Nordirland: Sinn Feins historischer Sieg wird vom unionistischen Veto blockiert

Bernie McAdam, Infomail 1190, 1. Juni 2022

Sinn Fein hat bei den Wahlen zur Nordirischen Versammlung einen historischen Sieg errungen. Die Partei, die der politische Flügel der Provisional IRA (Provisorische Irische Republikanische Armee) war und von der britischen Regierung sechs Jahre lang mit einem Sendeverbot belegt wurde, ist jetzt die größte Partei im Stormont, dem Parlament. Zum ersten Mal in der Geschichte des nordirischen Staates hat eine Partei, die sich für ein vereintes Irland einsetzt, mehr Sitze gewonnen als die größte Partei der Unionist:innen. Nach hundert Jahren unionistischer Dominanz in der Regierung hat eine nationalistische Partei nun das Recht, den Ersten Minister (First Minister) in der neuen Exekutive mit geteilter Macht zu benennen. Berechtigt ist jedoch nicht ermächtigt!

In Wirklichkeit hat sich die größte unionistische Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), geweigert, einer solchen Exekutive beizutreten, wodurch die wichtigste Institution des Karfreitagsabkommens (GFA) zusammengebrochen ist. Die DUP möchte, dass das Nordirland-Protokoll, das Abkommen zwischen dem britischen Vereinigten Königreich und der EU, das eine Wirtschaftsgrenze entlang der Irischen See gezogen hat, aufgehoben wird, bevor sie einer neuen Exekutive oder Versammlung beitritt. Die Parteien haben bis zu 24 Wochen Zeit, um eine neue Exekutive zu bilden, andernfalls müssen Neuwahlen abgehalten werden.

Unnachgiebigkeit der Unionist:innen

Der DUP-Führer Jeffrey Donaldson sagt, er werde das Wahlergebnis akzeptieren (so?!), aber selbst wenn er nicht den Vorwand des Protokolls hätte, die Exekutive zu sabotieren, hätte die DUP es immer noch demütigend genug gefunden, einen nationalistischen Ersten Minister zu akzeptieren. Das zeigt, dass der Unionismus nicht weniger überheblich und bigott ist als der sektiererische Staat im Norden, den er seit über einem Jahrhundert verteidigt.

Der Nordstaat kann nur durch die Rolle Großbritanniens bei der Teilung Irlands im Jahr 1921 und der Schaffung eines willkürlichen Stücks Land mit einer unionistischen Mehrheit unter dem Namen „Nordirland“ verstanden werden. Der entstehende Staat wurde aufgebaut und konzipiert, um die nationalistische Minderheit niederzuhalten, mit systematischer Diskriminierung und Unterdrückung, die in den späten 60er Jahren zum Kampf für Bürger:innenrechte führte.

Die Unionist:innen wehrten sich gegen die Forderung nach gleichen Bürge:innenrrechten und reagierten durch Unterstützung der nachfolgenden britischen Regierungen mit verstärkter Repression. Als sich die nationalistische Minderheit gegen loyalistische Pogrome und staatliche Repressionen zur Wehr setzte, kam es zu einem Massenaufstand, der in einen bewaffneten Kampf zur Vertreibung der britischen Truppen und gegen die Teilung mündete. Sinn Fein und die IRA führten diesen Kampf an, und ihre Unterstützung ist noch heute ein Erbe ihrer Beteiligung an diesem berechtigten Widerstand.

Die Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens war der krönende Abschluss des Friedensprozesses, bei dem Unionist:innen und Nationalist:innen zum ersten Mal die politische Macht teilten. Die DUP wurde schreiend zu dieser Übung gezerrt, aber eigentlich hatte sie wenig zu verlieren, schließlich hatte Sinn Fein/IRA ihre Waffen außer Dienst gestellt und entgegen den republikanischen Grundsätzen ein Veto der unionistischen Mehrheit gegen ein vereinigtes Irland akzeptiert. Selbst nach einem solchen Einlenken wurde es von den Hardliner-Unionist:innen immer noch als Machtteilung mit dem Feind angesehen.

Nichtsdestotrotz teilten sich die DUP und Sinn Fein die Macht. Sie waren sich beide einig, den Staat und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, sie und ihre Anhänger:innen waren beide Nutznießer:innen einer sektiererischen Mittelzuweisung, und sie stimmten beide, zusammen mit allen anderen großen politischen Parteien, der Umsetzung der Sparpolitik der britischen Regierung in Westminster zu, die die öffentlichen Dienstleistungen bis auf den Grund kürzt. Die Versammlung/Exekutive wurde zum Hauptinstrument der britischen Herrschaft im Norden.

Seit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 wurde der Nordstaat mit einem dezentralisierten Parlament kosmetisch verschönert und einige der schädlichsten Formen der Diskriminierung wurden beseitigt, was einer kriegsmüden Bevölkerung viel Hoffnung gab. Doch die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile des Friedens blieben aus, und es gab keine wirklichen Fortschritte beim Abbau des Sektierertums. Vielmehr kam es immer wieder zu einer Verschärfung der sektiererischen Spannungen, vor allem dann, wenn die DUP es für nötig hielt, den loyalistischen Eifer anzufachen. Die Rolle der DUP bei den „Flaggenkrawallen“ im Jahr 2013 ist ein typisches Beispiel dafür.

Sinn Fein hat sich verpflichtet, die Macht mit der DUP zu teilen, einer der reaktionärsten Parteien Europas, einer Partei, die sich kompromisslos gegen Abtreibungsrechte, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Rechte der irischen Sprache usw. stellt. Das Karfreitagsabkommen basiert auf der Anerkennung eines Vetos der Unionist:innen in der Grenzfrage – eine Grenze, die seit ihrer Entstehung im Jahr 1921 die Gemeinden und das wirtschaftliche Hinterland vollständig geteilt hat, was mit sozialer Benachteiligung einherging.

Alle, von der EU, den USA, der Irischen Republik und den britischen Regierung bis hin zu allen großen politischen Parteien im Norden, schwören auf dieses Abkommen. Sie alle sind daran beteiligt, die Teilung zu veredeln, aber das Karfreitagsabkommen kann das Demokratiedefizit im Herzen des Nordstaates nicht beheben. Die Teilung der Macht ist ein geschickter Weg, dies zu verbergen, zumindest für eine gewisse Zeit. Aber der Widerspruch wird immer zum Vorschein kommen, der Widerspruch, eine britische Grenze in Irland zu haben, eine Grenze, die dem irischen Volk als Ganzes das Recht verweigert, über seine eigene Zukunft zu entscheiden.

Brexit

Der nächste Schritt war der Brexit, der diesen Widerspruch einer britischen Grenze auf der irischen Insel ausnutzte und verschärfte. Der britische Austritt aus der EU war in Irland überwältigend unpopulär. Im Norden stimmte eine Mehrheit dagegen, abgesehen von einer unionistischen Minderheit unter Führung der DUP, die nun meint, sie habe das „demokratische“ Recht, ein Veto gegen die Mehrheit einzulegen.

Als Mitglieder der EU hatten sowohl die Republik Irland als auch Nordirland eine offene Grenze und einen gemeinsamen Markt. Durch den Brexit drohte eine harte Grenze zwischen den beiden Staaten mit allen daraus resultierenden Kosten und Unannehmlichkeiten für beide Seiten. Die britische Regierungspartei der Tories scheinen die Folgen ihrer Pläne für Irland nicht bedacht zu haben.

Die Befürworter:innen des Brexit der DUP haben heuchlerisch gegen eine harte Grenze gewettert, aber warum dann für den Austritt aus der EU stimmen? Was erwartet man, wenn man eine Freihandelszone verlässt? Das Protokoll wurde von den Tories und der EU vereinbart, um die nachteiligen Auswirkungen einer harten Grenze zu umgehen. Anstelle von Kontrollen an der irischen Grenze, der einzigen Landgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, würde es Kontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland geben, wobei sich Nordirland bereit erklärt, die EU-Vorschriften für Produktstandards zu befolgen.

Die DUP und die Traditional Unionist Voice (Traditionelle Unionistische Stimme TUV) halten diese Grenze an der Irischen See für inakzeptabel, da sie den Platz von Norirland im Vereinigten Königreich untergräbt, daher muss das Protokoll weg. Die Tatsache, dass die Wirtschaft des Teilstaates vom Verbleib auf dem EU-Markt profitiert, wird geflissentlich übersehen. Obwohl die neue Versammlung eine pro-Protokoll-Mehrheit hat, wird die DUP/TUV ihr unionistisches Veto nutzen, um das Wahlergebnis zu kippen, das Donaldson angeblich akzeptiert hat!

Dies zeigt einmal mehr die paranoide Angst vor einem vereinigten Irland, das jeden ihrer Schritte bestimmt, selbst um den Preis einer harten Grenze zwischen Nordirland und der EU. Die Reaktion darauf erklärt zum Teil das schnelle Wachstum der Alliance Party zur drittgrößten Partei. Die Entwicklung dieser liberalen, wirtschaftsfreundlichen und EU-freundlichen Mittelschichtspartei könnte die Wirtschaft in Nordirland von ihrer traditionellen Loyalität zu den Unionist:innen abbringen, doch die Befürwortung der Alliance für die britische Union steht nicht zur Disposition.

Das anhaltende Brexit-Dilemma des britischen Premier Boris Johnson besteht darin, wie er das Protokoll so ändern kann, dass es die DUP und die EU zufriedenstellt. Zweifellos wird er dies in den kommenden Wochen mit seinen charakteristischen Lügen und Täuschungen tun, da das Parlament bereits über ein Gesetz zur Aufhebung des Protokolls beraten wird. Die EU und die USA haben ihn bereits vor solchen einseitigen Maßnahmen gewarnt, die ein Handelsabkommen mit den USA gefährden könnten. Außerdem würde dies die Gefahr eines Handelskriegs mit der EU erhöhen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Wirtschaft mit einer drohenden Rezession konfrontiert ist.

Es wird also ein interessantes Rätsel sein, inwieweit Johnson die Unionist:innen beschwichtigen kann. Es wird jedoch mehr als deutlich, dass der Brexit für Irland, im Norden wie im Süden, immer eine Katastrophe sein würde. Das Protokoll soll die Auswirkungen bis zu einem gewissen Grad abmildern, aber die Unnachgiebigkeit der Unionist:innen wird die Wahrscheinlichkeit einer harten Grenze nur erhöhen.

Eine neue Ära?

Die Vorsitzende von Sinn Fein im Norden, Michelle O’Neill, sagt, der Sieg läute „eine neue Ära“ für Nordirland ein. Er wird auch südlich der Grenze den politischen Schwung der Partei verstärken. Aber kommt Sinn Feins Vision eines vereinten Irlands dadurch näher? Sicherlich hat die Debatte über ein vereinigtes Irland seit dem Brexit zugenommen, aber die Verwirklichung ist nicht in greifbare Nähe gerückt.

Die Strategie von Sinn Fein besteht darin, sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Regierung politische Macht zu erlangen – kein unwahrscheinliches Szenario – um Druck auf Großbritannien auszuüben, eine Grenzabstimmung abzuhalten. Sie weisen darauf hin, dass Großbritannien nach den Bestimmungen des Karfreitagsabkommens berechtigt ist, eine Grenzabstimmung anzusetzen, sofern eine Mehrheit für ein vereinigtes Irland wahrscheinlich ist. Ihre Vorsitzende Mary Lou McDonald geht von einem Zeitrahmen von 5 bis 10 Jahren aus.

Diese Entscheidung liegt jedoch nicht bei Sinn Fein, sondern kann nur vom britischen Außenminister getroffen werden, und zwar auf der Grundlage dessen, was die britische Regierung bei einem Referendum für wahrscheinlich hält. Es gibt keinen Mechanismus, der die Regierung zum Handeln zwingt. Das irische Volk hat hier kein Mitspracherecht!

Es überrascht nicht, dass Johnson dies bereits „für eine sehr, sehr lange Zeit“ ausgeschlossen hat, und Keir Starmer von der Labour-Partei ist nicht besser, da er glaubt, dass ein Referendum nicht in Sicht ist, und selbst wenn es eines gäbe, würde er sich gegen ein vereinigtes Irland einsetzen. Sinn Fein macht sich also der Illusion schuldig, dass die Grenzabstimmung in greifbare Nähe gerückt ist und im Falle ihrer Durchführung eine Mehrheit finden würde, was jedoch nicht unvermeidlich ist, wenn man den Meinungsumfragen glauben darf.

Eine weitere Illusion besteht darin, dass Großbritannien als „neutraler“, „desinteressierter“ Akteur die Einheit fördern und alle Bestimmungen des Karfreitagsabkommens in gutem Glauben umsetzen würde. Doch die britische Präsenz ist das Hauptproblem. Nicht umsonst haben aufeinanderfolgende britische Regierungen einen 30-jährigen Krieg gegen diejenigen geführt, die die Grenze abschaffen wollten. Großbritannien könnte sich zwar prinzipiell für ein vereinigtes kapitalistisches Irland erwärmen, aber zu britischen Bedingungen, was in naher Zukunft höchst unwahrscheinlich ist.

Man kann sich nicht auf das Abkommen verlassen, das sich ohnehin auflöst, oder auf die Forderung nach einer Grenzabstimmung, um Irland zu vereinen. Die Tatsache, dass eine Abstimmung im Norden gefolgt von einer Abstimmung im Süden stattfinden müsste, ist eine Parodie dessen, was geschehen sollte. Die konsequente demokratische Position ist eine gesamtirische Wahl zu einer gesamtirischen Versammlung, in der das irische Volk als Ganzes über seine Zukunft im Norden entscheidet.

Die Sozialist:innen sollten sich für die Selbstbestimmung als Teil einer Strategie zum Aufbau einer Arbeiter:innenrepublik einsetzen. Die Teilung hat die Arbeiter:innenklasse in Irland schon zu lange gespalten. Da das Ausmaß des Elends und der Entbehrungen im gegenwärtigen Klima in die Höhe schießt, ist es unerlässlich, dass eine kämpferische Arbeiter:innenbewegung aufgebaut wird, um die Arbeiter:innenklasse in ganz Irland zu verteidigen. Eine Massenbewegung auf der Straße und direkte Aktionen sind der Weg, um die Interessen der Arbeiter:innenklasse voranzubringen und dem imperialistischen Staat nördlich der Grenze die Kontrolle ebenso zu entreißen wie dem kapitalistischen Staat im Süden.

Der Kapitalismus ist entschlossen, die Kosten für seine zahlreichen Krisen auf die Arbeiter:innenklasse abzuwälzen. Die Arbeiter:innen müssen darauf mit Arbeitskämpfen und dem Aufbau demokratischer Arbeiter:innenräte reagieren, die sich selbst verteidigen und den Kapitalismus letztendlich zerschlagen können. In Irland muss eine revolutionäre Partei aufgebaut werden, die für diese Strategie kämpfen kann – eine Strategie, die auf der permanenten Revolution basiert, in der die Arbeiter:innenklasse die uralte nationale Frage durch den Kampf für eine Arbeiter:innenrepublik löst.