Britannien: Gewerkschaften und Labour Councils müssen Kampf gegen unsichere Wiedereröffnung von Schulen verstärken

Ein Gewerkschafter aus London, Infomail 1104, 25. Mai 2020

Die Tory-Regierung treibt ihre Pläne zur Wiedereröffnung der Schulen für ein breiteres Spektrum von SchülerInnen ab dem 1. Juni trotz weit verbreiteten Widerstands voran. Eltern und LehrerInnen unterstützen die Wohltätigkeitsorganisation Parentkind, die LehrerInnengewerkschaft National Education Union (NEU), die gewerkschaftliche ÄrztInnenvereinigung British Medical Association sowie eine wachsende Anzahl von Labour Councils (örtliche, bezirkliche oder regionale Gewerkschaftszusammenschlüsse), die fordern, dass Schulen geschlossen bleiben, bis sie sicher sind.

Der Grund für die Empörung liegt in der offensichtlichen und unbestreitbaren Tatsache, dass diese Maßnahme zusammen mit der vorzeitigen Lockerung des Lockdowns der Wirtschaft, die derzeit Millionen von ArbeiterInnen aufgezwungen wird, zu einem neuen Anstieg der Covid-Infektionen und Todesfälle führen wird. Die erste Welle hat ihren Höhepunkt gerade erst überschritten, aber wir blicken jetzt auf das Ausmaß einer zweiten Welle, die sie bei weitem übertreffen könnte.

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Entscheidung der Regierung auf die öffentliche Gesundheit ist sie entschlossen, sie durchzusetzen, da sie integraler Bestandteil ihres Plans zur Wiederankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft ist und damit Millionen von ArbeiterInnen und ihre Familien gefährdet. Das macht diesen Kampf zu einem klassenpolitischen Thema.

In Großbritannien gibt es nach wie vor täglich 3.500 neue Covid-19-Fälle; die tägliche Zahl der Todesopfer liegt nach wie vor bei rund 500. Zur Verdeutlichung: Als Dänemark seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat, gab es nur 93 Todesopfer pro einer Million EinwohnerInnen, während die Zahl in Großbritannien über 500 liegt. Dänemarks tägliche Todesfällen bewegten sich im einstelligen Bereich; die britische Zahl liegt zur Zeit um die 500.

Frankreich ist ein weiteres Land, das seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat und von der konservativen Tory-Presse und den Abgeordneten als Beweis dafür angeführt wird, dass es Zeit sei, dass die LehrerInnen ihre Ängste ablegten und wieder an die Arbeit gingen. Aber viele französische Schulen mussten wieder schließen, nachdem die Lockerung der Isolation einen weiteren Anstieg der Infektionen verursacht hatte.

Man muss sich nur eine Familie vorstellen, in der ein/e Erwachsene/r BusfahrerIn und ein/e andere/r PflegerIn ist, und deren Kinder in zwei verschiedene Schulen, eine Grundschule und eine weiterführende Schule, gehen müssen, und dann kehren alle nach tausend verschiedenen Kontakten zwischen ihnen nach Hause zurück… um zu verstehen, wie wahnsinnig gefährlich das ist.

Endlich Aktion!

Es ist also erfrischend zu sehen, dass eine Gewerkschaft mit der Faust auf den Tisch haut und sagt: „Das Leben unserer Mitglieder ist mehr wert als Gewinne – Eure Wirtschaft kann warten.“ Die LehrerInnengewerkschaft NEU führt eine Koalition von neun Bildungsgewerkschaften an, die sich weigert, bei den Öffnungsplänen zusammenzuarbeiten, bis ihre fünf Prüfkriterien erfüllt sind:

  1. Deutlich geringere Zahl von Covid-19-Fällen
  2. Ein nationaler Plan zum Einhalten eines Schutzabstandes (persönliche Schutzausrüstung, viel weniger SchülerInnen, Reinigung usw.)
  3. Tests, Tests, Tests (auch von Kindern und Personal ohne Symptome)
  4. Strategie für die gesamte Schule (sie zu schließen und alle zu testen, wenn ein Covid-Fall in einer Schule gefunden wird)
  5. Schutz der Schutzbedürftigen (einschließlich des Rechts, von zu Hause aus zu arbeiten)

Die Regierung hat keinen dieser Tests bestanden. Entscheidend ist, dass sie bei weitem noch nicht über ein System zur Ermittlung und Testung von Kontaktpersonen verfügt – und dies ist einer ihrer eigenen „Tests“. Notieren wir: „NB“ für nicht bestanden!

Die neun Gewerkschaften hielten am 15. Mai eine Sitzung mit WissenschaftlerInnen der Regierung ab, darunter auch Mitglieder der Wissenschaftlichen Beratungsgruppe für Notfälle (SAGE), aber alle Gewerkschaften blieben mit unbeantworteten Fragen zurück.

Seitdem haben 11 Labour Councils erklärt, dass sie dem überweilen Zeitplan von Johnson und Bildungsminister Gavin Williamson nicht folgen werden. Die Liste reicht von Liverpool, Bury und Calderdale, die den von ihnen betreuten Schulen mitteilten, sie sollen am 1. Juni nicht weiter öffnen, bis hin zu Manchester, Leeds und Birmingham, die es den einzelnen Schulen überlassen, darüber zu entscheiden. Weitere Stadt- und Bezirksräte haben für die nächste Sitzung Anträge eingereicht – obwohl der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Labour Party) beschämenderweise nur Bedenken über die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geäußert hat.

In Schottland, Wales und Nordirland weigern sich die nationalen und regionalen Regierungen ebenfalls, den Anweisungen von Boris Johnson zu folgen. Dies ist ein beispielloser Grad an Zwietracht auf höchster Ebene.

Wenn man die Zahl der lokalen, regionalen und nationalen Behörden, die gegen diesen gefährlichen Schachzug der Regierung sind, und die Zahl der Gewerkschaften des Lehr- und Hilfspersonals, die sich vehement dagegen wehren, sowie der Eltern und SchülerInnen, die sich der Vorschrift nicht anschließen wollen, zusammenzählt, kann man sehen, dass dies eine gewinnbare Schlacht ist.

Wie können wir gewinnen?

Leider droht der Plan der NEU an dieser Stelle zu scheitern. Sie stützt sich auf ein nützliches, aber begrenztes Gesetzeswerk, das ursprünglich für die BauarbeiterInnen entworfen wurde: Abschnitt 44 des Beschäftigungsgesetzes (1996). Dieser ermöglicht es den Beschäftigten, jeden Arbeitsplatz, den sie als unsicher erachten, zu verlassen und erst dann zurückzukehren, wenn er ausreichend sicher geworden ist.

So weit, so gut. Jetzt hat es jedoch zu einer Situation geführt, in der die NEU einen Rückzieher gemacht und eine neue Reihe von 12 Schritten herausgegeben hat, die die Risikobewertung einer Schule viel sicherer machen würde. Auf lokaler Ebene haben VertreterInnen versucht, den Mitgliedern zu sagen, dass sie beide Hürdenreihen durchlaufen sollen, in dem Bewusstsein, dass einige Schulen, insbesondere Sekundarschulen – von denen verlangt wird, dass sie weit weniger SchülerInnen aufnehmen – die zweite „Testreihe“ bestehen werden.

Was wir brauchen, ist die landesweite Einheit in ganz England: eine/r raus, alle raus. Das kann nur erreicht werden, wenn wir alle Bildungsgewerkschaften zwingen, zum Streik aufzurufen. Natürlich müssten die Abstimmungen elektronisch durchgeführt werden, aber die 20.000 Mitglieder, die am 18. Mai zu einem landesweiten Internet-Aufruf durch die LehrerInnengwerkschaft online erschienen sind, zeigen das Potenzial, in dieser Zeit der Not mit Hunderttausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in Kontakt zu treten.

Eine Streikurabstimmung zu gewinnen und die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze zu missachten, würde auch bedeuten, in die Offensive zu gehen und Eltern und ältere SchülerInnen zu organisieren. Wir müssen der Hetze der rechten Presse und ihren orchestrierten Versuchen, LehrerInnen und Eltern zu dämonisieren, die einfach keine weiteren Infektionen und Todesfälle in ihren Gemeinden erleben wollen, entschieden entgegentreten.

Dies wird zwangsläufig die Einrichtung neuer Basisorganisationen bedeuten, um die Mitglieder der verschiedenen Gewerkschaften an den Schulen zusammenzuführen. Eine solche Organisierung wird eine wichtige Rolle bei der Planung gemeinsamer Kampagnen spielen und sicherstellen, dass wir geeint bleiben, falls eine oder mehrere der Gewerkschaften plötzlich aus der Reihe tanzen sollten – wie es bei gewerkschaftlichen Einheitsfronten geschieht, die nur an der Spitze zementiert werden.

GewerkschaftsführerInnen mögen es nicht, in eine extrem konflikthafte Konfrontation geworfen zu werden. Ihr Instinkt sagt ihnen immer, die Situation zu entschärfen und zum „business as usual“ zurückzukehren. Aber für die absehbare Zukunft ist das Coronavirus die neue Normalität. Deshalb brauchen wir eine reaktionsfähigere und integrativere Organisation – am Arbeitsplatz und in den Kommunen.

Sich erfolgreich Johnsons Forderung nach der Wiedereröffnung von Schulen zu widersetzen, ist jedoch nur die halbe Miete. Wir müssen gemeinsame Gewerkschafts-, Eltern- und SchülerInnentreffen organisieren, um die Krise zu erörtern und Covid Watch Committees (Komitees zur Überwachung und Eindämmung der Covid-Pandemie) zu bilden, damit es nach einem Streik oder einer erfolgreichen Aktion keinen Rückfall gibt, der einen Anstieg der Infektionsrate (die R-Zahl) verursacht, oder die Schule beschließt, neue Risiken mit unserem Leben einzugehen.

Dieser Kampf wird so lange andauern, bis ein Impfstoff gefunden ist. Wir müssen während des gesamten nächsten Schuljahres wachsam sein. Es ist ein Ringen um ArbeiterInnenkontrolle – dies werden wir brauchen, um Entlassungen und Schließungen zu stoppen, da die Kürzungen während der Rezession weiter wirken.

Es ist auch eine Auseinandersetzung in einem breiteren Klassenkampf. Die KapitalistInnen sind verzweifelt darauf bedacht, Schulen zu eröffnen, damit sie die Beschäftigten wieder an die Arbeit bringen können, damit sie Gewinne für ihre Unternehmen erwirtschaften, bevor diese untergehen. Eine rationale Gesellschaft würde auf diese Weise privates Vermögen nicht über die öffentliche Gesundheit stellen. Sie würde nur wesentliche Arbeiten zulassen, um uns alle gesund zu halten, zu desinfizieren, zu ernähren usw., bis das Virus besiegt ist.

Ein weltweiter Kampf

Dies weist auf eine weitere Ebene hin, auf der wir die Hand ausstrecken und eine kämpferische Einheitsfront schmieden können. Die weltweite Pandemie erfordert eine globale Lösung! Schulgewerkschaften in den USA, Europa, Lateinamerika und auf der ganzen Welt sehen sich den gleichen wahnsinnigen Anforderungen gegenüber wie wir hier. Wir sollten die modernen Technologien der Webinare im Internet nutzen, um uns mit den BasisaktivistInnen auf der ganzen Welt zu vernetzen, damit wir zusammen mit einer gemeinsamen Strategie und einem gemeinsamen Ziel kämpfen können.

Ein Sieg für LehrerInnen und anderen Beschäftigen an den Schulen wäre ein Sieg für unsere, die ArbeiterInnenklasse, auf dem wir in den kommenden Kämpfen aufbauen könnten.