Corona-Demonstrationen in Wien: Faschistische Aufmärsche oder harmlose Verwirrte?

Alex Zora, Infomail 1137, 4. Februar 2021

In den letzten Wochen hat Österreich einen Aufschwung in der Mobilisierung der Corona-SkeptikerInnen erlebt. Bei der bisher dahin größten Mobilisierung am 16. Jänner waren in Wien vermutlich mehr als 10.000 Menschen auf der Straße. Auch Ende Jänner protestierten trotz behördlicher Untersagung dort vermutlich mehr als 10.000 Menschen.

Wir betonen seit fast einem Jahr die Unfähigkeit bzw. den Unwillen der schwarz-grünen Bundesregierung, das Virus adäquat zu bekämpfen, und ihre Strategie, nur die wirtschaftlichen Interessen ausreichend gut zu bedienen. Auch der Anlass der Demonstrationen ist die Pandemie-Politik der Regierung: „Kurz muss weg!“ ist einer der Hauptslogans der Bewegung. Lässt sich deshalb irgendwie daran positiv an anknüpfen?

Rechte Führung

Seit Beginn der corona-skeptischen Mobilisierungen im Mai waren Rechte und FaschistInnen beteiligt. Die Identitären traten schon im Mai mit bekannten Gesichtern auf. Die FPÖ organisierte bald darauf eigene Kundgebungen, die aber nicht wirklich die gewünschte Dynamik auslösen konnten, so dass sich die FPÖ die Führung der Bewegung aneignen hätte können. Auch verschiedene Figuren aus der neonazistischen Szene waren schon früh auf den Demonstrationen im Frühling vertreten, z. B. aus dem Umfeld des verurteilten Neonazis Gottfried Küssel. Doch anfangs war die Bewegung vor allem von der „überparteilichen“ „Initiative für evidenzbasierte Corona-Information“ (ICI) geprägt, die von sich sagte: „Wir sind nicht rechts. Wir sind nicht links. Wir sind wütend!“ Richtig Fahrt nahm die Bewegung dann aber erst mit der zweiten Welle und den viel zu späten Anti-Pandemie-Maßnahmen auf. Was der FPÖ nicht gelungen war, wurde nun deutlich diffuser von unterschiedlichen Einzelpersonen und Netzwerken – vor allem über den Messenger-Dienst Telegram – organisiert. An Stelle von Organisationen wie der ICI oder auch der FPÖ sind mittlerweile weniger durchsichtige Zusammenhänge getreten.

Nichtsdestotrotz sind die führenden OrganisatorInnen weiterhin für ihre klar rechte Gesinnung bekannt. Jennifer Klauninger zum Beispiel, die zur komplett maskenverweigernden Hardliner-Fraktion gehört und durch das öffentliche Zerreißen einer Regenbogenfahne mediale Aufmerksamkeit bekam, organisierte schon 2015/16 rassistische Mobilisierungen an der österreichisch-slowenischen Grenze gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Sie gründete im Zuge dessen die faschistische „Partei des Volkes“ mit. Kurzzeitig war sie auch Parteimitglied der FPÖ. Mittlerweile schwadroniert sie davon, dass die Elite – in ihrer antisemitischen Logik werden namentlich Rothschild und Soros genannt – das „überlegene weiße Volk“ am liebsten „ausrotten“ möchte.

Nach den Ereignissen am Wochenende 30./31. Jänner dürfte sich aber innerhalb der Bewegung Martin Rutter, mit dem Klauninger seit einiger Zeit im Zwist liegt, durchgesetzt haben. Als ehemaliger Landtagsabgeordneter für das Team Stronach wurde er wegen seines Auftritts beim sogenannten Ulrichbergtreffen – von SS-Traditionsvereinen und anderen rechts bis rechtsaußen stehenden Traditionsverbänden – aus der Partei ausgeschlossen. Daraufhin schloss er sich dem BZÖ (Bund Zukunft Österreich) in Kärnten an. Neben einem offenen Rassismus gegenüber MigrantInnen sind bei ihm auch antisemitische Verschwörungstheorien über George Soros und die „GlobalistInnen“ an der Tagesordnung. Außerdem repräsentiert er einen klar christlichen Flügel in der Bewegung.

Faschistische Bewegung?

Die Führung der Bewegung ist also zwischen rechter Esoterikszene, der FPÖ und verrückten VerschwörungstheoretikerInnen angesiedelt. Auch gibt es viele Ähnlichkeiten mit der Trump-Bewegung auf der Straße, in der sich QAnon-AnhängerInnen, Trump-Fans und faschistische Gruppierungen vermischen. Doch im Gegensatz zur Bewegung in den USA ist in Österreich die rechte ideologische Durchdringung noch weniger weit fortgeschritten. Von den zehntausenden Menschen, die auf der Straße waren, ist vermutlich nur eine Minderheit ideologisch klar rechts eingestellt. Für viele Menschen spielt anscheinend auch der soziale Charakter des Zusammentreffens mit FreundInnen und Bekannten aus der Bewegung eine wesentliche Rolle. Die Gründe der unterschiedlichen TeilnehmerInnen sind aber durchaus komplex, genauso wie ihre Zusammensetzung. So stellen auch MigrantInnen – wenn auch für Wiener Verhältnisse deutlich unterrepräsentiert – einen Teil der Bewegung dar. Insbesondere stark erkenntlich ist auch die breite Teilnahme aus den Bundesländern und sogar aus dem Ausland bei den Großmobilisierungen in Wien.

Was aber alle Teile der Protestierenden teilen, ist, dass sie offensichtlich kein Problem damit haben, mit mehr oder weniger offen auftretenden FaschistInnen auf die Straße zu gehen. Insbesondere bei der (behördlich untersagten) Massendemonstration am 31. Jänner stellte über weite Teile eine Mischung aus rechten Fußballhooligans, Identitären und Neonazis die Spitze der Demonstration und damit auch ihre Führung. Durch deren organisiertes Auftreten war die Durchsetzung der Demonstration gegen die Polizei in dieser Form überhaupt erst möglich. In der Bewegung stellen die rechten bis faschistischen Kräfte aktuell den einzig wirklich organisierten und organisierenden Teil dar. Deshalb ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Dynamik der Bewegung sich in den kommenden Wochen und Monaten – falls nicht aufgrund einer Änderung der Pandemiebekämpfung von Seiten der Regierung oder weiterer interner Konflikte die Luft rausgeht – vermutlich klar nach rechts verschieben wird. Eine gewisse Schicht an aktuell noch eher unpolitischen Leuten läuft Gefahr, klar rechts politisiert zu werden oder sich sogar den faschistischen Strukturen anzuschließen.

Der 31. Jänner

Ein wichtiger Faktor in der Entwicklung der aktuellen coronaskeptischen Bewegung ist sicher das Wochenende vom 30. und 31. Jänner. Von Seiten der Polizei wurden da nahezu alle Versammlungen in Wien untersagt – und dabei nicht nur Versammlung von Corona-SkeptikerInnen, sondern auch klar linke Gegenveranstaltungen, die sich bisher immer aus eigener Überzeugung an das konsequente Tragen von Masken und Abständen gehalten hatten. Hier wird sichtbar, warum man im Kampf gegen rechts nicht auf den Staat vertrauen soll, weil der seine erweiterten Befugnisse auch genauso oder härter gegen die Linke und die ArbeiterInnenbewegung einsetzt.

Am 30. Jänner scheiterten die von Jennifer Klauninger ausgerufenen Proteste kläglich. Vermutlich nur einige dutzend Corona-LeugnerInnen folgten ihrem Aufruf. Doch am Sonntag war die Lage anders. Nahezu die gesamte österreichische rechte und faschistische Szene mobilisierte zu der von Martin Rutter und Co. angeführten Demonstration. Bis zum Verbot war auch Herbert Kickl als prominenter Redner vorgesehen gewesen. Die FPÖ versuchte dann auch nach dem Verbot, für die Corona-SkeptikerInnen eine eigene Kundgebung anzumelden, aber scheiterte hierbei auch an einer polizeilichen Untersagung.

Letztlich fanden sich trotz behördlicher Untersagung vermutlich mehr als 10.000 Menschen in der Wiener Innenstadt ein. Die Polizei stellte am Anfang zaghafte und letztlich erfolglose Versuche an, um die sich am Ring (auf der Höhe des Heldenplatzes) versammelte Menschenmenge einzukesseln bzw. am Formieren einer Demonstration zu hindern. Doch die von den organisierten FaschistInnen und Fußallhooligans angeführte Menschenmenge schaffte es, sich aus der Umklammerung der Polizei zu befreien, und startete eine stundenlange Demonstration einmal rund um die Wiener Innenstadt. Die Polizei verhielt sich nach anfänglichen Verhinderungsversuchen wie gegenüber einer normalen angemeldeten Demonstration. Die DemonstrantInnen wurden weitgehend begleitet, teilweise sogar sich selbst überlassen. Der Verkehr in den Seitenstraßen wurde so geregelt, dass die Demonstration ungehindert ihren Weg gehen konnte und kleinere antifaschistische Blockaden innerhalb von Sekunden von WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) und Co. aus dem Weg geräumt wurden. Erst nach 5 Stunden ungehinderter Demonstration durch Wien stellte die Polizei – vermutlich um zumindest etwas an Gesicht zu wahren – die Identitäten von den letzten verbliebenen DemonstrantInnen fest und das, nachdem der allergrößte Teil der DemonstrantInnen schon unbehelligt den Heimweg angetreten hatte. Gegen Ende bedankten sich noch TeilnehmerInnen bei der Polizei für ihr freundliches Vorgehen.

Was tun?

Der 31. Jänner war für die Bewegung ein klares Signal der Stärke. Seit Jahren gab es nicht so ein offenes und ungehindertes Auftreten der faschistischen und neonazistischen Szene in Österreich. Sie konnte über weite Teile die Demonstration anführen. Für die Linke und die ArbeiterInnenbewegung braucht es deshalb eine klare Antwort auf diese Gefahr von rechts.

Auf der einen Seite braucht es ein klares Entgegentreten gegen die rechten Teile der Bewegung und das auch auf der Straße. Das mehr oder weniger offene Auftreten von FaschistInnen und Neonazis darf nicht unbeantwortet bleiben, auch wenn sie nur Teil einer größeren Bewegung sind. Überall wo FaschistInnen offen auftreten, müssen wir uns ihnen in den Weg stellen und sie im Idealfall von der Straße vertreiben. Ein Teil der Taktik gegenüber der Bewegung ist ganz einfach klassischer Antifaschismus. Das darf aber nicht dazu führen, dass die gesamte Bewegung deswegen zu einer faschistischen umgetauft wird. Vielmehr ist sie eine kleinbürgerliche, populistische Massenbewegung mit einem faschistischen Flügel, der in der Tendenz stärker und wichtiger wird.

Darüber hinaus braucht es aber auch eine klare Alternative zur aktuellen fatalen Regierungspolitik. Wenn auf der einen Seite der Wintertourismus weiter aufrechterhalten wird und gleichzeitig dazu die Regierung den Kampf gegen die Pandemie fast ausschließlich in die eigenen vier Wände verlegt, ist klar, dass etwas falsch läuft. Einschränkungen bzw. verpflichtende Maßnahmen am Arbeitsplatz gibt es so gut wie nicht. Das wird großteils den Unternehmen selbst überlassen. Wir fordern ein Ende der verlogenen Pandemiebekämpfung der schwarz-grünen Bundesregierung. Stattdessen braucht es die Schließung aller nicht notwendigen Bereiche der Wirtschaft, bis die Fallzahlen ein Niveau erreicht haben, wo durch effektives „Test and Trace“ das Virus zur Gänze ausgemerzt werden kann. Es braucht eine Existenzsicherung und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Gleichzeitig treten wird klar für die Verteidigung der demokratischen Rechte – inklusive auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit – ein. Denn wie das Wochenende 30./31. Jänner gezeigt hat, schränkt der Staat nicht einfach nur Demonstrationen von MaskenverweigererInnen ein, sondern genauso von Linken. Darüber hinaus dürfen die Kosten der Krise nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt, sondern müssen von Reichen, die in der Krise ihr Vermögen nochmal deutlich steigern konnten, gezahlt werden. Nur wenn es die Linke schafft, eine klar Perspektive weisende, von der Regierung unabhängige Position zur Eindämmung der Pandemie zu entwickeln, ist es möglich die von Covid-19 und Wirtschaftskrise Betroffenen nicht den Rechten zu überlassen.