Volksentscheid: Deutsche Wohnen und Co. enteignen – jetzt!

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 259, Oktober 2021

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWe) war auch in seiner dritten Phase ein voller Erfolg. 56,4 %, in absoluten Zahlen 1.034.709 Wahlberechtigte, stimmten beim Volksentscheid am 26. September mit Ja.

Was wir nun brauchen, ist eine „vierte“ Phase, in der wir den Druck auf das Abgeordnetenhaus bis zur erfolgreichen Umsetzung aufrechterhalten und parallel die MieterInnenbewegung organisieren.

Auf der Wahlparty von DWe versammelten sich am 26. September mehr als 400 Aktive. Auch wenn viele Umfragen auf einen knappen Sieg hindeuteten, waren Spannung und Ungewissheit spürbar, verstärkt durch das Auszählungsdebakel des Landes Berlin und die verheerenden Verluste der Linkspartei, der einzigen, die sich öffentlich hinter den Volksentscheid stellte. Gesteigert wurde all dies noch dadurch, dass das erste Ergebnis, das um 21 Uhr von der Landeswahlleitung gemeldet werden sollte, weiter auf sich warten ließ. Und dann kam es um etwa 21:50 Uhr: Nach Auszählung von etwa 20 Prozent der Wahlkreise zeichnete sich eine klare Mehrheit ab, am Abstimmungssieg gab’s keine Zweifel mehr. Hunderte jubelten, fielen einander in die Arme.

Abstimmungstrends

Mit diesem Ergebnis ist nun der Senat beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um große private Immobilienkonzerne auf Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz zu vergesellschaften. Dabei spielte das Resultat die Mehrheit nur unzureichend wider, sind doch hunderttausende Berliner MieterInnen aufgrund eines nationalistischen und undemokratischen Wahl- und Referendumrechts ausgeschlossen. Alle, die keinen deutschen Pass haben, durften nicht wählen oder abstimmen, selbst wenn sie jahre- oder jahrzehntelang in der Stadt wohnen. Auch wenn dieser Beschluss im Gegensatz zum Gesetzesvolksentscheid nach Auffassung des Innensenats rechtlich nicht bindend ist, ist der politische Druck aufgrund dieses klaren Ergebnisses enorm. Schließlich hat die Initiative mehr Stimmen hinter sich vereinigt als jede einzelne Partei oder jeder Zweiparteienblock.

Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Aus den Stadtteilergebnissen lässt sich annähernd die Klassenzusammensetzung der Abstimmenden ableiten:

Innenbezirke mit einer massiven Mietpreissteigerung von ca. 100 % in den letzten 10 Jahren und klassische ArbeiterInnenbezirke tendierten zur Annahme. Demgegenüber waren die Ergebnisse in bürgerlich-konservativen Bezirken unterdurchschnittlich, in Ostbezirken besser als vergleichbare im Westen. Damit kann man sagen, dass der Fokus des Abstimmungskampfs auf die östlichen Außenbezirke eine Wirkung entfaltete und die ArbeiterInnenklasse und progressive Teile des Kleinbürgertums dazu tendierten, den Volksentscheid zu unterstützen.

Hetze bis zur letzten Minute

Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als er gegen die vielfältigen politisch motivierten Blockadeaktionen (Polizei, Innensenat, Landesmedienanstalt), Halbwahrheiten und Irreführungen (Notwendigkeit zur Entschädigung zum Marktwert, privater Neubau als Alternative) sowie  Falschinformationen (Enteignung von Einzelbesitz und Wohnungsgenossenschaften) des bürgerlichen Staates, von Parteien und Medien, der Immobilienlobby und auch der SPD-Führung und der Wohnungsgenossenschaften errungen wurde.

Dies wurde am Wahlkampf, wo alle Parteien u. a. an Schulen eingeladen worden sind, um sich bei der Wahl darzustellen, DWe aber nicht, sichtbar. Auch hatten die Parteien die Möglichkeit, bei den öffentlichen Fernseh- und Radiosendern Wahlwerbespots kostenfrei zu senden. DWe hatte welche vorbereitet und versuchte, ebenfalls im Sinne der Gleichbehandlung entsprechende „Slots“ zu bekommen. Die Landesrundfunkanstalt hatte dies jedoch untersagt.

Und am Abstimmungstag wurde die Parteinahme gegen das Volksbegehren sehr plastisch symbolisiert, als der rbb „fragende BürgerInnen“ präsentierte – und dabei „zufällig“ nur auf GegnerInnen der Enteignung stieß.

CDU, FDP und AfD haben immer klargemacht, dass für sie, unabhängig vom Ergebnis des Volksentscheids, keine Enteignung in Frage komme. Während sich FDP und CDU als Parteien der Immobilienlobby und EigentumsfanatikerInnen bei ihrer Kernklientel eher profilieren konnten, trug die mieterInnenfeindliche Haltung der AfD wohl auch dazu bei, dass sie in Berlin 6,2 % ihrer Zweitstimmen verlor und zur größten Wahlverliererin wurde.

Kommentare der Senatsparteien

Die bisherigen Senatsparteien hingegen sind gezwungen, auf das Ergebnis Rücksicht zu nehmen, sei es aus Überzeugung oder Opportunismus.

Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, erwartet die Umsetzung dieses Beschlusses, egal welche Regierung sich konstituiert. Dass sich DIE LINKE als einzige Partei hinter das Volksbegehren gestellt hat, führte sicherlich dazu, dass sie in Berlin weit weniger Stimmen verlor als bei den Bundestagswahlen.

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, die zuvor eigentlich „gemeinwohlorientierte“ Abmachungen mit den Konzerne bevorzugte und Enteignung nur als letztes Mittel ansah, erklärt die Frage zum Bestandteil von Koalitionsverhandlungen.

Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der SPD mit enger Verbindung zur Immobilienwirtschaft, lehnt die Enteignung ab. Vor der Wahl definierte sie dies noch als „rote Linie“. Jetzt verspricht sie, das demokratische Votum „zu respektieren“, damit „verantwortungsvoll“ umzugehen. Sie sagt ferner: „Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden“.

Was wird der Senat tun?

Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass der überwältigende Sieg des Volksentscheides die bisherigen Regierungsparteien unter Druck setzt. Aber klar ist auch, dass Giffey alles dafür tun wird, eine Umsetzung abzuwehren, indem entweder gerichtlich festgestellt wird, dass diese unverhältnismäßig ist oder KoalitionspartnerInnen ausgesucht werden, mit denen jede Gesetzesinitiative in diese Richtung im Keim erstickt wird. Der schwarze Peter wäre dann bequem an bürgerliche Gerichte oder offen ablehnende bürgerliche Parteien weitergereicht. Die SPD wäre, jedenfalls Giffeys Kalkül zufolge, fein raus und bräuchte selbst nicht eine Millionen WählerInnen zu betrügen.

Giffey hält Rot-Grün-Rot für ein Auslaufmodell. Das Wahlergebnis macht den Bruch mit der bisherigen Koalition aber schwerer als erhofft. Jedoch lässt die Zusammenstellung ihres Sondierungsteams mit VertreterInnen des rechten Parteiflügels darauf schließen, dass eine weitere Koalition mit Grünen und Linken nicht angestrebt wird. Linke und Grüne schlagen vor, R2G fortzusetzen.

Doch viele haben für den Volksentscheid gestimmt in der Hoffnung, dass ein rot-grün-roter Senat diesen Beschluss auch umsetzt. Wir lehnen eine Fortsetzung der Koalition durch die Linkspartei allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sollte sie jedoch als einzige Unterstützerin des Volksentscheids in Koalitionsverhandlungen eintreten, so muss von ihr gefordert werden, seine Umsetzung zur Bedingung einer Koalition zu machen. Selbst darauf sollte sich niemand verlassen, schließlich hat die Partei auch in den letzten Jahren die Blockadepolitik der SPD-SenatorInnen gegenüber dem Volksbegehren im Interesse des Koalitionsfriedens geduldet.

Unter Giffey und Saleh wird die Parteirechte in der SPD eher noch forscher agieren. Ihr Ziel ist nach wie vor das Scheitern des Gesetzentwurfs. Daher müssen die Linken und VolksbegehrensunterstützerInnen in der SPD (Jusos, Bezirksverbände Mitte, Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf) selbst die Sache zuspitzen. Entweder die SPD-Führung bekennt sich zum Volksentscheid oder die Entscheidung muss auf dem Landesparteitag gegen die SPD-Führung ausgefochten werden.

Was ist zu tun?

DWe muss daher weiter massiv Druck auf die Abgeordneten ausüben, ohne Wenn und Aber den Volksentscheid umzusetzen. Zugleich darf es sich darauf keineswegs verlassen. Richtig erklärte Rouzbeh Taheri von DWe dazu: „Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks“. Und Kalle Kunkel aus dem gleichen Bündnis ergänzt: „Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist.“

Natürlich bedeutet die Lage auch, dass eine Reihe von Taktiken erwogen werden muss, wie dieser Druck erhöht werden kann. So kann bei fortgesetzter Blockade und mit der gewonnenen Expertise, wenn nötig, eine weitere Volksinitiative in Form eines verbindlichen Gesetzesvolksentscheids eine mögliche sinnvolle Ergänzung verkörpern. Im Schatten des aktuellen Erfolgs, einer hohen Zustimmung in der Stadt, bestehenden Strukturen sowie einer bereits existierenden kleinen Armee von motivierten AktivistInnen stünden die Chancen gut. Dieser zweite Volksentscheid kann aber nur mit einer organisierenden Perspektive rund um Arbeitskämpfe und Mietboykotts erfolgreich sein.

Diese taktischen, technischen, rechtlichen und organisatorischen Fragen sind aber letztlich zweitrangig. Denn Giffey und Saleh werden mit uns nur reden, weil der Volksentscheid gezeigt hat, dass hinter der Losung der Vergesellschaftung breite Teile der Bevölkerung stehen. Es existiert also eine reale soziale Basis, die in eine Bewegung oder organisierte Macht umgesetzt werden und in der Folge den politischen Führungsanspruch des sozialdemokratischen Spitzenduos untergraben kann. Das zwingt sie dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie werden aber alles tun, um die Enteignung zu verhindern.

Klar ist also: Am 26. September haben wir einen wichtigen Teilsieg errungen. Der Kampf muss jetzt weitergeführt, ja zugespitzt werden. Dazu schlagen wir vor:

a) Die Kiezteams sollen ihre Arbeit als Rückgrat der Kampagne fortsetzen, MieterInnen im Stadtteil organisieren und Keime der zukünftigen MieterInnenräte nicht erst per erhofftes Enteignungs- und Vergesellschaftungsgesetz von oben, sondern in der kommenden Phase von unten aufbauen. Diese MieterInnenräte können als Gremien der Vernetzung mit anderen Sektoren (MieterInneninitiativen, -verein, -gewerkschaft und lokalen Gliederungen von Gewerkschaften, UnterstützerInnen aus Linkspartei, SPD usw.) und der Mobilisierung dienen.

b) Die Vernetzung mit Betriebs- und Gewerkschaftskämpfen wird ausgebaut. DWe soll zu Treffen von Betriebsgruppen der einzelnen Gewerkschaften, bei Infoveranstaltungen und Vollversammlungen eingeladen werden, für Vergesellschaftung (in Gestalt von Kommunalisierung) eintreten, um die Grundlage für Massenmobilisierung und politische Streiks vorzubereiten und zu verbreitern, Druck auf Senat, Abgeordnetenhaus, Landes- und Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen.

c) In Kooperation mit DWe, MieterInneninitiativen und -vereinen müssen eine Auseinandersetzung zur Umwandlung der Massenorganisationen der Mietenden der Stadt geführt und neue aktive Mitglieder für diese gewonnen werden. Wenn in einem Haus, Straßenzug oder Unternehmen ein ausreichender Organisationsgrad erreicht ist (50  %), sind kollektive Mietboykotte für die Vergesellschaftung durchzuführen. Warum sollten wir den EnteignungskandidatInnen auch nur einen weiteren Cent zahlen?

d) Die gigantische Ausstrahlung von DWe birgt das Potenzial, für einen bundesweiten Mietendeckel zu kämpfen. Wir brauchen daher eine vorzugsweise bundesweite Aktionskonferenz, die sowohl die Perspektive aus dem Resultat des Volksentscheids diskutiert als auch Maßnahmen zum Mietendeckel bestimmt.

Diese Eckpunkte können das Kräfteverhältnis nach dem Volksentscheid weiter zugunsten der Lohnabhängigen und einfachen MieterInnen verschieben. Es ist nicht nur notwendig, den Druck aufrechtzuerhalten, sondern die BefürworterInnen zu einer Massenkraft in Richtung Kampf-, Veto- und Kontrollorgane zu organisieren. Mit diesen neuen Kampfmitteln und Organisationen ist es möglich, die Kommunalisierung konsequent umzusetzen – auch gegen den Senat.