Bundestagswahl: Die Linke wählen, aber den Klassenkampf organisieren!

Leo Drais, Neue Internationale 258, September 2021

Die KanzlerkandidatInnen von CDU/CSU, SPD, Grünen kommen nicht so recht in die Gänge. Dabei geht es für das deutsche Kapital um viel: Verwerfungen der Weltwirtschaft trotz Milliardenpaketen für die Konjunktur, drohende Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit, Corona-Pandemie mit Millionen Todesopfern – wie soll der deutsche Imperialismus da ausgerichtet werden?

Internationale Kooperation ist bei globalen Problemen kaum noch angesagt. Der Heißhunger nach immer höheren Profiten treibt die Konkurrenz auf immer neue Spitzen. Mit dem Kampf um neue Märkte und Anlagesphären verschärft sich der um die Aufteilung der Welt – zwischen den USA und China, aber auch der EU und Deutschland.

Die Kosten für dieses System und eine Politik, die darauf zielt, es am Laufen zu halten, zahlen wir schon jetzt. Während die Beschäftigten im Gesundheitswesen unter Personalmangel, katastrophalen Arbeitsbedingungen leiden, werden die Konzerne, vor allem in der Exportindustrie, mit Milliarden fit gemacht. Jede wirkliche ökologische Wende wird seit Jahren verschleppt. Richten soll es der Markt. Aber der besorgt es allenfalls für die Energiewirtschaft, die mit Milliarden subventioniert wird, während weiter Kohle verstromt und neue Gasterminals gebaut werden.

Baerbock, Laschet, Scholz

Der Kurs von Laschet, Baerbock, Scholz läuft darauf hinaus, das deutsche Kapital fit zu machen für die Konkurrenz auf dem Weltmarkt – Aufrüstung der Bundeswehr, Militärinterventionen wie in Mali und rassistische Abschottung der Grenzen Europas inklusive. Allenfalls verpacken sie ihn unterschiedlich – grün, sozial oder christlich, je nach sozialer Basis und Tradition.

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich FDP und AfD als Parteien der (klein)bürgerlichen  Opposition, denen all das noch zu grün, zu ökologisch, zu sozial und zu wenig nationalistisch gerät. Während sich die FDP als Alternative für die Fittesten in der Konkurrenz aufführt, gibt sich die AfD als rechtspopulistische „Volkspartei“, als nationalistische und rassistische Alternative.

Kapital und Arbeit

Aktuell setzt das deutsche Kapital jedoch auf EU und Euro als Vehikel für die imperialistische Durchsetzung der eigenen Interessen und auf staatliche Stützung, um in der globalen Konkurrenz fitter zu werden, den sog. sozialökologischen Umbau profitabel zu gestalten. Es setzt dabei auf eine Kombination von CDU/CSU, Grünen, SPD und FDP als neoliberales Korrektiv – inklusive enger Kooperation mit der EU-Kommission unter deutscher Führung und unter sozialpartnerschaftlicher Einbindung der SPD-geführten Gewerkschaften.

Für alle Lohnabhängigen, für die Mitglieder der Gewerkschaften, für MigrantInnen, proletarische Frauen, für RentnerInnen und Jugendliche, für die Umweltbewegung und für die MieterInnenproteste wird die nächste Regierung, ob nun von Laschet, Baerbock oder gar Scholz geführt, eine sozialer Angriffe bedeuten. Sie wird versuchen, die Kosten von Pandemie und Krise auf die Massen abwälzen. Auch wenn SPD und Grüne eine mögliche Regierungspolitik mit sozialen und grünen Versprechungen garnieren, so werden diese rasch an der Realität kapitalistischer Konkurrenz relativiert, verwässert, verschoben und gebrochen werden. Scholz‘ unzureichender Mindestlohn von 12 Euro wird bestenfalls die Kosmetik neuer Rückschritte für Lohnabhängige liefern.

Wir müssen den Wahlkampf und die Bundestagswahlen daher nutzen, um den Klassenkampf gegen die kommenden Angriffe vorzubereiten. Auch wenn Wahlen nichts Grundlegendes verändern, drücken sie ein Kräfteverhältnis in der Gesellschaft aus.

Damit kommen wir zur LINKEN. Trotz ihres reformistischen Programms stützt sie sich auf jene Lohnabhängigen, GewerkschafterInnen, Aktive in sozialen Bewegungen, die Widerstand gegen Angriffe leisten wollen. Trotz ihrer reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenpolitik organisiert DIE LINKE wichtige Teile der sozialen Bewegungen und des linken Flügels der betrieblich und gewerkschaftlich Aktiven. Sie repräsentiert im Gegensatz zur SPD jenen Teil der ArbeiterInnenklasse, der gegen offene Sozialpartnerschaft und imperialistische Intervention eintritt und soziale und politische Verbesserungen erkämpfen und in Parlamenten durchsetzen will.

Wir hegen und fördern keine Illusionen in den Charakter der Partei DIE LINKE, aber das Kräfteverhältnis, also die Kampfbedingungen, die die Wahlen zum Ausdruck bringen, können uns nicht egal sein. Wir rufen daher zu ihrer Wahl auf.

Klassenkampf statt Koalitionshoffnungen

In ihrem Wahlprogramm stellt DIE LINKE eine Reihe fortschrittlicher Forderungen auf wie die Einführung eines bundesweiten Mietendeckels, die Erhöhung des Mindestlohns, eine Rekommunalisierung der Krankenhäuser und eine bessere Finanzierung der Pflege, ein Verbot von Waffenexporten, die Ablehnung von Auslandseinsätzen, eine Vermögensabgabe für Nettovermögen über zwei Millionen Euro und eine stärkere Besteuerung der Reichen.

Es reicht bekanntlich aber nicht, diese Forderungen nur aufzustellen oder darauf zu hoffen, sie in einer möglichen Koalitionsregierung mit offen bürgerlichen Parteien wie den Grünen oder unter einer rechten SPD unter Scholz oder Giffey unterzubringen, selbst wenn 4 Wochen vor der Wahl  rein rechnerisch eine Bundesregierung aus SPD, Grünen und LINKEN vielleicht möglich wäre, und auch einmal davon abgesehen, dass Grüne und SPD wahrscheinlich kaum Interesse an einer Regierung mit der LINKEN haben.

Keine Koalition mit offen bürgerlichen Parteien!

Aber selbst wenn sie in den Bereich der Möglichkeiten käme: Eine Beteiligung einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei wie der LINKEN an einer Regierung mit einer offen bürgerlichen Partei, sprich den Grünen, ist kategorisch abzulehnen! In Ländern wie Berlin oder gar Thüringen tritt der Charakter solcher Regierungsbeteiligungen deutlich zutage. Während die Linkspartei für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. eintritt, befindet sie sich im Senat in Geiselhaft. Auf Bundesebene würde eine solche Regierungsbeteiligung einen weiteren Schritt in der Unterordnung unter die Interessen des deutschen Kapitals bedeuten, dessen Staat aktiv mitverwaltet werden müsste –  und ohne das Bekenntnis zu NATO, Bundeswehr und weiteren Auslandseinsätzen ist eine solche Regierung sowieso nicht zu haben. RegierungssozialistInnen wie Ramelow oder Bartsch wären vermutlich zu solcherlei bereit, die Linkspopulistin Wagenknecht und ihre AnhängerInnen ebenso. Kapitalismus und Marktwirtschaft wollen sie allenfalls sozialer und fairer ausgestalten. Dass das eine Illusion ist, beweist die Geschichte der SPD.

Aber wie steht es um die Bewegungslinke, die zunehmend die Linkspartei dominiert? Sie gibt vor, den Kampf auf der Straße, in den Krankenhäusern, in der MieterInnenbewegung oder gegen repressive Polizeigesetze mit einer geschickten „Transformationsstrategie“ verbinden zu können. Jedoch auch hier gilt, dass der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus stets auf der politischen Intensivstation endet. Eine linkere Illusion in parlamentarische Reformierbarkeit des Kapitalismus ist immer noch eine Illusion.

Wahlempfehlung

Und trotzdem rufen wir bei den Wahlen zum Bundestag und in Berlin auf, die Linkspartei zu wählen. Warum? Wir teilen ihre Illusionen in den Parlamentarismus und ihr reformistisches, bürgerliches Programm nicht. Aber die ArbeiterInnenklasse und AntikapitalistInnen können Parlamente und Wahlen nutzen – als Mittel zur Verhinderung reaktionärer Gesetze, vor allem aber als Tribüne für den Klassenkampf und zur Mobilisierung gegen Kapital, rechte Parteien, bürgerliche Regierungen. In diesem Sinne könnte eine LINKE im Parlament nützlich und sinnvoll sein. Entscheidend ist aber der Kampf außerhalb des Parlamentes!

Wir richten uns direkt an die Linkspartei und besonders an ihre Mitglieder, denen es ernst ist mit den Forderungen ihrer Partei: Fordert sie auf, gegen die sicher kommenden Angriffe der nächsten Bundesregierung zu mobilisieren! Fordert sie in Berlin auf, nicht nur für die Enteignung von DW & Co. zu stimmen, sondern dafür auf die Straße zu mobilisieren! Tragt den Vorschlag politischer Streiks zur Abwehr reaktionärer Gesetze und zur Durchsetzung von Enteignung, Mietendeckel, kostenlosem Nahverkehr oder Vermögensabgabe in die LINKE – wir unterstützen das.

Aber seid auch bereit zu brechen, wenn die LINKE doch für ein Bundeswehr-(Afghanistan-)Mandat stimmt, anstatt für offene Grenzen einzutreten, wenn sie die Berliner Krankenhausbewegung oder DWE-Kampagne ins Leere laufen lässt, fossile Energieunternehmen subventioniert, anstatt sie zu enteignen! Verrät Euch die Linkspartei und tausende WählerInnen, dann lasst uns gemeinsam dagegen ankämpfen und in Diskussion über den Aufbau einer wirklich revolutionäre Alternative eintreten, die kein Wahlverein ist, sondern eine Kampforganisation: eine Partei, gestützt auf ein Programm von Übergangsforderungen, das Reformen und Wahlen als Mittel zum Zweck begreift, als lediglich taktische Möglichkeit und Mittel zur Vorbereitung einer sozialistischen, revolutionären Umwälzung!

Nach der Wahl – vor dem Kampf!

Nach den Wahlen geht der Kampf eigentlich erst los. Scholz, Laschet, Baerbock werden für soziale Angriffe sorgen und werben. Eine Massenbewegung gegen Krise und Pandemie aufzubauen, die vor der Eigentumsfrage nicht haltmacht, kann sie stoppen. Wir schlagen daher eine Aktionskonferenz von sozialen Bewegungen wie den MieterInnen-, Umweltbewegungen von Ende Gelände bis zu linken FFF-Gruppen, Frauenorganisationen, Gruppen rassistisch Unterdrückter von Black Lives Matter bis Migrantifa, linken Gruppierungen, Gewerkschaften, Linkspartei und allen anderen Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen (einschließlich aller linken Kräfte in der SPD) vor. Diese sollte die Lage nach den Wahlen und einen Mobilisierungsplan gegen die Attacken von Regierung und Konzernen diskutieren und beschließen. Als mögliche Forderungen schlagen wir vor:

  • Verbot aller Räumungen und Wohnungskündigungen, Erlass der Mietschulden! Für die Wiedereinsetzung der Wohngemeinnützigkeit und Enteignung der großen profitorientierten Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. unter Kontrolle der MieterInnen!

  • Gegen jede Diskriminierung von MigrantInnen bei der Suche nach Wohnung oder Arbeitsplatz! Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle!

  • Enteignung des Gesundheitssektors und der Pharmaindustrie, Aufhebung aller Patente auf Impfstoffe! Rasche und gerechte globale Verteilung! Kontrolle der Maßnahmen durch die Beschäftigten im Gesundheitssektor! Streichung der Schulden der Länder des globalen Südens!

  • Für die Vergesellschaftung der Haus- und Carearbeit zur Durchbrechung der sexistischen Arbeitsteilung! Milliardeninvestitionen in Bildung, Erziehung und Pflege, bezahlt durch progressive Besteuerung von Reichen und KapitalistInnen!

  • Nein zur Festung Europa – offene Grenzen! Organisierter Selbstschutz gegen rechte Gewalt! Verteidigt die Demonstrationsfreiheit und demokratische Rechte!

  • Schluss mit allen Auslandseinsätzen, Waffenexporten, politischen und wirtschaftlichen Hilfen für reaktionäre Regime! Austritt aus der NATO!

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Gesetzlicher Mindestlohn und Mindesteinkommen für alle von 15 Euro/Stunde! Enteignung aller Unternehmen, die mit Massenentlassungen drohen! Für die 30-Stundenwoche bei vollem Personalausgleich und Lohn!

  • Die Folgen der Klimakrise und ihre Bewältigung, Überflutungen und Waldbrände müssen durch die bezahlt werden, die sie verursachen, die durch Kohlestrom und Verbrennerautos Milliarden verdienen! Nein zur allgemeinen CO2-Steuer – ja zur massiven Besteuerung der Gewinne! RWE, VW und Co. entschädigungslos enteignen – für eine nachhaltige  Produktionsumstellung unter demokratischer Kontrolle derer, die dort arbeiten!