Niedersachsenwahl 2022: Ampel mit zwei Lichtern

Bruno Tesch, Infomail 1201, 11. Oktober 2022

Aufregend war der Wahlkampf in Niedersachsen nicht gerade, eher waren es die überregionalen Umstände, unter denen er stattfand. Stephan Weil, der mit Sicherheit im Amt verweilende Ministerpräsident der Wahl„siegerin“ SPD, meinte: Die Wahl sei „bestimmt gewesen von den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger“ und schwenkte um auf die Erwartung, in der Energiekrise ein gebündeltes Vorgehen von Bund und Ländern zu erleben. „Ein Maximum an Konzentration“ müsse darauf gelegt werden, „die deutsche Industrie zu schützen“. Er hatte auch schnell die Ursache allen Übels zur Hand: „Der Grund für unsere Probleme ist nicht die Bundesregierung. Der Grund ist der Angriffskrieg von Wladimir Putin auf die Ukraine.“

Richtig daran ist, dass die Landtagswahlen isoliert genommen nur geringen Aussagewert haben. Zum einen sind sie der erste bundespolitische Stimmungstest für die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, zudem der einzige für längere Zeit, denn die nächsten Wahlen auf Regionalebene finden erst im Mai 2023 in Bremen statt. Überlagert wurde die Niedersachsenwahl durch den Handlungsdruck zu Entscheidungen, die die Krisenerscheinungen abmildern sollen. Am Wahltag trat eine sogenannte Expertenkommission zusammen, um der Bundesregierung Empfehlungen an die Hand zu geben, wie für „Wirtschaft und Verbraucher“ die Energiepreise gedeckelt werden können. Das stieß sicher auch bei der Bevölkerung in der niedersächsischen Provinz auf ein höheres Interesse als der Wahlausgang. Die Wahlbeteiligung ging gegenüber dem letzten Urnengang 2017 um rund 2 Punkte auf 61 Prozent zurück.

Wahlergebnis

Die SPD behauptete sich trotz Verlusten von 3,5 % mit 33,4 %. Ihr folgte die bisherige Koalitionspartnerin CDU, die am Ende um 5,4 % gerupft mit 28,1 % dastand, ihrem schlechtesten Abschneiden seit 1947. An dritter Stelle kamen Die Grünen auf 14,5, % und verzeichneten mit 5,8 % den stärksten Zuwachs, wenn sie auch weit unter den vorher prognostizierten Gewinnen blieben. Die AfD verbesserte sich gegenüber den letzten Landtagswahlen um 3,8 % und erreichte mit 11 % erstmals ein zweistelliges Resultat. Die FDP schmierte von ihren 2017 erzielten 7,5 % noch unter die 5 %-Marke ab (4,7 %) und ist somit nicht mehr im Landtag vertreten. Andere Parteien blieben chancenlos. DIE LINKE erfüllte mit ihren desaströsen 2,7 % nicht einmal die Erwartungen der Umfrageinstitute, die sie bei 4 % gesehen hatten.

SPD und Grüne werden bereits am 13.10. Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Beide hatte sich schon vorab für eine Regierungspartnerschaft bereit erklärt. Mit diesem Ergebnis geht die grottige Groko-Zeit mit dem gemeinsamen Regieren von SPD und CDU nun auch auf Länderebene zu Ende. Ein Freifahrtticket für die im Bund regierende Ampelkoalition bedeutet dies hingegen nicht, denn die FDP, deren Licht im niedersächsischen Landtag verloschen ist, hat bereits wissen lassen, dass sie ihr „Profil schärfen“ wolle, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das bedeutet, härtere Auseinandersetzungen um den Regierungskurs sind vorprogrammiert.

CDU und SPD verteidigten im Wesentlichen ihre traditionellen Hochburgen, die CDU v. a. im Osnabrücker Land, während Industriestandorte wie Wolfsburg oder Salzgitter für die SPD wogen. Im Raum Salzgitter befindet sich jedoch eine Industrie in der Krise, und das Resultat für die AfD lag mit 18 % über dem Durchschnitt. Bei der SPD trat alles Inhaltliche hinter den Zuschnitt auf die Vaterfigur des Amtsinhabers Weil zurück. Die CDU tat sich als bisherige  „Juniorpartnerin“ umso schwerer, da die Schützenhilfe der auf harte Konfrontation gebürsteten Bundespartei ihren Wahlkampf nicht glaubwürdiger machte. Sie versuchte, teilweise mit dubios rassistischen Plakaten wie „Null Toleranz gegen Clans“, im rechten Milieu zu fischen.

Das Abschneiden der AfD wurde von den Wahlkommentator:innen mit „Besorgnis“ verfolgt und als Ausdruck von Abstiegsängsten bedrohter Existenzen gedeutet. Ein Alleinstellungsmerkmal war neben der Rhetorik gegen die „Linksrepublik“ auch der Verweis auf die „Flüchtlingsproblematik“ durch Zuzug aus der Ukraine, ein Thema, was andere Parteien gemieden haben, aber reaktionäre Ressentiments mit tatsächlicher Problematik  bei Verknappung von Wohnraum vermischt hat. Daneben konnte auch die erstmals angetretene rechtspopulistische Partei Die Basis im Wahlkreis 47 (Elbe) mit ihrer Kandidatin einen Achtungserfolg über 6 % erlangen. Die AfD erhielt Zulauf von fast allen anderen Parteien, ebenso wie die Grünen.

Die Grünen profitierten von ihrer bereits zuvor gestärkten Stellung  in Niedersachsen, unterstrichen durch 17 eroberte Bürgermeisterchef:innensessel, darunter nicht zuletzt in der Landeshauptstadt Hannover. Sie konnten in der Oppositionsrolle unbeschadet ihre vermeintliche Sachkompetenz in Umweltfragen ins Spiel bringen und punkteten vornehmlich bei jüngeren und perspektivisch einkommensstärkeren Wähler:innengruppen, während sie in industriell geprägten Bezirken schwach abschnitten.

Nur in traditionell linken Wahlbezirken wie Amt Neuhaus (ehemals DDR-Gebiet) konnte DIE LINKE jenseits der 5 % landen. Sie  bestritt ihren Wahlkampf mit Plakaten, auf denen teils in derben populistischen Ausdrücken von Krisenerscheinungen zu lesen war, die aber mittlerweile jede/r potenzielle Wähler:in zur Genüge kennt: Inflation, Mieten, Schulen, Gesundheitswesen – allein, Antworten auf die oft in Frageform formulierten Probleme waren den Schildern nicht zu entnehmen. Bei den wenigen Protestkundgebungen trat DIE LINKE nicht als treibende Kraft und mit klaren Positionierungen in Erscheinung, sondern versteckte sich in „breiten Bündnissen“. Kein Wunder also, dass sie nicht ernst genommen wurden als Vertreterin von Interessen der Arbeiter:innen und anderen Benachteiligten.

Das aber ist die Aufgabe von Kräften, die sich auch auf Landesebene formieren und den Anschluss suchen müssen an eine bundesweite Bewegung, die sich gegen die Pläne der Regierungskoalition in Bund und Land wendet. Nicht von ungefähr hat Weil nur die Standortlogik der deutschen Industrie verteidigt – die Interessen der Arbeiter:innenklasse hingegen mit keiner Silbe gewürdigt. Eine solche Protestbewegung muss aber genau diese Interessen in einem Aktionsprogramm zum Tragen bringen und damit auch den Bestrebungen der rechten „Opposition“ die Spitze brechen.