Das Querfront-Virus

Markus Lehner/Wilhelm Schulz, Infomail 1103, 12. Mai 2020

Als Mitte März in Deutschland die Lockdown-Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus begannen, schien zumindest die Notwendigkeit von Kontakteinschränkungen als zentrales Mittel zur Pandemiebekämpfung allgemein akzeptiert. Ebenso, dass so schnell wie möglich ein Impfstoff gefunden werden muss, um zur „Normalität“ zurückzukehren. Die hohe Geschwindigkeit der Ausbreitung und die Erfahrung mit dem zusammenbrechenden Gesundheitssystem in Ländern wie Italien machten deutlich, dass es dringend Handlungsbedarf gab. Sie enthüllte auch, wie lange die Regierungen praktisch aller Staaten die Gefahr einer Pandemie verharmlost hatten.

Dennoch kam es schon wenige Tage nach den ersten Einschränkungen zu Protestaktionen einer zunächst belächelten Gruppierung von „GrundgesetzschützerInnen“. Inzwischen hat sich diese zu einer neuen populistischen, rechten Welle ausgeweitet und präsentiert sich als angeblich radikale Opposition zu den „Eliten“. Dabei greift sie zwar reale Befürchtungen auf, zum Opfer einer globalen Wirtschaftskrise zu werden, und artikuliert auch Kritik an den Einschränkungen demokratischer Rechte – aber sie tut dies, indem sie dies mit einer wilden Mischung aus Populismus, rechter Ideologie, Verschwörungstheorie und irrationalistischer Leugnung der Gefahr des Corona-Virus verknüpft.

Auch wenn einige InitiatorInnen der Proteste ursprünglich aus Teilen der politischen Linken kamen, so wurde diese bei den Aktionen innerhalb kurzer Zeit marginalisiert. Wie die Demonstration am Berliner Alexanderplatz am 8. Mai z. B. zeigte, wurden einstige InitiatorInnen, die sich verspätet und mit einer gewissen Verzweiflung gegen Nazi-Präsenz aussprachen, von ihren rechten AnhängerInnen mit Rufen wie „Volksverräter“ und „Spalter“ angegangen. Diese „Linken“ wirken wie politische Zauberlehrlinge, die nun die Geister nicht mehr loswerden, die sie riefen –, und die zu allem Überdruss in der Regel weiter die Rolle von Rechten, PopulistInnen und VerschwörungstheoretikerInnen verharmlosen.

Die Zauberlehrlinge

Einer der ersten Initiatoren des Protestes vor der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz war der ehemalige TAZ-Journalist Anselm Lenz, der am 21. März in einer Kolumne der Online-Zeitschrift „Rubikon“ eben zum Widerstand gegen das „Notstandsregime“ aufrief. Wenig später war er dann auch nicht mehr TAZ-Redakteur – und auch die „Junge Welt“, für die er zuvor manchmal geschrieben hatte, distanzierte sich von ihm. Zwischen 2016 und 2018 befasste er sich regelmäßig in den Feuilletons mit der Lage an der Volksbühne, die in dem Zeitraum kurzzeitig besetzt wurde, damals gegen die neue Intendanz von Chris Dercon. Neben der Kritik an der Notwendigkeit einer hierarchischen Figur einer Theaterintendanz wurde auch dem vorherigen Intendanten Frank Castorf nachgetrauert. Auch letzterer wünscht sich einen „republikanischen Widerstand“ (Berliner Zeitung, 29.4.). Inzwischen distanzieren sich die ehemaligen VolksbühnebesetzerInnen vonbeiden.

Das Online-Magazin „Rubikon“, mit dem von den „Nachdenkseiten“ her bekannten Jens Wernicke an der Spitze, hat sich überhaupt zum „linken“ Sprachrohr derjenigen gemacht, die eine angebliche „Medieninszenierung“ entdeckt haben wollen, die eine Panik hervorrufe, auf deren Grundlage unsere Grundrechte angegriffen würden. Wir vertreten nicht die jetzt allgemein verbreitete Qualifizierung, dass dieses Magazin an sich schon eine „Querfront“ sei. Immerhin finden sich in den Artikeln klare Positionierungen gegen AfD, Nazis und rassistische/ausländerInnenfeindliche Migrationspolitik. Andererseits führt seine nebulöse Hauptlinie gegen „Neoliberalismus“ und die allgemeine „Gleichschaltung der Medien“ zu einer Form der Kritik am „tiefen Staat“ und an der „Lügenpresse“, die sich offenbar leicht mit rechten Verschwörungstheorien in Verbindung bringen lässt – und damit tatsächliche Querfronten befördert.

Auch die „Nachdenkseiten“, mit dem alten SPD-„Linken“ Albrecht Müller, haben sich inzwischen in den Kanon des Kampfes gegen die „Medieninszenierung“ eingereiht – eine Verkürzung, die in ihrem Ursprungskampf gegen die Hartz-IV-Angriffe und die „Reformlüge“ noch eine fortschrittliche Richtung aufwies. Ironischer Weise wurde auch von Müller lange Zeit ausgerechnet Russland als Vorbild angeführt, wie eine vernünftige Regierung sich nicht von der Interessen geleiteten Panikmache beeinflussen lassen könne. Die Ausbreitung des Virus und die Politik des russischen Regimes haben dieses Märchen schnell mit der Realität konfrontiert. Umso schlimmer, dass an den lieb gewonnenen Einbildungen festgehalten wird.

Zu letzterem passt, dass „Russia Today“ (RT) zu den eifrigsten BerichterstatterInnen des „deutschen Widerstandes“ zählt und der für dieses Medium arbeitende Journalist Ulrich Gellermann durch besonders scharfe Kritik an der „Virus-Diktatur“ auffiel (siehe z. B. „In Zeiten der Virus Diktatur“, NRHZ). Natürlich wird von Gellermann „bewiesen“, dass RT zu den letzten VerteidigerInnen der Meinungsfreiheit in Deutschland gehöre und im Zusammenhang mit Berichten über die RT-Hetze die Russland-Feindschaft der deutschen Leitmedien deutlich würde. Die reaktionäre Seite der RT-Berichterstattung, die z. B. in der „Flüchtlingskrise“ deutlich wurde, als sie Rechten eine Plattform für ihre Hetze bot, wird geflissentlich übergangen oder verharmlost.

Interessant auch, dass verschiedene Teile der „Friedensbewegung“ und auch der „Freidenker“, für die Russland weiterhin ein Hort des Friedens und Fortschritts zu sein scheint, in Gellermann auch in der Corona-Frage wieder ihren Sprecher gefunden zu haben scheinen.

Dass diese VerteidigerInnen der „Demokratie“ ausgerechnet in einem Sender des russischen, imperialistischen Staates einen veritablen Verbündeten ausmachen, ist kein Zufall. Es verweist vielmehr auf eine analytische und politische Fehleinschätzung, die sie und auch Teile der Friedensbewegung offen für Querfronten macht. In ihren Augen kennzeichnet die Weltlage eine fortgesetzte Blockkonfrontation zwischen einem aggressiven westlichen Imperialismus unter US-Führung mit einem „fortschrittlichen“ Lager um China und Russland. Der imperialistische Charakter dieser beiden Staaten wird ebenso vehement bestritten wie die Gegensätze zwischen den USA und den führenden EU-Mächten. Hinter dieser angeblichen Hauptachse der Weltlage erscheinen alle, die sich gegen die wirkliche oder auch vermeintliche Dominanz von US-Kapitalen und ihren deutschen und anderen europäischen Vasallen wehren, als mögliche Verbündete im „Freiheits- und Friedenskampf“.

Ken Jebsen

Von oben angeführter bunter Ansammlung aus LinksreformistInnen, AltstalinistInnen oder kleinbürgerlichen SelbstdarstellerInnen sind eindeutig rechts stehende Figuren wie der Blogger und Ex-Rundfunkjournalist Ken Jebsen zu unterscheiden. Seinen Radio-Job verlor er wegen allzu offensichtlicher Verbreitung von Verschwörungstheorien. Auch wenn er sich anfangs als „demokratisch“ und vermeintlich links gerierte, so hatte sich Ken Jebsen spätestens seit der rassistischen Hetzjagd auf MigrantInnen in Chemnitz rechts positioniert. In einem ersten Beitrag hatte er rassistische Mobs noch verurteilt, doch nach einem Shitstorm seiner rechten HörerInnen entschuldigte er sich für diesen. Schon davor bot er dem AfD-Politiker Christian Blex, dem marktradikalen Hayek-Anhänger Markus Krall, der schon mal forderte, den Armen das Wahlrecht zu entziehen, und EIKE-KlimaleugnerInnen (Europäisches Institut für Klima & Energie) auf seinem Kanal eine Bühne.

Nunmehr ist sein YouTube-Kanal KenFM so etwas wie das inoffizielle Zentralorgan für deutsche VerschwörungstheoretikerInnen geworden: allein im April schoss seine Abonnentenzahl um 75.000 auf an die 450.000 in die Höhe. Dabei verbreitet er nicht nur, dass die „Corona-Hysterie“ fabriziert werde, um einen lang vorbereiteten Angriff auf unsere Grundrechte durchzuführen (seine AnhängerInnen treten jetzt meist mit Hochhalten des Grundgesetzes in Erscheinung). Besonders vehement legt er inzwischen dar, dass die WHO praktisch von Bill und Melinda Gates und ihren MitkapitalistInnen übernommen worden wäre, um mithilfe der Medienpanik einen Impfzwang für ihre Pharmaprodukte zu erreichen. Ob dies dann nur wegen der Profitinteressen oder aus anderen Gründen (hier fällt auch das Schlagwort „Euthanasie“) geschieht, erschließt sich wahrscheinlich nur den VerschwörungsexpertInnen.

Diese „Theorie“ hat inzwischen die noch idiotischere Erklärung von der Verursachung von Corona durch 5G-Sendemasten abgelöst. Hier war doch zu offensichtlich, dass das 5G-Mobilfunknetz auf einem Frequenzbereich arbeitet, der früher beim antennengebundenen Fernsehen üblich war. Wie viele Epidemien oder Gedankenwellenexperimente haben wir da wohl verpasst?

Das Beispiel Jebsens und seine Rolle verdeutlichen freilich, dass wir es mit dem Auftritt von Rechten bis zu AfD und NPD nicht mit einem Zufallsprodukt zu tun haben, sondern sich ein solches „Netzwerk“ längst vor den Protesten entwickelt hat. Die Übernahme und Dominanz der Aktionen durch das rechte Spektrum war kein Zufall, sondern im Voraus absehbar und entsprach der bestenfalls populistischen Stoßrichtung der AkteurInnen, die nur zu bereitwillig den rechteren, radikaleren Populismus eines Jebsen und anderer scheinbar „unabhängiger“ Rechter aufgriffen.

Der zunächst kleine Protest dieser GrundgesetzschützerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen traf aber im Lauf des Aprils offenbar auf ein tatsächliches Bedürfnis. Die Auswirkungen des Lockdowns waren für viele Menschen schwerwiegend: ob sie um ihren Arbeitsplatz fürchten, ihr kleines Geschäft schließen mussten oder ob sie ganz einfach mit der Betreuung der Schul- oder Kita-Kinder allein gelassen sind. Nachdem die Ausdehnung des Lockdowns immer unabsehbarer wurde, wuchsen natürlich auch Zweifel. Trotz ausführlicher Berichterstattung in den Medien waren plötzlich auch wieder die „Alternativquellen“ in den Tiefen des Netzes begehrt (wie schon bei den diversen „Flüchtlings“/„Islamismus“-Krisen). Da diesmal sowohl Linkspartei als auch AfD zunächst der Linie des Lockdowns folgten, wurden genannte Plattformen zu einem Anziehungspunkt für alle möglichen an der Situation Verzweifelten bzw. Zweifelnden. Dazu fanden sich dann für die „alternativen Meinungen“ auch die notwendigen „ExpertInnen“, die die Wissenschaftlichkeit der Erklärungen vom Robert-Koch-Institut (RKI) oder anderen etablierten VirologInnen in Frage stellten.

Wissenschaftsfeindlichkeit und Irrationalismus

Eine wichtige Rolle spielte dabei der Arzt und ehemalige SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg, dessen Äußerungen als zentraler Beleg für „wissenschaftliche Zweifel“ an der „Panikmache“ fungieren. Seine Interviews, z. B. mit KenFM, erzielen Rekordwerte an Reichweite. Tatsächlich ist der inhaltliche Gehalt seiner „Kritik“ dürftig. Seine Behauptung, dass „das Corona-Virus“ schon lange bekannt gewesen wäre und nur durch die Testverfahren jetzt aufgefallen sei, ist sogar blanker Unsinn. Einerseits sind natürlich Corona-Viren als „Erkältungsviren“ bzw. im Zusammenhang mit der ersten SARS-Epidemie lange bekannt. Dass aber das in Wuhan aufgetretene neue Virus ohne die Tests nicht aufgefallen wäre, ist schon erstaunlich angesichts der offensichtlichen Übersterblichkeit (also der statistisch eindeutigen, mehrere Größenordnungen überschreitenden Todeszahlen gegenüber „normalen“ im selben Zeitraum) erst in China, dann in Italien und schließlich auf der ganzen Welt. Die Vergleiche mit „normalen Grippewellen“ sind angesichts der weltweiten Todeszahlen und der fehlenden Impfstoffe (gegenüber den diesjährigen Grippeviren) auch inzwischen nur noch lächerlich.

Peinlich wurde es, als er den EntwicklerInnen des heute gängigen Tests vorwarf, die notwendigen Verfahren nicht eingehalten zu haben, und gar nicht klar sei, ob die als infiziert gemeldeten Personen tatsächlich an dem zu Covid-19 führenden Virusstamm erkrankt seien. Dumm nur, dass die Verfahren zur Testgewinnung vollkommen transparent ins Netz gestellt wurden und von keinem/r der überprüfenden VirologInnen ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit geäußert wurden. So könnte man noch lange fortfahren – und in den Erklär-Videos von Harald Lesch bis zu den fast täglichen Daten, die Christian Drosten per Twitter liefert, können detailliert die Widerlegungen dieser Falschdarstellungen nachgelesen werden.

Ähnlich wie bei den LeugnerInnen des menschengemachten Klimawandels wird dies jedoch keine/n der „Corona-SkeptikerInnen“ überzeugen – diese WissenschaftlerInnen gehören ja zur „Medienverschwörung“. Wichtig ist ihnen nur, „ihren Experten“ vorweisen zu können. In seinem Gefolge tummeln sich dann etliche Hobby-ExpertInnen, die statistisch „nachweisen“, dass die Sterblichkeit an Corona vom RKI völlig falsch dargestellt wird oder die Voraussagen alle so nicht eingetroffen seien, dass die Sterblichkeit in Italien wegen irgendwelcher Umwelteinflüsse besonders hoch sei etc.

Vor allem die verharmlosende Darstellung als eine „etwas stärkere Grippewelle“ verkennt das Wesen und die Gefahr einer weltweiten Epidemie, deren Ausbruch nicht verhindert werden konnte, völlig. Die historischen Beispiele, wie die spanische Grippe, zeigen, wie schnell Gesundheitssysteme zusammenbrechen können und die Infektion in Wellen mehrfach um den ganzen Globus schwappen kann. Wenn es nicht gelingt, die Infektionsrate und die Erkennung von Infektionsketten in den Griff zu bekommen, also die Reproduktionsrate der „aktiv Infizierten“ nachhaltig zu begrenzen, droht ein unkontrollierbarer Ausbruch mit exponentiellen Wachstumsraten. Lässt sich der dann nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränken, hilft nur ein Lockdown. Die statistischen und medizinischen Gründe für Schutz- und Hygienemaßnahmen, die Notwendigkeit von permanenten massenhaften Tests und der möglichst raschen Entwicklung eines Impfschutzes sind rational nicht anzuzweifeln.

Die Argumentationen der weltweiten ExpertInnen auf diesem Gebiet widersprechen sich hier nicht und sind jedem/jeder wissenschaftlich halbwegs Gebildeten auch klar verständlich nachprüfbar. Im Gegenteil: Die auf den wissenschaftlichen Plattformen veröffentlichten Ergebnisse lassen vermuten, dass die Bedrohung durch die Pandemie sehr viel größer ist, als dies PolitikerInnen und Medien hierzulande darstellen! Die ökonomischen Interessen, die zur Abschwächung der Pandemiemaßnahmen drängen, sind offensichtlich. Schon beim Anlaufen der Maßnahmen wurden viele nicht lebensnotwendige Arbeitsprozesse fortgesetzt, trotz eindeutiger Infektionsgefahr. Die Zustände auf den Schlachthöfen stellen hier nur die Spitze des Eisbergs dar. Schul- und Kita-Schließungen erfolgten viel zu spät, genauso wie sie jetzt überhastet wiedereröffnet werden. Die Warnungen der VirologInnen wurden tatsächlich in der Öffentlichkeit immer mehr in den Hintergrund gedrängt, während von Politik und Medien ein Wiedereröffnungs-Hype betrieben wird.

Dazu passt die Episode der sogenannten „Heinsberg-Studie“. Abgesehen davon, dass das politische Versagen rund um die Eindämmung des Ausbruchs in diesem Landkreis tatsächlich untersucht werden muss, handelt es sich bei dieser Studie nur um virologische Auswertungen des Infektionsverlaufs. Darauf aufbauend wurden einige statistische Aussagen zur möglichen tatsächlichen Zahl der Infizierten und zur gruppenspezifischen Sterblichkeit gemacht. Aussagen über die viel größere Zahl, die Corona bereits durchlaufen hätten, und die damit auch viel geringere Sterblichkeit machten daraufhin die Runde – sowohl in den Verschwörungstheorieblogs als auch bei den interessierten PolitikerInnen des „Establishments“. Legendär der Auftritt des NRW-Ministerpräsidenten Laschet bei der ersten Präsentation der Studie, die zur reinen Propaganda für mehr Öffnungen wurde. Inzwischen wurde an ihr scharfe Kritik in Bezug auf die unzureichende statistische Basis, die fehlende Angabe von Varianzen und offensichtliche rechnerische Ungenauigkeiten geübt (Spiegel, 7.5.). Die VerfasserInnen der Studie betonten in ihrer Reaktion, dass sie für die falsche Interpretation ihrer Ergebnisse nicht verantwortlich seien. Doch das Kind war da schon in den Brunnen gefallen. Die Verbreitung der Ergebnisse der Studie in dieser „Interpretation“ war hoch professionell von der Medienagentur Storymachine GmbH, deren Hauptfinanzier der Allianzkonzern ist, genau so betrieben worden. Ohne hier eine Gegenverschwörungstheorie erzählen zu wollen – offensichtlich gab und gibt es auch in Bezug auf die Verharmlosung der Gefahren eine starke Medienpolitik, die sich auf jeden Fall auf klar erkennbare wirtschaftliche Interessen stützt. Das zeigt sich auch darin, dass die rechten, kleinbürgerlichen und unternehmerischen Parolen der „Querdenker“-Demos in Stuttgart auch von den UnternehmerInnenverbänden aufgegriffen wurden, die dem Volk nicht länger ihre Dienste und Waren vorenthalten wollen. Wer am Stuttgarter Wasen eng für die Öffnung der Gastronomie und Läden zusammensteht, rückt auch leichter auf der Arbeit eng zusammen und mosert nicht wegen der Nichteinhaltung „kleinlicher“ und kostspieliger Hygiene- und Arbeitsschutzvorschriften.

Die verständliche Verzweiflung vieler Menschen über ihre Lage lässt einige offenbar empfänglich werden für irrationale, wissenschaftsfeindliche Verschwörungstheorien. Aus welchem Eck die KritikerInnen der „Virus-Diktatur“ zunächst auch immer kamen – Ende April nahm der Protest merklich an Fahrt auf und ging über die Blase im Netz hinaus in höhere physische Beteiligung an Kundgebungen über. Rechtzeitig bemerkte auch die organisierte Rechte, dass hier eine Chance für den Protest gegen die „herrschenden Eliten“ zu ergreifen ist. Nicht nur einzelne AfD-PolitikerInnen und Parteigliederungen schlossen sich an. Auch organisierte Neo-Nazis, insbesondere die „Identitäre Bewegung“ riefen nun zur aktiven Beteiligung auf. Der Sprecher der Identitären, Martin Sellner, ruft offen zur Unterstützung von „Widerstand 2020“ auf. Auch wenn er nicht mit allem übereinstimmt, so hätte er interessante Gespräche mit dem Sprecher von „Widerstand 2020“, dem Arzt, Corona-Leugner und „Patrioten“ Bodo Schiffmann geführt. NPD- und Pegida-Größen erscheinen auf den Kundgebungen der „GrundgesetzschützerInnen“, die von alldem nichts bemerkt haben wollen. Mehr und mehr wurden die Demos von rechten Vereinen wie z. B. „Zukunft Heimat“ übernommen. Dass organisierte Rechte dann auch physisch zum Angriff auf die „Lügenpresse“ übergehen, ist weiterer Ausdruck des drohenden Eskalationspotentials.

Dass Martin Sellner, der Kopf der Identitären Bewegung, hier die Möglichkeit sieht, eine breite Bewegung gegen die „herrschenden Eliten“ zu inszenieren und endlich ein massenhaftes Protestpotential zu erreichen, ist nicht verwunderlich. Dass die erwähnten „Linken“ dies als Nebenpunkt ihres an sich so berechtigten Protestes sehen und die Hervorhebung der rechten Unterwanderung als weiteres Element der „Medienmache“ abtun, diskreditiert sie allerdings nun vollständig. Die Querfrontvorwürfe mögen für diese Milieus bisher überzogen gewesen sein – davon kann jetzt keine Rede mehr sein.

Ein Blick in die Geschichte

Dazu auch noch einmal die Erinnerung an die verhängnisvolle Geschichte der Querfront von Nazis und KommunistInnen in der Weimarer Republik. Anders als es von interessierten Kreisen heute dargestellt wird, handelte es sich hier nicht um ein zwangsläufiges Zusammengehen von linken und rechten Demokratiefeinden. Es geht vor allem um zwei Ereignisse: den Volksentscheid zum Sturz der preußischen Regierung 1931 und den Streik der Berliner Verkehrsbetriebe 1932. Ersterer wurde von verschiedenen rechtsextremen Parteien als Angriff auf die letzte SPD-Hochburg eingeleitet. Die KPD beschloss, für den Sturz der Regierung zu stimmen, aber eine getrennte Kampagne für einen „roten Volksentscheid“ zu führen. Beim Verkehrsbetriebe-Streik wiederum ließ sie es zu, dass rechte Delegierte im Streikkomitee zusammen mit den KPD-Delegierten die SPD-Mehrheit brachen, um den Streik zu ermöglichen.

In beiden Fällen handelte es sich nicht um eine organisatorische Zusammenarbeit mit den Nazis (tatsächlich bekämpfte man sich auf der Straße weiterhin blutig), sondern darum, „zufällig“ in derselben Aktion auf derselben Seite zu stehen. Von der KPD-Führung wurde dies einerseits als Element der „Einheitsfront von unten“ (die offenbar punktuell auch ArbeiterInnen umfassen könne, die sich bei den Nazis verirrt hatten), als auch damit begründet, dass die SPD als „sozialfaschistische“ Stütze des Brüning-Regimes derzeit die Hauptfeindin sei.

Beides hat sich als verhängnisvolle Fehleinschätzung erwiesen. Gestärkt wurden nur die Nazis, die sich so auch als KämpferInnen gegen bürgerliches Establishment und die sozialdemokratischen VeräterInnen präsentieren konnten. Noch viel folgenschwerer war, dass diese Politik die sozialdemokratischen ArbeiterInnen in die Hände ihrer verräterischen FührerInnen trieb und immer weniger von ihnen für eine Einheitsfront gegen den Faschismus gewonnen werden konnten.

Charakter des Protests

Ob die ursprünglichen OrganisatorInnen des Corona-Protests es nun wollten oder nicht: Dass sie in einer Reihe mit RechtsextremistInnen und FaschistInnen stehen – die Tatsache, dass sie die Präsenz dieser Elemente auf ihren Aktionen verharmlosen, selbst Scharnierfiguren wie Ken Jebsen hofierten und nie für die Entfernung der Rechten eintraten, verlieh ihrer Politik von Beginn an den Charakter einer Querfront. Doch mit der Verschiebung des Kräfteverhältnisses auf den Demonstrationen, mit dem immer stärkeren Einstieg der Rechten, kann eigentlich von einer „Querfront“, von einem mehr oder minder organisierten Zusammenkommen verschiedener Kräfte nicht mehr gesprochen werden. Diese „Linken“ sind das geduldete Beiwerk, die nützlichen IdiotInnen rechter Mobilisierungen, die von Rechtspopulismus bis zum Rechtsradikalismus reichen.

Auch die Tatsache, dass jetzt viele „normale Menschen“, viele „Betroffene“ da sind, die doch „nicht alles Nazis“ sein können, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil – unter den gegebenen Kräfteverhältnissen können solche Mobilisierungen nur in die Hände der Rechten spielen. Es ist wichtig, das Potential für eine neue Stufe der rechten Organisierung durch diese Bewegung zu verstehen. Gerade die Verzweiflung über drohende ökonomische Folgen, speziell im kleinbürgerlichen Bereich und unter den Mittelschichten, macht solche Bewegungen um irrationale Verschwörungstheorien und kleinbürgerliche Pseudo-Rebellion so gefährlich. Verkürzte Kapitalismuskritik (wen wundert es, dass im Kapitalismus die großen Kapitale gestärkt aus Krisen hervorgehen, während die kleinen untergehen), Verschwörungstheorien über Mächte im Hintergrund, die einen an sich guten Staat und eine Wirtschaft für die Fleißigen, in ein böses neo-liberales System mit autoritärer Herrschaftsausübung umwandeln würden,etc. – dies führt allerdings direkt auch in die ideologische Querfront und über diese nach rechts. Von der Gates-Einmischung ist es strukturell nicht mehr weit zur Entdeckung einer neuen jüdischen Weltverschwörung. Schon jetzt muss man viele Elemente der Corona-SkeptikerInnen daher als strukturell antisemitisch benennen. Das Aggressionspotential, das hier aufgebaut wird, muss sich jedenfalls eine Feindgruppe suchen, von der die Menschheit befreit wird, um die „Freiheit“ wiederherzustellen.

Es ist daher mehr als angebracht, sich entschieden gegen diese rechten Mobilisierungen zu stellen. Aktionen wie „Reclaim Rosa-Luxemburgplatz“, durch die die Hygienedemo ihres ursprünglichen Protestplatzes beraubt wurde, sind daher ein erster richtiger Schritt. Natürlich stehen Demonstrationen und Widerstandsaktionen heute immer unter den besonderen Bedingungen der Corona-Gefahr und des Gesundheitsschutzes. Auch die Konfrontation mit Nazis erscheint damit als Widerspruch für diejenigen, die die Bedrohung durch die Pandemie ernst nehmen. Es ist jedoch eine Frage der Abwägung, so wie politisches Agieren immer mit Risiken verbunden ist. Wir müssen daher unsere Antworten auf die Corona-Krise und den Kampf gegen die Einschränkung demokratischer Rechte mit dem Aufstehen gegen rechts verbinden.

Die Anerkennung der realen Gesundheitsgefahr muss, ja darf keineswegs mit einem „Schulterschluss“ mit Regierung und Unternehmen einhergehen. Im Gegenteil: Die Kritik an der mit Corona betriebenen Politik ist mehr als gerechtfertigt und dringend notwendig. Die überlasteten privaten Gesundheitssysteme müssen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht, die medizinische Forschung zur Überwindung des Virus muss unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt, das Wiederanlaufen von Arbeitsstätten, Kitas oder Schulen darf nicht der UnternehmerInnen- und Regierungswillkür überlassen, der Kampf muss gegen alle Entlassungen, für Fortzahlung der vollen Löhne und Transferleistungen für alle geführt werden. Eine solche, wirksame und reale klassenkämpferische Politik gegen Regierung und Kapital ist ohne Kapitalismuskritik und ohne unzweideutige Abgrenzung gegen eine rechte Scheinopposition nicht möglich.