Palästina: Der verbrecherische Mord an Shireen Abu Akleh

Dave Stockton, Infomail 1188, 18. Mai 2022

Am 11. Mai schoss ein Scharfschütze der israelischen Streitkräfte der bekannten palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh in den Kopf. Der Vorfall löste weltweit Entsetzen und Verurteilungen aus, auch von solchen Säulen der Weltordnung wie der katholischen Kirche und den Vereinten Nationen. Um ihre völlige Verachtung für die Weltöffentlichkeit zu zeigen, traten und schlugen israelische Polizeibeamt:innen bei ihrer Beerdigung in Jerusalem am darauffolgenden Freitag die Trauernden, darunter auch die Sargträger:innen, und feuerten Blendgranaten ab, als der Trauerzug das St. Joseph-Krankenhaus verlassen wollte, in dem die Leiche der Journalistin gelegen hatte. Der Direktor des Krankenhauses, Jamil Koussa, sagte, das Ziel der Polizeigewalt sei der Sarg selbst gewesen, was durch Video- und CCTV-Bilder der Schläge und die Stürmung des Krankenhausgebäudes durch die Polizei belegt wird.

Shireen Abu Akleh, eine christlich-palästinensische Amerikanerin, berichtete über eine Razzia der Sicherheitskräfte im Flüchtlingslager Dschenin im Norden des besetzten Westjordanlandes. Mit rund 11.000 Bewohner:innen, die auf einer Fläche von nur 0,42 Quadratkilometern leben, weist das Lager eine der höchsten Arbeitslosen- und Armutsraten unter den 19 im Westjordanland auf, die im Zuge der ethnischen Massensäuberungen bei der Gründung des Staates Israel entstanden sind. Dschenin war auch Schauplatz eines brutalen Angriffs der israelischen Streitkräfte während der Zweiten Intifada im April 2002, und es war ihr Bericht für den Fernsehkanal Al Jazeera (Al Dschasira), der Shireen in der gesamten arabischen Welt bekannt machte. Sie war auch ein Beispiel für die Rolle, die Frauen in der arabischen und muslimischen Welt im kulturellen und politischen Leben und Kampf zunehmend spielen.

Es ist klar, dass die israelischen Behörden andere mutige Journalist:innen, die über ihre wiederholten Gräueltaten berichten, einschüchtern wollen. Wie üblich gibt die Polizei den Opfern die Schuld und behauptet, es handele sich um „300 Randalierer:innen“. Beim Tod der Journalistin werden sie „selbst ermitteln“ und zweifellos die Palästinenser:innen selbst für die Tat verantwortlich finden. Zweifellos werden sich auch die westlichen Regierungen, die sich als Verteidigerinnen der demokratischen Werte in der Ukraine aufspielen, hartnäckig weigern, die Israelis zu verurteilen, während sie gleichzeitig diejenigen, die die palästinensische Sache unterstützen, wie die BDS-Bewegung, weiterhin beschuldigen, Antisemit:innen zu sein.

Repression und Verleumdung

In Berlin verbot die deutsche Polizei mit Unterstützung der Gerichte die Demonstration am Nakba-Tag und alle Proteste im Zusammenhang mit der Ermordung von Shireen. Sie verhaftete mindestens 59 Personen, die versuchten, sich dem Verbot zu widersetzen. In London versuchte der Staat nicht, 15.000 Demonstrant:innen zu stoppen, aber die Führer:innen von Kier Starmers Labour Party fielen durch Abwesenheit auf. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, Mitglieder ihrer Partei, die dem suspendierten ehemaligen Parteichef Jeremy Corbyn treu sind, wegen Antisemitismus’ auszuschließen. Darunter sind auch Genoss:innen von Jewish Voice for Labour (Jüdische Stimme für Labour), die selbst des Antisemitismus’ beschuldigt werden. Die Labour-Führung ist so schamlos, dass mehrere von ihnen, darunter Starmer selbst, erklärt haben, sie seien stolz darauf, sich Zionist:innen zu nennen.

Diese falsche Anschuldigung des Antisemitismus’ beruht auf der Behauptung, dass die Verteidiger:innen Palästinas „an den Staat Israel strengere Maßstäbe anlegen als an jeden anderen normalen demokratischen Staat“ und sagen, der Zionismus sei „ein rassistisches Unterfangen“ (so die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance [Internationale Holocaustgedenken-Allianz], auf die ihre Verfasser:innen verzichteten, weil sie zur Unterdrückung der Kritik an Israel verwendet wurde).

Nun, es ist sicherlich richtig, dass viele andere kapitalistische Staaten, insbesondere die imperialistischen Großmächte, ebenfalls Massaker und Gräueltaten begangen haben, einige davon in noch größerem Ausmaß als Israel. Aber das ist kaum ein Grund, die Verbrechen des zionistischen Siedlerstaates zu übersehen, wenn sie direkt vor unseren Augen geschehen. Hinzu kommt, dass es die Linke, die jetzt des Antisemitismus’ beschuldigt wird, ist, die all diese anderen Verbrechen am energischsten verurteilt hat.

Ein weiterer Test für „Antisemitismus“ ist die Bezeichnung der Gründung Israels als „rassistisches Unterfangen (racist endeavour)“. Doch wie sonst sollte man einen Staat beschreiben, der auf einem Land errichtet wurde, aus dem fast die Hälfte seiner ursprünglichen Bewohner:innen wiederholt und systematisch vertrieben oder in Lager getrieben wurde, die kaum mehr als Gefängnisse sind?

In der Zwischenzeit werden Siedler:innen aus der ganzen Welt, die eine Art jüdisches Erbe nachweisen können, ermutigt, zu kommen und das Gebiet zu besiedeln. Darüber hinaus ist dieser Prozess in den verbleibenden palästinensischen Teilen Ostjerusalems noch im Gange, und das Westjordanland wurde in ein Archipel von Enklaven aufgeteilt, die durch Militärstraßen, bewaffnete Siedlungen auf Hügeln und die berüchtigte Mauer getrennt sind.

Darüber hinaus verweigert Israel seinen eigenen palästinensischen Bürger:innen systematisch die gleichen Rechte, definiert den Staat als jüdisch und reißt alle neuen Häuser ab, die sie bauen. Es ist, kurz gesagt, ein Staat im Stil der Apartheid, mit dem einzigen Unterschied, dass er das Ziel hat und haben kann, ganz Palästina zu übernehmen, was die südafrikanischen Rassist:innen nicht vormachen konnten.

Natürlich müssen sich Linke darüber im Klaren sein, dass der Grund für den Erfolg der zionistischen Bestrebungen in der Rolle liegt, die Israel seit den 1940er Jahren für den US-Imperialismus bei der Zersplitterung, Unterwerfung und Ausbeutung des Nahen Ostens gespielt hat und heute noch spielt. Zwar hält der Imperialismus auch andere Verbündete oder besser gesagt Agent:innen in den Regionen, allen voran Saudi-Arabien und die Golfmonarchien, aber auch Ägypten unter seinem Militärdiktator, doch war Israel in dieser Zeit der zuverlässigste.

Obwohl dieses ungerechte System seit einem Dreivierteljahrhundert besteht, wird es nicht ewig Bestand haben, ebenso wenig wie jene globale Ordnung auf der es beruht: Kolonialismus und Imperialismus. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Weigerung der Palästinenser:innen, sich als Nation geschlagen zu geben und vernichten zu lassen. Shireen Abu Akleh ist nur die jüngste Heldin dieses Kampfes, aber an sie wird man sich erinnern, solange er andauert. Aus all diesen Gründen ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Sozialist:innen und Antiimperialist:innen sich ebenfalls weigern, zum Schweigen gebracht zu werden, selbst von den Lakai:innen des westlichen Imperialismus in den Arbeiter:innenbewegungen Europas und Nordamerikas. Wir müssen für das Recht auf Rückkehr und für einen gemeinsamen binationalen Staat kämpfen, eine Heimat für Palästinenser:innen und Israelis und allen anderen, die in Palästina leben; für eine demokratischen Arbeiter:innenstaat als Teil Sozialistischer Vereinigten Staaten des Nahen Ostens.