Tarifrunde Metall: Warnstreiks sind nicht genug!

Mattis Molde, Neue Internationale 269, November 2022

Nach zwei Verhandlungen hatten die Arbeit„geber“:innenverbände kein Angebot vorgelegt. Stattdessen malten sie in düsteren Farben die Lage der Metall- und Elektrobranche. Wegen der gestiegenen Energiekosten sei keine Lohnerhöhung möglich. Zur dritten Runde boten sie 3.000 Euro verteilt über 30 Monate an, steuer- und abgabenfrei.

Die IG Metall kündigte entsprechend vor der dritten Runde am 27. und 28. Oktober Warnstreiks an, falls die Gegenseite nicht „die letzte Chance nutzt“ und ein „verhandlungsfähiges Angebot vorlegt“, so Johann Horn, der Bezirksleiter von Bayern.

Signale

Das klang nach einem Affront gegen die andere Seite. Aber es war auch ein Signal an die Bosse. Der Bezirksleiter hatte die Drohung mit Warnstreiks damit verbunden, die Forderung nach 8 % Tariferhöhung durch die nach einem „verhandlungsfähigen“ Angebot zu ersetzen. Eine Kampfansage hätte so gelautet: „Unsere Forderung sind 8 % Tariferhöhung, Laufzeit 1 Jahr, Streikvorbereitungen laufen an, alle weiteren Verhandlungstermine sind vorläufig abgesagt.“

Die Warnstreiks starteten am 29. Oktober ab 0 Uhr. Die Beteiligung war stark, ein guter Auftakt. Es gibt genug Metallerinnen und Metaller, die dringend mehr Einkommen brauchen, deren Unternehmen gerade super verdienen und denen schon die Forderung von 8 % zu niedrig war. Wenn die Ware Arbeitskraft wegen der gestiegenen Energie- und anderer Kosten teurer geworden ist, dann muss ihr Preis auch steigen.

Aber schon mit den ersten Warnstreiks änderte sich die Forderung in den Mündern der IG Metall-Spitzen erneut. Aus den 8 Prozent Tariferhöhung wurden in allen Verlautbarungen „8 % mehr Geld und tabellenwirksame Erhöhungen“. Das ist nicht das Gleiche. Die neue Formel fordert für die Laufzeit des Vertrages 8 % mehr Volumen und davon soll nur ein Teil in die Monatslohntabellen eingehen. Von einer Laufzeit von 12 Monaten war schon Ende Oktober keine Rede mehr.

Auch das war ein Signal an die Bosse, dass die IG Metall die 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als irgendwie gestaltete Auszahlung haben will – aber es muss auch etwas in der Entgelttabelle bleiben. Dieser Neuformulierung aus IG Metall-Vorstandskehlen entspricht übrigens der Abschluss in der chemischen Industrie.

Dort wurde am 18. Oktober vereinbart, dass die Tariftabellen in 2 Schritten um je 3,25 % erhöht und die 3.000 Euro in Tranchen ausgezahlt werden sollen. Laufzeit 20 Monate.

Es muss also kein/e Schelm:in sein, wer Böses bei der geänderten Wortwahl der IGM-Häuptlinge denkt. Vor allem nicht, wenn man sich erinnert, dass die Regelung, dass Sonderzahlungen von bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gezahlt werden können, aus der konzertierten Aktion stammt. Dort saßen Regierung, Kapital und Gewerkschaften einträchtig beieinander und überlegten, wie die Energiekosten und andere Krisenbelastungen für bestimmte Unternehmen, für Bürger:innen und Beschäftigte so gedämpft werden, dass Proteste und zu großer Aufruhr vermieden werden können.

Vergiftet

Es sei daher zu kurz gegriffen, die 3.000 Euro steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie für ein „vergiftetes Angebot der Ampelregierung“ zu halten, von dem die „Gefahr“ ausgeht, „dass die IG Metall-Führung sich darauf einlässt“. So beurteilt die SoL dieses Angebot. Es ist vergiftet, aber die IGM müsste sich nicht darauf einlassen. Das Problem besteht aber darin, dass die IGM-Spitze das „vergiftete Angebot“ mit ausgebrütet hat. Folglich begrüßt sie es und erklärte schon durch Jörg Hofmann in der Metall-Zeitung im Juni: „Mit Tarifpolitik allein werden wir diese im Wesentlichen extern verursachte Teuerungsrate nicht ausgleichen können“.

Das vergiftete Angebot bedeutet, dass Krankenkassen und Arbeitslosenversicherung auf Einnahmen verzichten sollen, die Rentenbeiträge und auch die zukünftigen Renten der Angebotsempfänger:innen niedriger ausfallen, alles, damit die Unternehmensprofite unangetastet bleiben. Die Steuerfreiheit ist Augenwischerei: Eine Steuerreform ist ohnehin geplant und es soll dabei auch darum gehen, die „kalte Progression“ aufzufangen, die durch die Inflation befördert wird. Ohne dass die Reallöhne steigen, rutschen ja alle seit Jahren in immer höhere Steuersätze hinein. Diese sowieso anstehende Steuerreform wird jetzt den Beschäftigten in der Tarifrunde zweimal als Regierungswohltat verkauft.

Für Metaller:innen heißt das, dass alle, die jetzt richtigerweise auf Demos, in Warnstreiks, möglicherweise auch in Eintagesstreiks gehen und andere dafür mobilisieren, wissen müssen, dass ihre Führung schon jetzt bereit ist, diese Kampfkraft zu verschenken und nur Dampf ablassen will.

Das war die Regel in den letzten Jahren. Wieder und wieder waren Hunderttausende in Aktion und am Ende kamen Tarifabschlüsse raus, die sich im Volumen kaum von dem unterschieden, was die IG BCE auch mit keinen oder minimalsten Aktionen vereinbart hatte. Diese rühmt sich auch dieses Jahr dafür, dass ihr „sozialpartnerschaftlicher Stil“ so erfolgreich sei.

Das spricht nicht gegen Aktionen. Im Gegenteil! Aber sie müssen mit der Forderung verbunden werden, dass die Basis über Warn- und Vollstreiks entscheidet, die Kontrolle über den Verlauf von Verhandlungen und das Ergebnis erlangt.

Schon zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels, Anfang November, können wir sagen, dass die IG Metall-Führung erneut die Kampfkraft zu vergeuden und gerade die Aktivsten an der Basis zu frustrieren droht. Es ist zu befürchten, dass sie ein Ergebnis präsentieren wird, das gerade mit Hilfe der 3.000 Euro besonders einfach schönzurechnen ist, weil Prozente und Festgeld, Brutto und Netto munter miteinander verquirlt werden, so dass letztlich für jede/n einzelne/n etwas anderes rauskommt, das man vielleicht nach mehreren Lohnabrechnungen später durchschauen kann. Das ist vom Inhalt die gleiche Sozialpartnerschaft wie bei der IG BCE, aber alle paar Jahre mit markigen Worten garniert!

Deshalb:

  • Die Forderung heißt 8 % Tariferhöhung für 12 Monate!
  • Steuerpolitik soll Steuerpolitik bleiben und hat in den Tarifen nichts verloren! Stattdessen: Erhöhung des steuerfreien Anteils am Jahreseinkommen um 3. 000 Euro für alle und dauerhaft! (Derzeit gut 9.000 Euro)
  • Öffentlich geführte, transparente Tarifverhandlungen!
  • Gewählte Aktions- und Streikkomitees in allen Betrieben, die über alle Aktionen beraten und entscheiden!
  • Urabstimmung jetzt durch breite Debatten vorbereiten – nach der Entscheidung für Streik keine weiteren Verhandlungen vor dessen Beginn!

Aus den kritischen Stimmen an der Basis muss eine Bewegung geformt werden, Wir müssen gemeinsam die Initiative in der IG Metall ergreifen! Schließt Euch der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) an, um gemeinsam für eine andere Tarifpolitik zu kämpfen, für eine IG Metall, die Ernst macht!

Nachsatz

Die Teuerung trifft alle Beschäftigten, Rentner:innen, Arbeitslose, Jugendliche in Ausbildung. Der Kampf dagegen muss ein gemeinsamer sein! Am 22. Oktober fanden in vielen Städten Aktionen unter dem Titel „Solidarischer Herbst“ statt. Viele Metaller:innen waren dabei, aber die IG Metall als Organisation hat sich nirgends beteiligt. Das ist unsolidarisch! Das ist peinlich! Es kommen noch viele soziale Ungerechtigkeiten und Angriffe auf uns zu. Auf uns alle!