Flutkatastrophe: Solidarität mit den Betroffenen!

Christian Gebhardt/Susanne Kühn, Infomail 1156, 19. Juli 2021

Land unter heißt es schon seit mehreren Tagen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, nun auch in Teilen Bayerns und Sachsens. Mehr als 160 Tote hat die Flut- und Hochwasserkatastrophe bisher in Deutschland gefordert. Hunderte waren tagelang vermisst, die Häuser oder Wohnungen Tausender wurden zerstört, ja regelrecht weggespült. Die Infrastruktur, Straßen- und Bahnverbindungen fielen aus oder waren für Tage unbenutzbar. Die starken Regenfälle haben in nur wenigen Stunden zu den verheerenden Bildern geführt, die wir in den letzten Tagen in den Medien zu Gesicht bekommen haben.

Auch wenn die Ausmaße dieser Jahrhundertflut noch nicht deutlich und vermutlich für viele nicht vorstellbar sind, zeigen die letzten Tage, wie anfällig die bestehenden Infrastruktureinrichtungen für Extremwetterlagen sind. Es steht außer Zweifel, dass diese in den letzten Jahren weltweit häufiger auftreten und an Intensität zugenommen haben. Ebenso steht außer Zweifel, dass wir es mit einer Folge des voranschreitenden Klimawandels zu tun haben und weitere Flutkatastrophen und andere Extremwetterlagen – denken wir nur an die Dürre, die in den letzten Wochen die USA und Kanada heimsuchte – in den kommenden Jahren häufiger und intensiver werden.

Solidarität der Bevölkerung

Dass nicht noch mehr Menschen der Flutkatastrophe zum Opfer fielen, nicht noch mehr verletzt wurden, verdanken wir in erster Linie dem Einsatz von Feuerwehren, Rettung und Hilfsdiensten und der Bevölkerung selbst. Die Beschäftigten und Ehrenamtlichen in den Rettungseinrichtungen oder beim Technischen Hilfswerk leisteten und leisten unter Einsatz ihres Lebens, was sie nur können. Tausende HelferInnen aus den betroffenen Regionen standen und stehen ihnen in nichts nach.

Besonders beeindrucken in dieser Situation die Solidarität, Hilfsbereitschaft und selbstorganisierte Hilfeleistung von NachbarInnen und MitbewohnerInnen, aber auch der EinwohnerInnen ganzer Regionen, die Wasser, Lebensmittel, Hygieneartikel organisieren oder bei den Aufräumarbeiten helfen.

Dieses Engagement, diese Solidarität und Handlungsbereitschaft stellen den wichtigsten Lichtblick angesichts der düsteren Katastrophe dar, ein Zeichen der Hoffnung, des Willens, der Bereitschaft dafür, dass es möglich ist, auf zukünftige Extremwetterlagen besser vorbereitet und organisiert zu reagieren. Sie verweisen darauf, dass es eine gesellschaftliche Kraft gibt, dass die Mittel vorhanden sind, auf diese Veränderungen der Umwelt zu reagieren. Doch dies würde nicht nur ein entschlossenes, organisiertes Eingreifen erfordern, sondern auch eine geplante landesweite wie internationale Reorganisation von Produktion und Reproduktion, der Agrikultur, des Verkehrs und der Infrastruktur, von Stadt und Land. Und genau hier liegt das andere Problem, die gesellschaftliche und politische Katastrophe, die bei Starkregen, Wolkenbrüchen, Flut und Erdrutschen ebenfalls sichtbar wurde.

Klima und Politik

Die Bundes- und Landespolitik tragen dabei in mehrfacher Hinsicht eine Mitverantwortung an der Katastrophe. Während zwar seit Jahren selbst vom offiziellen bürgerlichen Politikbetrieb – lassen wir einmal den rechten Rand sog. KlimaskeptikerInnen beiseite – die Realität des Klimawandels in Worten anerkannt wird, so erscheint in den Reden zahlreicher PolitikerInnen die Flutkatastrophe als unvorhersehbares Elementarereignis, das eben niemand ahnen konnte.

Auf einzelne Wettereignisse und einzelne Lokalitäten bezogen hat das zwar ein gewisses Recht, doch dass die gesamte Region von Starkregen betroffen sein würde, wurde vom europäischen Wetterdienst schon einige Tage vorher gemeldet. Es fragt sich also, warum nicht vorsorglich Wasser aus den Talsperren abgelassen wurde? Es fragt sich, warum in vielen betroffenen Regionen z. B. in Nordrhein-Westfalen das Frühwarnsystem nicht oder schlecht funktioniert hat.

Es ist natürlich ein Leichtes, hier auf die Beschäftigten einzelner Landes- oder Bundesbehörden zu zeigen. Viel wichtiger ist freilich der Hinweis, dass – so wie vor der Corona-Pandemie im Gesundheitssektor – auch beim Katastrophenschutz seit Jahren gespart wird. Und das macht sich jetzt bemerkbar.

Und natürlich wäre es auch viel zu kurz gegriffen, hier nur den einzelnen PolitikerInnen die Schuld zu geben. Sie exekutieren letztlich nur vorherrschende Kapitalinteressen, denen jeder Cent für Gesundheitsvorsorge, Reservehaltung, Katastrophenschutz, der nicht unmittelbar gebraucht wird, als „Belastung“, als unnütze Kosten, die möglichst runtergeschraubt werden sollen, erscheint.

Geradezu grotesk mutet in diesem Zusammenhang das Gerede von Laschet an, dass NRW unter seiner schwarz-gelben Regierung mehr als sonst jemand auf der Welt für den Umweltschutz leiste – ein Anspruch, den natürlich auch der Grüne Kretschmann für Baden-Württemberg, CSU-Chef Söder für Bayern oder eine/r der verbliebenen SPD-MinisterpräsidentInnen für sich reklamieren.

Die Realität ihrer sämtlichen Bemühungen um Nachhaltigkeit zeigen unter anderem die weitere Braunkohleverstromung, der Bau des LNG-Terminals in Brunsbüttel oder der mit Milliarden subventionierte Umstieg auf das E-Auto. Das hilft der Umwelt zwar reichlich wenig, dem deutschen Großkapital aber umso mehr.

Frohnatur Laschet

Angesichts der Katastrophe geloben die meisten bürgerlichen PolitikerInnen Besserung, zeigen wenigstens in der Öffentlichkeit Betroffenheit, Mitgefühl. Ob diese bloß inszeniert sind oder auch aus echter Anteilnahme herrühren, können und wollen wir an dieser Stelle nicht weiter beurteilen. Dass ein großer Teil der politischen Elite wenigstens noch so etwas wie Anstand zeigt und angemessene Worte des Trostes und Mitgefühls findet und sei es nur, um aus diesen politisches Kapital und Stimmen bei der Bundestagswahl zu schlagen, sollte eigentlich nicht weiter der Erwähnung wert sein.

Bemerkenswert sind vielmehr die regelmäßigen „Pannen“, die Politprofis angesichts menschlicher Tragödien und Katastrophen unterlaufen. Sie offenbaren unfreiwillig, wie sehr Heuchelei im politischen Betrieb zur eigentlichen inneren Natur vieler seiner AkteurInnen geworden ist.

So flachste und lachte CDU-Spitzenkandidat und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gemeinsam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion in NRW und RWE-Lobbyisten, Gregor Golland, sowie dem Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Frank Rock (CDU), dummdreist während einer Rede des Bundespräsidenten im Krisengebiet. Offenbar weiß der Kandidat, der sich gern als rheinische Frohnatur inszeniert, als volksnaher Grüßaugust des rheinischen und womöglich bald des deutschen Imperialismus, auch angesichts der Katastrophe noch gute Laune zu verbreiten. Die drei Herren entschuldigten sich zwar für den Eindruck, der bei ihrem peinlichen Auftritt entstanden ist.

Hier offenbart sich allerdings der tief sitzende Zynismus großer Teile der herrschenden Klasse und ihres Trosses. Noch ernster sind freilich Laschets politische Schlussfolgerungen. In der „aktuellen Stunde“ im WDR vom 15. Juli erklärte er auf kritische Bemerkungen der Moderatorin hinsichtlich des Windkraftstopps in Nordrhein-Westfalen: „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik.“

Sofortprogramm unter Kontrolle der Betroffenen, von Gewerkschaften und Umweltbewegung

In der aktuellen Lage versprechen praktisch alle PolitikerInnen aus Bund und Ländern – selbst Herr Laschet – rasche und unbürokratische Hilfe für die betroffenen Menschen. Aus zahlreichen früheren Katastrophenfällen wie auch aus der Erfahrung mit „unbürokratischer“ Hilfe während der Corona-Pandemie wissen wir freilich, dass diesen Versprechungen nicht zu trauen ist.

Unterstützung für wirtschaftlich relevante Unternehmen und Einrichtungen wird vergleichsweise schnell und unbürokratisch abgewickelt, während die „kleinen Leute“ entweder auf ihre Versicherung verwiesen werden, sich dann mit ihr rumschlagen dürfen oder sich gegen eine Antragsflut stemmen werden müssen.

Oft sind die Lohnabhängigen die am stärksten Betroffenen, erstens wegen des Verlusts durch die Wassermassen und zweitens dadurch, dass sie für die Hilfsprogramme und Unterstützungen durch kommende Kürzungsmaßnahmen und Steuererhöhungen aufkommen werden dürfen.

Die geforderte staatliche Unterstützung, ob nun durch Bund, Länder oder Kommunen, muss daher von den Betroffenen, den Gewerkschaften wie auch VertreterInnen der Umweltbewegungen kontrolliert werden.

Das sollte sich nicht nur auf finanzielle und Sachmittel erstrecken. Es muss auch untersucht werden, warum in vielen Regionen z. B. Warnsysteme versagten. Das kann offenkundig den Behörden nicht selbst überlassen werden.

Zweitens muss aber auch der Wiederaufbau so organisiert werden, dass er der veränderten klimatischen Lage Rechnung trägt. Das inkludiert lokale Maßnahmen unter Einbeziehung vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse über Bebauungsmaßnahmen in solchen Lagen. Letztlich muss ein solcher Umbau betroffener Regionen in ein Gesamtkonzept des Umbaus von Industrie, Energieversorgung, Verkehr, Landwirtschaft im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit eingebunden werden. Das erfordert zwingend die Finanzierung dieser Maßnahmen aus der Besteuerung der Reichen und Konzerngewinne, die Übernahme der Kosten und Schulden von Lohnabhängigen und kleinen EigentümerInnen (z. B. Bauern/Bäuerinnen und kleinen LadenbesitzerInnen) durch den Staat, aber auch die entschädigungslose Enteignung ganzer, für den ökologischen Umbau zentraler Branchen und Industrien, von Energie- und Bauwirtschaft, Verkehrsbetrieben, Automobilindustrie usw. Auch die Absicherung durch private Versicherungsgesellschaften stößt in den Krisenregionen an ihre Grenzen. Diese müssen selbst enteignet und durch eine garantierte staatliche Einheitsversicherung ersetzt werden.

Die lohnabhängige Bevölkerung in den betroffenen Regionen, die Beschäftigten in diesen Betrieben und ihre Gewerkschaften sowie die Umweltbewegung müssen in die Erstellung regionaler wie bundesweiter und internationaler Pläne zum Neuaufbau, zur Flächenwidmung, zur Reorganisation der Land- und Forstwirtschaft, von Produktion und Verkehr einbezogen werden und deren Umsetzung kontrollieren.

Ein solches Programm wird freilich weder durch die Laschets noch die Baerbocks dieser Welt zu verwirklichen sein, sondern nur durch eine breite, von der ArbeiterInnenklasse getragene Bewegung gegen Krise und Klimawandel!