USA: Republikaner stoppen! Für queere Selbstbestimmung kämpfen!

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 273, Mai 2023

Schon im letzten Wahlkampf nahm die Frage nach trans Rechten eine verstärkte Rolle ein. Während Biden klar Stellung bezog und auf die Selbstbestimmung pochte, griffen die Republikaner:innen ihn dafür an. Eine der ersten Amtshandlungen des US-Präsidenten Biden war die Unterzeichnung der „Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung“ im Jahr 2021.

Der Gegenwind der Konservativen ist seitdem stärker geworden. Denn während man seit Mitte April diesen Jahres Reisepässe mit der Möglichkeit, statt männlich/weiblich ein „X“ anzugeben, beantragen kann , zählt die Amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU mittlerweile 467 Gesetzesentwürfe, die sich gegen die Rechte von LGBTIA+ richten. Somit sind in den ersten vier Monaten 2023 mehr Anti-LGBTIA+ Gesetzesentwürfe gestellt worden als in den letzten 5 Jahren.

Was genau passiert?

Die Gesetzesentwürfe beinhalten massive Einschränkungen und bestätigen die Worte des rechten Kommentators Michael Knowles, der auf der Bühne der Conservative Political Action Conference sagte „Trans muss aus dem öffentlichen Leben vollständig ausradiert werden.“ Da ist es nur ein kleiner Trost, dass von den über 400 Entwürfen 85 abgelehnt wurden. Denn auf der anderen Seite wurden 35 angenommen. Die meisten davon in Arkansas (7), Utah (6) und North Dakota (4). Der Großteil bezieht sich thematisch auf medizinische Behandlungen, aber auch weitere Bereiche werden versucht einzuschränken.

In Texas, Nebraska und über einem Dutzend weiterer Staaten soll jegliche medizinische Unterstützung für Kinder und Jugendliche verboten werden, die ihre Geschlechtsidentität infrage stellen. Eltern droht teils der Entzug des Sorgerechts, wenn sie die Behandlung ihrer Kinder nach gängigen psychotherapeutischen und medizinischen Standards ermöglichen, obwohl dies das Suizidrisiko von trans Jugendlichen um bis zu 70% senkt. Staaten wie Oklahoma wollen sogar noch weiter gehen wie das Neue Deutschland in dem Artikel „Trans-Rechte in den USA: Strikt normiert“ berichtet.

Hier ist ein Gesetz geplant, das einem Verbot der Behandlung aller Personen mit trans Identität, also selbst von Erwachsenen, nach anerkannten Standards nachkommen könnte. Sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, die Gelder der Krankenkasse Medicaid für Menschen mit geringem Einkommen oder andere öffentliche Subventionen erhalten, soll dies verboten werden, von Apotheken bis zu Krankenhäusern. Damit würde es für trans Personen praktisch unmöglich, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen. Doch die Entwürfe bleiben nicht nur bei trans Personen stehen.

Es scheint fast wie eine Generalabrechnung mit allem, was auch nur wagt das binäre Geschlechtersystem infrage zu stellen. In 9 Bundesstaaten wie Arkansas, Kansas, Oklahoma oder Tennessee sollen Drag Performances und generell das Tragen »nicht geschlechtskonformer Kleidung« außerhalb von explizit an Erwachsene gerichtete Etablissements verboten werden. Das hat nicht nur zur Folge, dass Drag auf Pride-Paraden unterbunden wird, sondern dass Polizeirepression und Gewalt gegen trans Menschen und queere Community, die auf der Straße als solche erkannt werden, juristisch legitimiert werden. Darüber hinaus öffnet es auch die Debatte, was überhaupt „geschlechtskonforme“ Kleidung an dieser Stelle sein soll.

Situation von trans Menschen

Dabei ist die Situation von trans Menschen in den USA schon jetzt mehr als problematisch. Dies zeigte die „US Transgender Survey“ (USTS), die 2015 vom National Center for Transgender Equality (NCTE) durchgeführt wurde. Bei der Umfrage handelte sich um eine der umfangreichsten und umfassendsten  in den USA, bei der sich über 27.000 trans Personen beteiligten. Die Studie zeigt unter anderem auf, dass 2015 29% der trans Personen in Armut lebten, also wesentlich mehr verglichen mit den 14% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso ging aus der Umfrage hervor, dass 30% der befragten trans Personen in ihrem Leben mindestens einmal obdachlos waren, verglichen mit 6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso besitzen 30% der Befragten ein Einkommen von weniger als $10,000, verglichen mit 12% der US-Bevölkerung.

Kurzum: Trans Personen leben überdurchschnittlich oft in Armut und erleben verstärkt Diskriminierungsowie Gewalt. So ist es kaum verwunderlich, dass ebenfalls die mentale Gesundheit wesentlich schlechter ist als beim Durchschnitt der US-Bevölkerung, denn 40% der befragten trans Personen gaben an, im Laufe ihres Lebens einen Suizidversuch unternommen zu haben, verglichen mit 4,6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Besonders stark betroffen sind Jugendliche und People of Color. Letztere verdienen meist noch weniger und haben deswegen so gut wie keine Möglichkeit, in einen Bundesstaat zu ziehen der ihnen mehr Spielraum gibt. Jugendliche erleben durch ihre ökonomische und rechtliche Abhängigkeit von der Familie oftmals noch fundamentalere Einschnitte, was sich unter anderem auch darin ausdrückt, dass 20% der Befragten im Laufe ihres Lebens obdachlos gewesen sind – der Durchschnitt liegt bei cis-Jugendlichen bei 3%.

Es gilt dabei nicht zu vergessen, dass diese Daten vor der Pandemie erfasst wurden. In der Zwischenzeit gab es wenig gezielte Unterstützung, um diese Situation zu verbessern. Zu den wenigen Initiativen zählt der Affordable Care Act (ACA), der 2016 umgesetzt wurde und Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität im Gesundheitswesen verbietet. Dies bedeutet konkret, dass Versicherer medizinische Behandlungen für trans Personen abdecken müssen, ohne sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität abzulehnen oder höhere Prämien zu verlangen. Auch relevant ist die in der Einleitung erwähnte Executive Order von Präsident Biden. Diese formalisiert die rechtliche Gleichstellung auf Basis des Civil Right Acts von 1964 – aber nur in Bundesbehörden, nicht in der Privatwirtschaft und sollte darüber hinaus Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität verbieten. Das steht im Kontrast zur Realität der Gesetzesinitiativen seitens der Konservativen und den Erkenntnissen einer neuen Studie des Williams Institute an der UCLA School of Law aus dem Jahr 2022. Hieraus geht hervor, dass trans Personen mehr als viermal häufiger Opfer von Gewalttaten wie Vergewaltigung, sexueller Nötigung und einfacher bzw. schwerer Körperverletzung sind als cis-Personen.

Warum passiert das?

Ja, nicht alle Gesetze kommen durch. Doch es ist falsch das Ganze nur als Kampagne der Konservativen abzutun. Die Gesetzesverschärfungen gehen einher mit den Einschränkungen der Abtreibungsrechte 2022, sowie des Rechtsrucks in den USA der letzten Jahre. Auch wenn die  Republikaner:innen das Thema nutzen, um zu polarisieren und beispielsweise ihre evangelikalen Wähler:innen nicht zu verlieren, hat diese Kampagne reale Konsequenzen.  Denn auch wenn die Begründungen mehr als schlecht scheinen, so erzeugen sie vor allem Druck auf die queere Existenz an sich. LGBTIA+ Rechte – und insbesondere die Rechte von trans Personen – sind nichts, was sich Jahrzehnte lang etabliert hat*, sondern umkämpftes Feld innerhalb unserer Gesellschaft. Es scheint, dass sobald ein kleiner Platz im Rahmen der breiteren öffentlichen Wahrnehmung erkämpft wurde, wieder versucht wird ihn wegzustreichen und zwar mit aller Gewalt.

Somit ist das Ganze nicht nur die Ausgeburt des Schwachsinns christlicher Fundamentalist:innen, sondern auch Erbe Trumps populistischer Politik. Der selbsternante Anwalt „der kleinen Leute“ mit seinem Kabinett von Milliardär:innen und Manager:innen hat es während seiner Amtszeit geschafft, die Polarisierung in den USA voranzutreiben. Das bedeutet, dass weite Teile des Kleinbürger:innentums spürbar nach rechts gerückt sind und ihr Irrationalismus stärkt letztendlich den Flügel der Republikaner. Diese stecken massiv Geld in die Kampagne. So hat das American Principles Project vor den vergangenen Kongresswahlen fast 16 Millionen Dollar für Kampagnen gegen trans Themen im Gesundheits- und Bildungsbereich ausgegeben. Gut investiertes Geld, denn auf der einen Seite wird das tradierte Familienbild gewahrt, auf der anderen Seite sind die Verbote und Einschränkungen gegen trans Personen günstiger als Versprechungen, die die soziale Lage der Wähler:innenschaft verbessern würden.

Die Wurzeln der Unterdrückung

Doch bei der Debatte sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Frage der LGBTIA+ Diskriminierung ist nicht nur eine Entscheidung zwischen Republikaner:innen und Demokrat:innen, sondern ist fest im Kapitalismus verwurzelt. Somit löst sich das Problem auch nicht auf, wenn man alleinig gegen die Angriffe der Republikaner:innen kämpft. Doch wie kann ein effektiver Kampf aussehen? Bevor wir dazu kommen, wollen wir kurz den Ursprung der LGBTIA+ Unterdrückung skizzieren und dies führt uns wie nicht anders zu erwarten zur Familie. Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich und unermüdlich die Hausarbeit verrichtet, sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Es ist aber nicht nur ein Ideal, weil es schön in Werbungen aussieht und sich auf Milchpackungen so gut macht, sondern weil die bürgerliche Familie für den Kapitalismus einen zentralen Standpfeiler darstellt. Die historische Entwicklung dahin sparen wir an dieser Stelle aus und konzentrieren uns auf das wesentliche: Für die herrschende Klasse regelt die Familie die Erbschaftsverhältnisse und spart ebenso extrem viele Kosten. Wie? Dadurch das Kindererziehung, kochen, Waschen, häusliche Pflege und andere Tätigkeiten nicht gesamtgesellschaftlich organisiert, sondern individuell pro Haushalt erledigt werden.  Denn für die Arbeiter:innenklasse ist die Familie der Ort, in dem im Privaten unbezahlte Reproduktionsarbeit stattfindet (oder eher stattfinden muss). Und das Ideal der Familie, was uns vermittelt wird, festigt eben genau diesen Zustand, zusätzlich zu der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Somit stellen LGBTIA+ eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie da, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie mehrere Punkte infrage: a) Sexualität dient nur der bloßen menschlichen Reproduktion  b) die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb der Familie und ihre Unveränderbarkeit und c) das Konzept der Familie im klassischen Sinne selbst. Letztenendes könnte man zu dem Schluss kommen, dass die heterosexuelle, monogame Zweierbeziehung nicht das absolute Lebensziel eines jeden Individuums auf dieser Erde sein könnte und es Alternativen dazu gibt. Dazu soll angemerkt werden, dass diese Erklärung sehr zugespitzt ist. Denn die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass auch Liberalisierung möglich ist. Dennoch ist diese nicht bedingungslos und geht letztenendes nie besonders weit, wenn man bedenkt wie stark das „Recht auf Ehe“ und selbst die meisten Gesetze zur „Ehe für Alle“ in den imperialistischen Staaten verankert ist. Das führt uns zu dem nächsten Punkt:

Reine Sichtbarkeit reicht nicht

Auch wenn die Demokraten das Thema für sich entdeckt haben, so muss es klar sein, dass ihre Verbesserungen und ihr Schutz alleine nicht ausreichen. Ja, es ist ein Schritt nach vorne, dass trans Frauen wie Rachel Levine Staatssekretärin werden können. Doch es wird nicht helfen, die Lage von trans Menschen grundlegend zu verändern. Deswegen reicht es auch nicht aus, sich nur an den Angriffen der Republikaner:innen abzuarbeiten und Sichtbarkeit sowie rechtliche Gleichstellung zu verteidigen. Wer Erfolg haben will, muss in die Offensive gehen. Statt also um die reine Existenzberechtigung zu verhandeln, braucht es eine Bewegung, die auch aktiv Verbesserungen für trans Menschen erkämpft. Dabei ist es essentiell den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, sowie anderen sozialen Bewegungen, zu suchen und sich nicht auf Spaltungsversuche seitens Rechts einzulassen. Das heißt in der Praxis, dass Aktivist:innen sozialer Bewegungen offen Gewerkschaften auffordern sollten, sich den Protesten anzuschließen, während Gewerkschafter:innen in den Gewerkschaften nicht nur für Solidaritätsstatements, sondern auch Mobilisierungen eintreten müssen. Dies ist wichtig herauszustreichen, denn der Protest kann letztenendes nur erfolgreich werden, wenn die Arbeiter:innenklasse diese mit Streiks unterstützt. Gleichzeitig kann es nicht alleinig die Aufgabe von Aktivist:innen sozialer Bewegungen sein, zu versuchen in den Strukturen Gehör zu finden. Dies ist jedoch keine Unmöglichkeit: Denn schaut man genauer hin, sind erstaunlich viele Fragen, die die Situation von trans Menschen verbessern, nicht explizit nur trans Personen betreffend:

  • Nein zu allen Angriffen auf LGBTIA+ Rechte! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben!

  • Gesetzliche Krankenversicherung für Alle! Kostenlose medizinische Beratung und Geschlechtsangleichung, auch für Jugendliche!

  • Schluss mit Gewalt: Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees zusammen mit der Arbeiter:innenklasse! Nein zu allen Polizeikontrollen!

  • Für ein Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation, sowie einen höheren Mindestlohn!

  • Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für die Möglichkeit, das eigene Geschlecht in staatlichen Dokumenten anzupassen oder nicht angeben zu müssen!

  • Für den Ausbau von geschlechtsneutralen öffentlichen Sanitäranlagen, sowie flächendeckend vorhandenen Schutzhäusern für trans Menschen!

Es bietet sich an zentrale Aktionstage auszurufen, die sich auf die Gesetzesinitiativen beziehen. Im Rahmen dessen sollte an Schulen, Universitäten und Betrieben versucht werden, Vollversammlungen einzuberufen, um über die Situation und Lage von trans Rechten zu informieren. Zusätzlich sollten Aktionskomitees gebildet werden, die zu den Aktionstagen mobilisieren. Gleichzeitig müssen dabei Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Sowohl #blacklivesmatter, der Womens March oder die Proteste gegen die Abtreibungen haben gezeigt, dass eine Bewegung alleine zwar das Bewusstsein Vieler erreichen kann – aber auch immer wieder verebbt. Auf der anderen Seite zeigte der Zuspruch zu Bernie Sanders oder der DSA auch, dass es genügend Potenzial und Zulauf gäbe, eine Partei im Interesse der Arbeiter:innenklasse aufzubauen.

Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass man sich weder den Demokrat:innen unterordnen sollte, noch Hoffnungen in ihre Konsequenz zu setzen. Die Aktivist:innen in den USA stehen also vor mehreren Aufgaben gleichzeitig: zum einen eine Kampagne gegen die Angriffe auf die trans Rechte zu organisieren, anderseits dabei nicht stehen zu bleiben und den Kampf weiter zu tragen durch den Aufbau einer Partei, die es sich selbst zur Aufgabe setzt nicht nur für Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen, sondern diese mit dem Kampf der Zerschlagung des kapitalistischen Systems zu verbinden. Dabei muss klar sein: eine solche Partei muss aus den Kämpfen der sozialen Bewegung und der Arbeiter:innenklasse entstehen und die Verbindung dieser beiden aktiv suchen.

Endnote

* Wie beispielsweise Frauenwahlrechte. Jedoch sollte man auch hier vorsichtig sein, diese als festgeschriebene Gesetze zu betrachten, die nicht rückgängig gemacht werden können. Nur wäre der Widerstand wahrscheinlich größer.