Ergebnisse des G7-Gipfels – der Westen macht mobil

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1191, 29. Juni 2022

Selbstzufrieden präsentiert sich nicht nur der deutsche Kanzler und Gastgeber des G7-Gipfels Olaf Scholz. Inmitten des Kriegs um die Ukraine, einer beginnenden nächsten Wirtschaftskrise, einer drohenden Hungerkatastrophe und des Fortschreitens des Klimawandels inszenierten sich die Staats- und Regierungschefs der westlichen Mächte samt EU-Gästen als Retter des Planeten. Demonstrativ wurde die neue Einheit des erlesenen Clubs zelebriert, Schulterklopfen, Lob und …

Sicherlich. Die Gegensätze zwischen den Sieben sind nicht verschwunden. Aber die Invasion Russlands und das stetig wachsende wirtschaftliche und politische Gewicht Chinas drängen die G7 zur Einheit und dazu, den Kampf um die längst herausgeforderte Hegemonie der westlichen imperialistischen Mächte entschlossen aufzunehmen. Darum ging es auf dem bayrischen Schloss Elmau, darum geht es am unmittelbar darauffolgenden NATO-Gipfel in Madrid.

Kampf um die Ukraine

Wenig verwunderlich stand der Krieg um die Ukraine im Zentrum der Tagung. Auf der abschließenden Pressekonferenz verkündete Olaf Scholz, dass die G7 „eng und unverbrüchlich an der Seite der Ukraine“ stünden – als ob das jemand bezweifelt hätte. Neue Waffensysteme und Kreditlinien wurden angekündigt. Der ukrainische Staatshaushalt soll mit 28 Mrd. Euro unterstützt werden. Für die Zukunft wird in der Abschlusserklärung außerdem eine Art Marshallplan für das Land versprochen.

Weitere Schritte, den Ring um Russland enger zu ziehen, werden auf dem NATO-Gipfel in Madrid folgen.

Bei aller zur Schau gestellten Einheit stehen die G7 global vor einer wirklichen Herausforderung ihrer Hegemonie. Die Sanktionen gegen Russland zeigen natürlich massive Wirkung – vor allem was die Verarmung der russischen Bevölkerung betrifft. Aber zugleich haben es die westlichen Mächte schwer, ihr Sanktionsregime durchzuziehen – teilweise aufgrund der eigenen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, teilweise weil andere Länder wie China und vor allem Indien massiv russische Energie abnehmen.

Kein Wunder also, dass zentrale sog. Schwellenländer wie Indonesien, Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien als Gäste geladen wurden – zweifellos, um sie in eine westliche Allianz gegen Russland und China zu ziehen.

Die unmittelbare militärische Herausforderung durch den russischen Imperialismus dient zur Rechtfertigung der Wiederbelebung der westlichen Allianz unter US-Führung und einer Expansion und Ausweitung der NATO wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gesehen. So soll die NATO-Eingreiftruppe von 40.000 auf 300.000 Soldat:innen aufgestockt werden. Die Zeiten, wo Russland als „Partner“ begriffen wurde, sind unwiederbringlich vorbei.

G7 als Helfer in der Not

Doch der Krieg um die Ukraine bildet nur einen Aspekt eines größeren Kampfes, den die G7 natürlich nicht erst seit Garmisch forcieren. Die innere ökonomische Krise des chinesischen Imperialismus soll genutzt werden, um dessen Projekt, die Neue Seidenstraße, zurückzudrängen und die Dominanz des westlichen Finanzkapitals über die halbkoloniale Welt wieder zu festigen. Genüsslich prangern die westlichen Staatschefs die harschen Kreditbedingungen Chinas an, das seinen „Partnerländern“ keine fairen Bedingungen biete, ja diese geradezu im Stich lasse angesichts von Währungskrisen, drohendem Bankrott, Hunger und Armut.

Die G7 präsentieren sich angesichts jenes Elends, das ihre Konzerne, ihre Banken, ihre Wirtschaftsordnung maßgeblich produziert haben, selbstlos. Mehr als 600 Milliarden US-Dollar sollen bis 2027 in Häfen, Schienenverkehr, aber auch das Gesundheitswesen, regenerative Energiesysteme und Stromnetze investiert werden. Allein 200 Milliarden davon sollen durch den US-Imperialismus bereitgestellt werden. Laut EU-Präsidentin Ursula von der Leyen soll „Team EU“ knapp 300 Milliarden US-Dollar beisteuern.

Vor allem afrikanische Nationen sollen von dieser sattsam bekannten Hilfe im Stile des IWF „profitieren“. Außerdem stellt Scholz einen „Klimaclub“ in Aussicht, der noch Ende 2022 gegründet werden und vor allem den „Schwellenländern“ helfen soll, also jenen Staaten, die der Westen als Verbündete gegen Russland und China gewinnen will. Angesichts drohender Hungersnot in vielen Ländern der sog. Dritten Welt sagten die Staats- und Regierungschefs weitere 4,3 Mrd. Euro zu. Auch wenn sich somit die Gesamtsumme der von den G7 versprochenen Hilfsleistungen für die Ärmsten der Armen auf 13 Mrd. Euro beläuft, so bleibt diese weit unter den 44 Mrd. Euro zurück, die lt. UN-Berechnungen nötig wären, um die aktuelle Nahrungsmittelkrise wirksam einzudämmen.

G7 als westlicher imperialer Club

Anders als noch vor einigen Jahren, als die G7 als eine Art Auslaufmodell der Weltpolitik erschienen, sind diese nun als Kraft zurück auf der weltpolitischen Bühne. Auch wenn die G7 keine verbindlichen Beschlüsse fällen, so fungieren sie wieder als ein zentrales Mittel zur Koordinierung der ökonomischen, politischen und geostrategischen Ziele der westlichen imperialistischen Mächte.

Die G20, die einige Zeit als alternatives Regulierungsgremium der Globalisierung erschienen, werden an Bedeutung verlieren und zu wenig mehr als einem Mittel zur Austragung der Konkurrenz mit Russland und China geraten. Angesichts der angekündigten Teilnahme Putins am nächsten G20-Gipfel wurde sogar kurzfristig ein Boykott der Tagung erwogen. Doch das war rasch vom Tisch – schließlich wolle man ja Russland keine Bühne überlassen.

So sehr die G7 ihr Kerngeschäft wiederentdeckt und einen neuen Sinn im Kampf um die Neuaufteilung der Welt gefunden haben, so blieben, wenig verwunderlich, trotz aller demokratischen, humanitären, sozialen Absichtserklärungen die Bekämpfung der Armut und des Klimawandels auf der Strecke.

Scholz und Macron, Biden oder Trudeau mögen sich in ihren Ländern als liberale oder gar sozialdemokratische Gegenmodelle zum Rechtspopulismus, ja als Männer des sozialen Ausgleichs präsentieren – global betrachtet geht es freilich darum, die eigene, ins Wanken geratene globale Hegemonie wieder zu errichten und die Profite der eigenen Kapitale vor dem Hintergrund einer heraufziehenden Weltwirtschaftskrise zu sichern. Sprich, es steht die Stärkung imperialistischer Herrschaft, der Ausbeutung der „eigenen“ wie „fremder“, also halbkolonialer Arbeitskraft, auf dem Zettel.

Darauf zielen letztlich nicht nur die militärischen Ausgaben, sondern auch die „Hilfsprogramme“ in Milliardenstärke.

Angesichts des barbarischen russischen Angriffs auf die Ukraine präsentiert sich der Westen dabei keineswegs ohne Erfolg und unter kräftiger Mithilfe fast aller bürgerlichen Kräfte als Hort der Demokratie. Der Kampf um die Ukraine wird als einer zwischen den globalen Kräften von Autoritarismus und Diktatur gegen jene von Demokratie und Freiheit ideologisiert. Ganz in diesem Sinn versuchen die G7 auch, ein Bündnis der „demokratischen“ Staaten zu schmieden, inklusive solcher Vorzeigeregime wie jenes von Modi in Indien.

Mit der Demokratie ist es auch bei anderen Verbündeten der demokratischen Staatenwelt wie auch in deren Innerem bekanntlich nicht so weit her. Dies hindert freilich Gewerkschaftsführungen, Grüne, US-Demokrat:innen und sozialdemokratische Parteien nicht daran, die G7 zu einer respektablen Institution zu verklären und deren wahren, imperialistischen Charakter zu verschleiern. Angesichts des öffentlichen Drucks und des Opportunismus gegenüber dem „demokratischen“ Imperialismus geraten auch so manche Linksparteien ins Schwanken. Ganz an vorderste Stelle jener, die die G7 faktisch beschönigen, finden sich die NGOs, die oft genug auch von den Geldern der G7-Staaten leben. So forderten sie in ihrem Aufruf zur Demonstration gegen den G7-Gipfel: „Zieht Konsequenzen aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine! Befreit uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle! Handelt in aller Konsequenz gegen Klimakrise und Artensterben! Und bekämpft endlich Hunger, Armut und Ungleichheit!“

Dumm nur, dass die G7-Staaten keine über den Klassengegensätzen und schon gar nicht über den globalen Konflikten stehende „neutrale“ Institution darstellen, sondern selbst ein zentrales Gremium der dominierenden westlichen imperialistischen Mächte bilden. Wer von den führenden imperialistischen Bourgeoisien die Rettung der Welt erhofft, streut nur sich selbst und anderen Sand in die Augen.