Super Mario als Retter des italienischen Kapitalismus?

Aventina Holzer/Martin Suchanek, Infomail 1149, 10. Mai 2021

Die Konzentrationsregierung unter dem Premierminister und ehemaligen EZB-Chef Draghi erscheint als letzter Ausweg, um einen Kollaps des italienischen Kapitalismus zu verhindern, das Land aus der Krise zu führen und die EU zu retten.

Seit Jahren ist Italien das Sorgenkind Europas gewesen. Eine stetig steigende  Staatsverschuldung, Rückgang der industriellen Produktion, Verschuldung der Unternehmen und privaten Haushalte plagen das Land. Pandemie und Krise haben diese Lage noch einmal dramatisch verschärft. Das Gesundheitssystem brach faktisch zusammen: 122.470 Menschen verstarben bis zum 8. Mai 2021.

Die Staatsverschuldung betrug Ende 2020 rund 160 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt), das Haushaltdefizit 8,8 % der Wirtschaftsleistung. Die Wachstumsraten dümpeln seit 2008 am unteren Ende der EU-Staaten. Im letzten Jahr schrumpfte das BIP um 8,9 %. Mit dem Einbruch verschärften sich auch die historisch gewachsenen, strukturellen Unterschiede zwischen dem Norden und Süden des Landes.

Doch im Unterschied zu Griechenland, dem in der letzten Krise von der EU, der EZB und dem IWF, der sog. Troika, ein beispielloses Kürzungsprogramm aufgezwungen wurde, um im Interesse des deutschen und westlichen Finanzkapitals ein Exempel zu statuieren, ist das imperialistische Italien für die EU zu groß und zu bedeutsam, um einen Totalzusammenbruch zu riskieren. Schon die Regierung Conte setzte auf EU-Gelder, um das Land zu sanieren, nachdem diese und der deutsche Imperialismus ihre Finanzpolitik verändert hatten und eine „Gemeinschaftsverschuldung“ möglich machten, um den Kollaps strategisch wichtiger Staaten zu verhindern. Ob dies gelingt, bleibt dennoch abzuwarten angesichts der Tiefe der Krise, der zentrifugalen Tendenzen in der EU selbst, aber auch angesichts der politischen Verwerfungen und des möglichen Widerstandes der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten, denen die Kosten der Krise aufgedrückt werden sollen.

Zusammenbruch der Regierung Conte

Wie fragil das politische System des Landes ist, verdeutlichte der Rücktritt des ehemaligen Premierministers Conte zu Beginn des Jahres. Die Regierungskrise wurde durch Matteo Renzi, selbst ehemaliger Ministerpräsident Italiens, ausgelöst. Dieser war bis September 2019 noch Mitglied der Partito Democratico (Demokratische Partei) , die aus einem Zusammenschluss der einstigen Sozialdemokratie mit einem Flügel der ChristdemokratInnen hervorging. Zu diesem Zeitpunkt gründete er seine eigene Partei, Italia Viva (Lebendiges Italien). Er und seine Partei kündigten am 13. Jänner die Zusammenarbeit in der Regierung Conte II auf, die daraufhin zerbrach. Die zwei Ministerinnen, die Italia Viva stellte, Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova und Familienministerin Elena Bonetti, sowie der Staatssekretär im Außenministerium, Ivan Scalfarotto, verließen die Regierung.

Bruchpunkte wurden versucht, an der Person Contes festzumachen, lagen aber um einiges tiefer. Hauptauslöser scheinen die Kredite zu sein, die Italien durch die Wirtschaftskrise bringen sollen. Über 200 Mrd. Euro werden als Hilfszahlungen aus dem Post-Covid-19-Wiederaufbaufonds von der EU bereitgestellt und sollen an kritischen Punkten investiert werden. Renzi fordert, dass die Gelder aus dem ESM (dem „Europäischen Stabilitätsmechanismus“, der als Rettungsschirm der EU dient und eine eigene politische Instanz darstellt) bezogen werden und griff zeitgleich die Pläne für den Einsatz der Hilfsgelder an. Ihm zufolge wären die vorgeschlagenen Maßnahmen nur „handouts“, also „Almosen“, gewesen und keine nachhaltige Investition. Die MoVimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung), welche auch an der Regierung beteiligt ist, stellte sich stark gegen die Forderung, auf Gelder des ESM angewiesen zu sein, mit Hinblick darauf, dass eine potenzielle Auferlegung von Austeritätsmaßnahmen durch diese Institution im Zusammenhang mit den Krediten schwer zu stemmen wäre. Obwohl versucht wurde, Renzis Einsprüche in die neuen Pläne zu inkludieren, sprengte er die Koalition.

Die restliche Koalitionsregierung, bestehend aus dem populistischen MoVimento Cinque Stelle (C5S) und der Partito Democratico, stand danach vor einem Dilemma. Alle involvierten Parteien wollten vorgezogene Wahlen vermeiden, da die Umfragen sehr schlechte Ergebnisse für die Koalitionspartnerinnen und fast über 50 % der Stimmen für das rechte Lager (Forza Italia – die 2. Partei gleichen Namens, 2013 gegründet –, Fratelli d’Italia und Lega, vormals Lega Nord) prognostizierten. Giuseppe Conte hatte also zwei Optionen: Entweder er würde sich im Parlament einem Vertrauensvotum stellen (was mit den 18 fehlenden Stimmen der Italia-Viva-Abgeordneten keine klare Mehrheit für ihn bedeuten könnte) oder er müsste in der Hoffnung zurücktreten, von Staatspräsident Sergio Mattarella erneut mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Er entschied sich für die erste Variante und wurde am 19. Jänner mit 156 Stimmen bei 140 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen bestätigt.

Conte (der übrigens parteilos ist) gelang es allerdings nicht, genug Unterstützung bei den Parteien zu finden, um eine Mehrheit zu stellen und war am 26. Jänner schließlich gezwungen zurückzutreten. Neue Gespräche um eine Regierungsbildung scheiterten allerdings auch. Staatspräsident Mattarella war nun in der Position, entweder Neuwahlen auszurufen oder eine andere Führungsfigur zur Regierungsbildung einzusetzen.

Alle für Draghi

Bestellt wurde schließlich der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi, dem zugetraut wurde, die Parteien hinter einer „sinnvollen“ Verwendung der Hilfsgelder zu einen. Am 13. Februar, nach erfolgreichen Gesprächen mit fast allen Parteien des italienischen Parlaments und einer Sicherung der Mehrheit, wurde Draghi als Ministerpräsident angelobt und bestellte eine neue Regierung, teils aus alten Mitgliedern, teils aus vorher nicht politisch involvierten ExpertInnen. Die Regierung der nationalen Einheit versucht nun vor allem, die politischen Differenzen der M5S, der PD, der Lega, Forza Italia und Italia Viva zu überbrücken, und argumentiert, dass die Grabenkämpfe in einer Situation der Krise keinen Platz mehr hätten. Wie Draghi in seiner ersten Rede als Ministerpräsident betonte: „Heute ist Einheit keine Entscheidung, sondern eine Pflicht.“ 535 Abgeordnete stimmten für den neuen Ministerpräsidenten bei 56 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen.

Die Regierung der nationalen Einheit umfasst also faktisch alle im Parlament und Senat vertretenen Kräfte. Sie stützt sich außerdem auf die Unternehmerverbände und die stillschweigende Duldung der großen Gewerkschaftszentralen. Von demokratischer Kontrolle der Regierung durch die parlamentarischen Institutionen kann natürlich keine Rede sein. Alle Parteien teilen sich mehr oder weniger schiedlich die Posten im Kabinett, um so bei der Rettung des Landes zumindest ihren Schnitt zu machen.

Draghi selbst verkörpert die Gesamtinteressen des italienischen (und europäischen) Großkapitals und der Finanzwelt wie kaum ein anderer. Jahrelang führte er die italienische Zentralbank, später die EZB und prägte dabei die Finanzpolitik der EU maßgeblich.

Er präsidiert über der Konzentrationsregierung aller Parteien, weil das Land tatsächlich in einer historischen Krise feststeckt und die bürgerlichen Parteien selbst mit dem parlamentarischen und „demokratischen“ Schacher nicht mehr weiterkommen, sich bloß von Regierungskrise zu Regierungskrise hangeln. Daher präsentiert sich der Regierungschef, obwohl sein Kabinett von allen etablierten Parteien gestützt wird, als über diesen stehend. Das drückt sich auch darin aus, dass neben VertreterInnen der Regierungsparteien auch zahlreiche „unabhängige“ ExpertInnen ins Kabinett berufen wurden. Draghi inszeniert sich selbst als Regierungschef, der scheinbar über den fraktionellen Kämpfen steht.

Einmal mehr zeigt sich die innere Logik einer Konzentrationsregierung, die vorgibt, alle gegensätzlichen Kräfte, alle Klassen und Schichten der Bevölkerung zu einen. Sie bedarf einer scheinbar über allen Interessengruppen stehenden Führungsfigur, eines „integren Experten“, den vermeintlich nur das Wohl aller interessieren würde.

Dieser Mechanismus stärkt unvermeidlich die bonapartistischen, autoritären Elemente, die in jedem bürgerlichen Staat immer schon vorhanden sind und dann gebraucht werden, wenn sich die herrschende Klasse die normalen parlamentarischen Intrigen und Rochaden nicht mehr leisten kann. Regierungskrise, wechselnde Koalitionen gehörten schließlich über Jahrzehnte zum politischen System Italiens. Wie der Zusammenbruch der Regierung Conte II im Januar zeigte, bedrohen diese nun das gesamte Gefüge. Daher bedarf es vom Standpunkt der herrschenden Klasse der autoritär geführten Regierung unter Draghi.

Draghi und sein Programm

In dieser Situation eine undemokratische Regierung einzusetzen, die nicht von der Bevölkerung klar bestätigt wurde, kann selbstverständlich keine Lösung im Interesse der Massen darstellen. Draghi wird viel zugetraut – von den Herrschenden. Ihm wird als Zentralbankpräsident die Rettung des Euro über die Nachwirkungen der Krise 2008 hinweg angerechnet. Sein Ausspruch „whatever it takes“, also „was auch immer es braucht“, um den Euro zu retten, ist eigentlich eine gute Umschreibung für seinen klassenpolitischen Zugang.

Der ehemaliger Goldman-Sachs-Mitarbeiter war nicht nur in diesem Fall in mehrere Vorwürfe von korruptem Verhalten verstrickt. Draghi ist ganz klar ein Vertreter der herrschenden Klasse und hat kaum Skrupel, sich gegen die Interessen und vor allem die Gesundheit der Bevölkerung durchzusetzen. Sein primäres Ziel besteht darin, die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Draghi nimmt hier die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten wahr. Er agiert nicht für eine besondere Kapitalfraktion, sondern soll vor allem Umstände schaffen, die zu einer Erholung der Wirtschaft führen und längerfristig die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des italienischen Imperialismus sichern sollen.

Ende April legte er einen Wiederaufbauplan (Nationaler Plan für Aufschwung und Resilienz) vor, der von der bürgerlichen Presse nicht nur in Italien gefeiert wurde. Im italienischen Abgeordnetenhaus und im Senat wurde er mit übergroßen Mehrheiten durchgewunken, die EU-Kommission segnete ihn ohne Einwände ab.

Der Plan sieht Finanzhilfen aus Brüssel in der Höhe von 221 Mrd. Euro bis 2026 vor und weitere Milliarden, die auf den Finanzmärkten aufgenommen werden sollen. Diese sollen die Wirtschaft ankurbeln, Digitalisierung, Energiewende, Infrastrukturprojekte und Modernisierung vorantreiben. Diese Milliardensummen sollen durch staatliche Aufträge und weitere Investitionsanreize für das private Kapital finanziert werden.

Der Plan verspricht aber auch Milliardenausgaben für Bildung (Kitas und Schulen), Wohnungsbau und soziale Leistungen. Dies präsentiert Draghi geschickt als Dienst an den Massen. Der Hauptgrund für diese Verbesserungen nach Jahrzehnten der Kürzungen dürfte aber darin bestehen, dass die Einsparungen in den Bildungs- und Sozialsystemen auch zu einem Mangel an ausreichend qualifizierten ArbeiterInnen in sog. Zukunftsindustrien geführt haben. Schließlich dienen solche sozialen Versprechungen auch, um die Regierung Draghi als einen Neuanfang zu präsentieren nach Jahren der Austerität, der politischen Instabilität, der Korruption und des Parteienstreits.

Zugleich ist aber auch klar, dass die ökonomische Krise im Land mit massiven Angriffen auf die Lohnabhängigen und Unterdrückten eingehen wird. Über 100.000 Menschen haben ihr Leben in der Pandemie eingebüßt – und die Katastrophe ist längst nicht überwunden. Hunderttausende haben schon ihre Arbeitsplätze verloren – und allein im industriellen Bereich drohen 2021 weitere 500.000 Menschen entlassen zu werden.

Der Ende 2020 vorgelegte Bericht des italienischen Sozial- und Wirtschaftsforschungsinstituts Censis zeichnet ein düsteres Bild der sozialen Lage im Land, vor allem was die Ärmsten der Armen betrifft. So konnten sich Ende letzten Jahres 5 Millionen ItalienerInnen kein vollwertiges Mittagessen leisten. Das monatlich verfügbare Einkommen der ärmsten Familien sank von 900 Euro Ende 2019 im Laufe eines Jahres auf 600 Euro. Für insgesamt 22,3 Millionen Menschen, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung, verschlechterte sich das Familieneinkommen deutlich.

Angesichts dieser Entwicklungen fallen die sozialen Versprechungen Draghis weiter viel zu dürftig aus. Von einer Besteuerung der Reichen und Gewinne, von Lohn- und Einkommenserhöhungen findet sich in seinem Programm nichts.

Proteste

Die Proteste gegen gegen die Regierung und ihre Politik kommen aber bisher vor allem aus dem rechten und ultrarechten Lager. Ähnlich wie auch in Deutschland und Österreich ist die stark kleinbürgerlich und rechtsradikal geprägte Antilockdown-Bewegung zusammengefasst unter #IoApro (dt.: ich öffne bzw. werde öffnen), die sich stark gegen die Lockdownbestimmungen stellt und dabei zum Großteil Kleinkapitalinteressen abdeckt. Am 12. April eskalierte in Rom eine Demonstration, die im Vorhinein untersagt wurde. Trotzdem reisten um die 130 Autobusse mit DemonstrantInnen extra an. Die Demonstration, die auch mit FaschistInnen von CasaPound, ImpfgegnerInnen und CoronaleugnerInnen durchsetzt war, lieferte sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Am Abend wurde trotzdem eine Delegation der DemonstrantInnen vom Wirtschaftsminister empfangen, um ihre Forderungen vorzubringen.

Eine ähnliche Szene trug sich auch in Mailand zu, wo am 10. November 300 Jugendliche zum Mitwirken an einem Musikvideo von Rapper Neima Ezza gegen die Ausgangssperren verstießen und mit exzessiver Polizeigewalt aufgehalten wurden. Das Stadtviertel San Siro, in dem sich die Straßenschlacht zutrug, ist ein armes und es ist kein Zufall, dass hier bei 300 Jugendlichen die Polizei mit Tränengas eingreifen „musste“ und bei den „besorgten BürgerInnen“ am Montag eine Delegation der Protestierenden empfing.

Die Frustration über die anhaltenden Lockdownbestimmungen ist nachvollziehbar. Es braucht aber keinen Coronaskeptizismus, sondern Pandemiebekämpfung, die an der richtigen Stelle ansetzt, am Arbeitsplatz. Nicht-essenzielle Arbeit, bezahlt zu pausieren, würde in der Pandemiebekämpfung weitaus mehr bringen als seit einem Jahr andauernde Ausgangssperren und zeitgleich auch viel weniger Nährboden für rechte Kräfte, CoronaleugnerInnen und Ähnliches lassen. Es ist aber bezeichnend für die Ausrichtung der neuen Regierung, dass Rechte mit Samthandschuhen angefasst und zum Wirtschaftsminister vorgelassen werden, während der Staat gegen linke Proteste und kämpfende ArbeiterInnen vorgeht.

Arbeitskämpfe

Die Gewerkschaften setzen hingegen, wie in vielen anderen Ländern, auf SozialpartnerInnenschaft und Gespräche mit der Regierung statt auf Mobilisierung für eine Pandemiebekämpfung im Interesse der ArbeiterInnenklasse und Forderungen, um Löhne und Arbeitsplätze zu verteidigen und eine soziale Sicherung für alle durchzusetzen.

Daher sind die Kämpfe bisher eher sektoral. Einen wichtigen Ansatzpunkt stellt dabei der Streik bei Amazon dar, der im März stattfand. Diese Proteste reihten sich in eine weltweite Aktion gegen das berühmt-berüchtigte Monopol ein. Unter #makeamazonpay gab es international rund um Ostern breite Proteste. Doch die bremsende Rolle der Gewerkschaftsführungen zeigte sich auch hier. Ihre Forderungen und ihre Taktik blieben verhalten, obwohl sich 75 % der Belegschaft an den Aktionen beteiligten.

KommunistInnen und klassenkämpferische ArbeiterInnen müssen bei aller Kritik an der SozialpartnerInnenschaft und angesichts der Schwäche und Zersplitterung der historischen Organisationen der ArbeiterInnenklasse klare Forderungen an die Gewerkschaften richten.

Notwendig ist erstens ein Bruch mit der Politik der SozialpartnerInnenschaft und dem Hoffen auf Unterstützung durch Regierungen. Die linkeren Basisgewerkschaften wie Cobas können als wichtige, vorwärtstreibende Kraft wirken, die für eine kämpferische Politik einstehen. So rief die Basisgewerkschaft CUB (Confederazione Unitaria di Base; Einheitlicher Dachverband der Basis) im Oktober 2020 zu einem Generalstreik gegen die Sparmaßnahmen der damaligen Regierung Conte auf, dem einige Zehntausend ArbeiterInnen folgten. Dies verdeutlich sowohl das Kampfpotential wie auch die Schwierigkeit, die Masse Lohnabhängigen, sowohl der Unorganisierten wie der Mitglieder der großen Gewerkschaftsföderationen, der „Einheitsgewerkschaft“ CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro; Allgemeiner Dachverband der Arbeit – offiziell über 5 Millionen Mitglieder), dem christlich-sozialen Dachverband CISL (Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori; Italienischer Dachverband der ArbeiterInnengewerkschaften – offiziell rund 4,5 Millionen Mitglieder) und UIL (Unione Italiana del Lavoro; Italienische Union der Arbeit – offiziell über 2 Millionen), mit in den Kampf zu ziehen.

Nach eigenen, schöngerechneten Angaben vereinen die drei dennoch um die 10 Millionen Lohnabhängige. Also eine gewaltige Macht, wenn sie diese nützen würden. Doch die Gewerkschaftsführungen setzen auf SozialpartnerInnenschaft und Draghi greift das auf und bietet Konsultationen und Spitzengespräche an.

Derweil setzt seine Regierung auf eine Welle direkter Angriffe. So wurde seit dem 31. März der Entlassungsstopp, der für etliche Sektoren während der Pandemie eingeführt wurde, schrittweise gelockert. Ebenso werden die Kündigungsschutzmaßnahmen auf Drängen der Industrie weiter geschliffen – mit dem zynischen Argument, dass nach bereinigenden Entlassungen vermehrt Neueinstellungen erfolgen könnten.

Um gegen diese Angriffe zu kämpfen, braucht es eine reale Kampfeinheit. Die Forderung nach dem Bruch mit der SozialpartnerInnenschaft wird nicht reichen. Es braucht betriebliche Kampforgane, Aktionskomitees, die diesen Druck ausüben können und den Aufbau einer gewerkschaftsübergreifenden klassenkämpferischen Basisbewegung, die gegen die Bürokratie und für eine Restrukturierung der Gewerkschaften auf der Basis von ArbeiterInnendemokratie und Klassenkampf eintritt. Dazu ist es notwendig, ein Aktionsprogramm gegen die Krise in den Betrieben, aber auch in den Stadtteilen zu vertreten, das sich gegen Entlassungen und Kürzungen, soziale Not, Rassismus und Polizeigewalt richtet und sich für eine effektive Pandemiebekämpfung starkmacht.

Doch die italienische ArbeiterInnenklasse und die Linke leiden nicht nur an der Strategie der Gewerkschaftsapparate. Die Politik der Klassenzusammenarbeit, wie sie von den Führungen der ArbeiterInnenbewegung und insbesondere auch von dem ehemaligen Hoffnungsträger der europäischen Linken, Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Wiedergründung), betrieben wurde, führte ins politische Desaster. Sie markiert eine strategische Niederlage der italienischen ArbeiterInnenklasse, von der sie sich bis heute nicht erholt hat und in deren Folge in zahlreiche linke Kleinparteien, zumeist reformistischen oder linkspopulistischen Charakters, zentristische Gruppierungen oder linkssyndikalistische Projekte zersplittert ist.

Zur Überwindung der Führungskrise der Klasse braucht es zweierlei: erstens den Aufbau einer Bewegung gegen Pandemie und Krise, die in den Betrieben und Gewerkschaften verankert ist, gegen die Angriffe der Regierung kämpft, die Umsetzung der sozialen Versprechungen einfordert und ein eigenes Aktionsprogramm formuliert, einen Notplan gegen Arbeitslosigkeit, Armut, Entlassungen und für ausreichende Gesundheitsversorgung, der von den Reichen finanziert wird.

Zweitens braucht es eine politische Organisation, eine neue revolutionäre ArbeiterInnenpartei, die den Kapitalismus nicht an der Regierung mitverwaltet (wie einst Rifondazione Comunista), sondern den Kampf gegen die Kosten der Krise mit dem für eine andere, sozialistische Gesellschaftsordnung verbindet. Alle antikapitalistischen und klassenkämpferischen Kräfte der radikalen wie der Gewerkschaftslinken – darunter auch die radikaleren, kleinen Gruppierungen – sind gefordert, sich an der Diskussion und Bildung einer solchen Organisation zu beteiligen. RevolutionärInnen müssten diesen Prozess nicht nur mit vorantreiben, sondern auch von Beginn an für eine konsequente revolutionäre Ausrichtung, für ein revolutionäres Programm eintreten.