USA: Trotz der Pandemie – die ArbeiterInnenklasse erwacht

Marcus Otono, Infomail 1176, 20. Januar 2022

In der US-amerikanischen ArbeiterInnenklasse geschieht etwas trotz des massiven Anstiegs der Infektionen mit der Omikron-Welle. Sie erwacht zur Militanz. Und obwohl es stimmt, dass sich diese neu gefundene Zielstrebigkeit seit dem großen Aufstand in Wisconsin 2011 und den Occupy-Wall-Street- und Black-Lives-Matter-Protesten in den darauffolgenden Jahren entwickelt hat, hat es ein Jahrzehnt gedauert, bis sie die organisierte ArbeiterInnenklasse auf breiter Basis erreicht hat.

Auch wenn die Gewerkschaften im letzten Jahr immer mehr Aktionen am Arbeitsplatz durchgeführt haben, folgen sie doch dem Massenexodus von ArbeiterInnen, die ihre schlechten Jobs in Scharen kündigen. Im August kündigten 4,3 Millionen Lohnabhängige ihren Arbeitsplatz, was einen Rekord für diese Art von Einzelmaßnahmen darstellt und als „Große Kündigung“ bezeichnet wird. Angesichts des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrads in den USA ist diese Art des individuellen „Streiks“ der ArbeiterInnenschaft letztlich das Ergebnis von vier Jahrzehnten stagnierender oder sinkender Reallöhne und schwindender Sozialleistungen. Jetzt wird er durch steigende Preise für die meisten Güter, die die ArbeiterInnen tatsächlich zum Überleben brauchen, wie Miete, Hypothekenzahlungen, Lebensmittel und Versorgungsgüterpreise angeheizt.

Für viele gab es keine andere Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit zu zeigen, als ihren miesen Job zu schmeißen und zu versuchen, etwas anderes zu finden, das zumindest geringfügig besser ist. Die meisten scheinen eine Art von Selbständigkeit anzustreben, da sie der Meinung sind, dass sie besser dran sind, wenn sie sich als ihr/e eigene/r ChefIn durchschlagen, als wenn sie sich abmühen, um den Gewinn eines/r anderen zu steigern.

Der Fluch der „Unternehmensgewerkschaft“ wird von den Gewerkschaftsführungen mindestens seit den Tagen von Ronald Reagan propagiert. Dieser US-Präsident brach dem gewerkschaftlichen Widerstand das Genick, als er zu Beginn seiner Amtszeit den Streik der FluglotsInnengewerkschaft PATCO niederschlug und anschließend „Gewerkschaft“ in ein Schimpfwort verwandelte. Nachdem die ArbeiterInnenschaft jahrzehntelang niedergehalten wurde, sollte es niemanden überraschen, dass es so lange gedauert hat, bis die Basis begriffen hat, was Kapitalismus für die ArbeiterInnen tatsächlich bedeutet.

Streikoktober und Erntedankstreik führen zu Streikweihnachten

Jahrzehntelang wurden den Gewerkschaftsmitgliedern Verträge von räuberischen KapitalistInnen aufgezwungen, die mit einer Gewerkschaftsbürokratie unter einer Decke stecken, die schwört, dass die einzige Möglichkeit für die Beschäftigten, ihre Arbeitsplätze zu behalten, darin besteht, hart erkämpfte Verbesserungen bei Löhnen und vor allem bei Sozialleistungen zurückzugeben. Durch die Androhung und die tatsächliche Verlagerung von Arbeitsplätzen an Orte mit noch schlechteren Bedingungen und billigeren Arbeitskosten wurden die Belegschaften dazu verleitet, viel mehr aufzugeben, als sie in jahrzehntelangen Verhandlungen erreicht hatten. Es waren immer die ArbeiterInnen, denen gesagt wurde, dass sie diejenigen sind, die für das Wohl des Unternehmens Opfer bringen müssen. GeschäftsführerInnen, Vorstände, Hedgefonds-BanditInnen und Wall-Street-ProfiteurInnen fühlen sich frei, alle Produktionsgewinne zu erbeuten und zu plündern, die durch die Zugeständnisse erzielt wurden, während die Lohnabhängigen leiden.

In jedem Vertrag und insbesondere in denen, die seit der großen Rezession 2008/09 ausgehandelt wurden, wurde den Beschäftigten versprochen, dass diese Zugeständnisse nur vorübergehend sein und nur so lange gelten würden, bis das Unternehmen wieder profitabel ist und ihre Opfer in vollem Umfang zurückzahlen würde. Aber die Gier eines Systems, das nur auf die nächste vierteljährliche Gewinnbilanz schaut, sowie die allgemeine Instabilität des Kapitalismus selbst lassen diese Rückzahlung nicht zu. Man kann die Menschen nur so lange mit Irreführung und Illusionen täuschen, bis sie die Versprechen als glatte Lügen erkennen. Nach der Pandemie scheinen wir an diesem Punkt angelangt zu sein, an dem die Illusionen für einen großen Teil der ArbeiterInnenklasse diskreditiert sind.

Sogar der behäbige und konservative Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO hat sich, zumindest vorübergehend, von der Militanz einer ganzen Reihe von ArbeiterInnen anstecken lassen. Mehr als 100.000 gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte haben zu Streiks aufgerufen, von denen die meisten auch tatsächlich stattfanden, und diesen Aufschwung als „Streikoktober“ und „Streikerntedank“ bezeichnet. Ein paar der Kampfmaßnahmen seien hier genannt:

Von Portland (Oregon) bis Buffalo (New York) streiken Tausende von Krankenschwestern und -pflegern gegen die „gewinnorientierte“ Gesundheitsindustrie, die von ihnen verlangt, unter körperlicher und psychischer Gefährdung und bei Burnout zu arbeiten, um die von COVID-19 betroffenen AmerikanerInnen zu pflegen. Zweistufige Verträge sind ebenfalls ein Faktor bei diesem Streik.

In Brookwood (Alabama) streiken tausend Mitglieder der United Mine Workers (Vereinigte BergarbeiterInnen) seit April 2021 gegen weitere vom Unternehmen geforderte Einbußen. Dabei handelt es sich um die Beschäftigten, die bereits Zugeständnisse gemacht hatten, um das Unternehmen 2016 vor dem Konkurs zu „retten“. Die Firma Warrior Met Coal ist zwar wieder rentabel, aber nur die GeschäftsführerInnen und das obere Management haben mit Gehaltserhöhungen davon profitiert. Und sie verlangen immer noch weitere Einschränkungen von der Belegschaft.

Die Werke des Landmaschinenherstellers John Deere wurden geschlossen, weil Tausende von United Auto Workers-(UAW)-Gewerkschaftsmitgliedern die Arbeit niedergelegt haben, um gegen ein Unternehmen zu protestieren, das in diesem Jahr bisher über 6 Milliarden US-Dollar Gewinn gemacht hat und von seinen Beschäftigten immer noch Zugeständnisse verlangt, einschließlich „zweistufiger“ Vertragsbestimmungen, die Neueingestellte benachteiligen. Obwohl der Streik inzwischen beigelegt ist, wurde mindestens ein Angebot des Unternehmens von den Mitgliedern abgelehnt.

Die Beschäftigten des Lebensmittelkonzerns Kellogg’s traten in den Streik, nachdem sie während der Pandemie Tausende von Überstunden geleistet hatten, um die AmerikanerInnen, die während der letzten 18 Monate der Isolation zu Hause festsaßen, mit Lebensmitteln zu versorgen. Der Cornflakesriese versuchte außerdem, den Beschäftigten einen „zweistufigen“ Vertrag aufzuzwingen, der zu einem massiven Einkommensgefälle zwischen neu eingestellten und altgedienten Beschäftigten führen wird – ein weiterer Streik, der mit einem zweifelhaften Ergebnis beigelegt wurde.

Nicht mitgezählt sind dabei Streiks, die zuvor zum Abschluss kamen, wie bei der Zimmerleute-Gewerkschaft Pacific Northwest Carpenters Union (NWCU) und bei den Nahrungsmittelherstellern Nabisco und Frito Lay. Auch die Streikgenehmigungen, die dazu geführt haben, dass die Bosse eingeknickt sind, wie die der IATSE (The International Alliance of Theatrical Stage Employees) für die Beschäftigten in der Film- und Fernsehindustrie, sind nicht berücksichtigt.

Dies ist nur eine repräsentative Auswahl der derzeit stattfindenden Arbeitskampfmaßnahmen. Laut Statistik zur Erfassung von Arbeitsniederlegungen an der Cornell University gab es im Oktober und November des vergangenen Jahres 103 Streiks und insgesamt 332 seit dem 1. Januar 2021. Viele wurden beigelegt, viele aber auch nicht. Es ist klar, dass die ChefInnen in absehbarer Zukunft die Bedürfnisse ihrer ArbeiterInnen berücksichtigen müssen, anstatt sie einfach als gegeben hinzunehmen.

Mit der Führung, wo möglich, ohne sie, wenn nötig

In Anlehnung an die LehrerInnenstreiks im Jahr 2018, die über soziale Medien von den Mitgliedern organisiert wurden, die ihre Führung ignorierten, als diese versuchte, sie vom Streik abzuhalten, wurden die meisten dieser Streiks von den Mitgliedern und nicht von oben angeordnet. So wurden beispielsweise die meisten der anfänglich zwischen den VerhandlungsführerInnen der Gewerkschaften und den FirmenbesitzerInnen erzielten vorläufigen Vereinbarungen von den Mitgliedern in einer Ratifizierungsabstimmung abgelehnt. Obwohl die Zahlen schwer zu berechnen sind, kommt es in der Regel nicht zu Streiks, ohne dass mindestens eine ausgehandelte Vereinbarung abgelehnt wird. Wir wissen, dass die ArbeiterInnen von Deere, die Zimmerleute im Nordwesten, die Bergleute, die Beschäftigen bei Kellogg’s und einige andere die Versuche ihrer FührerInnen, ihre Streiks zu entschärfen, zurückgewiesen haben, indem sie die von diesen ausgehandelten Abmachungen und dann auch Vergleichsangebote ablehnten, nachdem sie in Streikpostenkette angetreten waren. Dies scheint ein weit verbreitetes Phänomen zu sein, bei dem die Mitglieder in Bezug auf Militanz und Forderungen nach Aktionen schneller sind als ihre Führung.

Neben den in der jüngsten Vergangenheit zugestandenen Löhnen und Leistungen ist ein Hauptstreitpunkt bei vielen Verhandlungen die Forderung der Arbeit„geber“Innen nach einem „zweistufigen“ Vertrag für neu eingestellte im Vergleich zu altgedienten Arbeitskräften. Dies war ein wichtiges Thema bei vielen der aktuellen Streiks, einschließlich des UAW-Streiks gegen John Deere, des Streiks bei Kellogg’s und des Pflegepersonals gegen Kaiser Permanente, ein Pflegemanagement-Konsortium.

Zweistufige Pläne verstoßen gegen einen zentralen Grundsatz der Gewerkschaftsbewegung: „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Obwohl dies jahrelang für einige Leistungen wie Urlaubsdauer erlaubt war, ist es ein Verrat an der Idee einer demokratischen Gewerkschaft, neue MitarbeiterInnen zu zwingen, weniger Geld zu verdienen und weniger oder gar keine Renten- und/oder Krankenversicherungsleistungen zu erhalten. Es handelt sich auch um einen indirekten Angriff auf die Idee des Gewerkschaftswesens selbst. Denn warum sollte ein/e neue/r Mitarbeiter/in einer Gewerkschaft beitreten, die nicht für seine/ihre Gleichstellung am Arbeitsplatz kämpft?

Für das Unternehmen läuft natürlich alles auf den Gewinn hinaus. Je weniger es seinen ArbeiterInnen an Löhnen und Sozialleistungen zahlen kann, desto mehr Gewinn erzielt es. Für die Bosse ist das eine einfache Sache. Sie können noch so viel Getöse um ihre Beschäftigten machen, aber der/die „Held/in“ der Pandemie im Jahr 2020 wird schnell zum „Gewerkschaftsrowdy“ im Jahr 2021. Trotz des Geschreis, das die Demokratische Partei verbreitet, ist der Klassenkampf in der Tat ein Nullsummenspiel. Wenn sich sonst nichts ändert, gewinnen die ArbeiterInnen, verlieren die Bosse und umgekehrt. Die UnternehmenseigentümerInnen verstehen das sehr gut, weshalb sie, wenn sie gezwungen sind, bessere Löhne zu zahlen, versuchen, ihre Gewinne durch Produktivitätssteigerungen oder den Abbau von Sozialleistungen wieder hereinzuholen. Allzu oft unterstützen die GewerkschaftsbürokratInnen einen solchen „Kompromiss“, aber die Lohnabhängigen sollten ihn als das erkennen, was er ist.

Gegenwärtig scheint es, dass sogar die Gewerkschaftsbürokratie beschlossen hat, dem jüngsten Aufschwung der Militanz aus dem Weg zu gehen, aber niemand sollte erwarten, dass dies von Dauer ist. Die Gewerkschaftsbürokratie hat im kapitalistischen System nur ein Ziel, nämlich die Wut der Belegschaften in einen Vertrag zu lenken, der für das Unternehmen so vorteilhaft ist, wie es die aktuellen Bedingungen erlauben. Als Beweis dafür sei daran erinnert, dass selbst die Verträge, die angenommen wurden, entweder nicht oder nur knapp mit der aktuellen Inflationsrate Schritt gehalten haben, die im letzten Monat des Jahres 2021 auf 7 Prozent gestiegen ist.

Auch die Abschaffung der von den Bossen geforderten Zwei-Klassen-Pläne wurde nicht dauerhaft durchgesetzt. In einigen Fällen wurden diese undemokratischen Forderungen der Konzerne vorübergehend ausgesetzt, aber keineswegs  aus künftigen potenziellen Verträgen ausgeschlossen. Die einzige Möglichkeit, diesen unvermeidlichen Verrat zu vermeiden, besteht darin, die Bürokratie wie ein Falke zu beobachten, jeden angebotenen Vertrag sorgfältig zu prüfen und unabhängige ArbeitInnenausschüsse einzurichten, die den Streik, die Vertragsverhandlungen und die Ratifizierungsabstimmung überwachen. Wenn die Geschäftsführung schreit: „Wir stehen vor dem Bankrott“, dann müssen die ArbeiterInnen Einsicht in die Bilanzen verlangen. Wenn die Unternehmen sich wirklich in einer schwierigen finanziellen Lage befinden, sollte es kein Problem sein, dies zu beweisen.

Demokratisierung der Gewerkschaften

In Verbindung mit dieser verstärkten Militanz gibt es einen ständigen Drang zur „Demokratisierung“ der bestehenden Gewerkschaften mit Basisgruppen, die die Belange der wirklichen ArbeiterInnen stärker zum Ausdruck bringen. Dies ist nicht unbedingt eine neue Entwicklung, auch wenn es in einigen Gewerkschaften so sein mag. In vielen Fällen gibt es bereits seit langem laufende Kampagnen, so z. B. bei den Teamsters for a Democratic Union (TDU), die vor kurzem die Mitgliederkontrolle errungen haben, und bei der UAW die Unite All Workers for Democracy (UAWD) (Vereinigung aller ArbeiterInnen für Demokratie). Der Caucus of Rank-and-file Educators (CORE),  die Basisvereinigung im ErzieherInnenwesen, agierte als treibende Kraft bei den LehrerInnenstreiks im Jahr 2018.

Solche Initiativen sollten unterstützt werden, da sie eine wertvolle Kontrolle über die etablierten, überbezahlten hauptamtlichen FunktionärInnen darstellen, die die meisten großen Gewerkschaften von heute leiten, aber sie können nicht die einzige Lösung sein. Selbst „demokratisierte“ Grundeinheiten laufen Gefahr, von OpportunistInnen übernommen und von der Machtstruktur kooptiert zu werden. Deshalb muss jede/r, der/die in einem demokratischen Gremium wie einer Gewerkschaft  in leitende Positionen kommt, sorgfältig überwacht und von den Mitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden.

Es stellt sich auch die Frage nach der Ausrichtung des Basisgremiums (Caucus). Wurde es gebildet, um die derzeitige Führungsstruktur zu ersetzen wegen Ideen, Strategien und Taktiken und/oder Korruption? Oder ist er dazu da, eine völlig andere Sicht auf den Zweck der Gewerkschaft zu vermitteln? Die Ersetzung einer kollaborierenden Klassenführung durch eine anfänglich „demokratischere“ Version derselben Strategie wird früher oder später zu denselben Verträgen mit Zugeständnissen an die Bosse führen, die die alte Führung unterstützt hat. Nur demokratische Ortsgruppen, die die Realität des tatsächlichen Klassenkampfes verstehen, werden in der Lage sein, die Attacken des Kapitalismus in seinem Spätstadium zu bekämpfen.

Von allen Fraktionen, die diese Strategie zur Demokratisierung der Gewerkschaften verfolgt haben, ist die von Peter J. McGuire in der Zimmerergewerkschaft vielleicht diejenige, die bei der jüngsten Streikwelle am erfolgreichsten war. Dieses Basiskomitee organisierte nicht nur den Streik gegen den Willen der Gewerkschaftsführung, sondern bekämpfte diese auch, als sie versuchte, die Strategie und Taktik des Streiks zu kontrollieren, das „Wann, Wo und an welcher Baustelle“ Streiks und Postenketten aufgestellt werden sollten . Sie organisierten den Widerstand gegen den immensen Druck der Führung, noch mehr konzessionäre Vertragsangebote zu akzeptieren, und beeinflussten die Mitglieder, nicht weniger als vier Angebote abzulehnen, bevor der Streik schließlich beigelegt wurde. Kurz gesagt, die McGuire-Fraktion verstand, dass es mit der „Demokratisierung“ der Gewerkschaft allein nicht getan ist. Organisierte ArbeiterInnen in jeder Gewerkschaft müssen alle Aspekte von Arbeitskampfmaßnahmen selbstbewusst kontrollieren und den Kampf an allen Fronten führen, auch innerhalb der Gewerkschaft und notfalls gegen die Führung.

Sie haben sich auch an die Spitze des Kampfes gegen die Trennung der Gewerkschaften voneinander und von der Klasse im Allgemeinen gestellt. Mit anderen Worten, sie haben Verbündete im Kampf willkommen geheißen, darunter das Mitglied des Stadtrats von Seattle und der Sozialistischen Alternative (SALT), Kshama Sawant, und gegen die Hetze gegen „Rote“ der Gewerkschaftsführung gekämpft, die versucht hat, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen.

Verbündete

In den letzten zehn Jahren haben die Gewerkschaften auf lokaler Ebene die Notwendigkeit erkannt, nicht organisierte ArbeiterInnen, unterdrückte Gemeinschaften und sympathisierende externe Gruppen wie die Demokratischen SozialistInnen (DSA) zu erreichen, um Verbündete und UnterstützerInnen zu gewinnen, wenn sie streiken müssen. Es scheint, dass diese Zeit jetzt gekommen ist. Zu dieser Kontaktaufnahme gehört auch eine Lockerung der – oft unausgesprochenen – Beschränkungen der Zusammenarbeit mit „KommunistInnen und SozialistInnen“ in Fragen des Klassenkampfes und der Gewerkschaftspolitik.

Obwohl dieser Einsatz schon seit einiger Zeit andauert, ist er immer noch eher im Bereich der „Öffentlichkeitsarbeit“ angesiedelt als in dem der Aktion. Von einigen Ausnahmen abgesehen, geht die Unterstützung für die Eindämmung von KillerInnen in Polizeiuniform nicht so weit, dass man streikt, bis sie gestoppt werden, sondern beschränkt sich auf die Teilnahme an Demonstrationen und die Abgabe von Unterstützungserklärungen für ermordete Opfer. Natürlich ist das alles besser als gar nichts, aber wie die LehrerInnenstreiks 2018 gezeigt haben, kann man selbst im feindlichsten politischen Klima mit Streiks tatsächlich Forderungen durchsetzen.

Angesichts der gesetzlichen Beschränkungen für Streiks und gewerkschaftliche Aktivitäten und, ja, der Angst der Gewerkschaftsführungen davor, obliegt es den Verbündeten, in Abstimmung mit den Gewerkschaftsmitgliedern, auf weitere Schritte zu drängen, wenn diese notwendig sind, um Streiks erfolgreich zu machen. Es ist schön und gut, die GewerkschaftsführerInnen zu unterstützen, wenn sie einen Streik gegen die Bosse führen, aber ein/e gute/r Verbündete/r muss auch Fehler und Irreführung anprangern, wenn Streiks im Gange sind. Die DSA sollte in einer guten Position sein, um die Forderungen der Gewerkschaften mit sekundären Streikposten und Demonstrationen voranzutreiben, die weiter gehen, als die Gewerkschaften in der Lage oder willens sind zu gehen. Aber dafür müssen DSA wie auch Gewerkschaften von ihrer vollständigen Konzentration auf Wahlpolitik und lokale „gegenseitige Hilfe“ wegkommen. In Zeiten des verschärften Klassenkampfes, der durch einen Streik verkörpert wird, wird es nicht ausreichen, für die DemokratInnen zu stimmen. Und natürlich müssen wir uns im Falle eines von der Führung durchgesetzten, aber von den Mitgliedern abgelehnten Zugeständnisses immer auf die Seite der Mitglieder stellen.

Mit anderen Worten: Ein/e gute/r Verbündete/r muss immer bereit sein, die Wahrheit so zu sagen, wie er/sie sie sieht, ungeachtet des Drucks, sich um jeden Preis „zu einigen“. Dieser Druck ist real, vor allem dort, wo das gewerkschaftliche Bewusstsein den Kampf auf den „besten verfügbaren Deal“ beschränkt, anstatt die Frage zu stellen, wer wirklich die Macht am Arbeitsplatz hat, die ArbeiterInnen oder die EigentümerInnen. Ironischer Weise – oder vielleicht auch nicht so ironisch – ist der schnellste Weg zum „besten Angebot“ immer der, die Macht der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz zu demonstrieren. Je mehr Macht die ArbeiterInnen zeigen, desto schneller werden die Bosse einlenken.

Mehr Militanz im Jahr 2022

So aufregend der Anstieg der Militanz im Jahr 2021 auch war, so groß ist das Potenzial für mehr im Jahr 2022. Einem Bericht des datenanalytischen Dienstes von Bloomberg Law zufolge, der von der Zeitschrift Labor Notes nachgedruckt wurde, werden zwischen November 2021 und Ende 2022 etwa 200 Verträge für 1,3 Millionen Beschäftigte zur Verhandlung und zu möglichen Aktionen anstehen. Und dabei handelt es sich nur um Verträge, die mitgliederstarke Gewerkschaften in Großunternehmen abschließen, ohne die vielen Verträge in kleineren Firmen und neu organisierten Betrieben zu berücksichtigen, die ganz neue Verträge aushandeln werden. Da der Arbeitskräftemangel des vergangenen Jahres im neuen Jahr voraussichtlich nicht wesentlich nachlassen wird, sollten wir davon ausgehen, dass sich die kämpferische Haltung von Streikoktober bis Streikweihnachten fortsetzen und hoffentlich bei immer mehr ArbeiterInnen noch weiter verbreitet wird.

Die großen Verträge, die zur Verhandlung anstehen, decken die ganze Bandbreite der Branchen ab, von den Hafen- und LagerarbeiterInnen der ILWU über die Beschäftigten in Lebensmittelgeschäften, die der UFCW (Gewerkschaft der Lebensmittel- und HandelsarbeiterInnen) angehören, bis hin zu den Beschäftigten in Ölraffinerien, die der Steelworkers Union angehören. Darüber hinaus gibt es im ganzen Land LehrerInnen, Krankenhausangestellte, Beschäftigte im Hochschulbereich und TelekommunikationsarbeiterInnen. Es wird erwartet, dass sich die Teamster-AktivistInnen voll an den Verhandlungen über den Vertrag für das Abschleppen von Autos von Abstellplätzen zu Autohöfen beteiligen werden, was die jüngsten Engpässe beim Autoverkauf möglicherweise noch verschärfen könnte.

Die UFCW-Vertragsverhandlungen in der Nahrungsmittelbranche sind insofern besonders interessant, als die Gewerkschaft versucht, Aktionen in mehreren Bundesstaaten gegen zwei große Lebensmittelketten im Westen der USA zu koordinieren. Man hofft, dass sie sich auch mit den UFCW-Ortsverbänden in den Stop-and-Shop-Filialen im Osten der USA, deren Vertrag im Februar ausläuft, abstimmen wird, um aus dieser Aktion eine umfassendere zu gestalten, die sich einem sektorweiten Streik nähert.

Die IWLU repräsentiert die HafenarbeiterInnen der Westküste. Ihr muss immer Aufmerksamkeit geschenkt werden wegen ihrer strategischen Bedeutung und der möglichen Wirkung von Kampfmaßnahmen auf die Weltwirtschaft sowie ihrer kämpferischen Geschichte. Der Vertrag läuft am 1. Juli 2022 aus. Eine relativ kleine Anzahl von HafenarbeiterInnen kann äußerst wirksam einen riesigen Teil des Weltkapitalismus lahmlegen, besonders wenn sie sich mit Verbündeten vor Ort und den LastwagenfahrerInnen zusammentun, wie das schon mehrfach in der Vergangenheit geschah, um zu verhindern, dass Schiffsladungen gelöscht und vom Hafen abtransportiert werden.

Einige der großen Schlüssel, die 2022 in ein Jahr der Wasserscheide zum Umbruch für Arbeitsrechte und ArbeiterInnenmacht verwandeln könnten, liegen in diesen beiden Kämpfen. Die Koordination der LebensmittelarbeiterInnen muss zu einer Vorlage für jede Gewerkschaft und jeden Streik, aber ausgeweitet werden und den gesamten organisierten Teil der ArbeiterInnenklasse einbeziehen. Streiks sollten möglichst zusammen mit anderen Arbeitsniederlegungen anberaumt werden, besonders in zusammenhängenden Industrien. Streikende LKW-FahrerInnen im Verein mit HafenarbeiterInnen bringen die Logistik zu einem kreischenden Halt. LehrerInnen in gemeinsamem Streik mit Cafeteria-ArbeiterInnen und sympathisierenden StudentInnen können mit Aktionen im höheren Bildungssektor zusammengespannt werden. Nichtmedizinische Bedienstete im Krankenhaus könnten zusammen mit dem Pflegepersonal streiken. Der Mut zur Arbeitsniederlegung kann andere ArbeiterInnen anstecken, selbst wenn sie noch nicht gewerkschaftlich organisiert sein sollten.

40 und mehr Jahre schlechter Abschlüsse, Betrügereien und Rückschläge für die ArbeiterInnenklasse scheinen nun zu Ende zu gehen im Verlauf der weltweiten Pandemie, die uns genau gezeigt hat, wie wenig wir für die Bosse zählen. Ein Jahr, nachdem wir als „wichtig“ beweihräuchert wurden, versuchen sie nunmehr, uns wieder Verträge aufzunötigen, die uns Zugeständnisse abpressen wollen. Sie dienen nur dazu,  uns um selbst das bisschen zu betrügen, was wir für unsere Arbeit verdient haben.  Die Zeit ist reif zu beweisen, wie viel unsere Arbeit wert ist, indem wir sie den EigentümerInnen dieses verfaulten Systems vorenthalten.

Es versteht sich von selbst, dass alle SozialistInnen unter den Vorzeichen einer Wiederbelebung der ArbeiterInnenbewegung alles Erdenkliche tun müssen, um solidarische Maßnahmen auf Orts- und Landesebene für gegenwärtige und geplante Streiks zu organisieren. Solche Solidarität kann den Kampf auch in Bereiche hineintragen, die noch nicht ins Streikgeschehen eingegriffen haben. Eine Massenstreikwelle wird alle TeilnehmerInnen stärken. Politische Parteien wie die Demokratischen SozialistInnen und ihre Jugendorganisation können zur historischen Wiederbelebung  der ArbeiterInnenbewegung in den USA beitragen, auf politischer  und auf gewerkschaftlicher Ebene. Eine solche Wiederauferstehung ist längst überfällig und die richtige Antwort an Präsident Biden und den Fehlschlag der Demokratischen Partei, ihre Versprechen an die ArbeiterInnen durch den Kongress zu bringen, nicht zuletzt wegen der Sabotage aus den eigenen Reihen.

Die Labor-Notes-Konferenz in Chicago vom 17.  –  19. Juni  2022 wird eine große Gelegenheit bieten, die Kräfte der gegenwärtigen Streikwelle zusammenzubringen und Fragen von gewerkschaftlicher Demokratie, Antikapitalismus und der politischen Vertretung der ArbeiterInnenbewegung mit einer eigenen Partei zu erörtern. 2022 ist das Jahr, groß zu denken.