Corona und die mörderische Politik des Kapitals

Katharina Wagner, Infomail 1172, 7. Dezember 2021

„Hello again“! Gemeinsam mit FreundInnen Geburtstag feiern, volle Fußballstadien und Konzerthäuser, Rockkonzerte inkl. Stagediving und Enkelkinder, die lachend in die Arme ihrer Omas laufen. Wer sehnt sich nicht danach? Dies alles zeigt ein Video des Bundesgesundheitsministeriums, produziert im Juli 2021, und möchte damit für eine Impfung gegen Corona werben, „Holen wir uns das Leben zurück. Jede Impfung zählt“. Geklappt hat dies nicht wirklich. Mit einer aktuellen Impfquote von 68 % (Quelle: https://ourworldindata.org/covid-vaccinations?country=OWID_WRL) liegt die BRD immer noch weit weg von einer notwendigen Quote von 80 – 90 %. Und die Infektionszahlen in Deutschland steigen seit Wochen kontinuierlich an, und das bereits vor dem Auftreten neuartiger Virusmutanten. Daher nimmt auch die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht immer mehr an Fahrt auf und wird mittlerweile auch von Teilen der Politik aufgegriffen, die bisher strikt dagegen waren. Aber ist dies wirklich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie und wie sieht der aktuell anwendbare Maßnahmenplan für Bund und Länder denn überhaupt aus?

Aktueller Maßnahmenkatalog – wirksam oder unzureichend?

Seit Wochen steigende Infektionszahlen, mittlerweile mehr als 100.000 Tote allein in Deutschland, überlastete Krankenhäuser, Patientenverlegungen mithilfe der Luftwaffe und „milde“ Triage in Thüringen und Sachsen – so lässt sich die aktuelle Infektionslage wohl am besten beschreiben. Trotz alledem wurde am 19.11.2021 das neue Infektionsschutzgesetz im Bundesrat einstimmig verabschiedet und gleichzeitig die epidemische Notlage nicht über den 25.11. hinaus verlängert, trotz zahlreicher Warnungen aus Opposition und Wissenschaft (Quelle: https://www.fr.de/politik/corona-regeln-lockdown-infektionsschutzgesetz-bundestag-bundesrat-entscheidung-news-zr-91122826.html). Denn damit wird der bundesweite Maßnahmenkatalog zugunsten unterschiedlicher Regeln der einzelnen Bundesländer flexibilisiert. Das wird als stärkere Handlungsfähigkeit verkauft.

Doch welche Maßnahmen beinhaltet das Gesetz denn jetzt genau? Zum einen neue Regelungen, darunter eine Wiedereinführung der Homeofficepflicht sowie die 3G-Regel am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Dies bedeutet, wer nicht geimpft oder genesen ist, muss nun täglich ein negatives Ergebnis eines zertifizierten Antikörpertests vorzeigen können. Um gefälschte Impfpässe zu umgehen, gilt zudem zukünftig nur noch das digitale Impfzertifikat als Nachweis. Während bei ersterem die Kontrolle bei den Arbeit„geber“Innen liegt und diese sie täglichen nachweisbar dokumentieren müssen, soll es im Nah- und Fernverkehr lediglich Stichproben geben. Bei Verstößen drohen je nach Bundesland Strafen bis zu mehreren Tausend Euro (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/buerokratieabbau/3g-regel-in-bus-und-bahn-1983736). Die Deutsche Bahn zieht bisher ein positives Fazit. In den ersten Tagen wurden im Fernverkehr rund 400 Verbindungen kontrolliert (Quelle: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/11/berlin-brandenburg-bvg-sbahn-vbb-3g-kontrollen-bilanz.html). Beim ÖPNV sind aufgrund von häufigem Fahrgastwechsel und Haltestellen in kurzen Abständen generell keine vollständigen Kontrollen möglich. Das bisherige Fazit der jeweiligen AnbieterInnen fällt daher gemischt aus. Vor allem fehle es bei kleineren Verkehrsbetrieben häufig an Personal (Quellen: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/11/berlin-brandenburg-bvg-sbahn-vbb-3g-kontrollen-bilanz.html). Des Weiteren wurde die Testpflicht für Beschäftigte und BesucherInnen in Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen ausgeweitet. Auch eine berufsbezogene Impfpflicht soll Anfang 2022 eingeführt werden. Maßnahmen wie Abstandsregeln und Maskenpflicht bleiben weiterhin bestehen und je nach Infektionslage können seitens der Länder Maßnahmen wie 3G, 2G oder 2G plus Test beschlossen werden.

Gleichzeitig werden aber weitreichende Maßnahmen wie Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen, Beherbergungsverbote oder flächendeckende Stilllegung von Gastronomie und Einzelhandel nach Ablauf einer Übergangsfrist ab dem 15.12. quasi verboten (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/infektionsschutzgesetz-1982318). Schon vor den Abstimmungen im Bundestag bzw. Bundesrat gab es deshalb lautstarke Kritik, die dort enthaltenen Maßnahmen würden nicht ausreichen, um die aktuelle Welle zu brechen. Um eine Zustimmung des Gesetzes dennoch zu erreichen, wurde bereits im Vorfeld eine Evaluierung und ggf. Anpassung nach einem Zeitraum von 3 Wochen beschlossen. Dieser wurde aber letztlich sogar verkürzt. Aufgrund weiterhin stark steigender Infektionszahlen, dem drohenden Kollaps deutscher Kliniken und von Intensivstationen und einer neu auftretenden und höchstwahrscheinlich ansteckenderen Virusmutation namens Omikron sah sich die neue Ampelkoalition bereits am 02.12. nach mehreren BundesministerInnenkonferenzen dazu gezwungen, das Gesetz zu modifizieren.

Diese modifizierte Form enthält nun zusätzlich unabhängig von den jeweiligen Inzidenzzahlen eine bundesweite 2G-Zugangsregelung für den gesamten Einzelhandel, Geschäfte des täglichen Bedarfs ausgeschlossen, sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen. Auch gibt es wieder Begrenzungen der Zuschauerzahlen bei Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen. Bei hohen Inzidenzen sollen diese nach Möglichkeit seitens der Länder untersagt sowie spätestens bei Überschreiten einer Inzidenz von 350 Clubs und Diskotheken geschlossen werden. Ein weiterer Baustein im modifizierten Gesetz sind Kontaktbeschränkungen. Auch weitere Maßnahmen wie Alkoholverbote, Beschränkungen von Versammlungen oder Hotelübernachtungen sollen Ländern mit hohen Inzidenzen auch weiterhin zur Verfügung stehen. Und zu guter Letzt wurde die oben bereits angesprochene Übergangsfrist für bisherige Schutzmaßnahmen über den 15.12.2021 hinaus verlängert (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-diese-regeln-und-einschraenkung-gelten-1734724).

Halbherzigkeit

Diese Maßnahmen sind nicht neu. Bereits im letzten Winter wurden sie angewendet, um steigende Infektionen und eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Wirklich funktioniert hat das schon damals nicht, obwohl 2020 die Infektionslage deutlich besser war als im Moment. Schulen mussten dennoch geschlossen werden, um die Infektionslage überhaupt irgendwie in den Griff zu bekommen. Nicht wenige rechnen auch in diesem Winter wieder mit flächendeckenden Schulschließungen, auch wenn dies im Moment von den politischen EntscheidungsträgerInnen noch vehement verneint und dafür auf die oben genannten Maßnahmen verwiesen wird. Diese werden es schon richten und als Retterinnen für das christliche Weihnachtsfest verkauft. Dabei wird hier besonders deutlich, dass die Gesundheitsinteressen wieder einmal oder besser gesagt immer noch zugunsten von Profitinteressen zurückgestellt werden. Aus der Wirtschaft kommt bereits starke Kritik an der eingeführten 2G-Regel im Einzelhandel mitten im Weihnachtsgeschäft. Dies würde zu Umsatzverlusten von bis zu 50 % führen. Aus diesem Grund seien daher sofortige Nachbesserungen der Wirtschaftshilfen notwendig  (Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/einzelhandler-bangen-wegen-der-zweigregel-101.html). Und auch die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht wurde durch erste Forderungen seitens der Wirtschaft erst so richtig angefacht, bisher aber von allen politischen EntscheidungsträgerInnen stets deutlich abgelehnt (Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/impflicht-3g-2g-arbeitsplatz-lockdown-101.html). Die ganzen Maßnahmen sollen zeigen, dass die Politik die Lage ernst nimmt und unter Kontrolle bringen kann. Sie sollen vom eigentlichen Versagen des politischen Establishment in Zuge der Pandemie ablenken, aber eine wirkliche Lösung zur Beendigung der Pandemie sind sie nicht. Nicht nur zahlreiche VirologInnen, auch die nationale Akademie der Wissenschaft Leopoldina forderte daher am 27.11. sofortige Kontaktbeschränkungen, um die Infektionszahlen schnell und drastisch senken zu können. Zwar könnten auch die eingeführten Regelungen zu 2G/3G diesen Effekt bewirken, allerdings würde dies einen längeren Zeitrahmen erfordern und höhere Sterbezahlen verursachen. Zusätzlich wird ein rascher Anstieg der Impfquote durch Ausweitung der bisherigen Impfkapazitäten gefordert

(Quelle: https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2021_Coronaviurs-Pandemie_Klare_und_konsequente_Maßnahmen.pdf). Aber schon jetzt stoßen die bestehenden Impfkapazitäten, auch aufgrund der zahlreichen Schließungen von Impfzentren im Sommer und Herbst, an ihre Grenzen. Es werden Zweifel laut, ob es überhaupt gelingen kann, bis Weihnachten die versprochenen 30. Mio. BürgerInnen zu impfen bzw. zu boostern. Auch wird es aus Sicht zahlreicher WissenschaftlerInnen zum jetzigen Zeitpunkt allein durch Auffrischungsimpfungen nicht zu einem Brechen der 4. Welle kommen können (Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/nebenwirkungen-und-impf-reaktionen-was-bei-der-booster-impfung-mit-biontech-und-moderna-zu-beachten-ist/27803742.html). Aber nicht nur das, auch die aktuellen Testkapazitäten für Schnell- und PCR-Tests sind am Limit und gefährden damit eine effiziente Pandemiebekämpfung, stellt doch das Testen einen wichtigen Baustein derer dar.

Zwar sind einzelne Maßnahmen durchaus sinnvoll, doch bleibt das Handeln der Regierungen Stückwerk. Ein Lockdown für Kitas, Schulen und Betriebe gilt als ausgeschlossen. Man laviert sich weiter mit halbherzigen Regeln durch, die zudem immer wieder geändert werden und sich zudem von einem zum anderen Bundesland ändern. Die heilige Kuh Profitwirtschaft steht notwendigen und energischen Gesundheitsmaßnahmen entgegen. Die Kinder dürfen nicht zu Hause bleiben, nicht weil sie etwas lernen sollen, sondern ihre Eltern arbeiten gehen können. Nur beim Freizeitspaß ist man strenger. Es fehlt ein Krisenstab, der entschlossen die notwendigen Maßnahmen umsetzt. Stattdessen lassen sich wirkliche und selbsternannte ExpertInnen in Talkshows aus.

MarxistInnen befürworten eine umfassende Impfpflicht ab möglichst niedrigem Alter. Für Kinder ab 6 Jahre liegen positive Studien vor. Die Impfpflicht macht aber nur dann Sinn, wenn die unnötig komplizierte und langwierige Vakzinbeschaffung durch schleunige Belieferung wie bei allen übrigen Medikamenten ersetzt wird und flächendeckende Impfzentren eingerichtet werden. Statt sich auf die üblichen globalen Lieferketten für Testkits zu verlassen, müssen Produktionskapazitäten im Inland her! Es ist ein Skandal, dass nach 2 Jahren Pandemie sich hier so gut wie nichts getan hat. Auf die Kontrolle seitens der Unternehmen darf sich die ArbeiterInnenklasse nicht verlassen. Alle KollegInnen müssen bis zum Ende der Pandemie vor Aufnahme ihrer Tätigkeit negativ getestet sein, auch Genesene und Geimpfte. Die Kosten müssen die UnternehmerInnen tragen. Die meisten Testzentren machen aber erst nach Arbeitsbeginn vieler Beschäftigter auf. Wie sollten diese ein aktuelles Ergebnis ohne obige Maßnahmen bekommen?

Und welche Maßnahmen brauchen wir wirklich?

Um die Inzidenzen wirklich drastisch und schnell senken und damit vor allem die Krankenhäuser und Intensivstationen entlasten zu können, fordern wir als MarxistInnen einen sofortigen, flächendeckenden und solidarischen Lockdown. Dabei müssen nicht nur Freizeit und Kultur, sondern alle gesellschaftlich nicht notwendigen Produktionen und Tätigkeiten für mehrere Wochen ausgesetzt werden. Dies sollte einhergehen mit einer Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe und einer 100 % Lohnfortzahlung für alle betroffenen Beschäftigten. Nur so kann es gelingen, die Intensivstationen zu entlasten und weitergehende Triage und viele Todesopfer zu verhindern.

Einhergehen sollte dies mit einem weiteren Ausbau der bestehenden Impf- und Testkapazitäten und einem kostenlosen und unkomplizierten Zugang für alle BürgerInnen. Allerdings sollte uns bewusst sein, dass es uns mit Impfungen allein kurzfristig nicht gelingen wird, die Infektionszahlen soweit zu senken, um einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Auch eine evtl. eingeführte Impfpflicht wird erst lang- und mittelfristig zu einer Verbesserung der Infektionslage beitragen. Für alle Beschäftigten im Pflegebereich fordern wir zudem eine sofortige Anhebung der Einkommen um mind. 500 Euro/Monat und einen weiteren Ausbau des gesamten Gesundheitswesens. Bezahlt werden muss dies durch eine massive Besteuerung der großen Kapitale und Vermögen.

Wenn uns die Pandemie eines gezeigt hat, dann dass sie nur im globalen Kontext bekämpft  werden kann. Daher muss auch die Forderung nach Aufhebung aller Patente für Impfstoffe und Medikamente in Bezug auf die derzeitige Pandemie gestellt und ein massiver Ausbau der globalen Impfstoffproduktion auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Kombination mit einem umfassenden Wissens- und Technologietransfer. Um dies zu erreichen, ist die Enteignung großer Pharma- und Biotechnologieunternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle zwingend notwendig. Denn nur so wird es möglich sein, das immer wiederkehrende Auftreten neuartiger Virusmutationen dauerhaft zu reduzieren und die Pandemie zu kontrollieren. Dabei dürfen wir uns nicht auf die bürgerliche Politik und die herrschende Klasse verlassen. Die Kontrolle der Umsetzung und weiteren Überwachung dieser Maßnahmen muss durch die internationale ArbeiterInnenklasse erfolgen. Dabei nehmen vor allem die Gewerkschaften und andere Organisationen der ArbeiterInnenklasse eine Schlüsselposition ein. Nur unter deren Kontrolle wird es uns gelingen zu verhindern, dass weiterhin Profitinteressen über Gesundheitsinteressen gestellt werden und dies vielen Menschen weltweit das Leben kostet.