Frankreich: Macron oder Le Pen – keine Wahl für die Arbeiter:innenklasse

Dave Stockton, Infomail 1185, 23. April 2022

In der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag tritt der autoritäre neoliberale Amtsinhaber Emmanuel Macron gegen die rechtsextreme Veteranin und Rassistin Marine Le Pen an. Unmittelbar nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten Runde kam es in ganz Frankreich zu einer Reihe von Demonstrationen mit Tausenden von Teilnehmer:innen, vor allem jungen Menschen, Student:innen an Universitäten und Oberschulen, die sich gegen das wehren, was sie als eine Wahl zwischen „Pest und Cholera“ in der zweiten Runde betrachten.

Viele der Student:innen, die die Universitäten, darunter die Sorbonne in Paris, besetzt und auf der Straße demonstriert haben, verkünden offen, dass das, was sie ironisch als „die wirkliche dritte Runde“ der Wahlen bezeichnen, auf der Straße und in den Betrieben ausgetragen werden wird, egal wer im Präsident:innenpalast Elysée sitzen wird.

Zur Überraschung vieler Kommentator:innen liefert sich Le Pen mit Macron ein enges Rennen. Ein Grund dafür ist Macrons arroganter, monarchischer Stil und die Tatsache, dass er eine Reihe bösartiger Angriffe auf die verbleibenden sozialen Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse, der Armen und der Migrant:innen durchgeführt und repressive Polizeieinsätze gegen Demonstrant:innen entfesselt hat, insbesondere gegen die Bewegung der Gilets Jaunes (Gelbwesten) im Jahr 2018.

Zu seinen neoliberalen Reformen gehörten die des Arbeitsgesetzbuchs (Code du Travail), der Arbeitslosenversicherung, die Abschaffung der direkten Vermögenssteuer (ISF), die Kürzungen der individuellen Wohnbeihilfe (APL) und die (gescheiterten) Rentenreformen. Zu seinen antidemokratischen Angriffen zählten die dauerhafte Übernahme der Bestimmungen des Ausnahmezustands nach den Terroranschlägen ins Gesetz und seine islamfeindliche Kampagne gegen den „Separatismus“.

Le Pen hat die letzten Jahre damit verbracht, das Erbe ihres faschistischen Vaters Jean Marie abzustreifen. Dazu gehört auch die Umbenennung ihrer Partei, der ehemaligen Front National (FN; Nationale Front), in Rassemblement National (RN; Nationale Sammlungsbewegung). Und in der Tat hatte sie damit einen gewissen Erfolg. Sie weiß, dass allein ihre Vergangenheit und das Versprechen, das Tragen der Hidschab als Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zu verbieten, weiterhin antimuslimische Wähler:innen anziehen wird.

In der Zwischenzeit hat sie eifrig um diejenigen geworben, die in der Vergangenheit nie die NF gewählt hätten, indem sie die sinkende Kaufkraft der Arbeiter:innenklasse und der unteren Mittelschicht thematisiert und politische Maßnahmen wie den Austritt aus der Eurozone oder der EU selbst fallenlassen hat. Problematischer, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, sind ihre Verbindungen zu Putin und die Finanzierung durch russische Banken.

Ein weiterer großer Schrecken für Macron ist, dass ein größerer Teil der Wähler:innenschaft als je zuvor sich wahrscheinlich der Stimme enthalten wird – sogar mehr als die über 25 Prozent, die dies 2017 taten. Es scheint, dass die „republikanische Disziplin“ , die früher dafür sorgte, dass die Wähler:innen der Linken gegen die NF als antirepublikanische Partei stimmten und sogar für die Kandidat:innen der rechten Gaullist:innen, unter Macron, der weithin als Paradebeispiel für die politische Elite Frankreichs verabscheut wird, ein verlorenes Gut ist.

Die französischen Linken, die früher für die Sozialistische Partei (PS) oder die Kommunistische Partei (PCF) gestimmt hatten, schlossen sich diesmal Jean-Luc Mélenchons linkspopulistischer Partei La France Insoumise (Das ungehorsame Frankreich) an, die für diese Wahl in Union Populaire (Volksunion) umbenannt wurde, und gaben ihm im ersten Wahlgang 22 Prozent und etwa 7,7 Millionen Stimmen.

Mélenchon hat seine Anhänger:innen aufgefordert, auf keinen Fall für Le Pen zu stimmen, hat sich aber geweigert, Macron zu unterstützen. Eine Meinungsumfrage zeigt, dass sich bis zu zwei Drittel seiner Wähler:innen der Stimme enthalten werden. Er hofft, auf seinem Erfolg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für die Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni aufbauen zu können, für die er die offen gesagt lächerliche Idee hegt, sich Macron als Premierminister „aufzudrängen“.

In der Tat wäre es ein fataler Fehler, auf Mélenchon zu warten und sich auf den Wahlkampf zu konzentrieren. Wie verschiedene Bewegungen in den letzten zwei Jahrzehnten gezeigt haben, sind Massenstreiks, Besetzungen von Arbeitsplätzen und Bildungsstätten der Weg, um neoliberale Reformen zu stoppen.

Heute haben diejenigen Recht, die für eine Blankowahl plädieren. Bei dieser Wahl gibt es keine/n Kandidat:in, nicht einmal eine/n von den traditionellen reformistischen Arbeiter:innenparteien, der/die die Stimmen der Arbeiter:innenklasse, der Jugendlichen an den Gymnasien und Universitäten und derjenigen, die in den sozial benachteiligten Vorstädten, den Banlieues, wählen dürfen, auf sich ziehen könnte.

Die Idee, dass Macron ein Hindernis für den Aufstieg des Faschismus bildet, ist ein Witz oder vielmehr ein zynischer Trick, um die Wähler:innenschaft in Panik zu versetzen, damit sie ihn als das vermeintlich kleinere Übel wählen. Das Problem bei diesem Argument ist, dass die Wirtschaftspolitik und die soziale Verwüstung, die der frühere Präsident Sarkozy und dann Macron angerichtet haben, den Aufstieg der rassistischen Rechten begünstigt haben und weiter begünstigen werden.

Die einzigen Kräfte, die es wirklich sowohl mit einer rassistischen bürgerlichen Republik als auch mit der extremen Rechten aufnehmen können, sind die Arbeiter:innenklasse und die Jugend der Unis, der weiterführenden Schulen und Banlieues, die schon immer den Großteil der antirassistischen Kämpfer:innen ausmachten, die die NF-Schläger:innen in der Vergangenheit aus dem Weg geräumt haben und sie wieder aus dem Weg räumen können. Gewerkschaften und extreme Linke müssen sich vom ersten Tag der neuen Präsidentschaft an an die Spitze dieser Kräfte stellen.