Südafrika: 155.000 StahlarbeiterInnen im unbefristeten Streik

Jeremy Dewar, Infomail 1167, 18. Oktober 2021

Ein Massenstreik hat die Stahlproduktion in Südafrika seit dem 5. Oktober zum Stillstand gebracht. Aufgrund der Just-in-Time-Produktion, bei der die Lagerbestände auf ein Minimum reduziert werden und ein ständiger Zustrom von Vorprodukten erforderlich ist, hat der Streik bereits einige BMW-Montagebänder lahmgelegt und die Fertigstellung von 700 Fahrzeugen verhindert. Weitere Einbußen für die wichtige Autoindustrie des Landes (5 % des Bruttoinlandsprodukts) werden zweifellos folgen.

Der Konflikt ist seit dem ersten Tag von Gewalt geprägt, als ein wütender Autofahrer seinen Wagen absichtlich in eine Gruppe von Streikenden auf dem Weg zu einer Streikpostenkette in der Nähe von Johannesburg rammte und dabei einen von ihnen tötete und ein Dutzend andere verletzte. Für die meisten Verletzungen ist jedoch die Polizei verantwortlich, die mit Gummigeschossen auf die ArbeiterInnen schießt, selbst wenn diese sich von der Aktion entfernen.

Die Mational Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA =Nationale Gewerkschaft der MetallarbeiterInnen von Südafrika) fordert eine Lohnerhöhung von 8 % in diesem Jahr und einen Zuschlag von 2 % plus Inflationsausgleich in den nächsten beiden Jahren. Dies folgt auf eine Vereinbarung, aufgrund der Pandemiebedingungen auf eine Lohnsteigerung im Jahr 2020 zu verzichten. Die Inflation steigt und liegt derzeit bei 4,9 %, während die südafrikanische Zentralbank ihren Zinssatz um einen dreiviertel Punkt auf 4,25 % anhebt. Das ursprüngliche Angebot der „ArbeitgeberInnen“ von 4,4 % war also in Wirklichkeit eine weitere reale Lohnkürzung.

Trotz ihrer strategischen Bedeutung für die Wirtschaft und der Beschwerlichkeit ihrer Arbeit erhalten die Beschäftigten in der Stahlindustrie und verwandten Branchen oft nur etwas mehr als 1 Euro die Stunde. Diese nackte Tatsache zwang den Unternehmerverband SEIFSA (Verband der Stahl- und Metallindustrie Südafrikas), der 1.000 Unternehmen vertritt, dazu, sein Angebot auf 6 % in diesem Jahr und eine Inflationsanrechnung plus 0,5 % in den Jahren 2022 und 2023 zu erhöhen – allerdings nur für die am schlechtesten bezahlten Schichten. Die NUMSA-Beschäftigten lehnten diese Taktik des Teilens und Herrschens ab, obwohl Generalsekretär Irvin Jim besorgniserregend angedeutet hat, dass er sich mit 6 % zufrieden geben würde, wenn sie für alle Beschäftigten gelten würden.

Kompromiss oder Eskalation?

Der unbefristete Generalstreik steht vor einer entscheidenden Phase. Die Gespräche mit der SEIFSA laufen, aber die kleineren Unternehmerverbände weigern sich, von ihren ursprünglichen Positionen abzuweichen. Irvin Jim ist eindeutig bereit, den Streik bei 6 % zu beenden, was, selbst wenn das auf alle Besoldungsgruppen ausgedehnt würde, kaum mehr als ein fauler Kompromiss wäre.

Auf der anderen Seite gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Entschlossenheit der Streikenden nachlässt. Massenkundgebungen und militante Streikposten mit roten Hemden trotzen weiterhin Polizeikugeln und Einschüchterungen.

Die ArbeiterInnen wissen, dass bei Produktivitätssteigerungen die UnternehmerInnen mehr zahlen können. Ein Streikender drückte es so aus: „Die Firmen, in denen wir arbeiten, rüsten ihre Maschinen auf. Wann werden sie unsere Löhne erhöhen?“ Die meisten MetallarbeiterInnen sind die HaupternährerInnen ihrer Familien, und da jede/r dritte Lohnabhängige und über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos sind, können sie sich keine Kompromisse leisten.

Der Streik ist noch lange nicht am Ende, sondern wird sogar noch ausgeweitet, da sich in der zweiten Woche 16.000 Mitglieder der Metall- und ElektroarbeiterInnengewerkschaft (MEWUSA) den Streikposten angeschlossen haben. Gleichzeitig kündigte Zwelinzima Vavi, der Vorsitzende des südafrikanischen Gewerkschaftsbundes SAFTU, aus Solidarität mit den Metall- und StahlarbeiterInnen 14 Tage im Voraus einen zweitägigen Generalstreik an. Die SAFTU-Mitglieder sollten nicht die zwei Wochen abwarten, um Solidaritätsaktionen zu starten, sondern Streiks durchführen oder ihre eigenen Forderungen vorbringen, um die Streiks zu verallgemeinern.

Es ist auch klar, dass COSATU, der wichtigste Gewerkschaftsverband und Mitglied der Koalition mit dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) in der Regierung, nicht immun gegen den Druck von unten ist, Streiks durchzuführen. An dem Tag, an dem die NUMSA ihren Streik begann, rief COSATU eilig zu einer zweitägigen landesweiten Arbeitsniederlegung auf, die vor allem im von einem Lohnstopp betroffenen öffentlichen Sektor wirksam war.

Der Aktivist Trevor Ngwane in den Armenvierteln (Townships) kommentierte: „Die kurzfristige Ankündigung von Arbeitsniederlegungen und Streiks wirft ein schlechtes Licht auf die Führung von COSATU. Die Basis muss ihre AnführerInnen zwingen, sich mit SAFTU und NUMSA zusammenzuschließen und den Druck auf den ANC und die Bosse zu erhöhen.“

Die südafrikanische ArbeiterInnenklasse hat sich im Laufe eines Jahrzehnts als eine der kämpferischsten der Welt erwiesen. Ihre Avantgarde hat sich in einer Reihe von epischen Kämpfen gestählt. Dennoch bleibt sie politisch schwach: COSATU ist immer noch an die Volksfrontregierung des neoliberalen ANC gebunden; die Economic Freedom Fighters (Ökonomische FreiheitskämpferInnen) halten sich von Gewerkschaftskämpfen fern, es sei denn, sie werden von ihnen selbst aufgerufen; und die Revolutionär Sozialistische ArbeiterInnenpartei von Vavi und Jim war praktisch eine Totgeburt.

Was alle diese politischen Strömungen eint, ist die politische Tradition des Stalinismus, dessen Programm sich darauf beschränkt, die „demokratische Etappe“ zu vollenden, Kompromissbereitschaft mit dem Kapital zu signalisieren und die antikapitalistische Schärfe aller Kämpfe abzuschwächen. Die sektiererische Spaltung trägt dazu bei, diese falschen FührerInnen an der Spitze ihrer Organisationen zu halten, vergeudet aber die Kraft der ArbeiterInnenklasse insgesamt. Ein erster Schritt, um diese Blockade zu durchbrechen, wäre die Ausweitung des NUMSA-Streiks zu einem umfassenden Angriff auf das kapitalistische System, das 27 Jahre nach dem Fall der Apartheid keine Freiheit gebracht hat.