Duell um den SPÖ-Vorsitz: Wie weiter nach Bablers Erfolg?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1223, 25. Mai 2023

Das Ergebnis der Mitgliederbefragung für die Vorsitzwahl der SPÖ ist da und es gleicht einem leichten Erdbeben, welches die Partei vielleicht nicht erschüttert, aber zumindest kräftig durchrüttelt. Der burgenländische Landeshauptmann und Parteirechte Hans Peter Doskozil belegt mit 33,68 % der Stimmen den ersten Platz, knapp darauf Andreas Babler, der Parteilinke und Bürgermeister von Traiskirchen, mit 31,51 %, dicht gefolgt von der bisherigen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner mit 31,35 % (die übrigen Stimmen waren ungültig). Unklarer könnte das Ergebnis nicht sein – eine Misere für den Parteiapparat, welcher die Mitgliederbefragung organisiert hatte, um den Richtungsstreit ein für alle Mal zu beenden.

Während der Doskozil-Flügel den Sieg sofort für sich beanspruchte und Rendi-Wagner ihren Rückzug ankündigte, forderte der „Parteirebell“ Babler eine Stichwahl unter der Mitgliedschaft. Und das aus gutem Grund, denn das Wahlergebnis ist nicht nur verdammt knapp, sondern es ist gut möglich, dass der außerordentliche Delegiertenparteitag am 3. Juni den angeblichen Sieg von Doskozil aus Angst vor einem Linksruck bestätigt. Für dieses Szenario sprechen auch schon die ersten Stellungnahmen der Landesparteichef:innen. Den Vorstoß führte gleich der Salzburger Landeshauptmann und erklärte „Freund von Doskozils Politik“, David Egger-Kranzinger, welcher mit seinem Kurs gerade erst die Landtagswahl in Salzburg versemmelt hatte. Das Ergebnis stehe fest und er gehe davon aus, dass die Delegierten auf dem Parteitag dem Ergebnis der Befragung folgen würden. In dasselbe Horn stoßen die Vorsitzenden aus der Steiermark, Niederösterreich, Oberösterreich und selbstverständlich aus dem Burgenland. Jene aus Kärnten und Tirol haben noch keine Wahlempfehlung ausgesprochen. Nur die Vorsitzende aus Vorarlberg, Gabriele Sprickler-Falschlunger, die sich ursprünglich für Rendi-Wagner positioniert hatte, sprach sich schnell für Andreas Babler und eine Stichwahl aus. In der „Zeit im Bild 2“ (österreichische Fernsehnachrichtensendung) rückte schließlich der Doskozil-getreue, ehemalige Bundesgeschäftsführer Maximilian Lercher aus, um klarzustellen, dass eine Stichwahl „de facto“ nicht stattfinden werde, obwohl das Parteipräsidium ja dem unklaren Ergebnis hätte Rechnung tragen können, indem es doch noch einen Mitgliederentscheid organisiert. Dafür plädierte offenbar der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der sich ebenfalls für Rendi-Wagner eingesetzt hatte. Der rechte Parteiflügel konnte diese Option im Parteipräsidium verhindern, nicht aber den Sieg endgültig für Doskozil beanspruchen. Es wird also zu einem Duell auf dem Parteitag kommen.

Die Linken in der SPÖ

Den Linken innerhalb und außerhalb von Sozialdemokratie und Gewerkschaften kann die Vorsitzwahl nicht egal sein. Hans Peter Doskozil steht für eine weitere Verschiebung der Sozialdemokratie nach rechts durch einen härteren Kurs in der Migrations- und Asylpolitik und eine Stärkung des staatlichen Repressionsapparats. „Integration vor Neuzuzug“, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, Aushandeln von „Rückführungsabkommen“ und mehr Polizei sind euphemistische Bezeichnungen für eine stärkere Abriegelung Europas und mehr Abschiebungen. Gekoppelt wird das mit durchaus progressiven Forderungen wie einem Mindestlohn von 2.000 Euro netto, besserer Gesundheitsversorgung, Grundrecht auf Pflege, Kindergrundsicherung usw. Mit dieser typisch sozialchauvinistischen Politik (soziale Reformen im Interesse der Lohnabhängigen kombiniert mit nationalistischer Ausgrenzung) möchte Doskozil der FPÖ Konkurrenz machen, um eine Neuauflage von Schwarz-Blau zu verhindern. Wir haben in der Vergangenheit schon zu oft gesehen, wie eine Anbiederung nach rechts im Endeffekt nur rechte Politik stärkt und den offen rassistischen Parteien nützt.

Babler hingegen steht gegen eine solche Anbiederung und für eine stärkere Ausrichtung nach links. Er möchte eine „Bewegung von unten“ schaffen, eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich (was Doskozil ablehnt) und „die Systemfrage stellen“. Mit seinem Wahlerfolg ohne Landespartei im Rücken und einer „Basistour“ durch Österreich hat er gezeigt, dass er die einfachen Mitglieder der SPÖ erreichen und aktivieren kann. Er könnte die Sozialdemokratie zu einer Partei machen, die verstärkt für die Interessen der Lohnabhängigen eintritt und auf die tatsächliche Organisierung der Arbeiter:innenklasse achtet. Er könnte linke Positionen in die Öffentlichkeit bringen und ein Gegengewicht zur rechten Hetze bilden. Das zeigt zumindest seine Arbeit als Bürgermeister von Traiskirchen, wo er am Ort eines der wichtigsten Asylzentren die FPÖ in Schach hält. Auch wenn sich Babler sogar positiv auf den Marxismus bezieht, muss jedoch klar sein, dass er ein Reformist bleibt. Seine Politik geht über soziale Verbesserungen im Rahmen des Kapitalismus nicht hinaus, was angesichts der umfänglichen kapitalistischen Krise letztlich eine Utopie ist. Tatsächlich stellt er die „Systemfrage“ auch nicht in der Form, in der sie gestellt werden müsste, nämlich als Entscheidung zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Bei der Vorsitzwahl geht es also um die Frage einer möglichen Linksverschiebung der österreichischen Sozialdemokratie, einer potentiellen Aktivierung der österreichischen Arbeiter:innenbewegung und der Möglichkeit des Kampfes um eine Arbeiter:innenpartei. Wenn Babler gewinnt und sich nicht mit dem Parteiestablishment und dem Doskozillager aussöhnt, geht die Auseinandersetzung in die dritte, lange Runde. Denn wir haben schon bei der Labour Party in Großbritannien gesehen, wie der Linksreformist Jeremy Corbyn aus der eigenen Partei heraus sabotiert und abgesägt wurde. Linke Sozialdemokrat:innen müssen die Gelegenheit nutzen, sich als linker Flügel zu organisieren. Nur so besteht überhaupt der Hauch einer Chance, die Sozialdemokratie zu erneuern.

Bei allem Optimismus der letzten Wochen und Tage ist es jedoch sehr gut möglich, dass sich die Parteirechte auf dem Bundesparteitag durchsetzt. Viel hängt offenbar davon ab, wie sich die Wiener Delegierten entscheiden werden. In diesem Fall, in dem sich ein linker Flügel wohl noch nicht formiert hat und das vermutlich dann auch nicht mehr tun wird, lautet die Frage, wie eine Demoralisierung und Passivierung von Zehntausenden verhindert werden kann, die nun Hoffnungen auf linke Politik gehegt haben.

Für alle ehrlichen Anhänger:innen von Babler und die organisierten linken Kräfte, die hinter ihm standen, muss klar sein, dass ihre Politik in einer von Doskozil geführten Partei keinen Platz haben wird. Gleichzeitig sehen wir heute, dass das Potenzial für eine Kraft links der SPÖ so groß ist wie noch nie. Das haben zuletzt auch die Wahlerfolge der KPÖ gezeigt. Wenn sich Doskozil am Parteitag durchsetzt, braucht es ein Zusammenkommen aller Linken in Österreich, um über eine neue, klassenkämpferische Arbeiter:innenpartei zu diskutieren. Babler, KPÖ, LINKS und die außerparlamentarische Linke könnten die Chance ergreifen, die mehr als ein Jahrhundert alte Dominanz des Reformismus und der Sozialdemokratie in Österreich ernsthaft in Gefahr zu bringen. Es braucht eine ehrliche und offene Diskussion darüber, wie wir in Österreich dem Kapital und seiner Regierung wirksam etwas entgegensetzen können. Wenn diese Chance vertan wird, werden rechte Kräfte wie die FPÖ nur weiter von der Krise und der Unzufriedenheit der Menschen profitieren.