EMMA auf die Müllhalde der Geschichte: Solidarität mit trans Frauen!

Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1176, 24. Januar 2022

Auf dem Ticket der Grünen sind Nyke Slawik aus Nordrhein-Westfalen und Tessa Ganserer aus Bayern in den neuen Bundestag eingezogen. Somit sind das erste Mal in seiner Geschichte zwei (bekannte) trans Frauen Abgeordnete des deutschen Bundestages. Für viele aus der queeren Community war das ein Grund zur Freude und insgesamt sollte es kein Grund zur Aufregung sein, sollte man meinen. Gäbe es da nicht die bürgerlichen Feministinnen der EMMA.

Hetze gegen trans Frauen

In ihrem Artikel „Ganserer: Die Quotenfrau“ vom 19. Januar macht die EMMA mehr als deutlich, was sie davon hält. Ihrer Ansicht nach ist die Abgeordnete Tessa Ganserer ein Mann, der sich als Frau fühlt. Im Privaten wäre das vielleicht noch möglich, aber so die EMMA:

„Eine politische Dimension bekam diese private Angelegenheit, als Ganserer, zuvor acht Jahre für die Grünen im bayrischen Landtag, im Herbst 2021 für den Bundestag kandidierte: und zwar auf einem Frauenquotenplatz der grünen Liste. Statt einer Frau sitzt also jetzt ein Mensch auf diesem Platz, der körperlich und rechtlich ein Mann ist, sich jedoch als Frau ‚fühlt.’“

Von mehr Zitaten sehen wir an dieser Stelle ab. Es wird allerdings klar ersichtlich, dass für EMMA eine Frau nur Frau sein kann, wenn sie die entsprechenden Organe dazu hat. Zwischendurch wird auch noch Werbung für das neue Buch von Alice Schwarzer gemacht, welches im März rauskommt und sich ganz zufälligerweise mit „Transsexualität“ beschäftigt. Man könnte meinen, dass so eine Öffentlichkeitskampagne gestartet wurde, damit das Buch auch bloß Beachtung bekommt. Danach wird  die Initiative „Geschlecht zählt“ (https://geschlecht-zaehlt.de/) vorgestellt. Diese hat 14 Initiatorinnen, deren Namen und politische Zughörigkeit nach Recherche nicht herauszufinden waren, und laut EMMA zahlreiche UnterstützerInnen. Die Initiatorinnen haben  im November 2021 beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestages Widerspruch gegen die offizielle Anerkennung von Ganserers Mandat eingelegt. Ihr Problem ist, dass die Grünen „innerhalb ihrer Partei einem Mann erlauben, als ‚Frau’ geführt zu werden“. (https://geschlecht-zaehlt.de/wahl-2021-frauen-erheben-einspruch/) Und das, obwohl nach deutschem Recht eine Selbstdefinition des Geschlechts nicht möglich ist. „Bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten für eine Bundestagswahl widersprechen diese Regel und deren Folgen jedoch dem Demokratieprinzip und dies verstößt gegen die Wahlgrundsätze laut Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz.“ (Ebenda) Kurzum: Die Grünen machen das Selbstbestimmungsgesetz zum Fakt, obwohl doch das alte, erzreaktionäre Transsexuellengesetz (noch) gilt. Letzteres basiert übrigens auf einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von Transsexualität als psychischer Erkrankung.

Am liebsten würde man sagen, dass Alice Schwarzer und die EMMA ihr Verständnis von Geschlecht aus der Steinzeit herüber gerettet haben. Leider stimmt das nicht. Je nachdem, welche Periode der Steinzeit wir betrachten, wurde das sogar dort fortschrittlicher gehandhabt. Aber was steckt hinter der eindimensionalen Auffassung, dass alleinig Geschlechtsorgane bestimmen, was Geschlecht ist? Bevor wir dazu kommen, wollen wir jedoch zuerst einmal klären, aus welchen Faktoren sich Geschlecht zusammensetzt.

Geschlecht ist mehr als die Summe von Körperteilen

Tradierte Geschlechterrollen und geschlechtliche Binarität sind selbst gesellschaftliche, historische Produkte. Es ist keineswegs „natürlich“, dass Frauen oder Männer dieses oder jenes tun oder wir nur in diesen zwei Kategorien denken. Geschlecht ist vielmehr eine multifaktorielle Kategorie, die weder rein biologisch, psychisch oder allein Ausdruck eines sozialen Konstrukts ist, sondern vielmehr ein Verhältnis aus biologischem Geschlecht (sex), Geschlechterrollen (gender) und der eigenen Identität (Geschlechtsidentität) zum Ausdruck bringt, geprägt und bestimmt von der jeweiligen Produktionsweise und Gesellschaftsformation.

Schon allein biologisch gesehen ist die geschlechtliche Binarität ein unzureichendes Konzept. Natürlich gibt es ein männliches und ein weibliches Geschlecht, doch finden wir zwischen diesen Polen, diesen „Reinformen“ viele Variationen, so dass es angemessener ist, von einer Bipolarität zu sprechen.

Das ist übrigens nicht die neuste historische Entdeckung. Bereits in den 1920er Jahren wurde von dem Biologen Richard Benedikt Goldschmidt das Thema angeschnitten. In den 1980er und 1990er Jahren forschten und veröffentlichen die beiden Naturwissenschafterinnen Anne Fausto-Sterling und Evelyn Fox wichtige Arbeiten zu dem Thema, darunter den Artikel „Die fünf Geschlechter: Warum männlich und weiblich nicht genug sind“ (1993 in der Zeitschrift Science publiziert). Gleichzeitig ist es aber auch wichtig herauszuarbeiten, dass es sich dabei um Facetten zwischen den zwei Polen von XX- und XY-Chromosomen handelt. Ein drittes Geschlecht wie etwa ein Z-Chromosom gibt es nicht.

Geschlechterrollen (gender) sind die Stereotype, in die man uns reinzupressen versucht. Wer kennt’s nicht? Männer sollen stark sein und arbeiten. Frauen sind emotional, schwach und können sich sooo gut kümmern. Diese Rollenbilder haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Sie sind weder spontaner Ausdruck des inneren Wesens eines Individuums noch eine unvermittelte Darstellung der Biologie, sondern werden von der patriarchalen Rechtfertigung der Frauenunterdrückung geprägt. Im Kapitalismus haben sie bestimmte Grundlagen: die geschlechtliche Arbeitsteilung und die bürgerliche Familie. Sexismus und Transphobie dienen dazu, diese Verhältnisse zu rechtfertigen. Dass Hausarbeit vor allem „privat“ verrichtet wird, erscheint so als quasi natürlich, verbilligt die Ware Arbeitskraft, zwängt Frauen in die doppelte Ausbeutung und Unterdrückung im Reproduktionsbereich und vertieft zugleich die Spaltung unter den Lohnabhängigen.

Die geschlechtliche Arbeitsteilung und die bürgerliche Familie bilden nicht nur die Grundlage der Frauenunterdrückung, sondern auch von anderen Formen geschlechtlicher Unterdrückung wie beispielsweise jener von Schwulen und Lesben, sondern auch der Unterdrückung von Transpersonen.

Ein Kennzeichen dieser Form der Unterdrückung besteht darin, dass negiert wird, dass die Geschlechtsidentität einer Person und ihr biologisches Geschlecht nicht übereinstimmen müssen. Du kannst geboren werden und dein biologisches Geschlecht passt mit der Geschlechterrolle zusammen, die damit einhergeht. Du kannst aber auch teilweise oder komplett im Widerspruch dazu stehen oder diesen entwickeln. Welches ihre „richtige“ Geschlechtsidentität ist müssen die Menschen ganz wie ihre sexuelle Orientierung selbst bestimmen können. Die Unterdrückung von Transpersonen kennzeichnet aber gerade, dass ihnen dieses Selbstbestimmungsrecht über ihre eigene (Geschlechts-)Identität verwehrt wird. Das noch bestehende Transsexuellengesetz basiert auf dieser Verweigerung und ist daher transphob und reaktionär – ganz wie die Kampagne, die die EMMA und „Geschlecht zählt“ führen.

EMMAs Feminismus

So wie die bürgerliche Geschichtsschreibung auch gerne versucht zu vermitteln, dass Nationen, Volk und Vaterland immer existiert haben, wird durch die reine Fixierung auf Geschlechtsorgane das Geschlecht als eine rein biologische Kategorie naturalisiert, als eine unveränderliche Essenz festgeschrieben, die schon immer so gewesen wäre und bleiben müsste. Klar, durch die reine Existenz von Körpern wird es Kategorisierungen geben – aber sie sind nicht unveränderlich und werden wie bereits geschrieben von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen mit geprägt.

Dass die EMMA sich eines starren biologischen Bildes bedient, ist kein Zufall. Vielmehr ist sie sogar darauf angewiesen. Eine materialistische Erklärung, woher Frauenunterdrückung eigentlich kommt, ist sie uns nämlich bis heute schuldig geblieben. Von deren Verbindung mit der Klassengesellschaft will sie erst gar nichts wissen. Statt dem nachzugehen und einen Ausweg zu bieten, werden unkritisch Ursula von der Leyens Brief über Sexismus im Beruf veröffentlicht, schön die antimuslimische Organisation Femen unterstützt, Islamophobie, wo es möglich ist, und Zweifel an der Existenz von Transmenschen geschürt. Oder in anderen Worten: Die Wurzel von Frauenunterdrückung und LGBTIAQ-Diskriminerung anzugreifen, spielt für die EMMA keine Rolle. Vielmehr geht es ihr darum, im kapitalistischen System mehr mitsprechen zu dürfen. Ein paar Quoten mehr hier, ein paar feministische Projekte da. Die EMMA ist das Sinnbild der verstaubten, weißen, bürgerlichen Frauenpolitik, die sich am biologischen Geschlecht festkrallt, weil sie gar nicht das Interesse hat, die Verhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen.

So sind Frauen halt Frauen, weil sie einen Uterus haben, mit dem sie Kinder gebären können, und werden unterdrückt, weil es eben so ist. trans Personen hingegen greifen dieses biologistische, essentialistische Bild an und erscheinen ihr als männliche Attacke auf die hart erkämpften Rechte der Frau.

Welche Lösung?

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass der Queerfeminismus richtig liegt. Ja, die reaktionären Geschlechterrollen gehören (genau wie die EMMA) auf den Müllhaufen der Geschichte. Das Problem ist jedoch, dass das nicht so einfach geht, nur weil man es erkannt hat. Performative Akte, parodistische Übersteigerungen und Karikatur bestehender Normen können zwar reaktionäre Denk- und Handlungsmuster kenntlich machen, streifen das Problem aber letztlich nur an der Oberfläche.

Die Queer Theory erklärt das biologische Geschlecht als solches zu einer Konstruktion. Sexismus und Heteronormativität erscheinen nicht als ideologischer Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Unterdrückung, die auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruht, sondern Einstellung und Haltung werden zur Ursache der Unterdrückung erklärt. Die „heteronormative Matrix“, das „binäre“ Bild der Geschlechter, produzierte der Ideologie des Dekonstruktivismus zufolge tatsächlich erst „die Geschlechter“, so wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Ergebnis des Geschlechterdiskurses erscheint und nicht umgekehrt. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird somit nicht als Ursache und Reproduktionsmechanismus der Frauenunterdrückung angesehen. Folgerichtig wird im Hier und Jetzt versucht, die vorhandene Kategorisierung abzuschaffen, statt die Verhältnisse zu bekämpfen und zu überwinden, deren Ausdruck sie sind. Dies ist letztlich eine Sisyphusarbeit, gerade so als würde man sich einbilden, kapitalistische Ausbeutung oder Unterdrückung dadurch abzuschaffen, dass die AusbeuterInnen über die Ausgebeuteten nicht mehr schlecht sprechen. Gerade hier wird deutlich, wie sehr der abstrakte Appell an „Respekt“ nicht nur ins Leere geht, sondern eigentlich in eine verkehrte Richtung. Schließlich besteht unser Hauptproblem nicht darin, dass die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen zu wenig Respekt zeigen, sondern dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihren FeindInnen viel zu viel Achtung entgegenbringen.

RevolutionärInnen sollten dafür kämpfen, dass trans Frauen wie alle anderen Frauen behandelt werden – unabhängig davon, ob sie Operationen in Anspruch genommen haben oder Hormone nehmen.

Deswegen kämpfen wir für die Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen trans Personen, den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben. Wir stehen für das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft, und auch beispielsweise auf kostenlose medizinische Beratung sowie, wenn gewünscht, Geschlechtsangleichung.

Gleichzeitig muss festgehalten werden: Im Kapitalismus kann zwar eine formale, rechtliche Gleichstellung erkämpft werden – wobei nicht zuletzt die hartnäckige Verteidigung des Transsexuellengesetzes zeigt, wie schwer selbst das ist. Aber eine Überwindung der gesellschaftlichen Wurzeln der Unterdrückung von Transpersonen erfordert letztlich die Überwindung des Kapitalismus selbst. Der Kapitalismus bringt die starre binäre Einteilung in Mann und Frau auf Basis biologischer Merkmale immer wieder hervor, um die geschlechtliche Arbeitsteilung zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten. Das muss klar benannt werden, um gegen die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private und für die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu kämpfen. Gerade weil sie schon durch ihre bloße Existenz die heteronormativen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten – und somit indirekt auch die ihnen zu Grunde liegende Arbeitsteilung in Frage stellen – erfahren Transmenschen, insbesondere -frauen im Schnitt mehr Gewalt, Arbeitslosigkeit und schlechtere Arbeitsbedingungen als die Masse der Frauen und Ausgebeuteten. Das heißt: Wir kämpfen für die Gleichbehandlung von trans- und cis Frauen. Gleichzeitig macht es Sinn, Unterschiede wo sie vorhanden sind, zu benennen.

Anstatt Unterdrückte gegeneinander auszuspielen und zu spalten, sollte man die Kämpfe miteinander verbinden. Wenn Menschen meinen, dass sich trans Menschen zum Spaß zu ihrer unterdrückten Identität bekennen, gesellschaftliche Stigmatisierung, Diskriminierung oder gar Gewalt aussetzen, um so eine „feministische Bewegung“ zu unterwandern, dann will man am liebsten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Stattdessen gilt es, den gemeinsamen Kampf auszuweiten und demokratische Forderungen mit sozialen zu verbinden, z. B. für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten und für eine Arbeitszeitverkürzung. Konkurrenz kann nur durch einen sozialen und politischen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung überwunden werden, durch die Schaffung einer ArbeiterInnenbewegung, die alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung bekämpft.