Schmalspurreform Abstammungsrecht

Jürgen Roth, Neue Internationale 272, April 2023

Die Bundesregierung will noch in diesem Jahr das Abstammungsrecht ändern und queere mit heterosexueller Elternschaft gleichstellen.

Aktuelle Rechtslage

Das Abstammungsrecht ist Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), nimmt eine Zuordnung von Kindern zu Eltern vor und verpflichtet jene zur Fürsorge. Es sieht 2 Elternteile vor: Mutter und Vater. Handelt es sich beim ersten, gebärenden Elternteil um einen Transmann, der Vornamen und Personenstand nach dem Transsexuellengesetz (TSG) hat korrigieren lassen, oder eine Person ohne Eintrag bzw. mit „divers“, wird diese in die Geburtsurkunde als „Mutter“ mit altem Vornamen eingetragen. Diese Person existiert nicht mehr, das Kind kennt sie nicht und es gibt auch keinen Pass für sie. Dies führt für die Betroffenen zum Zwangsouting und sorgt so für weitere Folgeprobleme.

Für den 2. Elternteil besteht das Problem, wenn die Mutter mit einer Frau oder einer Person mit dem Eintrag „divers“ oder ohne Eintrag im Personenstandsregister verheiratet ist. Diese Person wird erst gar nicht in die Geburtsurkunde eingetragen. Das Kind hat nur ein Elternteil und nur dieses ist zu Sorge und Unterhalt verpflichtet. Die Mutter gilt rechtlich als Alleinerziehende. Der 2. Elternteil kann nur über ein langwieriges und kompliziertes Adoptionsverfahren, die sogenannte Stiefkindadoption, anerkannt werden. In diesem Beantragungsverfahren müssen allerdings neben gesundheitlichen auch finanzielle und private Fragen beantwortet werden.  Die Vaterschaftsanerkennung beim Standesamt gilt nur für Männer. Bei heterosexuellen Paaren wird der Vater zum Geburtszeitpunkt Elternteil entweder durch die Ehe mit der Mutter oder über eine Anerkennung. Seine biologische Vaterschaft ist dabei unbedeutend.

Der Fall Teichert-Ackermann

Nach langjährigem Zusammenleben entschied sich das lesbische Paar Gesa Teichert-Ackermann und Verena Ackermann für ein Kind. Es handelte sich um eine Risikoschwangerschaft, bei der Gesa eine Embryonenspende erhielt. Das Paar lebte während der Geburt in ständiger Angst, denn das Abstammungsrecht lässt nicht zu, dass Verena als 2. Mutter anerkannt wird. Falls Gesa also etwas zugestoßen wäre, wäre unklar geblieben, was aus ihrer Tochter Paula wird. Um die Anerkennung Verenas als 2. Mutter kämpft das Paar mit Unterstützung durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), einem Verein, welcher sich für die Umsetzung von Grund- und Menschenrechten einsetzt, vor Gericht. Im März 2021 fiel die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle, das derzeitige Abstammungsrecht sei verfassungswidrig und müsse reformiert werden. Derzeit liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung einer Grundgesetzänderung.

Samenspenden mit zweierlei Maß

Ein beträchtlicher Teil der Kinder aus sog. Regenbogenfamilien stammt aus privaten Samenspenden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will das Abstammungsrecht dahingehend ändern, dass zukünftig lesbische oder andere queere Ehepaare, die Samenspenden in Anspruch nehmen, beide Elternteilrechte automatisch erhalten. Nach aktuellem Recht müssen sie dafür das aufwändige Adoptionsverfahren durchlaufen, weil nur ein „Vater“ als nicht gebärender Elternteil vorgesehen ist, während bei heterosexuellen „Vätern“ die biologische Verwandtschaft keine Rolle für die Anerkennung spielt (siehe oben). Diese Ungleichbehandlung soll durch die Reform aufgehoben werden, die automatisch die Eintragung des Personenstandes vorsieht. Das soll aber nur für registrierte, „offizielle“ Samenspenden gelten. Hier verzichtet der Spender auf seine Vaterschaftsrechte und kann das nachträglich auch nicht korrigieren, während bei privaten Spenden die 2. Elternstelle pauschal freigelassen wird. Für einen vermutlich verschwindend geringen Fall der Fälle soll der Samenspender das Recht erhalten, als 2. Elternteil nachzurücken, indem er seine Vaterschaft gerichtlich feststellen lässt. Dies bedeutet für das Kind allerdings eine schlechtere Absicherung.

Hier wird gleich doppelt zweierlei Maß angelegt: Erstens wird der Samenspender nur in queeren Konstellationen privilegiert, denn bei heterosexuellen Paaren ist ja kein genetischer Vaterschaftsnachweis erforderlich, um als Partner die Rechte als 2. Elternteil eingeräumt zu bekommen. Zweitens ist eine offizielle Spende über Samenbanken bzw. Kinderwunschzentren recht teuer, so dass queere Elternschaft zum finanziellen Privileg gerät.

Zu Recht fordern deshalb die Gesellschaft für Freiheitsrechte und queere Paare, dass auch private Spermienspenden ins Samenspendenregister eingetragen werden können, um so eine rechtliche Absicherung des Kindes schon vor der Geburt zu gewährleisten. Dafür kämpfen die Ackermanns. Man muss den Kindern kein 2. Elternteil versagen und kann privaten Samenspendern

trotzdem eine rechtliche Möglichkeit einräumen, im Leben des Kindes eine Rolle zu spielen, z. B. als Patenonkel.

Schmalspurgleichstellung

Auch wenn die vom Justizministerium geplanten Gesetzesänderungen eine Verbesserung gegenüber dem aktuellen Zustand darstellen, so sehr bleiben sie von echter Gleichstellung entfernt. Insbesondere Transpersonen sind weiter stark benachteiligt. Das Standesamt in Berlin-Kreuzberg verweigerte z. B. einer Transfrau den Eintrag als 2. Elternteil. Sie hatte ihren Personenstand inkl. Vornamen nicht nach dem TSG, sondern über das Personenstandsänderungsgesetz vor der Geburt ändern lassen. Selbst das TSG hätte sie nur als Vater in diese Rolle schlüpfen lassen. Aber nun kann sie keine Elternzeit beantragen und bekommt deshalb keine Lohnfortzahlung während ihrer Arbeitspause nach Geburt des Kindes. Sie lebt mit der Kindesmutter, einer nichtbinären Person, und einem Cismann in einer Beziehung, die die drei als queeres Co-Parenting beschreiben. Laut Geburtsurkunde gilt die Gebärende als alleinerziehend mit allen Nachteilen für Kind und alle 3 Elternteile. Mehr als einen vagen Reformplan, dem zufolge sog. Verantwortungsgemeinschaften die Elternschaft von mehr als 2 Personen ermöglichen, gibt es bisher nicht.

Elternschaft: demokratische Forderungen und Klassenforderungen

Es liegt im ureigensten Interesse der Arbeiter:innenklasse, auf allen Gebieten der Unterdrückung und Diskriminierung als Vorreiterin für umfassendste bürgerlich-demokratische Rechte zu agieren. Dies aus 2 Gründen: Zum einen erleichtert es die Einsicht für breite Volksmassen in den Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, wenn persönliche Privilegien abgeschafft werden – hier für heterosexuelle Cispaare. Diese, also damit rechtliche Ungleichbehandlungen, waren Merkmal vorbürgerlicher Klassengesellschaften. Zum anderen schafft es bessere Voraussetzungen für ihre eigene Einheit im Klassenkampf – ohne Unterschiede für Geschlechter, sexuelle Orientierungen, Religionen, Hautfarben oder Nationalitäten.

Diese Gleichheit vor dem Gesetz stellt allerdings fürs Bürgertum das Ende der Fahnenstange dar, fürs Proletariat aber erst den Beginn seiner Klassenemanzipation. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, z. B. auf Abtreibung, kann nur den Ausgangspunkt bilden. Die Arbeiter:innenklasse muss hier für Kostenfreiheit eintreten, während das die Bürgerlichen nicht schert.

Darüber hinaus muss sie nicht nur für sozial gerechte Lösungen innerhalb des Kapitalismus eintreten (bezahlbare Abtreibung), sondern für eine sozialistische Lösung der Frage sozialer Reproduktion, zu der auch Kindeswohl und Elternschaft gehören. Die allgemeine Antwort lautet: Sozialisierung der gesamten Reproduktionssphäre.

Im Unterschied zu den Reformvorhaben, die sich nur auf die bürgerliche Ehe und das Zweielternmodell beschränken und somit die Reproduktion weiterhin als private unangetastet lassen, liegt es im historischen Interesse des Proletariats, als herrschende Klasse mit der Beschränkung von menschlicher Nähe und Intimität auf die Herrschaft der Blutsbande und monogamer Liebe aufzuräumen.

Deshalb: Scheidungsrecht für Kinder von ihren Eltern! Anerkennung von Verantwortungsgemeinschaften ohne Rücksicht auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und ohne Beschränkung der Elternzahl! Für Erleichterung von Adoptionen durch einfache Registrierung auf Wunsch von Eltern und Kindern! Für eine allumfassende gesetzliche Sozialversicherung, die für Kindes- und Erziehendenunterhalt aufkommt!

Diese Forderungen können den Weg für eine zukünftige Gesellschaft ebnen, die sich als Ganzes für Kinder und Eltern verantwortlich fühlt.