Metallindustrie: eine Tarifrunde von Bedeutung

Mattis Molde, Neue Internationale 267, September 2022

Wer für die Krisen zahlt, wird auch in Tarifrunden entschieden. Die Bundesregierung hat ihre Ausgaben für die Pandemie, für die Bekämpfung der aufkommenden wirtschaftlichen Krise, für Aufrüstung und Militärhilfe noch nicht finanziert. Kommen Steuererhöhungen oder Sozialabbau? Die Konzerne legen die Folgen der Sanktions- und Boykottpolitik gegen Russland auf die Bevölkerung um und versuchen, dabei noch Zusatzprofite einzusacken.Damit haben sie die Inflation auf in Deutschland lange nicht mehr gesehene Höhen getrieben. Die Realeinkommen der arbeitenden Bevölkerung hat das drastisch reduziert.

In der Bevölkerung machen sich Unmut und Protest breit. In manchen Branchen reagieren die Gewerkschaften mit Lohnforderungen und Tarifabschlüssen, die deutlich über den gewohnten Zahlen liegen, selbst wenn sie noch weit hinter den Erfordernissen zurückbleiben.

Jahrelange Durststrecke für den Standort Deutschland – magere Forderung heute

Jetzt steht die Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie an, also einer der größten Branchen, mit einem hohen Entgeltniveau und Kampfpotential, das aber seit Jahren nicht mehr wirksam eingesetzt wird.

So gab es seit viereinhalb Jahren keine Erhöhung der Monatseinkommen mehr („tabellenwirksame Erhöhung“). Es wurden lediglich neue Sonderzahlungen vereinbart. Große Teile davon waren in den vergangenen Jahren nicht ausbezahlt worden, weil Ausstiegsklauseln den Unternehmen Verschiebung und Nichtauszahlung ermöglichen oder betriebliche Verzichtsvereinbarungen getroffen worden wurden.

Zugleich wurden über zwanzigtausend Arbeitsplätze vernichtet. Zahlreiche Betriebe werden geschlossen oder verlagert. In keinem Fall war die Gewerkschaftsführung willens, dagegen zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Es blieb bei Protesten, bei „sozialer“, sprich finanzieller Abfederung des Arbeitsplatzverlustes und peinlichen Appellen an das soziale Gewissen der Manager:innen. Die Mitgliederzahlen der IG Metall gehen nach unten. Die Führung will das so. Sie fühlt sich dem Standort Deutschland und seiner Exportindustrie verpflichtet. Sie hat es geschafft, den Glauben an die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kapital so zu verankern, dass dann, wenn dieses sie aufkündigt, ein Umschalten auf effektiven Widerstand schwierig wird. Die Führung will ihn sowieso nicht, die Belegschaften wissen oft nicht mehr, wie das geht. Wenn sie doch den Kampf riskieren wollen, gar streiken, werden sie von der Funktionär:innenriege in den Konzernen und der Gesamtorganisation isoliert und dürfen sich alleine abstrampeln. So wird dann auch allen bewiesen, dass eben nicht geht, was nicht gehen soll. Damit kommt die Bürokrat:innenkaste in der IG Metall durch, solange es den Kolleg:innen, die kämpfen wollen, nicht klar ist, dass sie auch die Bürokratie bekämpfen müssen.

Im Vorlauf dieser Tarifrunde hat die Spitze alle bürokratischen Tricks genutzt, um die Forderungen auf 8 % zu begrenzen. Aber der Druck von unten wurde sichtbar. Hat die Bürokratie den Spielraum, dem Druck etwas nachzugeben, ein halbgares Ergebnis zu erzielen, das dann mit Schönrechnen der Masse der Mitglieder verkauft werden kann? Was will die Kapitalseite?

Nullrunde im Zeichen der Krise?

In einem Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“ hat der Vorsitzende des „Arbeitgeberverbands Gesamtmetall“, Stefan Wolf, für die Metall- und Elektroindustrie eine Nullrunde gefordert. Die „Gasmangellage“ falle zeitlich genau in die Tarifrunde. „Dann wird es nicht möglich sein, die Firmen der Metall- und Elektroindustrie mit Lohnerhöhungen weiter zu belasten.“ Die hohe Inflation müssten die Mitarbeiter:innen ohne Lohnerhöhung kompensieren. Außerdem müsse man eine weitere Steigung durch eine Lohn-Preis-Spirale verhindern. „Die Forderung fällt völlig aus der Zeit und zeugt von einer gewissen Weltfremdheit“, sagte er. Das Lohnniveau in der Metall- und Elektroindustrie sei schon extrem hoch. „Das kann halt nicht immer noch weiter wachsen – schon gar nicht in dieser Lage“, so Wolf.

Dass die Kapitalseite vor jeder anstehenden Lohnrunde aufheult, jammert und zu Verzicht aufruft, ist nicht neu. Das gehört zu ihrem Geschäft und zum Tarifritual. Es erlaubt der IG Metall-Führungsriege, jeden Abschluss als Durchbruch gegen die Blockade der Unternehmen zu feiern.

Aber angesichts der Notwendigkeit, die Arbeiter:innenklasse für Krisen und Krieg zahlen zu lassen, können wir davon ausgehen, dass die mächtigste Fraktion der Herrschenden, das Exportkapital, das vor allem in der Autoindustrie und dem Maschinenbau angelegt ist, nichts zu verschenken hat. Der Krieg in der Ukraine ist eben nicht das Resultat eines durchgeknallten Diktators, sondern Ausdruck der wachsenden Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten und Blöcken. Das deutsche Kapital hat da jetzt schon verloren: Es musste sein Bemühen, sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine super Geschäfte zu tätigen, teilweise aufgeben und sich der Konfliktstrategie Washingtons unterwerfen.

Für Metaller:innen müssen Wolfs Worte aber in den Ohren klingeln. Angesichts von ca. 8 Prozent Inflation und 4 ½ Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhung bedeuten seine Forderungen eine gewaltige Absenkung des Lebensstandards. Das „extrem hohe Lohnniveau“, wie es dieser bezeichnet, wird seit Jahren angefressen.

Was tun?

Ob die Bürokratie in dieser Lage mit ihren üblichen Manövern durchkommt? Ob es reicht, eine lange Laufzeit anzubieten, in der die Kapitalist:innen über die Inflation „ihr“ Geld wieder reinholen? Ob es möglich wird, mit Getöse und Dampf Ablassen, vielleicht einschließlich Tagesstreiks, die kampfbereiten Teile der Gewerkschaft zu erschöpfen?

Das hängt vor allem von Aktivist:innen an der Basis ab! Es reicht nicht, auf den offiziellen Veranstaltungen mit Pfeifen zu trillern. Positionen müssen formuliert werden: Was wir wollen und wie wir es erreichen können. Wir brauchen eine Vernetzung der Aktiven an der Basis, sonst erzählen die Sekretär:innen auch weiterhin, dass leider überall sonst alle mit dem Kurs der Gewerkschaftsbonzen einverstanden wären. Auf den Konferenzen muss wieder freie Debatte durchgesetzt und diese vor allem in den Betrieben unter den Belegschaften offen geführt werden. Die Entscheidungen dürfen nicht länger hinter den Kulissen fallen.

Völlig zu Recht schreibt die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften:

„Wir als VKG hatten uns im Frühjahr für eine Festgeldforderung zwischen 350 und 400 Euro eingesetzt. Die Tarifkommission und der IG Metall-Vorstand beschlossen acht Prozent Lohnerhöhung, auch wenn es einzelne wesentlich höhere Forderungen aus Betrieben gab. Angesichts weiter steigender Preise, der gerade beschlossenen Gasumlage und völlig unzureichender Entlastungsmaßnahmen bleibt diese Forderung unter dem, was nötig wäre. Landet man im Ergebnis unter der Forderung, bedeutet das sicher Reallohnverlust, aber selbst mit den acht Prozent ist eine Reallohnsteigerung nicht gegeben. Daher sollte in der IG Metall darüber diskutiert werden, diese Forderung entsprechend der aktuellen Situation nochmal zu erhöhen. Da wir nicht wissen, wie sich die Inflation entwickelt, müssen nach unserer Ansicht die Gewerkschaften den Kampf für eine automatische Anpassung der Entgelte an die Preissteigerungen (gleitende Lohnskala) aufnehmen.

Außerdem wird deutlich: eine harte Tarifauseinandersetzung kündigt sich an. Es muss diesmal ums Ganze gehen. Das bedeutet, dass Warnstreiks diesmal nicht ausreichen werden. Überall müssen jetzt schon Diskussionen laufen, um sich nach gescheiterten Verhandlungen auf eine Urabstimmung und Vollstreik in der gesamten Metall- und Elektroindustrie vorzubereiten. Zudem ist es nötig, dass die DGB-Gewerkschaften Tarifrunden synchronisieren und zusätzlich DGB-weite Demonstrationen gegen das Abladen der Krise auf die arbeitende Bevölkerung organisieren. Die Metalltarifrunde muss als Teil eines heißen Herbstes kämpferisch geführt werden und die Vorbereitungen dafür müssen jetzt stattfinden.“