„Mindestens 500 Euro monatlich ist die wichtigste Forderung!“

Interview mit einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Infomail 1215, 28. Februar 2023

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes ist im vollen Gange und die ersten beiden Verhandlungsrunden wurden ergebnislos beendet. Um nicht nur die üblichen „Tarifrituale“ zu kommentieren, haben wir ein Interview mit einer Beschäftigten in der Stuttgarter Stadtverwaltung geführt, um auch Beschäftigten aus der Basis eine Stimme im Tarifkampf zu geben. Das Interview führte Christian Gebhardt.

GAM: Hallo, beschreib uns doch zunächst die Stimmung in deinem Betrieb. Spielt die Tarifrunde in Gesprächen eine Rolle oder geht sie bisher eher an den Kolleg:innen vorbei?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass am Anfang während der Forderungsfindung die Tarifrunde kaum präsent bei den Kolleg:innen war. Doch nach der ersten Verhandlungsrunde wurde schon viel über die Forderungen gesprochen und diskutiert. Hier hat auch die Unterschriftensammlung einen positiven Effekt gehabt, um die Diskussionen in meinem Betrieb zu entfachen.

Nachdem die Forderung zu den 10,5 % und mind. 500 Euro von ver.di öffentlich gemacht wurde, begann eine bundesweite Unterschriftenaktion, um möglichst viele Kolleg:innen hinter die Forderungen zu sammeln. Unser Bezirk war hier bundesweit ziemlich weit vorne. Im Klinikum haben über 50 % der Belegschaft unterschrieben. Die über 11.000 gesammelten Unterschriften wurden dann öffentlichkeitswirksam an einem Streiktag dem Oberbürgermeister übergeben. Ich fand das insgesamt einen guten Auftakt für die Tarifrunde.

GAM: Die 500 Euro stellen vor allem für die unteren Tarifgruppen eine wichtige Forderung dar. Kommt diese bei den Kolleg:innen an?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass am Anfang nicht richtig verstanden wurde, worum es bei den 500 Euro geht. Nämlich um 500 Euro mehr für die Tabelle. Das bedeutet bei vielen sogar mehr als 15 % Lohnerhöhung. Ich habe auch den Eindruck, dass eben die Forderung nach den tabellenwirksamen 500 Euro die wichtigste Forderung für die Kolleg:innen ist und für die sie auch kämpfen wollen. Eine Kollegin – die selbst kein ver.di Mitglied ist – fand von Anfang an die 10,5 % zu wenig, da es dadurch keinen Inflationsausgleich der vergangenen Jahre geben würde. Zusätzlich hat sie aus Erfahrung auch wenig Vertrauen in ver.di, diese 10.5 % zu erreichen. Die 500 Euro sind da greifbarer.

GAM: Die Frage der Streiktaktik ist immer eine wichtige. Was plant ihr denn in den Streikversammlungen in Stuttgart für Aktionen?

Aus Sicht der Streikversammlung in der Stadtverwaltung sollen die Streiks einen möglichst großen wirtschaftlichen Schaden bei der Stadt anrichten, um Druck auf diese aufzubauen. Auch wenn nicht von vornherein alle Beschäftigten mobilisiert werden sollen, sprechen wir darüber, welche Bereiche gezielt bestreikt werden sollen, um Schaden zu verursachen. Das wäre dann zum Beispiel die Hauswirtschaft beim Jugendamt. Diese bereitet täglich Essen für unsere Kitas zu. Wenn diese streikt, muss alternativ teureres Essen für die Kinder besorgt werden. Ein weiteres Beispiel wären Streiks der Parküberwachung, da diese einen wirtschaftlichen Schaden für die Stadt anrichten, wenn dadurch für jeden Streiktag Tausende Euros für Falschparken flöten gehen. Eine große Außenwirkung auch auf die Privatwirtschaft hätten Streiks bei der KfZ-Zulassungsstelle. Wenn die dichtmacht, kann das auch Auswirkungen für Daimler und Porsche zeitigen, die ja ihren Sitz hier in Stuttgart haben.

GAM: Empfindest du diese Taktik als zielführend? Oder hast du andere Vorstellungen bezüglich der Streiktaktik?

Ich finde es gut, dass man darauf schaut, welche Bereiche einen finanziellen Schaden anrichten können. Wichtiger finde ich aber, dass alle Beschäftigten aus den verschiedenen Bereichen mobilisiert werden und auch streiken. Der Streik sollte ja auch dazu führen, dass sich möglichst viele Kolleg:innen organisieren, sich ver.di anschließen und auf der Straße die Forderungen mit erkämpfen.

Ich denke auch, dass wir die anstehenden Streiks, wie die der Post, aber auch andere Kämpfe wie den internationalen Frauentag oder den Global Climate Strike miteinander verbinden sollten. Dies war auch mal im Gespräch bei einer Streikversammlung. Es hieß, wenn die Post in den Erzwingungsstreik geht, könne man die Streiks verbinden. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, es schon vorher getan zu haben. Es ist ja nicht so, dass man den Kolleg:innen von der Post die Show stiehlt, sondern vielmehr, dass wir dieselben Interessen haben und unseren Kampf gemeinsam auf der Straße führen. Meiner Meinung nach sollte man das direkt von Anfang an verbinden, dann hätte man auch viel mehr Leute auf der Straße mit gleichen Interessen.

Allerdings ist es gut, dass die Beschäftigten der Straßenbahnen ihren Streik mit dem Global Climate Strike am 3. März verbinden und zusammen für eine bessere Finanzierung und Ausbau des ÖPNV auf die Straße gehen.

GAM: Gab es noch andere Bereiche, in denen ver.di der Debatte zur Zusammenführung der Streiks ausgewichen ist?

Ja, am internationalen Frauentag soll vor allem im Pflege-, Sozial- und Erziehungsdienst gestreikt werden. Also dort, wo überwiegend Frauen beschäftigt sind und schlecht bezahlt werden. Der Streik wird mit der großen 8.-März-Demonstration verbunden. Die Kollegen in männerdominierenden Bereichen wie Abfallwirtschaft oder Garten- und Friedhofsamt sahen auf Diskussionen in der Streikversammlung hier leider keinen Grund, am 8. März zu streiken, weil das Thema nichts mit ihnen zu tun hätte und sie daran zweifelten, für die Demonstration Kollegen mobilisieren zu können. Leider wurde auch hier nicht ausgiebig genug diskutiert und der Diskussion ausgewichen. Ich persönlich finde, dass dies sehr wohl was miteinander zu tun hat und sich männerdominierende Bereiche hier solidarisieren sollten, stellt die schlechte Bezahlung der weiblichen Kolleginnen im öffentlichen Dienst nicht nur eine Ungerechtigkeit dar, sondern werden diese von der Gegenseite auch als Lohndrückerinnen eingesetzt. Schon aus „egoistischen“ Gründen sollten sich männliche Kollegen hier solidarisch zeigen. Zusätzlich ist die schlechtere Bezahlung auch ein Ausdruck der Unterfinanzierung des öffentlichen Dienstes, was sich über Umwegen dann auch bei ihnen bemerkbar macht.

GAM: Gibt es intern eigentlich Gespräche über einen möglichen Erzwingungsstreik?

Hier in Stuttgart wurde sich zumindest rhetorisch von Anfang an darauf vorbereitet, in den Erzwingungsstreik zu gehen. Jedoch schiebt hier die Bürokratie die Verantwortung an uns Beschäftigte ab: nämlich inwieweit wir die Kolleg:innen mobilisiert bekommen. Auch wenn die Organisierung eines Streiks durch die Basis wichtig ist, sollte die Bürokratie hier nicht alles auf uns abwälzen. Ein Erzwingungsstreik sollte durch alle beteiligten Gewerkschaften geplant und unterstützt werden. Dafür haben wir zentrale Organe in unseren Gewerkschaften, die eine solche Koordinierung und Organisierung übernehmen sollten. An der Basis haben wir z. B. durch die Unterschriftensammlung gezeigt, wie viele Kolleg:innen wir für die Forderungen gewinnen können. Nun liegt es eigentlich an der Führung, den Erzwingungsstreik auf die Gleise zu setzen. Ich frage mich hier jedoch, warum dies nicht aktiver angegangen wird, obwohl zu Beginn mehrmals darüber gesprochen wurde. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Bürokratie eigentlich keinen Erzwingungsstreik möchte und diesen versucht zu verschleppen.

GAM: Einem Erzwingungsstreik steht ja das Schlichtungsabkommen von ver.di im Weg. Hier verpflichtet sich die Gewerkschaft, einer Schlichtung zuzustimmen, sollte die Gegenseite diese einleiten. Was hältst du von diesem Abkommen?

Ich halte von dem Abkommen nichts und finde es schädlich für die Mobilisierung der Beschäftigten. Dieses Abkommen sollte von ver.di aus gekündigt werden. Wir sind seit Monaten schon dabei, Kolleg:innen für die 10,5 %, aber mindestens 500  Euro zu gewinnen. Diese Schlichtung, welche ab 1. April einberufen werden kann, dauert einen Monat an und währenddessen herrscht Friedenspflicht. Das würde sich sicherlich nicht positiv auf die Mobilisierung auswirken. Das bedeutet, dass während der Schlichtung gar kein Druck durch Streiks auf die Arbeit„geber“:innenseite ausgeübt werden kann. Also ich gehe nicht davon aus, dass die Arbeit„geber“:innen“ auf unsere Forderungen zugehen werden. Ver.di darf aber ebenso wenig von unserer Forderung abrücken. Wir wollen wirklich nicht einen solchen Abschluss wie die IG Metall oder die IG BCE mit 2 Jahren Laufzeit und einem klaren Reallohnverlust. Würde ein solcher Abschluss im öffentlichen Dienst zustande kommen, wird das sicherlich zu Austritten führen.

GAM: Möchtest du unseren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?

Ich denke, für uns Beschäftigte ist es wichtig, dass wir auch Druck auf ver.di ausüben, damit unsere Forderungen durchgesetzt werden und wir zeigen, dass wir dafür auch in den Erzwingungsstreik gehen wollen und keinen Abschluss hinnehmen, der unsere Forderungen unterschreitet.