Konversion der Autoindustrie – eine Frage des Plans

Leo Drais, Neue Internationale 273, Mai 2023

Von der Fläche her ist es die größte Fabrik der Welt – das VW-Werk bei Wolfsburg. Ursprünglich gebaut von den Nazis, finanziert mit Geld, das die NSDAP von den verbotenen Gewerkschaften raubte. Nach dem Krieg wurde aus dem Kraft-durch-Freude-Wagen der Volkswagen. Außer dem geänderten Namen sah der VW Käfer genauso aus wie in Hitlers Massenmotorisierungsträumen. Wirklichkeit wurde das, was mal als Größenwahn galt – jedem Mann ein Auto, das Land zerschnitten von Asphalt – spätestens ab den 1960er Jahren, Nachkriegswestdeutschland beerbte Nazideutschland.

Geerbt wurde ein zerbombtes Land. Die Städte in Schutt und Asche boten Gelegenheit, gründlich aufzuräumen. Straßen breit machen, weg mit den lästigen Schienen und ab damit unter die Erde. Die Straßenbahn wurde zur U-Bahn, der Platz für die autofreundliche Stadt war frei. Die Kinder zäunte man ein, wo sie den zum Dosenfleisch gewordenen deutschen Mann der 1960er Jahre bei seinen PS-Spielen nicht störten. Der Spielplatz war geboren und wo sonst noch etwas Grün frei war, da passte doch viel besser ein Parkhaus hin.

Der Käfer wurde zum Symbol des Wiederaufbaus und machte das Vergessen leichter. Wer denkt schon an Auschwitz, wenn man so wunderbar gedankenverloren durch die grünen Wälder braust?

Auch das war Hitlers Erbe, der die Idee von Ford geklaut hatte: Man kette den Menschen ans Fließband, wo er sich für den Konzern oder den Staat abrackert, aber nach Feierabend darf er in seinem in Raten abzuzahlenden Automobil allen Frust auslassen, alles vergessen, Spaß haben, Freude am Fahren, ein bisschen den Wind schnuppern, der ihn glauben lässt, er sei frei.

Ideologisiertes, mystifiziertes – Blech

Dabei ist diese Freiheit doch eigentlich nur auf den rechten Fuß beschränkt, der auf das Gaspedal steigt und dessen Besitzer:in bei 180 auf der Autobahn orgiastisch denkt: „Danke FDP!“ („Danke Union, Danke AfD.“) Außerhalb dessen ist sie für die meisten Fiktion, weder wo die Arbeiter:innenklasse lebt (zur Miete oder im „Eigenheim“ der Bank), noch wo sie arbeitet (am Fließband oder Bildschirm), ist sie frei. Es ist eine gefakte bürgerliche Freiheit, die sonst eigentlich nur für die Bosse und Reichen existiert.

Heute gibt es in der BRD fast 50 Millionen PKW, aber keineswegs 50 Millionen Autobesitzer:innen. Zweit- und Drittwagen verzerren die Statistik. In keinem anderen europäischen Land sind Wohlstand und Individualität, und seien sie auch nur scheinbar, ideologisch so sehr mit dem Auto verbunden. Das „Wirtschaftswunder“, das nichts anderes war als die Erneuerung des deutschen Kapitalismus dank der Zerstörungen des Krieges, bedeutete eine Neuausrichtung des deutschen Kapitals. An der militärischen Eroberung der Welt war man gescheitert, starke Bankkonzerne hatte man im Vergleich zu den USA oder Großbritannien nicht, aber wo man mitspielen konnte, war in der Industrie. Die Fabriken waren zerstört. Während die USA, Frankreich und Großbritannien mit veralteten Maschinen im Rückstand waren, hatten deutsche Konzerne bitter ironisch den Vorteil des Neustarts. Das Know-how erbte man aus den Kriegsfabriken und von der Konkurrenz.

Politisch hatte man als Verlierer des Krieges und als gespaltenes Land nichts zu melden, aber für den Neustart des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt war das Auto wie gemacht. Es war ein Massenkonsumgut, Produktion und Produkt ständig und hochgradig technisch revolutionierbar, Letzteres damit prädestiniert für hohe immer neue Profite.

Von Anfang an ist dieses neue Flaggschiff der deutschen Industrie aufs Engste mit dem Staatsapparat verschränkt. Immerhin ist im imperialistischen Stadium des Kapitalismus die Konkurrenz der Konzerne auch die der Staaten. Immerhin muss das Produkt unter das Volk gebracht werden, muss Deutschland der Welt zeigen, wie Wiederaufbau geht. Am offensichtlichsten ist diese Verbindung natürlich an der Entwicklung des Fernstraßennetzes und dem Freiräumen der Städte für das Auto ablesbar (und an der Verstümmelung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs auf der Schiene). Darüber hinaus profitiert die Autoindustrie aber bis heute und bis zum Abwinken von massiven staatlichen Subventionen, die sich nur in Namen und Programm unterscheiden. Mal heißen sie Abwrackprämie, mal Umweltbonus (für E-Autos, die dann mit Kohlestrom fahren).Entsprechend war und ist jeder Verkehrsminister (bisher alles bekennende Cismänner) diesen Konzernen nicht nur verpflichtet, sondern stets selbst ein leidenschaftlicher Autofahrer gewesen. Volker Wissing peitscht 144 Autobahnprojekte durch, die Grünen kriegen als Trostpflaster Solaranlagen neben die Fahrbahn gestellt.

Vernunft am Steuer?

Und da sind wir, in der Gegenwart einer verkehrspolitischen Dystopie, in der die Stadt stinkt und lärmt und vollgestopft ist mit Blech, in der das Land vernarbt ist von Asphalt und der Bahnhof von Mittelnirgendwo stumm vor sich hin verfällt. Völlig unzureichende Klimaziele werden weit verfehlt. Die Mobilitätswende ist in allen Mündern, passiert aber nicht in der Realität.

Denn für die Autoindustrie und ihren Verkehrsminister bedeutet sie: Erneuerung der Fahrzeugflotte durch übergewichtige E-Autos, E-Fuels in den SUV. VW (Volker Wissing) fährt nach Brüssel und dem EU-Verbrenner-Aus in die Karre. VW plant ein E-Autowerk auf dem Acker gleich hinter der heutigen (Alb-)Traumfabrik. Sie sind die, über die Macht verfügen. Wenn wir als Klimabewegung, linke Gewerkschafter:innen oder Antikapitalist:innen ernsthaft über eine Verkehrswende sprechen, müssen wir uns überlegen, wie wir diese brechen können.

Das wird entscheidend sein. Die fossilen Kapitale und ihre politischen Vertreter:innen beweisen jeden Tag, dass sie kein Interesse an einer echten Verkehrswende hegen. Sie können es auch gar nicht und heucheln es nicht einmal vor. Eine echte Verkehrswende hätte so wenig wie möglich, so viel wie nötig die Schiene als Rahmen. Im Kapitalismus ist das unmöglich. Selbst eine relevante Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene fände doch immer noch unter der Voraussetzung permanenter Ausweitung der Produktion, des Wachstums statt. Schon jetzt sind die Hauptgüterkorridore des Schienenverkehrs in Deutschland überlastet. In einem Gesellschaftssystem, dass sich stärker als jemals zuvor in der Konkurrenz verwirklicht, kann Vernunft keine Rolle spielen. Was gesamtgesellschaftlich völlig irrational ist – z. B. die Verkehrspolitik der letzten 100 Jahre – macht nur Sinn für die Bosse, Aktionär:innen und Politiker:innen VWs, Daimlers und BMWs. Eine echte Verkehrswende umzusetzen, wäre ihr Klassenverrat. Es würde bedeuten, die größte Profitquelle und damit Machtbasis Deutschlands zu ersticken, ihren eigenen Reichtum zu gefährden.

Enteignung und …

Ihre Macht zu zerbrechen, heißt, ihnen ihren Besitz wegzunehmen, über den die größten Aktionär:innen nach Belieben kommandieren, die Welt mit Autos bewerfen können. Es heißt, Quandt, Porsche, die Qatar Holding und so weiter entschädigungslos zu enteignen und die riesigen industriellen Kapazitäten der Autofabriken für sinnvolle Zwecke zu verstaatlichen. Das ist natürlich leicht gesagt und weit weg und mit heutigen legalen Mitteln gar nicht zu verwirklichen. Der Staat schützt Eigentum. Die Freiheit für Privatbebesitzen ist doch die eigentliche bürgerliche Freiheit.

Durch einen äußeren Druck der Klimabewegung alleine wird so eine Verstaatlichung kaum passieren, wie das Beispiel Ende Gelände zeigt, das die Enteignung RWEs fordert. Wir sehen die Möglichkeit realistischer in den Fabriken selbst. Wenn die Beschäftigten von VW sagten, wir bauen diese Masse an Autos nicht mehr, sie dafür streikten, dann würde sie auch nicht mehr gebaut werden.

Anlässe für die Arbeiter:innen in den Autowerken, ihre Arbeiten selbst in die Hand zu nehmen, gibt es genug. In jedem Warnstreik steckt das schon als winziger Keim. Zudem sind die Jobs in der Autoindustrie keineswegs auf ewig sicher. Durch Produktivitätssteigerung, Standortverlagerungen und E-Auto werden sie sowieso immer neu in Frage gestellt. Zudem wird für einen übersättigten Markt produziert. Die Geschichte von Opel Bochum beweist, wie schnell die Tore für immer zugesperrt werden können, ebenso die vielen Werksschließungen von Zulieferbetrieben in den letzten Jahrzehnten, etwa GKN Zwickau oder Mahle Alzenau.

Im Kampf gegen diese Schließungen, aber auch schon in jeder Nulltarifrunde offenbart sich dann auch immer die zweifelhafte Rolle der IG Metall, genauer ihrer Führung. Seit Jahrzehnten ist sie eine aus selbstgefälligen, privilegierten Eigeninteressen getriebene treue Partnerin der Autobosse. Werksschließungen werden mit abgewickelt, Leiharbeiter:innen zugunsten der Kernbelegschaften ausverkauft, Tarifrunden lieber abgebrochen bevor sie mit unbefristeten, flächendeckenden Erzwingungsstreiks eskalieren. Sie will die Kontrolle nicht verlieren. Mit dem etablierten Teil der Umweltbewegung inszeniert sie unverbindliche Klimapolitik in der Ampeltraumfabrik. Vor den radikaleren Teilen der Bewegung warnt sie, statt ihre Forderungen positiv aufzugreifen.

Sie ist eines der größten Hindernisse für eine schnellstmögliche soziale, ökologische Konversion der Autoindustrie. Wenn die Klimabewegung die Autoarbeiter:innen gewinnen will, muss sie die Rolle der IG-Metall-Bürokratie verstehen und sich daran beteiligen, eine Opposition gegen sie aufzubauen – für eine demokratische Reorganisation der Gewerkschaften, für Arbeitskämpfe die von den Belegschaften selbst kontrolliert werden, für politische Streiks und für Betriebsbesetzungen – für Konversion statt Werkschließungen, für die Verteilung der Arbeit auf alle ohne Lohnverlust.

 … demokratische Planwirtschaft!

Es ist alles eine Frage der Kontrolle. Wer hat das Sagen in der IG Metall? Eine abgehobene Führung, die mit im Aufsichtsrat sitzt, oder aus der Belegschaft heraus gewählte Kolleg:innen, die sich vor dieser rechtfertigen müssen? Der Kampf um Opel Bochum zeigte Funken von dieser Selbstermächtigung. Ihm fehlten jedoch die betrieblichen Organe wie Streikkomitees, um daraus ein Feuer zu entfachen, ganz zu schweigen davon, dass die Solidarität aus anderen Fabriken fehlte, die fest in den Händen der IG-Metall-Bürokrat:innen lagen.

Aber auch: Wer hat die Kontrolle über das, was produziert wird? Auch wenn VW und Co. enteignet und verstaatlicht sind, stellt sich diese Frage. Die Deutsche Bahn beispielsweise gehört komplett dem Staat und ist trotzdem unzuverlässig, außer wenn es um Gehaltserhöhungen für den Vorstand geht. VW gehört zu zwanzig Prozent dem Land Niedersachsen.

In der Idee der demokratischen gewerkschaftlichen Selbstkontrolle liegt auch die der Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion, die Planwirtschaft der Konzerne selbst in die Hand zu nehmen. Denn nicht anders produzieren sie intern. Unternehmen in der Größe von VW und Co. können gar nicht anders, als sich eine langfristige Strategie zurechtzulegen.

Das Problem dabei ist nicht der Plan, sondern, dass er unter dem Gesichtspunkt maximaler Profite geschrieben wird, ebenso wie das Problem mit der DDR-Planwirtschaft darin bestand, dass sie diktatorisch den Interessen der Honeckerclique unterworfen war.

Eine demokratische Planwirtschaft bedeutet demgegenüber die Möglichkeit einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, also möglichst so zu produzieren, dass Produkte lange halten und am Ende ihrer Lebenszeit komplett wiederverwertet werden können (während heute einem Unternehmen die Ware egal ist, sobald sie verkauft ist … bis auf, dass ein Auto nicht ewig halten soll, irgendwann soll ja wieder ein neues verkauft werden). Sie bedeutet, dass die, die heute in der Autoindustrie arbeiten, gemeinsam mit der gesamten Arbeiter:innenklasse die Entscheidungbefugnis darüber bekommen, was und wie viel produziert wird: Straßenbahnen und Busse statt Autos, ohne den Arbeitsdruck einer 40-Stundenwoche oder eines drakonischen 5-Jahres-Plans von oben.

Im Gegensatz zum Zerrbild des real existierenden Sozialismus, der sich doch immer nur im Wettbewerb zum kapitalistischen Westen begriff, würde ein wirklich demokratischer – eine lebendige Rätedemokratie – in ihrem Plan die Idee verfolgen: so wenig wie möglich, so viel wie nötig, damit die Bedürfnisse befriedigt werden, was auch für Mobilität und Verkehr gilt. Die Zeitersparnis durch neue Maschinen würde weniger Arbeitszeit für alle bedeuten. An die Stelle der individualistischen Freiheit des Gaspedals könnte eine kollektive Freiheit treten: Selbst entscheiden, was produziert wird, wie man so leben will, dass es für alle Sinn macht, auch für die Generationen, die es noch gar nicht gibt, deren Chance auf ein gutes Leben die Autoindustrie von heute sabotiert.

Alles utopisch?

Es mangelt in der Klimabewegung nicht an Fantasie, wie die Welt anders, solidarischer aussehen könnte. Viele haben in den letzten Jahren die Erfahrungen von gemeinsamen Aktionen und riesigen Demos gemacht, in Waldbesetzungen erlebt, wie ein anderes Zusammenleben sich anfühlen könnte. Allein die Macht von Staat und Kapital war so nicht zu brechen. Unter den Arbeiter:innen der Autoindustrie wiederum ist ein Potential – ein Know-how – darüber vorhanden, wofür diese Fabriken besser genutzt werden könnten, wie die Produktion umgebaut werden kann.

Zudem haben sie – wenigstens von ihrer Position her – tatsächlich die Möglichkeit, die Herrschaft der Autobosse, Wissings und Autodeutschlands in Frage zu stellen, zu brechen. Wenn Umweltaktivist:innen diese Potentiale erkennen und zusammen mit den fortschrittlichsten Kolleg:innen in der Verkehrsindustrie ein Programm entwickeln würden, das einen Weg zu einer ökologischen, sozialen – also  antikapitalistischen – Konversion zeichnet, dann könnte aus dieser Allianz heraus vielleicht wirklich gegen die Wissings, Zetsches und Blumes gewonnen, aus Träumen eine konkrete Utopie werden ohne Zukunftsangst, Asphaltwüsten und in Blech verpackte Menschen, und an ihrer Stelle eine Freiheit treten, die nicht Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen und unseren Lebensgrundlagen bedeutet.