Frankreich: Peitscht Macron seine Reform durch?

Martin Suchanek, Neue Internationale 273, Mai 2023

Ohne Rücksicht auf Verluste peitscht Präsident Macron die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre durch – gegen eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, den Widerstand der Lohnabhängigen, der Gewerkschaften und der Jugend.

Seit dem 19. Januar gingen an 12 Aktionstagen Millionen auf die Straße, beteiligten sich an Streiks und legten zeitweilig das Land lahm. Anders als in vielen Klassenkämpfen der letzten Jahre gelang es Regierung und Unternehmen nicht, die Einheit der Gewerkschaften zu spalten. Nicht nur die radikaleren Verbände wie die CGT und SUD, sondern auch die notorisch kompromisslerischen wie die CFDT ließen sich bislang auf keinen Kuhhandel mit Macron ein und blieben beim „Non“ zur Rentenreform.

Dabei konnten und können sie sich auf eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung stützen. Rund zwei Drittel lehnen Macrons Politik als Affront ab – und zwar in einem Maße, dass der Präsident und seine Regierung im Parlament keine Mehrheit für die Reform finden konnten.

Klassenkrieg

Doch all das vermochte die Reform nicht zu stoppen. Denn im Gegensatz zu seinen Gegner:innen mangelt es Macron an einem nicht: am Willen, einen zentralen Angriff auf die Arbeiter:innenklasse und alle Unterdrückten im Interesse des französischen Kapitals konsequent durchzuziehen. Dazu ist er auch bereit, die tradierten Spielregeln der Auseinandersetzung zu verlassen und selbst jene der heiligen bürgerlichen Demokratie über Bord zu werfen.

Macron führt einen Klassenkrieg. Er ist nicht nur entschlossen, sich selbst ein politisches Denkmal zu setzen – ganz so wie Margaret Thatcher im Bergarbeiter:innenstreik oder Gerhard Schröder mit der Agenda 2010. Schließlich verbanden diese Politiker:innen ihren Namen nicht einfach mit historischen Niederlagen der Arbeiter:innenklasse. Entscheidend ist vielmehr, dass sie dazu bereit waren, ein höheres Risiko im Klassenkampf einzugehen, eine Konfrontation mit der Arbeiter:innenklasse zu suchen, die ihnen selbst Kopf und Kragen hätte kosten können, wenn die Gegenseite ebenso entschlossen gehandelt hätte. Doch die TUC-Gewerkschaften und Labour weigerten sich, dem Bergarbeiter:innen mit einem Generalstreik zu Hilfe zu kommen. Schröder war nicht nur bereit, den Rückhalt der SPD in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse für Jahrzehnte zu opfern, die DGB-Gewerkschaften bauten ihm letztlich auch die politische Mauer, indem sie die Agenda 2010 allenfalls symbolisch angriffen, ansonsten aber „kritisch“ begleiteten und die Montagsdemos bekämpften.

Macron verhält sich ähnlich. Er nutzt die bestehenden bonapartistischen Elemente der französischen Verfassung, der Republik, um das Gesamtinteresse des Kapitals in einer Krise durchzusetzen. Dabei bildet die sog. Rentenreform ein Herzstück seines Vorhabens, den französischen Imperialismus auch ökonomisch konkurrenzfähiger zu machen. Und dafür geht er weiter als frühere Regierungen und Präsidenten.

Angriff auf die Demokratie

Nachdem sich abzeichnete, dass er für die Gesetzesvorhaben im Parlament keine Mehrheit finden würde, umging er es einfach, indem er sich auf Artikel 49.3 der Verfassung berief. Dieser erlaubt ihm, das Parlament zu übergehen und Gesetze zu verabschieden, ohne dass er sich auf eine Mehrheit unter den Abgeordneten stützt, geschweige denn auf ein Mandat des Volkes.

Bewusst nahm er dafür nicht nur die Diskreditierung seiner eigenen Partei bei Millionen Wähler:innen in Kauf, sondern auch die Ausweitung der Proteste. Er erhöhte den Einsatz im Klassenkampf, indem er die Angriffe auf die Rente mit einem auf die bürgerliche Demokratie und ihre Gepflogenheiten verband.

Am 16. März brachte Macron seine Reform unter Berufung auf Artikel 49.3 durch. Das darauf folgende Misstrauensvotum scheiterte am 20. März äußert knapp. 278 Parlamentarier:innen entzogen der Regierung das Vertrauen. 287 stimmten gegen den Misstrauensantrag. Neben Macrons „Ensemble pour la majorité présidentielle“, die über 245 Sitze verfügt, votierte die Mehrheit der Abgeordneten der konservativen, neoliberal-gaullistischen Les Républicains dabei für den Präsidenten.

Auch die folgende Prüfung durch den Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) passierte das Gesetz. Das neunköpfige Gremium, von dem je drei Vertreter:innen vom Präsidenten, von der Nationalversammlung und vom Senat ernannt werden, gilt als Hüter der Verfassung. Faktisch hütet es aber den französischen Kapitalismus. Es setzt sich aus „respektablen“ Vertreter:innen der herrschenden Klasse zusammen wie den beiden ehemaligen Premierministern Laurent Fabius, einem rechten Sozialisten, und dem Konservativen Alain Juppé.

Wenig überraschend erklärte der Verfassungsrat die Reform für rechtens, monierte aber die Streichung von 6 Punkten – und zwar von solchen, die es zugunsten der Lohnabhängigen abgemildert hatten. Darüber hinaus verwarf er eine von der linkspopulistischen NUPES angestrengte Volksabstimmung.

Das soll nicht verwundern. Es war von Beginn an klar, dass Macron den antidemokratischen Paragraph 49.3 ziehen könnte, die Reformen durch parlamentarische Manöver – z. B. versuchte Obstruktionspolitik von Abgeordneten von La France Insoumise – nicht zu verhindern sein würden.

Seit den ersten Anläufen zur Reform in Jahr 2020 und spätestens Ende 2022 ließ Macron keinen Zweifel daran, dass er sein politisches Schicksal an die Maßnahmen knüpfte, sodass sie nur auf der Straße und in den Betrieben gestoppt werden könnten.

Höhepunkt der Mobilisierung

Die Umgehung des Parlamentes am 16. März läutete aber auch den Höhepunkt der Streiks und Protestwelle ein. Vom 19. Januar bis Mitte März beteiligten sich ein bis eineinhalb Millionen Menschen an den jeweiligen Aktionstagen. Hunderttausende legten zeitweilig die Arbeit nieder.

Mit dem Artikel 49.3 griffen Macron und die Regierung Borne auf die antidemokratischen, bonapartistischen Elemente der französischen Verfassung zurück und machten damit den Kampf um die Renten auch zu einem um die Demokratie. Dies verbreitete und intensivierte die Auseinandersetzung enorm.

Am 23. März beteiligten sich 3,5 Millionen Menschen an den Demonstrationen im ganzen Land. Auch kleinere und mittelgroße Städte wurden in die Bewegung gezogen. In den Zentren des Landes fluteten Demonstrant:innen geradezu die Straßen. Rund eine Woche lang kam es zu täglichen Auseinandersetzungen vor allem von jugendlichen Demonstrant:innen mit der Polizei.

Zugleich breitete sich auch die Streikwelle aus – bei der Bahn, in Häfen und an Flughäfen, in den Raffinerien und in der Energiewirtschaft, an Schulen und Universitäten oder bei der städtischen Müllabfuhr. Allerdings erfassten die Streiks im wesentlichen nur Sektoren der Avantgarde, der bewussteren und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen, nicht jedoch die Masse, vor allem nicht jene der Unorganisierten. Dazu hätte es eines einheitlichen Aufrufs von außen, von den Führungen der Intersyndicale bedurft, der jedoch während der ganzen Zeit ausblieb.

Generalstreik lag in der Luft

Schon im Januar und Februar war die Losung des Generalstreiks unter den Aktivist:innen der Bewegung populär. Nach dem 23. März lag er in der Luft.

Mit seinen antidemokratischen Maßnahmen hatte Macron selbst die Auseinandersetzung weiter politisiert, mit der Frage seines Regimes direkt verknüpft. Er stellte die Machtfrage.

Doch die parlamentarische Linke NUPES entpuppte sich als vollkommen unfähig, diesen Fehdehandschuh aufzugreifen. Nachdem das Parlament umgangen war, versuchte sie es beim Verfassungsrat mit der Einleitung eines monatelangen Volksbegehrens, während Millionen nicht nur wütend, sondern auch kampfbereit waren.

So kam die politische Schlüsselrolle der Führung der Gewerkschaften, der Intersyndicale, eines Zusammenschlusses aller größeren Verbände, zu – und hier besonders der linkeren, klassenkämpferischen wie der CGT und der SUD.

Nach zahlreichen Aktionstagen und angesichts des massiven Anwachsens der Aktionen in der Woche um den 23. März war die Stunde der Entscheidung  gekommen. Entweder würde die Bewegung massiv ausgeweitet werden und die Gewerkschaften und die Arbeiter:innenklasse würden ihrerseits die Machtfrage stellen – oder Macron droht, sämtliche weitere Proteste auszusitzen, indem er auf die Ermüdung und finanzielle Ausdünnung von Streikenden setzt und gegen die militanteren Demonstrant:innen mit immer brutaleren Polizeieinsätzen vorgeht. An seiner Entschlossenheit konnte niemand mehr ernsthaft zweifeln.

Rolle der Apparate

Macron spekulierte außerdem auf die Gewerkschaftsführungen. Ihm war bewusst, dass sie keine politische Generalkonfrontation wollten, sie auf seine Zuspitzung des Kampfes mit keiner eigenen antworten wollten, die die Machtfrage aufwarf. Der Generalstreik lag Ende März in der Luft, aber die Spitzen der Intersyndicale wollten davon nichts wissen – und zwar weil ihnen bewusst war, dass ein Generalstreik gegen die Rente unwillkürlich auch einer zum Sturz von Präsident und Regierung gewesen wäre; weil ihnen bewusst war, dass er die Frage aufgeworfen hätte, wer anstelle von Macron und Borne regieren würde.

Die kompromisslerischen Held:innen vom rechten Flügel der Gewerkschaften wie Laurent Berger, der Vorsitzende der CFDT, standen im Grunde immer schon für Verhandlungen mit der Regierung bereit, wenn diese denn nur mit dem nötigen „Respekt“ verbunden wären, also in den Tretmühlen der Sozialpartner:innenschaft stattfänden. Doch mit diesen Gepflogenheiten hat Macron gebrochen, weil er den Angriff ohne weitere Zugeständnisse durchziehen will.

Die Spitze der radikaleren Gewerkschaften wie jene der CGT setzen darauf, dass, ähnlich wie Anfang der 1990er Jahre, eine Reihe von massenhaften Streik- und Aktionstagen die Regierung oder das Parlament zum Einlenken zwingen würde. Sie gingen im Grunde davon aus, dass der Kampf eine, für das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entscheidende Frage, im Rahmen der Austragungsform gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen bleiben würde. Auch wenn sie nicht alles verhindern würden, so hofften sie doch darauf, dass sie auch vorzeigbare Zugeständnisse erreichen könnten. Auch ihnen hat Macron einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die Intersyndicale hatte insgesamt keine Antwort auf die Verschärfung des Klassenkampfes durch den Präsidenten. Sie war auf diese Zuspitzung nicht vorbereitet – und sie vermochte es daher auch nicht, ihrerseits Macron mit voller Wucht entgegenzutreten.

Was nötig gewesen wäre

Dazu wäre es nötig gewesen, nach dem antidemokratischen Verfassungscoup offen den Generalstreik auszurufen – einen Generalstreik, der auch im Bewusstsein der gesamten Bevölkerung unmittelbar einen politischen Charakter gehabt hätte.

Das hätte aber erfordert, dass sich die Spitzen von CGT und anderen Verbänden bewusst ihrer Führungsaufgabe hätten stellen müssen, aufhören hätten müssen, als bloße Gewerkschaften, also ökonomische Interessenvertretungen zu handeln. Sie hätten als politische Führung der Arbeiter:innenklasse fungieren müssen.

Angesichts von 3,5 Millionen Demonstrierenden, Hunderttausenden Streikenden und einer Massenempörung im ganzen Land hätte ein Generalstreik auch die unorganisierten Beschäftigten, die Erwerbslosen, die Jugend und Rentner:innen erfassen, mit der Bildung von Streik- und Aktionskomitees eine gigantische Bewegung schaffen können. Diese hätte nicht nur die Rentenreform kassieren, sondern auch die Regierung stürzen können und die Machtfrage aufgeworfen – und zwar nicht in einem bloß parlamentarischen Sinne, sondern im Sinne einer Arbeiter:innenregierung, die sich auf die Organe des Generalstreiks und Selbstverteidigungsorgane der Arbeiter:innenklasse stützt. Kurzum, ein solcher Kampf hätte eine revolutionäre Dynamik entwickeln können.

Doch die Gewerkschaftsführungen – rechte wie linke – zogen es vor, der Zuspitzung des Kampfes auszuweichen. Ende März, in den Tagen, ja in der Woche nach der Umgehung des Parlamentes wäre es möglich gewesen, die Bewegung auf eine neue Stufe zu heben, Schichten der Lohnabhängigen, aber auch des Kleinbürger:innentums und der Mittelschichten in den Kampf zu ziehen, die normalerweise nicht unter Führung der Gewerkschaften und der bewussteren Teile der Arbeiter:innenklasse mobilisierbar sind.

Ein solcher Schritte hätte auch sicherstellen können, dass die Bewegung breiter und stärker wird und siegen kann. Sie hätte auch den Rechten um Le Pen, die demagogisch versuchen, von der aktuellen politischen Krise zu profitieren, und in den Umfragen vorne liegen, das Wasser abgraben können.

Doch diese Chance wurde vertan. Am bislang letzten Aktionstag am 13. April beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben rund 1,5 Millionen Menschen. Das stellt natürlich noch immer ein enorm hohes Niveau an Aktivität dar. Aber zugleich ging auch die Streikbewegung massiv zurück. Der Kampf gegen die Rentenreform hat seinen vorläufigen Höhepunkt überschritten.

Der nächste Aktionstag wird erst am 1. Mai stattfinden – also mehr als zwei Wochen nach dem 13. April. Das wäre der größte Abstand zwischen Aktionstagen seit Beginn der Bewegung. Da der Erste Mai ein traditioneller Kampftag ist, wird die Beteiligung enorm sein – aber zugleich wird es an dem Feiertag kaum Streiks geben.

Die Gewerkschaftsführungen geben sich natürlich kämpferisch, ja geradezu unnachgiebig. Selbst Laurent Berger will von Gesprächen mit einer Regierung, die ihm keinen Respekt zollt, nichts wissen. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet weist Macrons Einladung an die Gewerkschaften zu Gesprächen, bei denen nichts besprochen wird, als lächerlich zurück.

Aber all das darf uns nicht davor die Augen verschließen lassen, dass die Gewerkschaftsführungen über keine effektive Kampfstrategie verfügen, nachdem der institutionelle Weg abgeschlossen und die Rentenreform beschlossen ist.

Angesichts dieser strategischen Krise kommt das linkspopulistische Wahlbündnis NUPES, bestehend aus Jean-Luc Mélenchons La France Insoumise, aus PS, Grünen und KPF, mit einem neuen Vorschlag um die Ecke. Ein neuer Anlauf zu einer Volksabstimmung soll genommen und beim Verfassungsrat eingebracht werden, der über dessen Zulassung Anfang Mai entscheiden würde. Sollte er dies für rechtens erklären, müssten innerhalb von knapp neun Monaten 5 Millionen Unterschriften gesammelt werden. Das Parlament könnte dann das Vorhaben ein halbes Jahr lang prüfen und würde dann darüber abstimmen – ein Verfahren, das allein angesichts der Stimmenmehrheit, die Macrons Ensemble pour la majorité présidentielle und Les Républicains auf sich vereinen, faktisch zum Scheitern verurteilt ist.

In Wirklichkeit ist das Referendum eine Ablenkung von der Frage, wie der Kampf gegen die Rentenreform und die anderen Angriffe der Regierung noch zum Erfolg geführt werden kann und welche Lehren aus der bisherigen Bewegung zu ziehen sind.

Ganz sicher sind es nicht jene, die Fabien Roussel, der nationale Sekretär der KPF, zieht. So erklärte er: „Durch ein solches Referendum könnte das Land mit demokratischen Mitteln aus der gegenwärtigen Krise erhobenen Hauptes hervorgehen.“ Das Zitat illustriert, wie tief diese sog. Kommunist:innen gesunken sind, wie wenig ihre ganze Politik über den demokratischen Tellerrand „ihres“ Landes hinauszureichen vermag.

Der aktuelle Niedergang der Bewegung bedeutet nicht, dass der Kampf gegen die Rentenreform schon verloren ist. Wohl aber ändern sich die Bedingungen, unter denen ein neuer Aufschwung, eine neue Situation entstehen kann, wo der Generalstreik wieder auf die Tagesordnung rückt.

Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass die gesamte Politik Macrons vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Inflation und geopolitischen Konfrontation, einer tiefgehenden sozialen, politischen und ökologischen Krise stattfindet. Daher kann seine Rentenreform wie die gesamte Regierungspolitik rasch durch andere Einschnitte der Lebensbedingungen der Massen erschüttert werden. Auch wenn Macron seine Rentenreform durch die Institutionen gebracht hat, so hat er längst nicht den französischen Kapitalismus wieder in fit gemacht. Die Beschädigung der bürgerlichen Demokratie, die Desillusionierung von Millionen und Abermillionen, die er billigend als Preis sozialer Verschlechterungen in Kauf nimmt, könnten sich dann als politischer Bumerang erweisen.

Daher gilt es nicht nur, die Bewegung aufrechtzuerhalten, sondern sie vor allem auf die unvermeidlichen nächsten Konfrontationen vorzubereiten.

Dies bedeutet erstens, klar zu erkenne und auszusprechen, dass weder die parlamentarische Linke noch die Führungen der Gewerkschaften eine politische und strategische Antwort auf die großen Angriffe der Regierung des Kapitals formulieren.

In den Gewerkschaften bedarf es jedoch nicht nur des Kampfes um Basisversammlungen und demokratische Aktionskomitees – es bedarf auch einer organisierten, gewerkschaftsübergreifenden klassenkämpferischen Opposition gegen die Bürokratie.

Doch eine betriebliche und gewerkschaftliche Alternative reicht nicht. Eine klassenkämpferische Opposition muss auch eine enge Verbindung mit den sozialen Bewegungen gegen Krieg, Imperialismus, Rassismus, Sexismus und Umweltzerstörung herstellen. Dazu bedarf es einer neuen revolutionären Arbeiter:innenpartei, die sich auf ein Aktionsprogramm stützt, das den Kampf gegen die Angriffe auf demokratische Rechte, auf die Arbeiter:innenklasse mit dem für den Sturz des Kapitalismus verbindet.

Anhang: Warum ist die Rentenfrage so bedeutsam?

Die sog. Rentenreform stellt ein Kernstück der Angriffe des Kapitals nicht erst seit der Präsidentschaft Macrons dar. Schon 1995 versuchte die damalige konservative Regierung Juppé, das Rad der Zeit zurückzudrehen und das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre zu erhöhen. Doch sie scheiterte am massiven Widerstand der Arbeiter:innenklasse und der Jugend und musste nach wochenlangen Protesten ihre Gesetzesreform zurückziehen.

Seither probierten sich faktisch alle Präsidenten und Regierungen, ob Sozialist:innen oder Konservative, an einer grundlegenden neoliberalen „Reform“ der Arbeitsbeziehungen und/oder der Sozialversicherung, der Sécurité Sociale, zu der neben der Rentenversichung öffentliche Krankenkassen, Unfallversicherung und die Kasse für Familienzulagen gehören.

Die Sécurité Sociale bildet somit ein zentrales Element der Klassenbeziehungen in Frankreich. Über sie wird ein großer Teil des „Soziallohns“ reguliert, also ein zentraler Teil des Gesamtlohns der Arbeiter:innenklasse.

Schon am Beginn seiner ersten Amtszeit peitschte Macron im Jahr 2017 eine Änderung des Arbeitsgesetzes, des Code du Travail durch – damals noch gestützt auf eine massive Mehrheit im Parlament und ohne großen Widerstand. Darauf sollte die Rentenreform folgen. Doch die Streiks der Eisenbahner:innen im Jahre 2018 gegen wichtige Schritte zu Privatisierung und Verschlechterungen der Arbeitsbeziehungen, die Bewegung der Gilets Jaunes und schließlich die Pandemie zwangen Macron zur Verschiebung seiner von Beginn an angekündigten Rentenreform.

Die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre enthält dabei zwei Aspekte. Zum einen stellt sie einen grundlegenden Angriff auf errungene Rechte der Arbeiter:innenklasse dar. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit stellt wie alle ähnlich gelagerten Verschlechterungen zugleich auch eine massive Rentenkürzung dar für alle, die aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Arbeitslosigkeit nicht bis zum Renteneintrittsalter Vollzeit arbeiten können. Darüber hinaus sieht die „Reform“ auch Abschläge für alle vor, die bis 64 nicht genügend volle Erwerbsjahre auf dem Buckel haben.

Zum anderen stellt sie nicht nur eine wichtige Errungenschaft der Lohnabhängigen dar, sondern spiegelt auch ein Kräfteverhältnis wider, eine klassenpolitische Stellung der Arbeiter:innenklasse. Wird die Rente geschleift, fällt auch diese Stellung, verschiebt sich auch das Kräfteverhältnis zugunsten des Kapitals.