Krankenhauspflege: Streiks und Reformen

Jürgen Roth, Infomail 1205, 30. November 2022

Nach bundesweiten Warnstreiks und 5 Verhandlungsrunden einigten sich Gewerkschaft und Klinikleitung lt. ver.di-Pressemitteilung vom 11.11.2022 auf einen Tarifvertrag bei der Sana AG.

Sana AG

Rund 10.000 Beschäftigte fallen unter den Konzern(haus)tarifvertrag. Deren Entgelte erhöhen sich – allerdings erst ab 1.6.2023 – um 7 %, mindestens aber 200 Euro. Zudem wurden Einmalzahlungen (2.000 Euro 2022, 500 Euro 2024) sowie höhere Zulagen vereinbart. Darüber hinaus gibt es ein Angebot des Konzerns, Teil der eigenen privaten betrieblichen Krankenversicherung zu werden.

Dem Abschluss waren Warnstreiks in Berlin und Nürnberg vorgegangen, nach die Beschäftigten schon im Oktober die Arbeit niedergelegt hatten. Zur 5. Verhandlungsrunde hatte ver.di zu einer Demo am Stammsitz in München mobilisiert. In Hof (Oberfranken) hatte am 14.10. etwa die Hälfte aller Pflegekräfte die Arbeit niedergelegt. In Nürnberg und Pegnitz erreichten die Warnstreiks am 20.10. ihren ersten Höhepunkt. Am gleichen Tag umzingelten die Lichtenberger:innen die ver.di-Zentrale in Berlin, wo die Verhandlungen stattfanden. Auf dieser Kundgebung erzählten Pflegende von Fortbildungen, die sie selbst bezahlen müssen und oft nicht mit Lohnsteigerungen verbunden sind, von überbelegten Kinderintensivbetten und der Arroganz ihrer Chef:innen, man könne ja das Unternehmen wechseln, wenn einem die Zustände nicht passten.

Ergebnisdetails

Im Einzelnen sieht das Tarifergebnis folgende Regelungen vor: Die Tabellenentgelte steigen zum 1. Juni 2023 um 7 Prozent, mindestens jedoch um 200 Euro monatlich; die Vergütungen für Auszubildende erhöhen sich zum selben Zeitpunkt um 100 Euro pro Monat. Ende dieses Jahres erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 2.000 Euro; Auszubildende erhalten dann eine Einmalzahlung in Höhe von 750 Euro. Zum 30. April 2024 erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine weitere Einmalzahlung von 500 Euro, die für langjährig Beschäftigte um 100 Euro aufgestockt wird. Auszubildende bekommen zum selben Zeitpunkt noch einmal 200 Euro. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis 30. April 2024. Zudem werden die Zulagen, unter anderem für Wechselschicht und die Pflegezulage deutlich erhöht, ebenso die Zuschläge für Nachtarbeit und der Zuschuss zur betrieblichen Altersvorsorge. Neu eingeführt wird eine monatliche Zulage für langjährig Beschäftigte: Ab 20 Jahren bei Sana sind es 50 Euro, ab 30 Jahren 75 Euro und ab 40 Jahren 100 Euro.

Die Tarifkommission kündigte eine Mitgliederbefragung an, die bis zum 25.11.2022 abgeschlossen sein sollte. Natürlich ist deren Ergebnis nicht bindend, weil es nicht zum Vollstreik nach Urabstimmung kam.

Was ist mit Entlastung?

Für viele Beschäftigte ist ein Entlastungstarifvertrag eine weitere Option. So ist z. B. die Klinik in Berlin-Lichtenberg gut organisiert. Scheinbar großzügig erklärte ver.di, man werde die Kolleg:innen dabei unterstützen, sollten sie sich dafür entscheiden. Abgesehen davon, dass eine solche Entscheidung ohne funktionierende gewerkschaftliche Betriebsgruppe bzw. Vertrauensleutekörper schon kaum zu treffen sein wird, dürfte im unwahrscheinlichen Fall ihres Zustandekommens der Apparat bestenfalls auf einen Häuserkampf einschwenken. So schiebt er die Verantwortung und Initiative an die Basis weiter. Kein Wunder, wo er doch mal wieder wie bisher stets üblich Lohn- und Entlastungstarif künstlich trennt.

Nebenbei bemerkt: In punkto Tarifvertrag Entlastung stellt sich die GEW Berlin gerade als Speerspitze mit dem 6. Warnstreik im Lauf der letzten Woche (3.000 plus Teilnehmer:innen) auf. So erfuhren wir dort, dass die Aufnahme von Entlastungsforderungen durch Druck auf den bundesweiten Apparat in der nächsten Ländertarifrunde erfolgen soll. Diesem Beispiel folgt die Gewerkschaft ver.di für die nichtärztlichen Krankenhausbeschäftigten leider nicht, sondern beschränkt sich auf flächendeckende Tarifrunden nur in der Frage der Entlohnung, nicht Entlastung. Hier blieb es beim „Häuserkampf“ großer Kliniken wie an den Universitäten oder bei Vivantes Berlin.

Chancen

Die Sana AG ist Deutschlands drittgrößter privater Krankenhauskonzern, betreibt 44 Akutkrankenhäuser, 3 Herzzentren, 4 orthopädische Fach- und 3 Rehakliniken, 4 Pflegeheime und 28 Medizinische Versorungszentren. Insgesamt arbeiten 36.000 Menschen bei Sana.

Unter den Konzerntarifvertrag fallen aber nur 20 Kliniken. Das ist nur etwas mehr als ein Viertel aller Beschäftigten. Zunächst hatte ver.di einen Sockelbetrag von 150 Euro und 8 % linear für eine Laufzeit von 12 Monaten gefordert.

Kurz zuvor kämpften die Beschäftigten der 4 Unikliniken Baden-Württembergs für bessere Bedingungen und höhere Löhne und legten die Arbeit nieder. Ebenfalls wird es wohl demnächst im Bereich der ärztlichen Klinikbeschäftigten zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen. Der Marburger Bund, bei dem die überwältigende Mehrheit organisiert ist, tritt in Verhandlungen ein.

Diese Beispiele zeigen: Es tut sich was! Gerade das Beispiel Sana zeigt, dass auch in privaten Konzernkliniken Streikbereitschaft existiert, auch wenn sie von der ver.di-Spitze nur unzulänglich ausgeschöpft wird. Umso wichtiger wird es für alle Krankenhausbeschäftigten, dagegen und für flächendeckende Entlastungspläne über alle Berufsgruppen hinweg eine innergewerkschaftliche Opposition zu bilden und sich der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) anzuschließen. Das gilt auch für den Marburger Bund.

Vorsicht Krankenhaus„reform“!

Der Bundesvorstand der Linkspartei hat Alternativen zu Lauterbachs Plänen für eine Krankenhausreform verabschiedet. Insbesondere moniert er, dass die Abschaffung der DRGs (Fallpauschalen) nicht auf der Tagesordnung der Ampelkoalition steht. Deren Aussetzung (!) zumindest für die Kinderstationen hatte der Bundesgesundheitsminister noch im Oktober angekündigt.

DIE LINKE fordert ein Halte- und Rückholprogramm des Bundes für Pflegekräfte, die ihren Job verlassen haben. Eine Zulage von 500 Euro monatlich soll aus einem Bundesfonds finanziert werden. Was ist mit denen, die ihre Arbeitszeit reduziert haben, um sie wieder aufzustocken? Zudem gibt es noch 2 Pferdefüße: a) Statt Lohnsubvention für einige zu betreiben, müssten alle eine gleich höhere Bezahlung erhalten; b) der Bund soll nicht nur zahlen, sondern alle Kliniken enteignen und unter seiner oder Regie anderer Gebietskörperschaften verstaatlichen sowie einen integrierten nationalen Gesundheitsdienst organisieren gemäß dem organisatorischen Vorbild des NHS in Britannien.

Ferner fordert der Bundesvorstand: Pflegepersonalschlüssel für bundesweit 100.000 zusätzliche Pflegestellen; Gewinnverbot für Krankenhäuser; Bundesfonds zur Rekommunalisierung privatisierter Kliniken.

Doch wie will man Ersteres ohne Abschaffung der Fallpauschalen und des Klinikwettbewerbs umsetzen? Und sollen bei der Rekommunalisierung die Klinikaktionär:innen entschädigt werden, vielleicht sogar zum Börsenwert?

Sicher eine wünschenswerte Initiative trotz mancher Lücken, doch nicht mehr als fromme Reformwünsche vom Weihnachtsmann. Perspektiven der Umsetzung mittels Kampfmaßnahmen werden gar nicht erwähnt. Dabei ist zu befürchten, dass die kleinen, aber in der stationären Grundversorgung elementaren Krankenhäuser zugunsten ambulanter Zentren geschlossen werden sollen. Wir werden über die konkreten Pläne informieren.

Zweitens zeigen die Erfahrungen mit den bisherigen Entlastungstarifverträgen, dass es nicht zur Personalaufstockung gekommen ist. Wie auch, wenn nicht mehr Geld ins System fließt? Das scheitert aber an der finanziellen Lage der Krankenkassen. Gewerkschaften und DIE LINKE wären gut beraten, ihre Mitglieder auf den drohenden Kahlschlag bei der stationären Grundversorgung abseits von Großstädten ebenso aufmerksam zu machen wie auf die notwendige Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen.

  • Kein Krankenhauskahlschlag! Gesetzliche Sozialversicherungspflicht für alle und ohne Beitragsbemessungsobergrenzen! Entschädigungslose Verstaatlichung aller Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten!