Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Dave Stockton, Neue Internationale 264, Mai 2024

In der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen am 24. April kehrte Emmanuel Macron, ein arroganter neoliberaler „Reformer“, für eine zweite Amtszeit in den Élysée-Palast zurück. Er schlug die altgediente rassistische Populistin Marine Le Pen mit 58,55 % zu 41,45 %, ein größerer Vorsprung, als viele erwartet hatten.

Allerdings hat mehr als jede/r dritte Wähler:in keinem/r der beiden Kandidat:innen seine/ihre Stimme gegeben. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 72 % und war damit die niedrigste in einer zweiten Runde seit 1969. Offenbar haben mehr als drei Millionen Menschen ihren Stimmzettel leer abgegeben oder sonst wie ungültig gemacht.

Ergebnis von Le Pen

Dennoch hat Le Pen mehr als 13 Millionen Stimmen erhalten, ein Rekord für die Rassemblement National (Nationale Sammlung, RN), die frühere Front National (Nationale Front, FN). Die RN ist sicherlich eine üble reaktionäre Kraft, die Maßnahmen zur Diskriminierung der französischen Bürger:innen kolonialer Herkunft und zum Schikanieren der Jugend in den Banlieue-Vorstädten ergreifen würde, aber sie ist keine faschistische Bewegung.

Le Pens Stimmenzuwachs ist zum Teil auf ihre „Entdämonisierung“ zurückzuführen, die sie erreicht hat, indem sie soziale Fragen wie die steigenden Lebenshaltungskosten für die einfachen Leute in den Vordergrund gestellt und Themen wie Abtreibungsverbot und „Frexit“ aus der EU aufgegeben hat. Sie milderte auch ihre heftige Islamophobie etwas ab, indem sie „großzügig“ zugab, dass Muslim:innen Französ:innen sein können, aber ihre Forderung nach einem Verbot des Tragens der Hidschab-Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit und Referendum über strengere Einwanderungskontrollen  aufrechterhielt.

Massenenthaltung

Ein Grund für die rekordverdächtige Enthaltung ist die Tatsache, dass Macron sowohl die traditionellen Parteien der Linken als auch der Rechten an den Rand der Wähler:innenschaft gedrängt hat. So sind die Sozialistische Partei und die Kommunistische Partei in der ersten Runde auf einstellige Zahlen geschrumpft, und auf der rechten Seite sind auch die Gaullist:innen nicht mehr vertreten. Seine eigene Partei, La République En Marche (Die Republik auf dem Vormarsch), ist eine in den Massen wenig verankerte Ansammlung ehrgeiziger Amtsinhaber:innen von rechts und links, die gut geeignet ist, die Basis für eine bonapartistische Präsidentschaft zu bilden.

Der Champion der Linken ist nun Jean-Luc Mélenchon, der in der ersten Runde nur knapp von Le Pen geschlagen wurde. Er stellt sich nun so dar, als hätte er eine reale Chance, die Partei des Präsidenten bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni zu besiegen und sogar Premierminister zu werden und Macron in ein „Zusammengehen“ zu zwingen.

Die hohe Zahl der Stimmenthaltungen und ungültigen Stimmen spiegelt nicht nur die Tatsache wider, dass Macron weithin verabscheut wird, sondern auch, dass es keine/n Kandidat:in der reformistischen Linken gab, für die/den man stimmen konnte, und Mélenchon sich weigerte, zur Wahl Macrons aufzurufen, um Le Pen zu stoppen. Die weit verbreitete Entfremdung verdeutlichte sich nach der ersten Runde in einer Reihe von Demonstrationen, die in ganz Frankreich ausbrachen und bei denen Universitätsstudent:innen, Oberschüler:innen sowie Eisenbahner:innen die Wahl zwischen „Pest und Cholera“ anprangerten.

Linke

Die französischen Linken, die früher für die PS oder die kommunistische PCF gestimmt haben, unterstützen nun Mélenchons linkspopulistische Union Populaire und gaben ihm im ersten Wahlgang 22 Prozent, was etwa 7,7 Millionen Stimmen entspricht. Mélenchon forderte seine Wähler:innen auf, auf keinen Fall für Le Pen zu stimmen, lehnte es aber auch ab, sich für Macron zu erklären.

Diejenigen, die dafür plädierten, ungültig zu wählen, hatten Recht. Keine/r der beiden bürgerlichen Kandidat:innen hat auch nur eine einzige Stimme von der Arbeiter:innenklasse, der Jugend an den weiterführenden Schulen und in den Banlieues verdient. In der Tat werden Letztere derzeit weit mehr von Macrons Polizei schikaniert als von der extremen Rechten. Die Vorstellung, dass Macron dem Aufstieg des Faschismus im Wege steht, war der übliche zynische Trick, um die Wähler:innen in Panik zu versetzen, ihn als das kleinere Übel zu wählen.

Die Tatsache, dass die Nouveau Parti Anticapitaliste (Neue Antikapistalistische Partei, NPA) darauf hereingefallen ist, zeigt, wie weit sie sich von einer unabhängigen Klassenpolitik entfernt hat. Auch die Tatsache, dass sie nun bei den Parlamentswahlen um einen Platz in Mélenchons Union Populaire buhlt – auf einer Plattform mit einem Potpourri aus volksfrontistischem „Republikanismus“ – könnte ihren Tod bedeuten, wo sie doch vor etwa zehn Jahren noch als Durchbruch für die extreme Linke galt.

In der Tat sind die Wirtschaftspolitik und die soziale Zerstörung, die Macron betrieben hat und die durch seine zweite Amtszeit drohen, ein wesentlicher Teil dessen, was den Aufstieg der rassistischen Rechten, Zemmour und auch Le Pen, angeheizt hat und weiterhin anheizen wird. Dabei ist Tatsache, dass die beiden größten Gewerkschaftsverbände, CFDT und CGT, nachdem sie dazu aufgerufen haben, für Macron zu stimmen, um „den Faschismus zu stoppen“, nun anbieten, mit ihm einen Dialog über soziale Fragen zu führen, was natürlich auch seine „Reformen“ einschließt.

Widerstand

Die Kräfte, die es wirklich sowohl mit einem neoliberalen, antidemokratischen Präsidenten als auch mit der erstarkten extremen Rechten aufnehmen können, sind die kämpferische Basis in den Gewerkschaften und die Jugend an den Unis, den Gymnasien und in den Banlieues, die schon immer den Großteil der antikapitalistischen, antimilitaristischen und antirassistischen Kämpfer:innen ausmachten und in der Vergangenheit die FN-Schläger:innen abwehren konnten. Und sie können sie wieder zurückschlagen, wenn die Enttäuschung über die Misserfolge von Le Pen und Zemmour bei den Wahlen eine echte faschistische Straßenkampfbewegung des Lumpenproletariats unter den Bedingungen einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise hervorbringt.

In der Zwischenzeit müssen sich die Aktivist:innen in den Gewerkschaften und der extremen Linken vom ersten Tag der neuen Präsidentschaft an an die Spitze dieses Widerstands stellen und sich nicht auf das Hirngespinst von Jena Luc-Mélenchon als Macrons Premierminister konzentrieren.