„Wir sind keine Versuchskaninchen!“ – GEW-Kundgebung gegen unkontrollierte Schulöffnung in Hessen

Richard Vries, Infomail 1107, 18. Juni 2020

Ein abrupter Kurswechsel von oben, ein bei dessen Vermittlung auf sich allein gestelltes Personal und dazu noch ein völlig undurchsichtiger Planungsprozess, der komplett ohne jegliche Einbindung der Betroffenen auskommen will: GewerkschafterInnen, viele Eltern und die SchülerInnen selbst wurden am 10. Juni 20 durch eine widersprüchliche Ankündigung des hessischen Kultusministers Lorz zur weiteren Öffnung der Grundschulen in Hessen vollends verunsichert.

Erst seit dem 2. Juni sind die 1. – 3. Jahrgänge überhaupt wieder in kleineren, aufgeteilten Gruppen in ihre Klassen zurückgekehrt. Da sollte die Abstandsregel, lange oberste Prämisse des Schulalltags, beständig umgesetzt werden. Mit dem Schreiben vom 10. Juni soll sich das ändern. Das Abstandsgebot, so der Hessische Kultusminister, wäre laut neuen Erkenntnissen unnötig, da „die derzeit gültigen Abstandsregelungen im Schulbetrieb für das Infektionsgeschehen keine entscheidende Rolle spielen“ würden und daher „weitere Schulöffnungsschritte unter Wahrung der Hygienevorschriften hin zu einem weitgehenden Normalbetrieb vorgenommen werden können“. Ab 20. Juni, also für die letzten zwei Wochen des Schuljahres, soll wieder „normaler“ Unterricht mit vollen Klassen und ohne Abstandsgebot durchgezogen werden.

Damit werden nicht nur die LehrerInnen, die bislang darauf drängten, lächerlich gemacht – vor allem wird ohne Not ein größeres Infektionsrisiko für SchülerInnen, Eltern und Lehrkräfte 2 Wochen vor den Ferien billigend in Kauf genommen, obwohl diese Zeit sicherlich keine entscheidenden Auswirkungen für den Lernerfolg haben wird.

Eine gleichzeitig in der jeweiligen Schule zu beantragende Möglichkeit der Aussetzung der Präsenzunterrichtspflicht für SchülerInnen soll dabei vor allem die Gemüter der weiterhin vorsichtigeren und verunsicherten Eltern zähmen. Doch letztlich werden nur wieder einmal jene bereits erregten Gemüter der LehrerInnen durch diese völlig unverantwortliche Dienstanweisung der Obrigkeit bis aufs Äußerste strapaziert.

Kundgebungen der GEW

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Südhessen befürwortet deshalb die Kundgebung der Fachgruppe Grundschule von Offenbacher GEW-Kreisverbänden unter dem Motto: „Keine unkontrollierten Öffnungen der Grundschulen! Wir stehen als Versuchskaninchen nicht zur Verfügung!“

Dutzende Basismitglieder aus Grundschulen sowie weitere, sich solidarisch zeigende Mitglieder aus Kindertagesstätten und weiterführenden Schulen versammelten sich hierzu zusammen mit einigen betroffenen Eltern und Kindern vor dem Rathaus in Offenbach am 17. Juni.

Auch wir von der Gruppe ArbeiterInnenmacht schließen uns den Argumenten gegen eine widersprüchliche, fahrlässige und letztlich unkontrollierte Öffnung der Grundschulen in Hessen an.

Aktive KollegInnen in den Gewerkschaften und an den Schulen müssen sich nun zwingend ihrer desolaten Lage bewusst werden und selbstbewusst für eine Fortsetzung und Anpassung der Hygienemaßnahmen vor Ort und darüber hinaus plädieren – und zwar unter Kontrolle von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern. Auch den noch jungen SchülerInnen muss diese komplett gegensätzliche Situation erst einmal verdeutlicht und zusammen mit ihnen vor allem ein sinnvoller Weg durch diese Bedingungen gefunden werden. So können auch sie in die konkrete Ausarbeitung und Umsetzung vernünftig geplanter Maßnahmen einbezogen werden. Nicht zuletzt sollte aber unbedingt die strukturelle Problematik der fehlenden Einbindung der Beteiligten in alle bisherigen Prozesse hervorgehoben werden.

An den Schulen müssen die Lehrkräfte eigene Kontrollkomitees bilden. ExpertInnen, die selbst in der Institution zugegen sind und das Vertreten der Betroffenen genießen, sollen die LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen und ihre VertreterInnen beraten, so dass diese ihre eigenen Bedingungen bestimmen. Dafür müssen wir miteinander kämpfen!