Pakistan: Stoppt den rassistischen Krieg gegen afghanische Flüchtlinge!
Minerwa Tahir, Infomail 1233, 13. Oktober 2023
Am 1. Oktober stellte die pakistanische Regierung schätzungsweise 1,7 Millionen afghanischen Flüchtlingen, von denen viele vor der Verfolgung durch die Taliban geflohen sind, ein Ultimatum, innerhalb eines Monats die Landesgrenzen zu verlassen. Denjenigen, die dies nicht tun würden, drohten Haft und Abschiebung. Bis zum 9. Oktober hatten die Behörden der Provinz Sindh bereits 1.700 Afghan:innen, die sich „illegal“ in Karatschi aufhielten, festgenommen. Die Entscheidung wurde in einer Sitzung des Apex-Komitees (des Nationalen Aktionsplans) unter der Leitung des geschäftsführenden Premierministers Anwar ul Haq Kakar getroffen, an der u. a. der Generalstabschef der Armee, General Asim Munir, Bundesminister:innen und die Ministerpräsident:innen der Provinzen teilnahmen.
Die Regierung beschloss, dass für den Grenzverkehr zwischen Pakistan und Afghanistan Pässe und Visa erforderlich sind und die elektronischen afghanischen Personalausweise, die so genannten E-Tazkiras, nach dem 31. Oktober nicht mehr akzeptiert werden. Nach Ablauf dieser Frist würde eine Operation beginnen, die sich gegen illegale Immobilien und Unternehmen richtet, die Migrant:innen gehören oder in Zusammenarbeit mit pakistanischen Staatsangehörigen betrieben werden. Offensichtlich hat die Regierung die Frist nicht abgewartet und mit Maßnahmen gegen eine bereits vertriebene Bevölkerung begonnen.
Die Lage in Afghanistan
In Afghanistan hat die Übernahme von Kabul durch die Taliban nach dem Abzug der US-geführten Truppen im August 2021 die ohnehin schon große Instabilität und Gewalt im Land noch verstärkt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind mindestens 8,2 Millionen Afghan:innen durch Konflikte, Gewalt und Armut vertrieben worden und haben in 103 verschiedenen Ländern Zuflucht gesucht. Nach Syrer:innen und Ukrainer:innen stellen die Afghan:innen die drittgrößte vertriebene Bevölkerungsgruppe der Welt. Pakistan und der Iran beherbergen derzeit die größte Zahl der Vertriebenen. Im Gegensatz zu den ukrainischen Flüchtlingen ist diese Lebensweise für die afghanischen nicht neu, da ihre Region seit vier Jahrzehnten von Konflikten und Instabilität geprägt ist. Hunger, Auszehrung und Menschenrechtsverletzungen nehmen zu.
Im Jahr 2023 sind 20 Millionen Afghan:innen von akutem Hunger bedroht, wobei 6 Millionen Menschen nur einen Schritt von der Hungersnot entfernt sind. Eine Rekordzahl von 28,3 Millionen Bewohner:innen benötigt im Jahr 2023 humanitäre Hilfe und Schutz, was einen drastischen Anstieg gegenüber 24,4 Millionen im Jahr 2022 und 18,4 Millionen Anfang 2021 darstellt. In Afghanistan hat die Verschuldung zugenommen, sowohl was die Zahl der verschuldeten Personen (82 Prozent aller Haushalte) als auch die Höhe der Schulden (etwa 11 Prozent mehr als im Vorjahr) betrifft. Darüber hinaus hat die fundamentalistische Regierung dafür gesorgt, dass Afghanistan für niemanden mehr eine Heimat ist, der/die seinen/ihren Töchtern das gleiche Leben wie seinen/ihren Söhnen bieten möchte. Erschwerend kommt hinzu, dass Naturkatastrophen ihren Teil zum Elend beigetragen haben. Im Juni 2022 wurden bei dem schwersten Erdbeben, das das Land in den letzten 20 Jahren heimgesucht hat, mindestens 1.000 Menschen getötet und viele weitere verletzt. In diesem Jahr sind bereits über 2.400 Einwohner:innen ums Leben gekommen, und viele weitere sterben noch immer, da der Westen Afghanistans von einem weiteren schweren Erdbeben heimgesucht wurde.
Man würde erwarten, dass die Berichte über die erneut zu Tausenden vertriebenen Afghan:innen die Haltung der pakistanischen Regierung, wenn auch nur vorübergehend, aufweichen würden. Doch nichts davon ist geschehen. Obwohl die Vereinten Nationen das Regime in Islamabad dringend aufforderten, die Risiken einer Zwangsrückführung von Flüchtlingen nach Afghanistan zu bedenken, hielt die pakistanische Regierung an ihrer Entscheidung fest. Während die pakistanischen Beweggründe für sich genommen reaktionär sind, verfolgen die imperialistischen Staaten, die die UNO dominieren, ihre eigenen Ziele, wenn sie Pakistan drängen, die Afghan:innen zu behalten. Schließlich will keines der imperialistischen Zentren afghanische Flüchtlinge aufnehmen, die vor den Folgen eines jahrzehntelangen Krieges fliehen, für den diese Staaten direkt verantwortlich sind.
Die Argumentation der pakistanischen Regierung und die Reaktion der Taliban
Nach den jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen sind rund 1,3 Millionen Afghan:innen als Flüchtlinge in Pakistan registriert und weitere 880.000 verfügen über einen legalen Aufenthaltsstatus. Die Regierung behauptet jedoch, dass sich weitere 1,73 Millionen aus dem Nachbarland illegal in Pakistan aufhalten. Nach Angaben des Innenministers der geschäftsführenden Regierung, Sarfraz Bugti, beläuft sich die Zahl der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan auf insgesamt 4,4 Millionen. Er erklärte, die Regierung habe die Entscheidung, afghanische Flüchtlinge auszuweisen, angesichts der zunehmenden Angriffe militanter Islamisten getroffen.
Die Ausweisungen sollen in mehreren Phasen erfolgen. „In der ersten Phase werden illegal ansässige Personen, in der zweiten Phase solche mit afghanischer Staatsbürgerschaft und in der dritten Phase mit nachgewiesener Aufenthaltsgenehmigung ausgewiesen“, heißt es in dem Bericht, der hinzufügt, dass diese Ausländer:innen „eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit Pakistans darstellen“.
Bugti erklärte, dass „das Wohlergehen und die Sicherheit eines/r Pakistaner:in für uns wichtiger sind als jedes andere Land oder dessen Politik. Die erste Entscheidung, die wir getroffen haben, betrifft unsere illegalen Einwanderer:innen, die sich auf illegale Weise in Pakistan aufhalten. Wir haben ihnen eine Frist bis zum 1. November gesetzt, um freiwillig in ihre Länder zurückzukehren, und wenn sie das nicht tun, werden alle Strafverfolgungsbehörden des Staates und der Provinzen sie abschieben.“ Bugti fügte hinzu, dass die Einreise ohne Pass oder Visum in kein anderes Land der Welt erlaubt sei.
Die Regierung teilte außerdem mit, dass eine universelle Notrufnummer und ein Webportal eingerichtet werden, über die Bürger:innen anonym Informationen über illegale Ausweise, illegale Migration und andere illegale Praktiken wie Schmuggel und Horten von Geld weitergeben können. Im Rahmen eines solchen Programms würden auch Belohnungen für diese Denunziation festgelegt werden. Man kann sich gut vorstellen, was für eine rassistische Katastrophe dies in einem Land wäre, in dem die meisten mit hungrigen Mägen schlafen! Es könnte außerdem auch dazu benutzt werden, persönliche Rechnungen zu begleichen.
Bugti behauptete, dass seit Januar 24 Selbstmordattentate verübt wurden, davon 14 von afghanischen Staatsangehörigen, darunter die jüngsten Anschläge auf eine Polizeistation und die dazugehörige Moschee im Distrikt Hangu in Khyber-Pakhtunkhwa, bei denen fünf Menschen getötet wurden, sowie die Explosion in einer Moschee in Peschawar auf einem Hochsicherheitsgelände, auf dem sich u. a. das Hauptquartier der Provinzpolizei und eine Abteilung für Terrorismusbekämpfung befinden, bei der 59 Menschen getötet wurden.
Am nächsten Tag schrieb der Pressesprecher der afghanischen Taliban, Zabiullah Mudschahid, auf X (früher: Twitter), dass Pakistans Verhalten „gegen afghanische Flüchtlinge inakzeptabel“ sei. Er fügte hinzu: „Die pakistanische Seite sollte ihren Plan noch einmal überdenken. Die afghanischen Flüchtlinge sind nicht in die Sicherheitsprobleme Pakistans verwickelt. Bis sie Pakistan freiwillig verlassen, sollte das Land sie tolerieren.“
Auch die Vereinten Nationen stellen sich nicht hinter die pakistanische Regierung. Sie haben angeboten, Pakistan bei der Einrichtung eines Systems zur Überwachung und Erfassung von Personen, die innerhalb seiner Grenzen internationalen Schutz suchen, zu unterstützen und „spezifische Schwachstellen“ zu beseitigen. Inzwischen haben Afghan:innen berichtet, dass sie wahllos verhaftet werden.
Warum jetzt?
Jahrelang hat Pakistan die Taliban als beste Option für Pakistan als Herrscher Afghanistans favorisiert, aber die Beziehungen haben sich in den letzten Jahren abgenutzt. Der Hauptvorwurf des pakistanischen Staates lautet, dass die Islamisten, die den pakistanischen Staat bekämpfen, ihre Operationen von afghanischem Boden aus durchführen, wo ihre Kämpfer ausgebildet und Anschläge in Pakistan geplant werden. Die Taliban bestreiten diese Anschuldigungen und behaupten, dass Pakistans Sicherheitsprobleme hausgemacht sind. Unterdessen hat die Tehrik-i-Taliban Pakistan (Bewegung der pakistanischen Taliban; TTP), eine sunnitische militante Hardlinergruppe, ihren Waffenstillstand mit der pakistanischen Regierung im November letzten Jahres beendet.
Seitdem hat die Gewalt in Pakistan einen ungewöhnlichen Aufschwung erlebt. Tatsache ist, dass alle Akteure in der Region, seien es die Halbkolonien wie Pakistan, Indien, Afghanistan und Iran oder imperialistische Mächte wie die USA, Russland und China, häufig die eine oder andere islamistische oder anderweitig militante Gruppe in der Region unterstützen. Es ist ein offenes Geheimnis, denn die Führer:innen fast aller Länder haben dies zu einem bestimmten Zeitpunkt zugegeben. Das Problem besteht darin, dass a) die gesamte Bevölkerung eines Landes in einen Topf geworfen wird und b) diese Zugehörigkeiten nur zu bestimmten Zeitpunkten zum Problem geraten, nämlich dann, wenn sie lästig werden.
Pakistan wird derzeit von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet, die seit August im Amt ist, um die bevorstehenden Wahlen zu überwachen. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Instabilität, die in Pakistan herrscht, konnte das Militär in der gegenwärtigen Situation noch mehr Einfluss als üblich ausüben. Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise und seine Wirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die Covidpandemie, die Überschwemmungen von 2022, die allgemeine Verschuldung bei den imperialistischen Gendarmen IWF und Weltbank und deren neoliberales Diktat, eine abwertende Währung und ein allgemeiner Anstieg der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der Terroranschläge sind alles Faktoren, die die Massen des verarmten Landes in einen Zustand schweren Leidens und Aufruhrs versetzt haben.
Selbst die Mittelschicht kämpft ums Überleben, da Lebens- und Grundnahrungsmittel unerschwinglich und unzugänglich geworden sind. In dieser Situation liegt es im Interesse der herrschenden Klassen, die Massen vom Klassenkampf abzulenken, der der Kern ihres Leidens ist, und sie in eine fremdenfeindliche Kampagne gegen ein leichtes Ziel zu verwickeln. Afghan:innen sind seit langem in der pakistanischen Region präsent. Historisch gesehen gab es während der Kolonialzeit viele Bewegungen auf der Suche nach Arbeit. Aufgrund des imperialistischen Krieges und des damit verbundenen Leids nahm diese Bewegung um ein Vielfaches zu. Pakistan war einer der Hauptakteure im so genannten Krieg gegen den Terror und erhielt zudem massive Finanzmittel von den imperialistischen Mächten. Das Mindeste, was es dann tun sollte, war die Aufnahme von Tausenden, die vor Verfolgung und Krieg flohen. Nach dem 11. September kamen afghanische Flüchtlinge massenhaft nach Pakistan und stützten sich dabei auf ihre verwandtschaftlichen Beziehungen über die poröse, gebirgige Grenze.
Heute leben sie zumeist entweder als Kleinunternehmer:innen – vor allem als Betreiber:innen von Teeläden und als Leiter:innen von Bustransitstrecken neben anderen ähnlichen Berufen – oder als Gelegenheitsarbeiter:innen oder als obdachlose Bettler:innen. Inzwischen hat auch eine Reihe von Angehörigen der Intelligenz in Pakistan Zuflucht gesucht, in der Hoffnung, dass imperialistische Mächte wie das Vereinigte Königreich und Deutschland ihre Versprechen einlösen und ihnen, auf pakistanischem Boden angelangt, Visa gewähren würden. Angesichts der Tatsache, dass Afghan:innen in der Vergangenheit keinen Teil des Großkapitals in Pakistan ausmachten, ist es nicht verwunderlich, dass sie heute der Sündenbock für eine herrschende Klasse sind, die darum kämpft, so zu herrschen, wie sie früher herrschte.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die pakistanische Wut gegenüber Afghanistan ist der Transithandel durch Pakistan. Laut der Tageszeitung Dawn „wurde der afghanische Transithandel schon immer von Händler:innen beider Länder zum Schmuggel missbraucht. Berichten zufolge werden Transitladungen oft von den Häfen direkt auf pakistanische Märkte umgeleitet, bevor sie die Grenze überqueren.“ Der Leitartikel fügt hinzu, dass der Wert dieses afghanischen Transithandels von vier Milliarden US-Dollar im Vorjahr auf 6,7 Milliarden in diesem Jahr gestiegen ist und der Wert der im Rahmen der Transitfracht geschmuggelten Güter um 63 Prozent auf 3,7 Milliarden zugenommen hat. Da die pakistanische Wirtschaft am Rande des Zusammenbruchs steht, ist Pakistan natürlich nicht glücklich über die Milliarden, die der afghanische Handel angeblich eingebracht hat.
Der vielleicht wichtigste Grund ist jedoch, dass der pakistanische Staat gehofft hatte, Afghanistan auf der geopolitischen Ebene in seinem Einflussbereich zu halten, und nun die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge als Strafmaßnahme gegen seinen widerspenstigen Nachbarn einsetzt, von dem er befürchtet, dass er mit einem Bein in Indiens Boot sitzt. Die wachsende Annäherung Afghanistans an Indien hat in Pakistan einen saueren Beigeschmack hinterlassen. Das von den Taliban beherrschte Afghanistan hat den Kaschmirkonflikt als bilaterale Angelegenheit zwischen Indien und Pakistan bezeichnet und zu den Gräueltaten in dem überwiegend muslimischen Tal geschwiegen. In diesem Jahr lieferte Indien über den iranischen Hafen Tschahbahar am Golf von Oman 20.000 Tonnen Weizen in das eingeschlossene Land, das mit einer extremen Nahrungsmittelkrise zu kämpfen hat, gefolgt von 40.000 Tonnen, die im vergangenen Jahr über die pakistanischen Landwege verschickt wurden. Indien schickte auch medizinische Hilfsgüter nach Afghanistan und hat auch sein diplomatisches Engagement gegenüber der Talibanregierung fortgesetzt und seine Botschaft in Kabul wiedereröffnet. Indien hat in seinem Haushalt 2023-24 25 Millionen US-Dollar für Entwicklungshilfe für Afghanistan vorgesehen, was von den Taliban begrüßt wird.
Es versteht sich von selbst, dass die islamfeindliche Hindutva-Regierung in Delhi eine ausgewogene Nähe zur islamistisch-fundamentalistischen Regierung in Kabul in erster Linie auf der Grundlage regionaler Interessen pflegt. (Dies wird umso deutlicher, wenn man sieht, wie Indien nach der Machtübernahme durch die Taliban nicht nur keine Visa mehr an afghanische Student:innen ausstellt, sondern am 25. August 2021 auch die Visa derjenigen annullierte, die zwar ein Visum erhalten hatten, sich aber nicht in Indien aufhielten.) Bei diesen Interessen geht es nicht nur darum, den Einflussbereich Pakistans auszuschalten, sondern vor allem auch den des weitaus stärkeren Rivalen China. Chinas Botschafter in Kabul, Zhao Xing, wurde im vergangenen Monat von den Taliban sehr herzlich empfangen, und beide Länder haben den gegenseitigen Wunsch nach engeren Beziehungen, vor allem geschäftlichen, geäußert. Dies bedroht Indiens Investitionen in Afghanistan, die es während der Herrschaft der Marionettenregierung von Aschraf Ghani getätigt hatte, was möglicherweise der Grund dafür ist, dass Indien sich so aufführen musste, dass es die Islamophobie beiseiteschob und mit Kabul über Geschäfte sprechen musste.
Dennoch zeigt sich Islamabad nicht begeistert. Es ist sich auch bewusst, dass die Wirtschaft Afghanistans mit seiner international immer noch nicht anerkannten Regierung, den eingefrorenen Vermögenswerten, der hungerähnlichen Situation und der hohen Verschuldung die Last der Rückkehr von einer Million Flüchtlingen nicht tragen könnte. Das zeigt auch die Reaktion des Talibansprechers auf die Entscheidung aus Pakistan.
Was das für afghanische Flüchtlinge bedeutet
Die Schikanen gegenüber afghanischen Flüchtlingen sind in Pakistan nichts Neues, sie tragen jetzt nur einen rechtlichen Deckmantel. Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, forderte Amnesty International die pakistanische Regierung auf, die willkürliche Verhaftung und Schikanen gegen afghanische Flüchtlinge und Asylsuchende einzustellen. Nach der Machtübernahme der Taliban floh eine große Zahl von Flüchtlingen nach Pakistan. Angaben von Amnesty International zufolge kamen viele von ihnen mit regulären Visa nach Pakistan, die inzwischen abgelaufen sind (und um sie zu verlängern, müssen sie erneut nach Afghanistan einreisen), und wegen erheblicher Verzögerungen im Registrierungsverfahren sind die meisten nicht im Besitz einer „Registrierungsachweiskarte“, dem Ausweis, der afghanische Flüchtlinge zu einem regulären Aufenthalt in Pakistan berechtigt. Neben der Beteuerung freundschaftlicher nachbarschaftlicher Beziehungen, um seinen Einflussbereich zu erweitern, hat Pakistan diese Flüchtlinge wahrscheinlich auch in der Hoffnung auf internationale Hilfe aufgenommen.
Seit ihrer massenhaften Ankunft im August 2021 sind die Afghan:innen nicht nur Schikanen und willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt, sondern auch Erpressung und Arbeitslosigkeit. Ohne Dokumente, mit denen sie ihren Rechtsstatus nachweisen können, ist es für die Behörden leichter, nach oder unter Androhung einer willkürlichen Verhaftung Geld von ihnen zu erpressen. Ebenso führt das Fehlen von Dokumenten dazu, dass sie in schlecht bezahlten prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen, da eine formelle Beschäftigung keine Option ist. Ohne einen Registrierungsnachweis können sie keine Bankkonten einrichten oder ihre SIM-Karten registrieren lassen. Auch Vermieter:innen und Immobilienmakler:innen nutzen das Fehlen eines Nachweises über ihren regulären Status aus.
Die Verlängerung eines abgelaufenen Visums bedeutet, dass die Afghan:innen erneut nach Afghanistan einreisen müssen, um ein neues zu erhalten. Für viele, insbesondere Frauen und geschlechtliche Minderheiten, Journalist:innen, Aktivist:innen, Schiit:innen, Musiker:innen und fortschrittliche Menschen, ist dies keine Option. Daher haben sie sich dafür entschieden, unterzutauchen und in Pakistan ein Leben in prekären Verhältnissen zu führen.
Da Pakistan die Flüchtlingskonvention von 1951 und das dazugehörige Protokoll von 1967 nicht angenommen hat, das laut der in Karatschi ansässigen Anwältin Moniza Kakar „Staaten daran hindert, Menschen zu bestrafen, die illegal in ein Land einreisen“, kann es sich auf das inländische Ausländergesetz von 1946 berufen, um Afghan:innen, die sich illegal in Pakistan aufhalten, zu bestrafen und auszuweisen. Offensichtlich steckt Pakistan immer noch in der Barbarei der Kolonialzeit fest!
In ganz Pakistan, vor allem aber an den Gerichten Sindhs, herrscht die Meinung vor, dass Afghan:innen keine humanitäre Hilfe verdienen, weil sie „Kriminelle“ sind und in „terroristische Aktivitäten“ verwickelt. Dieses rassistische Schema gilt nicht nur für Afghan:innen, auch ihre paschtunischen Cousin:innen werden nicht verschont. Die Motivation für die Ermordung von Naqeebullah Mehsud, die die Pashtun Tahaffuz Movement (Bewegung zum Schutz der Paschtun:innen) ausgelöst hat, war genau dieselbe. Diese rassistische Diskriminierung und Feindseligkeit ist in allen pakistanischen Einrichtungen weit verbreitet – in Krankenhäusern, an Schulen, Hochschulen und Universitäten, am Arbeitsplatz, in den Stadtvierteln, vor Gericht und auf den Polizeistationen.
Deshalb müssen wir gegen alle derartigen Ressentiments ankämpfen. Afghan:innen, die vor der reaktionären Talibanregierung Asyl suchen, haben keinen Grund, sich in Selbstmordwesten in die Luft zu sprengen. Sie sind Opfer von Verfolgung und fliehen aus ihrer Heimat, um Zuflucht und Schutz zu finden. Die Vorstellung, dass sie ihre Heimat nur verlassen haben, um Pakistan bombardieren zu können, ist bizarr. Das Leid der großen Mehrheit der vertriebenen Afghan:innen, die erst durch den imperialistischen Krieg in ihrem Land, dann durch die Taliban und jetzt durch Pakistan und andere Aufnahmeländer bestraft wurden, muss jetzt ein Ende haben. Länder wie Deutschland haben auch nicht gerade eine andere Rolle gespielt. Die Dringlichkeit, die bei der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge an den Tag gelegt wurde, fehlte eindeutig im Fall der Afghan:innen. Das Verfahren, um Flüchtlinge von dort über Pakistan nach Deutschland zu bringen, war von vornherein so mühsam und kompliziert, wie für Migrant:innen mit muslimischem Hintergrund fast alles ist, was die Einwanderungsbürokratie betrifft. Bei anderen imperialistischen Ländern liegt der Fall nicht viel anders.
Aufgaben und Forderungen
Der pakistanische Staat sieht sich selbst als Fackelträger islamischer Prinzipien und ist gekränkt, wenn Muslim:innen in Palästina oder Indien leiden müssen. Interessant ist jedoch, dass diese Sichtweise nicht auf die große Mehrheit der Muslim:innen in Afghanistan angewandt wird.
Kurz gesagt, die afghanischen Flüchtlinge befinden sich in einem ähnlichen Dilemma wie die Menschen im Gazastreifen heute. Sie können nirgendwo hin. Außerdem will sie kein Land aufnehmen, und die meisten von ihnen können einfach nicht in ihr Heimatland zurückkehren, solange die Taliban an der Macht sind. Die Aufgaben, die sich aus der gegebenen Situation für die Sozialist:innen ergeben, sind daher zweifach. Wir haben nicht nur die Pflicht, das Recht der armen afghanischen Flüchtlingsfamilien zu verteidigen, in den Nachbarländern zu bleiben, d. h. in Pakistan, China, Indien, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan sowie in Europa, Nordamerika und Australien.
Wir stehen auch vor der Aufgabe, unseren fortschrittlichen Brüdern und Schwestern, insbesondere den mutigen Frauen in Afghanistan, internationale Solidarität und praktische Unterstützung zu gewähren, damit sie das reaktionäre Regime der Taliban stürzen können. Für eine solche Unterstützung ist es notwendig, die Grenzen nicht zu verstärken, sondern abzubauen. Das liegt auch im Interesse der werktätigen Massen in allen Nachbarländern Afghanistans. Der Schlachtruf für die Verwirklichung dieser permanenten Revolution wird lauten: „Sagt es laut, sagt es deutlich, alle Afghan:innen sind hier willkommen“. Die folgenden Forderungen können einen Ausgangspunkt für ein Aktionsprogramm zur Überwindung der gegenwärtigen Situation bilden:
- Afghan:innen müssen in jedem Land, in dem sie sich aufhalten, die gleichen Bürger:innenrechte erhalten! Nein zur Diskriminierung von Flüchtlingen, die durch imperialistischen Krieg, Hunger und Talibanherrschaft vertrieben wurden!
- Die europäischen und nordamerikanischen imperialistischen Zentren, die jahrzehntelang direkt in den Krieg in Afghanistan verwickelt waren, haben das Leben und die Infrastruktur in Afghanistan massiv zerstört. Sie müssen jetzt Reparationen zahlen, um das Land wieder aufzubauen!
- Die imperialistischen Mächte müssen allen Afghan:innen, die in der ganzen Welt vertrieben wurden, sofort die Staatsbürger:innenschaft und gleiche Rechte gewähren! Sie haben es nicht verdient, ein Leben im Elend in halbkolonialen Slums zu führen, nachdem sie durch Kriege vertrieben wurden, die diese Mächte selbst verursacht und von denen sie profitiert haben!
- Die imperialistischen Mächte, die die afghanischen Reserven eingefroren haben, sind direkt für das Aushungern der afghanischen Massen verantwortlich. Gebt die Reserven der afghanischen Zentralbank jetzt frei!
- Verschuldung ist eine koloniale Falle. Streicht die Schulden von Afghanistan, Pakistan und allen halbkolonialen Ländern jetzt!