Berliner Linkspartei-Spitze in Feierlaune

Martin Suchanek, Infomail 1173, 19. Dezember 2021

Nach dem deutlichen Ja der LINKEN-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen präsentierte sich die Parteispitze am vergangenen Freitag, den 17. Dezember, in seltener Feierlaune. Sie darf weitermachen – im Berliner Senat. Die Wahl der rechten Sozialdemokratin Franziska Giffey zur neuen Regierenden Bürgermeisterin der Hauptstadt gilt als sicher, die rot-grün-rote Landesregierung kann fortgesetzt werden.

Insgesamt beteiligten sich 4220 (53,64 %) der 8016 Mitglieder der Berliner Linkspartei am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3926 Stimmen gültig. 2941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert – und mit ihr die gesamte Senatsriege um den alten und zukünftigen Kultursenator Klaus Lederer – konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärt sie und lässt weiter verlauten:

„Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben. Daran werden wir entschlossen und mit voller Kraft weiterarbeiten.

Am 20. Dezember 2021 werden unsere Senator:innen offiziell nominiert und sie werden ihre Ressorts mit progressivem Gestaltungswillen entschlossen ausfüllen. Wir haben uns viel vorgenommen, wie wir unsere Stadt in den nächsten Jahren weiter sozial und ökologisch verändern wollen.“ (https://dielinke.berlin/start/presse/detail/news/klares-ja-der-linken-mitglieder-zum-koalitionsvertrag-1/)

Kröten

Angesichts der miesen Bilanz der letzten fünf Jahre und des ausgehandelten Koalitionsvertrages fragt man sich: Lebt die Spitze der Berliner Linkspartei bloß in ihrer eigenen Welt, fernab jeder Realität? Ist sie einfach nur zynisch oder beides? Oder bewirbt sich da jemand für ein (Real-)Satiremagazin?

Faktisch begräbt der Koalitionsvertrag den Volksentscheid für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne, die Privatisierung schwebt weiter über der Berliner S-Bahn, die outgesourcten Töchter von Vivantes und Charité sollen auch in der nächsten Legislaturperiode nicht zurückgeholt werden. An den Schulen soll das reaktionäre BerufsbeamtInnentum wieder gestärkt werden. Freuen kann sich dafür die Berliner Polizei, deren Befugnisse ausgeweitet, deren Personal aufgestockt und für die auch neues (Repressions-)Gerät angeschafft werden soll. Die rassistische Abschiebepraxis soll, wie schon unter dem letzten Senat, fortgesetzt werden.

So viel zum „progressiven Gestaltungswillen“ der kommenden Jahre, so viel zur Rückgabe der Stadt an die Berlinerinnen und Berliner.

Für die ArbeiterInnenklasse und die Berliner Linke gibt es an der Fortsetzung der Koalition nichts schönzureden, nichts zu verteidigen. Im Gegenteil: DIE LINKE Berlin gerät nur zur noch jämmerlicheren Juniorpartnerin von SPD und Grünen. Deren SenatsheldInnen und die Mehrheit ihrer Abgeordneten werden wohl, da sollte sich niemand Illusionen machen, so ziemlich jede Kröte schlucken, so ziemlich jeden Scheiß mitmachen.

Da hilft es auch nichts, wenn die KoalitionsbefürworterInnen darauf verweisen, dass sie einige drittrangige „progressive“ Projekte fortführen und ansonsten einige Luftschlösser in den Senatskanzleien in Auftrag geben dürfen. Neben diesen „Gestaltungsspielräumen“ rechnen sich die UnterstützerInnen von Rot-Grün-Rot außerdem an, dass sie so die von Giffey eigentlich bevorzugte  Ampel in Berlin verhindert hätten. Damit die rechte Sozialdemokratin erst gar keine Chance hat, die Koalition zu brechen, gibt sich DIE LINKE nicht nur im Koalitionsvertrag so willfährig, wie es die FPD wohl nicht gewesen wäre.

Nun sollte niemand den Mitgliedern, die mit Ja gestimmt haben, unterstellen, dass sie damit auch jeden faulen Kompromiss, jedes Zugeständnis der Senatsriege und der Parteispitze gleich mit befürwortet hätten. Aber unabhängig von den politischen Illusionen, Wünschen oder vom Opportunismus der Mehrheit der Mitglieder wird die Führung deren Votum zur Rechtfertigung ihrer opportunistischen, bürgerlichen Politik im Senat und im Abgeordnetenhaus heranziehen. Schließlich würde sie nur den Willen der Basis umsetzen – und diesem mögen sich die parteiinternen KritikerInnen endlich beugen. Sie mögen schweigen oder am besten die Arbeit des Senats konstruktiv und „solidarisch“ begleiten.

Opposition

In der Tat wirft der Ausgang der Abstimmung ein Licht auf das Kräfteverhältnis in der Berliner Linkspartie und den Zustand der Organisation. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben. Rund 4000 beteiligten sich erst gar nicht an der Entscheidungsfindung – und das bei einem für die Berliner Linkspartei zentralen politischen Thema. Dies illustriert ein für reformistische Parteien typisches Phänomen – nämlich, dass sich die Parteiführung nicht nur auf einen bürokratischen Apparat, sondern auch auf eine passive Mitgliedschaft stützt. Gerade weil die Arbeit in den verschiedenen Körperschaften des bürgerlich-parlamentarischen Systems die zentrale politische Aktivität der Partei ausmacht, bilden auch diese „AktivistInnen“, deren Masse nicht im Abgeordnetenhaus, sondern in Bezirksämtern, Beiräten, Bezirksverordnetenversammlungen sitzt, das eigentliche Rückgrat der Partei.

Dies erklärt auch, warum der Anteil der Nein-Stimmen in der Mitgliedschaft, also an der Basis, eher geringer ausfiel als unter den Parteitagsdelegierten, wo er über ein Viertel ausmachte. Leider liegen noch keine Zahlen vor, wie sich die 880 GegnerInnen der rot-grün-roten Koalition auf die Bezirke verteilen. Es dürften aber Neukölln und Mitte Zentren der Ablehnung bilden (jedenfalls was die öffentliche Wahrnehmung betrifft).

Schließlich erklärt die Mehrheit auch, dass die Berliner Linkspartei (und davor die PDS) schon seit Jahrzehnten von den RegierungssozialistInnen dominiert werden. Insofern bedeuten selbst 22,4 % Nein-Stimmen, dass diese Dominanz geschwächt wurde –, und das Agieren der rot-grün-roten Regierung könnte dieses Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Opposition verschieben.

Es hängt von der Opposition ab, welche Perspektive sie selbst einnimmt, wie sie sich zur neuen Landesregierung, zur Parteimehrheit und zu den sozialen Bewegungen und den Lohnabhängigen verhält, die unweigerlich mit Rot-Grün-Rot in Konflikt geraten werden.

Sollten die GegnerInnen der Regierung darauf verzichten, den Kampf gegen die neue Regierung auf der Straße und parteiintern organisiert fortzuführen, so wäre die ganze Abstimmung wenig mehr gewesen als ein Sturm im Wasserglas. Die Opposition würde sich dann als politische Episode, als parteiinterne Begleitmusik zu den Niederungen der Regierungspolitik erweisen. Eine solche Opposition würde sich als politischer Wurmfortsatz der Parteiführung entpuppen, die ihrerseits wenig mehr als einen Wurmfortsatz von SPD und Grünen darstellt.

Die Opposition in der Linkspartei kann aber auch den Kampf aufnehmen und ihre Chance nutzen, die 880 Nein-Stimmen zu einer organisierten Kraft gegen die kommenden Angriffe der Regierung und gegen die RegierungssozialistInnen zu gestalten.

Dazu muss sie sowohl das Bündnis mit der Linken außerhalb und links der Linkspartei, mit den sozialen Bewegungen wie DWe enteignen, antirassistischen Kräften, der Krankenhausbewegung und vielen anderen vertiefen und suchen. Wir schlagen daher vor, rasch ein Aktionbündnis gegen die Angriffe des kommenden Senates zu gründen, um dagegen auf der Straße und in den Betrieben zu mobilisieren.

Das erfordert aber auch eine politische Klärung in der Opposition, die Schaffung einer politisch-programmatischen Plattform, die sich nicht nur gegen den Koalitionsvertrag, sondern auch gegen die reformistischen Grundlagen der Linkspartei richtet und für eine revolutionäre Alternative eintritt. Auch dazu sollte, ja müsste sich diese Opposition auch für die Linke außerhalb der Linkspartei öffnen, um so einen strategischen und programmatischen Diskussionsprozess zur sozialistischen Neuformierung voranzubringen.