personen verschaffen dürfen. Es erleichtert das Betreten von Wohnraum bei Nacht und allgemein eine Ausweitung überfallartiger Abschiebeaktionen. Es erlaubt das Auslesen und Datensammeln von Clouddiensten und mobilen Endgeräten zur Identitätsfeststellung. Es führt die Strafbarkeit von Falschangaben im Asylverfahren ein – und ebnet damit einer Kriminalisierung von Beratungsstellen und Asylrechtsanwält:innen als Mittäter:innen den Weg. Zu guter Letzt beschneidet das Gesetz noch weiter das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, indem es die Wartedauer auf ungekürzte Leistungen und uneingeschränkte Gesundheitsversorgung von 18 auf 36 Monate erhöht.

April 2024: Mit der Bezahlkarte beschließt der Bundestag ein weiteres Diskriminierungsinstrument, um Geflüchteten das Leben madig zu machen. Das bedeutet: keine Überweisungen, eine Beschränkung von Bargeldabhebung sowie regionale Einschränkung dieser Funktion. Die Folgen für Geflüchtete sind absehbar: noch größere Stigmatisierung, ein Ausschluss von zahlreichen Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten sowie eine massive Einschränkung der Freizügigkeit und damit noch verstärkte soziale Isolation.

April 2024: Das EU-Parlament beschließt die GEAS-Reform. Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem tritt 2026 in Kraft und bezieht sich vor allem auf die EU-Außengrenzen. Es entfaltet für Deutschland deshalb vor allem an Flughäfen seine Wirkung, wo es die bisherige Gesetzgebung größtenteils ersetzen wird. Es beinhaltet verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen – auch für Kinder –, um Geflüchtete bei unbegründeten Asylanträgen schneller und direkt von der Außengrenze abschieben zu können; weiter gesenkte Standards für sichere Drittstaaten, einen deutlich härteren Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten (etwa der Türkei) und die Möglichkeit zusätzlicher Verschärfungen der nationalen Praxis im Krisenfall. Lob kommt nicht nur von SPD-Innenministerin Nancy Faeser (man feiere einen „großen und wichtigen Erfolg“), sondern auch von Außenministerin Annalena Baerbock (die EU beweise „in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit“).

Juni 2024: Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsident:innen diskutieren eine Auslagerung der Asylverfahren in Transit- oder Drittstaaten nach dem Ruandamodell und damit den bisher wohl aggressivsten Angriff auf das individuelle Asylrecht. Bei einer solchen Regelung wird jeder Mensch, der in Europa Asyl beantragt, in einen sicheren Drittstaat überführt und das Asylverfahren wird nach dortigem Recht verhandelt. Bei positivem Ausgang erhält die Asylsuchende Person Schutz vor Ort. Eine Machbarkeitsprüfung folgt, Ergebnisse werden im Herbst erwartet.

Die CDU kodifizierte diese Idee der Drittstaatenregelgung und damit die Abkehr vom Flüchtlingsschutz nach Genfer Flüchtlingskonvention und europäischem Recht in ihrem neuen Grundsatzprogramm. Konsequenterweise treiben die CDU-geführten Bundesländer gerade die Regierung mit Forderungen nach Abschiebungen nach Afghanistan vor sich her. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) will diesbezüglich gar mit den Taliban in Verhandlungen treten.

Juni 2024: Auf Vorstoß von Nancy Faeser plant die Bundesregierung eine weitere Verschärfung des Ausweisungsrechts. Menschen ohne deutschen Pass sollen bei Social-Media-Interaktionen, die die Billigung von Terrorakten nahelegen, ausgewiesen und abgeschoben werden. Rechtliche Grundlage dafür ist die Herabsetzung der Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse und eine explizite Fokussierung auf terroristische Straftaten im Gesetzestext. Rückendeckung gibt es neben der CDU auch vom grünen Koalitionspartner. Beifall gibt es auch von der Gewerkschaft der Polizei. Das Gesetz ist eindeutig auf den Genozid in Gaza zugeschnitten.

Verschärfte Flüchtlingspolitik

Bei diesen Entwicklungen werden Stimmen laut, die eine vermeintlich neue Qualität der Politik der Bundesregierung ausmachen wollen. Sie stellen zwar eine weitere Verschärfung dar, aber keinen Bruch mit der bisherigen Flüchtlingspolitik. Bereits zu seiner Einführung vor inzwischen 30 Jahren war das Asylbewerberleistungsgesetz dazu gedacht, über Leistungseinschränkungen und Schikane Menschen von der Flucht nach Deutschland abzuhalten. Der EU-Türkei-Deal, der bisher für mehr als 100.000 Schutzsuchende Entrechtung, Gewalt und Perspektivlosigkeit bedeutete, hat inzwischen 8 Jahre auf dem Buckel – und wird als Modellprojekt herangezogen, um die derzeitige Politik zu gestalten. Und parallel zu all diesen terminierbaren Maßnahmen läuft das mörderische Tagesgeschäft der Festung Europa auch ohne großes Aufsehen weiter. Von den EU-Staaten toleriert und mit Steuergeldern finanziert, darf sich der aufgeklärte Westen damit rühmen, das wohl niederträchtigste Grenzregime der Welt aufgebaut zu haben. Schüsse auf Geflüchtete an der griechisch-türkischen oder polnisch-belarusischen Grenze; gewalttätige Pushbacks und illegale, klandestine Gefängnisse auf der Balkanroute und in Polen; Flüchtlingsboote, die von der griechischen Küstenwache zurück in türkische Gewässer gezerrt werden oder, wie im Juni 2023 in Pylos, gleich unter deren wachsamen Augen im Mittelmeer versinken – mit 600 Menschen an Bord.

Die Maßnahmen zur Aussetzung der Asylverfahren für Palästinenser:innen und die Bemühungen um Abschiebungen nach Social-Media-Posts reihen sich darüber hinaus in eine Vielzahl bereits bestehender Versuche der Bundesregierung ein, die deutsche Palästinasolidarität zu kriminalisieren. Nicht zuletzt die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zeigt den Willen der Bundesregierung, die politische Verfolgung der Palästinasolidarität auch gesetzlich zu kodifizieren. Auch Kurd:innen als unterdrücktes Volk leiden derweil unter den beschlossenen Vorhaben. Eine Abschiebung in das „sichere Herkunftsland“ Türkei ist deutlich wahrscheinlicher geworden.

Klare Botschaften in Richtung Geflüchtete und Arbeiter:innenklasse

War der Koalitionsvertrag in Bezug auf Geflüchtete noch schizophren, wollte man neben mehr Rückführungen tatsächlich das vom Bundesverfassungsgericht für unzureichend befundene Asylbewerberleistungsgesetz überarbeiten, wird spätestens mit diesem Kurs klar, welche Botschaft die Bundesregierung senden will.

In Richtung Flüchtender heißt sie: „Bleibt draußen! Selbst wenn ihr nicht auf dem Weg hierher umkommt: Hier habt ihr keine würdige Existenz zu erwarten!“

Die sowieso düstere Perspektive von Geflüchteten in Deutschland war nicht trist genug. Ein Leben unter gefängnisartigen Bedingungen in Aufnahmezentren, ehe man meist dann sowieso keinen Flüchtlingsstatus erhält und abgeschoben wird oder ein elendes Leben in der Illegalität verbringt. Alternativ: bei gewährtem Flüchtlingsstatus ein Leben am untersten Ende der sozialen Hierarchie, mit den größten Drecksjobs oder in Arbeitslosigkeit mitsamt übelster Diskriminierung.

In Richtung Arbeiter:innenklasse lautet sie: „Den Flüchtlingen, die es gewagt haben, hierher zu kommen, machen wir das alltägliche Leben so hart und erniedrigend wie nur möglich. Sie sind Schuld an eurem Leid!“

Das alles müsste für die deutsche Arbeiter:innenklasse ein Skandal sein – ist es im rassistisch verhetzten Deutschland aber nicht. Dabei geht es hier nicht um ein moralisches Versagen, wie es die Brandmauerrhetorik stetig heraufbeschwört. Rassismus ist Ausdruck einer von der Barbarei der Klassengesellschaft gezüchteten Wahnvorstellung. Er ist Ausdruck einer politisch absichtlich durchgesetzten Verschärfung von Armut und Prekarisierung als Antwort auf eine wirtschaftliche Krisensituation. Es sind Kürzungen bei Bildung, Gesundheit, Klima und Sozialem, die die Menschen im Angesicht einer tristen Zukunft und mangels einer realistischen linken Alternative für genau diese Botschaft, die die Ampelregierung mit ihrer Politik sendet, empfänglich machen.

Für die Arbeiter:innenklasse werden die vermeintlichen Vorteile der rassistischen Politik jedoch damit erkauft, dass dadurch der Fortbestand eines Systems gesichert wird, in dem der Lebensstandard fast aller sinkt, ein Teil der Abgehängten dabei jedoch qua Nationalität noch härter angefasst wird. Der von Staat und bürgerlichen Medien geschürte Rassismus zeigt seine Funktion, Arbeiter:innen und Arme zu spalten und durch Aufhetzung der einen armen Schweine gegen andere arme Schweine den sozialen Kampf gegen den gemeinsamen Unterdrücker zu verhindern. Nancy Faeser verkündet derweil feierlich den Erfolg des neuerlichen Gewaltprogramms: Die Zahl der Asylanträge sei bereits gesunken.

Gemeinsamer Kampf gegen rassistische Spaltung

Dass damit jedoch keines der sozialen Probleme gelöst ist, mit denen die Lohnabhängigen im imperialistischen Deutschland derzeit konfrontiert sind, zeigt etwa die Diskussion um weitere Kürzungen im Sozialbereich, die von Christian Lindner erneut angestoßen wurde.

Solange die Lohnabhängigen die Spaltungen in ihren eigenen Reihen nicht überwinden, haben es ihre Gegner:innen leicht. Sie können sich nach und nach einzelne Fraktionen der Arbeiter:innenklasse vorknöpfen, ohne dass sie mit dem geeinten Widerstand der gesamten Klasse rechnen müssten. Allein der gemeinsame Kampf aller Lohnabhängigen und Unterdrückten könnte jedoch den notwendigen Widerstand erzeugen, um die noch drohenden Angriffe der Herrschenden abzuwehren.

Es kommt somit für die Arbeiter:innenklasse darauf an, eine gemeinsame Front gegen die Angriffe der Herrschenden aufzubauen – und zwar nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt. Eine solche Einheitsfront müsste möglichst alle Organisationen, Parteien und Gewerkschaften umfassen, die sich auf die Arbeiter:innenklasse, die Migrant:innen, die Unterdrückten stützen, und für konkrete Forderungen im Interesse der gesamten Klasse kämpfen. Zentral ist dabei der Kampf für gleiche Rechte, offene Grenzen, höhere Löhne und den Erhalt bzw. Ausbau der Sozialleistungen.