Frauen, Kapitalismus, Pandemie

Katharina Wagner, Neue Internationale 260, November 2021

Frauen sind die großen Verliererinnen in der Pandemie. Dieser Satz gilt aber nicht nur für Deutschland oder Europa, sondern weltweit. Ihre Situation hat sich in vielen Bereichen, beruflich wie privat, im Zuge der Pandemie und damit einhergehender Maßnahmen deutlich verschlechtert.

Aktuelle Situation weltweit

Die Lage ist trotz der Konjunkturpakete der reichen, imperialistischen Staaten in vielen Ländern, gerade unter den ärmsten, weiter von einer weltweiten Wirtschaftskrise gekennzeichnet, die 2020 den gesamten Globus ergriff. Sie wurde zwar nicht durch die Pandemie verursacht, aber von ihr deutlich verstärkt.

In deren Gefolge wurden viele der ohnedies schon viel zu geringen Maßnahmen der weltweiten Armutsbekämpfung zerstört und zurückgenommen. Eine zunehmende globale Verschuldung sowie eine Zuspitzung imperialistischer Konflikte sind weitere Begleiterscheinungen dieser Krise. Auch hier sind Frauen wieder einmal auf besondere und vielfältige Weise deutlich stärker betroffen.

Der Verlust von Verdienstmöglichkeiten, eine starke Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt sowie eine stärkere Belastung durch Sorgearbeit innerhalb des Haushalts und der Familie – das sind nur die Hauptaspekte, mit denen Frauen in der derzeitigen Situation wohl am meisten zu kämpfen haben. Diese negativen Folgen für sie sind nicht neu, wurden aber während der Pandemie nochmals drastisch verschärft.

Im Zuge der Maßnahmen zu deren Eindämmung wurden teilweise ganze Branchen wie die Gastronomie oder andere Dienstleistungsbereiche stark heruntergefahren oder sogar zeitweise ganz geschlossen. Dies betraf vor allem Frauen, da deren Anteil in diesen Berufen doch überdurchschnittlich hoch ist. In Deutschland beispielsweise beträgt dieser rund 64 %.

Konnten die finanziellen Einbußen mithilfe des Kurzarbeitergeldes in reichen Industriestaaten wie Deutschland zumindest abgemildert und Entlassungen vorerst verhindert werden, haben die meisten globalen Beschäftigten keinerlei Zugang zu solchen staatlichen Hilfen. Frauen sind weltweit deutlich häufiger von Entlassungen betroffen als Männer, auch weil sie überdurchschnittlich im sogenannten informellen Sektor beschäftigt sind. Im südlichen Afrika etwa arbeiten rund 92 % aller weiblichen Erwerbstätigen ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen wie Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung bei Krankheit.

Covid-19

Ein weiterer wichtiger Beschäftigungssektor für Frauen ist der Gesundheits- und Sozialbereich, hier beträgt ihr Anteil in der Pflege weltweit rund 70 %. Demgegenüber steht allerdings ihre relativ niedrige Quote von 30 % in der ÄrztInnenschaft.

Dieser Umstand spiegelt sich auch sehr gut in den Infektionszahlen für Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitsbereich wider, sind diese doch aufgrund der Tätigkeit selbst einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt – nicht zuletzt auch aufgrund schlechtem oder ungenügendem Zugang zu Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln sowie einer enormen Arbeitsbelastung. In Spanien hatten sich während der Pandemie bisher dreimal so viele weibliche Pflegekräfte mit COVID-19 angesteckt wie männliche Beschäftigte in diesem Bereich.

Hinzu kommen die weiterhin beträchtlichen Lohnunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigen, größtenteils bedingt durch die deutlich geringeren Verdienste in den oben genannten Bereichen im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren. Laut dem WEF (World Economy Forum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden, bei den Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Und auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat. Weiterhin gibt es Schätzungen des WEF, dass beim derzeitigen Tempo der „Angleichung“ vermutlich erst in 257 Jahren Lohngleichheit erreicht sein könnte. In weiterer Folge bedeutet dies natürlich auch in Bezug auf die Rente eine deutlich schlechtere Ausgangslage, vielen Frauen droht daher Altersarmut.

Auch im privaten Umfeld hat die Pandemie die Situation vieler Frauen teilweise dramatisch verschlechtert. Bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 konnte eine starke Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern festgestellt werden. Tatsächlich wird statistisch gesehen jede dritte Frau weltweit Opfer von Gewalt und auch die Anzahl tödlicher Delikte gegen Frauen (Femizide) verzeichnet einen Anstieg von bis zu 23 %, wie Zahlen aus verschiedenen Ländern belegen. Obwohl zahlreiche, darunter auch Deutschland, die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) unterzeichnet haben, werden selbst die dort festgehaltenen Beschlüsse meist nicht vollständig umgesetzt. So fehlte es bereits vor der Pandemie vielerorts an ausreichend vorhandenen Schutzräumen und leicht zu erreichenden Hilfsangeboten für betroffene Frauen.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die Ursachen dieser Verschlechterungen müssen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betrachtet werden, bei der die Frau auf die Tätigkeit in der sogenannten Reproduktionsarbeit fixiert ist, das heißt auf Aufgaben zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens wie Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen oder die Hausarbeit im privaten Umfeld. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um unbezahlte und aus Sicht des Kapitals unproduktive Arbeit, da sie meist keinen Mehrwert generiert. Demgegenüber übernimmt der Mann die produktiven, also Mehrwert generierenden Arbeiten. Mit Entstehung der bürgerlichen Familie als Norm, welche sowohl ideologisch als auch repressiv gegenüber anderen modernen Formen durchgesetzt und verteidigt wird, reproduziert sich die eben angesprochene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute.

Der Kapitalismus hat sich diese lange vorher existierende Arbeitsteilung zunutze gemacht, in dem der Mann einen sogenannten „Familienlohn“ erhält und die Frau quasi als „Zuverdienerin“ das familiäre Haushaltsvermögen aufstockt. Dies erklärt den weiterhin herrschenden Lohnunterschied (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen. Global betrachtet stimmt dieses Modell zwar schon lange nicht mehr mit der Realität überein, denn in vielen Fällen ist sogar die Frau mittlerweile die Hauptverdienerin und ein Lohn oft nicht ausreichend, um das Überleben der Familie zu sichern. Dennoch trägt auch dieser Umstand weiterhin zur Festigung der bürgerlichen Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bei.

Reserve

Eine weitere Folge letzterer ist die stärkere Betroffenheit von Frauen in Krisenzeiten wie in der derzeit herrschenden Pandemie. Frauen wurden stets von Seiten der KapitalistInnen als sogenannte Reservearmee angesehen, welche in konjunkturell starken Phasen eingestellt und in Krisenzeiten rasch wieder entlassen werden können. In diesen werden zudem die sogenannten Reproduktionsarbeiten aus Gründen der Kostenersparnis sehr gerne zurück ins private und nicht entlohnte Umfeld ausgelagert. Dies bedeutet für viele Frauen eine stärkere Doppelbelastung aus Erwerbs- und Carearbeit, tragen doch sie die Hauptlast der Reproduktionsarbeit. Hinzu kommt eine (stärkere) finanzielle Abhängigkeit vom männlichen Partner, was Betroffenen von Gewalt ein Beenden der Partnerschaft häufig unmöglich macht. Dieser Rollback konnte auch in der derzeitigen Pandemie beobachtet werden.

Schließlich profitiert das Kapital selbst von Spaltungen wie jener zwischen Mann und Frau und nutzt diese zu seinen Gunsten. Es ist daher auch kein Zufall, dass vor allem Frauen aus der ArbeiterInnenklasse und der Bauern-/Bäuerinnenschaft besonders unter den Pandemiefolgen leiden. Daher darf diese Thematik nicht unabhängig vom kapitalistischen Gesamtsystem betrachtet werden, sondern muss mit der Klassenfrage und dem Kampf gegen es verknüpft werden. Denn aus Sicht von MarxistInnen handelt es sich beim Kapitalismus nicht nur um ein Produktions-, sondern um ein gesellschaftliches System, welches alle Lebensbereiche sowie unser Denken und Handeln beeinflusst und formt. Nicht zuletzt wird dies deutlich durch die gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlechterrollen, die anerzogen werden und sich dadurch weiter reproduzieren.

Wofür kämpfen?

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung muss international organisiert und mit der Klassenfrage und dem Kampf gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Auch wenn sich die Situationen von Frauen in verschiedenen Ländern teilweise deutlich unterscheiden, müssen wir global einige gemeinsame Forderungen aufstellen.

Um die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen abzubauen, muss die Forderung nach einem Mindestlohn sowie eine vollständige Abschaffung des informellen Sektors auf die Tagesordnung gesetzt werden. Auch prekäre Arbeitsverhältnisse müssen durch die Einführung von tariflichen Löhnen verschwinden. Dabei müssen die Kontrolle über deren Umsetzung und die Festlegung von Gehältern in die Hände der ArbeiterInnenklasse und der Gewerkschaften gelegt werden. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Forderung, keine Entlassungen zu akzeptieren und während der Schließung ganzer Wirtschaftsbereiche für eine vollständige Auszahlung der Gehälter einzutreten. Diese Auseinandersetzungen müssen wir darüber hinaus mit dem Kampf für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten verbinden: den Ausbau von Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, des Gesundheitssystems, einer Altersvorsorge für alle usw. unterstützen. Ein solches muss von den Profiten der Unternehmen bezahlt und von den ArbeiterInnen kontrolliert werden.

Um Frauen vor Unterdrückung und Diskriminierung zu schützen, bedarf es des Rechts auf eigene Treffen, sogenannte Caucuse, in allen Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Nur so ist gewährleistet, dass sie im Kampf für vollständige Frauenbefreiung und gegen den Kapitalismus eine Schlüsselrolle einnehmen und aktiv gegen Sexismus, Chauvinismus und rechtliche Benachteiligung vorgehen können. Um ihnen eine aktive Beteiligung an politischen Kämpfen zu ermöglichen, ist neben einer massiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auch eine Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit notwendig. Nur so können die Doppelbelastung aufgehoben und Arbeiten des täglichen Lebens auf viele Schultern verteilt werden. Statt Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich sind massive Investitionen für den Ausbau von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie öffentlichen Gesundheitssystemen und Kultureinrichtungen einzufordern. Nur so ist es möglich, den herrschenden Rollback zu Ungunsten der Frauen und jungen Mädchen umzukehren.

Frauenbewegung

Zum Schutz von Frauen vor physischer und sexualisierter Gewalt müssen dringend die zur Verfügung stehenden Schutzräume massiv ausgebaut und Selbstverteidigungsorgane innerhalb der ArbeiterInnenklasse aufgebaut werden. Ebenso ist es wichtig, die Forderung nach rechtlicher Gleichheit und einem Scheidungsrecht, welches Frauen nicht benachteiligt, aufzustellen.

Der Kampf gegen die Folgen von Pandemie und Krise, von denen die lohnabhängigen Frauen besonders hart getroffen werden, hat aber auch zu vielen Abwehrkämpfen und Bewegungen geführt, wo Arbeiterinnen an vorderster Front stehen. Diese zeigen, dass Frauen nicht in erster Linie Opfer und Betroffene, sondern vor allem Kämpferinnen sind. Die Frauen*streiks der letzten Jahre, die Bewegungen im Gesundheitssektor und Frauen, die in Afghanistan unter extremen Bedingungen ihre Rechte verteidigen – sie alle zeigen, dass vor unseren Augen auch die Basis für eine neue internationale proletarische Frauenbewegung entsteht.

Lasst uns gemeinsam für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine vollständige Frauenbefreiung kämpfen! Für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung!