„Terrorbekämpfung“ mittels neuer Überwachungsbefugnisse und Studien zum Polizeialltag – zwei Seiten, eine Medaille!

Alexander DeLarge, Infomail 1124, 29. Oktober 2020

Wenn deutsche PolizistInnen im Dienst Drohungen an politisch missliebige Personen versendeten, unverhohlen rechte Hetze betrieben und als „NSU 2.0“ Angst verbreiteten, wenn immer wieder rassistische Chat-Gruppen auffliegen, kann es sich wohl nur um Einzelfälle handeln. Warum auch eine Studie zu Rassismus in der Polizei oder gar ein konsequentes Vorgehen gegen RassistInnen in Uniform, wenn man doch gleich das ganz große Rad drehen kann: die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes?

Zur Beruhigung der Öffentlichkeit und als Ersatz für eine Untersuchung des Rassismus bei der Polizei soll es eine Studie zum „Alltagsrassismus“ und eine zum „Polizeialltag“ geben. Derweil werden die staatlichen Überwachungsmöglichkeiten ausgeweitet.

Neue Befugnisse des Verfassungsschutzes und Alibi-Studien sind zwei Seiten einer Medaille. Der berühmt-berüchtigte, leicht abgetragene „Kampf gegen den Terror“ geht in eine neue Runde, wird mal wieder aus der Mottenkiste gezaubert. Gleichzeitig schüttet Seehofer im vollen Bewusstsein seiner geistigen Kräfte das Kind mit dem Bade aus. Gerade noch lehnt er eine Studie zum Rassismus in der Polizei vehement ab, schon zaubert er stattdessen eine allgemeine „Studie zu Alltagsrassismus“ aus dem Hut. Das Ergebnis ist vorprogrammiert: So schlimm sind die Repressionsorgane im Vergleich zum „Rest“ der Gesellschaft auch wieder nicht.

Ergänzt wird diese mit der Untersuchung des „Polizeialltags“. Nicht oft genug kann da erwähnt werden, dass PolizeibeamtInnen permanent Angriffen körperlicher wie psychischer Art ausgesetzt seien – vorzugsweise durch Linke und kriminelle ausländische Clan-Strukturen. Praktischerweise wird jeder Angriff gegen die BeamtInnen mit Rassismus in der Polizei und der Gesellschaft in einen Topf geworfen, relativiert und das eigentliche Thema in den Hintergrund gedrängt. Durch soll noch still und heimlich die immer mal wieder auch in bürgerlichen Medien erwähnte Polizeigewalt bis zur Unkenntlichkeit untergerührt werden.

Garniert wird das Ganze mit dem „Kampf gegen den Terror“ und gegen „TerroristInnen“ und „militante ExtremistInnen“. Stolz brüstet sich der Küchenchef mit seiner braunen Suppe, die er kredenzt hat, und spielt die Speerspitze gegen Rassismus und Faschismus und rührt auch gleich jeden „Extremismus“ als „Untersuchungsgegenstand“ ein. Abkaufen tut Seehofer den „Kampf gegen rechts“ keine/r, aber das stört ihn aber auch nicht im Geringsten. In Wirklichkeit versucht er abermals, die real bestehende braune Gefahr und rechtsterroristische Umtriebe in und außerhalb der Exekutive als Einzelfälle abzuhandeln oder für neue Gesetzesverschärfungen zu instrumentalisieren. Revolutionäre MarxistInnen kennen diesen Trick! Sie hegen ohnehin keine Illusionen in die bürgerliche Polizei mit ihrem Gewaltmonopol zum Schutz der Bourgeoisie.

Der/die „wirkliche FeindIn“ freilich steht wie eh und je links und was bei der Polizei nicht sein darf, kann auch nicht sein. Und so gibt Seehofer in einer Pressemitteilung in bester Trump-Manier zum Besten: „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet. Denn die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent der Polizistinnen und Polizisten steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Sie sind der Grund für die Stabilität unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Die Polizei kann sich darauf verlassen, dass wir als Politik hinter ihr stehen.“

Scharfmacher wie der GdP-Vorsitzende Rainer Wendt und PolitikerInnen blasen seit Jahren in das immer gleiche Horn. Die Polizei sei ständig Angriffen ausgesetzt und man müsse die Gesetze weiter verschärfen, Angriffe gegen BeamtInnen müssten noch härter geahndet werden. Schon ein Anschreien von PolizistInnen während einer massiven Ausübung staatlicher Gewalt wird als „Angriff“ beklagt und müsste auch dementsprechend verfolgt werden. Gleichzeitig fehle es an Werkzeugen im Instrumentenkasten gegen Kriminelle aller Art. Seit Jahren prescht gerade die Union massiv vor, wenn die Suppe mal wieder nachgesalzen werden soll – sei es ein ständiges Anziehen der Daumenschrauben bei tatsächlichen wie angeblichen Attacken auf die Polizei oder aber beim Kampf gegen „TerroristInnen“,  „ExtremistInnen“ und „GewalttäterInnen“. Seien es Linke oder IslamistInnen, Thorsten Frei, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nennt die Überarbeitung des Verfassungsschutzgesetzes erwartungsgemäß  einen „wichtigen Schritt zur Extremismusbekämpfung“. Seehofer wird in der Pressemitteilung zur Novelle markig zitiert: „Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter sehen und hören kann. Nur so können wir den extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen.“

Und notfalls hält dann auch mal die real existierende braune Gefahr zur Rechtfertigung neuer Überwachungsmöglichkeiten der Bevölkerung her, damit auch die SPD brav mit marschiert. So geschehen in der nun beschlossenen „Novelle des Verfassungsschutzgesetzes“. Die SPD-Parteichefin Saskia Esken, welche sich in den früheren Diskussionen um Staatstrojaner ablehnend gezeigt hatte, begründet ihre Zustimmung ausgerechnet mit dem Kampf gegen rechte Strukturen. Einmal mehr macht dies den Bock zum Gärtner. PolitikerInnen wie Esken sprechen von NSU-Opfern und über 200 von FaschistInnen und RassistInnen ermordeten Menschen in der Bundesrepublik, die sie dazu bewegen würden, nun zusätzliche Befugnisse für Polizei und Geheimdienste durchzuwinken – für einen guten Zweck versteht sich.  Kein Wort darüber, dass der sog. Verfassungsschutz gerade im Kampf gegen rechts und in Bezug auf den NSU Teil des Problems ist – und nicht der Lösung.

Stein um Stein … der Überwachungsstaat wird weiter ausgebaut

Aber um was geht es jetzt eigentlich konkret im beschlossenen, neuen Gesetz? Wir ahnen es, nichts Gutes. Doch zunächst ein kleiner Exkurs, was bisher geschah. Von Januar 2008 bis März 2010 ging die Vorratsdatenspeicherung an den Start. Diese wurde später nach Klagen zwar gerichtlich gebremst, erfolgte aber in anderer Form weiter. Auch zur Überwachung der Telekommunikation von vermeintlichen StraftäterInnen wurde diese selbstverständlich genutzt. Ein Eingriff in den Artikel 10 Grundgesetz (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) durch Polizeibehörden ist schon lange möglich und muss durch ein Gericht angeordnet werden. Bei „Gefahr in Verzug“ (und wenn mal ein Haus wie die Liebigstraße 34 geräumt werden soll, ist diese oft gegeben) kann sie auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Die Maßnahme muss binnen drei Tagen vom Gericht bestätigt oder eingestellt werden. Dieser massive Eingriff in Grundrechte kann bei Katalogstraftaten (Schwerstkriminalität, Verstöße gegen das Waffen- oder Betäubungsmittelgesetz im größeren Umfang usw.) verhängt werden. Interessant ist, dass der Staat mit Abstand die meisten Überwachungsmaßnahmen bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz angeordnet hat (im Jahr 2010 z. B. 33,73 % aller Fälle), aber bspw. nur in 0,093 % aller Fälle gegen Kinderpornographie vorgegangen wurde, obwohl gerade diese abscheulichen Verbrechen oft als ein Argument für mehr Überwachung von modernen Kommunikationsmedien und gegen den Einsatz von Verschlüsselungssoftware von Polizei und Law-and-Order-PolitikerInnen ins Feld geführt werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Telekommunikations%C3%BCberwachung). Erinnert sei hier an den jahrelangen Feldzug gegen Festplattenverschlüsselungsprogramme wie TrueCrypt, Veracrypt oder Anonymisierungsprogramme für das überwachungsfreie Surfen im Netz (Tor – The Onion Router) oder das Auffinden von „Darknet“- und Deep-Web-Angeboten (z. B. Marktplätzen für illegale Betäubungsmittel). Natürlich werden als NutzerInnen solcher Software nicht die JournalistInnen oder politisch Verfolgte ins Feld geführt, die sich mittels technischer Maßnahmen zu schützen versuchen, sondern der Ruf nach staatlicher Überwachung wird gerne als Kampf gegen PhädophilInnen-Ringe und Kinderpornographie inszeniert. Schwerstkriminelle, die übelste Verbrechen begehen, würden geschont von bösen DatenschützerInnen und UnterstützerInnen von verschlüsselter Kommunikation, sei es über E-Mails oder Messenger.

2017 erfolgte dann eine deutliche Verschärfung der sogenannten TKÜ-Maßnahmen. TKÜ steht schlicht und ergreifend für Telekommunikationsüberwachung. Es wurde nun für Polizeibehörden legal, neben der klassischen Überwachung von Telekommunikationsmedien wie Post, Telefon und E-Mail auch Computer und Smartphones und die davon ausgehende Kommunikation massiv zu überwachen (eine sogenannte „Quellen-TKÜ“). Mittels der Quellen-TKÜ können sämtliche Kommunikationsvorgänge wie E-Mail-Verkehr, Skype-Gespräche, SMS-Kommunikation etc. mit verfolgt und gelesen oder belauscht werden. Kameras und Mikrophone an mobilen Endgeräten oder Notebooks werden so zu Wanzen, lauschen und filmen. Technisch möglich ist dies durch die Einschleusung oder Installation einer entsprechenden Software auf dem Gerät, sei es durch aktive Manipulation der Hardware oder durch Infiltration durch vermeintlich harmlose Software (Trojaner, Hacking), die ggf. getarnt eingeschleust wird. Neben der „Quellen-TKÜ“ wurden die umfangreichen Maßnahmen durch die sog. „Online-Durchsuchung“ ergänzt. Hierbei werden nicht nur Daten gesammelt, die fernübertragen werden, sondern auch auf dem Smartphonespeicher oder der Festplatte abgelegte Daten eingesammelt. Ist der Staat erst einmal am Lauschen, besteht die Gefahr, dass die Maßnahme einfach weitergeführt wird.

Der Chaos Computer Club (CCC) deckte bereits 2011 auf, wie die Malware zur Durchführung einer Quellen-TKÜ funktioniert und dass die Möglichkeiten die Ziele einer Quellen-TKÜ um einiges übertreffen. Der CCC stellt klar, dass die Trennung zwischen einer Quellen-TKÜ und einer „Online-Durchsuchung“ eine künstliche, juristische ist. Faktisch werden rein technisch die gleichen Methoden angewandt. Problematisch ist, dass auch die Schadsoftware Sicherheitslücken verantwortet oder dass die Polizei solche nutzt und die Öffentlichkeit über diese nicht aufklärt. Faktisch nutzen die Polizeibehörden also schon seit geraumer Zeit legal und mit Sicherheit auch in Grauzonen und illegal massiv neuste Techniken und führen den großen Lauschangriff ganz still und heimlich. So wurde dann auch am 01. April 2008 beim BKA ein Aufbaustab geschaffen, der die TKÜ-Maßnahmen von 38 Sicherheitsbehörden (BKA, LKA, diverse Polizeibehörden der Bundesländer) bündelte, technisch wie organisatorisch (https://netzpolitik.org/2020/staatstrojaner-fuer-geheimdienste-tritt-die-regelung-in-kraft-werden-wir-dagegen-klagen/).

Während die Polizeimaßnahmen wenigstens noch gerichtlich angeordnet werden müssen, operieren Geheimdienste völlig im Verborgenen. Sie werden de facto kaum überwacht, was die Nutzung solcher Instrumente anbelangt. Gerade das Bundesamt für Verfassungsschutz – auf dem rechten Auge chronisch blind –  hat jetzt, Oktober 2020, mit dem neuen Gesetz die Möglichkeit erhalten, ohne jegliche Kontrolle Quellen-TKÜs durchzuführen. Hierbei werden die Grenzen zwischen Geheimdiensten und Polizeibehörden erneut weiter aufgeweicht, auch die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst (MAD) wird weiter gestärkt. Gerichtliche Kontrolle liegt nicht vor, parlamentarische ist de facto nicht gegeben. Das zeigt ja bereits der NSU-Komplex. Mit der Novellierung sollen auch die Geheimdienste die Möglichkeiten erhalten, modere Kommunikationskanäle wie Messenger (WhatsApp, Telegramm, Signal, Threema usw.) von Kriminellen und „GefährderInnen“ (und mittlerweile geht es im Polizeibereich schon um Kleinkriminelle und die Geheimdienste spitzeln wohl weniger bei den rechten Terrornetzwerken, sondern eher bei dem/r linken AktivistIn von nebenan), die verschlüsselt kommunizieren, noch vor dem verschlüsselten Versenden der Nachrichten auszuspähen, d .h. die Verschlüsselung zu umgehen. Hierbei sollen auch Provider und Telekommunikationsanbieter massiv zu Gehilfen gemacht werden. Der CCC kritisiert auch, dass die Geheimdienste gezielt Sicherheitslücken u. a. in Betriebssystemen ausnutzen und so nebenbei auch massiv die IT-Sicherheit vieler UserInnen gefährden (Sicherheitslücken werden von Kriminellen im Internet genutzt). Die Provider sollen auch die Geheimdienste unterstützen mit direktem Zugang in Firmenzentralen und Zugriffen auf die Daten der KundInnen sowie Zuarbeit bei Manipulation ihrer zu überwachenden Geräte (z. B. Auslieferung angeblicher Updates, die sich als Überwachungsmaßnahmen erweisen).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren: alles wie immer, nur noch schlimmer! Seehofer möchte von Rassismus in Sicherheitsbehörden nichts wissen und täuscht gleichzeitig einen Kampf gegen RechtsterroristInnen vor. Was dann tatsächlich umgesetzt wird, ist die erneute Stärkung von Geheimdiensten wie dem MAD und den Verfassungsschutzbehörden. Diese Maßnahmen dienen dazu, was immer ihr Vorwand sein mag, der zu ihrer Rechtfertigung herangezogen werden soll, wirkliche oder potentielle linke und klassenkämpferische Widerstandspotentiale zu überwachen, auszuspähen und ggf. zu unterdrücken.

Was tun? Was fordern wir?

Daher: Nein zum neuen Gesetz, das eine weitere Verschärfung von Geheimdienstbefugnissen darstellt! Im  Kampf gegen FaschistInnen, RassistInnen und AntisemitInnen, seien es AfD, Identitäre, Kameradschaften, NPD oder ReichsbürgerInnen, können und dürfen wir uns ohnehin nicht auf den Staat verlassen. Notwendig ist vielmehr die Einheit der ArbeiterInnenklasse, der rassistisch Unterdrückten und der Linken im Kampf gegen rechte Gefahr, staatlichen Rassismus und Repression. Die Geheimdienste brauchen keine weiteren Sonderbefugnisse, sie müssen vielmehr abgeschafft, zerschlagen werden. Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung!