USA: Unterstützt die ArbeiterInnen von Bessemer!

Dave Stockton, Infomail 1142, 16. März 2021

Eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne in der Stadt Bessemer, Alabama, (26.680 EinwohnerInnen) hat die Aufmerksamkeit von GewerkschafterInnen und SozialistInnen weltweit auf sich gezogen. Der Grund? ArbeiterInnen, GewerkschaftsorganisatorInnen und GemeindeaktivistInnen haben es dort mit einem wahren Goliath des modernen Kapitalismus aufgenommen: Jeff Bezos‘ Amazon, dem zweitgrößten Einzelhändler, hinter Walmart, in den USA, wo er immer noch 60 % seines Geschäfts macht.

Expansion und Profit

Amazon ist jetzt ein globales Unternehmen, das dank der Covid-19-Pandemie seinen weltweiten Umsatz, den Umfang seiner Belegschaft und seine Gewinne in die Höhe schnellen ließ. Im Jahr 2020 stieg der Umsatz in Deutschland um 9,8 % auf 34,88 Mrd. US-Dollar (31,15 Mrd. Euro), in Großbritannien um 15,2 % auf 29,05 Mrd. US-Dollar (22,76 Mrd. britische Pfund) und in Japan um 12,3 % auf 26,47 Mrd. US-Dollar (2,885 Billionen Yen).

Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes lieferte das Unternehmen im Jahr 2020 ein wahres Rekordergebnis mit einem Anstieg des Jahresumsatzes um 38 % auf 386 Mrd. US-Dollar, ein jährliches Wachstum von über 100 Mrd. US-Dollar, 125 Mrd. US-Dollar Umsatz allein im vierten Quartal. Der Nettogewinn stieg im Vergleich zum Vorjahr um 84 %. Bezos, der Gründer und bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender von Amazon, verfügt über ein Privatvermögen von 196 Mrd. US-Dollar. Laut der US-Denkfabrik Institute for Policy Studies haben allein in den ersten sechs Monaten die 643 MilliardärInnen des Landes, darunter Bill Gates und Mark Zuckerberg, einen Vermögenszuwachs von 845 Mrd. US-Dollar verzeichnet, was ihr gemeinsames Vermögen von 2,95 Billionen US-Dollar auf 3,8 Billionen US-Dollar erhöhte.

Um solche enormen Gewinne zu realisieren, hat Amazon zwischen Januar und Oktober letzten Jahres weltweit mehr als 425.000 MitarbeiterInnen eingestellt. Forbes schätzt, dass Amazon jetzt 1,2 Millionen MitarbeiterInnen hat (810.000 in den USA), nicht mitgezählt die halbe Million LieferfahrerInnen, die nicht unmittelbar unter Vertrag des Unternehmens stehen. Die Pandemie war ein Geschenk des Himmels, nicht nur für das exponentielle Wachstum der Onlineverkäufe, sondern auch für die Freisetzung eines riesigen Potenzials an jungen und qualifizierten Arbeitskräften, die von anderen Unternehmen, die von den Schließungen betroffen waren, entlassen wurden.

Lage der Beschäftigten

Dennoch behandelt Bezos seine ArbeiterInnen genauso wie die industriellen Raubritter des neunzehnten Jahrhunderts, Henry Ford, Andrew Carnegie, Rockefeller, mit teuren gewerkschaftsfeindlichen Firmen und AnwältInnen, die gegen Gewerkschaften vorgehen. Die ArbeiterInnen in Bessemer und in allen Amazon-Lagern und Logistik-Zentren haben lange Arbeitstage (zehn Stunden). Überstunden sind obligatorisch, und die Lohnabhängigen werden oft erst Stunden vor ihrem Beginn informiert, und sie enden oft zu unsozialen Zeiten, wenn der öffentliche Nahverkehr nach Hause knapp ist.

Hinzu kommen das schwere Heben, die Beschleunigung und die aggressive Kontrolle der MitarbeiterInnen, um die Zeit für das Mittagessen oder Toilettenpausen zu verkürzen. Krankenhausaufenthalte kommen häufiger als bei anderen Logistikunternehmen vor. Auch sind schon einige wegen fehlender Klimaanlagen ohnmächtig geworden. In der ersten Welle der Pandemie gab es auch einen weit verbreiteten Mangel an persönlicher Schutzausrüstung. Vor allem aber können die ArbeiterInnen aus jedem beliebigen Grund entlassen werden.

Die Löhne liegen mit 15,3 US-Dollar in der Regel über dem Durchschnitt der umliegenden Gebiete, aber unter den Tarifen in Lagerhäusern oder für AuslieferungsfahrerInnen. Infolgedessen fürchten die ArbeiterInnen in diesen Sektoren den Abwärtsdruck auf ihre Löhne durch die Ankunft von Amazon in ihrer Gegend.

Es überrascht nicht, dass Amazon, wie viele große US-Konzerne, sehr gewerkschaftsfeindlich ist – natürlich nicht nur in den USA. In den meisten Ländern gibt es überhaupt keine Organisierung der Beschäftigten. In den USA hat es wiederholt und illegal ArbeiterInnen wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten entlassen, wie Christian Smalls, der eine Arbeitsniederlegung im Lager des Unternehmens in Staten Island, New York, anführte. John Hopkins, ein Arbeiter im Werk des Unternehmens in San Leandro, Kalifornien, wurde entlassen, weil er am 1. Mai Flugblätter der Gewerkschaft über ihre Pläne für den Juneteenth, eine jährliche Feier zur Befreiung der SklavInnen, verteilt hatte. Jeff Bezos forderte seine ArbeiterInnen übrigens auf, diesen Tag zu ignorieren, weil die SklavInnen ja vor 150 Jahren befreit worden wären. Offensichtlich konnten seine LohnsklavInnen nicht einmal für einen Tag befreit werden.

David gegen Goliath

Diesem kapitalistischen Goliath steht ein moderner David gegenüber, nämlich die 2.000 der 5.800 ArbeiterInnen in Amazons BHM1 Auslieferungszentrum in Bessemer. Sie haben bereits Berechtigungskarten für den Gewerkschaftsbeitritt unterschrieben und von der Nationalen Behörde für Arbeitsverhältnisse das Recht auf eine Urabstimmung über die Anerkennung der Gewerkschaft erhalten, die am 30. März endete. Amazon hat alles getan, um diesen Prozess zu behindern, indem es die Beschäftigten zur Teilnahme an gewerkschaftsfeindlichen Versammlungen verpflichtete und versucht hat, die Briefwahl zu verhindern. Das Werk wurde mit gewerkschaftsfeindlichen Plakaten zugekleistert und das Unternehmen hat versucht, GewerkschaftsorganisatorInnen daran zu hindern, mit den Beschäftigten in Bussen zu sprechen, wenn diese zur Arbeit fahren.

Unterstützt werden die gewerkschaftsfreundlichen ArbeiterInnen im Werk von der Gewerkschaft des Einzel-, Großhandels und der Kaufhäuser (RWDSU; 60.000 Mitglieder landesweit im Jahr 2014) und vielen kommunalen AktivistInnen aus Bessemer, aus dem nahegelegenen Birmingham und Freiwilligen aus anderen Städten und Staaten.

Bessemer kann auf eine gute gewerkschaftliche und politische Tradition der ArbeiterInnenbewegung zurückblicken, die auf Stahl-, Eisenerz-, Kohle- und Textilstreiks und die Organisierung in den 1930er Jahren zurückgeht. Die Stadt war auch das Zentrum der kommunistischen Parteiorganisation unter den FarmpächterInnen. In den 1930er Jahren hatte die Partei dort über tausend Mitglieder. Aber dies wurde durch die massiven Schließungen dieser Industrien in den 1980er Jahren weitgehend beendet. Jetzt wird an dieses Vermächtnis wieder angekünpft.

Eine weitere bemerkenswerte Tradition, auf die zurückgeblickt werden kann, ist die Birmingham-Kampagne von Martin Luther King und der BürgerInnenrechtsbewegung im Jahr 1963. Die Belegschaft des Bessemer Auslieferungszentrums besteht zu 85 % aus AfroamerikanerInen, ebenso wie 70 % der BürgerInnen von Bessemer. Die RWDSU hat sich mit der „Black Lives Matter“-Bewegung verbunden. Der Präsident der Gewerkschaft, Stuart Appelbaum, sagte: „Wir sehen diese Kampagne sowohl als BürgerInnenrechtskampf als auch als Arbeitskampf.“

Globale Bedeutung

Es liegt auf der Hand, dass ein Sieg der gewerkschaftlichen Organisierung in Bessemer eine ermutigende Wirkung in den gesamten USA und darüber hinaus auf die Amazon-Beschäftigten in Spanien, Italien, Polen, dem Vereinigten Königreich und Japan zeitigen wird. Letztes Jahr gab es bereits Aktionen wegen der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen in den europäischen Werken. Die Organisation der Unterstützung durch die Gemeinde in Bessemer wird sich auch ausbreiten und die rassistisch und geschlechtlich Unterdrückten sowie Jugendliche und StudentInnen mit einbeziehen können.

Amazons massiver Einsatz von Hightechsystemen, kombiniert mit seiner gewerkschaftsfeindlichen Politik, könnte in der gesamten sogenannten Gig-Economy (Klein- und Gelegenheitsauftragssektor) kopiert werden. Die ArbeiterInnen werden viel flexiblere und internationale Netzwerke für Solidarität entwickeln müssen. Alte Spaltungen zwischen den Gewerkschaften sowie gewerkschaftliche Rivalitäten und das bürokratische Abwürgen von Initiativen der einfachen ArbeiterInnen haben die Gewerkschaften daran gehindert, mit den Veränderungen in alten und neuen Industrien und Dienstleistungen Schritt zu halten. Wenn dies so weitergeht, könnte es sich als fatal für die neue Bewegung erweisen. Am Ende werden militante Aktionen und die schnelle Unterstützung durch andere ArbeiterInnen und ihre Gemeinschaften die entscheidende Kraft sein, die es den Davids, wie den Bessemer Amazon-ArbeiterInnen, ermöglicht, die Goliaths zu schlagen.

Politische Organisierung und Kampagne

Jenseits der individuellen Kämpfe um gewerkschaftliche Organisierung in den Betrieben und Unternehmen müssen die ArbeiterInnen auf die Arena der Politik schauen, nicht so sehr auf die vergeblichen Versuche, die zweite kapitalistische Partei des Landes, die Demokratische Partei (DP), dazu zu bringen, etwas für sie zu tun, nachdem sie jahrzehntelang die Beiträge der ArbeiterInnen für so gut wie nichts im Gegenzug eingesackt hat. Was für den Kampf um gewerkschaftliche Organisierung gilt, gilt übrigens auch für „Black Lives Matter“ und die Frauenbewegung.

DP-Senator Bernie Sanders und die Kongressabgeordnete Ilhan Omar haben einen Gesetzentwurf für den Kongress entworfen, der die MilliardärInnen dazu bringen würde, eine Steuer von 60 % auf die Zuwächse zu zahlen, die sie während der Pandemie eingestrichen haben. Elementare Steuergerechtigkeit, wie es scheint, denn es wurde berechnet, dass Jeff Bezos jedem/r Amazon-MitarbeiterIn 105.000 US-Dollar geben könnte und immer noch so reich wäre wie vor der Pandemie.

Natürlich werden sich die millionenschweren RepublikanerInnen und DemokratInnen im Kongress das nicht gefallen lassen. Sie haben sich gerade erst geweigert, Bidens Konjunkturpaket zur Anhebung des Mindeststundenlohns von 7,25 US-Dollar auf 15 US-Dollar zuzustimmen.

Das vorgeschlagene Organisationsrechtsschutzgesetz (PRO), das Millionen von Lohnabhängigen die Möglichkeit geben würde, sich gewerkschaftlich zu organisieren , könnte bald das gleiche Schicksal erleiden. Konservative DemokratInnen und RepublikanerInnen planen eine Verschleppungstaktik, um es zu verhindern, obwohl Biden einige Schlüsselelemente des Gesetzes verbal unterstützt.

Die Politik, die US-ArbeiterInnen brauchen, kann nicht von Wahlkampf und Wahlprioritäten ausgehen. Sie muss auf eine politische ArbeiterInnenbewegung orientieren, mit einer Partei, die als Teil ihrer Ziele den Kampf für Gesetze aufnimmt, die den ArbeiterInnen das Recht zugestehen, einer Gewerkschaft beizutreten, die Arbeit„geber“Innen hart bestrafen, wenn sie ArbeiterInnen entlassen, die für bessere Löhne und Bedingungen und gegen rassistische oder sexistische Diskriminierung organisieren oder streiken. Eine wiederbelebte Gewerkschaftsbewegung, die sich mit lokalen Gewerkschaftsräten, Sektionen der schnell wachsenden Demokratischen SozialistInnen Amerikas, den Kämpfe und Communities der Unterdrückten vernetzt, muss sich zum Ziel setzen, in den USA eine ArbeiterInnenpartei mit einem Programm für einen Übergang zum Sozialismus durch eine soziale Revolution aufzubauen.